Rosenlauistock-Südwestwand | Club Alpino Svizzero CAS
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Rosenlauistock-Südwestwand

Hinweis: Questo articolo è disponibile in un'unica lingua. In passato, gli annuari non venivano tradotti.

Andreas Flükiger, Zuoz

Engelhörner - welch treffliche Bezeichnung für die kühn in den Himmel ragenden Felszacken im Berner Oberland! Sie lassen jedem Bergsteiger das Herz höher schlagen, wenn er nur schon ihren Namen hört. Auch wir, mein Freund und Seilgefährte Gerhard Heindl und ich, verbringen jedes Wochenende in diesen Bergen.

2i.Mai 1966. Müde strecke ich die Beine von mir und lasse mir die Sonne auf den Pelz brennen. Wir haben soeben die Westgruppe der Engelhörner überstiegen und ruhen uns nun vor der Hütte aus. Da um diese Jahreszeit noch ziemlich viel Schnee liegt, sind wir die einzigen Besucher in dieser idyllisch gelegenen Unterkunft. Am Abend scheinen wir aber doch noch Gesellschaft zu bekommen, denn Stimmen und das Poltern von Bergschuhen vor der Hütte künden weitere Gäste an. Bald löffeln denn auch acht Personen die dampfende, feinschmeckende Suppe.

Worüber man an einem solchen Hüttenabend alles spricht? Natürlich über die Berge. Wir lau- sehen interessiert, denn mit unseren 17 Lenzen sind wir die jüngsten Alpinisten der Tischrunde. Da hören wir unter anderem auch, dass am Rosenlauistock von bekannten Kletterern eine neue Führe eröffnet worden sei, die nun schon seit einiger Zeit auf weitere Begeher warte. Eigentlich ist es nur ein kurzer Wortwechsel, worauf sich das Thema schon wieder anderen Bergen zuwendet. In mir aber sitzt der Gedanke fest, diese Wand zu besteigen, und zwar so bald wie möglich.

Beim Abstieg zur Rosenlaui schiele ich unbemerkt einige Male zu dieser Wand hinüber. Sie hinterlässt in mir einen tiefen Eindruck, aber ich habe noch nicht den Mut, jemandem etwas von meiner Idee zu sagen, denn vorerst muss noch ordentlich trainiert werden.

Sommer 1966. Seit vier Tagen schon sitze ich mit Gerhard und ein paar anderen Kameraden in der Engelhornhütte. Draussen sieht es nicht gerade « rosig » aus. Schwere, grosse Schneeflocken fallen vom Himmel. Im Dezember kann ich ja jeweils kaum warten, bis weisser Hermelin die Felder und Bäume bedeckt; jetzt aber könnten wir gut darauf verzichten.

Verträumt schaue ich durchs Fenster dem Spiel des Windes mit den Schneeflocken zu. Wie klein und hilflos sind wir Menschen doch gegenüber der Natur! Wir können einem Sterbenden ein neues Herz einflanzen, wir können auf den Mond fliegen, aber den Gewalten der Natur sind wir machtlos preisgegeben.

Wieder geht ein Tag unserer Sommerferien zu Ende, und noch keine einzige Tour konnten wir bis jetzt unternehmen. Müde vom Warten auf besseres Wetter, liege ich auf dem Matratzenlager. Meine Kameraden schlafen schon alle - oder doch nicht alle? Denn plötzlich fragt mich Gerhard: « Was meinst, wollen wir morgen die Tschanz-Route am Rosenlauistock versuchen? Die Wand sollte steil genug sein, so dass wir kaum mit Schnee und Eis rechnen müssten. » Im Nu ist meine Müdigkeit verflogen. Eigentlich gar keine schlechte Idee; umkehren können wir ja immer wieder. Auf leisen Sohlen, um un- sere Kameraden nicht zu wecken, schleichen wir in die Stube. Da die Route nur im Hüttenbuch beschrieben ist, notiere ich alle wichtigen Stellen auf einem Blatt Papier. Dieses soll uns morgen in der Wand den Weg weisen, falls wir nicht mehr weiter wissen.

Die Führe wurde in Erinnerung an den bekannten Bergsteiger Hansueli Tschanz, der mit Erich Friedli zusammen als junger Mann in den Bergen abgestürzt ist, « Tschanz-Gedenkroute » getauft.

Dann liegen wir wieder beide auf unserem Nachtlager und versuchen zu schlafen. Wie schön ist es doch, einen guten Freund zu haben, mit dem man sich in den nächsten Stunden in schwierigstem Fels durchs Seil verbunden weiss. Noch lange wälze ich mich, mit meinen Gedanken beschäftigt, von einer Seite auf die andere. Ich bin sehr glücklich.

Am Morgen hat sich das Wetter schon wieder etwas mehr auf den Sommer besonnen. Von Zeit zu Zeit blinzelt sogar die Sonne zwischen schweren, grauen Wolken hervor. Jetzt kann uns nichts mehr zurückhalten. Eiligst stellen wir die notwendige Ausrüstung zusammen: zwei 40-Meter-Seile, 40 Karabinerhaken, Hammer und Felshaken, dazu Trittleiter, Reepschnüre, Helme und noch das persönliche Material, wie es sich für den sechsten Grad geziemt. Schnell verschwinden die Utensilien, eins nach dem andern, in unseren Rucksäcken. Handschuhe haben wir leider in jugendlichem Leichtsinn keine dabei - was wir noch sehr bereuen werden.

Beim Verlassen der Hütte schauen wir in sechs verdutzte Gesichter. Sie wollen unserem Vorhaben keinen Glauben schenken, müssen jetzt aber einsehen, dass wir uns nicht umstimmen lassen.

Vor der Hütte pfeift uns ein eisig kalter Wind um die Ohren. Mühsam stapfen wir durch nassen Schnee dem Einstieg zu. Plötzlich steht sie da, « unsere » Wand. Gespenstisch schleichen einige kleine Nebelschwaden dem Fels entlang. Schnell hasten wir die letzten Meter auf dem schmalen Steiglein hinauf, das wir in einem Mischmasch von Schnee und Erde kaum finden.

Stumm seilen wir uns an. Jeder ist mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Was erwartet uns wohl in den nächsten Stunden? Sollten wir nicht doch lieber noch zuwarten? Denn die kleinen blauen Flecken am Himmel verschwinden wieder hinter einem eintönigen, düsteren Grau der Schlechtwetterwolken. Natürlich steckt in jedem von uns eine gewisse Portion Angst - aber wer würde das seinem Kameraden schon verraten! Bestimmt kann ich nur sagen, dass dies zu jedem Bergsteiger gehört, der vor einer ihm unbekannten schwierigen Wand steht.

Jetzt stecke ich noch den Hammer in die Tasche der Kletterhose, die mit ihren unzähligen « Flicken » bald eher wie ein Puzzlespiel aussieht. Meine ganze Ausrüstung musste ich mir immer selber kaufen, was natürlich bei einem « Stiften-lohn » oft sehr schwierig ist, so dass man sich unwillkürlich aufs Notwendigste beschränkt.

Die erste Seillänge führt noch ziemlich leicht über Schrofen und brüchigen Fels in eine kleine Nische. Bald singt ein Haken sein mir vertrautes Lied. Nun noch die Selbstsicherung einhängen -und bereits kann Gerhard nachsteigen. Elegant klettert er zu meinem Standplatz. Wir sind beide glückselig. Verschwunden die Angstgefühle und die bangen Fragen. Sofort übernimmt Gerhard die Führung, da wir immer « überschlagend » klettern. Vorsichtig quert er etwa 20 Meter nach links in die offene Wand. Nun ist es an ihm, eine Selbstsicherung herzustellen; dann steige ich nach.

« Wenn's nicht schlimmer wird, sind wir ja in einer halben Stunde schon oben », scherze ich. Wir wissen aber beide ganz genau, dass es noch anders kommen wird. Der Wind hat jetzt ein bisschen nachgelassen; dafür beginnt es wieder zu schneien. Mit dem Schnee kommt auch der Gedanke an warme Handschuhe, die unbenutzt daheim in der Schublade liegen...

Ich steige weiter und bringe einen feingriffigen Quergang hinter mich. Um eine Kante guckend, gewinne ich Einblick in eine leicht überhängende glatte Verschneidung. « Aha, jetzt ist es aus mit Blumenpflücken », denke ich für mich.

Rasch noch ein Blick, ob die « Schlosserei » gut sitzt - und los geht 's. Haken um Haken bringt mich höher. Wenn ich zwei bis drei Meter frei geklettert bin, muss ich schnell eine Trittleiter einhängen, um ein bisschen zu verschnaufen. Auch die Finger müssen behandelt werden, sind sie doch ganz und gar nicht auf den Winter eingestellt. Deshalb ruhe ich alle paar Meter in einer Sitzschlinge aus und schlage die Arme wie wild um mich, um die Blutzirkulation anzuregen. Zwischen den Beinen hindurch sehe ich die Seile kreuz und quer durch die verschiedenen Karabinerhaken laufen. Nach 25 Metern habe ich einen spärlichen Standplatz erreicht. Hier lasse ich Gerhard nachkommen. Er hat natürlich vom Sichern allein auch nicht gerade warm bekommen, und ich beneide ihn keineswegs um die bevorstehende Seillänge. Aber schon taucht ein weisser Helm bei der Kante auf. Gerhard muss nun alle Karabinerhaken wieder einsammeln. Nach einer Viertelstunde steht er bei mir. Die Anstrengung hat ihn wieder einigermassen durchwärmt. Wie froh sind wir jetzt um unser allabend-liches Training an « ganz kleinen » Bergen zu Hause.

Im Routenbeschrieb lese ich: « Nun 15 Meter Quergang nach links,VI, zu grauen Platten. » Vorsichtig klettert Gerhard weiter. Der Fels ist hier gefährlich brüchig, weshalb auch keine Haken stecken. Da gibt es kein « Ho-ruck »; der Fels will ganz sachte gestreichelt werden; vor allem sollte man nie einen Tritt oder Griff zu lange belasten, sondern immer gleichmässig weiterklettern.

Ich beobachte jede Bewegung meines Freundes. Hier wäre ein Sturz nicht ratsam. Unter uns nur Luft, und 250 Meter weiter unten sehen wir das Steiglein, auf welchem wir noch vor anderthalb Stunden gestanden sind. Bald kann ich Gerhard nicht mehr sehen; lediglich am langsamen Laufen der Seile durch meine Hände kann ich mir die Schwierigkeiten ausmalen. Über mir höre ich ein Scharren von Schuhen am Fels und ein Rasseln von Felshaken. Ich bin aufs Schlimmste gefasst. Aber schon ertönt von oben das Wort « Stand ». Erleichtert atme ich auf.

Ich bin gespannt, wie es mir in dieser Seillänge, sicher der bisher schwierigsten, ergehen wird. Kaum hörbar vernehme ich: « Kannst nachkommen! » Nun ist die Reihe an mir. Langsam schiebe ich mich über glatten Fels nach links. Ich zähle förmlich die Meter bis zur Kante, wo Gerhard vorhin verschwunden ist. In solchen Momenten vergisst man die ganze Umwelt. Man hat nur die Schlinge oder den Felshaken vor Augen, welche man erreichen muss. Jetzt fehlt mir noch ein Meter bis zur Kante, wo ich eine Reepschnur in einem Haken baumeln sehe. Hoffentlich gibt Gerhard jetzt keinen Seilzug! Ich will es ihm zurufen, aber meine Worte werden vom immer stärker brausenden Wind verschluckt. Zu lange darf ich nicht mehr in der gleichen Lage verharren. Dass ich noch Fingerspitzen habe, verraten mir nur noch die Augen; das Gefühl ist längst aus ihnen gewichen. Für den linken Fuss hätte ich ja eine winzige Kerbe; aber jedesmal, wenn ich sie mit meinem ganzen Gewicht belasten will, beschleicht mich am ganzen Körper ein eigenartiges Gefühl...

« So kommst du nicht weiter », rede ich mir zu. Also muss der Tritt herhalten. Langsam richte ich mich auf. Noch io Zentimeter bis zur Schlinge -noch 5 3 - da habe ich sie erreicht. Im gleichen Moment bricht der Tritt ab, dem ich mich vorhin anvertraut habe. Jetzt aber rasch einen Karabinerhaken mit einer Schlinge einhängen! Endlich kann ich ausruhen.

Es war höchste Zeit, denn meine Finger hätten ihren Dienst bald verweigert. Sechs Meter weiter oben sehe ich nun Gerhard auf einem kleinen Felsvorsprung. Er zwingen mir mit einem Auge zu. Auch ihm hat die Stelle, besonders der Kälte wegen, ordentlich zu schaffen gemacht.

Bald sitzen wir wieder beisammen und rasten ein wenig, tauschen untereinander die Eindrücke dieser letzten Seillänge aus und sind beide stolz, in einer Wand mit solchen Schwierigkeiten, noch dazu bei fast winterlichen Verhältnissen, zu klettern.

Wir zerkauen ein paar Biskuits aus dem Rucksack; aber bald treibt uns die Neugier weiter. Ich übernehme wieder die Führung. Zwei feinen Rissen folgend, erreiche ich einen Haken, prüfe mit dem Hammer seine Festigkeit. Schnell zwei Karabinerhaken, Seil einhängen - und weiter geht 's. Wie schön ist doch das Leben! Nach etwa 30 Metern bin ich in einer bequemen Grotte angelangt, wo auch das Wandbuch befestigt ist. Gerhard erreicht mich kurze Zeit später.

Zu zweit blättern wir im Wandbuch. Es sind noch nicht viele Namen eingetragen. Wir sind erst die fünfte Seilschaft. Mit klammen und aufgeschürften Fingern kritzle ich unsere Namen ein.

Hier sind wir geschützt vor Wind und Schneefall, der immer noch anhält. Wie schön wäre der Ausblick von unserem Rastplatz aus in die Wetterhörner«Weisst du noch, Gerhard, letzten Winter beim Biwak am Wetterhorn und -. » Aber das war einmal; wir müssen weiter. Der Gipfel kann nicht mehr weit sein. Es folgt noch einmal ein steiler Aufschwung, und bald steigen wir über die Westkante auf den höchsten Punkt des Rosenlauistockes. Mit vom Wind tränenden Augen erreichen wir unser Ziel.

Wie oft schon hatten wir das Glück, trotz unseres jungen Alters nach gelungener Tour einander auf dem Gipfel die Hand zu reichen! Heute aber ist ein besonderer Tag, war dies bis jetzt doch unsere schwierigste und extremste Felskletterei.

Jetzt müssen wir uns aber beeilen. Man sieht nämlich durch den sich bildenden Nebel kaum mehr fünf Meter weit. Zum Glück kennen wir den Abstieg gut. Plötzlich vernehmen wir unter uns eine Stimme. Wir rufen aus voller Kehle. Als Antwort hören wir ein noch lauteres Jauchzen, das nur von unserem Freund Walter sein kann. Das stürmische Wetter hat ihn beunruhigt. In einer derartigen Situation lernt man eine treue Kameradschaft schätzen. Wir erzählen ihm brok- 1Blick vom Saykogel ( 3360 m ) auf die Weisskugel ( 373g m ) 2Blick vom Pitztaler Jöchl ( 2gg$ m ) auf das nördliche Mittelbergfernerbecken, die Wildspitze ( 3772 m ) und den Hinteren Brochkogel ( 3633 m ) 3Das südliche Mittelbergfernerbecken; Tiefenbachkogel ( 330g m ), Mutkogel ( 3312 m ) und Weisser Kogel ( 340g m ) kenweise, in wildem Durcheinander, von unserem heutigen Abenteuer. Zusammen mit unserem Kameraden und in dem glückseligen Gefühl, eine schwierige Führe gemeistert zu haben, kehren wir zur schützenden Hütte zurück.

Ötztaler Bergfahrten

Hasso Lutz Gehrmann, Sektion Basel SAC, Eggenfelden ( Deutschland ) Herbst 1970. Der Bergsommer, eine schöne, erfüllte Zeit, ging zu Ende, und als Abschluss waren Bergfahrten im Ötztal vorgesehen.

So fuhr ich eines Tages dieses herbstlich bunte Tal hinauf; Umhausen, Längenfeld, Hüben hatte ich bereits hinter mir gelassen, und nun ging 's in Zwieselstein in scharfer Kurve über die alte Holzbrücke, die schon manchen Bergsteigergenerationen als Übergang gedient haben mag. Kurz danach war meine Fahrt zu Ende, denn mein erstes Ziel war der 3163 Meter hohe Nörderkogel, ein klotziger Felsberg, der sich zwischen der Talgabelung Venter Tal/Gurgler Tal erhebt und den man als Hausberg der Zwieselstei-ner bezeichnen könnte. Mein Weg führte den waldigen Talhang empor. und auf der westlichen Talseite, bei einem malerischen Haus abzweigend, zur Lenzenalm, von dort in zahlreichen Windungen in ein Kar nordöstlich des Gipfels und schliesslich über einen breiten Geröllkamm zum höchsten Punkt, wo ein grosses Kreuz steht und sich eine herrliche Aussicht eröffnet.

Die erste Tagesetappe endigte in Obergurgl, auf 1927 Meter, südöstlich des Nörderkogels gelegen, wo der wachsende Tourismus in den letzten Jahren seine Spuren zu zeichnen begann, vielleicht nicht zuletzt der herrlichen Bergumrahmung wegen.

Am nächsten Morgen nahm ich den Weg zum Gurgler Schartl, das zwischen Stockkogel und Zirmkogel eingebettet liegt, unter die Füsse.Von Obergurgl geht es über die Gurgler Ache und über steile Hänge, aber auf gutem Steig zum Itlsee und von dort in merklich unbequemeren Wegspuren in westlicher Richtung durch ein Blockkar zum Gurgler Schartl ( 2930 m ). Von dort lenkte ich meine Schritte nach Süden über den harmlosen Loobferner, um dem Zirmkogel ( 3281 m ) einen Besuch abzustatten. Es lag guter Firn, und ich bedauerte es, die Firngleiter im Tal gelassen zu haben. Nach gebührender Gipfelrast stieg ich wieder zum Schartl ab und von dort in kurzer, aber anregender Kletterei hinauf zum Felsgipfel des Stockkogels ( 3109 m ). Das war ein ausgefüllter, herrlicher Bergtag!

Da auch am folgenden Morgen die Sonne lachte, wollte ich - wiederum von Obergurgl aus - dem Manigenbachkogel zu Leibe rücken. Vier Stunden sind vorgesehen, und die Rechnung ging auf. Erst querte ich die Gurgler Ache und folgte dem Weg zum Ramolhaus bis zur alten Schäferhütte, die hoch über dem Bergbach thront. Durch steile Geröllhänge, die der Zunge des Manigenbachferners vorgelagert sind, führte mein Weg hinauf an den südlichen Gletscherrand, dem ich, einem Eisbruch ausweichend, folgte. Überraschend schnell erreichte ich danach den gutmütigen Firnkamm, der in wenigen Minuten zum Gipfel ( 3313 m ), hoch über dem Gurgler Tal, leitet.

Unterdessen hatte ich mein Quartier im hochgelegenen Ramolhaus ( 3006 m ), einem Schutzhaus in herrlicher Lage, aufgeschlagen, weil mich als nächstes Ziel die Ramolkogel lockten, ein mächtiger Gletscherdom, den man übers Ramoljoch ( 3186 m ), einen herrlichen Aussichtspunkt, wo gerne eine ausgiebige Rast eingeschaltet wird, angeht. Über einen leichten Grat erreichte ich vorerst den Kleinen Ramolkogel ( 3351 m ). Der Höhenverlust, den ich anschliessend beim Abstieg zu einem überfirnten Schartl in Kauf nehmen musste, war bald verschmerzt, da der darauffolgende Wiederanstieg in gutem 4Linker Fernerkogel ( 3278 m ), Hausberg der Braunschweiger Hütte ( 2759 m ) 5Blick vom Saykogel ( 3360 m ) auf Hauslabkogel ( 3406 m ) 6Blick vom Sennkogel ( 3400 m ) auf Similaun ( 3606 ) mit Niederjochferner Photos Hasso Lutz Gehrmann, D - Eggenfelden Firn zum Mittleren Ramolkogel ( 3518 m ) versöhnlich stimmte und auch der Grosse Ramolkogel ( 355° mwie sein Name sagt, der höchste Gipfel dieser Gruppe - über einen verbindenden Firn- und Felsgrat, der sich von seiner besten Seite zeigte, bald erreicht war.

An diesem Abend mundete mir der Rotwein in der Schutzhütte ganz besonders! Er trug aber nicht allein die Schuld, dass ich am nächsten Tag eine Pause einschaltete; vielmehr herrschte unsichtiges Wetter. Dafür stand ich tags darauf schon zeitig auf dem Ramoljoch. Und diesmal war der Hintere Spiegelkogel ( 3426 m ) dran. Bei frischem Wind gelangte ich auf einen Vorkopf, den ich gerne für den Hauptgipfel gehalten hätte; doch erst ein langer, südwestlich verlaufender und teilweise überwächteter Grat brachte mich auf den Gipfel, wo die Rast von kurzer Dauer war. Wolken kamen auf und umgaukelten mich mit bizarren Gebilden, die der Wind vor sich hertrieb. Das machte den Abschied von der Höhe leicht und beschleunigte den Abstieg zum Joch und zum Schutzhaus, das mich diesmal mit besonderer Gastlichkeit zu empfangen schien.

Bei trübem Wetter stieg ich anderntags nach Obergurgl ab, das nach einem Ruhetag, der mit Instandsetzungsarbeiten an der Ausrüstung und mit Provianteinkauf ausgefüllt war, als Ausgangspunkt für meinen letzten diesjährigen Dreitausender im Gurgler Gebiet, den Hangerer ( 3021 m ), dienen sollte. Ich marschierte auf gutem Steig bis hinter die Gurgler Alm und von dort aus in südöstlicher Richtung über pfadlose, aber gut begehbare, mit Schrofen durchsetzte Grasflanken zur Hochebenscharte, scharf beäugt von vielen munteren Murmeltieren, die die Luft mit ihren scharfen Warnpfiffen erfüllten. Von der Scharte aus waren es nur noch 30 Minuten bis zum Gipfel, und ich habe diese Besteigung nie bereut, brachte sie mir doch die Erkenntnis, dass auch ein weniger hoher und weniger bekannter Dreitausender schönstes Bergerleben schenken kann.

Ein Sprühregen begleitete mich auf dem Abstieg vom Hangerer; das war zwar ein unangenehmer Gefährte, aber er erleichterte mir dafür den Abschied von den Bergen des Gurgler Tales. Die Gipfel steckten in den Wolken, und das Pfeifen der Murmeltiere war verstummt. Diese trüben Stunden des Abstiegs in einer scheinbar unwirtlichen Gegend konnten aber nicht die freudige Erinnerung an die glücklichen Bergtage auslöschen.

Mein nächster Ausgangspunkt war Vent, von Obergurgl aus gesehen die Ortschaft jenseits des Nörderkogels, im übrigen ein altbekanntes Bergsteigerdorf, das « Dorf unter den Wolken », 1894 Meter hoch gelegen. Ja, Vent ist wirklich eine Ortschaft, die jedem Bergsteiger das Herz höher schlagen lässt, wenn davon die Rede ist. Es ist - fast - der Endpunkt des Venter Tales und liegt an der Gabelung von Rofen- und Niedertal, von Zwieselstein aus nur in zweistündigem Wechselverkehr erreichbar. Vent selbst bildet den Ausgangspunkt für Breslauer, Ver-nagt-, Similaun-, Martin-Busch-Hütte und Hochjoch-Hospiz und stellt auf Grund seiner Höhenlage - über 1800 Meter - einen Bergstei-gerstützpunkt für sich dar.

Von Vent aus machte ich mich auf den zweieinhalbstündigen, massig ansteigenden Weg durchs lange Niedertal zur Martin-Busch-Hütte auf 2470 Meter, um anderntags deren Hausberg, die 3457 Meter hohe Kreuzspitze, von meinem Wunschzettel streichen zu können. Zu diesem Zweck verlässt man die Unterkunft in nordwestlicher Richtung auf ausgetretenem Steig, begegnet dabei den Ruinen der Brizzi-hütte ( 2930 m ) und gelangt, die Hänge emporsteigend, an den'Beginn des Südostgrates, der sich mir bei meinem Besuch nach Überwindung einer waagrechten Firnschneide als leicht begehbar darbot. Vom Gipfel aus genoss ich eine herrliche Aussicht auf die umstehenden Ötztaler Hochgipfel, wie Hintere Schwärze, Marzell-spitzen, Similaun, Mutmalspitze, Wildspitze und auf die Nachbargipfel des Kreuzkammes. Verlocken- de Ziele in greifbarer Nähe! Die höchste Erhebung des Kreuzkammes, die Kreuzspitze, lag hinter mir.

Bei Sonnenaufgang des nächsten Tages war ich auf dem Weg zum Saykogel ( 3360 m ), wobei vom Niedertal aus zum Ostgrat dieses Berges kein Steig auszumachen war, obschon er ein beliebtes Ausflugsziel ist. Am griffigen Fels des Südgrates schwang ich mich leichtfüssig empor zum grossen Gipfel-Steinmann. Der Tag lag noch vor mir; der frühe Aufbruch von der Hütte machte sich bezahlt, denn nun konnte ich in aller Gemütlichkeit auch noch den nördlich des Saykogels aufragenden Sennkogel, benannt nach dem « Vater des Alpenvereins », Franz Senn, angehen. Bald war die Einschartung nördlich des firnbedeckten Saykogels erreicht, von wo aus ein langer Blockgrat steil auf den 3400 Meter hohen Gipfel leitet, der zu einer ausgedehnten Rast einlud. Alsdann stieg ich auf gutem Firn und griffigem Fels in die nördlich vorgelagerte Scharte und von dort ins Niedertal ab.

In der Folge entzog mir der bis anhin wohlgesinnte Wettergott zeitweilig seine Gunst, ohne mich aber von dem mit flachen Graten im Kreuzkamm aufragenden Kreuzkogel ( 3340 m ) verscheuchen zu können; auf dem mir bekannten Weg zum Samoar-See ( 2915 m ) konnte mir der feine Nieselregen nicht viel anhaben. Die Felsen zur Kreuzkogel-Scharte ( 3254 m ) waren jedoch nass und unangenehm; von dort aber brachte mich leichte Kletterei auf den Nordgipfel ( 3300 m ), und 30 Minuten später stand ich auf dem Hauptgipfel.

Da mein Urlaubszeitplan überschritten zu werden drohte, begnügte ich mich anderntags noch mit dem Besuch des Marzellkamms ( 3149 m ). Südlich des Saykogels, am Nordrand des Hochjochferners, ging 's hinab zum Hochjoch-Hospiz ( 2423 mder Gegenanstieg zur Hütte wieder bei herrlichem Herbstwetter. Am andern Tag erfolgte dann die Dislokation vom Hospiz zur Vernagthütte ( 2766 m ), und zwar über die drei Guslarspitzen ( 3151 m ). Beim Schutzhaus oben wurde ich mit Schneefall empfangen, der mich auch am folgenden Tag begleitete, als ich auf dem sogenannten « Seuffert-Weg » der Breslauer Hütte ( 2840 m ) zustrebte. Diese eröffnet den kürzesten Zugang zur Wildspitze und war bei meiner Ankunft gut besucht. Männiglich wartete auf Wetterbesserung, und, wie sich bald zeigte, nicht umsonst. Der Donnerstag brachte bäumiges « Wildspitzwetter ». Von der Hütte führt ein « Trampelpfad » in das hinterste Gletscherbecken des Mitterkarferners und weiter über einen schroffen Firnhang auf das Mitterkarjoch ( 3468 m ), dann in eine Firnmulde und über einen jähen Hang in eine flachere Firnzone, aus der man in südlicher Richtung zur Gratkante steigt. Die anschliessende Firnschneide wies gute Stufen auf und leitete geradewegs zum Südgipfel der Wildspitze ( 3770 m ) mit märchenhaft vereistem Gipfelkreuz. Der eisige Wind aber vertrieb mich bald wieder vom höchsten Ötztaler Gipfel. Über die Breslauer Hütte ging es zurück nach Vent und im Auto weiter nach Sölden ( 1377 m ), einem Bergdorf im Ötztal mit neuzeitlichem Gepräge.

Auf Schusters Rappen pilgerte ich alsbald durchs wildromantische Rettenbachtal zum Pitztaler Jöchl ( 2995 m ), um über den anregende Kletterei bietenden Nordgrat den Karles-kogel ( 3107 m ) zu erreichen und anschliessend die Braunschweiger Hütte ( 275g m ) anzupeilen. Dieses ausgezeichnet geführte Haus sollte für die nächsten Tage mein Standquartier für die Besteigung der Berge westlich des Venter Tales sein. Gutes Wetter begünstigte mein Vorhaben. Die Äussere Schwarze Schneide ( 3257 m ) ging ich vom Seiterjöchl an, das von der Schutzhütte in zweieinhalb Stunden erreichbar ist. Von hier aus wandte ich mich dem Südlichen Petzner Ferner zu, um dann über eine Felsrippe zum Nördlichen Petzner Ferner zu gelangen. Von dort führen gutgriffige Schrofen zum Gipfel hoch über dem Rettenbachtal.

Auch der nächste Tag ward nicht vertan; über den gutgespurten Hangenden Ferner strebte ich dem Tiefenbachjoch zu und über einen herrlichen Blockgrat zum Gipfel der Inneren Schwarzen Schneide ( 3369 m ), wo mich eine eindrucksvolle Fernsicht für die frühe Tagwache entschädigte.

Das Tiefenbachjoch vermittelt auch einen Abstecher zum Linken Fernerkogel ( 3278 m ), dessen kleinflächiger Gipfel die obligate Photo nicht zuliess, mir dafür eine grossartige Sicht auf die Wildspitze und den Hinteren Brochkogel ( 3635 m ) mit seiner riesigen Gipfelwächte bot.

Der Abschied von den Ötztaler Bergen rückte näher; er war unaufschiebbar. Als unwiderruflich letzte Bergfahrt stand eine Tour zum Mutkogel ( 3312 m ) auf meinem Plan. Eine gute Spur führte von der Braunschweiger Hütte in das südliche Mittelbergfernerbecken, von da auf das Mutjoch, von wo aus der blockige Nordgrat zum Gipfel leitet.

Es klang etwas Wehmut mit beim Abstieg zur Hütte, die mir eine so gastliche Herberge gewesen war.

Auf der Wanderung durch das Rettenbachtal ballten sich regenschwangere Wolken zusammen, und in Sölden kam dann die Taufe. Schwarz reckten sich die Berge in den düsteren Himmel, und nun wurde mir so recht bewusst, dass dies der Abschied von einem glücklichen Bergsommer war, dass mir aber die Erinnerung an die erbaulichen Ötztaler Bergfahrten noch manche glückliche Stunde schenken würde.

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