Sonnige Tage im Rätikon | Club Alpino Svizzero CAS
Sostieni il CAS Dona ora

Sonnige Tage im Rätikon

Hinweis: Questo articolo è disponibile in un'unica lingua. In passato, gli annuari non venivano tradotti.

VON ERICH EICHLER, ZÜRICH

Mit 2 Bildern ( 84, 85 ) Erwartungsvoll stehe ich am Bahnhof in Landquart, um meinen Bergkameraden abzuholen. In der Menge der Reisenden, die hier nach Klosters und Davos umsteigen, entdecke ich vorerst einen riesigen Rucksack, gekrönt durch einen Wetterhut von undefinierbarer Farbe und eigenwilliger Form. Was darunter sich vorwärtsschiebt, ist Georges, der treue und selbstlose Gefährte. Ein herzlicher Händedruck, und schon sitzen wir im Zug, der uns nach Malans bringt. Im schönen Dorf der Bündner Herrschaft decken wir uns mit Brot und Obst für vier, fünf Tage ein. Unsere Säcke sind aber bereits mit vermeintlichen notwendigen Bergsteigerartikeln derart prall gefüllt, dass wir gezwungen sind, die Basis unserer Ernährung mit Riemen und Schnüren auf die Säcke aufzubasten! Von manchen Kindern verschmitzt belächelt schreiten wir munter, die Pickel schwingend, zur Talstation der Seilbahn, die uns auf die Jeninseralp befördert. Während der viertelstündigen Fahrt in die Höhe bleibt mir genügend Zeit, um Assoziationen anzustellen zwischen der Ablehnung von Seilbahnen, Sesselliften usw. und unserem anhänglichen Gepäck! Bald grüsst Abb. 3 Das Innere der Käserei Kyanjin Gyang Der Schweizer Josef Dubach am Käskessi, der nepalische Gehilfe Sahila an der in der Schweizer Werkstatt in Katmandu angefertigten Käsepresse.

Abb. 4 Der Hauptkampf von Josef Dubach gilt dem Schmutz Durch gestaffelte Milchpreise kann er der Verwässerung und dem Schmutz erfolgreich entgegentreten. Im Bild: Ein besonders hartgesottener Sünder, dem die wochenalte Kruste am Melkkübel keinen großen Eindruck zu machen scheint.

Abb. 5 Im Käselager von Kyanjin Gyang Stolz zeigt Josef Dubach dem Rinchen Lama das Ergebnis einer Saison. Laib an Laib des köstlichsten « Himalayan Gruyère » reiht sich auf den Regalen.

Abb. 6 Erntedankfest im Dorf Langtrang Am Schluß jeder Saison ( Oktober ) versammelt sich das Volk der Talschaft auf der Festwiese beim Dorf Langtrang ( Dorf rechts im Bild ). Die gesamte Bevölkerung bringt Chang ( hausgemachtes Bier ), welchem wacker gefrönt wird. Wenn der Chang seine Wirkung getan hat, werden Tänze aufgeführt, deren Tempo sich bis zum Morgengrauen immer mehr steigert.

Abb. 8 Rinchen Lama der « Gemeindepräsident » von Langtrang. Rinchen Lama ist der gute Freund der Schweizer und arbeitet eng mit ihnen zusammen.

Abb. 7 Willkommener Besuch in Langtrang Der Verfasser ( rechts ) frischt aus seinen Vorräten die Apotheke von Josef Dubach ( links ) wieder etwas auf. Die Schweizer Käser verarzten nämlich ihre respektiven Talschaften in Nepal, und der Nachschub über die weiten, unwegsamen Distanzen klappt nicht immer.

aus der Tiefe die Rheinebene herauf, während vor uns Vilan und Falknis näherrücken. Die Fahrt ist zu Ende, und unsere Wanderung beginnt. Auf der Vorderalp lassen wir uns nieder, essen eine Kleinigkeit und bestimmen die Schesaplanahütte als heutiges Ziel. Heiss brennt die Sonne auf uns nieder, wie wir auf dem Alpsträsschen dem Kamm ( 2039 m ) entgegenziehen. Oben angekommen, erscheint, fast winzig klein, die Schesaplanahütte! Wir passieren das « Bad » und die grosse Fläscheralp. Bei Ganei betreten wir historischen Boden: hier zogen, während der Kämpfe zwischen Österreichern und Franzosen 1799, österreichische Krieger durch, um den Franzosen in den Rücken zu fallen. Es beginnt wieder das Steigen, und wir sind froh, nach dem Traversieren eines mit wüsten Blöcken durchsetzten Stückes, die Hütten der Alp Fasons zu erreichen. Mit gemischten Gefühlen betrachte ich den vielen Schnee, der noch im Juni in den Wänden des Alpsteins liegt. Für unsere morgige Tour auf den Schesaplana ist er nicht eben einladend. Im Schesaplanahaus ( 1908 m ) sind wir als einzige Touristen beim freundlichen Hüttenwart Walser und seiner Frau trefflich aufgehoben. Die Schatten der Nacht beginnen sich sachte auf die Täler zu legen. Wir stehen noch im Licht und entdecken staunend einen mächtigen Hirsch, der äsend über die Weide zieht.

Der neue Tag sieht uns schon zeitig in der Südwand des Schesaplana, auf dem « Schweizerweg ». Doch bereits in der ersten Hälfte der Wand zwingt uns der Schnee am Seil zu gehen. Runsen und Couloirs machen uns bei diesen Verhältnissen zu schaffen, während ein flinkes Steinhuhnpaar, mit seinen roten Beinen, uns in den Felsen ein weites Stück immer in Fluchtdistanz begleitet. Köstlich zu sehen, wie der Hahn sich immer wieder vor der Henne verneigt und den Werber spielt. Bevor wir in den « schwarzen Gang » einbiegen, gönnen wir uns eine Verschnaufpause. Wiederum ist ein schöner Tag angebrochen. Unser Blick schweift weit in die Bündner Alpenwelt. Steil unter uns steigt ein blaues Räuchlein aus dem Kamin der Schesaplanahütte, während der Hüttenwart mit dem Glas uns wohl zu entdecken versucht. Ein Jauchzer unsererseits beantwortet er mit kräftigem Armeschwenken. Unsere ganze Sorge und Aufmerksamkeit gilt nun dem langen Schuttband, das zum Grat führt. Es ist häufig von breiten Schneeflecken bedeckt, auf denen wir uns trotz Seilsicherung nie ganz sicher fühlen, denn der aus verschiedenen Schichten bestehende Schnee droht immer wieder auszubrechen, so dass wir tiefe Stufen treten müssen. Diese Verhältnisse zwingen uns, ein gutes Stück vor Punkt 2726 ( Landeskarte der Schweiz, Montafon-W ) die Gratfelsen zu erklimmen. Gleissend, bei voller Windstille liegt der Brandner Ferner in einzigartiger Unberührtheit da. An seinem nördlichen Ende liegt die zu dieser Zeit noch geschlossene Strassburgerhütte. Erst jetzt verspüren wir unsere Lasten auf dem Rücken, wie wir bei grosser Wärme die letzten 300 m auf dem Firn zum Gipfelkreuz des Schesaplana ( 2964 m ) ansteigen. Herrliche Gipfelrast! Sie lässt alle Mühen vergessen! Wir kosten ein prächtiges Gipfelpanorama: Während im Norden und Osten Dunst die Fernsicht mindert, grüssen in weitem Bogen in unendlicher Vielfalt die Spitzen und Grate der Bündner Berge. Aber auch hier gilt es zu scheiden, und wir begeben uns über den kurzen Gipfelgrat auf den Abstieg zur Douglashütte.

Diese an sich harmlose Route wird uns heute durch den vielen faulen Schnee vergällt. Georges, der Unentwegte, bereitet sich zu einer langen Schneeabfahrt vor. In den oberen steilen Hängen fährt er ganz flott, mit dem Pickel als Bremse, zu Tal. Aber mitten in schönster Fahrt versinken seine Beine bis über die Knie. Das Resultat ist ein « Salto en avant » mit gehörigem Bumbs des Rucksackes auf den Schädel! Mit frischem Mut rappelt er sich hoch und stürzt sich von neuem in das Ungewisse. Ich, als stiller Beobachter, denke mir eine, wie mir will scheinen, bessere Methode aus und gebe bei der Abfahrt sehr viel Rücklage. Das bewirkt in dem fatalen Schnee aber stetes Absitzen, nasse Hosen und Strümpfe. Und als dann beim Traversieren zur Hütte noch ein kurzer, aber um so kräftiger Gewitterschauer uns auch noch durchnässt, sind wir herzlich froh, 13 Die Alpen - 1959 - Les Alpes193 der Douglashütte näher zu rücken. In den Abhängen des Seekopfes beobachten wir zwei Gemsen, ein Muttertier mit ihrem Jungen. Beide streben der Höhe zu, aber immer wieder wartet die Mutter auf ihr Kind. Wir freuen uns am Treiben der Tiere, bis sie in einem Couloir unsern Blicken entschwinden.

In der Douglashütte des ÖAV der Sektion Vorarlberg herrscht grosser Betrieb. Wie uns der Hüttenwart sagt, hat er heute an die 500 Schüler verpflegt! Die Schwebebahn von Brand nach dem Lünersee macht die Douglashütte zu einem leicht erreichbaren Ausflugsort, trotzdem sie rund 2000 m hoch liegt. Die grosse Hütte ist in ihrem Innern sehr renovationsbedürftig, doch wird sie in Kürze durch den Höherstau des Lünersees zur Hälfte in den Fluten verschwinden!

Wie wir von einer Besichtigung der Staumauer-Baustelle zurückkehren, können wir just im letzten Moment unsere zum Trocknen aufgehängten Kleider vor den ewig hungrigen Schnauzen der dem Hüttenwart gehörenden Schweine retten!

Bald begeben wir uns auf unsere Lager. In der Hütte ist wieder Ruhe eingekehrt. Silbern spiegelt sich der Mond im Lünersee. Aber weniger tröstlich ist das Donnern der Camions, die Sand und Kies zur Staumauer bringen. Die ganze Nacht, ohne Unterlass, hin und her.

Die Strahlen der eben aufgehenden Sonne sehen uns auf dem Anstieg zum Verajoch ( 2331 m ). Unser Tagesziel ist die Tilisunahütte. Zu unserer Rechten begleiten uns die steilen Felshänge der Kirchlinspitzen. Wie im Clubführer Rätikon vermerkt ist, ist hier in der Gegend ein Dorado für Murmeltiere. Und so ist es: von allen Seiten hören wir die Pfiffe der ausgestellten Wachen, und gleich sind wir mitten in ihren Weidegründen. Kaum 100 m vor uns steht so ein prächtiger Bursche. Seine beiden Vorderpfoten hält er würdig über seinem dicken Bauch verschränkt und blickt uns mit schwarzen Knopfaugen neugierig an. Längst sind wir stillgestanden und betrachten ihn und zwei niedliche Junge durch den Feldstecher. Meine Pickelspitze berührt einen Stein. Ein Pfiff! Und weg sind sie alle drei. Bis zum Passübergang erfreut uns stets von neuem das possierliche Gebaren der drolligen Tiere.

Auf dem Verajoch halten wir Frühstück und lassen den Blick zu unserer nächsten Etappe, den Ofenpass, schweifen. Ein Sprung nur ist es zum Schweizertor ( 2151 m ) hinunter, jenem bizarren Übergang vom Prätigau ins Montafon. Bestürzt hängt unser Auge an den lotrechten Mauern des Schweizerecks, während eine Schar Alpendohlen lärmend herumstreicht. Ihr Verhalten zeigt an, dass sie von Touristen gefüttert werden. Die Gegensteigung zum Ofenpass ( 2293 m ) ist zum grössten Teil noch mit Schnee bedeckt, und auf der Höhe sieht es noch recht winterlich aus. Hinter der Drusenfluh schieben sich grosse, weisse Kumuli in den stahlblauen Sommerhimmel. Immer wieder begegnen wir dem herrlichen Kontrast zwischen Weiss und Blau und den grauschwarzen Türmen und Grate der Drusenfluh. Besser als gestern fahren wir auf dem harten Firnschnee, der das Ofental in seinem Grunde noch bedeckt, ab. An einer frisch erblühten, in ihrer Mannigfaltigkeit überaus reizvollen Alpenflora schreiten wir an der grossen Spornalpe vorbei zum Porsalenger-wald, an dessen westlichem Rand die Lindauerhütte ( 1764 m ) steht. Unsere Kehlen sind ziemlich ausgedörrt, aber der hohe Preis, der für eine Flasche Süssmost verlangt wird, lässt uns, ohne den Durst gestillt zu haben, weitergehen. Dafür entschädigen wir uns mit einem freien Lager am Fusse des Bilkengrates. Die Suppe ist bald heiss, Konserven werden geschmort, und zum Schluss fehlt auch der Kaffee nicht. Mitten in unser Zigeunerleben hinein taucht ein Paar auf, mit Shorts und Halbschuhen angetan, in einem Marktnetz etwas Proviant. Mit einem kleinen Aufschrei lässt die « Touristin » einen unserer Schuhe, den sie behutsam aufhob, wieder fallen, ist entsetzt ob dem Aussehen und Gewicht, und kann es nicht verstehen, dass man mit « solch'vielen Dingern » im Gebirge « herumstiefele »!

Lapidar sagt der SAC-Führer in der Routenbeschreibung zur Tilisunahütte: « Nun auf gutem, aber sehr steilem Weg in zahllosen Zickzacks 700 Meter hoch über den Bilkengrat hinauf. » Ich weiss nicht, ist es unser frugales Mahl oder sind es die 30 Kilogramm Gewicht auf dem Rücken ( unser Seil ist wieder einmal mir « zugedacht » ), dass ich den Aufstieg als eine Schinderei empfinde. Item, wir kommen mit Schimpfen und Dichten doch in die Höhe. In Erinnerung ist mir der Zweizeiler geblieben: « Bilkengrat, deine zwei Stund, die bringen mich noch auf den Hund! » Bei einer Photopause, bei der wir wieder einmal die Nase in die Höhe stecken können, erblicken wir hoch über dem Gauertal ein Adlerpaar, das in prächtigem Segelflug kreist. Bei jeder Wendung leuchten an der Unterseite der braunen Schwingen die weissen Federn. Im Norden verschlechtert sich unterdessen das Wetter. Aus einer drohenden schwarzen Wolkenwand heraus zünden grelle Blitze. Doch wir haben Glück. Beim Durchschlagen der Gratwächte der « Schwarzen Scharte » ( ca. 2360 m ) erscheint die Sonne wieder. In einer kleinen Viertelstunde heisst uns Hüttenwart Kessler in seinem Heim, die Tilisunahütte ( 2208 m ), mit Handschlag willkommen.

Im säubern, gastlichen Haus sind des Tages Mühen bald vergessen. Köstlich unterhalten wir uns mit zwei charmanten Holländerinnen, die, in Schruns in den Ferien weilend, hier heraufgekommen sind. Sie vermieden beim Aufstieg, wie sie uns ernsthaft versicherten, jede geneigte Schneefläche, in der Überzeugung, dass es ein Gletscher sei! Frau und Tochter des Hüttenwartes stellen uns ein schmackhaftes Abendbrot auf den Tisch, und bei einem Glase Veltliner sitzt man noch lange in der gemütlichen Küche. Hüttenwart Kessler kramt in seinen Kriegserinnerungen, berichtet über seine « Kunden », und manch heiteres Wort wird ausgetauscht. Nach einem Blick auf das Barometer, das ein Fallen des Luftdruckes anzeigt, und mit einem riesigen Wecker neben uns, liegen wir bald unter den Decken.

Unbarmherzig rasselt die Glocke im Morgengrauen. Es ist 4 Uhr. Wir müssen uns beeilen, um den ersten Postautokurs zu erreichen, der uns von St. Antönien nach Küblis bringen soll. Ungern müssen wir unsere Rätikonwanderung des einsetzenden schlechten Wetters wegen kürzen und die Absicht, über den Plassecken—Sarotlapass zur Madrisahütte und weiter über das Schlappinerjoch zurück in die Schweiz zu gelangen, fallen lassen. Ein warmer Wind begrüsst uns, als wir aus der Hüttentüre treten. Das Wetter hat sich geändert. Zahllose Schäfchenwolken, von der Morgensonne glutrot gefärbt, ziehen am blassblauen Himmel über uns hinweg. Klar hören wir das Bellen des Hundes, der seine Schafe am Fuss des Seehornes zusammentreibt.

Durch das Karrenfeld der Gruben tappen wir zur Windegg ( 2193 m ). Die im fahlen Morgenlicht daliegenden weissen Felsenbuckel erinnern mich an versteinerte « Moby Dicks ». Das grünblaue Auge des Partnunsees ( 1874 m ) träumt in die Morgenstille, als wir mit langen Schritten an seinem Ufer und weiter am Gasthaus « Sulzfluh » und dem Weiler Partnun vorübereilen. An der Zollbrücke bei Litzirüti steht, wie aus dem Boden gewachsen, ein Grenzwächter. Kamerad Georges lüpft freundlich sein Hütchen und beweist damit unsere Harmlosigkeit als Alpenwanderer. Die Zeit bis zur Abfahrt des Postautos benützen wir für ein etwas verspätetes Frühstück.

Dann entführt uns der gelbe Wagen aus dem uns liebgewordenen Rätikon. In Küblis wechseln wir zur Rhätischen Bahn hinüber, die uns nach Davos führt, von wo wir zum Flüelapass hinauffahren und auf der rechten Seitenmoräne des Radöntgletschers zum Sattel östlich des Radünerkopfes gelangen. In der Südflanke des Radünerkopfes steigen wir über Fels- und Schuttbänder zur Grialetschhütte ab.

Feedback