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Vom Berg im Bild

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« Denn was soll das Reale an sich? Wir haben Freude daran, wenn es mit Wahrheit dargestellt ist, ja, es kann uns auch von gewissen Dingen eine deutlichere Erkenntnis geben, aber der eigentliche Gewinn für unsere höhere Natur liegt doch allein im Idealen, das aus dem Herz des Dichters hervorging. » Goethe.

Das künslerische Schaffen steht im Zeichen der Aufhebung des Leides. Wird ein Gestaltetes aus einer hohen Idee gezeugt, vermag es uns über die Not des Augenblicks hinauszuheben. Wo es der Überwindung des Leides gilt, sind wir, denke ich, alle interessiert. Das erhellt schon daraus, dass wir bergsteigen. Dieses würde der Kunst näher stehen, wenn das rein Animalische in der Bedeutung unseres Tuns mit dem « Aufbruch des Herzens » wechselte. Es ist aber durchaus festgestellt, dass die Tat selbst alle Kräfte des Herzens für den Körper beansprucht. Und wenn sie wieder dem Geiste schlagen, ist alles nur noch Erinnerung und Sehnsucht. Diese beiden ebenfalls wesent- lichen Bestandteile des Alpinismus in die Tat einzubeziehen, muss der Wunsch aller sein, die die Berge wahrhaft lieben, die ihre Bedeutung über die Zufälligkeit eines Sportgerätes erhoben sehen möchten.

Es ist noch nicht sehr lange her, dass man das reine Landschaftsbild benötigte. Nachdem man sah, dass die vertriebenen Götter in der romantischen Ebenensymbolik nicht durchaus sesshaft waren, wurde man mehr und mehr auf das spezifisch Heroische gedrängt, nach einer unabhängigen Orientierung in der wahnsinnig gedrängten Flucht der Erscheinungen. Man wollte seine Zerrissenheit ohne Wunde fühlen oder in den Wunden selbst Sinn und Gesetz suchen. Man bedurfte eines Spiegelbildes, einer aussenseitigen Analogie für das schwer bedrängte « Ich ». Je grösser der erfasste Aspekt, desto besser. Man musste sich den Nachweis der Daseinsberechtigung leisten. Man muss ihn heute leisten mehr als je. Man weiss zwar, dass sich unsere Lebensformen kaum irgendwo in der Natur verankern lassen. Dann vielleicht das, was unter ihnen verschüttet liegt?

Man fand die Berge. Sie sind sichtbar, körperhaft, dominieren Mensch und Ebene. Symbol einer Zeitlosigkeit, die mit der unsern im Gegensatz steht, uns selber fremd, Zweifler in optima forma, beten wir sie an.

Uns zur Seite kniet der Landschaftsmaler. Auch er ist ein Ahasver, getrieben von der glühenden Notwendigkeit nach Verankerung, nach Eigen-dasein, Wertnachweis, Persönlichkeit, doch überall eher zu Hause als bei sich, blicklos für den Nächsten ( es wäre denn aus Mitleid ), rastlos schürfend in fremdem Gut.

Wie das Bergsteigen, ist die Beschäftigung mit dem Landschaftsbild ein Ausweichen. Im Grunde des Herzens ist dem Menschen nicht wohl dabei. Beides ist nur Weg. Niemals ist uns Station gewährt. Es gibt kein Verweilen darin.

Das naturalistische Bergbild ( mit dem Selbstzweck der Naturtreue ) erfreut sich unserer besondern Gunst. Unsern nahen Standpunkt will ich nicht aus der Bequemlichkeit ableiten, mit der es sich dem Beschauer eröffnet. Typisch erscheint mir, dass es so wunderbar in das Lied vom Ersatz einstimmt, das der moderne Jahrmarkt so faszinierend, fast glaubhaft, in unsern Tag hinausbrüllt. Wesentlicher noch, dass es das Ziel in der Materie sieht, statt mit ihren Mitteln eine Idee zu gestalten, die zur Sicherstellung unseres Daseins diente, zum Abbau unserer exponierten Stellungen.

Die Reproduktion der Natur ist eine rein technische Angelegenheit. Darum mag sie heute auch wahre Orgien feiern. Der naturalistische Bergmaler ist ein Handwerker. Dabei nicht einmal ein glücklicher, denn die Mittel, die ihm zur Verfügung stehen, untersagen von selbst Beruhigung im Werke. Daher die beängstigende Produktion auf diesem Gebiete.

Nirgends aber verschliesst sich die Natur so der Nachbildung wie in den Bergen. Nicht nur, weil ihr Ausdruck dort oft von fast vollkommener Schönheit ist. Nicht nur, weil sich die vielgestaltete Berglandschaft als Ausdruck einer Gesamtheit im Einzelnen gar nicht nachbilden lässt. Auch darum, weil sich die Dimensionen der naturgestalteten Formen nicht wiedergeben lassen. Aber sie sind das Wesentliche. Eine Malerei jedoch, die zum vorn- herein damit rechnen muss, ihren Vorwurf bei der Übertragung zu verkleinern und zu verflachen, ohne geistigen Gleichwert, ohne Verschiebung des Schwer-gewichtes auf das Persönlich-Künstlerische, hat wenig Aussicht, je Bedeutendes zu sagen. Man kann ein Stilleben malen mit einer Zündholzschachtel oder schwarzweissen Dominosteinen auf blauem Hintergrund. Nicht malen aber kann man die Zweifel eines Föhnhimmels, die Weichheit des schmelzenden Schnees, die ernste Erfüllung glutgetauchter Abendgipfel. Natürlich musste man gerade dies letztere versuchen, gemäss der Stimmung, in der uns jene Stunde findet. Es ist dabei schon so viel Unheil geschehen, dass ein künstlerisch empfindender Mensch Abendrot ohne Lachen fast nicht mehr sehen kann.

Das Licht ist nicht zu malen, am wenigsten dasjenige um die Gipfel. Keine Farbe ist so weiss wie Schnee. Tiefe und Weite sind sicherlich etwas anderes als eine Tönung des Prospektes in verschiedenem Blau. Vor dem Ziehen der Wolken, vor dem bewegten Wasser, der Unergründlichkeit der Nacht vollends macht jedes Können Halt. Je mehr sich die Erscheinungsform der Natur den Sinnen gibt, je « schöner » sie ist, um so unmöglicher ist ihre künstlerische Gestaltung. Denn es bleibt einfach nichts mehr zu tun. Vollendetes wiederzugeben, kann nicht Aufgabe der Kunst sein. Kunst ist Austilgung des Leides, nicht der Schönheit!

Wenn das naturalistische Bergbild dennoch eine so grosse Rolle spielt, dennoch für unser Auge unzweifelhafte Bedeutung besitzt, so ist es sicherlich nicht als Träger einer Idee, als Kunstwerk. Das Naturgestaltete ist in den Bergen durchaus formenbegrenzt. Die Mannigfaltigkeit der Körper-und Farbenerscheinungen vermindere sich mit der fortschreitenden Höhe. So gibt es kein Bergbild, das nicht irgendwo unsere Erinnerung berührte. Das Bild interessiert uns einfach in unserer Eigenschaft als Bergsteiger. Wir erforschen den abgebildeten Berg nach seinen Angriffsmöglichkeiten. Wir sehen uns am Seil den Eisbruch behandeln, ermessen die Steilheit der Rinne, die Wahrscheinlichkeit einer Randkluft. Sagen wir nicht, dass unser Auge sinnend auf dem Firne, auf dem Grate weilte? Wir erinnern uns. Dasjenige Herz aber, das sich noch nie in den Bergen erging, bleibt stumm. Das kann das Wesen der Kunst nicht sein. Die Kunst macht, Gott sei Dank, noch nicht in Einteilung.

Das naturkopierte Bergbild hat Berechtigung als Stufe zu Freierem, zu Höherem. Wer sich in ihm erschöpft, verzichtet darauf, Wesentliches zu sagen.

Als der Ablauf der Dinge noch nicht so weit vorgeschritten war, einesteils die Berge zwar schon in den Interessenbezirk des Menschen gehörten, andernteils aber die Idee von der Scholle noch unmittelbarer in unserem Blute lebte, als man noch wähnen konnte, Gesundung müsste durch Umkehr über sie führen, gelang es einem Maler, die Berge wahrhaft bedeutend in sein Werk einzuwirken. Aber nicht gelang es ihm, sie zu gestalten. Die Bilder, die Segantini schuf, gehen in einer wundervollen Synthese auf von Landschaft, Mensch und Tier. Insofern die Berge durch genaue Beobachtung wiedergegeben werden können, insofern ihr Wesen erfassen heisst; in ihnen weilen in jahrelangem, mühseligem Aufenthalt, ist durch Segantini Vollendetes geschaffen worden. Die Menschen, soweit sie ihr Arbeitskleid tragen, sind einwandfrei gezeichnet, die Tiere mit Liebe behandelt. Keinem gelang es später mehr, den mannigfaltigen Stoff in so ungeteilter Harmonie zu meistern. Auch Segantinis Entdeckung einer besondern Lichttechnik schien ein grosser Wurf zu sein. Aber mit der erdhaften Ruhe, der grossen Sicherheit, manchmal sogar hart die Grenze des Naiven streifend, die Segantinis Werke vermitteln, wissen wir nicht viel anzufangen. Bergbilder, die uns nahe stehen, müssen aus Kampf und Not geschaffen sein, aus dem Wirrsal Ebene und Stadt. Aus einer Technik, die quadratzentimeterweise minu-tiöseste Arbeit, eine Unsumme von im vornherein überzeugtem Glauben erfordert in den Wert des zu Schaffenden, kann nichts Wesensverwandtes hervorgehen. Wir müssen unser Heil in der Linie, in der Bewegung suchen, dass sich uns von ungefähr eine neue Perspektive eröffne. Unser Bergglück besteht im Wechsel zwischen Niederung und Gipfel.

Das Weltbild hat sich nach der abstrakt technisch-geistigen Seite hin entwickelt, nicht nach der handwerklich-erdhaften. Die Scholle steht uns ferner als je. Damit stehen wir ausserhalb Segantinis Werk. Wir freuen uns, dass die schön und lieb gemalten Berge in der Kunst erstmals eine solche Bedeutung erlangen konnten. Die Tiere betrachten wir mit Rührung. Den Menschen stehen wir fremd gegenüber. Wir lächeln über sie oder hassen sie. Sie sind naiv, genügsam, gut, rückblickend, statt ausschauend. Sie sind problemlos, und nichts verbindet uns mit ihnen. Es passt uns durchaus nicht, ihnen in den Bergen zu begegnen. Denn die Gattung Mensch kennt man genugsam aus den Städten.

Mit dem « Bergstilleben » hat es nicht viel auf sich. Die Idee von der Scholle, vom eigenen Grund und Boden, liegt heute wegabseits. So auch die Bilder, die in ihr gemalt wurden. Den modernen Tiefenmenschen bildhaft in den Bergen zu zeigen, bietet kein Interesse. Nein, es wäre eine Absurdität. Der Ausdruck unserer Sehnsucht würde verzerrt, in lächerliche Sportmani-pulationen seziert. Das Wesentliche in unserm Verhältnis zu den Bergen ist sicherlich nicht Ruhe, sondern Bewegung. Den Menschen klassisch rückzu-wandeln und ihn in antikem Gewande in die Felswand zu schicken, ginge also auch nicht an. Denn klassische Haltung kann aus einem künstlich hervorgerufenen Fieber sicherlich nicht entstehen. Aus getrübtem Geist seinen nackten Körper in die Berglandschaft zu stellen, ziemt unserm Bergsteigervolk schon gar nicht. Weitab sind sie von antiker Reinheit und Grösse.

Die Aufgabe des ernsthaften Bergmalers ist recht schwer. Persönlichkeit und Idee müssen durch gegebene Formen ausgedrückt werden, die man mit Namen zu kontrollieren verlangt. Aus Gestaltetem muss gestaltet werden; steinhafte Bergewigkeit muss aus dem Bilde sprechen, ohne dass die Ursprünglichkeit der Flächen und Linien wesentlich verletzt wird. Zerrissenheit muss neben Einklang stehen, Tiefe neben Höhe, über dem Aufschrei des Abgrundes lichtvolle Idee. Und wenn es die Idee des eigenen Abgrundes wäre. Der Weg zeigt auf möglichst geistige Lösung vom Objekte mit einem Mindest- mass stofflicher Wandlung. Darstellung der Berge im Verhältnis zum modernen Menschen. Ausdruck jenes unbestimmbaren, pantheistischen Helldunkels, das uns immer wieder in die Berge lockt, Wiederklang jenes Chorus mysticus, der sich, seit wir dem Rufe der Berge folgen, nicht mehr gewandelt hat als sie selber. Ohne heilige Durchdringung mit lebendigem Geiste sind die Berge tot, wie nur Steine tot sein können. Dies nicht erfasst zu haben, heisst im Handwerklichen stecken bleiben, hier wie dort.

Wahrhaft nahe stehen uns Hodlers Bergbilder. In ihnen, rein im Landschaftlichen niedergelegt, ist die ganze tatgejagte Sehnsucht unserer Zeit, die scheinbar beginnt, sich um sich selbst zu vereinigen. Frei von romantischer Empfindsamkeit, von jeder Willkür allzumenschlicher Zutaten, findet sie ihren Ausdruck. Ihren heroischen Ausdruck. Gross in der Form; unzweideutig in der Tonart, die unbedingt auf Moll klingt. Aber ohne Auflehnung. Schicksalshaft. Ganz so, wie wir uns den Bergen geben möchten. Zum ersten Male ist es gelungen, die Berglandschaft im Stempel der Persönlichkeit zu prägen und doch ihren Charakter zu wahren. Sie besteht für sich, ohne dass man an ihren Vorwurf zu denken brauchte. Aber wir empfinden es beruhigend, ihre Sprache darstellbar zu wissen. Mensch und Tier sind fern; nicht engen menschliche Konstruktionen noch vordergründige Bäume. Des Grössenmass-stabes mangeln wir deswegen nicht. Die Berge sind unzweideutig in ihrer doppelten Dimension: der unverrückbaren Tatsächlichkeit ihrer erdgebun-denen Sprache und der Grösse des Geistes, der in sie eindrang, deutend gestaltete. Hodler danken wir damit eine Erfüllung, die dem Nur-Bergsteiger von Mal zu Mal unter den Händen zerrinnt. Denn die Berge lassen sich nur im Geiste überwinden, nie in der Materie.Werner Graf

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