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Rückkehr zum Montblanc

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Pierre-Alain Treyvaud, Vevey

Granitpfeiler, Eisrinnen, extrem steile Schneehänge sind die Charakteristika der italienischen Seite des Montblanc.

Durch ihre Schönheit, ihren Zauber, ihre Ursprünglichkeit hat mich die Voie Major von allen Hochgebirgsrouten am meisten fasziniert. Die anspruchsvolle Tour verläuft durch eins der wildesten und gefürchtetsten Gebiete der Alpen: die Brenva. Die grossartige Flanke, in der Eis- und Felspartien sich abwechseln, bildet den Ostabfall des Montblanc ( 4807 m ). Mit dieser steilen Wand verbinden sich für mich die stärksten Gefühle einer dem Alpinismus gewidmeten Jugend.

Das Jahr 1979 war für meinen Freund Pierre und mich ein an alpinistischen Erfolgen besonders reiches Jahr. So wurde für uns - ich war 18 Jahre alt, Pierre 19 - die Begehung dieser Voie Major zur Verwirklichung eines wesentlichen Teils unserer gemeinsamen Träume. Zu jener Zeit machte ich eine Mechanikerlehre, und das geräuschvolle Leben in der Fabrik befriedigte mich durchaus nicht, ich sehnte mich nach Abenteuern, Freiheit, vielleicht auch Romantik. Meine Begeisterung für den Alpinismus kannte darum keine Grenzen. Ich war von den Gebirgsland- Schäften begeistert, aber noch sehr viel stärker von Sinn und Qualität des Lebens dort oben. Die vielfachen Anforderungen des Al-pinismus-Anstrengung, Einsatz, Entschlussfähigkeit — brachten mir tiefe Befriedigung und machten mich sehr glücklich.

Ein Bruch in meinem Leben Dieses von mir angestrebte Ideal wurde jedoch im Lauf des folgenden Jahres stark in Frage gestellt. Schwere Rückenprobleme traten auf, änderten mein Leben und zwangen mich, auf die Höhen zu verzichten, wenn auch widerwillig. Ich will hier die plötzlich auftretenden Schmerzen nicht im einzelnen beschreiben, anscheinend hängen sie mit einem Ereignis in meiner Kinderzeit zusammen. Ich denke vor allem an den Menschen, der mich gepflegt hat und ohne dessen Hilfe ich wahrscheinlich gelähmt wäre. Die Behandlung war lang, schmerzhaft, und noch heute kann ich nicht darauf verzichten.

Zur Zeit kann ich ohne übertriebene Risiken wieder klettern. Aber den Alpinismus im eigentlichen Sinn habe ich nicht wieder aufgenommen. Die Anforderungen mancher grossen Touren - Tragen eines schweren Rucksacks, bedeutende Höhenunterschiede, Nervenanspannung - sind erheblich genug, um das heute verdeckte Leiden wieder neu aufleben zu lassen.

Muss ich mich also auf kleine Unternehmungen im Klettergarten beschränken? Bin ich zur milden Lethargie eines sesshaften Lebens verurteilt? Zum Glück nicht! Die Ski-Raids, die ich allein im Norden unternehme, sind in meinen Augen die letzte Möglichkeit, um heute noch Abenteuer zu erleben.1 Die einfache Tatsache, dass ich meine Last auf einen kleinen Schlitten packe, den ich mit eigener Kraft ziehen kann, bringt mir eine verblüffende Freiheit. Und weil ich auf diese Art Gefühle erleben kann, die denen ein wenig ähneln, die mich einst in den Alpen erschüttert haben, hat für mich in den vergangenen Jahren die Möglichkeit, zwei oder auch zehn Tage in den rauhen Verhältnissen des arktischen Winters unterwegs zu sein, grösste Anziehungskraft gewonnen. Durch die Intensität dieser Unternehmungen geformt, ist meine Liebe zum Norden unaufhaltsam gewachsen.

Doch in diesem Herbst habe ich das Bedürfnis empfunden, zum Montblanc zurückzukehren. Heimweh? Um ehrlich zu sein, scheint mir dieser plötzliche Wunsch eher die Antwort auf den Ruf einer Region zu sein, deren Mythos mich seit langem bedrängte. Mehr noch als andere Wände üben Miage, Brouillard und Frêney am Montblanc eine zauberhafte Anziehungskraft auf mich aus. Kommt das davon, dass ich sie nie durchstiegen habe? Oder daher, dass Walter Bonatti in seinen grossartigen Berichten die packende Welt dieser einsamen Routen mit solcher Begeisterung schildert, dass ich unmöglich dem Wunsch widerstehen konnte, 1 Vgl. DIE ALPEN, QH 1/1990, S. 1-7 selbst einmal den von soviel Geheimnissen umgebenen Granitpfeilern und Eisfällen nahe zu sein? Auf jeden Fall war ich im September 1990 wieder zurück in meinem geliebten Massiv.

Zehn Tage im Massiv des Montblanc Am Mittwoch, dem 13. September, bin ich also im prachtvollen Val Veni in Italien. Der Fauteuil des Allemands, eine weite Mulde, wo sich, in den Berg eingeschmiegt, das Rifugio Borelli2 befindet, wird das bevorzugte Ziel meiner ersten Unternehmung sein.

Die vom Talgrund aus erkennbare offensichtliche Steilheit der Wand stimmt mit der Vorstellung überein, die ich mir von diesem schmalen Pfad gemacht habe. Es gibt in ihm einen fast senkrechten Abschnitt, den man mit viel Vorsicht in Angriff nehmen muss. Selbst wenn es mit Ketten und Metalleitern ausgerüstet ist, erfordert dieses Gelände sehr grosse Konzentration, denn ich weiss, dass diese künstlichen Hilfsmittel die Gefahr eines möglichen Sturzes keineswegs ausschliessen.

Folglich bewege ich mich mit ganz besonderer Vorsicht entlang dieses ( Ariadnefa-dens ), der auf die Höhe dieses felsigen Teils führt. Unter allen meinen Unternehmungen in den Alpen kann ich mich an keinen ebenso schwierigen Zugang zu einer Hütte erinnern. Oberhalb dieser heiklen 300 Meter wird die Neigung des Hangs flacher. Nun genügt mir eine halbe Stunde Anstrengung, um das lange, an die Felsen des Mont Noir de Peuterey gefügte Gebäude zu erreichen.

Der Nachmittag, den ich in Gesellschaft zweier englischer Alpinisten verbringe, vergeht in Ruhe und Heiterkeit. Die Sonnenstrahlen nehmen schon ab, weichen den Schatten, die sich ausdehnen, bis auch das letzte noch auf den Granitspitzen ruhende goldene Licht verschwunden ist. Ein ungewohntes Erlebnis, diese ephemere Verwandlung des Gebirges!

Jetzt liegt alles im Dunkeln. Der Frost wird schärfer, am Himmel steigt die schwache Sichel des abnehmenden Mondes, in seinem letzten Viertel, auf.

Am nächsten Tag kehre ich ins Tal zurück, denn mein Interesse richtet sich vor allem 2 oder Rif. Noir de Peuterey 3 Auf den Karten heisst der Gletscher Ghiacciaio di Freiney, während in den Führerwerken vom Pilier de Frêney gesprochen wird.

auf die berühmte Südwand des Montblanc, die vom Fauteuil des Allemands nicht zu sehen ist.

Es folgt eine Schlechtwetterperiode. In meinem kleinen Zelt, das ich in der Nähe der Laghi di Miage in der Tiefe des Val Veni aufgeschlagen habe, juble ich jedesmal, wenn der Montblanc bei einer kurzen Aufhellung etwas von seinen zahllosen Schätzen sehen lässt. Mit meinem Fernglas suche ich unablässig die ebenso durch ihre Schönheiten wie durch ihre Geschichte begeisternden Wände ab, Piliers Rouges du Brouillard, In-nominata-Grat, Eccles-Biwak, Frêney-Pfei-ler3... Ungezähmte Masslosigkeit eines Gipfels von fast dem Himalaya gleichender Grossartigkeit. Unaufhörlich sich erneuernde Leidenschaften, die viele Alpinisten im Lauf der Jahre erlebt haben!

Als das schöne Wetter zurückkehrt, steige ich zum Rifugio Monzino auf, das auf 2590 m mitten in diesem herrlichen, links ( orographisch ) vom unendlichen Peuterey-Grat, rechts vom Grat des Brouillard begrenzten Naturheiligtum liegt.

Die Saison geht ihrem Ende zu. Das Val Veni schmückt sich mit ersten herbstlichen Farben; abgesehen von einer Seilschaft an der Pointe de l' Innominata ist die Region verlassen. Ich bin also allein mit meinen Gedanken angesichts der begeisterndsten Hochgebirgslandschaft, die ich kenne. Mein Blick wandert unaufhörlich über klassische und moderne Routen, die zum Gipfel führen, ich fühle mich unwiderstehlich von der Höhe angezogen. Aber ich habe weder das Material noch die körperlichen Kräfte, um solch grosse Unternehmungen zu einem guten Ende zu führen. Ich bin nur gekommen, um ein vor langer Zeit zerstörtes Gleichgewicht wiederzugewinnen, und dieser Aufenthalt hat ihm neues Leben geschenkt.

Mein Körper hat sich als so empfindungs-fähig erwiesen, dass ich verstanden habe, wie sehr diese Landschaft für mich, wenn In der Voie Major, der letzte Schneegrat auch unbewusst, Mittelpunkt einer hartnäckigen Leidenschaft geblieben ist. Der Montblanc ist das Urbild einer Gegend, die mich in eine andre Welt entrücken kann. Der Anblick dieser Fels- und Eiswände versetzt mich in einen Glückszustand, der zunimmt, je höher ich steige; er gibt mir ein Gefühl der Überlegenheit und berauscht mich.

Aus dem Französischen übersetzt von Roswitha Beyer, Bern Blick in die Tiefe des Val Veni

flange es Träume gibt...

Peter Donatsch, Mastrils ( Sonst rennst du doch ein Leben lang deinen Träumen hinterher und kommst nie dazu, an ihre Verwirklichung zu gehen. ) Markus Zgraggen, Alpendurchquerer Start: Markus Zgraggen, Roger Knecht und Stefan Rothenfluh vor dem Piz Palü, dem ersten Ziel ihres ehrgeizigen Projektes Ungewöhnliches Gleitschirm-Unternehmen Immer unglaublicher werden die fliegen^ sehen Leistungen erfahrener Gleitschirmpiloten: Von Fiesch nach Chur flog der Deutsche Uli Wiesmeier, von Oberstorf bis ins Südtirol schaffte es sein Landsmann Dominik Müller, und noch im Herbst überquerte der Schweizer Bruno Imhof die Berner Alpen von Fiesch nach Meiringen.

Aber Stefan Rothenfluh, Markus Zgraggen und Roger Knecht haben ein anderes Ziel, als sie am 21 .Juli 1991 frühmorgens ihr Zelt bei der Diavolezza verlassen und durch die Cam-brena-Eisbrüche auf den Piz Palü steigen. Keine schweren Hochleistungsgleitschirme hemmen ihren Schritt beim Aufstieg, und das Gurtzeug, an dem sie sich angeseilt haben, dient gleichermassen zum Klettern wie zum Fliegen.

Die drei dürfen sozusagen als Gleitschirm-(Fossilien ) apostrophiert werden. Rund sechs Jahre nachdem der beispiellose Gleit-schirm-Boom die Schweiz erfasst hat, und in einer Zeit, in der man als Gleitschirmpilot doch nicht mehr einen Berg hinaufsteigt, sondern fliegt, erklimmen sie in drei Wochen 21 Gipfel, von denen aus ihnen 19 Flüge gelingen.

Stefan, Markus und Roger werden mir die Bezeichnung verzeihen, sie ist nicht abwertend gemeint, im Gegenteil. Der Begriff entspringt der Bewunderung desjenigen, der ebenfalls zu den Gleitschirm-Pionie-ren zählt, dem aber die Zeit - und vielleicht auch der Mut - bisher fehlte, seine diesbezüglichen Ideen in die Tat umzusetzen. Denn wie begründete Markus Zgraggen das ungewöhnliche Unternehmen:

Wer im inneren Widerstreit am Gipfel eines Viertausenders den Startentscheid fällen muss, darf sich aber nicht von Gefühlen leiten lassen. Die Umgebung ist ernst, grosse Höhe, Ausgesetztheit, Eis und oftmals starker Wind bedrängen den Piloten. In solchen Augenblicken zählt allein die solide Erfahrung aus vielen Flügen, gepaart mit Umsicht, technischem Können und erprobter Taktik. Nur auf die Hoffnung, dass dann schon alles gut geht, darf man sich dabei nicht verlassen.

Photos Peter Oonatsch Genauso verhält es sich an diesem Julimorgen auf dem Piz Palü. Für eine ausgedehnte Rast fehlt den drei Fliegern Zeit und Lust. Zwar erscheint die Wolkendecke, die sich über die Täler und niedrigeren Berge im Süden ausbreitet, ruhig und friedlich, aber hier oben am Gipfel weht ein heftiger und an Stärke zunehmender Nordwestwind. An ein schulmässiges Auslegen des Schirms ist nicht zu denken, und kaum angegurtet und eingehängt, flattert das Nylontuch an einem unförmigen Knäuel. Der Puls beschleunigt sich, die Stimmung wird gereizt, die innere Spannung steigt. Verdammt! Die Zeit drängt. Jetzt ist Markus bereit. Er zieht an den Gurten, das Nylontuch explodiert gelb und knallig vor dem Tiefblau des Himmels. Doch nicht so wie es sollte, sondern schräg, die linke Seite beinahe am Boden, die rechte Seite flatternd wie ein killendes Segel. Weit ist er schon hinabgerannt, dem Abgrund der Nordwand zu. Auf dem knochenharten Firn wäre ein Anhalten schwierig. Da endlich bekommt er den Schirm richtig in den Seitenwind, die Zellen schnappen nach Luft, das Tuch wird endgültig zum Flügel und trägt seine kostbare menschliche Fracht hinaus -an den Anfang der Verwirklichung eines Traumes. Was gibt es Schöneres im Leben?

Flug vom Montblanc: In solchen Situationen scheint die Zeit stillzustehen, ist die Freiheit tatsächlich für eine kurze Zeit grenzenlos.

Berauschend schön füllt feiner Morgennebel die Täler der Alpensüdseite, während Gipfel und Gipfelstürmer über den Wolken stehen.

Quer durch die alpine Schweiz Ein Reporter des Schweizer Fernsehens hat die drei interviewt und dabei gefragt, ob ihr Unternehmen etwas mit dem Jubiläum

Photo Peter Donatsch Das nächste Mal treffen wir die drei Alpendurchquerer im Aufstieg zum Finsteraarhorn. Ihre Bewegungen sind flüssiger geworden, viele erfolgreiche Flüge haben ihnen Auftrieb gegeben: Piz Languard, Piz Kesch, Piz Mitgel, Piz Curver, Rheinwaldhorn, Piz Medel, Pazolastock und besonders das Finsteraar Rothorn mit seinem äusserst gleit-schirmfeindlichen Gipfel. Da war es auch nicht besonders schwierig, den Misserfolg am Galenstock wegzustecken, insbesondere, weil ein Wintereinbruch mit Schneetreiben und beissender Kälte ihnen die Entscheidung einigermassen leicht gemacht hatte.

Schon haben sie das Gipfelkreuz auf dem höchsten Berg der Berner Alpen erreicht und damit quasi Halbzeit. Hinter ihnen liegen die Bündner und Urner Berge, deren Durchquerung jetzt bereits der Vergangenheit angehört. Vor ihnen erhebt sich nun noch das Aletschhorn mit seinen 4195 m Höhe als Zwischenetappe auf dem Weg, der sie zum letzten und höchsten Ziel, dem Montblanc, führen soll.

Schlusspunkt ohne Ende Und da stehen sie nun vor dem Schlusspunkt ihrer Tour, auf dem höchsten Berg Europas. Zur Vollendung ihrer Idee, die sie zwei Jahre mit sich herumgetragen haben, für die sie zwei Jahre lang trainierten und der sie nun drei Wochen lang auf strapaziösem Weg gefolgt sind, fehlt ihnen jetzt nur noch dieser Flug vom Montblanc, dieser Flug, der die Krönung all ihrer Anstrengungen und des ganzen Unternehmens sein sollte. Doch der Wind ist zu stark.

Noch einmal kommt Stress auf, der Magen krampft sich zusammen - sollte es wirklich am letzten Flug scheitern? Momentane Ratlosigkeit, die sogar durchs Funkgerät beinahe körperlich spürbar wird. Schwingt Enttäuschung mit?

Gestartet wurde am Hugisattel, einem trotz alpiner Szenerie recht guten Gleitschirm-Startplatz.

In dieser Situation zeigen sich die wahren Könner, die nicht einfach drei Wochen lang blindlings einer Idee nachgerannt sind - und dabei jede Menge Glück gehabt haben -, sondern die wach und aufmerksam Wind und Wetter beobachtet, die günstigen und ungünstigen Geländeverhältnisse ihrer Startplätze genau registriert und mit wachem Geist all diese Gegebenheiten und Informationen verarbeitet haben. Im Englischen gibt es ein Wort, das am besten beschreibt, wie der Mensch in solch schwierigen Situationen, wenn die Nerven durchzubrennen und die Angst ihn zu übermannen droht, reagieren sollte: .

4807 m hoch ist der Montblanc, daran ändern auch die zweihundert Höhenmeter nichts, die die drei Alpendurchquerer nun cool absteigen, um in idealer Umgebung bei guten Windverhältnissen ihre Schirme zum vorläufig letzten Mal auszubreiten.

Der Rest ist Erinnerung. Als Schlusswort fällt mir nichts besseres ein als das, was bereits in der Zeitschrift Gleitschirm zu diesem Thema steht.

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