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Über Lawinen und Lawinenverbau

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Von Franz Fankhauser.

So gewöhnliche und allbekannte Erscheinungen in den Hochtälern unserer Alpen die Lawinen sind, so unbestimmte und wenig zuverlässige Auskunft erhält man über sie, sobald es sich darum handelt, ihre Ursachen und ihre Eigenart genauer festzustellen.

Es wird sich darüber nicht verwundern, wer bedenkt, wie ausserordentlich selten sich Gelegenheit bietet, dieses Naturereignis im Momente und am Orte seiner Entstehung zu beobachten. Man ist infolgedessen in der Hauptsache darauf angewiesen, sich nach dem nachträglich Wahrzunehmenden ein Bild des Vorganges zu konstruieren.

Die hieraus sich ergebende Unsicherheit dürfte es rechtfertigen, das Thema in einem Leserkreise zur Sprache zu bringen, der sich unter anderm auch die Erforschung unseres Hochgebirges und seiner besondern Bedingungen als Aufgabe gestellt hat. Möge der Versuch, einige neue Gesichtspunkte geltend zu machen, wohlwollende Beurteilung finden.

Unter dem Einfluss der Schwerkraft setzt der zu Boden gelangte Schnee seine Bewegung in dreierlei Weise fort, nämlich:

1. durch Setzen oder Zusammensintern; 2. durch Fliessen, indem die vereisten Schneekörner, ähnlich wie das Eis im Gletscher, sich langsam verschieben, und so die ganze scheinbar starre Masse sich allmählich hangabwärts bewegt; 3. durch Gleiten oder Abstürzen auf stark geneigter Fläche.

Da beim Zusammensintern des Schnees eine seitliche Verschiebung nicht stattfindet, so kommen für die nachfolgenden Betrachtungen nur die beiden letztern Arten der Schneebewegung in Frage.

1. Das Fliessen des Schnees.

Das Fliessen, das man, der französischen Benennung « la reptation de 1a neige » entsprechend, wohl am besten als Kriechen des Schnees bezeichnet, wird hauptsächlich an mässig geneigten Hängen wahrgenommen. Bedingung dafür ist, dass der Schnee sich mehr oder weniger in Firn, bestehend aus kristallinischen, durch Eiszement verkitteten Eiskörnern, verwandelt habe. Unter dem Einfluss der Schwerkraft erleiden sie durch Schmelzen und Regelation eine Umlagerung, welche die langsame Bewegung der ganzen Schneeschicht zur Folge hat.

Da die Verfirnung durch öftern Wechsel von Tauen und Gefrieren verursacht wird, so kommt das Kriechen des Schnees namentlich an Südhängen vor, wo ihn tagsüber die Sonnenwärme zum Schmelzen bringt, worauf er nachts wieder gefriert. Es kann aber unter Umständen auch in andern Lagen mit Tauwetter wiederholt abwechselnder starker Frost die nämliche Wir- kung hervorbringen. Immerhin ist es meist erst das Frühjahr mit seiner steigenden Temperatur, welches das Kriechen des Schnees auslöst.

Wie unschwer verständlich, bewegt sich der kriechende Schnee ausserordentlich langsam fort, so dass das Auge die Verschiebung nur nach einem gewissen Zeitraum zu erkennen vermag.

So haben im Juli 1914 Messungen an der Twerenegg, im Einzugsgebiet des Schwanderbaches bei Brienz, auf 1930 m, ergeben, dass die im Schnee eingesteckten Pfähle sich bei einem Gefäll des Bodens von etwa 75 % in 13 Tagen oder genauer in 316 Stunden nur um 28 cm, also in der Stunde nicht ganz um 0,9 mm verschoben.

An dem mit etwa 60 % Neigung gegen Süden abdachenden Hang ob dem Dorfe Saxeten, 1250 m, bei Interlaken dagegen soll in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts beobachtet worden sein, dass die Schneedecke sich in der Stunde um 5—6 cm vorwärts bewegte. Es würde dies wohl ziemlich dem Maximum der Geschwindigkeit des Kriechens entsprechen.

So langsam aber die Bewegung, so überraschend ist oft ihre Wirkung. Je nach der Höhe der Schneedecke und dem durch ihr Gewicht auf die Bodenoberfläche ausgeübten Druck wird nämlich auf dieser eine Reibung erzeugt, die sich um so stärker äussert, je weiter die Verfirnung fortgeschritten ist. Ähnlich wie der Gletscher sein felsiges Bett vertieft und erweitert, greift auch der kriechende Schnee seine Unterlage an.

So konstatiert man oft in Weiden und Wildheumahden, wie im Frühjahr nach dem Aperwerden des Bodens auf Flächen von mehreren Quadratmetern oder selbst Aren der Rasen glatt abgeschürft ist, fast wie wenn eine Lawine darübe rgegangen wäre ( Bild 1 ). Und in der Tat schreiben manche den Schaden irrtümlicherweise einer solchen zu, während er in Wirklichkeit vom « Sueggischnee » 1 ), wie man im Berner Oberland den kriechenden Schnee nennt, herrührt.

Auf die nämliche Ursache ist das häufig beobachtete Abstossen von quer am Hang verlaufenden Wegen und Zäunen, das Ausreissen von Jung-wuchsgruppen etc. zurückzuführen. Nicht selten aber werden davon selbst mächtige alte, einzelnstehende Bäume entwurzelt ( Bild 2 ), die Mauern von Gebäuden eingestossen und nur wenig aus dem Boden hervorragende Felsblöcke, mitunter von mehreren Kubikmetern Grösse, hangabwärts verschoben.

Dass in den einzelnen Jahren die Wirkung des kriechenden Schnees eine recht verschiedene ist und es oft Jahrzehnte dauert, bis er wieder die ausserordentliche Gewalt erlangt, wie z.B. im Frühjahr 1920, erklärt sich unschwer aus seiner Abhängigkeit von der Firnschneebildung, die ihrerseits wieder durch die Witterung bedingt wird.

Aber noch ein weiterer Umstand macht sich dabei geltend: der Zustand des Bodens. Ist dieser hart gefroren, so bilden seine Unebenheiten für die Fortbewegung des « Sueggischnees » selbstverständlich ein ganz anderes Hindernis als in aufgetautem Zustand. Bekanntlich erhält sich aber der 1 ) Von « sueggen« = zögern, « zaaggen », etwas langsam verrichten.

Boden unter der isolierenden Schneedecke den ganzen Winter über gefroren oder ungefroren, wie er im Herbst beim Einschneien war. Es erklärt uns dies, warum auch bei der gleichen Schicht kriechenden Schnees der Schaden an Boden, an Holzwuchs etc. bald bedeutend, bald nur geringfügig sein kann.

Dass es aber den Tatsachen entspricht, wenn man annimmt, der kriechende Schnee wirke als hartgefrorene, vielleicht hektarengrosse, zusammenhängende Firnschneetafel, die auf ein einzelnes Hindernis einen enormen Druck ausüben muss, ergibt sich aus den regelmässig nebeneinander gelagerten Firnschnee-schollen, auf die man mitunter im Frühjahr in höhern Lagen stösst. Es sind dies nämlich Trümmer fester Firnschneeschichten, die, über eine konkave Bodenstelle geschoben, hier zerbrachen, ohne dass die einzelnen Teilstücke ihre gegenseitige Lage stark verändert hätten ( Bild 3 ).

Gleitet dagegen die kriechende Schneeschicht über einen konvexen Gefällsbruch hinaus, so bricht, wenn der verfirnte Schnee das Gewicht des vorgeschobenen Teils nicht mehr zu tragen vermag, dieser ab und stürzt in die Tiefe.

2. Das Gleiten des Schnees.

Ganz anderer Art als die bis dahin betrachteten, ein Fliessen des Schnees verursachenden Bedingungen sind diejenigen, welche sein Abgleiten, die Lawinenbildung bewirken. Hier ist es die Lockerheit der Schneemasse, die zur Bewegung Anlass gibt.

Fehlt dem Schnee der innere Zusammenhang, seine Kohäsion, so kommt er auf stark geneigter Fläche ins Butschen, sobald er eine gewisse Höhe erreicht hat, ähnlich wie trockener Sand, mit zu steiler Böschung angehäuft, abstürzt.

Andrerseits aber kann das Abgleiten der Schneedecke dadurch veranlasst werden, dass sie, durch Auftauen erweicht, ihre feste Verbindung mit der Unterlage, die Adhäsion an den Boden oder eine ihn bedeckende, stark verharschte Schneeschicht verliert und wegen mangelnden Haltes abfährt.

Aus dem Gesagten aber dürfte sich ergeben, dass, da die Entstehungsursachen von den im vorhergehenden Abschnitt erörterten gänzlich verschieden sind, die fliessende Bewegung nicht in eine gleitende übergehen, also aus dem kriechenden Schnee nie eine Lawine entstehen kann.

Vor näherem Eintreten auf die bei der Lawinenbildung sich abspielenden Vorgänge erscheint es angezeigt, den verschiedenen Zustand der Schneedecke nach Schneehöhe und Schneebeschaffenheit kurz zu betrachten.

a ) Die Schneehöhe.

Über die Schneehöhe orientieren uns die von der eidgenössischen meteorologischen Zentralanstalt angestellten Niederschlagsmessungen insofern, als wir nach Direktor Maurer wissen, dass bei 3500 m Meereshöhe alle Niederschläge in fester Form fallen, während bei 3000 m annähernd 90%, bei 2000 m etwa 60% und bei 1000 m 26% aus Schnee bestehen. Die meteorologischen Beobachtungen geben somit auch Auskunft über die Summe der Schneehöhen eines Jahres.

Übersichtlich dargestellt finden sich diese Daten in der Regenkarte der Schweiz, welche erkennen lässt, dass, entsprechend den Niederschlagsmengen, auch die Schneehöhen in unserem Lande recht ungleichmässig verteilt sind und dass z.B. das Gotthardmassiv mit seinen verschiedenen Ausläufern zu den schneereichsten, das Wallis mit seinen südlichen Seitentälern und das Engadin dagegen zu den relativ schneeärmsten Gegenden der Schweiz gehören.

Im fernen geht aus den Niederschlagsmessungen hervor, dass mit der Erhebung über Meer durchwegs die Schneehöhe zunimmt. So beträgt z.B. im Reusstal die Summe der in einem Jahre gefallenen Neuschneehöhen im Mittel:

in Altdorf, 450 m 63 cm in Gurtnellen, 740 m 239 » in Göschenen, 1110 m 498 » in Andermatt, 1445 m 638 » auf dem St. Gotthard, 2100 m.... 1130 » Wichtiger als die Summe der jährlichen Neuschneehöhen sind für die Frage der Lawinenbildung allerdings die wirklichen Schneehöhen. Von den uns zu deren Darstellung von verschiedenen Seiten freundlichst zur Verfügung gestellten Zahlenreihen mögen nur zwei folgen, die zugleich den zwischen St. Gotthard- und Monte Rosa-Massif bestehenden grossen Unterschied veranschaulichen, soweit dies durch Zahlen verschiedener Jahrgänge möglich ist.

Es betrug die wirkliche Schneehöhe:

zwischen Innertkirchen und Grimselpass ( nach Angaben der Direktion der Bernischen Kraftwerke ) am 29. Februar 1924 in Innertkirchen, 631 m 30 cm im Boden, 905 m100 » in Guttannen, 1061 m140 » an der Handeck, 1417 m250 » am Räterichsboden, 1705 m280 » am Grimselhospiz, 1876 m300 » auf dem Grimselpass, 2165 m250 » zwischen Visp und Mattmark ( nach Angaben von Ing. Lütschg, Hydrologe der eidg. meteorol. Zentralanstalt ) am 1.4. Februar 1923.

in Visp, 653 m25 cm in Stalden, 800 m25 » in Eisten, 1004 m30 » bei der Bodenbrücke, 1275 m35 » in Saas-Grund, 1565 m38 » in Almagell, 1680 m42 » in Unter-Mattmark, 2109 m70 » Leider lässt aber die Regenkarte, wie die meisten direkten Messungen, die höhern Lagen unserer Alpen bis auf geringe Ausnahmen offen, und die Frage bleibt somit unbeantwortet, ob von 2000 m Meereshöhe an die Niederschläge weiter wachsen oder ob sie, wie der Meteorologe Hann annimmt, von hier an wieder zurückgehen 1 ).

Über diesen wichtigen Punkt verdanken wir sehr schätzenswerte Aufschlüsse den Bernischen Kraftwerken. Aus deren Erhebungen im Aare-einzugsgebiet geht hervor, dass am Oberaarjoch, 3300 m ü. M., zirka 80 % mehr Niederschlag fallen als bei 1900 m an der Grimsel.

Auch aus den Messungen der eidgenössischen meteorologischen Zentralanstalt in den Lütschinentälern ergibt sich, dass die Niederschläge von der Talsohle bis zum Jungfraujoch bei 3450 m ständig wachsen.

Endlich gelangt Ingenieur Lütschg durch seine Untersuchungen im Monte Rosa-Gebiet zum Ergebnis, dass hier die Zone der maximalen Niederschläge zwischen 3000 und 3500 m Meereshöhe liegen dürfte.

Es steht somit sicher ausser Zweifel, dass mit der Erhebung über Meer die Mächtigkeit der Schneedecke in den Alpen bis weit über die Grenze des ewigen Schnees hinaus beständig zunimmt.

Erwähnt seien endlich noch die Messungen, welche Forel und Mercanton 1 ) während zehn Jahren zwischen Orsières ( 980 m ) und dem Grossen St. Bernhard ( 2230 m ) vornehmen liessen. Sie ergaben unter anderem, dass die Schneedecke zu Ende des Winters ihr Maximum erreicht, und zwar um so später, je grösser die Meereshöhe ist.

b ) Die Schneebeschaffenheit.

Die verschiedene Beschaffenheit des Schnees gelangt namentlich zum Ausdruck in dessen Dichtigkeitsgrad. Dieser schwankt innert den weitesten Grenzen. Vom leichten Flaumschnee, der von jedem Windhauch weggetragen wird, bis zum Firnschnee, der als mächtige « Gwechte » viele Meter weit über den Felsabsturz hinausragt, kommen alle Übergänge vor.

In Hochlagen schneit es selten bei Temperaturen von mehr als 0°. Der Schnee fällt deshalb, entsprechend dem geringen Feuchtigkeitsgehalt der Luft, meist leicht und trocken. Das spezifische Gewicht solchen frischen Pulverschnees beträgt gewöhnlich nicht mehr als 0,06—0,08, entsprechend 60—80 kg per m3.

Es kann aber auch bei grosser Kälte schneien. Nach den Untersuchungen Mougins in Savoyen und namentlich auf dem Gletscher der Tête-Rousse, 3200 m, an der Nordwestabdachung des Mont Blanc 3 ), schneit es unter Umständen bei Temperaturen von 15 und noch mehr Grad unter Null. Es entsteht dann Schnee von 0,03, 0,02 und noch weniger spezifischem Gewicht, der durch Lütschg als sogenannter « wilder Schnee » aus dem Walliser Saastal bekannt geworden. Er ist so leicht, dass er beinah wie Wasser von der Schaufel fliesst.

Mit dem Alter nimmt naturgemäss die Dichtigkeit des Schnees zu. Eidgenössischer Forstinspektor E. Hess bestimmte das spezifische Gewicht zweitägigen Schnees in Obergestelen ob Zweisimmen bei 1850 m zu 0,10—0,15, Lütschg in Almagell im Saastal bei 1670 m vor dem Neujahr zu 0,27—0,35 und gegen das Frühjahr zu 0,40—0,50. Bei stark wasserhaltigem Schnee steigt das spezifische Gewicht bis zu 0,8 und noch höher.

Wie wir gesehen haben, wächst die Dichtigkeit des Schnees auch infolge wiederholten Auftauens und Gefrierens. Zuerst bildet sich nur eine oberflächliche Harschschicht, nachher aber, je länger je mehr in die Tiefe dringend, der Firnschnee.

e ) Die Entstehung der Lawinen.

Als Lawinen bezeichnet man bekanntlich grössere Schneemassen, die sich am steilen Hang in Bewegung setzen und, fortwährend an Masse zunehmend, in die Tiefe gleiten, bis sie die geringe Neigung des Bodens zum Stillstand bringt 1 ).

Damit diese Bewegung eintrete, ist selbstverständlich eine gewisse Steilheit des Hanges notwendig. Man nahm früher an, sie müsse mindestens 27—30° betragen 2 ), doch haben Autoren des Skisportes dieses Minimum wohl mit Recht auf 22—24° herabgesetzt 3 ). So aufmerksame Beachtung solche Zahlen seitens aller das Hochgebirge im Winter Aufsuchenden verdienen, so geringe Bedeutung besitzen sie für die Praxis des Lawinenverbaues, da man Vorkehren doch nur treffen wird, wo tatsächlich Schneerutschungen stattfinden.

Bemerkenswerter erscheint, dass es auch ein Maximum der Neigung gibt, das die Entstehung von Lawinen ausschliesst. Übersteigt nämlich das Gefäll 45—50°, so rieselt oder rutscht der Schnee in kleinen Mengen ab, sobald er 20 oder 30 cm Höhe erreicht hat. Er sammelt sich dann meist am Fuss von Felsen, in Runsen und bleibt hier liegen bis zum Frühjahr, um bei der Schneeschmelze vielleicht als Lawine abzugehen.

Ein weiterer, für die Entstehung von Lawinen sehr wichtiger Faktor ist die Höhe der Schneedecke. Auch am sehr steilen Hang wird selbst trockener Pulverschnee nicht in Bewegung geraten, wenn er nicht eine gewisse Mächtigkeit erlangt hat. Erst bei hinreichend grossem Schneegewicht vermag der Druck den Widerstand der Reibung zu überwinden. Es erklärt uns dies, warum man im Jura und im Hügelland wohl vereinzelte geringfügige Schneerutschungen, doch keine wirklichen Lawinen kennt, obwohl auch hier sehr abschüssige Lehnen nicht fehlen. Ebenso bringt es die geringe Schneehöhe mit sich, wenn in den relativ schneearmen Westalpen und in den Pyrenäen den Lawinen eine ungleich geringere Bedeutung zukommt als in den Zentralalpen.

Aber auch aus der Wirkung der von einem Jahr zum andern stark schwankenden winterlichen Niederschlagsmengen ergibt sich die Abhängigkeit der Lawinenbildung von der Schneehöhe in unanfechtbarer Weise. So wird unter anderem durch die mit dem Jahr 1594 beginnende und bis in die neuere Zeit fortgeführte Lawinenchronik des Bedrettotales von Pfarrer Paolo Soldati in Villa-Bedretto 1 ) vortrefflich illustriert, wie Lawinenkatastrophen regelmässig starke Schneefälle vorangehen.

Es liesse sich eine Menge weiterer Beispiele für den Zusammenhang von Lawinenbildung und Schneehöhe anführen, doch seien deren nur zwei erwähnt. Die ungewöhnlich reichlichen Schneemengen der Woche vom 15.21. Februar 1925 hatten namentlich im Tessin, in Graubünden und den oberitalienischen Gebirgstälern grossen Schaden zur Folge. Sodann haften wohl noch in Aller Erinnerung die enormen Schneefälle der zweiten Februar-woche 1927, infolge deren sogar auf Korsika Lawinen den Bahnverkehr unterbrachen, viele Häuser zerstörten und eine Anzahl Menschenleben forderten.

Allerdings weist Lütschg auf die niederschlagsarmen, doch sehr lawinengefährdeten Walliser Vispertäler hin, um einen Zusammenhang zwischen Schneehöhe und Lawinenhäufigkeit in Abrede zu stellen. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass jene Täler von sehr hohen, zum Teil bis weit über 4000 m äusserst steil ansteigenden Gebirgszügen eingefasst werden, die in eine niederschlagsreichere Region hineinragen. Dieser Umstand muss sich um so ausgesprochener geltend machen, als in so beträchtlicher Höhe alle Niederschläge als Schnee fallen.

Im übrigen ist die Niederschlagsmenge nicht allein ausschlaggebend. In mindestens ebenso hohem Masse fällt die Wirkung des Windes in Betracht, der den Schnee von den exponierten Gräten und Planken weg-trägt und an andern Orten oft zu riesigen Massen anhäuft. So z.B. setzte am Abend des 28. Dezember 1923 im Urserntal ein heftiger Nordwind ein, der den frisch gefallenen Schnee derart zusammenwehte, dass von Mitternacht an ein Lawinenfall eintrat, wie man sich eines solchen nicht erinnern konnte. Der ganze rechtseitige Hang, von Hospenthal bis innerhalb Realp, brach beinahe als eine einzige gewaltige Staublawine los und zerstörte unter anderm eine Anzahl mehr als 100jährige Ställe, die man für absolut lawinensicher gehalten hatte.

Wir kommen also zum Schluss, dass die Häufigkeit und die Mächtigkeit der Lawinen in erster Linie durch die Höhe der Schneelage bedingt werden.

Wesentlich anders als die Schneehöhe macht die Schneebeschaffenheit ihren Einfluss geltend. Von ihr hängt vornehmlich die Eigenart der Lawine ab.

Wie wir bereits gesehen haben, ist zu unterscheiden, ob die fehlende Kohäsion des Schnees oder dessen geringe Adhäsion an die Unterlage die Schuld am Abgleiten der Schneeschicht trage.

Betrachten wir zunächst die bei ungenügender Kohäsion entstehenden Lawinen.

Am gleichmässig geneigten Hang gleitet in der Regel auch der lose Schnee in ziemlich dichter Form ohne heftigen Luftdruck und ohne nennenswerte Staubentwicklung ab und lagert sich am Fusse des Hanges in kompaktem, mehr oder weniger weit ausgebreitetem Schneekegel.

Dieser Art waren z.B. die Lawinen, die sich am 23. Dezember 1919 am Schiahorn und am Dorfberg ob Davos ablösten. Nachdem hier auf eine bereits vorhandene hohe Schneeschicht während dreier Tage reichlich Neuschnee gefallen war, bildeten sich Lawinen, die durch die Gewalt der abgleitenden Schneemassen Gebäude teils verschoben, teils wegrissen, Wald nieder-warfen und andern Schaden anrichteten 1 ).

Ähnliche Lawinen ereigneten sich als Folge der grossen Neuschneefälle und heftigen Schneetreiben vom 12. bis 15. Januar 1915 in den Kantonen Wallis, Bern, Uri, Glarus, Graubünden. Auch hier wirkte der in trockenem und lockerem Zustande abgegangene Schnee lediglich durch die Wucht seiner Masse. Im Dorfe Obergestelen ( Goms ), das namentlich arg mitgenommen wurde, zerstörte eine Lawine eine ganze Anzahl Häuser, während sie in andere eindrang und vom Keller bis zum Dach alles zugrunde richtete.

Stürzt dagegen der nämliche Schnee über eine Felswand herunter, so entsteht eine Staubwolke und ein durch die Luftkompression bewirkter, mehr oder weniger heftiger Windstoss.

Natürlich vermag eine geringe Schneemenge, zumal wenn sie nur über niedrige Felsbänder herunterfällt, auch nur einen schwachen Luftdruck zu erzeugen. Sie wälzt sich dann, wie dies Kunstmaler Willy Amrheim † in Engelberg durch kinematographische Aufnahmen am Südhang des Hahnen ob der Herrenrüti festgestellt hat, in gewaltigen Sprüngen, also nur von Zeit zu Zeit den Hang berührend und hier die Baumkronen hin- und herbewegend, wie ein riesiger elastischer Ball von Schneestaub über die geneigte Fläche ins Tal hinunter.

Anders, wenn sich eine grosse Masse Schnee auf einmal ablöst, wie z.B. bei der Bützilawine, die am 27. Dezember 1923 von der linken Seite des Muotatals niederging. Am felsigen obersten Steilhang anbrechend, stürzte sie, ohne besondern Lärm zu verursachen, doch eine turmhohe Staubwolke aufwirbelnd, über die schroffe Lehne hinunter. Schon bevor sie den Wald erreichte, wurden durch den vorauseilenden Luftdruck mächtige Bäume wie Zündhölzchen geknickt, an der gegenüberliegenden Talseite aber eine grosse Zahl von Tannen und Buchen hangaufwärts geworfen.

Eine noch ungleich gewaltigere Lawine dieser Art beobachtete Oberingenieur Käch, Direktor der Kraftwerke Oberhasli, am 15. Februar 1928 in der Schwändi ob der Grimselstrasse, ausserhalb Im Boden. Vom obersten Felsenkamm der Gallauistöcke sich ablösend und für einige Minuten die ganze Talseite in einen Nebel von Schneestaub hüllend, bedurfte die Golperlaui einer unglaublich kurzen Zeit, um einen Höhenunterschied von vielleicht 1400 m oder in direkter Luftlinie einen Weg von über 2700 m zurückzulegen. Dass eine solche mit grösster Geschwindigkeit die Talsohle erreichende Lawine einen ausserordentlich heftigen Druck erzeugen muss und bewirkt, dass der Schneestaub auf den von ihm getroffenen Steinen sich sofort in eine dichte Eiskruste verwandelt, bedarf keiner weitern Begründung.

Im übrigen wird der Einfluss, den die Grösse der auf einmal sich ablösenden Schneemasse ausübt, durch das verschiedene Verhalten ein und derselben Lawine bestätigt. So z.B. wurden im Jahr 1907 durch die grosse Lawine vom felsigen Osthange des Wiggis und Rautispitzes in Netstal Häuser abgedeckt, Bäume entwurzelt und sogar eiserne Kraftleitungsmaste zu Fall gebracht, während von der am 9. Januar 1926 abgegangenen nämlichen Lawine die Glarner Zeitungen berichteten, sie sei wie ein dichter Schneefall nur mit mässigem Luftdruck ins Tal heruntergestiegen und habe die ganze Gegend bis hinüber zum Elggis mit einer 2—3 cm hohen Schneeschicht bedeckt.

Noch unauffälliger verlaufen die aus ausserordentlich fein verteiltem Schnee bestehenden Wildschneelawinen. Im Wald brechen sie kein Ästchen ab, dagegen dringen sie durch die feinsten Ritzen, so dass nach den Erfahrungen an der Berninabahn der Schneestaub auch bei gut geschlossenen Türen und Fenstern ins Innere der Wagen gelangt. Dieses verschiedene Verhalten erklärt sich leicht daraus, dass ein heftiger Wind von vielleicht 10 oder 12 m/sek Geschwindigkeit genügt, um den Schneestaub durch die feinsten Fugen zu pressen, während der Sturmwind, der im Wald Schaden anrichtet, 20 oder noch mehr m/sek Geschwindigkeit besitzt.

Alle diese aus trockenem Schnee bestehenden Lawinen, ob sie von starkem Luftdruck und Staubentwicklung begleitet seien oder nicht, bezeichnet die Bevölkerung unserer Gebirgsgegenden als Staublawinen.

Hat sich dagegen im Laufe des Winters der Schnee gesetzt und verfestigt, so wird sein innerer Zusammenhang so gross, dass ein blosses Umstürzen selbst einer sehr hohen Schneeschicht am Hang nicht mehr in Frage kommt. Solcher Schnee kann nur abrutschen, wenn seine Adhäsion an die Unterlage so gering wird, dass er sich schliesslich von dieser ablöst; es entsteht, was man allgemein eine Grundlawine nennt. Ihr Abgehen wird bewirkt dadurch, dass der Schnee durch Wärme, Regen, grosse Luftfeuchtigkeit « krank », « schläsmen » wird. Zunächst halten die obersten Schichten das Schmelzwasser zurück; nach und nach aber sickert es in die Tiefe und weicht hier den Schnee auf, während ihn das auf der Erdoberfläche abfliessende Schmelzwasser, vielleicht im Verein mit der Erdwärme, von unten angreift und unterhöhlt, so dass der Zusammenhang mit dem Boden gelockert und nach und nach aufgehoben wird.

Besonders wirksam in diesem Sinne ist der warme Regen. Wenn es nicht nur unten im Tal, sondern, wie man sagt, « über alle Gräte » regnet, so wird dadurch der Schnee einerseits zum Schmelzen gebracht, anderseits aber mit soviel Wasser beschwert, dass sein grosses Gewicht die seinem Abrutschen entgegenstehenden Hindernisse überwinden hilft.

Im Gegensatz zur Wirkung des Regens steht diejenige des Föhns, der bekanntlich den Schnee ausserordentlich rasch zum Verschwinden bringt. Dabei wird das Schneeschmelzwasser sofort verdunstet; der « Föhn leckt den Schnee weg ». In Bourg-St-Pierre im Entremonttal hat man festgestellt, dass die Schneehöhe innert 48 Stunden um 1 m zurückging, nichtsdestoweniger aber die Dranse den Mittelwasserstand nicht überschritt. Der trockene Föhn, der schönes Wetter bringt, veranlasst daher auch keine Lawinenstürze. So blieb infolge Vorherrschaft des Föhns im Frühjahr 1927 die gewaltige Spreitlaui bei Guttannen seit 25 Jahren zum erstenmal aus, obwohl im vorangegangenen Winter enorme Schneemengen gefallen waren.

Wie die Staublawinen, so tragen aber auch die Grundlawinen ihren Namen nicht immer mit Recht, indem sie nicht notwendig bis auf den nackten Boden abgehen müssen. Oft entstehen sie auf einer zusammengesinterten, stark vereisten tiefern Schneeschicht und greifen erst weiter unten oder wohl auch gar nicht zu Boden.

Irrig ist ebenso die Annahme, der starke Luftdruck, der manche Staublawinen begleitet, werde durch die lockere, staub- oder pulverförmige Beschaffenheit des Schnees verursacht. Auch kompakte Grundlawinen können, wenn sie über Felswände herunterstürzen, genau die nämliche Wirkung ausüben. So z.B. ergibt sich aus den Akten, deren Einsichtnahme wir Regierungsstatthalter Bühler in Frutigen verdanken, dass, nachdem es vom 12. bis 15. Februar 1928 anhaltend geregnet hatte, in der Alp Ueschinen, Gemeinde Kandersteg, eine vom Südosthang des Grossen Lohners abgefahrene mächtige, ausgesprochen nasse Lawine beim Stafel Balmi, 1650 m, durch Windwirkung sechs Sennhütten und Ställe zerstörte, die seit 100 und mehr Jahren — eine trug sogar die Jahrzahl 1794 — dort standen. Zu gleicher Zeit fielen auch in der Alp Ottern, 1950 m, an der Südostabdachung der Niesenkette, Gemeinde Frutigen, unterhalb der bei 100 m hohen Erbetfluh sieben Hütten dem Luftdruck einer Grundlawine zum Opfer.

Dass übrigens für die Luftverdrängung weniger die Beschaffenheit des Stoffes als dessen Masse und die Geschwindigkeit des Falles in Frage kommen, beweisen auch die Gletscherstürze vom Westhang der Jungfrau im hintern Lauterbrunnental am 1. Mai 1879 und an der Alteis vom 11. September 1895, sowie der Abbruch des Risikopfes in Elm am 11. September 1881, die sämtlich von enormer Luftwirkung begleitet waren.

Da somit Benennung wie Definition der Staub- und Grundlawinen in keiner Weise befriedigen, haben die Skifahrer dafür die Bezeichnung Neu-und Altschneelawinen in Vorschlag gebracht. Auch diese Ausdrücke geben aber zu Einwendungen Anlass, da unter Umständen der Schnee der sogenannten Neuschneelawinen viele Wochen alt 1 ), derjenige der Altschneelawinen aber frisch gefallen sein kann, wie dies z.B. in der Weihnachtswoche 1923 vorkam, als nach anfänglichen Schneefällen steigende Temperatur und Regen auch in den höhern Lagen ein Abgehen des wenige Tage alten Schnees in Form nasser Lawinen verursachten.

Unter solchen Umständen dürfte der Versuch, eine neue, die typischen Eigenschaften der Lawinen schärfer erfassende Klassifikation aufzustellen, wohl Berechtigung besitzen.

Als charakteristisches Merkmal, das die beiden grossen Kategorien von Lawinen am besten kennzeichnet, kann unseres Krachtens nur der Zustand des Schnees hinsichtlich seines innern Zusammenhanges in Betracht kommen.

Entweder ist der Schnee relativ trocken, infolge seiner geringen Kohäsion am steilen Hang zum Abstürzen geneigt, und es entsteht eine « trockene Lawine ».

Oder aber der mehr oder weniger mit Wasser getränkte Schnee besitzt eine relativ starke Kohäsion, wogegen seine Adhäsion an die Unterlage sehr gelockert ist, so dass er den Zusammenhang mit ihr verliert und als « nasse Lawine » abgleitet.

Damit erhalten wir eine klare und scharf umschriebene Ausscheidung der wichtigsten Arten von Lawinen. Ob sie sich vom nackten Boden oder von einer Schicht alten, verharschten Schnees ablösen, bleibt für ihre Eigenart ohne Belang. Es erscheint deshalb kaum angezeigt, sogenannte « Ober-lawinen » als besondere Klasse abzutrennen.

Dagegen sei noch eines andern Vorkommnisses gedacht, das ab und zu etwa im Frühjahr, ausnahmsweise aber auch im Winter, sich ereignen kann und das wir als « gemischte Lawine » bezeichnen möchten. Fällt nämlich auf den Bergen reichlich Neuschnee, während es gleichzeitig im Tal regnet und taut, so wird unter Umständen eine vom Grat abgehende Trockenlawine imstande sein, weiter unten am Hang nassen Schnee in Bewegung zu setzen. Die verschiedene Temperatur der hohen und tiefen Lage kann somit eine Kombination von trockener und nasser Lawine bewirken.

3. Der Lawinenverbau.

Von den mannigfachen Vorkehren, welche dazu dienen, dem durch die Lawinen angerichteten Schaden vorzubeugen, sollen hier nur diejenigen kurz besprochen werden, mit denen man das Abgehen des Schnees an seiner Anbruchstelle zu verhindern sucht, da die einmal im Gang befindliche Lawine sich nur mit Mühe seitlich ablenken, nie aber aufhalten lässt.

Dabei ist vorauszuschicken, dass die Schwierigkeit der Aufgabe wie die Unsicherheit des Erfolges mit der Erhebung über Meer bedeutend wachsen, nicht nur, weil mit ihr die Schneehöhe zunimmt, sondern auch, weil gleichzeitig die Hilfe, welche uns der Wald bei der Bekämpfung des Übels bietet, immer geringer wird und schliesslich, « ob Holz », ganz dahinfällt. Zwar sind bis dahin auch in grösserer Höhe schon eine ganze Anzahl von Lawinenverbauen mit bestem Erfolg durchgeführt worden und haben sich seit einer Reihe von Jahren gut bewährt, so dass zu hoffen ist, es sei damit dem Übel endgültig abgeholfen. Um eine wirkliche Garantie hierfür zu erlangen, bedarf es jedoch eines Zeitraumes von vielleicht 100 und mehr Jahren. Denn einzig der Baumwuchs ist imstande, dem Abgleiten der Schneedecke ein unbedingt zuverlässiges Hindernis entgegenzusetzen. Wo er nicht aufzubringen ist, müssen wir also auf diese absolute Sicherheit verzichten und zudem die Aussicht, für alle Zeiten den Unterhalt kostspieliger Bauwerke zu tragen, mit in den Kauf nehmen.

Es sollte deshalb als Regel gelten, im allgemeinen mit dem Lawinenverbau nicht über den obersten Baumwuchs hinauszugehen. Wo aber Verkehrswege, Kraftleitungen usw. gegen höher oben losbrechende Lawinen zu sichern sind, wird man trotz grösseren Kosten der Anlage von Tunnels, Galerien usw. den Vorzug geben.

Ein Schutz von Ortschaften durch Verbau wird selten notwendig, da bei ihrer Anlage von alters her als lawinensicher bekannte Orte ausgewählt wurden. Sollen hingegen in gefährdeter Lage Gebäude neu erstellt werden, so sollen die Gemeindebehörden bedenken, dass sie mit Erteilung der Baubewilligung auch die Verantwortung für die Folgen übernehmen. Man darf daher wohl sagen, es habe normalerweise der Lawinenverbau mit der ihn später ersetzenden oder wenigstens in seiner Wirkung ergänzenden Anlage eines neuen Schutzwaldes Hand in Hand zu gehen.

Gewöhnlich wird angenommen, es sei mit dem Lawinenverbau vor etwas mehr als 100 Jahren begonnen worden; doch dürften die ersten Versuche wesentlich weiter zurückreichen. Die ersten Vorkehren bestanden in der Anlage einfacher horizontaler Erdterrassen, die, so primitiv sie waren, sicher ganz gute Dienste leisteten. Ihr Mangel bestand nur in ihrer grossen Vergänglichkeit.

Eine lebhaftere Tätigkeit im Lawinenverbau begann im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts, dank der Initiative des eidgenössischen Oberforstinspektors Coaz. Er war es, der die Anlage horizontaler freistehender Mauern von 1 m Höhe einführte in der Meinung, damit dem Abgleiten des Schnees am wirksamsten vorzubeugen. Diese Ansicht hat sich allerdings später als irrig erwiesen. Man erkannte, dass es nicht die errichtete vertikale Ebene ist, welche den Schnee zurückhält, sondern die damit gebildete horizontale Terrasse, die den Fuss der oberhalb gelagerten geneigten Schneeschicht stützt.

So gelangte man denn dazu, horizontale Mauerterrassen zu bauen, die zugleich den Vorteil grösserer Festigkeit und Dauerhaftigkeit boten ( Bild 4 ).

Fehlen lagerhafte Bausteine, stehen dagegen Steinplatten und genügend Rasen zur Verfügung, so behilft man sich mit sogenannten gemischten Terrassen, die mit abwechselnden Lagen von Rasenziegeln und flachen Steinplatten gestützt werden ( Bild 5 ).

Auch mit blossen Rasenterrassen hat man, wo der Hang nicht zu steil und die Schneelage nur eine mässige Höhe erreicht, befriedigende Erfahrungen gemacht, insofern der angeschnittene Boden ob der Terrasse durch rasche Wiederbegrünung oder in anderer Weise gefestigt wird.

In tiefern Lagen kann zum Lawinenverbau auch Holz verwendet werden. Sehr alt ist jedenfalls das Einrammen von Pfählen, mit denen man die Schnee-decke am Boden zu befestigen sucht. Sie werden am besten in schmalen, horizontalen Erdterrassen, Bermen, in Abständen von 60—70 cm geschlagen.

Ist der Boden flachgründig, wie dies z.B. in engen Lawinenzügen oft der Fall ist, so leisten sogenannte Schneebrücken gute Dienste. Sie bestehen aus quergelegten, von hölzernen Böcken getragenen Balken, welche den auf der Oberseite in Abständen von etwa 50 cm angelehnten und senkrecht zur Hangrichtung eingerammten Pfählen als Stütze dienen ( Bild 6 ).

Je mehr man sich der obern Holzgrenze nähert, um so besser verzichtet man auf hölzerne Verbaue, die oft bis drei- und viermal erneuert werden müssen, wenn man nicht Gefahr laufen will, schliesslich auch die vorhandene Bestockung einzubüssen und damit die Sachlage bedeutend zu verschlimmern.

Am ehesten noch empfehlen sich unter solchen Umständen die sogenannten Schneeschutzwände aus Holz und alten Eisenbahnschienen. Die letztern werden in horizontalen Reihen paarweise senkrecht aufgestellt und in etwa metertiefe Löcher in Abständen von 4—6 m einbetoniert. Zwischen die Schienenpaare wird Rund- oder Schwellenholz wagrecht eingelegt, so dass eine 2—2 1/2 m hohe Wand entsteht ( Bild 9 ).

Von weitern Vorkehren zum Verhindern der Lawinenbildung seien noch diejenigen erwähnt, welche dem Ansatz von « Gwechten » und « Schneeschilden » und damit der Ablagerung grosser Schneemassen, die trocken oder nass in Bewegung geraten können, vorbeugen. Gewöhnlich legt man senkrecht zur herrschenden Windrichtung sogenannte Gwechtenmauern an, um durch Brechen des Luftzuges den Schnee zu verteilen ( Bild 7 und 8 ). Demselben Zweck dienen Rasenwälle, dann sogenannte Schneerechen von horizontal gespannten Drahtseilen mit daran befestigten Holzstäben ( Bild 10 ) oder Wände von feinmaschigem Drahtgeflecht usw.

Es wäre noch eine Reihe anderer Bautypen aufzuzählen, von denen man in besondern Fällen mit Erfolg Gebrauch macht, doch sind solche von weniger allgemeinem Interesse und können daher hier füglich ausser acht bleiben. Dagegen mögen noch einige Worte über die gleichzeitig vorzunehmende Aufforstung gestattet sein, da die dabei in neuerer Zeit übliche Art des Vorgehens wesentlich von der früher gebräuchlichen abweicht.

Während nämlich einst beinahe ausschliesslich diejenigen Holzarten angebaut wurden, aus denen in den höhern Lagen der Alpen der hochstämmige Wald besteht, wie namentlich die Rottanne und allenfalls die Lärche, die Arve und die Bergkiefer, begnügt man sich heutzutage in Nachahmung des von der Natur befolgten Verfahrens zunächst damit, den Boden mit einem weniger anspruchsvollen niedrigen, doch widerstandsfähigem Laub- oder Nadelholz zu bekleiden. Hierzu eignen sich vor allem die Alpenerle und an magern, trockenen Hängen die Legföhre, die beide, sobald sie einen einigermassen geschlossenen Bestand bilden, unter gewöhnlichen Verhältnissen befähigt sind, das Abgehen von nassen Lawinen zu verhindern ( Bild 11 ). Der trockene Schnee allerdings legt diese mehr strauchartigen Holzarten flach zu Boden und gleitet darüber ab.

Dies zu verhüten, mischt man ihnen, nachdem sie durch ihren Laub-oder Nadelabfall den Boden genügend verbessert haben, die im Gebirge so hoch wie die Rottanne ansteigende Eberesche ( Vogelbeerbaum ) bei, die wegen ihres durch grosse Zähigkeit ausgezeichneten Holzes und ihrer kräftigen Bewurzelung auch die Entstehung trockener Lawinen zu verhüten vermag ( Bild 12 ).

Überdies stellen sich unter dem so gebildeten Schutzbestand bald die Hauptholzarten der Gegend natürlich ein oder können mit Leichtigkeit künstlich nachgezogen werden.

In solcher Weise gelangt man in kürzester Frist und mit den geringsten Kosten dazu, den zuverlässigsten Schutz gegen die gefürchteten Lawinen, den Wald, neu zu begründen.

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