Nochmals Molasseproblem und Alpenfaltung | Club Alpino Svizzero CAS
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Nochmals Molasseproblem und Alpenfaltung

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In dem Aufsatze „ Flußgeröll, Molasseproblem und Alpenfaltung " ( Jahrbuch S.A.C. XLV, pag. 225 —249 ) habe ich durch Vergleichung der Geröllgrößen des Rheinkieses mit denjenigen der miocänen Nagelfluh ( Hörnli, Gäbris, Speer usw. ) den Nachweis zu leisten versucht, daß die fremdartigen ( „ exotischen " ) Nagelfluhgerölle unmöglich direkt durch Flüsse aus der weit entfernten Zone Baveno-Lugano-Predazzo hergetragen worden sein können, und daß man nach einem nähern Ursprung suchen müsse, wobei auch das Studersche Randgebirge im Gegensatz zur Frühschen Theorie wieder zur Sprache kam. Dagegen wurde die Frage, ob die moderne Deckentheorie sich mit der Forderung einer nahen Herkunft der Nagelfluh in Einklang bringen lasse, nicht erörtert. Sie muß aber ebenfalls erwogen werden und ist zu bejahen, sobald man annimmt, die Überschiebungsdecken ( Klippengebiete usw. ) seien schon am Ende der Oligocänzeit in der Nähe des heutigen Alpennordrandes angelangt gewesen. Die Nagelfluh wäre dann zu betrachten als das Abtragungsprodukt der höheren Decken und besonders auch der exotischen Blöcke im Flysch. In der Deckentheorie erscheinen die Theorien von Studer und Früh, die sich scheinbar diametral gegenüberstehen, von denen aber jede einen wahren Kern birgt, in glücklicher Weise vereinigt. Studer hatte in gewissem Sinne recht mit seinem Randgebirge, nur war dieses selbst durch Gebirgsschub weit aus dem Süden gekommen. Und ebenso hatte Früh recht mit seiner Lehre von der Herkunft der fremdartigen Nagelfluh-gesteine aus weit entfernten südlichen Gegenden; nur war der Transport nicht durch Flüsse erfolgt, sondern durch den Deckenschub, worauf dann erst durch Flüsse und Brandung die Abtragung des Gebirges und die Bildung der Nagelfluh erfolgte. Studer, Früh und die Deckentheorie ergänzen und bestätigen sich da gegenseitig.

Die in meinem erwähnten Aufsatze enthaltenen Bemerkungen gegen die Deckentheorie haben mir seither tatsächlich Gewissensbisse verursacht. In Österreich ist in jüngster Zeit der von den dortigen Gegnern der Schardt-Lugeonschen Theorie hartnäckig geltend gemachte Haupteinwand ( betreffend die angeblich identische Fazies der Gosauschichten im nördlichen Flyschzug und in den Kalkalpen ) wohl endgültig gefallen, ein Einwand, der, wenn stichhaltig, in der Tat hingereicht hätte, die ganze Theorie zu stürzen. Sodann muß jeder Gegner der Deckentheorie notwendig auf die alte Glarner Doppelfalte zurückkommen, und doch erscheint hier die Annahme einer einheitlichen Überschiebung weit einleuchtender und natürlicher, womit dann auch sogleich die Wurzellosigkeit des ganzen Alpennordrandes zugegeben wird. So fürchte ich denn, daß meine in gegenteiligem Sinne gehaltenen Bemerkungen nur einen letzten verzweifelten Versuch darstellen, Überschiebungen von ansehnlichem Ausmaß mit älteren Vorstellungen über Gebirgsbildung in Einklang zu bringen. Ausgehend von der gewaltigen nördlichen Molasse-Antiklinale glaubte ich das schwierige Problem der Alpenfaltung von einem großen Gesichtspunkte aus anzugreifen, bin aber vermutlich schließlich doch dazu gekommen ( pag. 245 ), „ große Dinge an einem kleinen Maßstab messen zu wollen ". Allerdings bleibt die ungemein schwierige Vor-stellbarkeit der Vorgänge bei der Deckenbildung, aber „ unsere Vorstellungen haben sich den Tatsachen zu fügen " ( Sueß ), und über diese kann kaum ein Zweifel walten. Nach dem heutigen Stande der Alpenforschung scheint es kaum mehr möglich, gegen die Deckentheorie anzukämpfen.

Hingegen möchte ich hinsichtlich der subalpinen Molassezone nochmals an die Behauptung anknüpfen, von welcher ich ausging; die Möglichkeit, daß hier Schichten von zusammen 4000—6000 Meter Mächtigkeit durch Abwitterung verschwunden sein sollen, ist entweder abzulehnen oder nur bei Annahme eines sehr langen Zeitraums denkbar. In dieser Richtung ist die Lösung des Molasseproblems zu suchen. Da die Nagelfluh nicht aus weiter Feme stammen kann, da ferner in der Gegend St. Gallen-Herisau ihre Gerölle merkwürdigerweise größer sind, als in der Zone Gäbris-Hundwiler-höhe-Hochham, und da in der Kronbergkette auf große Distanzen Kalknagelfluh mit kleinen Geröllen von grober, bunter Nagelfluh überlagert wird, so darf mit Sicherheit behauptet werden, daß es sich im subalpinen Molassegebiet nicht um Antiklinalen im gewöhnlichen Sinne handeln kann, bei welchen man einfach Nordflügel und Südflügel verbinden darf, sondern daß hier ebensowohl von einem Nebeneinander, als von einem Übereinander geredet werden muß. Mit andern Worten: Die südlichste, vom Kalkgebirge Uberschobene Molasse ( Speer-Hirzli usw. ) ist älter als die Zone Gäbris-Hochham und als die Zone St. Gallen-Hörnlikette. Jene Überschiebung der ältesten ( oligocänen oder nach andern Autoren untermiocänen ) Molasse wurde bisher als Äußerung der letzten großen Hauptfaltung der Alpen betrachtet und in eine recht späte Zeit verlegt, ins Pliocän; folgerichtig mußte man auch den Beginn des heutigen Alpentalsystems in diese späte Zeit verlegen. Da die Überschiebung aber nur die älteste Molasse betroffen hat, so kann sie sehr wohl schon im Miocän erfolgt sein. Jedenfalls ist sie älter als die Meeresmolasse Bregenz-St. Gallen-Luzern-Belpberg. Daraus ergiebt sich der interessante Schluß, daß das heutige Alpengebirge und die heutigen Alpentäler schon aus dem frühen Miocän datieren, also sehr viel, vielleicht um mehr als eine Million Jahre älter sind, als man bisher allgemein angenommen hat. Ist diese Auffassung richtig, so wäre damit auch der fünfzigjährige Streit zwischen den Anhängern der Flußerosion und denen der Glazialerosion definitiv erledigt, und zwar in der Hauptsache zugunsten der Flußerosion. Überhaupt konnte die Lehre von der Tal- und Seebildung durch glaziale Erosion nur deshalb solche Anerkennung und Verbreitung finden, weil man der Anschauung huldigte, die Eiszeit sei der Auffaltung des Alpengebirges sehr bald nachgefolgt, während nach der angedeuteten Lösung des Molasseproblems zwischen beiden ein sehr langer Zeitraum angenommen werden muß. Auch für die alpinen Randseen ergibt sich nun ein höheres Alter. Es handelt sich um „ ertrunkene " Flußtäler, die durch einen tektonischen Vorgang zu Seen gestaut wurden. Diese tektonische Bewegung ist nichts anderes als die fortschreitende Faltung, die sich in der Aufstauung der Molasse-Antiklinalen und des Juragebirges äußerte, nachdem schon vorher die großen alpinen Antiklinalen ( z.B. Zentralmassive ) aufgestaut worden, ein Vorgang, der sehr wohl von der vorausgegangenen Deckenbildung zu unterscheiden ist. Diese Hypothese unterscheidet sich von der Heimschen Lehre über die Seebildung erstens durch die Art des tektonischen Vorganges und zweitens durch die Verlegung desselben in eine viel frühere Zeit.

Die Gerölluntersuchungen, welche indirekt zu den oben geäußerten Ansichten geführt haben ( vgl. Jahrbuch XLV ), habe ich im vergangenen Sommer im st. gallischen Rheintal, im Prätigau, Bündner Oberland und Hinterrheintal fortgesetzt. Die im Sommer 1909 gewonnenen Resultate fanden im allgemeinen ihre Bestätigung; nur in folgender Beziehung muß ich meine Ansicht etwas modifizieren. Die Zufuhr, welche die Alpenflüsse auf ihrem ganzen Wege aus den eiszeitlichen Moränen erhalten, ist doch von größerem Einfluß, als ich zuerst dachte. Die Untersuchungen werden dadurch sehr erschwert, die Zahlen als solche weniger zuverlässig, weniger wertvoll, aber zum Glück in eindeutigem Sinne. Kürzer gesagt: Ohne die fortwährende Zufuhr aus eiszeitlichen Moränen und Schottermassen würde das Flußgeröll noch viel feiner sein. Der Schluß auf die Herkunft der tertiären Nagelfluh aus der Nähe wird dadurch nicht alteriert, wird im Gegenteil nur um so zwingender.

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