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Vier Viertausender an einem Tag

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Toni Betschart, Davos

Wer die Natur kennt, der liebt sie auch. Jeder echte Naturfreund und Bergsteiger spürt in seinem Innern einen Drang, der ihn mit Macht in die rätselhaft schöne Gotteswelt hinauszieht, gibt es doch nichts Schöneres, als über eine vom langen Winterschlaf erwachende Alpwiese zu ziehen oder über einen schwindelnden Grat dem Gipfel zuzustreben.

Meinem Freund Heinz und mir geht die Woche wieder einmal viel zu langsam vorbei. Jeden Tag halten wir ängstlich Ausschau nach etwaigen Wölklein, die uns einen Strich durch die Rechnung machen könnten. Schon seit fast einer Woche scheint nun in Saas Fee, der « Perle der Alpen », die Sonne und lässt den Schnee, der die umliegenden Berge in gleissendes Weiss taucht, vielleicht doch noch etwas nass werden. Die kalten Bergnächte würden das übrige dann schon erledigen.

Endlich ist es doch Freitag abend geworden, und wir sind mit dem Packen unserer Rucksäcke beschäftigt. Nun ist es soweit: Nichts kann uns mehr an der Ausführung unseres geplanten Unternehmens hindern, und mit dem Wunsche, es möge recht bald Morgen werden, schlüpfe ich ins Bett.

« Heinz, heute ist Samstag, und das Wetter ist prima! » Meine Feststellungen lassen ihn kalt; er will sich noch einmal auf die andere Seite drehen. Aber daraus wird heute nichts; ich ziehe ihn kurzerhand aus dem Bett, und sofort ist der Ärmste auch munter.

Kaum stehen wir in unsern Berghosen marschbereit, da klopft es an unsere Türe. Der Chef! Mir schwant nichts Gutes, und schon kommt die gefürchtete Dusche: Eben sei per Telephon ein Materialtransport angemeldet worden, und das Material müsse noch abgeladen werden.

i45 Aber dann sitzen wir doch endlich in der Luftseilbahn und schweben der Längfluh entgegen; bald sind wir auch der lärmenden Menschenmenge, die die Bergstation belagert, entronnen. Wie gut doch die Einsamkeit tut, wie befreiend ist doch das Gefühl, fern von allem Getriebe - und allen Materialtransporten zu sein! Über heimtückische Schneebrücken und tiefe Gletscherschründe streben wir dem Mischabeljoch ( 3851 m ), unserem heutigen Ziel, entgegen. Ein leise pfeifendes Lüftchen empfängt uns auf dem Sattel. Tief unter uns liegt das Gletscherdorf bereits im Schatten, während uns zweien die untergehende Sonne noch ihre letzten Strahlen zwischen der Dent Blanche und der Dent d' Hérens herüber-schickt. Bald beginnen wir aber zu frösteln und verkriechen uns in die Biwakschachtel; denn die Nacht schleicht durch die Täler herauf und begräbt sie unter sich. Wir aber löffeln mit Genuss unsere dampfende Ochsenschwanzsuppe und machen einem Stück würzigen Speck den Garaus. Beide sind wir von einer inneren Unruhe gepackt, aber doch glücklich wie während der ganzen Woche nie. Wir blättern noch etwas im Hüttenbuch und stellen fest, dass in diesem Jahr bloss sieben Seilschaften hier geschlafen haben. Heinz kritzelt unsere Namen unter dem Datum 27-/28. August 1969 in das Buch und meint darauf nicht ohne Stolz, wir seien in diesem Jahr wohl die letzten, die dieser gemütlichen Behausung einen Besuch abstatteten.

Noch einmal treten wir vor die Hütte, um den Nachtwind zu belauschen und den Sternen gute Nacht zu sagen. Etwas verfrüht für unsern Geschmack streckt der Mond seinen heute kugelrunden Kopf über dem Sonnighorn hervor und lässt dabei den Mischabelgrat ganz gespenstisch erscheinen. Ich hingegen strecke nach unruhiger Nacht frühmorgens um 1 Uhr den Kopf in die kalte Nachtluft hinaus, die gerade so frisch ist wie der eisige Wind, der mir um die Ohren pfeift. Heinz hantiert schon am Benzinvergaser, so dass der über Nacht gefrorene Tee bald aufgetaut ist.

i46 Wir seilen uns gleich in der Biwakschachtel an - und hinaus geht 's ins Unbekannte. In der einen Hand den Pickel, in der andern die Taschenlampe, so tasten wir uns über den ersten Aufschwung hinauf. Der Mond steht schon weit im Westen und beleuchtet die Westseite des Täsch-horn-Südgrates doch noch etwas, jedenfalls gerade so viel, dass wir die Taschenlampen beruhigt in die Hosentaschen verstauen können. Der felsige Grat verschwindet mehr und mehr im Eis, das blank ist und stellenweise mit einer Neuschneeschicht überzogen. Leise knarren die Steigeisen im Eis oder scheinen von Zeit zu Zeit auf-zustöhnen, wenn wir sie unsanft auf einen hervorstehenden Stein aufsetzen. Allmählich wird es im Osten hell; der junge Tag vertreibt die Nacht. Nach dreistündigem Aufstieg sitzen wir beide morgens um 5 Uhr schlotternd vor Kälte auf dem Gipfel des Täschhorns ( 4490 m ). Im Osten, zwischen Weissmies und Portjengrat, taucht die Sonne aus dunklen Wolken und Nebelfetzen empor und lässt die Walliser Bergriesen in leuchtendem Gold erstrahlen. Weit, weit unten spurt eine ganze Kolonne winziger Menschlein über den Feegletscher dem Allalinhorn entgegen.

Wir aber klettern und rutschen bald darauf über den stark vereisten Täschhorn-Nordgrat zum Domjoch hinab, um uns in ein neues Kräftemessen einzulassen, diesmal mit dem Dom-Süd-grat. Wir möchten aufschreien vor Freude - tun es aber nicht, denn oben auf dem Dom ist eben eine Gruppe Alpenklübler angekommen, die uns mit ihrem Geschrei um ein Vielfaches übertönen würde. Eine Wonne ist das! Wie zwei junge, übermütige Gemsen hüpfen und turnen wir über Türmchen und Aufschwünge dem Domgipfel ( 4480 m ) zu. Bereits seit einer guten halben Stunde begleitet uns ein Dohlenpaar, das sich im warmen Aufwind von einem Felsvorsprung zum nächsten hinaufschaukeln lässt, um dann unverhofft, die Schwingen eng an den Körper gelegt, in die steile Dom-Ostflanke hinabzustechen. Oft wünschte ich, ein so schwereloses Vöglein zu sein, um tagelang über Grate und Zinnen zu segeln.

Gemeinsam betreten wir das « Dach der Schweiz » und sind tief beeindruckt von dem gewaltigen Panorama, das sich uns hier oben darbietet. Nach stärkender Znünipause aber mahnt uns die Zeit zum Aufbruch, obschon wir diese hohe Warte nur ungern verlassen. Nun müssen unsere schon arg zerschlissenen Rucksäcke, die von mancher Rutschpartie erzählen könnten, noch einmal herhalten, denn in rasanter Fahrt schütteln wir über Hartschnee dem Lenzjoch ( 4120 m ) entgegen. Viel zu schnell geht die tolle Fahrt zu Ende, und unsere anhänglichen Begleiter nehmen wieder den Platz an unseren Schultern ein. Nach kurzer Traverse ins Joch öffnet sich uns ein grandioser Tiefblick auf den arg zerrissenen Feegletscher und die grünen Matten von Saas Fee.

Der Südgrat des Südlenz, wie die Lenzspitze ( 4294 m ) im Saastal genannt wird, bietet uns keine Schwierigkeiten, sondern vielmehr eine genussreiche Kletterei. Um die Mittagszeit haben wir auch ihn unter uns und setzen uns auf dem Gipfel auf eine sonnenwarme Felsplatte. Unsere Gehwerkzeuge sind doch schon ganz ordentlich strapaziert und wollen etwas ausgestreckt werden. Ich habe aber gar kein Sitzleder, denn auf uns wartet noch der Nadelgrat, eine herrliche Kletterpartie über 4000 Meter. Heinz aber sitzt da wie ein Pascha und schmaucht genüsslich seine, wie er behauptet, wohlriechende Pfeife, und erst nachdem sein « Nasenofen » ausgebrannt ist, können wir uns dem jXadelhorn ( 4327 m ) zuwenden. Bis ins Nadeljoch liegt nasser Schnee auf dem Grat, der aber bei den ersten Felsen fast ganz verschwindet. Heinz packt den ersten Turm ohne Zögern in der Senkrechten an und entschwindet meinem Blick mit einem gewagten « Rébuffat-Schritt ». « SaasiSaaser ), kannst nachkommen! » tönt es von drüben her, und ich folge kühn seinem Beispiel. So geht es in herrlichem Gneis über zahlreiche i47 Zacken und Aufschwünge, auf und ab, dem Gipfel zu.

Mit einem kräftigen Händedruck, der alles sagt, was man in einem solchen Moment nicht über die Lippen bringt, feiern wir heute unsern vierten Gipfel, das Nadelhorn.

Unsere Teeflaschen sind schon lange leer, und der Durst setzt uns bös zu. « Bici » zieht sein Portemonnaie aus der Hosentasche und meint trocken: « Verkaufst du mir ein Bier, oder hast du es schon ausgeschüttet? » Unsere Blicke schweifen nochmals in die herrliche Bergwelt hinaus: Hell leuchtet im Osten das silberne Haupt des Galenstocks, während im Westen das Matterhorn seinen schor langen Schatten wie einen Drohfinger auf den Furgggletscher wirft. Freudig eilen wir über den leichten Nordostgrat ins Windjoch hinab, queren, tief einsinkend, den wuchtigen Kessel des Hohbalngletschers und betreten bald darauf die heimelige Stube der Mischabelhütte.

Pius, der Hüttenwart, sieht mit Kennerauge, was uns fehlt, und serviert uns galant einen grossen Kessel voll Tee. Die zwei holländischen Touristen in der Ecke der Stube müssen uns für zwei ganz bedenkliche « Suufludi » halten, denn die grosse Kanne ist im Nu geleert.

Und nun haben wir auch den steilen Hüttenweg hinter uns und sind nach unserm c ystündi-gen « Höhenweg » wieder in Saas Fee unten.

Müde sind wir, aber glücklich - und freuen uns schon auf die nächste schöne Bergfahrt in Gottes freie Alpenwelt.

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