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Norwegische Fahrten

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Von G. Studer.

Norwegische Fahrten Gewiss hat jedes Mitglied des schweizerischen Alpenclubs, ja jeder Alpenfreund, mit lebhaftem Interesse das schöne Panorama vom Suphellafjeld in Norwegen betrachtet, welches Professor Heim in Zürich dem IX. Bande unseres Jahrbuchs beigegeben hat. Zeigte uns doch dasselbe das Bild einer uns fremden Gebirgswelt, die uns doch wieder anheimelte und unwillkürlich zu Vergleichungen mit der uns liebgewordenen heimatlichen Alpenwelt antrieb. Um uns diese Aufgabe zu erleichtern, verstand es Herr Heim in seiner Erläuterung zu diesem Panorama * ), den allgemeinen Charakter des norwegischen Hochgebirges mit grossen Zügen darzulegen und zu constatiren, wie sehr derselbe, neben vielen gemeinsamen Erscheinungen, von demjenigen der Alpen abweicht. Naturschilderungen und Naturbilder aus dem nordischen Gebirgslande von andern Standpunkten aus aufgefasst, dürften nun wohl geeignet sein, den Kreis der Anschauungen zu erweitern, die Momente zur Charakter vergleichung durch neu hinzukommende zu ergänzen und das Urtheil voll-gültiger zu machen, wenn es auch im Allgemeinen dasjenige von Professor Heim bestätigen wird.

Es war mir vergönnt, im Jahr 1874 in Gesellschaft zweier liebenswürdiger Gefährten* ) die Hauptstadt von Norwegen zu besuchen und von Christiania aus einen Streifzug durch das Innere des Landes zu unternehmen, der mir Gelegenheit bot, nicht nur auf langen Strecken zahme und wilde Gebirgsthäler zu durchziehen und die malerischen Fjorde zu durch-schiffen, sondern auch von einigen dominirenden Berghöhen aus umfassende Rundsichten zur flüchtigen Skizzirung zu erhaschen.

" Wenn ich es daher wage, in den folgenden Blättern meine Erinnerungen an jenen Streifzug wieder aufzufrischen und das Gesehene den Lesern unseres Jahrbuchs in gedrängter Schilderung vorzuführen, so geschieht es in der Absicht, vom rein alpenclubistischen Standpunkte aus einen bescheidenen Beitrag zur Charakteristik des norwegischen Gebirgslandes zu liefern, der zugleich zur nähern Erläuterung der unter den artistischen Beilagen erscheinenden Panoramen dienen soll.

Gudbrandsdalen und Romsdalen.

Unsere Abreise aus Christiania geschah am 30. Juni. Wir waren mit einem Eeiseprogramm versehen, das wir neben vielen andern Aufmerksamkeiten der Güte des schweizerischen Consuls, Herrn Heftye, zu verdanken hatten, und welches uns genaue Anleitung gab, in möglichst kürzester Frist einige der interessantesten Gegenden Norwegens kennen zu lernen. In vier Stunden brachte uns die Eisenbahn nach Eid s void. Sie durchzieht auf einer Strecke von 6 norwegischen Meilen* ) ein unebenes Gelände, das im Ganzen nur geringen landschaftlichen Keiz gewährt. Doch ist der allgemeine Eindruck ein freundlicher. Ausgedehnte, einsame, für das Auge des Schweizers, das sich an den stattlichen Wuchs seiner einheimischen Tannen gewöhnt hat, unschöne Fichtenwälder, wechseln in raschem Fluge ab mit hüglichtem Wiesenland, auf welchem vereinzelte Bauerngehöfte und kleine Hüusergruppen zerstreut liegen, und mit baumreichen, zum Theil sorgfältig kultivirten Thalebenen, eingefasst von langgedehnten, waldgekrönten Höhenzügen und geschmückt mit netten Kirchen und Dörfern, deren hochragende Fabrikkamine von lebhafter Gewerbsthätigkeit zeugen.

Die Station E i d s v o 1 d liegt am Ufer des breiten, schönen Stroms V o r m e n, der dem Mjösensee ent- fliesst. Ein hübschgebauter, bequem eingerichteter Dampfer nimmt hier die Passagiere auf und bringt sie auf dem zwischen niedern baumgeschmückten Ufern sanft dahin fliessenden Gewässer nach kurzer Strecke stromaufwärts nach der Station Minne oder Min d e, wo das Schiff in den See einläuft, um denselben in seiner ganzen Länge zu durchschneiden.

Der Mjösensee soll der längste Binnensee Norwegens sein. Er hat zwischen Minne und Lillehammer eine Ausdehnung von 9 Meilen. Die Breite misst in den südlichen und nördlichen Partien durchschnittlich nicht mehr als V4 bis V3 Meile. Nur gegen seine Mitte zu weitet er sich zu einem ansehnlichen Wasserbecken aus, das zwischen Smörvik und Hamar eine Breite bis auf la/j Meilen einnimmt. Hier liegt aber auch mitten im grossen Becken die nicht unbedeutende Insel He I g ö ( Heilige Insel ), welche waldreich und fruchtbar ist und einige stattliche Gehöfte auf ihrem Rücken trägt. Die Höhe des See's über dem Meer wird auf 387 Fuss, seine grösste Tiefe auf 1442 Fuss angeschlagen. Die Umgebungen des See's sind nicht grossartig. Sie tragen den Charakter eines zahmen Hügelgeländes. Wiesen und Waldung, mitunter auch Fruchtfelder, bekleiden die hie und da von Gehöften, weiss schimmernden Kirchen und kleinen Städten, wie Hamar und Gjörwik, belebten Gestade. Die Höhen, die den See einfassen, machen sich hauptsächlich am westlichen Ufer der untern Partie desselben geltend, wo sie in den jäh ansteigenden Skr e i b e r g e n die Höhe von 2360 Fuss ü. M. erreichen.

Nach einer achtstündigen Fahrt landeten wir bei der Station Lille hammer, am obersten Ende des See's, da wo der Fluss L a a g e n aus Gudbrandsdalen heraustritt. Dieser Fluss füllt beim Ausgang des Thales seeartig die ganze von steilen Hängen eingeschlossene Thalsohle und geht so unmerklich in den schmalen See über, dass man eigentlich nicht sieht, wo dieser beginnt.

Auf einer schön begrasten, baumreichen Terrasse des östlichen, oder linkseitigen, von waldigen Höhen gekrönten Thalgehänges liegt hart an der Thalmündung die langgestreckte, stadtähnliche Ortschaft Lillehammer.

Einer bunten Gesellschaft von Reisenden uns anschliessend, stiegen wir von der letzten Seestation in einer halben Stunde nach Lillehammer hinauf und fanden daselbst in dem Hotel Hammer ein recht comfortables Nachtquartier.

Ungefähr */t Meile östlich von Lillehammer befinden sich die unter dem Namen Helvedes-Holen bekannten Fälle der Mesnaelv, die wir noch am Abend unserer Ankunft besuchten. Die Mesna ist ein kleiner Fluss, der den hinten im Gebirge liegenden Mesnaseen entströmt und bei seiner Ankunft an der Fronte des Gebirgsabfalls gegen Gudbrandsdalen über eine hohe felsige Bergwand herunterstürzt und eine Eeihe von Fällen und Stromschnellen bildet, bis er in breitem, tief eingeschnittenem Bett Lillehammer zufliesst, um sich nach einer letzten Anstrengung in die Arme des Laagen zu versenken. Als wir unserm Ziele nahe gekommen waren, betäubte der Donner des tosenden Wassers das Ohr, und wir betrachteten Angesichts der Wasserstürze eine Scenerie, die das Malerische mit dem Imposanten in hohem Grade verbindet. Ueber die mit Tannen gekrönte Felswand stürzt sich der Fluss in reicher Wasserfülle, blendend weiss und in mehrere Arme zertheilt, herunter, breitet sich sodann zu einer in Schaum aufgelösten Masse aus, die sich über Felsriffe wirft, bis der Fluss in der sich öffnenden Waldschlucht sein geordnetes Bett wieder erhält und in ruhigerem Laufe seine einsame Gebirgsheimat verlässt. Trotzdem es schon gegen 10 Uhr Abends sein mochte, konnten wir uns doch noch bei Tageshelle an dem gewaltigen Schauspiele ergötzen. Das tiefe Schweigen der uns umgebenden Natur war nur durch das Rauschen der Fälle und das Tosen der aufgeregten Fluth gestört. In einer mit drei kräftigen Pferden bespannten Reisecalèche drangen wir am folgenden Tage in das Gebirgsthal hinein, das den Namen Gudbrandsdalen führt und in altern Schriften auch Guldbrandsdalen genannt wird. Dasselbe hat eine Längenausdehnung von nicht weniger als 17 Meilen. Es wird von dem Fluss L a a g en durchflössen, der seinen Ursprung nahe an der Grenze von Romsdalen im See Lesjeverksvand hat. Nachdem dieser Fluss in seinem Laufe verschiedene Seitengewässer aufgenommen und kleinere Seebecken gebildet, tritt er bei Lillehammer aus dem engen Thal heraus, um den Mjösensee zu speisen. Die Niveaudifferenz zwischen den beiden Seen beträgt nur 1663 Fuss. Dieser Abstand, auf die Längendistanz von 17 Meilen vertheilt, wird so unmerklich, dass man fast durchgehends das Gefühl hat, auf ebener Strasse zu fahren, wo nicht etwa stellenweise örtliche Verhält- nisse ein bedeutenderes Gefälle bedingen. Dieser Fall tritt jetzt, wo seit dem Jahr 1851 die frühern schlechten Wege durch Gudbrandsdalen nach Drontheim und Romsdalen in beiden Richtungen durch eine schöne Chaussée ersetzt worden sind, in viel geringerem Masse ein als früher.

Ich hatte mir die Natur des Thales wilder und düsterer gedacht und war überrascht, bis weit hinein im Allgemeinen ein Gelände zu finden, das mitunter recht freundliche Landschaftsbilder enthüllte, aber allerdings in seiner Gebirgserhebung jedes grossartigen Aufschwungs entbehrt. Das Thal ist bei seiner Mündung von niedern, ich denke kaum mehr als 6 — 800 Fuss über die Thalsohle sich erhebenden, lang gedehnten und oben horizontal abgeschnittenen Höhenzügen eingefasst, deren ziemlich steil und gleichmässig abfallende Hänge bis auf den Kamm hinauf mit Nadelholz bekleidet sind. Diese Höhenzüge sind aber nur die dem Thale zugekehrten Fronten dahinter liegender höherer Gebirgserhebungen, deren Giptel nicht sichtbar sind, deren Existenz sich aber durch die lautrauschenden Bäche kund gibt, welche vorzugsweise am östlichen Thalhang durch das Waldesdickicht herunterquellen und wie die Mesna ihren Ursprung den jenem Gebirgscomplex angehörenden Hochebenen, Seen und Thaleinschnitten verdanken. Aber auch diese Höhen, die auf der Grenzscheide zwischen den Bezirken Gudbrandsdalen und Hedemarken sich ausbreiten, haben ein noch ganz zahmes Aussehen und werden kaum 2000 Fuss absolute Höhe erreichen.

Das Thal behält lange diesen einförmigen Charakter. Die Thalsohle gewährt kaum für den mächtigen, aber sanft dahinfliessenden Fluss und die Strasse den nöthigen Raum. Man ist von Wald umringt und zu eng eingeschlossen, um irgend eines freien Ausblicks sich zu erfreuen. Einen angenehmen Wechsel in diese abgeschlossene Scenerie bringt jener hübsche, grüne Bergrücken, den man thalaufwärts fahrend bei der Station Aronsveen in der Perspektive einer Thalkurve vor sich erblickt und dessen sanft abfallende Wiesenhänge mit zerstreuten Wohnhäusern und Bergdörfchen geschmückt sind. Die Landschaft erinnert hier an gewisse Partien unserer zahmem Walliser und Bündner Bergthäler; nur die roth angemalten Holzhäuser mit ihren Ziegel- oder Schieferdächern und den weissen Fensterverkleidungen verleihen ihr ein fremdartiges Gepräge.

So wie man weiter eindringt, gestalten sich die Thaleinfassungen etwas höher, behalten aber ihren äussern Charakter. Nur selten werden ihre langgestreckten Rücken durch die Oeffnung eines Seitenthals unterbrochen.

Eine liebliche Idylle in dem grossen Epos der Natur, das sich hier in einfachen, markigen, allerdings etwas monotonen Zügen vollzieht, bildet der reizende Losnasee mit seinen anmuthigen Umgebungen. Er wird durch den Laagen gebildet und füllt auf eine Strecke von l'/a Meilen die erweiterte Thalsohle aus. Aeusserst malerisch treten die mit schlank aufgewachsenem Nadelholz oder mit freundlichen Birkenwäldchen gezierten Vorsprünge des wiesenreichen Gestades in den See heraus und dieses selbst wird stellenweise von Häusergruppen und einzelnen länd- liehen Wohnungen belebt, die von Kartoffel-, Gerste-und Haferpflanzungen umgeben sind. Die bewaldeten Höhen, die das westliche Ufer des Beckens einfassen, sind etwas zurückgedrängt, während die östliche Thalwand kahler und steiler in unmittelbarer Nähe in die Höhe steigt und schäumende Bäche herunterströmen lässt. Entfernter, thaleinwärts, erheben sich amphitheatralisch über die nähern Hügel grüne, schneegefleckte Gipfel, welche schon eine absolute Höhe von 3 — 4000 Fuss erreichen mögen.

Ein anderes, heiteres Landschaftsbild zeigt sich, ungefähr eine Meile von der am Gestade des Losnasees blinkenden Kirche von F o d w a n g entfernt, in dem halbkreisförmig von zahmen, grünen Bergen umschlossenen Thalwinkel von Skjseggestad. Die mit üppigen Wiesen und Pflanzungen geschmückte und in reichem Baumwuchs prangende, vom breiten, sanft-fliessenden Laagen durchschlängelte Thalebene, mit den säubern Häusern von Skjœggestad und der Kirche von Ringebu versetzt die Phantasie in das Etschthal zwischen Meran und Botzen, nur dass die Weinberge und Kastanienhaine hier durch den Ahorn, die Birke, die Haselstaude und das Nadelholz ersetzt sind.

Bald verengt sich das Thal wieder. Die Bergwände zu beiden Seiten, unten bewaldet, oben mit Gras und Gestrüppe oder jungem Aufwuchs bekleidet, tragen auf ihren Hochrücken schon reichlicher Schnee. Auf der Strecke zwischen Storklevstad und Brede-vangen wird der Fluss noch enger zusammengedrängt und zeigt stärkere Strömung. Die Thalwände sind steiler und felsiger aufgebaut, die Natur überhaupt kahler, und die Gegend verräth schon in dem unansehnlichen, fast traurigen Aussehen der Wohnhäuser und in dem sonst ungewohnten Betteln der Kinder die Rauheit des Bodens und die Armuth der Bevölkerung. Diese spiegelt sich selbst in der Physiognomie der Bewohner ab, indem sich in ihr fast durchgehends ein Zug schweigsamen Ernstes ausprägt, der bei den Männern etwas seltsam zu der hochrothen, wollenen Zipfelmütze passt, welche die Bauern in Gudbrandsdalen fast allgemein als Kopfbedeckung tragen und die vielleicht als der Rest einer verschwundenen Nationaltracht angesehen werden kann.

Gegen Bre de van gen zu, wo der Laagen den kleinen Bre den see bildet, erfreut man sich wieder an dem Anblick der schmucken, roth oder weiss bemalten Häuser. Viele derselben sind hier statt der Ziegel mit Birkenrinde bedeckt. Auf dieser Unterlage sitzt eine Schicht Erde, welche mit Gras angesäet wird, und es contrastiren denn auch diese hellgrünen Grasdächer etwas seltsam, doch das Auge nicht verletzend, mit der hochrothen oder schneeweissen Farbe der Holzwände.

Je weiter man in das Thal eindringt, desto ernster und mächtiger wird der Charakter der Landschaft. Bei Moen zeigt sich am östlichen Thalhang ein schöner Wasserfall, der den Vergleich mit unserm Reichenbach sehr gut aushält. Der kleine Fluss, der durch eine enge Felskluft in lautem Toben sich herunterstürzt, ist die U t a -El v, die aus den Gebirgen von Rondane hervorströmt, um sich mit dem Laagen zu vereinigen. In der Perspektive von Moen erscheinen einige Gipfel, auf denen bleibender Schnee zu haften scheint. Sie mögen der Gebirgsgruppe angehören, welche das Thal des Vagesees beherrscht.

Bei Laurgaard befindet man sich schon in einer absoluten Höhe von 1010 Fuss. Unmittelbar hinter dieser Station nimmt die Gegend ein wildes aber pittoreskes Aussehen an. In der Ausdehnung von mehr als einer Stunde wird das Thal durch vortretende, kahle Felshöhen bis auf das Flussbett zusammengedrängt und durch dieses wälzt sich die gewaltige Wassermasse des Laagen in tobender Wuth, schäumend und sprudelnd und über Felsblöcke sich werfend, aus einem höher gelegenen Thalbecken herunter. Während der Reisende auf dem alten Wege dieser ungangbaren Strecke durch Uebersteigung des sogen. Rüsten, einer im Winter gefährlichen Höhe, ausweichen musste, zieht sich jetzt die neu angelegte Strasse dicht an der Seite des Stroms in kunstgerechten Windungen, theilweise in den Fels gesprengt und zwischen mächtigen Felsblöcken des Trümmergehänges hindurchgeleitet, nach der höhern, von grünen, schneebesäumten Anhöhen eingefassten und mit Wiesen und Gehölzen geschmückten, doch mitunter auch sumpfigen Thalstufe empor, wo die einsame Gegend wieder ihren friedlichen Charakter annimmt.

Bei Toftemoen verlässt man die Thalsohle und gelangt am linken Ufer des Laagen, neben auffallenden, theils isolirten, theils an das Gebirge sich lehnenden Sandhügeln vorüber, welche Erosionsarbeit verrathen, hinauf auf ein kahles, mit Weidboden bedecktes Hochplateau. Hier liegt in einer Höhe von 2100 Fuss ü. M.

das einsame Gehöfte Dombaas, das zugleich für die Reisenden eine wichtige Station für Pferde- und Wagen-wechsel so wie zum Herbergen ist; denn auf diesem Punkte scheiden sich die Strassen nach Drontheim und nach Romsdalen.

Wir nahmen in Dombaas unser zweites Nachtquartier, nachdem wir die erste Nacht auf der Station Lis tad zugebracht hatten.

So wie der Reisende, der thalaufwärts steigt, das öde Hochplateau von Dombaas gewinnt, wird er durch den Anblick einer Gebirgskette überrascht, die sich in nicht grosser Entfernung am nördlichen Horizonte entwickelt. Derselben entragt eine Reihe von Schneegipfeln, unter denen sich besonders eine scharf zulaufende Spitze auszeichnet, die sich hinter der dunkeln Bergwand in malerischer Gestalt blendend weiss aus den ihren Fuss umgebenden Schneefeldern emporschwingt. Das Auge erkennt bald, dass diese Berge in ihren Formen und in ihrer äussern Gestaltung einen kühnere Aufschwung haben, als was ihm bis jetzt vorgekommen ist, und dass sie ewigen Schee und Eis auf ihrem Scheitel tragen; desshalb ist auch der Eindruck ihrer Erscheinung ein um so lebhafterer. Es mögen diese Schneegipfel dem Gebirgsmassiv angehören, das sich hinter dem Thal der Jora-Elv und den Höhen des Grisung-fjeldes ausdehnt.

Die Hochebene von Dombaas ist den Nordwinden offen und die Winter müssen hier lang und hart, die Gegend aber auch eine Heimat der Wölfe sein. Zeuge davon waren die hübsche Anzahl von Wolfspelzen, welche im Stationsgebäude zur Schau aufhingen.

Auf dem Wege nach Romsdalen in nordwestlicher Richtung das Hochplateau noch eine Strecke weit verfolgend, gewinnt man bald wieder den Thalgrund. Vor den Blicken öffnet sich ein weites, hübsches Becken, das vom Laagen durchschlängelt wird. Schneegefleckte, daneben grüne, oben flach abgeschnittene, in ihren untern Theilen noch mit lichter Waldung bekleidete Bergzüge fassen dasselbe zu beiden Seiten ein und mögen es um etwa 1000 Fuss überragen. Der Thalboden, der sich von den Ufern des Flusses in sanftem Anstieg an die Bergwand anlehnt, ist nur spärlich von einzelnen unansehnlichen Häusergi'uppen belebt. Ein grüner Rasenteppich, hie und da von Steingerölle überlagert, und kleine Gehölze bedecken ihn. An dem äussersten Vorsprung eines vom nördlichen Höhenzug auslaufenden Hügels steht malerisch die Kirche von Lsesje und dominirt den gleichnamigen, schmalen, aber fast VU Meilen langen See, der hier durch den Laagen und den noch ansehnlichem Gebirgsbach genährt wird, der weit hinter den Schneeplateaus des Kjölen- und Digervarden-gebirges entspringt, dessen nördlichste Stufen in 's Thal des Laagen fallen. Langgezogene, reich mit Schnee bedeckte Bergrücken, die Chasseralartig in sanft gebogenen Profilen den Horizont schneiden, schliessen die Landschaft im Nordwesten ab. Sie mögen eine relative Höhe von 2000 Fuss haben und scheinen die Abdachungen jenes Hochplateaus zu sein, das unter dem Namen Storhungen zwischen dem Thal des Laagen und dem Zweigthale der Jora-Elv in einer Höhe von 4000 Fuss sich ausbreitet.

Dieses gesammte Landschaftsbild überrascht durch seinen eigenthümlichen Charakter und ist nicht ohne gewisse Reize. Indessen schwebt über demselben jener ernste Zug, der sich fast durchgehends in den norwegischen Gebirgslandschaften ausprägt. In düsterm Schweigen schauen die kahlen Berghöhen auf das Thal hernieder. Die Ufer des Sees und des zwischen Tannen-gehölzen und magern Matten hinschleichenden Flusses sind öde und einsam. Das falbe Grün der Wiesen und Bergweiden und jene einförmigen Höhenzüge, mit ihrem tief herabhängenden Mantel von Schnee, der den Küssen der Julisonne nur starre Kälte entgegensetzt, sie mahnen an das rauhe Klima, an den langen harten Winter, dem das zur Zeit unsers Besuches zwar nicht unfreundlich aussehende Thalgelände kaum und nur für wenige Monate entronnen war — an die Entbehrungen und das mühselige Leben seiner Bewohner und an die Kämpfe, die der Mensch hier mit den Elementen auszufechten hat, um dem Boden einen spärlichen Ertrag abzuringen.

Ungefähr 5/* Meilen von Lesje entfernt liegt die Station Les je ver k am kleinen See gleichen Namens, der von dem Schneewasser und den Bächen seine Nahrung hat, welche von den Höhen des Digervarden-gebirges herunterfliessen. Der östliche Ausfluss dieses Sees ist der Langen, der westliche die R â u m a, die ganz Romsdalen durchströmt. Am Ufer dieses Sees steht man daher auf dem höchsten Punkte des Uebergangs zwischen den südöstlichen Niederungen und der nordwestlichen Meeresküste von Norwegen. Trotzdem man mitten im Gebirgslande ist, hat dieser Uebergang nur eine Höhe von 2050 Fuss über Meer 13 und überschreitet daher nicht einmal die Waldgrenze. Statt der erwarteten Bezwingung eines wilden Ge-birgsjochs, gelangt man auf ebener Strasse unvermerkt aus dem Flussgebiet des Laagen in dasjenige der Rauma. Diese letztere bildet zuerst noch ein zweites-Seebecken, an welchem die Station Mo Im en liegt, und durchströmt sodann eine weite, mit Wald bedeckte, an grüne Hügel sich lehnende Hochfläche von so schwachem Gefälle, dass ihre Senkung gegen Romsdalen kaum wahrgenommen wird.

Romsdalen! Wie wohlklingend ist schon dein Name! Er steht aber auch in lieblicher Harmonie mit dem Charakter des Thales, das unter die an Naturschönheiten reichsten GebirgsthälerNorwegens gerechnet wird. Um diese jedoch in vollem Masse zu geniessen, sollte der Eeisende das Thal von oben nach unten durchziehen und von einem so wolkenlosen Himmel und einer so brillanten Sonnenbeleuchtung begünstigt sein, wie beides uns zu Theil geworden ist. Wirklich überrascht waren wir von der Grösse und Schönheit der Scenerie, als wir über jene Hochfläche fuhren und vor unsern Augen ein Kranz von blendend weissen Schneegebirgen am nahen westlichen Horizont sich entfaltete, welcher Anfangs nur seine Gipfel hinter dem grünen Hügelzuge auftauchen liess, allmälig aber, so wie wir ihm näher kamen, mehr und mehr sich vor uns erschloss und bei noch weiterm Vordringen in seiner ganzen Entfaltung vom tief im Thal vergrabenen Fuss bis zu den höchsten Zinnen in voller Glorie vor uns stand. Das war die Gruppe der südlichen Romsdal-gebirge. Sie zeigen zwar allerdings noch keine durch kühne Formen hervorragende Gestalten, sondern repräsentiren vielmehr die Gebirgsform, wie sie in Norwegen die vorherrschende ist. Aber das Gesammtbild macht dennoch einen erhebenden Eindruck. Das Auge ruht mit Interesse auf diesen hochaufgerichteten. in ihrem Gipfelprofil horizontal oder in sanftgebogenen Curven ausgestreckten Gebirgsrücken, die durch mehr oder weniger tiefe Einsattelungen von einander getrennt sind, von welchen schneeige Hochthälchen gegen die Abstürze der äussern Wandung dieser Hochgebirgsgruppe sich herunterziehen. Das Massenhafte der Gipfelgestalten und ihr leuchtendes Schneegewand, das bis tief hinab sie umhüllt und an welchem das Schwarz kahler Felsgräte und nackter Wandflächen nur spärlich hervortritt, ist ein Anblick, der das Bewusstsein erweckt, dass man es hier mit einer ansehnlichen Gebirgserhebung zu thun hat. Es sind denn auch ohne Zweifel die 5-6000 Fuss hohen Gipfel des Storebräen, des Troldhöer, des Karitind und des Bröstefjelds, die man dieser Erhebung entsteigen sieht. Verfolgt man die Strasse noch etwas weiter, so reiht sich an den letztgenannten Hochrücken, von ihm jedoch durch einen tiefen Thaleinschnitt getrennt, ein wunderschöner Schneegipfel, der in seiner doppelzackigen Form einzig dasteht und einem verkleinerten Bilde des Grossglockners sprechend ähnlich -sieht.

Der Lauf der Rauma von ihrem Austritt aus dem See bis zu ihrer Mündung in den Komsdalsfjord bei Veblungsnseset beträgt nicht mehr als 51/2 Meilen. Allein, obschon dreimal kürzer als das Thal von Gudbrandsdalen, vereinigt Romsdalen in der That eine Gebirgsnatur von solcher Schönheit und Erhabenheit, wie sie auf dem ganzen Wege durch Gudbrandsdalen nirgends zu.treffen ist. Das Gesammtgefälle der Rauma ist auf 2050 Fuss anzuschlagen und dieses Gefälle auf die Längendistanz vertheilt, bedingt schon an und für sich eine viel raschere Thalsenkung, als sie die 17 Meilen lange Thalstrecke des Laagen aufweisen kann. Dazu kommt noch der Umstand, dass in Romsdalen das Gefälle auf wenige Thalstufen sich concentrirt, desshalb auch um so mächtiger ist und einen lebhaftem Wechsel in der Scenerie und eine gewaltigere Entwicklung der Gebirgsgestaltung mit sich bringt.

So beginnt denn schon am Ende jener Hochebene ein bedeutender Absturz gegen den hintersten, dichtbewaldeten Thalgrund. Die Rauma stürzt sich tosend und schäumend an der steilen Halde hinunter, bis ein sicheres Felsenbett den wilden Strom aufnimmt. Er wird genährt durch die Bäche und Schmelzwasser, welche auf jenen schneereichen Höhen entspringen und aus einem südlich vom Hauptthal liegenden, gegen dieses vorgeschobenenFelsenamphitheater durch schmale Verklüftungen hervordringen und wie silberweisse Adern über die steile Bergflanke herunterströmen.

Dem begrasten und mit lichtem Wald bekleideten Abhänge der rechten Thalseite entlang zieht sich die Strasse zur Seite des tobenden Stroms und Angesichts jener leuchtenden Gebirgswelt durch die sogenannte Björneklev abwärts. Sie ist theilweise in Fels gesprengt und führt unmittelbar an dem prachtvollen Wasserfall des Sondrestättefos vorüber, dessen reichhaltige Wassermasse, oben in 3, dann in 2 Arme zertheilt, über die felsige Wand hinunterdonnert. Derselbe ist so grossartig, wie ich keinen solchen in den Schweizeralpen gesehen habe.

So wie man dem Thalboden näher kommt, scheinen auch die Berge riesiger anzuwachsen. Das Auge muss zuerst über die steilen Thalwände hoch hinaufschauen, die ihren Fuss bilden, bevor es die schimmernden Gipfel erblickt. Die Landschaft ist acht alpin.

Ueberall ertönt das dumpfe Getöse der Bergwasser. Selbst die Rauma in ihrem Felsenbette macht einen sehenswerthen Fall, den gewaltigen S I e t t a f os, und von den Häusern von O r m e i m, am Fusse der rechtseitigen Bergwand gelegen, bewundert der Reisende den mächtigen dreiarmigen Fall eines Seitenstroms, der, aus den Hochregionen herkommend, an der gegenüberstehenden Thalseite unter weithin hallendem Tosen durch eine schmale Verklüftung des bewaldeten Gehänges herniederstürzt, um in einem letzten stolzen Schwünge als Verm ed als fos seinen vollen Wasservorrath.in die Rauma zu ergiessen.

Erst unterhalb Ormeim wird die eigentliche Thalsohle erreicht. Die flache, grüne Ebene liegt im Niveau mit dem nun ruhiger dahinfliessenden Strom. Aber von links und rechts rauschen Bäche herunter und schiessen über die kahlen Felsplatten, die hie und da am steilen Gehänge zu Tage treten. Thalauswärts blickend sieht man sich vollständig abgeschlossen von lothrechten, kahlen Felswänden, welche unmittelbar aus dem Thale emporsteigen und auf deren höchsten Zinnen der ewige Schnee thront, dem die weissschäumenden Sturzbäche entquillen.

Zur Zeit der grössten Schneeschmelze, in die wir es gerade getroffen, wachsen die Wasser oft so sehr an, dass die Thalsohle sich in einen See verwandelt, der mitunter eine Tiefe gewinnt, die die Unterbrechung des Verkehrs verursachen kann. Auch wir waren gezwungen, in Ormeim das Nachtquartier zu nehmen und den Rückzug der Gewässer bis zum andern Morgen abzuwarten. Gleichwohl stand die Strasse auf einer Strecke von einer halben Stunde noch anderthalb Fuss tief unter Wasser, und es bedurfte grosser Vorsicht, um mit Pferd und Wagen hindurchzukommen.

Von jener Ebene führt eine neue Thalstufe nach einer tiefern Thalsohle. Die Gegend ist wild. Ueber Steintrümmer und zwischen mächtigen Felsblöcken hindurch windet sich die Strasse abwärts. Zur Seite brüllt der wüthende Strom, der zwar wieder in sein Felsenbett eingedämmt ist. In dem untern, flachen Thalgrund breiten sich Wiesen aus und man gelangt zu der Häusergruppe und Station F lad mark.

Bäche und Wasserfälle sieht man auch auf dieser Strecke in reicher Zahl, besonders auf der rechten oder nördlichen Seite, wo die Thalwand sich in begrasten, aber felsdurchfurchten, jähen Hängen unmittelbar aus dem Thalbecken bis zu einer Höhe von wohl 2000 Fuss erhebt. Hinter dieser Wand bergen sich die Schneemassen des Klintinden, der bis zu einer Höhe von über 4000 Fuss ansteigt.

Mit demselben Charakter läuft die Thalsohle ziemlich eben fort und nähert sich bei der Station Horgheim ihrem Ausgang. Hier nimmt die Natur gleichsam noch die letzte Kraft zusammen, um sich in ihrer ganzen Wildheit und Grösse zu zeigen. In üppiger Wasserfülle braust die Rauma ungestüm mitten durch die schmale, von magern Wiesen, Steingerölle und einigem Baumwuchs bedeckte Fläche. Zu beiden Seiten ist das Thal mit hohen Felswänden, riesigen Mauern gleich, eingeschlossen. Es ist vorzugsweise die linkseitige Thalwand, die sich durch Höhe und Nacktheit auszeichnet. Die Zinnen der Wand sind zerrissen und bilden scharfe Firsten und schlanke Spitzen. Unter diesen macht sich thalauswärts der Gipfel des T r old -t in der n e* ) geltend, der die absolute Höhe von 5720 Fuss erreichen soll. Die Runsen, die sich zwischen den coulissenartig vortretenden, scharfkantigen Felsenpfeilern von der Höhe des Kammes in einem Laufe bis in die Thalsohle hinunterziehen, sind noch im hohen Sommer von oben bis unten mit Lawinenschnee ausgefüllt. Fast lothrecht fallen die Felsen gegen das Thal ab, und Prof. K. Vogt dürfte wohl hinter der Wirklichkeit zurückgeblieben sein, wenn er die Höhe der aus dem Thalboden emporsteigenden Wand nur auf 3000 Fuss anschlägt. Die rechtseitige Thalwand steigt ebenfalls in grosser Schroffheit empor, mag aber etwas niedriger sein. Sie kulminirt in den Gipfeln des Klintinden und des Romsdalshorns, welcheProfessor K. Vogt übersetzt den Namen Troldtinderne mit „ H ex en k li p p e n ". Richtiger wäre vielleicht noch Hexe n-hörner. Jene Benennung scheint sich daher nicht nur auf eine einzelne Spitze, sondern auf den ganzen Felskamm zu beziehen, der sich in phantastischen Gestalten aufgipfelt. Einige dieser Spitzen sind nach der Sage Zauberer, welche der heilige Olaf besiegt und in Stein verwandelt hat.

5000 Fuss nicht erreichen. Das letztere beherrscht die Mündung des Thals und kann erst dort in seiner vollen Gestalt erkannt werden.

Die ganze Scenerie macht einen tiefen Eindruck. Ich glaubte mich in den Schooss des Urbachthals mit den nackten Engelhörnern oder in das finstere Gasternthal versetzt und doch befindet man sich hier wohl keine 200 Fuss mehr über der Meeresfläche und kann diese in wenigen Stunden erreichen!

Keine halbe Meile ausserhalb Horgheim öffnet sich plötzlich das enge Thal. Es zeigen sich ferne Berge, die keinen Schnee mehr tragen. Diejenigen, in deren tiefem Schooss man stundenlang sich begraben sah, treten zurück. Das Gelände wird freier. Stolz erhebt sich rechts das schwarze Komsdalshorn als Thal-wächter von Komsdalen und erinnert in Höhe und Form an das Rüblihorn bei Saanen oder an die Gumfluh. Die Eauma schlängelt sich in ansehnlicher Breite, leise rauschend, zwischen niedern, grünen Ufern dahin. Schöne Wiesen, Fruchtfelder, reiche Kartoffelpflanzungen und dichte Gehölze breiten sich vor den Blicken aus, und eine liebliche, in weiterm Kreise von Bergen umkränzte Landschaft beginnt sich zu entfalten. Häusergruppen beleben dieselbe; man ist kaum noch eine Viertelmeile von Veblungsnœset am Komsdalsfjord entfernt, bezieht aber geni sein Quartier in dem wenige Schritte oberhalb der Strasse gelegenen Hotel von Aak, welches allen wünschbaren Comfort bietet und in sehr malerischer Lage, gleichsam im Vorhofe eines grossartigen Naturtempels sich befindet, dessen gewaltige Säulen im Romsdalshorn, in dem in mächtigen Stufen sich aufthürmenden Gebirgsstock des Trold-t in de r n e und in den ebenfalls noch mit Schnee bedeckten Gipfeln gen Himmel steigen, welche die baumreiche Wiesenfläche von Isterdalen umkränzen. Aus dem zum Hotel gehörenden kleinen, aber recht hübschen Parke, der mit einer Mannigfaltigkeit von nordischen Gewächsen, auch mit Obstbäumen, ausgestattet und von schattigen, bekiesten Wegen durchzogen ist, kann der Reisende den herrlichen Ausblick in aller Behaglichkeit geniessen.

Wir waren gegen Mittag des vierten Tages seit unserer Abreise von Lillehammer in Aak angekommen und gedachten am folgenden Morgen den Grat zu besteigen, der die Bergwand krönt, die sich nördlich hinter Aak in steilen Hängen erhebt. Diese Hänge sind unten bewaldet und theilweise noch mit Gras bewachsen, oben aber vorherrschend felsig. Es ist dieser Felsgrat der nordwestliche Ausläufer eines schneebedeckten Gebirgsstocks, der im Ven gen tin den bis nahe an 6000 Fuss ansteigt und der sich gegen das südöstliche Ende des Romsdalsfjords versenkt. Wenn ich nicht irre, so zeigt sich der Gipfel des Vengentinden in jenem wildaussehenden, scharfkantigen und schneebedeckten Kamm, der von Aak aus zur Linken des Romsdalshorns zum Vorschein kommt.

Der Aufbruch geschah um 7 Uhr. Mit festen Stöcken bewaffnet und mit Mundvorrath versehen, reisten wir unter der Leitung eines nur norwegisch sprechenden Führers ab. Der Himmel war trübe und einige am Gebirge herumstreichende Nebel verkündeten nichts Gutes. Dennoch schritten wir unverzagt von dannen.

Da die Steilheit des Gehänges und die kahlen Felsabstürze einen geraden Aufstieg nicht gestatten, so folgten wir in Umgehung der Bergwand eine gute halbe Stunde weit der nach Heen führenden Thalstrasse bis zu einer Stelle, wo jene Wand niedriger und fast bis oben bewachsen ist. Hier bogen wir rechts ab uud betraten einen schlechten Pfad, der sich zur Seite eines tief eingeschnittenen Bachbettes durch Erlengebüsche, kleinen Wald und dichtes, von feinem Kegen befeuchtetes Buschwerk hinaufwand. Plötzlich befanden wir uns Angesichts einer steinichten Kehle, die als Runs für das aus Schnee und Regen sich nährende Wasser dient und steil bis an den obern Rand der Gebirgswand sich hinaufzieht. Dieser Runs war unser Weg, nach den Andeutungen des Führers der nächste und kürzeste. Aber von einem Pfade ist keine Rede mehr. Das bewegliche Gestein rollte unter den Fussen weg und machte jeden Tritt unsicher und die Steilheit nahm mit der Höhe zu. Nach einer harten Arbeit von 2 Stunden war die Wand erklommen und wir kamen auf einen begrasten Bergrücken, der sich gegen eine Gratstelle hinaufbog, auf welcher wir ein Steinmännchen erblickten. Der Regen hatte nachgelassen, doch blieb der Himmel grau und immer noch schlichen wüste Nebel an den Bergen herum. Gleichwohl erschloss sich mit dem Betreten des Bergrückens eine hübsche Aussicht auf Land, auf See und Gebirge vor uns, welche, wenn auch unbeleuchtet, mit jedem Schritte reicher sich entfaltete, und im Genüsse derselben schritten wir munter und hoffnungsvoll über den breiten Rücken hinauf.

Alpenblumen schmückten wohl den grünen Rasenteppich, aber die liebliche bunte Flora, wie sie in unsern Bergen die sonnigen Gehänge und Berggipfel ziert und sie zu wahren Blumengärten umgestaltet, fehlt und statt über saftige Futterkräuter wandelte der Fuss über magere Alpweide und grosse Strecken von Rennthiermoos. Auf der Höhe selbst war es öde und einsam. Man hörte und sah kein lebendes Wesen. Kein Baum schmückte mehr die Berghöhe und ansehnliche Ueberreste von Schnee fingen an, den Boden zu bedecken. In einer guten halben Stunde oder nach einem Gesammtmarsch von 31/2 Stunden langten wir auf der schmalen Gratstelle an, wo jenes Steinmännchen errichtet war. Felsplatten und Rasen boten einen Lagerplatz, von dem aus wir die überraschend schöne und grossartige Rundsicht geniessen konnten.

Wir mochten uns in einer Höhe von etwa 3500 Fuss ü. M. befinden, aber wegen der Nähe des ewigen Schnees und der Wildheit der Umgebung schien es, als ständen wir auf einem unserer 10,000 Fuss hohen Alpengipfel. Die Nebel waren verschwunden; alle Berge waren sichtbar, und wenn auch die Sonne uns im Stiche liess, die Kälte empfindlich wurde und ein neuer Regenschauer uns heimsuchte, fühlten wir uns doch durch den Anblick eines grossartigen Panoramas reichlich belohnt und durch das Bewusstsein gehoben, eine wenn auch unbedeutende norwegische Bergbesteigung vollbracht zu haben. ' Die Rundsicht, die uns umgab, lässt sich allerdings den unvergleichlich schönen Gebirgspanoramen der Schweiz, in denen das Erhabene mit dem An- muthigen sich in so wohlthuender Harmonie verbindet, nicht an die Seite stellen. Während dort hinter einem lachenden Vordergrunde von blauen See'n, schimmernden Flüssen und einer fruchtbaren, reich bebauten Landschaft die schöngeformten Bergketten sich stufenweise über einander erheben und zuletzt die weissen Schneegebirge in riesenhafter Grösse und Majestät hinter den dunkeln Felsenketten emporsteigen und ein Bild voll malerischer Pracht gewähren, treten hier die Gebirge mit ihren steilen Wandungen unmittelbar und wie in einem Guss aus der Thalsohle und von den Ufern des Fjordes bis zu ihren schneebedeckten Gipfeln sich erhebend, vor das Auge. Sie bilden einen fast ununterbrochenen, stellenweise mehrfach gegliederten Kranz, in dessen Centrum man sich befindet. Die Gipfel, obschon sie sich durch mannigfaltige, selbst zierliche und charakteristische Formen auszeichnen, imponiren doch im Allgemeinen dem an die Alpen gewöhnten Auge weder durch auffallende Höhe noch durch besonders kühne Gestaltung. Gegen Westen ist dieser Gebirgskranz in weitere Ferne gerückt und der Raum wird durch das mächtige Becken des Koms-dalsfjords ausgefüllt, über den hinaus ein Stück der Nordsee wahrgenommen werden kann. Eine andere freundliche Erscheinung, die den Eindruck der starren Gebirgswelt mildert, ist das von der Rauma durchschlängelte, zahme Thalgelände von Aak und Isterdalen, das in einer Tiefe von mehr als 3000 Fuss hart zu den Fussen des Schauenden sich ausbreitet. Diese Andeutungen über die grossartige Rundsicht mögen genügen, indem ich den verehrten Leser für den weitern Detail auf das dem Jahrbuch beigegebene Panorama verweise.

Wir waren lange mit dem Studium des uns umgebenden Naturbildes beschäftigt und in dessen Betrachtung versunken. Aber auch hier hatten wir den Eindruck, dass ein Hauch düstern Ernstes über das gesammte Bild schwebe, der zwar durch den Blick auf die freundlichen Landschaften und den hellen Wasserspiegel wohl etwas gemildert war, aber den lachenden Reiz eines schweizerischen Thal- und Seegeländes sich nicht zu erringen vermochte.

Wäre das Wetter günstiger gewesen, wir hätten den Versuch nicht unterlassen, den östlich von uns sich erhebenden, durch den schmalen Gratrücken mit unserer Haltstelle verbundenen, höhern Schneekopf noch zu erklimmen Allein der Regen drohte von Neuem. Meine Gefährten sehnten sich nach den Fleischtöpfen von Aak. Ich liess sie vorauseilen und nach Vollendung meiner dreistündigen Arbeit trat auch ich mit dem bei mir ausharrenden Führer den Rückmarsch an.

Statt uns wieder jenem wüsten Runs zuzuwenden, verfolgten wir diessmal die Höhe des Bergrückens weiter hinab. Die Stelle, wo derselbe in Felsriffen jäh abgebrochen ist, erheischte einige Vorsicht. Hie und da fanden wir zu unserer Beruhigung Spuren der Fusstritte unserer Vorgänger. Durch dichten Wald hinuntersteigend erreichten wir glücklich die ebene Landstrasse. Unterdessen hatten sich aber die Schleusen des Himmels geöffnet und die Strecke bis zu unserm schützenden Hotel musste unter strömendem Regen zurückgelegt werden.

Mit diesem Ausfluge nahmen wir Abschied von dem unvergesslichen Romsdalen und ein Dampfer brachte uns über den Romsdalsfjord nach Molde, wo wir unter 62° 45'nördlicher Breite den nördlichsten Punkt unserer Rundfahrt erreichten.

Jostedal.

Ein Küstenfahrer beförderte uns von Molde nach Bergen. Von hier aus besuchten wir den Hardanger-fj o r d mit seiner schönen Gebirgswelt, fuhren von Eide über Land nach Gudvangen, am Ende einer der südlichsten Buchten des grossen Sognefjordes gelegen, und durchschifften diesen in seiner ganzen Breite bis Sogn dal. In den landesüblichen zweirädrigen Karren drangen wir noch über Hafslo bis Marifjœren am Gaupne fjord vor, in der Absicht, einen Abstecher in das wilde, aber pittoreske Jostedal zu machen.

Der Gaupnefjord, an dessen westlichem Ufer das Dörfchen M a r i f j se r e n liegt, ist eine Abzweigung des Lystrefjordes, der wiederum als ein nördlicher Arm des Sognefjordes mit diesem zusammenhängt. Seine Länge beträgt nur eine halbe Meile, seine Breite kaum'/s Meile, während der Lystrefjord eine Ausdehnung von mehr als 3 Meilen hat. Die Berge, die den kleinen Fjord zu beiden Seiten umschliessen, waren fast schneelos, richten sich aber steil in die Höhe und die Gipfel erreichen eine solche von 3—4000 Fuss. Sie zeigen mitunter wilde, felsige Partien und sind von tief eingeschnittenen Runsen und Thalschluchten durchzogen. Wo nicht der kahle Fels zu Tage tritt, sind die Hänge mit Nadelholz und Gebüschen überwachsen und die höhern Rücken begrast. Auf den sanfteren Abdachungen erblickt man noch Häuser und Gehöfte. Am Ende des Fjords ist die Einmündung des Gletscherstroms sichtbar, der von Jostedal herkommt. Hinter kahlen Gebirgswänden treten weisse Schneerücken hervor, welche ohne Zweifel schon dem Gebiet des Jostedal-Bräens angehören. Still und friedlich liegt der Fjord da wie ein verborgener Alpensee, und man muss die Phantasie zu Hülfe nehmen, um sich zu vergegenwärtigen, dass man sich hier bei einer Entfernung von 1 5 Meilen von der Meeresküste doch noch an der Salzfluth befindet und von diesem versteckten Winkel aus direkt die hohe See befahren kann. Selbst Ebbe und Fluth sollen sich, wenn auch in geringem Grade, in dem kleinen Gaupnefjord noch bemerkbar machen.

Es war am Morgen des 14. Juli, als wir uns in einem Kahn nach dem Ländeplatz des Dörfchens R oe n ne id hinüberrudern liessen. Dann begann die Fusswanderung und es galt, muthig in eine uns wildfremde Gebirgswelt einzudringen. Der Tag schien hübsch werden zu wollen und schon der Gedanke frischte uns auf, heute frei und frank und ohne Sorge durch Gottes schöne Natur zu pilgern und weder die ewigen Stösse der Schiffsmaschine in den Ohren zu haben, noch Stunden lang im engen Kariol eingepresst zu sein und nichts als das Schnalzen und Brr des Skydsjungen zu hören.

Eine Strecke weit zieht sich der Weg noch fast ehen über die mit hübschen Wiesen bedeckte Thalfläche, bald aber drängen sich die Berge näher zusammen; felsige Wände fassen das Thal ein und durch den Engpass strömt der mächtige Fluss ungestüm daher, während von den Thalwänden kleinere Bäche herunterstürzen. Die Anfangs, noch fahrbare Strasse verwandelt sich in einen schmalen, rauhen Saumweg, der stellenweise in die Granitfelsen gesprengt und dem Lauf des Wassers entlang angelegt ist. Da das Thal kleine Kurven bildet, so befindet man sich wie in einem Felsencircus eingeschlossen, hinter dessen Zinnen hie und da ein schneeiger Gipfel hervorguckt. Die Einsamkeit und Oede steigert noch die Wildheit der Scenerie. Doch diese wechselt. Es folgen erweiterte, grüne Thalbecken, wo sich einige ärmliche Hütten dem Auge des Wanderers zeigen, und wiederum geht es lange bergauf und bergab durch stille, einförmige Waldgründe der bis hoch hinauf bewaldeten Bergseite entlang.

Zwei Stunden hinter Roenneid öffnet sich zur Linken oder westwärts ein enges Seitenthal, aus welchem ein Gletscherbach wildfluthend hervorströmt, der sich mit dem Jostedalwasser vereinigt. Dieses Thal heisst Leir-dal und in seinem hintern Theile Tunsbergdal. Es wird von dem mächtigen Tunsbergdalgletscher geschlossen, der vom Jostedalsbräen niedersteigt und eine Länge von 21/t Meilen haben soll. Die Thalöffnung istjedochzueng, als dass dem vorübergehenden Wanderer auch nur der geringste Einblick in das Leirdal gestattet wäre.

Eine hohe Holzbrücke führt über jenen Gletscherbach und nach einer weitern Stunde Marsches durch eine einsame Waldgegend breitet sich eine offene durch eine Gruppe von Häusern belebte Thalfläche bus.

Als wir diese Stelle erreichten, bot sich uns daselbst ein gemüthliches Stillleben dar. Weidende Kühe, Ziegen und Schweine tummelten sich fröhlich auf dem grünen Rasenteppich herum. Von den Feuerheerden drang der Rauch durch die Kaminöffnungen in die Luft und in einer hellen, säubern Bauernstube stellte uns auf möglichst verständliche Anfrage hin eine junge Frau frische Milch und Fladbröd auf den Tisch, so dass wir uns nach Herzenslust sättigen konnten und nach billiger Bezahlung erquickt von dannen zogen.

Eine Stunde weiter thaleinwärts liegen die paar Häuser von Myklemyr am Ende einer grünen, hinten geschlossenen Thalfläche am westlichen Ufer des Thalstroms. Hier ist eine Pferdestation und der Reisende kann in einer der sehr einfachen, aus rauhem Holz gebauten Bauernwohnungen Milch, Eier und Brod bekommen.

Gleich hinter Myklemyr verengt sich das Thal wieder. Dicht zur Seite des laut donnernden Stroms windet sich der Weg aufwärts und es sind nach einander zwei felsige Thalstufen zu übersteigen. Drüben am östlichen Thalgehänge fluthet aus einer Seitenschlucht ein wildes Gebirgswasser hervor, um seine Wasserfälle in den Hauptfluss zu ergiessen und an den lichtbewaldeten Bergwänden stürzen rauschende Bäche herunter — das Schmelzwasser der hinter den Vorgipfeln versteckten Schneehöhen. Obwohl kaum noch 400 Fuss über der 14 Meeresfläche erhoben, trägt hier das Thal ganz den Charakter eines unserer wildern Alpenthäler.

Auf der Höhe der obern Thalstufe angelangt, dehnt sich vor dem Reisenden ein alter Fichtenwald aus, den er zu durchschreiten hat. Er dringt in eine unheimliche Bergwildniss ein. Düsteres Schweigen herrscht im Walde; nur aus der Tiefe vernimmt das Ohr das dumpfe Tosen des unsichtbaren Stromes. Beim Heraustreten aus dem Walde aber erschliesst sich vor ihm ein neues, überraschendes Landschaftsbild.

Während das Auge bis jetzt keinen höhern Berggipfel erblickt hat, weil die vorstehenden, steilen Thalwände diess nicht gestatten, erkennt es jetzt thaleinwärts einen hohen, steil und kahl aufgebauten Felsrücken, der das Thal zu versperren scheint. Das schwarze Felsenkleid ist von leuchtenden Schneebändern durchzogen und der Gipfel des Kammes mit ewigem Schnee bedeckt. Wir überzeugten uns später, dass dieser Felsrücken das Thal des Nigaardgletschers einwandet und ein Kammausläufer des grossen Jostedalsbräen ist. Dicht zu seinen Fussen sieht der Wanderer von jener Stelle aus das vom Jostedalbach umschlängelte grüne Thalbecken von Prescann vor sich geöffnet, und geht er noch ein paar Schritte weiter hinab, so lacht ihm aus der Tiefe die malerische Kirche von Jostedal mit ihrer von vier kleinen Thürmchen flankirten schlanken Thurmspitze und daneben, nur durch den Friedhof von ihr getrennt, ein ganz nettes, rothbe-maltes und mit Ziegeln gedecktes Häuschen entgegen, in dem er sogleich die Pfarrwohnung erkennt. Das Becken wird zunächst von zahmen, theilweise noch bewaldeten Berghängen umschlossen, denen die steilem, begrasten Wände entsteigen, die sich zu hübsch geformten, auf der Abendseite aber noch reichlich mit Schneebändern geschmückten Firsten aufgipfeln. Thaleinwärts drängt sich das Becken sofort wieder zusammen, so dass die beidseitigen Berglehnen sich fast berühren und nur noch dem Flusse Raum lassen. Im entferntem Hintergrunde aber bildet jener schneebelastete Felskamm eine Erscheinung von hochalpinischem Gepräge.

Als wir nach einer siebenstündigen Wanderung im Pfarrhause J o s t e d al, dem einzigen Orte, wo wir ein ordentliches Unterkommen zu gewärtigen hatten, anklopften, wurde uns auf das Allerfreundlichste Aufnahme und Nachtquartier zugesagt. Wir werden uns immer mit warmem Dankgefühl und mit Freuden der angenehmen Stunden erinnern, die wir als Fremdlinge in diesem abgelegenen Erdenwinkel zugebracht, und der zuvorkommenden Gastfreundschaft gedenken, die wir bei dem wackern Pfarrer, Herrn H. E. Hansen, und seiner jungen, gebildeten, mit der deutschen und englischen Sprache vertrauten Frau gefunden und genossen haben.

Der folgende Morgen sollte dem Besuche des Nigaardgletschers gewidmet werden, den man uns als einen der schönsten und zugänglichsten Gletscher Norwegens rühmte. Es entsteigt derselbe dem Jostedalsbräen. Das norwegische Wort Bräen bezeichnet die grossen Schnee- und Eisfelder auf den dortigen Gebirgen und entspricht am besten unserm « Firn » und « Hochfirn ». Der Jostedalsbräen oder der grosse Jostedal-Hochfirn überdeckt das hohe Plateau, das die natürliche Grenze bildet zwischen den nördlichen Gegenden des Sognefjordes einerseits und dem Nordfjord und Söndfjord anderseits. Die Längenausdehnung dieses Hochfirns beträgt 140 Kilometer oder circa 13 Meilen, gegen eine Breite von 10—35 Kilometer oder circa 1—3'/a Meilen. Er entsendet nach allen Seiten eine Menge Gletscher, welche theils bis in die nächstliegenden Thalgrunde hinabsteigen, theils nur an den Bergflanken herunterhängen. Die erstem werden als Gletscher ersten Kangs angeseh'n und es giebt solcher 24, während diejenigen zweiten Ranges nach hunderten zu zählen sind. Da der Jostedalsbräen mit seinem östlichen Kande von Westen her den obern Theil von Jostedal flankirt, so fällt eine ansehnliche Zahl seiner Gletscher gegen dieses Thal oder vielmehr gegen die kleinen Seitenthälchen ab, welche in das Hauptthal ausmünden. Nach C. de Seueumfasst der Jostedalsbräen mit Hinzurechnung seiner vorgeschobenen Gletscher und Eismassen ein zusammenhängendes Eis- und Schneefeld von 1500 Geviertkilo-meter. Es soll dieses die grösste Masse zusammenhängenden ewigen Schnee's und Eises nicht nur in Norwegen, sondern in Europa ( mit Ausnahme Islands ) sein. Die äussere Form der Oberfläche des Jostedalsbräen ist im Grossen die eines Daches, aber im Einzelnen zeigen sich neben ganz flachen Feldern mannigfaltige Unebenheiten. An einer einzigen Stelle befindet sich eine bedeutendere Depression, die bis auf 2000 Fuss herabsinkt, während die mittlere Höhe beiläufig 4450-5250 Fuss erreicht und die höchsten Gipfel im Loda lsk abe auf circa 6630, im St. Caecilienkronen auf circa 6230, im SupheL lenipa auf circa 5500, und im Gottop-hesten auf circa 5460 Fuss sich erheben. Die Felsart des Plateaus besteht, neben andern krystallinischen Gesteinen, wie Glimmerschiefer, Granit und Quarz, vorherrschend aus Gneiss.

Von diesem ganzen, Ungeheuern Hochfirn bemerkt der Reisende, der Jostedal durchwandert, vom Thale aus so viel als nichts, weil derselbe hinter den vorgeschobenen Thalwänden verborgen bleibt. Ja, er ahnt kaum dessen Nähe, bis er in die hintern Theile des Thales vorgedrungen ist und dort die blendend weissen Schneeköpfe wahrzunehmen beginnt, welche durch die Lücken der westlichen Zweigthälchen hervorgucken, oder wenn ihm endlich die Gletscher selbst zu Gesichte kommen, die in diese Thälchen niedersteigen.

Der Weg nach dem Nigaardgletscher führte uns durch die sofort hinter den Häusern von Prescann beginnende Thalenge zur Seite des Gletscherbaches mit geringer Steigung aufwärts. Nur das Tosen des Stromes und das Rauschen der Wasserfälle an den Thalwänden unterbrach die dem Gemüth so wohlthuende Stille der einsamen Gegend. Nach einem angenehmen Marsche von einer Stunde öffnete sich vor uns eine weite Fläche, die von Gehölzen und Moorgrund und von dem fast seeartig ausgebreiteten Thalbache eingenommen und von kleinem Bächen durchzogen war. Diese Bodenbeschaffenheit hat den Weg an die westliche Thallehne hingedrängt und dort zieht er sich hinauf nach einem hegrasten Vorsprung, auf welchem die Hütten der Alp Berg set liegen. Fast unmittelbar hinter diesen Hütten strömt laut rauschend ein mächtiges Gletscherwasser aus einer engen, bewaldeten Felskluft hervor. Durch diese Kluft mündet das Zweigthal von Kr on dal aus, das sich gegen Nordwesten hineinbiegt und in dessen Schosse die drei Gletscher von Berg set versteckt liegen. Es sind diess Ausläufer des Jostedalsbräen, der nun hinter den nähern Bergmassen einige Schneegipfel auftauchen lässt.

Auf fester Holzbrücke überschritten wir jenes Gletscherwasser, dann ging es in ziemlich gleichmässig fortlaufender Höhe über der versumpften Thalfläche durch lichten Tannwald weiter thaleinwärts und zwar auf einem Wege, der streckenweit aus dem natürlichen, in flachliegenden Bändern bloss zu Tage tretenden Granitboden bestand.

Nach einer zweiten Stunde erreichten wir die Stelle, wo das Thalbecken zur Linken sich vor den Blicken öffnet, in welches der Nigaardgletscher von dem Jostedalsbräen in seiner ganzen Pracht sich herunterzieht. Der Anblick dieses Bildes ist wirklich überraschend schön und es durchdrang mich ein wohliges Gefühl, endlich einmal einen norwegischen Gletscher, in der vollen Bedeutung des Wortes, in unmittelbarer Nähe vor mir zu sehn und norwegische Gletscherluft zu athmen.

Der Gletscher wird in seiner Höhe von dem horizontal abgeschnittenen, glänzend weissen Firnwall des Jostedalsbräen gekrönt. Er krümmt sich zwischen felsigen Wänden, deren Ein- und Ausbiegungen er verfolgt, in hübschen Windungen über die Thalstufe herunter und füllt sodann mit seiner Eismasse die ganze Breite des Thalbeckens aus, bis er an seinem Stirnende fächerförmig in dasselbe verläuft. Sein Rücken ist flach gewölbt und stellt gleichsam eine Strasse von schimmerndem Krystalle dar, auf welcher vielleicht das Hochplateau zu erklimmen wäre. An den beidseitigen Böschungen des breiten Gletscherrückens, sowie an seinem Stirn-Ende erschien der Gletscher stark zerklüftet; im Uebrigen zeichnete er sich durch seine Reinheit und milchweisse Farbe aus. Er soll eine Ausdehnung von einer Meile haben, eine Angabe, die natürlich steten Schwankungen unterworfen ist. Das Thälchen, in das er sich herabsenkt, hat einen flachen, reich mit Geschiebe überdeckten Grund, durch den der dem Gletscher entströmende Bach sich träge hinauswindet. Das Thalbecken wird zu beiden Seiten von begrasten Hängen begrenzt, welche den Fuss der steil aufstrebenden, mächtigen Bergwände bekleiden, von denen dasselbe umschlossen wird. Steht man doch hier unmittelbar vor den schneebehangenen, fast lothrechten Felsabstürzen jenes hohen Gebirgsrückens, den wir auf dem Wege nach Jostedal als erste imposante Erscheinung von hochalpinem Charakter begrüsst hatten! Nahe bei seiner Ausmündung in das Hauptthal verliert der Gletscherbach seinen trägen Lauf, indem er sich mit einigem Ungestüm in das zwischen Felsen eingezwängte, schmale Bett zusammendrängt, welches der Reisende zu überschreiten hat, wenn er noch bis zu den jenseits des Baches liegenden Hütten der Alp Nigaard vorrücken will. Das ganze Gletscherbild mit seiner grossartigen Einfassung ist äusserst malerisch und zeigt eine entfernte Aehnlichkeit mit jenem, freilich imposantem, welches der Rhonegletscher vom Thal der Ehone aus gewährt.* ) Von der Alpe Nigaard hinweg zieht sich das Hauptthal von Jostedalen noch mehrere Meilen weit aufwärts gegen die Gletscher von Lodals und Stegeholt und aus seinen hintersten Theilen führen Gebirgspässe hinüber nach dem Nordfjord und nach Gudbrandsdalen. Nördlich von Nigaard, etwa 1'/a Meile von der Kirche-entfernt, liegt Faaberg, der höchstgelegene Gaard ( vereinzeltes Gehöfte ) im ganzen Thal.

Auf unserm Rückwege nach Jostedal erlabten wir uns in einer Hütte der Bergset-Alpe an süsser und saurer Milch, welche uns von der Eignerin mit aller Bereitwilligkeit gereicht wurde. Die Wanderung zurück nach dem Pfarrhause war reizend. Nach dem tiefen Schweigen der Natur im einsamen Thälchen des Nigaardgletschers machte sich wieder das laute Tosen des Stromes geltend und rauschten die Wasserfälle jetzt noch mächtiger als beim Hinansteigen.

An unserm Ziele angelangt, setzten wir uns zu Tische und genossen gemeinsam ein einfaches, aber sorgfältig bereitetes Mittagsmahl, das aus Kalbsbraten, Kartoffeln, Butter und dem in Norwegen allgemein beliebten Beerenmues mit kalter Milch bestand. Dazu lieferte der Keller ein schmackhaftes Bier und das kleine Gärtchen vor dem Hause, wahrscheinlich das einzige in weiter Runde, den grünen Salat. Bei lebVergi, den beigegebenen Holzschnitt.

hafter Unterhaltung flog die Zeit nur zu rasch vorüber und um 3 Uhr mussten wir aufbrechen, um gleichen Tags noch Marifjseren zu erreichen.

Bevor ich weiter berichte, mögen hier noch einige Notizen über Jostedal Platz finden. Die Pfarrgemeinde Jostedal umfasst das ganze Thal, das eine Länge von ungefähr 6 Meilen hat. Kirche und Pfarrhaus liegen, von einigen Wohnhäusern, Scheunen und Viehställen umgeben, so ziemlich in der Mitte des Thals. Die kleine Ortschaft trägt den Namen P r e s c a n n. Die Kultur des Bodens ist gering. Frucht scheint keine mehr zu gedeihen. Das Klima ist rauh, der Winter lang. Trafen wir doch Mitte Juli im Thale selbst, wenige hundert Schritte vom Pfarrhause entfernt, noch Schneeüberreste an, und dennoch liegt die Kirche von Jostedal nur 460 Fuss über Meer! Die ganze Gemeinde zählt nach den vorhandenen Angaben circa 900 Einwohner.

Es war wieder ein hübscher Gang und Ritt, der uns thalabwärts brachte. Um die Reise zu fördern, requirirten wir nämlich in Myklemyr Pferde, von denen freilich das eine, eine wackere Stute mit ihrem muntern Füllen, von entlegener Weide hergeholt werden musste. Mit hohem Genuss durchzogen wir das interessante, an wilden und malerischen Scenerien reiche Gebirgsthal noch einmal in umgekehrter Richtung. Wir traten neuen Ueberraschungen entgegen; die bekannten Bilder stellten sich in einer andern Perspektive dar und doch fühlten wir uns in der Gegend, die uns am Tage vorher noch so fremdartig anmuthete, gewissermassen heimisch.

Schweigend und aufmerksam die wechselnden Scenerien und die im Glanz der Sonne sich spiegelnde Natur hetrachtend, rückten wir vorwärts. Der am Vormittage noch etwas trühe Himmel hatte sich in das reinste Blau umgewandelt. Die Beleuchtung der Felsen und der schneegefleckten grünen Höhen war wunderschön. In den Wasserfällen spielten die Regenbogen. Ist doch das Thal reich an solchen! Hier stürzen die Bäche, die vom Schmelzwasser der Hochfirne genährt werden, in einer aufeinanderfolgenden Reihe von Kaskaden, dort in einem, aber um so bedeutenderen Fall oft von einer Höhe von tausend Fuss an den beidseitigen Thalwänden herunter. Ja, wir sahen eine Stelle, wo drei Sturzbäche neben einander ihre Wasserfülle über die nämliche Felswand dem Thale zuwarfen. Ueberhaupt spielt, namentlich zur Zeit der Schneeschmelze, das Wasser in der Natur des Thales eine grosse Rolle. Der Thalbach übt einen gewaltigen Eindruck aus. Er hat streckenweise die Breite unserer Aare, da wo sie die Niederungen durchfliesst, ja übertrifft sie sogar und füllt an einigen Stellen selbst die erweiterte Thalsohle aus.

Um 9 Uhr Abends erreichten wir Roenneid und eine Stunde später, aber noch bei Tageshelle, bezogen wir unser Quartier in Marifjaeren, zwar etwas ermüdet, aber voller Befriedigung von unserm Ausfluge nach Jostedal.

Der Uebergang über das Fille-Fjeld.* )

An einem herrlichen Tage, den 16. Juli, nahm uns der Dampfer in Marifjaeren auf und wir durchschifften den anmuthigen Lys trefj ord, jenen nördlichen Arm des grossen Sognefjordes, fast in seiner ganzen Ausdehnung, um in Lserdalsören an der südöstlichsten Ausspitzung des Sognefjordes auszusteigen. Vom Gaupnefjord in den Lystrefjord einbiegend, entwickelte sich vor uns gegen Süden und Norden ein hübsches Ufer-panoräma. Nackte Felsgestalten, waldbekränzte, grüne, schroff abfallende Berge mit weit in den Fjord auslaufenden, tannengekrönten Landzungen, schneegefleekte grüne Gipfel umschlossen in hübscher Perspektive den Fjord. Es ist ein freundliches Bild. Die Berge sind nicht so hoch, um zu imponiren, aber eben desshalb erhöhen sie den landschaftlichen Charakter. Wie man weiter nach Süden rückt, breitet sich zur Hechten der aussichtsreiche Molden aus, dessen steil in den Fjord abfallende, zum Theil felsige Wände noch reichlich mit Gebüsch überkleidet sind, während der Kücken begrast ist. Der Molden hat eine Höhe von 3562'und dehnt sich zwischen Marifjseren Solvorn aus. Zur Linken oder am östlichen Ufer wird dieses von einem kahlen, schneelosen, etwa 3000 Fuss hohen Bergzuge eingefasst, dessen Fuss abwechselnd bald den nackten Felsen zeigt, bald mit Gehölzen, Wiesen und Baumgärten geschmückt ist, aus denen Häuser und Kirche von Urnaes hervorgucken. Der Fjord ist hier kaumFjeld ist identisch mit dem Wort Gebirge.

1/8 Meile breit. Ueber dem See und den Bergen war der wolkenlose Himmel ausgebreitet und, im Schimmer der goldnen Sonne prangend, die auch die dunkeln Schatten scharf begrenzt hervortreten liess, spiegelte sich die ganze Uferlandschaft auf der durchsichtigen Fluth in wunderschöner Klarheit ab, so dass die stillen Berge yon oben ihre Ebenbilder unten zu begrüssen schienen. Das schöne, Gemälde war wie von einem milden Zauber übergössen und prägte sich für immer in unser Gemüth ein. Unterhalb des in reizender Bucht gelegenen Soi vorn trat am rechten Ufer ein neuer, grün be-wachsner Höhenzug auf, dessen Rücken noch Schnee trug, und als wir uns der Stelle am östlichen Ufer näherten, wo der Aardalsfjord sich zwischen felsigen Bergen gegen Aar dal hineinbiegt, entfaltete sich am südlichen Horizonte *vor unsern Blicken im warmen Kolorit der Abendbeleuchtung ein imposantes Gebirgspanorama. Es war die hochaufgerichtete, mächtige Gruppe, die sich am südlichen Ufer des Sognefjordes in sehr steilen, waldbewachsenen und von Lawinenzügen durchfurchten Bergwänden erhebt, sodann terrassenförmig über grüne Alpentriften bis zum ewigen Schnee ansteigt und von wallartig aufgebauten Felsgipfeln, die im glänzend weissen Schneegewande prangten, gekrönt ist. Diese Gruppe bildet das Massiv, das zwischen dem Sognefjord und einem südlichen Arm desselben, dem Aurlandsfjord, aufgestellt ist und in dem 6600 Fuss hohen Gipfel des Blaafjeldes culminirt.

Nach einer sehr genussreichen Fahrt bog der Dampfer in die kleine, von finstern Bergwänden umschlossne Bucht des Laerdalfjordes ein und setzte seine Passagiere bei Laerdalsören aus.

L a er d als ör en ist die Hauptstation für diejenigen Reisenden, welche von Sogne über das Fillefjeld oder durch Hallingdalen nach Christiania sich begeben wollen. Ersteres war auch unser Ziel, und am folgenden Morgen reisten wir, jeder in sein Kariol eingepresst, mit einem Skydsjungen hintenauf, von Lserdalsören ab.

Die Fahrstrasse führt durch das Laerdal, das sich zuerst in südöstlicher, dann in nordöstlicher Richtung gegen das höhere Gebirge hineinzieht. Anfangs läuft die Thalsohle, mit Wiesen bedeckt und von der Laer-dalselv durchflössen, zwischen waldbekleideten Höhenzügen fast eben hinein. Nur in der Ferne sind einige Schneegipfel bemerkbar, die aber dem Auge verschwinden, so wie man tiefer in das Thal eindringt. Hat man die Kirche von Laerdal und die Häuser von B la af la ten passirt, so verengt sich das Thal und lässt keinen Ausweg wahrnehmen. Durch eine schmale, tief eingeschnittene Felskluft wälzt sich die Elv wildbrausend hervor und zur Seite derselben schlängelt sich die im Jahr 1872 neu erbaute Strasse nach der Anhöhe von Sei tun a as empor, welche den Thalriegel bildet, der zu bezwingen ist. Längs der Bergwand, welche steil gegen den Fluss abgerissen ist, geht es wieder abwärts und man erreicht das abgeschlossene grüne Thalbecken von Husum. Die Gegend wird nun immer öder und einsamer. Die Thalsohle hat nirgends grosse Breite und dehnt sich zwischen grünen Bergen aus, die keine bedeutende Höhe haben. Die Wohnhäuser liegen zerstreut umher und bestehen mitunter aus ärmlichen Hütten, in Stein aufgemauert und mit Erde bedeckt. Man bemerkt auch Dächer, die nach Oberländer Art mit grossen Steinen beschwert sind. In diesem einsamen Gelände liegt, hart an der Strasse, 3 Meilen von Lserdalsören entfernt, die alte, durchweg von Holz gebaute Kirche von Bor gun d. Sie soll aus dem XII. Jahrhundert stammen, ist noch vollständig erhalten, gleicht aber mit ihren wunderlich aus Holz geschnitzten Drachenköpfen an den Dachwinkeln, ihren eigenthümlichen Vorbauten und ihren Thürmchen mehr einer indischen Pagode als einer christlichen Kirche, wenn nicht die vielen, auf den Thürmchen und Dach-giebeln angebrachten hölzernen Kreuze sie als eine solche bezeichneten. Diese Kirche wird nicht mehr gebraucht; es hat vielmehr die Gemeinde dicht daneben eine neue, in etwas modernerem Styl gehaltene, erstellen lassen.

Das Thal behält noch eine Strecke weit den nämlichen Charakter, doch allmählig fühlt man sich tiefer ins Gebirge versetzt und der Anstieg wird merkbarer. Etwas innerhalb der Station H a e g, bei der Brücke von B Ör lau g öffnet sich gegen Süden der Gebirgseinschnitt, durch welchen die Strasse über das Hem-sedalfjeld nach Hallingdal führt. Der Eeisende, der seinen Weg über das Fille-Fjeld nehmen will, lässt dieselbe zu seiner Eechten und wendet sich links nach Osten. Auch wir schlugen diese Richtung ein.

Die Gegend nimmt jetzt an Wildheit und Oede rasch zu. Der Thalgrund wird schmäler und erhält bedeutende Steigung. Zur Seite rauscht der junge Strom ungestüm herunter. Die Bergwände sind felsig.

Es öffnet sich ein kleines Becken und die Thaleinfassung zeigt sich schneereicher. Aber während das Thalende sich wieder verengt und auf der linken Seite des Weges in nördlicher Richtung in unbewohnte Gründe sich verliert, um unter dem Namen Sm e d s-d al von den beidseitigen Thallehnen die Bäche aufzunehmen, die von den schneebedeckten Höhen als Schmelzwasser herunterfliessen, zieht sich die Strasse an der noch bewaldeten östlichen Thallehne aufwärts und führt zu den hochroth bemalten Gebäuden der Station M a r i s tue n, welche schon in einer Höhe von 2530 Fuss über Meer liegt. Dann geht es eine lange Strecke weit gegen den Hintergrund des Smedsdals hinein. Dieser ist so enge, dass die Hand fast die Schneestreifen berühren zu können vermeint, die an der jenseitigen, rasenbewachsnen Bergwand hängen bleiben und selbst noch der Julisonne trotzen. Nun aber beginnt die Steigung wieder und es ist ihr ernst. Nach längerm, doch massigem Anstieg betritt man den westlichen Rand einer hochgelegenen Thalfläche und hat damit die Sohle des Einschnitts gewonnen, der den ungefähr eine halbe Meile breiten Gebirgsrücken in der Richtung von Südwesten nach Nordosten quer durchschneidet. Dieser Einschnitt vermittelt den Uebergang über das Fillefjeld und gleichzeitig, wie die aufgestellte Grenzsäule den Reisenden belehrt, denjenigen aus dem westenfjeldischen Norwegen in das ostenfjeldische oder aus Bergens Stift in Hamars Stift. Das kleine Hochthal, das sich mit geringer Niveau-bewegung bis an den Rand des östlichen Gebirgsabfalls erstreckt, ist öde, rauh und wild, hat aber nichts weniger als einen grossartigen Charakter. Anfangs dehnen sich rechts an der Strasse noch Alpweiden aus, die mit einigem Nadelholz bewachsen sind, aus dessen schattigem Dickicht das weidende Vieh neugierig den vorüberfahrenden Reisenden anglotzt. Die begrasten Hänge bilden den Abfall einer Hochterrasse, hinter deren äusserm Rand die weiten Schneefelder und dahinter liegenden Gipfel dem Auge verborgen bleiben. Zur Linken streckt sich ein kleiner Alpensee aus, der auf der Nordseite von begrasten Uferhöhen umgeben ist. Bald aber verschwindet jeglicher Baumwuchs. Mageres Gras, Moorgründe und niederes Gesträuche bedecken den Boden. Die Gegend ist einsam. Keine menschliche Wohnung ist sichtbar. Endlich geht es fast unvermerkt über die Wasserscheide, welche das Flussgebiet der Lserdalselv von demjenigen der Bägna trennt, und ist man auf dieser angekommen, so zeigen sich in geringer Entfernung und bei sehr unbedeutendem Niveau-Unterschied der See und die Stationsgebäude von Nystuen, deren Höhe über dem Meer auf 3150'angegeben wird.

Die Station Nystuen ruht am Fusse eines Bergrückens, der das schmale Hochthal gegen Norden einwandet und in dem felsigen Gipfel des Stugunös kulminirt. Dieser krönt die steilen, begrasten Hänge, die unmittelbar hinter den Stationsgebäuden emporsteigen. Er hat eine Höhe von 4700'und zu seiner Besteigung ist daher noch eine vertikale Höhe von 1550'zu bewältigen. Die begrasten Hänge der südlichen Thallehne, die sich einige hundert Fuss hoch nach dem Rande jener obenerwähnten schneeigen Hoch- terrasse hinaufziehen, sehen hier schon viel schneereicher aus, ja die Schneestreifen reichen selbst noch im höchsten Sommer bis fast an den See herunter, in welchem sich der Fuss jener Hänge badet.

Nach einer Fahrt von 6'/2 Meilen nahmen wir in Nystuen Quartier. Am nächsten Morgen gedachte ich den Stugunös zu besteigen, dessen Gipfel unser leichtfüssige Reisegefährte H. B. eilends noch am Abend unserer Ankunft erklomm und von dessen lohnender Aussicht und der Pracht des durch das Glühen der Schneeberge verherrlichten Sonnenuntergangs ganz begeistert er zu uns zurückkehrte.

Früh um 4 Uhr Morgens schritt ich, die Zeichnungs mappe und den leichten Schirmstock in den Händen, dem Stugunös zu. Auf Schussweite westlich von der Station von der Strasse rechts abbiegend stieg ich durch Gesträuche und durch nasses Gras pfadlos die steile Bergwand hinan. Ich kam zu einem ansehnlichen Schneefelde und dieses überschreitend und das oberste Felsgehänge mit Benutzung der schmalen Grasbänder erkletternd, erreichte ich in einer Stunde die Kammhöhe. Diese bildet einen ziemlich breiten, gegen Norden sanft sich abdachenden, begrasten, doch stellenweise mit Schnee oder mit Trümmergestein bedeckten Rücken, der sich in östlicher Richtung stufenweise nach dem höchsten Gipfel emporzieht. Derselbe war leicht und angenehm zu begehen und nach einer weiteren halben Stunde stand ich oben. Der Gipfel besteht aus mehreren fast gleich hohen, durch kleine Vertiefungen von einander getrennten und mit Steinmännchen gekrönten Erhöhungen.

15 Bei meiner Ankunft sah ich den Horizont durch Nebel verfinstert. Ja, die sich häufenden Nebelmassen umfingen mich zuletzt so dicht, dass mir alle Hoffnung benommen wurde, auch nur die kleinste Skizze der Aussicht nach Hause bringen zu können. Auf dem feuchten Rasen gelagert, der, ausser einigen Stellen, wo der nackte Gneiss zu Tage tritt oder Trümmer umherliegen, den Gipfel schmückt, schaute ich, eine schlechte Cigarre von Lserdalsören rauchend, in etwas banger Erwartung dem Spiele des Nebels zu. Die Temperatur war zum Glück nicht kalt. Nach ungefähr einer Stunde Harrens vermochte die Kraft der höher steigenden Sonne das Nebelgespenst zu verscheuchen und in unbegreiflich kurzer Zeit putzte sich die Luft so rein, dass fast wie durch Zauber unversehens das Panorama vollständig klar vor mir aufgedeckt lag.

Die Rundsicht vom Stugunös* ) ist nicht gerade von imposantem Eindruck. Von allen den sichtbaren Gebirgsketten sind nur die oberen Theile zu sehen. Der Blick dringt nicht hinab bis in die Tiefe der Thäler und desshalb geht auch der Massstab zur Beurtheilung der wirklichen Gebirgserhebung verloren. Sie ist aber desswegen von Interesse und Belehrung, weil in dem ausgedehnten Rundbilde die beiden Haupttypen der norwegischen Gebirgsformen sehr charakteristisch repräsentirt sind. Sie scheiden dasselbe in zwei verschieden gestaltete und doch harmonisch mit einander verbundene Hälften, von denen jede ein besonderes Studium verdient.

* ) Siehe das bei den artistischen Beilagen befindliche Panorama.

Im ganzen nördlichen Gesichtskreise werden nämlich die näheren öden, doch verhältnissmässig noch zahmen, dem nördlichen Hochplateau des Fi 11 e -fj el des angehörenden Umgebungen, deren kleine Hochflächen und niedere langgestreckte Höhenzüge abwechselnd mit Schnee oder Rasen bekleidet sind, von einem entfernteren Gebirgskranze überragt, dessen Gipfel in meistens scharf ausgeprägten, schneidigen Formen, bald den nackten Fels zeigend, bald vom Gewände des ewigen Schnee's umkleidet, am Horizonte emporsteigen. Dieser Gebirgskranz umfasst eine Strecke von etwa 5 Meilen, während die gerade Entfernung seiner Gipfel nur 2 bis 3 Meilen beträgt. Er zerfällt in verschiedene Gruppen, welche von Westen nach Osten genommen mit einzelnen kühnen Spitzen der Horungtinderne beginnen, jenes Massivs, dessen westliche Abdachung noch den Lystrefjord beherrscht. An diese Gruppe schliessen sich diejenigen der K ol de -dais- und Melkedalstin derne an, welche mit ihren blanken Zinnen die gezackten Riesenmauern bilden, die hinter den nördlichen Gestaden der Seen von Tyen und Bygdin aufgerichtet sind. Diese Seen sind jedoch nicht sichtbar, sondern werden durch die nahen Randhöhen des Fillefjeldes verdeckt. Zwischen den Koldedals- und Melkedalstindernen ragen noch wilde Gestalten hervor, welche wohl der entfernteren Gruppe der Skagastöldstinder angehören dürften. Die letzte jener Gruppen, die schon den nordöstlichen Horizont einnimmt, halte ich für diejenige der S va rt-dalspiggene, die den Raum zwischen dem Bygdin-und dem Gjendinsee ausfüllen. Es mag hier noch be- merkt werden, dass die Wasser dieser beiden letztgenannten Seen nach dem Gudbrandsdale fliessen, während der Tyensee seinen Ausfluss nach Sogn hat. Betrachtet man nun diesen gewaltigen, scheinbar zusammenhängenden Gebirgskranz etwas näher, so ist es allerdings mehr die Zahl und die mannigfaltige Gestaltung der aneinander gedrängten Gipfel, sowie die mächtige Ausdehnung der Gebirgserhebung, als die Grossartigkeit und hervorragende Schönheit einzelner Gebilde, was der ganzen Erscheinung etwas Imposantes und die Bewunderung Fesselndes verleiht. Man steht hier der höchsten Gebirgserhebung Norwegens, nämlich den Jotunfjeldene oder Riesengebirgen gegenüber, in deren Gebiet der Alpenclubist noch manches mit ewigem Schnee und Eis bedeckte jungfräuliche Gebirgshaupt sich als Ziel seines Thaten-durstes auswählen könnte. Die Gipfel, die man vor Augen hat, erreichen durchschnittlich eine Höhe von 7-8000 Fuss ü. M. Leider scheint weder der G a 1 d -höppigen, dessen 8161 Fuss hoher Gipfel der höchste in Norwegen ist, noch sein Rivale, der 8140 Fuss hohe Gl i t t e r t i n d, vom Stugunös aus sichtbar zu sein. Sie liegen beide noch nördlich hinter den Melkedalstinderne; doch möchte ich die Möglichkeit ihrer Sichtbarkeit nicht gerade ausschliessen. Leider stand mir keine Spezialkarte zu Gebote, nach der ich mich mit einiger Sicherheit hätte orientiren können.

Rechts von der Gruppe der Svartdalspiggene folgen im Osten die kahlen, aber noch schneegefleckten Bergzüge des Skyri- und Slettefjeldes, die nur noch eine Höhe von 4-5000 Fuss erreichen. Durch den Thaleinschnitt von Valders von diesen getrennt, beginnt mit dem steil gegen dieses Thal abfallenden Gipfel des 5445 Fuss hohen Grindefjeldes eine lange Reihe gleichförmiger, langgedehnter, schneeiger Hochrücken, welche dem weiten Plateau des Fillefjeldes entsteigen und den ganzen südlichen und westlichen Horizont umgürten. Unter den Gipfelhöhen zeichnet sich der Sul et ind aus. Er ist in gerader Linie keine Meile von unserem Standpunkte entfernt und erreicht eine Höhe von 5640 Fuss. In seinem Profil stellt er eine oben schief abgeschnittene Pyramide dar und sein gegen Norden gekehrter, breiter, schwarzer Felsabsturz bricht malerisch aus den weissen Flanken und dem blendenden Schnee hervor, der in weiten Feldern seinen Fuss umhüllt.

Wir haben in dem vor uns entfalteten Panorama so recht ein Bild der nordischen Gebirgsnatur, in welcher der düstere Ernst vorherrscht. Zwar befindet man sich auf dem eingenommenen Standpunkte wie auf einer kleinen Oase, wo, allerdings spärlich genug, das Grün der Vegetation das Auge wohlthuend erfreut, wo aber doch der flüchtig dahineilende Sommer nach allen Seiten hin dem starren Winter noch die Hand reicht. Diese Oase umfasst den rasengeschmückten Gipfel des Stugunös, die nächstliegenden sonnigen Triften des nördlichen Fillefjeldes, in deren Schooss die kleinen Alpenteiche glitzern und das Hochthal von Nystuen, das mit seinen stillen Seen und dem grünen, schneegefleckten Rasenteppich, der noch die beidseitigen Thalhänge bekleidet, in seiner ganzen Ausdehnung zu den Füssen des Schauenden liegt und in welches die Felsen des Stugunös lothrecht abstürzen. Darüber hinaus aber erblickt man nichts als Schnee und kahle Felsen. Einsam, öde, wild und rauh erscheint die Natur im weiten Umkreise. Kein Baum, kein Feld, kein Dorf ist sichtbar. Das vor den Blicken ausgespannte Stück Erde liegt über der Grenze des Baumwuchses, wenn man einiges Gesträuch und einige verkrüppelte Fichten nicht in Anschlag bringen will. Die Station Nystuen ist die einzige sichtbare menschliche Wohnung. Eine Todtenstille herrscht im ganzen Rund. Und doch besitzt selbst diese trostlose Wildniss noch ihre erhabenen Schönheiten und ihren eigenthümlichen Zauber. Wenn jene weissen, einsamen Gipfelhöhen des Fille-Fjeldes von der Sonne beleuchtet den strahlenden Glanz zurückwerfen, wenn jene schneebedeckten Hochebenen in ihrer blendenden Pracht krystallnen Teppichen gleichen, auf denen die greisen Bergeshäupter wie schlafende Sphinxe ruhen, wenn die kleinen Bergseen, von Schneehöhen oder grünen Alpweiden eingerahmt, das Spiegelbild der Umgebung malerisch zurückwerfen, wenn an jenem mächtigen Bauwerke der Riesengebirge die Schnee- und Eisflächen wie polirte Schilder funkeln und der Strahl der Sonne die nackten Felshörner und die weissen Spitzen vergoldet und alle die schimmernden Gipfel in den blauen Himmel hinaufragen, dann hat auch hier die todte Natur Leben und Farbe gewonnen; der Lichtglanz, der über die starren Massen ausgegossen ist, mildert den düsteren Ernst, der sie sonst umlagert hält; das Auge wird gefesselt durch die Schönheit des Bildes und der Geist bewundert die Grösse und Harmonie in den Werken der Schöpfung, die er, wie von einem göttlichen Hauche durchweht, vor sich ausgebreitet sieht!

Während ich mit Eifer an der Arbeit war, das interessante Panorama zu skizziren, kam auch Freund Kernen zu mir herauf. Wir betrachteten mit grosser Aufmerksamkeit die fremde Welt von Bergen, die uns umgab und uns anheimelte und welche doch mit keiner schweizerischen Alpenaussicht zu vergleichen war. Aber die Zeit drängte zum baldigen Rückzuge. In weniger als drei Stunden hatte ich meine Skizze vollendet. Wir sagten dem Stugunös für immer Lebewohl, eilten mit raschen Schritten mit Umgehung des steileren Felsgehänges nach Nystuen hinunter und sassen schon um 11 Uhr auf einem leichten, mit zwei vortrefflichen Pferden bespannten Reisewagen, der uns nach Valders bringen sollte.

Nachdem der Weg sich noch eine kurze Strecke fast eben dem grauen, reizlosen See von Nystuen entlang hingezogen hat, so beginnt an seinem östlichen Ende der Abfall des Fillefjeldes gegen das Thal von Valders. Er ist bedeutender als derjenige auf der Westseite, der mehr allmälig geschieht. In fast erschreckend steilem Gefälle, das an einigen Stellen seine 25 °/o haben mag, windet sich die Strasse an der jähen Bergstufe abwärts.

Bekanntlich kennt man in Norwegen die Vorrichtung zum Spannen der Räder nicht oder sie ist wenigstens noch nicht eingeführt. Wenn daher eine Fahrt an solchen abschüssigen Stellen gleichwohl glücklich von statten geht, so ist es nicht der Geschicklichkeit des Führers, sondern dem sichern Tritt, der zähen Kraft und der Gewohnheit der Pferde zu verdanken.

Hat man den Fuss der jähen Bergstufe erreicht, so befindet mau sich im engen Hintergrunde des Valders-thals, wo die B ä g ti a, die dem Nystuensee entfliesst und den Thalfluss bildet, die von der nördlichen Thalwand herunter fliessende Björdöla aufnimmt. Ueber diese Thalwand kann man nach dem Bassin des Tyensees hinaufsteigen, der 3500 Fuss ü. M. liegt.

Aber noch lange geht es, wenn auch mit geringerm Gefälle, abwärts durch das enge, öde Thal hinausr das zwar weniger von nackten Felsen als von begrasten, mit Gesträuche bewachsenen Hängen eingeschlossen wird. Erst von Skogstad hinweg wird das Thal etwas zahmer und fruchtbarer und hat den schluchtartigen Charakter verloren; doch sind die Ufer des ( Lille ) Mjösensees, zu dem man zunächst hinkommt, noch einförmig und wenig belebt. Dieser See heisst auch Vangsmjösen. Er liegt noch 1500 Fuss ü. M. und seine aufeinanderfolgenden 3 Becken haben eine Gesammtlänge von 2 Meilen, bei einer Breite von ungefähr 74 Meile. Die Becken füllen nahezu die ganze Thalsohle aus, die von steilen Bergen eingeschlossen ist, unter denen auf der östlichen Seite der Grindalen bis auf 5500 Fuss, auf der westlichen der Skjoldfjeld über 4000 Fuss sich erhebt.

Zwischen Tune und 0 i 1 o führt der Weg sehr pittoresk dem südlichsten Becken des Vangsmjösen entlang. Hart zur Rechten steigen mächtige Felswände und Trümmerhalden empor. Die neue, schöne Strasse ist grossentheils in Fels gesprengt und stellenweise wähnt man sich auf die Axenstrasse versetzt.

Der dem See in einer Felskluft entströmenden Bägna entlang vorrückend und diese überschreitend gelangt man an den hübschen S1 i d r e f j o r d. Bei ihrem Eintritt in denselben bildet die Bägna einen schönen Fall. Die vielen kleinen, bewaldeten Inselchen und die in den See einschneidenden Ufervorsprünge verleihen ihm einen malerischen Charakter. Er ist von zahmen grünen, mit Häusergruppen geschmückten Bergen umgeben, hat eine Längenausdehnung von einer Meile, ist aber nur V8 Meile breit und liegt 200 Fuss tiefer als der Vangsmjösen.

Wir nahmen in « Brands Hotel » für die Nacht Quartier. Dieses Hotel mit Sommerpension liegt anmuthig auf einem Hügel und bietet nicht nur gute Aufnahme, sondern auch einen schönen Ueberblick über das liebliche Gelände und den freundlichen See. Im Hintergrunde von Valders sieht man selbst noch einige Schneegipfel am Horizonte erscheinen.

Von Slide r s, dessen Kirche unweit dem Gestade des Sees mitten aus üppigen Wiesen und Baumgruppen sich erhebt, führt die Strasse durch Valders weiter, bald dem S li der see und dem darauffolgenden Strandefjord entlang, dann wieder abseits vom Seeufer durch ein fruchtbares Gelände und über ein hübsches, mit Fruchtfeldern, Wiesen, Gehölzen und Dörfern geschmücktes Plateau, das ziemlich steil gegen den Strandefjord abfällt. Am Ende dieses Plateaus kommt die Station Fry den lu n d. Etwas ausserhalb dieser Station scheidet sich der Weg, der durch Valders nach Aadalen führt, von demjenigen, den man einschlägt, wenn man über Randsfjord nach Drammen und Christiania gelangen will. Wir wählten den letztern, der sich links abbiegt, um in langer, sanfter Steigung die Höhe des breiten, waldbedeckten Bergrückens zu gewinnen, der das Thal von Valders von dem Thal der Etnaelv trennt. Die Höhe des Uebergangs heisst Tonsaas und liegt 2700 Fuss ü. M. Bevor man die Waldung betritt, bietet sich vom höchsten Punkt der Strasse aus ein reizender Ueberblick über das Thal von Valders mit den Spiegeln des Slidre- und Strandefjords und den jenseitigen zahmen, flachen, an den Abhängen bewaldeten Uferhöhen, die von Sennhütten überdeckt das meilenweite Hochplateau begrenzen, das sich zwischen Valders und Hallingdal ausdehnt, während fern im Nordwesten noch die letzten Schneeberge sichtbar sind, welche der südlichen Kette des Jotungebirges angehören.

An der östlichen Abdachung des Bergrückens kommt man hinunter in das einsame Etnedal. Waldbedeckte Höhen fassen den mit Wiesen geschmückten und von der Etnaelv durchströmten, schmalen Thalgrund ein.

Unser heutiges Nachtquartier war in S k ö i e n, eine Stunde vor Odnses. Morgens um die sechste Stunde von Brands Hotel abreisend und stationsweise Wagen und Pferde requirirend, gelangten wir doch erst Nachts 11 Uhr beim letzten Dämmerschein wohl-gerüttelt und halb gerädert in Sköien an. Es war eine lange und ermüdende Fahrt gewesen und hätte noch ermüdender sein können, wenn nicht der Reiz neuer Gegenden und der abwechselnde, oft malerische Charakter der Landschaft die Aufmerksamkeit und Neugierde fortwährend in Anspruch genommen hätten.

Am andern Morgen schifften wir uns bei der Dampfschiffstation Odnses am nördlichen Ende des Randsfjord s ein und fuhren auf dem kleinen Dampfer bis zur Station Randsfjord.

Der Rands fjord hat eine Länge von 61/2 Meilen und eine durchschnittliche Breite von ungefähr'/s Meile. Er ist wohl fünfmal so lang als unser Brienzersee, aber nur halb so breit und liegt 420 Fuss ü. M. Dieser lange, schmale See, der sich nur in seiner untern Hälfte etwas mehr ausweitet, ist von grünen Höhen eingefasst, welche am westlichen Ufer noch auf 1500 bis 2000 Fuss sich erheben sollen. Der Eindruck des Sees und seiner Umgebungen ist ein freundlicher. Wiesen, Waldungen, Fruchtfelder und Baumgarten wechseln mit einander ab, stattliche Gehöfte, heitere Ortschaften und Kirchen schmücken die Ufer und beleben die Landschaft etwas mehr, als es bei den früher befahrnen Seen der Fall war. Die roth und weiss angestrichenen, schiefergedeckten Häuser blicken wieder malerisch aus dem Grün der Wiesen und Bäume heraus. Doch ist die Fahrt zu lang, die Scenerie zu gleichförmig, um ihren Reiz bis ans Ende in gleicher Frische zu behalten.

Von der Station Randsfjord nahe am Ausgang des Sees führt die Eisenbahn über Drammen nach Christiania. Sie durchzieht zunächst ein waldiges Gelände und kommt an das Ufer unserer alten Bekannten, der Bägna, welche vom Spirillensee herfliesst, um sich mit dem Abfluss des Rahdsfjordes zu ver- einigen und den Namen Drammenelv anzunehmen. Bei der Station Hönefoss geniesst der Keisende eines hübschen Ueberhlickes über die freundliche Stadt und das sie umgebende mit Häusern besäete, grüne Gelände. Bei Ask erreicht die Bahn das weite grosse Becken des Tyrifjordes und gestattet freie Sicht auf die den Fjord umkränzenden, reich bewaldeten Bergzüge. Aber die Scenerie wechselt bald wieder. Die Bahn zieht sich der pittoresken Schlucht entlang, welche der den Fjord wieder verlassende Strom schäumend und brausend und über Felsriffe stürzend durchtobt. Kühne Ueber-brückungen führen die theilweise durch Felsen gesprengte Bahn bald an das eine, bald an das andere Ufer. Bei Haugsund wenden sich Bahn und Fluss fast im rechten Winkel von Süden nach Osten. Kuhiger strömt die Elv in ihrem breiten Bette dahin. Der erweiterte Thalboden wird belebt. Hübsche Kirchen und Ortschaften fliegen vor dem Auge vorüber; niedere Waldhöhen schliessen das baumreiche Gelände ein, und bald wird das stattliche, gewerbreiche, hauptsächlich durch Holzhandel belebte Dr am m en erreicht, das sich zu beiden Seiten des Flusses ausbreitet.

Von Drammen fährt die Eisenbahn bald durch baumreiche, wohlkultivirte Gegenden, bald durch öde Waldstrecken und selbst bei Felspartien vorüber in 2'/i Stunden nach Christiania, wo wir am 21. Juli wohlbehalten wieder eintrafen.

So hatten wir denn unsere kleine Kundfahrt in zweiundzwanzig Tagen glücklich vollbracht! Keich an Erinnerungen sind wir davon zurückgekehrt. Wir hatten gewagt und es ist gelungen. Wenn auch die Zeit uns kurz zugemessen war und wir Alles nur in der Eile uns ansehen konnten; wenn die Unkunde der Landessprache uns verhinderte, mit dem Volke in nähere Berührung zu treten und mit seinem Charakter, seinen Sitten und Gebräuchen uns vertraut zu machen, so haben wir doch das Aussehen der durchreisten Gegenden und die Wohnstätten ihrer Bewohner kennen gelernt und in vollen Zügen das Schöne, das sich uns darbot, genossen.

Unter dem Gesammteindrucke dieser Erinnerungen sei es denn auch dem Verfasser erlaubt, noch einige Hauptmomente hervorzuheben, nach denen der Charakter des norwegischen Gebirgslandes und seine Beziehungen zu demjenigen unserer heimatlichen Berge zu bemessen wären. Es ist ganz begreiflich, dass der Freund der Natur, der fremde Länder besucht, zu derartigen Betrachtungen gedrängt wird; aber eben so sehr ist es möglich, dass seine Phantasie oder eine gewisse Vorliebe für sein Heimatland ihn dabei irreführen können. Die hienach folgenden Zusammenstellungen machen daher keinen Anspruch auf wissenschaftliche Begründung, sondern sie sind einzig das Produkt subjektiver Gefühle und Reminiscenzen, die dem Verfasser bei dem Anblick der neuen Erscheinungen vorgeschwebt haben. Sie sind aus der flüchtigen Anschauung einiger wenigen, rasch durchreisten Landestheile Norwegens geschöpft und wollen auch nur von diesem Gesichtspunkte aus aufgefasst sein. Aber es ist ein natürlicher Zug des Herzens, das seine Alpenheimat lieb gewonnen hat, auch im fremden Gebirgslande Anklänge an diese Heimat aufzusuchen und zu begrüssen. Und es finden sich solche Anklänge schon in gewissen norwegischen Berg- und Thalbenennungen. Wer denkt nicht unwillkürlich an unsere: Justisthal, Beversthal, Guldenthal, Grüneberg,Melch-thal, Valserthal, Aarthal, Eisboden, Ochsenthal, Steinboden, Isenmannigen, Breitwang, Thun u. s. w., wenn dort, ob auch zum Theil mit ganz anderer Bedeutung, die Namen an sein Ohr klingen: Justedal, Bseverdalen, Koldedal, Grönneberg, Melkedal, Valders, Aardal, Eidsboden, Oxdal, Steinboden, Ismsenningen, Bredvang, Tune u. s. w.

Mannigfaltigeren Stoff zu Vergleichungen finden wir aber in der norwegischen Gebirgsnatur selbst. Es kann nicht in Abrede gestellt werden, dass der Begriff des Grossartigen in reichem Maasse auch für die norwegischen Gebirgslandschaften gilt. Allein, dieser Begriff findet mehr Anwendung auf die allgemeinen Verhältnisse, als auf die einzelnen Erscheinungen. Grossartig ist namentlich die ungeheure Ausdehnung der G e b i r g s - E r h e b u n g, die in ihrer Längenrichtung fast die doppelte ist von derjenigen der Alpen zwischen Nizza und Wien; die Länge der Thäler* welche Strecken von 20 bis 30 Meilen einnehmen; der Umfang der zusammenhängenden Hochfirne oder ewigen Schneefelder, der z.B. im Jostedalsbräen, wenn man die von ihm ausgehenden Gletscher mit in Anschlag bringt, 1500 Quadratkilometer beträgt. Grossartig sind ferner die Wassermassen: die Binnenseen, die den Schooss der Gebirgsthäler ausfüllen und durch ihre ungeheure Zahl und ihre Länge i die beim Mjösensee 9 Meilen erreicht, bemerkenswerth sind; die Fjorde, die sich von der Meeresküste aus vielarmig 16 und 17 Meilen oder 40 Schweizerstunden weit in das Innere des Landes, ja bis mitten in die Schneegebirge hinein erstrecken und bis nach ihren äussersten Punkten von Meerbooten befahren werden und dort noch die Erscheinung von Ebbe und Fluth wahrnehmen lassen; die Ströme und Flüsse, welche die Gebirgsthäler durchziehen und vielleicht an wildem Ungestüm unsern Gletscherströmen nicht gleichkommen, sie aber an Wasserfülle und Länge übertreffen, wenn man erwägt, dass z.B. der Glommen bis zu seiner Ausmündung einen Lauf von vollen 50 Meilen hat.

In allen diesen Beziehungen ist die Natur in Norwegen grösser und gewaltiger als in den Schweizeralpen, ja in den Alpen überhaupt.

Kommt man jedoch auf andere Verhältnisse und tritt man mehr in 's Detail der Naturerscheinungen ein, betrachtet man namentlich das Maass der vertikalen G e b i r g s-Erheb u n g, so hält Norwegen den Vergleich mit der Schweiz nicht mehr aus. Schon die absolute Höhe der dortigen Gebirgsthäler und Passübergänge im Allgemeinen ist eine viel geringere als in unseren Alpen, besonders aber in Bezug auf die Höhe der Berggipfel treten diejenigen Norwegens bedeutend gegen unsere vielen 10-14000 Fuss hohen Alpenspitzen zurück. Bewegt sich doch im Bereiche der höchsten Gebirgserhebung Norwegens die Maximalhöhe der Gipfel durchschnittlich nur zwischen 6000 und 7500 Fuss und uur einzelne wenige unter ihnen vermögen über 8000 Fuss anzusteigen. Der 8161 Fuss hohe Galdhöpiggen und der 8140Fuss hohe Glittertind in den Jotunfjeldene werden als die höchsten Gipfel von ganz Norwegen betrachtet. Aber auch die relative Höhe der Gebirge über der Thalsohle oder dem Thalbecken, in das sich ihr Fuss versenkt, reicht nicht an die Verhältnisse in den Schweizeralpen. In Romsdalen, in den Jotunfjeldene, in Jostedal, an den Zweigen des Sognefjords. am Hardangerfjord, in der Gruppe des Snehätta erheben sich zwar die Berge von ihrer nächsten Basis aus noch zu einer imposanten Höhe. Sie wird jedoch 6000 Fuss kaum irgendwo übersteigen, während die Gipfel der Monte Rosa-Kette über den Boden von Zermatt noch eine Höhe von 8000 Fuss und diejenigen der Jungfraukette über das Thal von Lauterbrunnen noch eine solche von 9—10000 Fuss erreichen. Vergebens sieht man sich daher in der norwegischen Bergwelt nach jenen imposanten Riesengestalten um, wie sie mit ihrem herrlichen Gletscherschmuck und ihren gen Himmel ragenden Zinnen unser Hochgebirge zieren, vergebens nach jenen zerklüfteten Hochfirnen, welche von den höchsten Kämmen sturzdrohend und mächtig, in strahlendem Glänze, über die Felsenstufen des Gebirges heruntersteigen.. Wohl machen die Hochfirne der Jostedais und Folge-fonds Bräen durch ihren immensen Umfang Anspruch auf Respekt, aber es fehlt ihnen doch die viel prägnantere Gestaltung und das eigenthümlich Bezaubernde unserer Hochfirne, so wie die Majestät ihrer Umgebung. Ueber die eigentlichen Gletscher in Norwegen wage ich keine Vergleichung, da ich nur den Nigaardgletscher gesehen habe. Doch halte ich dafür, wenn auch ihre Zahl gross, stehen sie doch im Allgemeinen denjenigen unserer Alpen an Ausdehnung und Mächtigkeit der Masse nach. Was endlich die Form und das Aussehen der Gipfel betrifft, so sind dieselben weit entfernt, sich an unsere, nicht selten so herrlichen Gipfelgestalten reihen zu dürfen. Meistens sind es klotzige oder langgezogene Hochrücken ohne fesselnden Charakter, und da wo sie mehr ausnahmsweise als scharfgeschnittene, kühn aufragende Feisund Schneehörner, Spitzen und Zacken auftreten, sind es doch nicht jene stolzen oder zierlichen Berghäupter, die in malerisch ausgeschnittenen Profilen unsere Bergketten krönen und von denen jedes für sich schon die Bewunderung seiner Schönheit auf sich zieht. Man sucht in jenen nordischen Gebirgen umsonst eine zweite Jungfrau, ein Schreckhorn, eine Blümlisalp, noch -viel weniger findet man ein Matterhorn oder Weisshorn. Ja, selbst Gipfel wie die Titliskuppe oder unsere Altels sind mir wenigstens nicht zu Gesicht gekommen.

Dagegen bringt die niedere Schneegrenze in Norwegen die Täuschung hervor, als befände man sich im Schoosse unserer höchsten Gebirgsthäler oder auf unsern ödesten Alpenpässen, wenn man in Wirklichkeit nur ein paar hundert Fuss über dem Meeresniveau steht. Der unmittelbare Kontakt zwischen dem Schnee, der noch im höchsten Sommer niedere Berghöhen bedeckt, und der mit Vegetation geschmückten Landschaft lässt die Berge gewaltiger erscheinen, als sie sind und verleiht ihnen einen Nimbus von Hoheit, den sie nicht verdienen.

16 Wir haben wilde Felsenthäler besucht, die mich vollkommen an Urbach und Gastern erinnerten. In Romsdalen und Jostedal haben wir die mächtigen Thal-ströme, die Bäche und Wasserfälle bewundert, die an Zahl, Höhe und Wasserfülle diejenigen der Schweiz überbieten. Mit Staunen und hohem Genuss berühren, wir die grossen Fjorde, die malerisch zwischen jäh ansteigenden, unten bewaldeten, oben mit Schnee bedeckten Bergrücken eingebettet sind und in uns Anklänge an unsere Seen von Luzern und Wallenstadt erweckten, wie diese etwa im Frühjahr aussehen. Die-reizenden Fahrten auf jenen schmalen, meilenlangen, von zahmen, waldreichen Uferhöhen eingefassten Binnenseen haben uns in hohem Grade ergötzt. Wir versenkten uns mit lebhaftem Interesse in die Betrachtung der erhabenen Rundsichten, die auf mehr als 3000 und nahe an 5000 Fuss hohen Standpunkten vor uns entrollt waren. Aber bei Allemdem vermissten wir die Pracht und Majestät unserer Schneeberge. Es fehlten jene-wunderschönen, silberfunkelnden Firne und Gletscher, die unsere Gebirgshänge bekleiden, und deren blendendweisse Zacken dem Wanderer so bezaubernd entgegenleuchten; es fehlte das saftige Grün der Alpweiden und Matten, wie dasselbe unsere Berge ziert, die herrliche bunte Alpenflora, die uns oft so hold entgegen lächelt, der stolze Baum wuchs unserer Hochwälder; die Fülle stattlicher Ortschaften und üppiger Obstbaumgärten, die unsere Seen und Thäler schmücken. Ueberhaupt hat das norwegische Gebirgsland neben den einzelnen Erscheinungen, welche an unsere Alpen erinnern, einen von diesen total verschiedenen Charakter- Das Wilde, Starre, Düstere und Oede herrscht vor, da wo es nicht durch den strahlenden Glanz der Firne und Schneegipfel oder durch die Lieblichkeit der Seen und Fjorde gemildert wird. Ein gewisser Ernst schwebt über den Höhen und Thälern und umfängt selber die unteren Thallandschaften. Es gebricht der nordischen Natur, so freundlich und sogar anmuthig sie sich stellenweise zeigen kann, an jener Mannigfaltigkeit von gleichzeitig erhabenen und reizenden Scenerien, wie sie die Schweiz auf so kleinem Gebiete in sich vereinigt. Freuen wir uns daher, werthe Clubgenossen, dass wir Kinder einer so schönen Heimat sind und machen wir uns dieses Vorzuges würdig durch edle Gesinnung, durch eifrige Pflege der Alpenerforschung und durch hingebende Liebe zu unserm Vaterlande!

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