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Piz Piatta

Hinweis: Questo articolo è disponibile in un'unica lingua. In passato, gli annuari non venivano tradotti.

Von Heini Meyer

Von der grossen Liebe zu einem BergLiestal ) Mein lieber Jürg, Oft, wenn die Tage kürzer werden und wir uns in der heimischen Wärme am wohlsten fühlen, kommt uns Bergbegeisterte die Lust an, Rückschau zu halten und uns still zu besinnen auf unser Tun in den steinigen und eisigen Höhen.

Und je grosser die Distanz zum Erlebnis ist, desto klarer und reiner wird das Ergebnis dieser Rückschau, manchmal fast frei von jeglichem äusseren Ballast.

Auch jetzt ist es wieder einmal so weit, dass ich Dir etwas Zusammen-hängendes berichten kann, und ich bin gwundrig wie eine alte Frau, was Du dazu sagen wirst.

Du kennst ja den Piz Piatta im Oberhalbstem, einen meiner Lieblingsberge, und Du weisst, dass ich zu ihm ein ausserordentlich tiefes und unmittelbares Verhältnis habe. Was Du aber nicht kennst, das ist das Keimen und Wachsen, das Auf und Nieder, die Stürme und Höhepunkte dieser wahrhaft grossen Liebe. So höre denn zu und wisse, dass auch ich erst nach Jahren zu diesen Erkenntnissen gekommen bin.

Es war im Sommer 1941, als Peter und ich unter einem wolkenlosen Bergeller Himmel auf der Cima del Largo lagen und stundenlang in die Runde staunten: bald auf die Fornogipfel, bald hinüber in die Bondascagruppe oder tief hinab in den Talboden des Bergells. Aber weit im Nordwesten fesselte unseren Blick immer wieder ein grosser, massiger, allein-'stehender Berg, dessen schneebedeckte Flanke ihn wie eine elegante weisse Weste umhüllte und dessen Gipfel eine kokette schwarze Pyramide bildete. Der Eindruck blieb unauslöschlich haften. Doch was kümmerten uns damals Namen I Ich wusste gerade nur, dass der Berg irgendwo auf der Unken Seite des Oberhalbsteins liegen musste.

Jahrelang kam ich nicht mehr in die Gegend, gelangte aber immer mehr zur Gewissheit, dass ich eines Tages den Piz Piatta — ich hatte unterdessen den Namen meiner stillen Liebe ausfindig gemacht — aufsuchen müsse. Noch einmal, im Sommer 1944, erhaschte ich einen Blick auf den Berg meiner Träume; ich glaube fast, es war dies vom Grauhorn im Rheinwaldgebiet aus: in dunstiger Ferne ein isolierter Gebirgsstock I Aber es konnte kein Zweifel darüber bestehen, es war der Piz Piatta. Der Entschluss zu einem Besuch nahm nun feste Form an, und gleichzeitig bildete sich eine Art erwartungsvollen Respekts vor dem Berg bei mir aus.

Mein Lieber, nach alledem, was ich Dir bis jetzt erzählte, wird Dir vielleicht klar, warum ich dann zwei Jahre später allein dem Piz Piatta meine Antrittsvisite machte. Oder wie ist das bei Dir, wenn Du zum erstenmal mit einer grossen Liebe zusammentriffst? Du wirst auch ohne weiteres begreifen, dass ich vorher keinen Routenführer konsultierte. Nein, bewahre, ich hätte es als indiskret und unritterlich angesehen, sozusagen Informationen über die Dame meines Herzens — ich gestehe Dir, der Piz Piatta war damals für mich eine « Sie » — einzuziehen. Nur gerade eine bescheidene Skikarte des Oberhalbsteins stand mir zur Verfügung.

So wanderte ich eines hellen Sommernachmittags durch das Oberhalbstein nach Mühlen. Hier zweigt von der linken Talseite das Val Faller ab und zieht sich hinauf zur Alp Tga am Fusse des Piz Piatta.

Du machst Dir nun gar keinen Begriff von der Intensität meines Erlebens, als ich damals allein am Spätnachmittag jenes enge Waldtälchen hinaufpilgerte. Aufs äusserste angespannt schaute ich bei jeder Wegbiegung und Lichtung nach meinem Berg aus, ich hatte ja keine Ahnung, was meiner wartete. Wer weiss, vielleicht ist der gute Eindruck auf grosse Distanz eitel Täuschung, und ich würde mein Unternehmen bereuen? Obendrein bedeckte sich nun der Himmel, das Dach über dem an sich schon dunkeln Waldtal wurde düster, und da heraus tauchte plötzlich, wie ein Gespenst aus dem Nebel, der Gipfel des Piz Piatta: diese kleine schwarze Pyramide mit einer Wächte als Krone. Es machte mir wirklich den Eindruck, als ob der Berg nur sein Gesicht zeigte und mich, nur mich, immerzu anschaute. Ich muss Dir gestehen, dass ich in diesem Moment richtiggehend Angst hatte und sogar an Umkehr dachte. Ich blieb stehen, schaute ernsthaft und wichtig nach dem Wetter aus und konnte mich auf diese « heroische » Art wieder etwas beruhigen.

Wie ich dann tapfer weiterwanderte, überwand ich auch bald die ersten Hemmungen, und als sich der Piatta allmählich aus dem Tal heraushob, gerieten wir bald munter ins Gespräch. Die Aufstiegsroute wurde mir in groben Zügen klar, und ich hatte alsbald den Eindruck, dass die grosse Dame meinem Kommen gnädig entgegensehe. Zur Steuer der Wahrheit füge ich Dir hier bei, dass während des restlichen Aufstieges zur Alp meine Beziehung zum Berg etwas an Pathetik verlor, aber dank der grösseren Gegenständlichkeit nur vertrauter wurde.

Gleichwohl verbrachte ich auf der Alp eine ziemlich unruhige Nacht, und kurz vor 4 Uhr hielt es mich nicht mehr in meinem Stadel. Aber siehe, einmal draussen in der frostigen Dämmerung, spürte ich von den gestrigen Ängsten und Zweifeln rein nichts mehr und war restlos überzeugt, dass mein Besuch willkommen war.

Spielend ergab sich nun der einzuschlagende Weg: zuerst hinauf auf die « kleine Piatta » ( eine flache, grasbewachsene Hochterrasse ), weiter über Grashänge und nasse Platten auf das kleine Hochgletscherchen nordöstlich unter dem Gipfel. Von Höhendifferenzen und was der anderen « administrativen » Begleiterscheinungen mehr sind, merkte ich überhaupt keine Spur an diesem Tag, war auch kaum empfänglich für äussere Vorkommnisse; und wohl vor allem deshalb war ich sehr erstaunt, plötzlich mitten in der Flanke unter dem Gipfel zu stehen und nicht allzu ferne direkt über mir die Gipfelwächte zu sehen. Es gab keine andere Möglichkeit mehr, als direkt in der Falllinie weiterzusteigen. Dieses Unternehmen riss mich vollends aus meinen Träumen heraus, und rechtschaffen schwitzend schuf ich mir eine Stufenleiter bis an die Wächte heran. Nun mit beiden Händen ein kühner Griff in die Höhe, der Pickel steckt oben im Schnee, und ich schiebe mich über die Firnkante auf den Gipfel.

Was ich nun in den folgenden Stunden der Gipfelruhe erlebte und empfand, ist mit dürren Worten kaum zu schildern. Es entlud sich eine seit Jahren ersehnte und angehäufte Zwiesprache zwischen dem Berg und mir, die ich um so wohltuender empfand, als sie ohne ein einziges Wort vor sich ging. Dieses Fehlen von Worten liess mich erst recht alle Realitäten vergessen, und nur um den drohenden Wolken eines sich nahenden Gefühls-sturmes zu entgehen, schickte ich mich gegen Mittag allmählich an, wieder ins Tal zu steigen. Damit stand ich denn auch sofort wieder auf festen Füssen und genoss die Befriedigung über die gelungene Tat.

Lieber Jürg, Du siehst, dass ich damals wieder einmal in höchstem Ausmasse das erlebt habe, was wir doch schon so oft miteinander in den Bergen erlebt haben: das Hin- und Hergeworfenwerden zwischen Stimmungen des reinsten Gefühls und der allernacktesten Realitäten. Und oft muss ich mich wundern, dass immer im rechten Moment der eine Zustand vom anderen abgelöst wird.

Tiefbefriedigt,, aber ohne den geringsten Abschiedsschmerz, wanderte ich im schwindenden Nachmittag leichtfüssig talauswärts; denn ich hatte mir ja eine neue Freundschaft erobert, und Freundschaften führen uns doch oft an den Ort ihrer Entstehung zurück. Im übrigen wusste ich ja, dass mir in den nächsten Tagen mein Piz Piatta nicht so schnell aus den Augen kommen konnte, da ich auf der anderen Seite des Tales, im Gebiet der Elagruppe, noch alte Schulden zu begleichen hatte. Ich habe dann auch oft, sei es von meiner Schäferhütte auf der Himmelswiese hoch über Savognin, sei es vom Tinzenhorn oder Piz Mitgel aus, hinübergeguckt oder -gestaunt oder -gefragt zum Piz Piatta, und immer hat er mir Antwort gegeben, und wir haben uns verstanden wie alte Bekannte.

Doch allmählich wurde ich dann des Alleingehens müde; und, nicht wahr, Du erinnerst Dich noch jenes düppig-trüben Nachmittags, da ich polternd zu euch stiess, die ihr in der Jenatschhütte drüben Trübsal blieset und mich noch über allen Bergen wähntet.

Darauf erzählte ich euch von den verflossenen Tagen, aber immer und immer wieder von Neuem und Neues über den Piz Piatta, und ihr mögt euch damals im stillen gefragt haben, was es damit für eine Bewandtnis habe: nun weisst Du es! Und damals, als ich nach tagelangem Alleinsein mit euch wieder nach Herzenslust losschwatzen konnte, kam mir auch schlagartig die Erkenntnis, warum ich nicht zum Alleingänger tauge: es fehlt mir dabei der Umgang mit Menschen, denen ich innerlich und äusserlich nahestehe. Doch darüber ein anderes Mal mehr.

Meine übrigen Begegnungen mit dem Piz Piatta kennst Du ja samt und sonders selbst. Weisst Du noch, wie er uns einmal im Frühjahr Rückzug blasen ìiess, als wir ihm mit den Ski unsere Aufwartung machen wollten? Seine Schneebretter unter der kleinen Piatta redeten damals eine deutliche Sprache; aber wir fügten uns und waren gleichwohl um ein unvergessliches Erlebnis reicher. Oder jene zweite Sommerbegehung, da ich euch über die Ostflanke hinaufführte zu meinem Freund ( siehst Du die Wandlung in meinem Brief ?), da auch ihr bis zu einem gewissen Punkte begeistert wart, nämlich bis wir im Abstieg die steilen Geröll- und Grashänge gegen das Avers betraten? Aber auch damals wurde uns ein beglückender Tag geschenkt.

Für heute schliesse ich meine Geschichte; sie hört aber noch nicht auf, und wenn ich das nächste Mal zum Piz Piatta ziehe, so bist Du herzlich dazu eingeladen. Denn zu einem guten Freund darf man immer mit Gästen kommen..,,.,,.,., ^.,..

Bis dahin bleibe ich Dein Martin.

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