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Von der Liebe zum Berg: das Wetterhorn

Hinweis: Questo articolo è disponibile in un'unica lingua. In passato, gli annuari non venivano tradotti.

Von Hans Lieberherr

( Luzern ) Kaum eine Berggruppe im Berner Oberland ist in ihrer Form und Linienführung so harmonisch und in ihrer Gestalt so majestätisch wie die Wetterhorngruppe. Als Krönung des Massivs leuchtet die feine weisse Spitze des Wetterhorns weit ins Land hinaus. Wie oft schon habe ich im Schreiten innegehalten, um vom Hasliberg aus das ebenmässige Bild zu schauen. Wie oft schon habe ich im Aufstieg gegen den Wildgerst den Blick gewandt, dass meine Ski aus der Spur gerieten!

Wie märchenhaft leuchteten die Firne über dem dunklen Abgrund, als wir beim Mondenschein der nahen Hütte zustrebten.

Und dann - standen wir noch mitten in der Nacht zum Aufbruch bereit, vom Wunsche beseelt, den Berg zu erreichen. Doch unbarmherzig trieften die grauen Wolken, die dessen Gestalt umhüllten. Abgewiesen! Ein anderes Mal belagerten wir ihn eine ganze Woche lang, ohne dass uns das Wetter eine Besteigung gestattet hätte. Wie zum Hohn hat er damals beim Abschied seine Gestalt enthüllt und zeigte sein leuchtendes Bild durch den dunklen Tannenwald, durch den wir talauswärts pilgerten. Aber ich kam wieder, doch nur, um mich erneut an seinem Anblick zu freuen. An eine Besteigung war in dieser Jahreszeit nicht zu denken. Eisig kalt waren seine Flanken anzusehen, und eine Schneefahne wehte an seinem Gipfel, als wollte er damit seine Unnahbarkeit bekunden.

Kaum waren die stürmischen Februartage vorüber, begann sich schönes Wetter anzukündigen. Aufmerksam verfolgten mein Freund Sepp und ich die Wetterentwicklung bis zum Wochenende und konnten dann feststellen, dass jetzt günstige Verhältnisse für das Wetterhorn sein müssten. Doch hielt uns beide die Pflicht am Samstagnachmittag am Arbeitsort zurück, und ich sah schon wieder eine Chance entschwinden. Da meinte Sepp lakonisch: « Gehen wir einfach am Abend und steigen von Meiringen in einem Zuge aufs Wetterhorn. » Das war nun allerdings etwas viel auf einmal, und vor meinem Auge begann ich die Strecke abzumessen, einzuteilen, die Marschstunden zu zählen. Eine Karte brauchte ich dazu längst nicht mehr, denn schon zu oft hatte ich in Gedanken diesen Weg begangen und geprüft. Dazwischen sah ich wieder das stolze Gebilde von steilen Wänden, gleissenden Firnen und blaugrün schillernden Abbruchen. Wie konnte ich da anders, als zusagen und alles auf eine Karte setzen!

Um 21.30 Uhr verlassen wir in Meiringen den Brünigzug und stolpern auf den Schwellen des Bahntracés gegen Willigen. Hell leuchtet der Vollmond, und gemächlichen Schrittes gewinnen wir die Höhe des Zwirgis und tauchen bald im dunklen Schatten des Rosenlauitales unter. Im einfachen Waldgasthaus ist noch Licht, und so benützen wir die Gelegenheit zu einer Stärkung. Mitternacht ist eben vorüber, als wir wieder in die kalte Nacht hinaustreten und unsere Ski anschnallen. Märchenhaft ist der Gang im Schatten der kleinen Bergtannen und wieder im hellen Mondschein über die glitzernde Schneefläche neben dem silbrig quirlenden Bergbach. Nach einem anstrengenden Waldstück biegen wir in das stille Hochtal ein - unmittelbar am Fusse der Engelhörner. Senkrecht ragen die stolzen Zinnen ins fahle Mondlicht, während der Talboden sich in sanften Linien zur Moräne aufschwingt.Ein Kontrast von seltener Schönheit. Unter einem mächtigen Block halten wir Rast und kochen den Morgenkaffee. Die Kerzenlaterne vermag heimelige Wärme zu verbreiten. Gross aber leuchtet das andere Licht, das die steilen Flanken widerspiegeln und noch steiler und höher werden lassen. Als das Mondlicht langsam zu verblassen beginnt und der neue Tag die höchsten Spitzen vergoldet, sind wir eben dem kalten Schlund des Couloirs entstiegen und streben dem Gletscher zu. Spitzkehre reiht sich an Spitzkehre Auf dem Gletscher begrüssen wir das volle Licht des neuen Tages. Der herrliche Anblick gibt uns wieder Kraft für den monotonen Aufstieg über den Gletscher, bis eine warme Felsnische wieder zur Rast einladet.

Der Blick beginnt sich zu weiten und erfreut Herz und Gemüt. Doch weit ist noch der Weg zu unserm Ziel. Und ein eisiger Wind fegt uns entgegen. Unentwegt gewinnen wir aber an Höhe, bis uns die letzte Mulde aufnimmt, die zum Sattel am Wetterhorn führt. Gross und zum Greifen nahe steht nun die schöne Pyramide vor uns. Der Schneesturm bläst uns feinen Schneestaub ins Gesicht und dringt durch alle Kleider. Verbissen nähern wir uns Schritt für Schritt dem Skidepot. Grossartig öffnet sich hier die Szenerie gegen die Oberländer Riesen. Doch der starke Wind macht jedes Verweilen unmöglich. Ungesäumt nehmen wir deshalb den Gipfelhang in Angriff und gelangen zu den obersten Felsen, die einigen Schutz vor dem böigen Wind versprechen. Hier halten wir Gipfelrast und suchen ein paar wärmende Sonnenstrahlen zu erhaschen. Still und zufrieden schauen wir zu, wie der Wind über den Sattel fegt, und es scheint, als habe er unsere dort eingesteckten Ski zu seinem Spielzeug auserwählt. Weit draussen in der grauen Ebene ist für uns das Häufchen Alltag zusammengeschrumpft.

Ein Blick auf den Uhrzeiger mahnt zum Abstieg, und rasch sind wir beim Skidepot. Fluchtartig machen wir uns zur Abfahrt bereit, um möglichst rasch aus diesem « Windkanal » zu kommen. Vorsichtig gleiten wir über den windgepressten Schnee. Erst weit unten, wo der Wind nachgelassen und die warmen Felsen wieder zur Rast einladen, halten wir an und räumen unsere Rucksäcke gehörig aus.

Und dann folgt die stiebende Fahrt durch frischen Schnee, bis dorthin, wo der steile Engpass zur Vorsicht mahnt. Doch bald ist das Gelände wieder offen. Sepp entschwindet mit eleganten Schwüngen, während ich etwas zögernd in den ersten Steilhang steche, da die Müdigkeit mich zu fassen beginnt. Ich benötige mehr Zeit als mein Kamerad, der dafür bereits einen Kaffee gebraut hat, wie ich ihn einhole. Wie das wärmt und stärkt! Die Felsen, die beim fahlen Mondlicht so kalt und abweisend waren, sind jetzt von einer warmen rötlichen und gelben Farbe. Wir schlürfen den köstlichen « Schwarzen », bis der langsam heran-kriechende Schatten zur Weiterfahrt mahnt. Ein ruppiges Waldstück erfordert nochmals alle meine Kräfte. Dann aber gleiten wir gemächlich talauswärts, während das Wetterhorn in der Abendsonne im letzten Leuchten steht.

20 Stunden nach dem Aufbruch tauchen wir in Meiringen wieder in das bunte Treiben von Menschen, die sich eilig um einen Platz im Zuge bemühen. Der Alltag hat bereits wieder begonnen. Das einzigartige Erlebnis in der Stille und Einsamkeit aber hat uns wieder gestärkt, den Alltag des Lebens zu tragen.

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