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Neues vom Ortstock

Hinweis: Questo articolo è disponibile in un'unica lingua. In passato, gli annuari non venivano tradotti.

Von Peter Tschudi.

Vorderer Ortstock über den Ostgrat.

« Man umgeht diesen Turm auf der Südseite in schwerer Kletterei. » Diese Stelle in Näfs Clubführer durch die Glarneralpen war es wohl, die mich jahrelang abhielt, diesen Ortstockostgrat einmal anzugehen, und Erkundungen mit dem Zeiss bestätigten mir, dass diese Stelle in der Tat nicht leicht sein konnte. Werde ich dann aber auch durchkommen? Haben nicht meine Kletterkünste mit den Jahren bedeutend nachgelassen? Oder könnte man vielleicht diese unangenehme Stelle irgendwo umgehen?

Seit das Ortstockhaus so schön und breit hingelagert auf einem Hügel gerade gegenüber dem Ortstock steht, hatte ich die Fahrt nun schon mehrfach mit dem Fernglas in Gedanken ausgeführt, und der letzte Winter hatte mir die Gewissheit gebracht, dass die schwere Stelle tatsächlich, und zwar in der Nordostwand, zu umgehen sein musste. Feine Schneebändchen hatten mir verraten, wo vielleicht im Sommer schmale Schuttbändchen auf die gewünschte Kanzel führen konnten. Immerhin « konnten », sicher war es durchaus nicht. Also endlich einmal' ran an den Berg, dann wird es schon auskommen.

Zwar hatte ich in zwei Erkundungen schon versucht, den ganzen, architektonisch so wundervoll aufgebauten Ostgrat vom zweituntersten Absatz her zu begehen. Wir waren auch gut und ohne Schwierigkeiten auf die vierte Stufe gekommen, dann aber versagte unsere Technik. Also kehrten wir reue-voll zurück.

Mit J. J. Marti, einem jungen, für neue Wege stark interessierten Bergführer, brach ich am 6. August 1933 früh 4 Uhr vom Ortstockhaus auf. Der Himmel versprach nur Gutes und hielt dieses Versprechen. Erst ging es in leichtem Trab zum Oberstafel der Brächalp hinunter, dann vorbei an dem zum Sumpf eingetrockneten Brächerseeli, und schon hatten wir die Karawanenstrasse der Ortstockfahrer, die hier sich dem « Bärentritt » zuwenden, verlassen. Wir steuerten hinüber zum bald vergessenen Schäferpfad, der über Weide und Felsstufen durch das Euloch hinaufführt. Am obern Ende dieser Mulde gelangten wir an den Fuss der grossen Schutthalde zwischen den Ortstockgipfeln. Solange wie möglich folgen wir den Rasenpolstern, die sich von unten her keilförmig in den Schutthang hinaufzwängen, und stehen dann bald am Eingang zu einem Rasenbändchen, dem wir südwärts folgen.

Wir sind in den Fels eingestiegen. Er wird vorübergehend steiler, und ich spüre mit Missmut, dass ich für die heutige Tur nicht gut disponiert bin. Also ist vor allem das Tempo zu mässigen. Es geht weiter, immer noch leicht, indem wir einem Rücken, folgen, der rechter Hand in einen Plattenhang übergeht. An seinem Ausgang gelangen wir wieder in eine grobblockige Schutthalde und stehen dann nach drei Stunden auf dem fünften Absatz des Ostgrates. Es ist ein Firnsattel; links führt eine Felsbastion zu den vier Türmen hinaus, welche uns seinerzeit als vorderhand unüberbrückbares Hindernis den Weg über den Grat von unten her versperrten. Vor uns fällt steil und unwirtlich eine enge Felskehle direkt auf die Grasplanggen der Riedalp hinunter. Etwas über uns zeichnet sich der im Führer genannte 40 m hohe Pfeiler ab, und weiter rechts suchen wir nun forschend die Wand nach einem Durchpass ab. Der Pfeiler ist nur etwa 2 m von der senkrechten Wandstufe abgespalten, diese zieht sich in die Nordostwand hinaus und keilt dann bald aus.

Nach einer kurzen Rast packen wir wieder zusammen, queren den Schneehang nach Norden und steigen am Fusse des Kalkkeils über lotteriges Geröll schräg aufwärts. So kommen wir an dunkles Kalkgestein ( Zementsteinschichten des Malm ) heran, das in Form zweier Bändchen wieder nach links zurückführt. Das untere scheint uns das verlässlichere. Das Seil wird aufgerollt, und Marti geht voran. Bald ist er am Fusse eines 6—8 m hohen Kamins, und ich folge nach. Gewandt und sicher wie eine Katze steigt Marti ein, ich folge ihm mit den Blicken und... drücke mich schnell an die Wand, denn schon poltert von oben ein grosser Block herab. Gut abgelaufen! Na, das kann vorkommen, wenn man auf Entdeckung neuer Wege ausgeht, da gibt es noch keine abgestaubten und herausgeputzten Kamine.

Dafür steht er jetzt auch schon oben, und ich folge am Seil gesichert nach. Wir haben gewonnen! Der leichtere Schlüssel zum obersten Teil des Ostgrats ist gefunden, denn von hier führt uns das dunkle Kalkband leicht hinauf zum Gratabsatz neben dem Pfeiler. Wir schauen uns noch die « schwere Kletterei » in der Südwand an, und ich muss gestehen, dass sie nicht « ohne » und auf jeden Fall viel schwerer ist als die von mir gefundene Variante.

Es ist schon 820 Uhr. Wenn ich besser disponiert wäre, könnten wir jetzt vielleicht schon auf dem Gipfel stehen. Der Grat ist erst leicht und griffig, das Gestein geht wieder in weissen Hochgebirgskalk über. Das Gelände will uns nicht mehr recht mit dem Text im Führer zusammenpassen, und so setze ich zur Vorsicht rote Papierstreifen aus. So überklettern wir unnötigerweise einen hübschen Gratturm und gelangen dann programm-mässig in die Ausweichstelle der Nordostwand hinaus. Gottlob, hier gibt es noch hie und da ein Schattenloch, wo man die etwas erschlafften Lebensgeister erfrischen kann.

Ich übernehme wieder die Führung und suche mir nun den Weg auf den Grat zurück. Es geht gut, wenn auch die eingeschlagene Route nicht wort-genau auf den Führerweg passt. Wir sind jetzt im grossartigsten Teil der ganzen Route drin. Man klettert an Gratabsätzen hinauf, taucht für kurze Zeit in einen Einschnitt ein, hat abwechslungsweise die Ein- und Tiefblicke in die Nord- und Südwand hinaus und landet endlich auf dem grossen Schneefeld des Gipfelaufsatzes.

Es ist wirklich schon halb 11 Uhr, wie wir auf dem schmalen, zerklüfteten Gipfel des Vordern Ortstocks den Schnee von den Schuhen klopfen. Ein Jauchzer schallt hinüber zur wenig höheren und durch zwei Scharten und ein respektabel steiles Firnfeld getrennten Kuppe des Hintern Ortstocks, auf dem sich viel Sonntagsbergvolk tummelt. Wir betten uns so gut wie möglich auf dem scharfkantigen Schutt zurecht und lassen die Augen in die Tiefe schweifen. Denn es ist vor allem dieser Tiefblick auf den Urnerboden einerseits und auf die reizvolle Braunwalder Terrasse andererseits, der einen fesselt. Als ob ein Klausenrennen stattfände, so strebt an diesem wolkenlosen Sonntag die Autokolonne passhöhewärts, immer fünf, sechs, sieben Wagen hintereinander, eine lange Staubwolke hinter sich her schleppend. Und das soll ein Vergnügen sein? Da ist es auf unserem Gipfelchen schon einsamer und die Luft so ruhig und klar. Wir dehnen unsere Mittagsrast bis 12 Uhr aus und entschliessen uns dann, für den Abstieg nochmals den Ostgrat zu begehen. An den kritischen Wendepunkten werden wir ja wieder auf die roten Zeichen stossen.

Und das war gut so, denn manche Stelle kam mir unbekannt vor. Oft hielt ich zögernd an, schaute um mich, und siehe da, als Erlösung winkte weiter unten schon die nächste Marke. So gelangten wir in gut zwei Stunden wieder an den Einstieg in die Felsen, und dann bummelten wir gemütlich auf dem Schäfer- und Fusspfad dem Ortstockhaus zu.

Hinterer Ortstock über den Nordgrat.

Man könnte zwar eher von einer Nordrippe sprechen, denn es handelt sich nicht um einen ausgesprochenen Grat, sondern stellenweise mehr um einen Rücken oder eine Rippe. Es ist der Grat, der, wenn man den Ortstock von der Station Braunwald aus betrachtet, vom hintern Gipfel nach rechts ( N ) kaskadenartig abfällt. Er beginnt unten mit einem steilen Absturz und geht dann in einen kurzen Grat über; der mittlere Teil wird gebildet durch ein Gewölbe, und im obersten Teil schwingt sich der Grat in zwei steileren Absätzen zum Gipfel auf.

Fünf Auflagen des Näfschen Clubführers wissen nichts von diesem Nordgrat zu erzählen, aber gerade die Mitwirkung an der letzten Auflage brachte mich auf diese Lücke des Führers. Wie konnte auch nur ein solcher auf der Hand liegender Anstieg von den Bergsteigern vergessen werden?

Da wählen sie lieber den unwirtlichen, weil steinschlägigen Weg durch das grosse Couloir zwischen den Gipfeln, als dass sie sich an einen Gratgang heranmachen. Oder hat man es etwa für unwert betrachtet, diesen Schaf-und Damenberg von einer etwas interessanteren Seite anzugehen? Wie dem auch sei, mich lockte das Projekt sofort mächtig, gibt es doch im Glarnerland fast keine alpinen Probleme mehr. Ich hatte denn auch auf meiner Tur auf den Vordern Ortstock einen ungefähren Überblick von dem zu begehenden Weg und seiner Steilheit genommen und kam zum Schluss, dass er gar nicht schwer sein konnte.

Also machte ich mich am 1. Oktober 1933 wieder mit Marti auf den Weg. Diesmal hielten wir den Ortstockfahrern Gefolgschaft bis über den « Bärentritt » hinauf und machten eine kurze Rast auf dem Lauchboden. Dann wandten wir uns über Schutthalden und Felsabsätzchen gegen den Nordgrat hinauf, der in einer grossen dreieckigen Wand abbricht. Hier hofften wir, durch ein Kamin den Einstieg zu gewinnen; das Kamin erwies sich aber als senkrechte, griffarme Rinne, auf die wir ohne Versuch verzichteten. Wir umgingen nun auf einem Schneefeld die Wandstufe nach links und gelangten durch eine Schneezunge in die glatten, schwarzschiefrigen Bänder hinein, die schräg rechts auf den eigentlichen Grat führen. Wir folgten hauptsächlich einer ausgeprägten Rinne und liessen ein von weit unten sichtbares, spitzes Felsköpfchen rechts liegen. Es ist keine eigentliche Kletterei, und doch bewegt man sich am besten auf allen Vieren. Vom Grat kamen wir auf eine Schutthalde und stiegen dann, am Rande der leicht gewölbten grossen Kalkplatte, die man rechts lässt, aufwärts. Weiter über einen Schuttrücken bis zur hohen Wand, die den eigentlichen Gipfelaufbau nach Norden in senkrecht abfallendem Gewölbe abschliesst.

Wird es hier vielleicht noch Schwierigkeiten geben? Nein, der Schlüssel zum Einstieg fand sich am östlichen Rande des Gewölbeabbruchs leicht, indem ein Bändchen an den Nordgrat hinausführt. Dieser besteht von nun an bis zum Gipfel aus gut gestuften, graspolsterdurchsetzten Schrofen und bot uns keine Schwierigkeiten mehr, so dass wir nach gut vierstündigem Anstieg vom Ortstockhaus her die Gipfelkuppe wohlbehalten erreichten. Wenn auch im untersten Drittel im Frühsommer Steinschlag möglich ist, so hatte uns auf unserer Route heute kein fallendes Steinchen erschreckt, wohl aber pfiffen solche ab und zu durch die ausgewaschene Schlucht des zwischen den Gipfeln liegenden Couloirs hinunter. Wir dürfen daher die neue Route mit gutem Gewissen als abwechslungsreichen, unschweren Weg auf den Hintern Ortstock empfehlen. Wem auch dieser Nordgrat oder der Ostgrat zu leicht ist, der mache sich einmal an die Besteigung der Südwand des Ortstocks heran, da wird er gewiss auf seine Rechnung kommen, denn diese dürfte Dolo-mitenklasse haben.

Der gewöhnliche Weg war auch für unsern Abstieg zu salzlos, und so wandten wir uns gleich wieder der Nordrippe zu, die wir bis zur grossen Malmgewölbeplatte hinunter verfolgten. Von da verliessen wir den Grat und stiegen westlich in leicht begehbaren Rinnen auf das grosse Firnfeld unterhalb der Ortstockfurkel ab. Noch einige Rutsche auf dem Schnee, ein paar Schlittschuhschritte und schon stehen wir auf dem Rasenplatze des Lauchbodens, der zu beschaulicher Rast einlädt.

Es ist sehr leicht möglich, dass der Ortstock auf dieser im Abstieg begangenen Route schon vor uns bestiegen worden ist; wir verzichten in diesem Falle gerne auf die Priorität. Für mich handelte es sich ja nur darum, einem liebgewordenen Berg eine interessantere Seite abzugewinnen und diese auch andern Bergsteigern bekannt zu geben.

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