Sarek — Wildnis in Lappland | Club Alpino Svizzero CAS
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Sarek — Wildnis in Lappland

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Heinz Högger, Thun

Anreise Trostlos liegen die kleinen Holzhütten in der Landschaft: Saltoluokta, eine kleine Samen-station am Akkajaure-See, auf 67 Grad nördlicher Breite. Als wir aus dem Boot steigen, setzt der Regen wieder ein.

Mir kommt Fritz in den Sinn. ( Geh nach draussen und nimm dir eine Nase voll ), hatte er vor einer Woche gespöttelt, als wir in der Salbithütte sassen und zusahen, wie draussen der Regen auf den Vorplatz prasselte.

In Stockholm tätigten wir die letzten Einkäufe. Die meisten Lebensmittel hatten wir uns bereits in der Schweiz besorgt. Das ist nicht nur billiger, sondern ermöglicht es zudem, sperriges und schweres Verpackungs-material schon daheim zu entfernen. Uns fehlten nur noch Butter, topographische Karten und Mückenöl. Letzteres, soll es wirksam sein, trägt Giftklasse 3, die genauesten Karten haben einen Massstab von 1:100000, und schwedische Butter ist gesalzen. Hat man sich jedoch erst einmal daran gewöhnt, so kann man auch damit ausgezeichnet frühstücken.

« Klage nicht über das Wetten Als wir nach 16 weiteren Stunden in einem stickigen Zugabteil endlich in Gällivare eintrafen, war von Sonnenschein nichts mehr zu sehen. Der Aufforderung über dem Eingang zum Mit seinen schneebedeckten Gipfeln, steilen Hängen und sumpfigen Ebenen gilt der Sarek, ein Nationalpark in Schwedisch-Lappland, als die letzte und unzugänglichste Wildnis Nordeuropas. Nur wenige Menschen leben hier-Berglappen, die sich an das rauhe Klima gewöhnt haben. Wer dagegen eine unberührte Landschaft erleben will, in der noch Elche, Lemminge und Braunbären hausen, kommt ganz auf seine Rechnung.

Im Sarek, am Ufer des Rapaätnof lusses Bahnhofsrestaurant ( Klage nicht über das Wetter, tritt ein> konnten wir leider keine Folge leisten. Denn der Bus für die Weiterfahrt wartete schon.

Am frühen Nachmittag in Kebbnatsbryggan angelangt, bleibt - als der Bus wieder abfährt - eine Handvoll Touristen und Wanderer zurück. Sie alle werfen einen kritischen Blick auf den Himmel, auf dass Petrus noch mit regnen zuwarte, bis uns das Schiff in Saltoluokta, dieser von Samen betriebenen Touristenstation auf der andern Seite des Akkajaure, abgesetzt hat.

Nun stehen wir also dort unter dem Vordach eines der kleinen Holzhäuser und zerren die wasserdichten Kleider aus unseren Rucksäcken hervor. Trotz des Regens entschlies- sen wir uns, noch ein Stück Weg unter die Füsse zu nehmen.

Unser eigentliches Ziel ist der Sarek-Natio-nalpark. Um aber überhaupt erst in diesen Park zu gelangen, sind zwei Tagesmärsche auf dem Kungsleden, einem markierten und ausgebauten Trekkingpfad, zurückzulegen.

Bald Hitze, bald stürmischer Regen Im Sommer zittert die heisse Luft oft über den Mooren und Tälern, Julitemperaturen von 30 Grad sind keine Seltenheit. Doch der Wanderer, der die rauhe Wildnis der faszinierenden Fjälls durchquert, muss ständig mit stürmischen Regenschauern rechnen, die die Sicht oft tagelang auf wenige Meter beschränken und den Boden in eine grosse Sumpflandschaft verwandeln.

Begegnung unterwegs: zwei Rentiere, die sich bei ihrer saftigen Gras-mahlzeit nicht stören lassen Doch trotz Regen und Kälte sind viele Wanderer unterwegs. Und das , der kurze Gruss, wenn man sich begegnet, ist stets herzlich und tönt nie niedergeschlagen oder griesgrämig. Dass wir Ausländer sind, fällt schon von weitem auf. Denn während unsere roten Hosen, blauen Jacken und violetten Rucksäcke im Alpenraum im Zeitalter des Neon und Pink schon fast veraltet sind, werden sie hier im Norden zum auffälligen Aushängeschild des landesfremden Touristen. Die Schweden halten vom Rucksack über die Pelerine bis zum Plastikbecher alles im einheitlich tarnfarbenen Grünton.

Nach zweieinhalb Stunden Marsch lässt der Regen etwas nach. Eine durchgreifende Wetterbesserung scheint es allerdings nicht zu geben. Und so beschliessen wir, im Windschatten eines Steines unser Zelt aufzuschlagen. Kaum steht das Zelt, prasselt schon der nächste Regenguss nieder.

Unfreiwilliges Wasserbad Die Nacht endet in einem ( unfreiwilligen ) Wasserbad. Ein erster kritischer Blick nach dem bösen Erwachen lässt uns im Zeltinnern einen mittleren See entdecken. Durch die anhaltenden Niederschläge in der Nacht hat sich der Boden, den wir gestern noch für einigermassen trocken hielten, in einen Schwamm verwandelt - wo man hintritt, überall derselbe Sumpf.

Schon bald nach dem Abmarsch begegnen wir der ersten Rentierherde. Die Tiere stehen ebenso trübselig da wie melancholische Simmentaler Kühe, die auf Einlass in den Stall warten, während sie den Gewitterregen über sich ergehen lassen.

81 Beliebter Königspfad Auf einer Anhöhe schreiten wir weiter auf dem Kungsleden ( zu deutsch: Königspfad ). Dieser Weg, mehr als 1500 Kilometer lang, führt von Abisko im Norden bis nach Adolfs-ström im Süden Lapplands. Unter Schweden und vor allem unter Deutschen ist diese Route recht beliebt. Nicht selten trifft man auf Massenwanderungen, die an die klassischen Wanderrouten in den Schweizer Voralpen erinnern. Der Svenska Turistföreningen, eine Mischung von Alpenclub und Jugendherbergs-verband, sorgt fortwährend für die gute Instandhaltung. Sumpfstellen sind mit Holzplanken ausgelegt, so dass das Wandern mit Trek-kingschuhen problemlos möglich ist. Deutsche, denen wir unterwegs begegnen, schaffen es auch in Turnschuhen. Alle 20 bis 30 Kilometer finden sich Touristenstationen, ähnlich den SAC-Hütten in den Alpen. Samen, die diese Stationen betreiben, bieten in Ergänzung zu den Übernachtungs- auch Verpflegungsmöglichkeiten mit Halbpension an.

Irgendwie verständlich, dass uns ein Tourist aus einem Nachbarland ungläubig anschaut, als er vernimmt, dass unsere Rucksäcke 30 Kilogramm wiegen. Er muss uns für Spinner halten, da man doch in den Samenstationen alles haben kann, was man braucht.

Der nächste Morgen verspricht einiges. Zum erstenmal seit unserer Ankunft in Lappland reisst die Wolkendecke auf, blauer Himmel erscheint und gibt einigen Sonnenstrahlen den Weg frei. Im Verlauf des Tages klärt sich das Wetter endgültig auf. Wir haben Glück, denn genau so bleibt es während der nächsten zehn Tage.

Seen, Flüsse und Berge Den ersten Streckenabschnitt legen wir heute mit dem Boot zurück. Die Samen- und Touristenstationen liegen vorwiegend an den Seen. Die Distanz von See zu See entspricht gängigen Tagesetappen. Jeweils morgens und abends fährt ein Same die Touristen auf die andere Seeseite. In der Regel genügt eine Fahrt, denn im Boot haben meist gerade so viele Personen Platz, wie hinübergeführt werden möchten.

Unser heutiges Tagesziel ist nur zehn Kilometer entfernt: Aktse, eine Station am Lai-taure-See.Von hier aus gelangt man über das riesige Delta des Rapaätno-Flusses in den Sarek.

Nur sechs Kilometer weiter westlich thront der Skierfe, 1179 Meter hoch, eine der drei Felspyramiden, die das obere Ende des Laitaure bewachen. Ihn zu besteigen ist nicht nur lohnend, sondern Pflicht für jeden, der in der Nähe weilt. Von seiner Nordseite her ist der Skierfe über eine Geröllhalde leicht zu ersteigen, fällt dagegen auf der Südseite 700 Meter senkrecht ab.

Der Ausblick, der sich auf dem Gipfel bietet, ist phantastisch. Gleich einem Modell liegt das mächtige Delta des Rapaätno ( das sami-sche Wort ätno bedeutet Fluss ) zu unseren Füssen. Frei und ungezähmt mäandriert der Fluss auf der ganzen Talbreite. Jahr für Jahr tragen die Wassermassen 100000 Tonnen Gesteinsschutt talwärts, den sie am oberen Ende des Laitaure ablagern. Ausgetrocknete Rinnen zeugen von früheren Flussläufen. Das Bild des Deltas befindet sich im stetigen Wandel.

Wildnis zum Nationalpark gemacht So viele Hügelzüge sich am weiten Horizont entdecken lassen, so unberührt wirkt die Landschaft. Keine Seilbahnen, die jede Erhebung erschliessen, keine planierten Pisten, keine begradigten Flüsse, keine Waldschneisen, keine Bergrestaurants. Das Wasser, das aus der kleinen Moosquelle tritt, ist rein und darf bedenkenlos getrunken werden. Hier gibt es keine Zivilisation, die es bereits verschmutzt haben könnte.

Mit der Absicht, eine solche noch unberührte Gebirgslandschaft mit ihrer alpinen Flora und Fauna zu erhalten, wurde 1909 von der schwedischen Regierung der Sarek-Natio-nalpark gegründet. Er nimmt 2000 Quadratkilometer Schwedisch-Lapplands ein. Der Park gilt als die letzte und unzugänglichste Wildnis Nordeuropas. Nur wenige Menschen leben hier. Einzig die Berglappen waren in der Lage, sich auf das rauhe Klima einzustellen. Mit Ausnahme der kurzen Sommermonate mit der Mitternachtssonne herrscht hier das ganze Jahr hindurch Kälte und bedrückende Dunkelheit.

Allein in der Weite Am folgenden Morgen lassen mein Reisegefährte Mathias und ich die Touristenscharen auf dem Kungsleden ziehen. Mit einer rassigen Bootsfahrt und ohne Furcht vor Sand- bänken in den engen Flussarmen führt uns ein Same ein Stück weit ins Delta des Rapaätno hinein.

Da stehen wir jetzt, allein in dieser Weite, auf einem Schwemmkegel am Rande des Deltas. Noch vor einer Woche lag der Wasserstand des Rapaätno anderthalb Meter höher. Niedergedrückte Grasvegetation ist ein letztes Zeichen dieses Hochwassers. Die warmen Juli-Temperaturen haben viel Gletschereis geschmolzen. Als er eines abends, so erzählt uns der Same, mit seinem Boot Touristen habe abholen wollen, seien diese bis zur Brust in den Fluten gestanden.

Es kommt immer wieder vor, dass Wanderer ertrinken. Meistens werden sie dabei jedoch nicht von Hochwassern überrascht, sondern beim Überqueren eines Flusses von der Strömung mitgerissen. Um bei Flussquerungen auch mit schweren Rucksäcken das Gleichgewicht halten zu können, ist ein Holzstab, auf den man sich stützen kann, eine zwingende Notwendigkeit.

In Gummistiefeln durch den Sumpf Unser Weg folgt einem schmalen Lap-penpfad durch den Birkenwald. Links und rechts bilden Weiden und Erlen, die als Pionierpflanzen auf überschwemmten Böden siedeln können, ein dichtes Unterholz. Hinter dem Delta erstrecken sich weite Flächen Sumpfland. Anders als zuvor auf dem Kungsleden ist der Weg hier nicht mehr mit Planken ausgelegt. Es braucht einige Zeit, bis ich mich auch nur einigermassen an das Wandern in Gummistiefeln gewöhnt habe. Die Unsicherheit, nie genau zu wissen, wie tief man im Sumpf versinkt, behagt mir nicht besonders.

Leider befriedigten in den letzten Jahren immer mehr Abenteurer im Sarek ihren ( Hinaus in die freie Natur>-Drang. Doch je mehr Menschen durch die Sümpfe waten, um so grösser sind die oft irreparablen Trittschäden. Aus diesem Grunde wurden auch im Sarek an einigen Sumpfstellen Planken ausgelegt, obwohl in diesem Nationalpark ursprünglich keine menschlichen Eingriffe vorgenommen werden sollten. Ob diese Massnahme zum Erfolg führen wird, ist allerdings fraglich. Zwar werden die Trittschäden geringer, doch durch die Holzbretter wird der Park leichter begehbar, so dass noch mehr Menschen diesen Weg in die Abgeschiedenheit suchen werden. Und an jenen Stellen, an denen keine Planken ausgelegt sind, werden die Schäden in der Folge noch grösser. Der Teufelskreis ist vorgezeichnet.

Mücken sind die grösste Plage Auf einem flachen Platz, nur unweit eines Sumpfes, schlagen wir unter Birken unser Lager auf. Rund um den Sumpf schwirren unzählige Mücken. Die Biester, die Temperaturunterschiede von Zehntelgraden unterscheiden können, haben unsere Anwesenheit rasch entdeckt. Es ist unser Glück, dass wir erst im August unterwegs sind. Denn in der Regel zieht Ende Juli eine erste Kältewelle über das Land, die einen Grossteil der Plagegeister vernichtet.

Besonders leidtragend sind die Rentiere. In schlimmen Sommern, so wird erzählt, seien manche Rentiere so sehr damit beschäftigt, den Mücken zu entrinnen, dass sie keine Zeit mehr zum Fressen finden und verhungern. Schlimmer als die Stech- und Kriebelmücken sind jedoch die Rachenbremsen und Dassel-fliegen, die ohne die Rentiere ihren Entwicklungszyklus nicht vollenden können. Die Ra-chenbremse legt in den Nüstern des Rens lebende Larven ab. Diese wandern von dort in die Nasen- und Rachenhöhle. Im nächsten Abendstimmung bei Aktse Sommer setzen sie dem Wirt so zu, dass dieser sie durch Husten und Schnauben auf den Boden schleudert, wo sie sich verpuppen und als ausgeschlüpfte Insekten einen neuen Zyklus einleiten.

Die dicke, laut brummende Dasselfliege legt ihre Eier auf den Rücken des Opfers. Leckt sich das Ren, so gelangen sie mit der Zunge ins Maul, wo die Larven ausschlüpfen. Durch den Magen und die Blutbahn wandern sie danach zum Rücken des Wirtes, wo sie sich unter der Haut festsetzen. Im darauffolgenden Sommer verursachen sie schmerzhafte Beulen, durch die sie ins Freie gelangen. Auf dem Boden verpuppen sie sich zu Fliegen und beginnen den nächsten Zyklus.

Gute Hirten Die Lappen bezeichnen die Schmarotzer als die besten Hirten. Um nämlich den Insekten zu entrinnen, ziehen die Rentiere die Hänge hinauf. Denn oberhalb der Waldgrenze, die in Lappland auf rund 700 Meter über Meer liegt, sind kaum mehr Mücken anzutreffen.

Auch wir werden von den Mücken nicht verschont. Es ist deshalb für uns eine wahre Erleichterung, als wir nach zahlreichen Sumpf-partien am dritten Tag im Sarek auf einem steilen Weg aus dem Wald auf die tundraähn-liche Hochfläche gelangen, die von den Einheimischen als bezeichnet wird.

Greise unter den Bergen Die Berge, die sich hier noch erheben, sind weit älter und abgetragener als die Alpen. Während letztere höchstens 50 Millionen Jahre alt sind, entstand Skandinavien schon vor 400 Millionen Jahren in der kaledonischen Gebirgsfaltung Ende des Silurs.

Dort, wo der Rapaätno die grosse Biegung macht und fortan nicht mehr südlich, sondern südöstlich fliesst, erhebt sich der 1537 Meter hohe Lâddepakte ( ausgesprochen: Lodde-pakte ). Im Gegensatz zum Skierfe wird er nur von wenigen Sarekbesuchern erklommen, obwohl seine Besteigung relativ leicht ist und sich vom Gipfel eine weite Rundsicht über das ganze Rapadalen bietet.

Tausend Meter weiter unten vereinigen sich das Sarvesvagge- und das Rapa-Tal. Während Jahrtausenden füllten hier die beiden Flüsse Rapa- und Sarvesjâkkâ ( ausgesprochen: Sar-vesjokko ) eine weite Fläche auf. Direkt gegenüber erheben sich auf der andern Talseite die höchsten Gipfel des Sarek: Akkatjäkkä, mit 1974 Metern der höchste Berg im Sarek, Kanalberget, Axel Hambergs topp und Tielmat-jâkkâ. Auf den Rücken dieser Hügel liegen die Auf dem Kungsieden ( Königspfad ) durch die Weiten Lapplands letzten grossen Gletscher des Nationalparks; man ist sich bei ihnen nicht einig, ob die Eismassen lediglich Überreste der letzten Eiszeit sind oder sich aus den jährlichen Niederschlägen erhalten können.

Zeugen der Eiszeit Unverkennbar ist dagegen überall die Wirkung der eiszeitlichen Gletschervorstösse. Mehr als 10000 Jahre sind seither vergangen, aber das Relief legt auch heute noch Zeugnis von den gewaltigen Kräften ab, die damals die Landschaft geprägt haben. Das Eis, das stellenweise über 3000 Meter dick war, schliff wannenartige Kare aus den Felsen und schürfte den Talboden trogförmig aus. Als das Eis schmolz, begann sich der ganze Felssockel Skandinaviens infolge der Gewichtsentlastung zu heben - ein Vorgang, der auch heute noch anhält. Der Baltische Schild, wie der Felssockel heisst, hebt sich jährlich bis zu zehn Millimetern.

Tierparadies Aufgescheucht durch unser Näherkommen, rennt ein Birkhuhn davon. In seinem Gefolge fliehen die drei Jungen. Etwas abseits auf einem Hügel grast zufrieden ein Albino-Ren. Sein Feil ist weiss, das Geweih rosa. Mit dem Feldstecher lässt sich unten im Tal die Silhouette eines Elchs ausmachen. Hier kann sich die Natur noch ohne menschliches Dazutun entwickeln und somit noch in ihrer ganzen Intensität erlebt werden. Denn ausserhalb der Ortschaften ist die Bevölkerungsdichte so gering, dass man abseits der klassischen Wanderrouten tagelang durch die weite und an Überraschungen reiche Wildnis wandern kann, ohne einer Menschenseele zu begegnen. An den felsigen Küsten und in zahlreichen Sümpfen nisten im Sommer Vögel aus Europa, Asien und Afrika. Auf steilen Berghängen und in den Nadelwäldern jagen immer noch Braunbär, Nordluchs und Vielfrass, während diese Tierarten in andern Teilen Europas schon längst ausgerottet sind.

Oberhalb der Waldgrenze begegnen wir jetzt täglich mehreren Rentierherden. Zeigen die Tiere tagsüber eine scheue Zurückhaltung, so tummeln sie sich nachts oft direkt vor dem Zelt. Und während wir mit Mehl, Salz und Wasser auf dem Spirituskocher zum Frühstück Brotfladen backen, laben sie sich nur unweit entfernt an saftigen Flechten.

Flüsse rauben Zeit Mit der Zeit haben auch wir uns daran gewöhnt, dass häufig genau dort, wo man lagern möchte, kein Bach durchfliesst, aus dem man Trinkwasser schöpfen könnte, dass andererseits Flüsse, die man überqueren sollte, oft zum zeitraubenden Hindernis werden.

DerTjâgnârisjâkâtj ( sprich Tjognorisjokoti ) ist eine dieser natürlichen Barrieren. Im Frühsommer erlaubt eine Schneebrücke, die über der Schlucht hängt, ein einfaches Hinüberkommen. Doch jetzt im August, nach den heissen Julitagen, ist die Brücke längst weggeschmolzen. Eine Traversierung an der üblichen Stelle ist deshalb unmöglich. Der Führer beschreibt für diesen Fall zwei Möglichkeiten: Entweder man marschiert den Fluss entlang hinauf bis zur Gletscherzunge und überquert ihn dort via Gletscher, oder man geht den Fluss entlang bis zur Mündung. Dort ist der Fluss verzweigt und daher weniger tief. Zudem weist er an dieser Stelle ein geringeres Gefälle auf, so dass die Strömung geringer ist. Ein Blick auf die Karte lässt uns die zweite Variante wählen - der Weg zur Mündung ist kürzer und weniger steil.

Knietief stehen wir im eiskalten Wasser, das uns fast den Krampf zieht. Einer nach dem andern schreiten wir sorgfältig Schritt für Schritt hinüber, stets bemüht, trotz schwerem Rucksack und starker Strömung mit dem Holzstab das Gleichgewicht zu halten.

Gegen Abend erreichen wir das Ende des Rapadalen. Hier hinten, im Herzen des Sarek, verzweigt sich das Tal in die drei Seitentäler Ruotesvagge im Norden, Kuopervagge im Westen und Alkavagge im Südwesten. An dieser zentralen Stelle kommen fast alle Sarek-Trekker vorbei. Für kurze Zeit begegnen wir wieder andern Menschen. Seit einiger Zeit befindet sich hier auch das einzige Nottelefon weit und breit.

Für unsere weitere Route wählen wir das in westöstlicher Richtung verlaufende, rund 20 Kilometer lange Alkavagge-Tal. Bei schlechtem Wetter wird von einem Besuch dieses Tales abgeraten, weil die Unwetter un- gehindert durchziehen können. Bei schönem Wetter dagegen bietet das Tal ein grossartiges Erlebnis in einer herrlichen Landschaft.

Überwinden der Wasserscheide Zu beiden Seiten erheben sich steile Berghänge, Wasserläufe suchen sich kreuz und quer ihren Lauf, Weidengebüsch stellt sich in den Weg: Das Tal übt in seiner Unberührtheit eine grosse Faszination aus. Mitten im Tal trennt sich der Akkajäkka-Fluss und bildet eine Wasserscheide, indem ein Teil seines Wassers westlich, der andere östlich abfliesst.

Mit dem Ende des Alkavagge-Tales erreichen wir am Abend auch die Grenze des Sarek. Die Brücke über den Miellätno-Fluss - die erste Brücke seit langem - verbindet den Sa-rek- und den benachbarten Padjelanta-Natio-nalpark. Anstelle der Brücke befand sich früher dort, wo der Akkajaure-See in den Miellätno mündet, ein Ruderboot.

An derselben Stelle führten früher die Samen im Herbst jeweils die Rentierscheidung durch. Ein halb verfallener Gitterzaun und die Alkavare-Kapelle legen noch Zeugnis davon ab.

Rückgang der Rentierzucht Einst waren die Samen untrennbar mit dem Ren verbunden, auch wenn sich nicht genau sagen lässt, seit wann die Samen das Ren nicht nur jagten, sondern auch züchteten. Heute jedoch ist die Zahl derer, die ihren Lebensunterhalt durch Rentierzucht bestreiten, geringer denn je. Der uralten Nomadentradi-tion folgt nur noch eine winzige Minderheit. Der letzte Tiefschlag war die Katastrophe von Tschernobyl. Seither sind die meisten Tiere cäsiumverseucht. Statt im Fleischhandel enden die Tiere bei der Notschlachtung. Fachleute sind der Auffassung, dass sich die Situation erst in zehn oder zwanzig Jahren normali-sieren wird.

Woher die Samen ursprünglich stammen, ist unklar. Die einen sagen, Samen und Finnen entstammten einer gemeinsamen Urheimat in Asien, aus der die Samen zu einer langen Wanderung aufgebrochen und vor den Finnen nach Skandinavien gelangt seien. Als Grund für diese Annahme wird die Sprachverwandt-schaft angegeben. Eine zweite Theorie besagt, die Samen hätten seit jeher in ihrer heutigen Heimat gelebt. Ihre Sprache sei erst später vom Finnischen beeinflusst oder ver- drängt worden. Die Bezeichnung lehnen sie übrigens ab. Sie selbst bezeichnen sich als . soll auf ein heute ausgestorbenes finnisches Wort mit der Bedeutung zurückgehen.

Von einem Park in den nächsten Wir verlassen den Sarek, um sogleich in einen weiteren Nationalpark, den Padjelanta, einzutreten. Zwischen grösseren und kleineren Seen mit klingenden Namen wie Alajaure, Ris-sajaure, Liemakjaure oder Stallojauratj suchen wir uns eine Route über die Seenplatte. Wir wissen, wenn wir uns anstrengen, werden wir noch heute das Samendorf Staloluokta am Vi-rihaure-See erreichen. Dort werden wir unsere Vorräte ergänzen und Sprit für den Kocher kaufen können. Endlich kommt wieder Abwechslung in unseren monoton gewordenen Menüplan. Bei einem Samen kaufen wir Fisch, den wir genüsslich in der Bratpfanne zubereiten: nach langem die erste Beilage zum Reis, den wir in den letzten Tagen ebenso ohne Zutaten gegessen haben wie die Teigwaren und den Kartoffelstock.

Hinüber nach Norwegen Wir wählen die Abzweigung des Padjelanta nach Norwegen hinüber. Das Gelände wirkt fast alpin. Das rauhe Wetter, das hier vom Atlantik ungehindert über die Fjälls hinwegfegen kann, prägt die Landschaft. Die Vegetation ist verschwunden, und statt durch Sumpf führt der Weg über Geröllhalden und Schneefelder, vorbei an klaren Berg- und Gletscherseen. Dann plötzlich taucht die kleine gelbe Tafel mit der Aufschrift ( Riksgräns Norge> auf, die die Grenze zwischen Schweden und Norwegen markiert.

Letzter Genuss der Ruhe Ein letztes Mal liegen wir an diesem Abend zufrieden in der warmen Sonne und geniessen die Ruhe. Elf Tage waren wir unterwegs in einer Landschaft, die es zu schützen gilt. Doch die schleichende Bedrohung sowohl der Natur wie auch der Lebensgemeinschaften macht auch vor Lappland nicht halt.

Heute halten allein noch die Berglappen an ihrer traditionellen Lebensweise fest. Sie sind die letzten Nomaden Nordeuropas. Die See- Birkhuhn und Flusslappen dagegen sind nicht nur sesshaft geworden, häufig gehen sie nicht einmal mehr dem Fischfang nach. Flugzeuge und Helikopter bringen Nahrungsmittel und zunehmend auch die finanziell einträglicheren Touristen. Gegen entsprechende Bezahlung kann man sich beispielsweise direkt mit dem Helikopter nach Staloluokta, der Station auf dem Padjelantaleden, fliegen lassen.

Ende mit Kulturschock Unsere Tour endet im norwegischen Sulit-jelma. Die Rückkehr in die Zivilisation wird zum Kulturschock. Rund um den Bergbauort sind die Hügel kahlgerodet und mit Strassen durchzogen. Die Landschaft, wie wir sie in den letzten Tagen intensiv erlebt haben, wurde hier rücksichtslos durch den Menschen umgestaltet und ausgebeutet.

Das Wasser, das aus dem Stollen tritt, ist rostfarben, unappetitlich und eisenhaltig. De-molierte Gestelle und abgefahrene Autoreifen verunstalten das Bachbett. Die Realität hat uns wieder eingeholt. Auf der Post heben wir etwas Geld ab, und schon mit dem nächsten Bus verlassen wir den Ort Richtung Atlantik.

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