Täschhorn-Teufelsgrat | Club Alpino Svizzero CAS
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Täschhorn-Teufelsgrat

Hinweis: Questo articolo è disponibile in un'unica lingua. In passato, gli annuari non venivano tradotti.

Von Margaret Wunsch

Mit 2 Bildern ( 3, 4Basel ) Grauer Himmel lacht glückverheissend, als wir pickel- und steigeisenbewaffnet auf der Zermatter Avenue vor den Führern defilieren. Wem gilt 's? Dem Teufelsgrat - juhee! Ich kann es noch nicht fassen, wagte ich doch bisher nur in stillen Stunden, ganz, ganz heimlich davon zu träumen, als von einem fernen Glück. Doch durch Theodors Küchenfenster hat mir der Versucher jene lockende, dunkle Linie des Täschhorns gezeigt, und der Verführer im Führer-kleide hat das schwache Feuerlein des Glaubens mit feurigen Kohlen der Beredsamkeit zu höllischer Glut entfacht. Teufelsgrat - ein Traum wird Wirklichkeit, und das Herz ist viel zu klein, das grosse Glück zu fassen.

Zwischen Zermatt und Täsch betreten wir einen kleinen Pfad. Kein Engel mit feurigem Schwert wehrt uns Sterblichen heute den Weg ins Paradies. Wir treten ein. Des Lärchen- waldes lichtdurchbrochner Schatten nimmt uns auf, ein muntres Bächlein singt sein helles Lied, weiss-grün beblätterte Zweige neigen sich zu sprudelnden Wellen. Dann biegt der Weg ins hochgelegene Weidland, und dem staunenden Auge öffnet sich der Blick aufs Weisshorn - doch weiter geht 's durch die abendliche Stille zur Täschhütte. Bald legen wir uns auf die federnden Matratzen. Erwartung und Ungewissheit gönnen nur kurzen, unruhigen Schlaf. Endlich rasselt der Wecker. Lange Minuten banger Ungewissheit vergehen. Da, ein Pochen. Der Petrollampe flackerndes Licht huscht durch den Raum, polternd geht 's die enge Treppe hinunter in den Essraum und nach einer Stunde mit gelockertem Gurt zur Hüttentür.

Über die Schwelle treten wir hinaus ins Land der Träume. Wolken ziehen über den nachtschwarzen Himmel, helles Wetterleuchten zuckt durcn das Dunkel, ferne weisse Gipfel und Grate stehen sekundenlang in magischem Licht. Nach anderthalb Stunden gewinnen wir über harten Schnee eine kleine Felsrippe. In das düstere Grau des Morgens bäumt sich in schwarzen Zacken der Teufelsgrat. Doch drohende Wolken erdrücken die Freude, lautlos fallen weisse Flocken. Ja, wir müssen zurück. Gebrochen und enttäuscht erreichen wir Zermatt. Ein Koffer wird gepackt - ade!

Zwei Wochen vergehen im Wechsel von Regen und Sonne. Eben höre ich die Kunde von unheimlichem Schneefall im Wallis, da schrillt das Telephon: « Ja, hie isch Theodor -Verhältnisse gut - komme sofort! » Das ist unser Stichwort. Nein, ich kann 's nicht fassen: kaum ist die letzte Hoffnung begraben, so erfüllt sich der Traum nun doch! « Ich komme. » Es ist schon 9 Uhr abends. Schnell werden Rucksack und Koffer gepackt. Eine schlaflose Nacht - und dann den Bergen zuWie ich in Täsch durchs Fenster blicke, fasst mein Auge ein bekanntes Gesicht. « Theodor! hallo, hallo! » Da steht er, lässt den Rucksack-, Pickel- und Kofferregen über sich ergehen und fasst auch mit kühnem Griff eine Gestalt, die in hohem Bogen dem schwankenden Wagen entspringt. Heissa, es gilt dem Teufelsgrat!

Und wie wir nun zusammen zur Höhe steigen, bin ich noch immer wie im Traum. Wie soll ich 's denn fassen, dass ich - gestern noch in grauen Mauern - nun plötzlich durch den Märchenwald ins Land des Lichtes ziehe? Des Baches Singen und das geheimnisvolle Flüstern vom Winde leicht bewegter Äste sind frohe Begleiter. Goldene Strahlen durchbrechen den Schatten und tanzen in leuchtenden Ringen auf braunem Grund. Und der Weg führt zur Höhe, dem Licht entgegen. Wie ist das Leben schön!

Plötzlich steht vor uns das Weisshorn. Goldenes Licht bricht sich am spitzen Gipfel und fliesst in funkelnden Wellen über Grat und Wand. Leichte Wolken schweben durchs tiefe Blau, den Zauber zu vermehren. Minutenlang stehen wir wie gebannt. Doch weiter führt der Weg, uns warten ja der Wunder viele.

3 Uhr. Pechschwarze Nacht verschlingt vermummte Gestalten, nur ein kleiner Lichtfleck irrt durch das Dunkel und bringt mit huschenden Kreisen Bewegung und gespenstische Formen in die starre Felsenwelt. Anderthalb Stunden mühelosen Steigens bringen uns zum steilen Couloir, dessen breite Rinne sich irgendwo im düstern Grau des Morgens verliert. Trub sind die Gedanken, denn die Führer halten kurzen, geheimen Rat. Keiner hat wohl den Mut, die Trauerbotschaft zu verkünden.

Doch - nun geht 's weiter - steil empor. Träume ich denn? Heiss packt mich beklemmende Angst, jäh zu erwachen. Zaghaft zupfe ich am Seil: « Theo, isch 's wohr? » Doch er hat für törichte Fragen keine Zeit. So schnell die Füsse tragen, steigt er zur Höhe, als fürchte auch er ein allzufrühes Erwachen. Also hintendrein und mit Mühe das Tempo gehalten. Dem direkten Aufstieg über wüstes Geröll folgt eine Traverse nach links. Grober, vom Eise nur schwach gehaltener Schutt entgleitet unter den Fussen. Am linken Couloirrand arbeiten wir uns über eisdurchzogene Felsen zur Höhe. Unversehens kommen wir vom Steigen ins Klettern. Wir sind am Teufelsgrat. Das lose Gestein fordert eine eigene Technik. Mit flachen, angepressten Händen die losen Platten gleichsam haltend, schieben wir uns behutsam über den Grat auf die Höhe des ersten Turmes. Soeben ist Theodor nach einer kleinen Traverse durch die Wand mit unnachahmlicher Eleganz über eine Platte auf den Grat zurückgestiegen. Staunenden Auges sehe ich seine Sohlen über mir im Nichts verschwinden, als mein Kennerblick auch schon eine bessere Route entdeckt. Mit der rechten Hand die Gratkante fassend, die Füsse gegen die Wand gestemmt, komme ich rasch voran, bis ein Überhang mich jäh hinausdrängt. « Theodor halt'mich! » Da hänge ich nun mit meinem Kennerblick. Die Vibramsohlen kleben am Fels, und die Hände suchen vergeblich Halt in der griff losen Luft. Am gespannten Seil weit hinauslehnend, stosse ich mit den Fussen vom Fels, fliege durch die Luft, lande mit klatschendem Laut bäuchlings auf dem Überhang. « Theodor, was git 's do z'lache ?» - Mit dem Schwinden alles Traumhaften wächst der Glaube an die Wirklichkeit.

Still und farblos ist der Tag erwacht. Schwer und dumpf umklammern graue Wolkenmassen Gipfel und Grate, das hellste Licht zum fahlen Scheine brechend. Dies blasse Grau gibt eine eigene Atmosphäre. Etwas Unfassbares hält uns in Bann.

Doch, da stehen wir wieder einmal vor einem steilen Aufschwung in tiefer Scharte. Die Führer queren um einen Felsvorsprung links in die Wand. Langsam läuft dis Seil durch unsere Hände. Nach langem Warten darf meine Kameradin endlich folgen. Plötzlich wirbelt ein eisiger Wind weisse Flocken in die Scharte. Schlotternd taste ich im Rucksack nach dem Schafwollenen und suche hinter den Felsen Schutz vor dem Sturm. Endlich der ersehnte Ruf: Nachkommen! Ein paar tastende Schritte auf schmaler Leiste um den Vorsprung führen hinaus in eine eisdurchzogene, steil abfallende Wand. In Seillänge vor mir auf gleicher Höhe steht meine Kameradin unter einer senkrecht zum Grate führenden Rinne. Unter uns fällt die Wand in jähem Sturz zum Gletscher. Steine poltçrn über die Flanke. Bange Sekunden folgen. Gott sei Dank! wir stehen noch beide unverletzt in schlechtem Stand im Fels verkrampft. Endlich darf ich hinüberqueren und durch den Riss zur Grathöhe steigen. Oben erfahre ich, dass sich das Seil im Fels verklemmt und die Führer zu einer äusserst heiklen Traverse über bröckelndes Eis durch die Wand gezwungen hat - zwei Stunden Zeitverlust. Darum schnell weiter über den Grat.

Und dann jene schmale, tiefe Kluft, der ein senkrechter, im untern Absatz überhängender Aufschwung folgt. Schon sind Lex und Theo hoch über uns. Meiner Kameradin, die mit Nagelschuhen kämpft, biete ich Knie und Schultern. Meine Vibram sind unbezahlbar. Das Gestein ist hier fest. Sichere Griffe ermöglichen ein rasches Klettern bis zum Ende des Teufelsgrates.

Der Aufstieg zum Gipfel muss wohl steil sein. Von wehenden Schneefahnen begleitete ziehende Nebel nehmen jede Sicht. Bleierne Müdigkeit überfällt mich. Da greift Theo nach meiner Hand: « Ich gratuliere! » Nur eine kurze Gipfelrast ist uns gegönnt. Vergeblich sucht das Auge nach leuchtenden Gipfeln und schimmernden Wänden. Undurchdringliches Grau beschränkt die Sicht. Schicksalergeben folgen wir unsern Führern um 3 Uhr zum vorgeschlagenen direkten Abstieg durch die Flanke, über den Kiengletscher und hinunter nach Randa. Weicher Schnee ermöglicht ein sicheres Absteigen. Bald bessert sich die Sicht. Ein weisser Hang fliesst in weichen Wellen zur Tiefe. Theodor, der Mohikaner, erschnuppert mit angeborenem Spürsinn weit unten eine Trasse. Im Galopp geht 's hinunter und quer durch den Hang in den wundersamen Stapfen weit nach rechts, bis sich die rätselhafte Spur plötzlich im Nichts verliert. War der Teufel hier am Werk? Von Theo gesichert, wage ich ein paar Schritte zur Tiefe. Aber die Neigung der Wand lässt keine Orientierung zu - weit, weit unten erst schimmert mit blankem Eis der Kiengletscher. Also zurück. Irgendwie, irgendwo muss es gehen.

Plötzlich Blitze und dumpfes Donnergrollen. Noch ist das Gewitter nicht bei uns. Aber dort, über der weiten Fläche des Kiengletschers, zuckt unheimliches Licht. Wir eilen, was uns die Füsse tragen, über Schnee und glashartes Eis, der Gefahr zu entrinnen. Regen und Schnee begleiten uns über einen mit Trümmern bedeckten Felssporn. Und dann-Gott weiss, wie es ging - rutschen wir durch steile Eisbrüche, springen über gähnende Spalten mit geradezu traumhafter Sicherheit. Was sonst selbst mit den Steigeisen ein Wagnis scheint, wird nun, gehetzt vom drohenden Wetter, auf Vibram im Fluge genommen. Endlich liegt der Gletscher hinter uns. Wir hasten über graue Blöcke durch den triefenden Regen. Längst schon klatschen meine Manchester zu jedem Schritt den Takt, zwischen den Zehen quietscht 's, und über Nase und Backen rauschen die Wasser. Doch, was tut 's? Wir sind der schlimmsten Gefahr entronnen. Noch eine fürchterliche, mit glitschigem Grund überzogene Steilhalde, und punkt 7 Uhr umgibt uns stockdunkle Nacht.

Was nunAlexander Taugwalder weiss etwas von einem Geisspfad hinunter nach Randa. Gar lieblich tönt diese Kunde. Doch wir suchen in der Dunkelheit vergeblich. Er schwärmt von einer Balme und vom Biwakieren. Nein, nur das nicht, so durchnässt bis auf die Haut. Ich leiste erbitterten Widerstand. Doch nach einer weitern Stunde sitze ich klein und hässlich unter einem überhängenden Fels. Lex und Theo suchen mit der Laterne nach dem Pfad. Wie lange wir so sitzen, schlotternd und zähneklappernd, ich weiss es nicht. Es ist mein erstes Biwak. Und ich muss sagen, mein romantischer Sinn hat sich da allerhand Illusionen gemacht.

Aus dumpfem Brüten weckt uns frohe Botschaft: Der Weg ist gefunden. Ein kurzer Abstieg durch den steilen Hang, und der Geisspfad nimmt uns gnädig auf. Doch über jede Kurve schiessen wir, vom hüpfenden Licht getäuscht, ein paar Schritte hinaus, und das Suchen beginnt von vorn.

Endlich sind wir bei der alten Kienhütte. Begeistert will ich mich setzen, als mich Theodor behutsam am Arme fasst. Unheimliche Geschichten weben um die Hütte. Wir treten wieder hinaus, und die Leiden beginnen neu. Weit unten schimmern die Lichter von Randa, ach so unermesslich fern. Alle paar Schritte reisst ein nasser Fels die Füsse unter mir weg. Ich bin zum Stehaufmännlein geworden und müde, ach so müde.

Ein wenig strafft sich der gebeugte Rücken, als wir um Mitternacht in Randa einmarschieren. Betten sind keine aufzutreiben - ist mir ja auch alles egalDoch, ein guter Geist braut uns in der Hotelküche einen heissen Grog. Ich erwache aus meiner Trance, denn gar lieblich duften Speck und Spiegeleier. Ist das gut! An Appetit fehlt es nicht, hatten wir doch seit morgens 2 Uni1 nichts mehr gegessen. Und jetzt einen Fendant!

Frisch gestärkt beginnt ein froher Marsch auf sicherer Strasse. Ein paar Sterne blitzen am Himmel. Es regnet nicht mehr. Die Nacht ist frisch und so romantisch! Vor Täsch halten wir letzte Rast. Eine Flasche geht von Mund zu Munde - Lait du Valais = Weisswein.

Quietschfidel starten wir zum Endspurt. Selbst dem Ahnungslosen würde der Hexen-schritt den Bund mit dem Teufel verraten.

Zaghaft erst dämmert der Morgen, als wir um 4 Uhr in Zermatt einmarschieren, stolz wie Spanier. Dann aber zwei Treppen hoch, ein weiches Bett und chchchTeufelsgrat! der Kampf war hart. Doch keine Minute des Erlebens möchte ich missen.

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