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Spillgerten

Hinweis: Questo articolo è disponibile in un'unica lingua. In passato, gli annuari non venivano tradotti.

Mit 3 Bildern ( 98-100Von Otto Büchi

( Bern ) Die Natur hatte längst ihr farbenfrohes Herbstkleid angezogen, doch die Tiefländer sehnten sich nach den wärmenden Strahlen der Sonne, die eine graue, unfreundliche Nebeldecke nicht zu durchdringen vermochte. Eingespannt in den beruflichen Alltag, mit zunehmender Arbeitszeit bei künstlicher Beleuchtung, wurde das Verlangen nach Luft, Licht und Weite immer mächtiger. Wohl war die Tourensaison abgeschlossen, doch wurde nochmals der Sack zu einer Fahrt gerüstet. War es der Friede der abgelegenen, stillen Frohmattalp oder die Anspruchslosigkeit der Gratkletterei an den Spillgerten, die uns dieses Ziel wählen liess?

Gemächlich bummelten wir von Blankenburg durch herb duftende Wälder, über braunrot geflammte Matten dem muntern Bach entlang aufwärts. Das gemütliche Wandern erlaubte ein angeregtes Plaudern über gemeinsame Interessen. Ob den Problemen der Farbenphotographie, wohl angeregt durch die reizvolle Gegend, ging die Aufmerksamkeit auf den einzuschlagenden Weg verloren. Dem breitesten Pfad folgend, wurde die Gegend mit zunehmender Dämmerung immer unbekannter. Rechtzeitig vor Einbruch völliger Dunkelheit zeigte die gründliche Orientierung, dass wir von der richtigen Route abgekommen waren. Anstatt durch eine bewaldete Mulde gegen die Frohmattalp zu steigen, befanden wir uns zu weit nördlich, in den Mosern am Bettelriedbach. Sturmlaterne, Karte und Kompass ersetzten in der schwarzen Nacht den gebahnten Weg. Der Kompassnadel vertrauend, stolperten wir über Steine, durch Bachbette und dichtes Unterholz in gerader Linie unserer auf 1859 m gelegenen Unterkunft zu. Wie atmeten wir auf, als der Schlüssel zur Türe der ersten aus dem Nachtschwarz auftauchenden Hütte passte. Trotz dieser Irrfahrt knisterte schon zweieinhalb Stunden nach dem Aufbruch im Tal in der offenen Grube der Sennhütte das lustige Feuer unter der Wasserpfanne. Nach den wenig gemütlichen Nächten des ver-vergangenen Bergsommers in der qualvollen Enge überfüllter Klubhütten genossen wir das traute Zusammensitzen in der sauberen, freundlichen Stube der Sennen. Der Pfeifenrauch vermengte sich mit dem des Heizofens, und über dem dampfenden Teekrug erhellte die Petrollampe spärlich das Gemach.

Nach der ruhigen Nacht in den Betten der sommerlichen Alpbewohner erhoben wir uns nicht viel früher als die sonntäglichen Predigtgänger in der Stadt. Welch ein Unterschied gegen die nächtlichen Aufbrüche zu grossen Sommerfahrten! Um die Felsen der Spillgerten geisterten noch kalte Nebel, während an den Voralpengipfeln der gegenüberliegenden Talseite die Sonne einen warmen Tag ankündigte. Durch das Hüttenfenster fiel der Blick auf die am Horizont stehenden grauen Türme der vertrauten Gastlosen. Humor ersetzte den sonst so schweren Inhalt der Säcke, als wir über die Scheidegg, den Übergang ins Diemtigtal, dem Nordostgrat der Spillgerten zustrebten. Die gemütliche Gangart liess die Gedanken vorausschweifen zum kommenden Winter und Pläne schmieden. Im Geist versetzten wir die Landschaft unter eine blendend weisse Decke und suchten schon nach der besten Spur auf umliegende Skiberge.Vertraute Routen wurden rasch überflogen, um bei neuen Wegen länger zu verweilen. Doch bald lockten ob all dem Verweilen beim Winter die warmen Felsen des heutigen Zieles. In beweglichen Zweierseilschaften bummelten wir über den vorerst grasdurchsetzten Rücken. Die unschwierigen felsigen Aufschwünge liessen jede Partie ihren eigenen Weg suchen, bis der plattige Abstieg von der ersten Graterhebung in eine Scharte die privaten Routen zwangsläufig wieder vereinigte. Zwar erlaubten die Vibramsohlen ein flüssiges Gehen, einzig die Tricouniabsätze erheischten eine gewisse Vorsicht. Ein zweiter Aufschwung stellte sich uns in den Weg, der über ein etwa zehn Meter hohes Wändchen angegangen wird. Kleine, aber gute Griffe und Tritte liessen uns auch dieses Hindernis rasch überwinden. Wieder tauchten wir vom sonnenüberfluteten Grat in eine schluchtartige, schattige Scharte hinunter. Zugang zur nächsten Graterhebung, der letzten vor dem Gipfel, vermittelt ein Kamin. Wohl liess es sich, abgesehen vom Einstieg, gut ersteigen, aber die Steilheit verursachte doch etwas Atemnot. Das Warten auf die nachfolgenden Seilschaften beruhigte den fliegenden Atem wieder, und die Lust nach einem « Schluck » aus der Pfeife wurde übermächtig. Auch mein Seügefährte konnte der Versuchung nicht wiederstehen, aus dem Sack die Utensilien zu einer verfrühten Gipfelpfeife zu kramen. Ob dem Bewundern der Aussicht und dem Raten über verschiedene « unbekannte » Gipfel beförderte eine ungeschickte Bewegung seinen Sack in die Tiefe. Über eine Felsnase entschwand er unseren Blicken.

Auf dem 2479 m hohen Gipfel waren wir dann in Hose und Hemd schutzlos dem Wind ausgesetzt. Pullover und Bluse hatten die unfreiwillige Luftfahrt im Sack mitgemacht. So blieb der Wunsch nach einer letzten schneefreien Gipfelrast ein unerfüllter Traum. Ersatz bot das seltene Phänomen eines Brockengespenstes auf der über der Frohmatt lagernden Nebeldecke. Glücklicherweise erwies sich die überstürzt vorgenommene Einstellung des Photoapparates als richtig, so dass nun zu Hause auf der Leinwand die Naturerscheinung jederzeit in natürlichen Farben hervorgezaubert werden kann.

Eine 15-Meter-Abseilstelle leitete über zum Abstieg auf dem Südgrat. Seine grasdurchsetzte Flanke meidend, folgten wir der Kante, welche wieder zahlreiche Varianten erlaubte. Der kurze Grat endet in einem Sattel, von wo eine wilde « Abfahrt » im staubigen Geröll grosse Anforderungen an das Schuhwerk stellte. Hier wurde auch der ausgerissene Sack, nur wenig beschädigt, wieder gefunden. Allerdings hatten sich in ihm Äpfel und Schokolade zu einem unappetitlichen Tutti-Frutti vermischt. Schwerer wog der Verlust eines vorzüglichen Kletterhammers und der in Österreich billig erstandenen Haken. Wollte sich der Berg dafür rächen, dass vorsichtshalber dieses an ihm ja unnötige Werkzeug mitgeschleppt wurde?

Der Bummel zurück nach der Frohmattalp und nach ausgiebiger Mittagsverpflegung die Wanderung nach Zweisimmen liessen uns Zeit, auch innerlich mit einem Bergsommer und -herbst abzuschliessen.

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