Von Hveravellir zum Skagafjord (Island) | Club Alpino Svizzero CAS
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Von Hveravellir zum Skagafjord (Island)

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VON HUGO NÜNLIST, LUZERN

Mit 1 Kartenskizze und 6 Bildern ( 20-25 ) Wir gelangten am fünften Tag, nach einem Marsch von insgesamt 110 Kilometern vom Gullfoss aus, nach Hveravellir und befanden uns nun in der Mitte der grossen nordatlantischen Insel, aber mit wunden Füssen, da wir uns am Vortag wegen des herrlichen Wetters zuviel zugemutet hatten. Doch der Ort war wie geschaffen zur Erholung. Dr. Emil Winkelmann und ich konnten uns kaum sattsehen an den siedenden Quellen, dem Dampfqualm und den grellen Farben des Sinterbodens, der unter den Tritten knisterte oder zersplitterte und mitunter weich wie Teig war. Eines der Sprudel-becken, gefüllt mit chlorblauem kochendem Wasser, quoll über in hauchzarten Schüben und rieselte die Lehnen hinab. Rauchsäulen fauchten und wurden vom harschen Wind von Zeit zu Zeit nieder-gefegt, so dass sie wie Tarnnebel forthuschten. Heisse Dünste pafften und zischten aus Löchern, es gurgelte und knurrte allenthalben - aber unsere Schwielen schmerzten bei jedem Schritt.

Drei junge Isländer verbrachten hier in Zelten den Sommer, um die Schafe am Drahtzaun zu überwachen, damit sie nicht ins Nordland entweichen konnten. Gester Eysteinsson, der uns vier Tage lang gastfreundlich beherbergte, lud uns sogar ein, auf Ponys durch das Tjarnartal bis zum Langgletscher hinaufzusteigen. Wir hielten gern auf seinem Pflichtritt mit, schon um die Fussblasen zu schonen. Er führte uns auf dem berüchtigten Kjalvegur talein, einem uralten Reitweg, der den mit Fladen- und Plattenlaven übergossenen Schildvulkan Strytur umrundet, eine flache Kuppe inmitten des Kjalhraun auf der Wasserscheide Islands. Im Jahre 1780 hatte sich hier ein Drama abgespielt, indem fünf Männer mit allen im Südland eingekauften Pferden und Schafen in tiefem Schnee und eisiger Kälte umkamen. In Reynisstadir glaubte man, sie hätten im Süden überwintert; dort jedoch hofften die Leute, sie seien glücklich heimgekehrt, weshalb die beiden Brüder, ein Knecht und der Führer Jon erst im folgenden Jahr vermisst wurden. Der Islandforscher Paul Herrmann erzählt, dass man ihm noch 1904 abriet, den Kjalvegur zu durchreiten. Sein Führer sträubte sich zuerst und malte ihm die Gefahren und Entbehrungen aus. Als sie mit sieben Pferden auf dem Hof Reykir33 ( Tungusveit ) eintrafen, rang eine Magd die Hände, wies nach Süden zu den dunklen, unheildrohenden Wolken und schilderte das traurige Ende der Brüder von Reynisstadir. Er aber liess sich nicht beirren und wagte das Unternehmen.

An das Tjarnartal schliesst sich der Thjófadalur an, das Diebetal, so dass wir uns mitten im Gebiet von Sagen und Gerüchten befanden. Da alljährlich Hunderte von Schafen verschwinden und nicht mehr eingetrieben werden können, vermutete man auch hier den Aufenthalt Geächteter, die von Raubzügen lebten. Thoroddsen fand hier im Jahre 1888 die Ruinen einer Behausung, die ein Aus-.. gestossener gebaut haben dürfte, und Herrmanns Führer Ögmundur befürchtete, solchen « Draussen-liegern » zu begegnen. Als sie am Kjalhraun Pferde und einen Bauern sichteten, rief der weitgereiste Isländer aus: « Da sind Ächter, Nachkommen des unseligen Grettir! » Dieser ist eine berühmte Sagengestalt, die elf Jahre lang im Innern lebte. Nach der Überlieferung hatte der verfemte und rechtlose Flüchtling einen ganzen Sommer in dieser Gegend verweilt, wo ihm eine Höhle als Unterschlupf diente, die noch heute Grettishellir heisst. Zuletzt verbarg sich der Friedlose auf der Insel Drangey im Skagafjord, wo er im Jahre 1031 durch Verrat doch noch sein Leben einbüsste, kurz vor der Begnadigung, die nach fünfzehn Jahren ausgesprochen worden wäre. Auch in Hveravellir soll ein Verbannter, Fjalla-Eyrindr, mit seiner Frau und dem Leidensgefährten Arnes gehaust haben, der nach zwanzig Jahren schliesslich Verzeihung fand und 1780 in Bessastadir begraben wurde. In dieser sturmgepeitschten Gegend, die mit Sagen und geschichtlichen Begebenheiten verwoben ist, hätte ich stundenlang darüber nachsinnen mögen, wie einst Isländer über den mittleren Kjalvegur nach Süden zur Volksversammlung ( Althing ) auf der ehrwürdigen Stätte von Thingvellir ritten, wie Waren und Vieh während Jahrhunderten durch die Wüsten zwischen den Gletschern gelangten, wie die Verstossenen in entlegenen Grotten sich versteckten und ihr Leben von Schafraub fristeten - doch das Getrappel der Ponys sorgte dafür, dass meine Gedanken von vergangenen Ereignissen rasch abgelenkt wurden.

Als wir einmal die Tiere kurz weiden liessen, sprang ich derart sorglos ab, dass mich der Fuss-schmerz gleich auf den Boden legte und das andere Bein im Bügel hängenblieb, wonach das Pferd verwundert zurückblickte und vor Schadenfreude wieherte. « Das kann nur ein Schweizer sein », dachte es wohl. Sobald wir dann einem äusserst schmalen, tief ausgetretenen Pfad auf dem Steilbord des Flusses folgten, begannen die Ponys zu traben, derweil ich in tausend Ängsten schwebte, meines könnte in den zahllosen Windungen stolpern und mich abwerfen; doch der Isländer lachte nur und trieb sie noch mehr an. Mir wurde erst beim Aufstieg zum Langjökull wohler, wo Eysteinsson an den Firnzungen weisse Tupfen bemerkte und einen knappen, gellenden Schrei erschallen liess: « rrra, rrra! » - worauf die Schafe Reissaus nahmen, als gelte es, sich vor dem Leibhaftigen zu retten.

Auf dem Rückweg trippelten die Tiere auch über die jähen Halden hinab, ohne je zu straucheln, während ich mich verzweifelt an die struppige Mähne klammerte, da es mir unmöglich war, die wunden Füsse nach vorn in den Bügel zu stemmen. Immer mehr glitt der Sattel seitwärts in eine bedenklich schiefe Lage, so dass ich im Talgrund um Hilfe rief. Weder Emil noch der Isländer hörten mich im heftigen Wind, trabten frischfröhlich weiter und sahen sich nie um, derweil ich dem Pony schier die Mähne ausriss und der Sattel gegen den Bauch rutschte. Endlich hatte es genug von einem solch einfältigen Reiter und stand bockstill, da ihm meine Seelennot unerträglich wurde. Als der Isländer schliesslich zurückritt, meinte ich vorwurfsvoll: « Jetzt wäre ich beinahe zu Tode getrampelt worden! » Er schmunzelte nur und sagte: « Ponys sind eben klug und halten ( mit einem solchen Reiter ) an. » Es war somit höchste Zeit, dass ich mich wieder auf meine Füsse verliess und auf anständige Weise das Land durchstreifte. Als sie am fünften Tag geheilt waren, blaute ein unwahrscheinlich klarer Morgen herauf. Das Umgelände prangte in allen Farben. Wir machten noch rasch einen Besuch beim Backofen, wo der Isländer den Brotteig bloss im schwülen Tuffgrund zu verstauen brauchte, dann wanderten wir, das Strässchen verlassend, auf dem gelegentlich sogar Gesellschaftswagen rollen, über kupferbraune Schotterflächen, die noch zu glühen schienen und keinen Graswuchs trugen. Wir überkletterten den hohen Grenzhag, was mit den schweren Säcken nicht so leicht war, und begegneten erst an der Hvannavallakvisl einem andern Hindernis. Der enge Nebenarm liess sich überspringen, die Lasten wurden hinübergeworfen, den Hauptstrom jedoch durchwateten wir auf Kies, während das Wasser sattblau vorüberfloss und dennoch durchsichtig wie Kristall war.

Bald mehrten sich die Grasteppiche, in die sich Löwenzahn, Hahnenfuss und Enzian kuschelten, wogegen an den Ufern der Teiche die Wuschelköpfchen des Wollgrases im sanften Wind zitterten. Ein verästeltes Seelein, gesprenkelt mit einigen Inseln, zwang uns zu Umwegen durch Sümpfe und Borstgrashöcker, bis kahle Geröllrücken das farbengesegnete Landschaftsbild auslöschten. Wir hielten auf einem Wulst inne, hockten auf Tuffquadern und blinzelten zu den gleissenden Firn-tüchern des Hofs- und Langjökull. Die Luft schien zu flimmern und war so lau, dass ich sogar die Wolljacke ausziehen konnte. Fern im Norden, etwa 55 Kilometer weit weg, ragte die kobaltblaue Pyramide des M lifellshnükur ( 1138 m ) auf und wies uns die Richtung.

Abermals nahte das Einzugsgebiet eines Flusses, des Beljandi, wo uns winzige Mücken umschwirrten, die aber nicht stachen und deshalb nicht sonderlich belästigten. Wir schoben in lichtgrünen Moosen eine Rast ein und brauten Kaffee, weil das saubere Wasser zu verlockend war; sonst aber mussten wir uns stets mit planktonreichem, verdorbenem begnügen. Mittlerweile begann der Wind zu blasen, verschleierte sich der Himmel, machte sich die Kälte fühlbar und trieb uns weiter. Tuff- und Sandwüsten wechselten mit Polygonböden, auf denen sich Buckel an Buckel reiht, umflochten von einem ärgerlichen, mit Zwergstaudenflur überwucherten Rillennetz, worin es einem fast schwindlig wird. In dem geschützten Maschenwerk nistete der Goldregenpfeifer wie in einem Paradies. Ungewöhnlich aber war das Auftauchen eines Nerzes, der wie eine Bisamratte davon-huschte. Die Isländer sehen ihn nicht gern, da er sich rasch vermehrt. Nach Angaben Dr. A. Magnús-sons in Reykjavik wurden auf die Erbeutung des Nerzes Preise ausgesetzt; ein dänischer Schütze habe etwa hundert dieser Räuber erlegt.

Mit gemischten Gefühlen näherten wir uns hernach der Seydisá, die ihren Ursprung an den Hängen des Langgletschers nimmt und daher wasserreich ist, namentlich um die Mittagszeit, wenn an den Böschungen der Bürfjöll der Schnee schmilzt Die südliche Gabel liess sich noch gut queren, wogegen die nördliche besondere Tücken bot. Ich watete behutsam auf glitschigem Grund und immer in Gefahr, durch die Strömung umgeworfen zu werden, sobald der Wasserschwall zwischen den Blöcken zu stark wurde. Drüben zog ich die Schuhe ohne Strümpfe an, um sofort bereit zu sein, sollte meinem Gefährten ein Missgeschick zustossen. In Wurfweite des linken Ufers erklomm er einen Klotz, um seine Schuhe zu mir zu schleudern und für den trügerischsten Abschnitt freie Hände zu haben. Doch mitten im Schwung löste sich der Knoten der nassen Lederbändel, wonach die Schuhe getrennt in die Fluten platschten und sogleich weggeschwemmt wurden. Das hätte gerade noch gefehlt, dass einer der Schweizer unter die Hufe eines zahmen Ponys geraten wäre und der andere barfuss bis Bolstádarhlid, das noch rund 85 Kilometer entfernt war, hätte gehen müssen.

Wie gehetztes Wild rannte ich dem Ufer entlang, stürzte mich in das reissende Wasser und fischte die Schuhe heraus. Es war mir wie eine Vorahnung gewesen, dass sich etwas Unangenehmes ereignen könnte. Emil war durch den unerwarteten Ruck auch noch vom seifig glatten Stein hinabgeplumpst und landete nun, wie ich, ziemlich durchnässt. Ich hatte keine Zeit, seinem Sturz zuzuschauen, den er also hätte verschweigen können; doch seine tropfenden Kleider verrieten, was geschehen war.

Nun durften beide nach Herzenslust über den Zwischenfall lachen; denn wir hatten uns Mühe gegeben, mit aufgekrempelten Hosen möglichst trocken durch die Stromschnellen das Ufer zu gewinnen. Da ein Unwetter drohte, mussten wir uns allmählich sputen, um die vorgesehene Erdhütte noch beizeiten zu beziehen. Aber der Boden war mit Moosen gepolstert, federte in einem fort und hemmte das Vorrücken. Einige Runsen waren von verseuchtem Wasser durchflossen, das von Algen nur so strotzte. Jenseits eines mehligen Sandhügels stiessen wir an die Külukvisl bei einer Furt, wo unerwartet das Strässchen von Hveravellir einmündete, das auf unserer Karte nicht eingetragen war. Drüben, auf einem Hubel, zeichnete sich die Erdhütte Kúlukofi ab, die wir im ruppigen Wind noch abends betraten, froh darüber, nicht das Zelt aufschlagen zu müssen. Der aus Erdziegeln und Grassoden errichtete Unterstand, welchen die Einheimischen bei der Aussetzung der Schafe und Ponys und im Herbst bei der Eintreibung der Tiere benützen, war nicht sonderlich einladend: Unrat, Flaschen, Scherben lagen umher, auch draussen, was um so merkwürdiger ist, als der Isländer in mancher Farm Gänge und Stuben ohne Schuhe betritt, demnach auf Sauberkeit achtet. Doch hier in der Wildnis, wo das Innere einer fensterlosen Unterkunft bloss aus Erde und einer Holzpritsche besteht und keine Fremden nächtigen, waltet noch eine uneingeschränkte Freiheit. Zum Kochen mussten wir das schmutzige Wasser der Külukvisl in die Gefässe schöpfen, wobei fortwährend abgerissene Schleimfetzen und Algenfäden vorüberschwammen. Zu oft halten sich eben die Tiere an und in Bächen auf. Daheim würden wir uns hüten, auch nur einen Schluck daraus zu trinken. Hier hingegen, wo sich keine Quellen aufspüren lassen, löffelten wir Suppen, assen wir Brei und tranken Kaffee, als ob keine Lebewesen darin wären. Emil rümpfte zwar hin und wieder die Nase, leerte meine Gefässe aus, wenn allzuviel darin sichtbar war, und holte selber Wasser. Allemal kam er mit versteinertem Gesicht zurück und war bemüht, den Behälter sofort auf die Butangas-flamme zu stellen; aber dann pflegte ich mich recht neugierig zu vergewissern:

« Emil, soviel Schaum und Schnittlauch hatte ich schon vorher gebracht; meinst nicht auch ?» « Nein, mein Lieber. Ich bin überzeugt, dass jetzt bedeutend weniger Grünzeug darin steckt. » « Dann brauchen wir vielleicht eine Chlortablette weniger beizufügen? Wir müssen ja sparen. » « Um Gotteswillen, im Gegenteil, eine mehr! Man weiss ja nie, was für Biester darin umher-zuckeln. » Nachdem die Hütte gereinigt war, brachen wir anderntags wieder auf, in fahlem, bleichsüchtigem Licht und rauhem Wind, überschritten einen Kamm, wo Ponys auf dürftiger Weide ästen und sich keinen Deut um die Wetterlage kümmerten. Ein Fischreiher schwang sich aus irgendeinem Tümpel auf, Staub wirbelte über Geröllmulden, hinter denen sich eine nackte Bergbrust wölbte, das Helgufell. Die Ebene davor war mit verwittertem Schotter und Lavabrocken übersät, mit Verwehungen und Borstgrasbüscheln belegt, die ein Gemälde von zeitloser Einsamkeit schufen. Ich hätte vom Fahrweg, den wir bis hieher benützten, überallhin ausbrechen mögen, um diese grenzenlose Stille so recht in mich aufzunehmen.

Wenigstens das Helgufell wollte ich noch besuchen, während Emil den Vormarsch längs der Flanke vorzog und mir am Nordende warten sollte. Über einen Schichtriegel, Bimssteine und Laven schnaufte ich eilig hinan, im nachgiebigen Grund verbissen stapfend, zuerst über den Südgipfel, von dem aus im wütenden Luftzug die grau schimmernde, vielgliedrige Blanda sichtbar wurde. Aber welche Enttäuschung! Bis zur Nordkuppe waren noch fünf Kilometer zurückzulegen, stets auf steppen-artigem Holperboden, über Flechten und Moose, Lockererde und Geröll. Wie ein Geächteter hastete ich über Grashorste und Flugsandnester hinab zu einer Runse, hinauf über trostlose Halden und schliesslich über die Nordflanke zur Sandá hinunter, wo wider Erwarten mein Gefährte nirgends zu entdecken war. Immerzu ausschreitend, sperberte ich in jede Nische und hinter jeden Schuttdamm. Er musste bestimmt noch nördlicher zu suchen sein, da einige Trittspuren nicht vom Triebsand verschluckt worden waren. Als mich schon Unruhe übermannte, gewahrte ich ihn endlich. Er kauerte vermummt in einem windgeschürften Erker an einem unterhöhlten Lehmbord. Mit steifen Gliedern und klammen Fingern richtete er sich auf und war heilfroh, weitergehen zu können. Wir querten den Fluss zum Sockel des Saudafell, ununterbrochen über Moosnocken watend und sämtliche Ponyfährten verschmähend, die ja doch zu schmal waren und umherzickzackten.

Einmal aber gerieten wir an ein traumhaftes Plätzchen, wo sich vor dunkelgrünem Gestrüpp gelbroter Grus im tiefblauen Wasser spiegelte, in dem hellgrüne Algenschwärme hin und her fächerten. Ein Ort, wie geschaffen für Farbaufnahmen! Nachdem ich einen Film ausgewechselt hatte, trappten wir zum Afangafell, zu einem langen Höhenzug, an dessen Westseite ein schlecht begehbarer Ponypfad entlanglief, weswegen wir immer wieder die schwammigen Polster der runzeligen Heide wählten, auf der Pferde und Schafe standen, die uns unverwandt anglotzten und dann davonstoben. Als die Fellakvisl durch einen scharfen Bogen uns zu Umwegen zwang, versperrten plötzlich ausgedehnte Moräste, denen nicht mehr ausgewichen werden konnte, den Durchgang. Eine unvorstellbare Wassermenge hatte sich in diesem Sammelbecken angestaut, aus dem bloss noch Schöpfe aus Riedgräsern sprossten. Jetzt hiess es mutig sein und dennoch überlegt handeln. Die vordern Büschel waren noch fest genug, nahe beieinander und erlaubten einen flüssigen Gehschritt, ohne dass wir zu sehr einsanken. Aber anhalten durfte man nicht. Je weiter wir aber vordrangen, desto weicher, kleiner und spärlicher wurden die Inseln, unsere Sprünge mit Zelt und Rucksack dagegen stetig schwerfälliger und ungeschickter, so dass jedes Polster sofort untertauchte. Das war nun schlimm. Um nicht vom Schlammgrund angesaugt zu werden, liefen wir um unser Leben, hetzten und keuchten wie Besessene durch das scheusslich schwarze, trügerische Wasser, dass es unter uns gluckste, quietschte und spritzte, und konnten erst aufatmen, als die Sümpfe an Lehmbrüstungen endigten.

Wir überstiegen sie, schlitterten über klebrigen Mergel in eine Furche hinunter, übersprangen den Bach und kletterten auf einen keilähnlichen Vorbau, um uns auszuruhen. Die Sicht reichte bereits zu den Küstenbergen und zum Silberband des Thristikla-Sees, wogegen der Kofi Kóllarhóll immer noch nicht erschien, trotz der zuverlässigen Karte, die im Sturmwind flatterte und in den Falten zerriss. Es ging schon gegen Abend. Wir mussten uns erneut aufraffen, matschigen Boden durchschreiten und die Schulter des Afangafell betreten, die einen Überblick nach Nordosten gewährte, wo sich in halbstündiger Entfernung eine dunkle Warze zeigte: die Schirmhütte! Als das Schlickbett eines Baches auch noch durchwatet war, erreichten wir sie nach insgesamt 11 Stunden und einer Wegstrecke von 35 Kilometern.

Auch diesen Unterstand säuberten wir, holten Wasser am grausig überwucherten Ufer und standen abermals um 4 Uhr morgens auf. Beim Einpacken jedoch vermisste Emil den dritten Photokasten, den wir abwechselnd zu tragen pflegten, aber keiner konnte sich erinnern, wer ihn zuletzt umgehängt hatte. Ich entschloss mich, am Rastplatz vor den Sümpfen nachzusehen. Aber dort lag nichts, auch nicht in der Umgebung! Mit leeren Händen umkehren mochte ich nicht, weshalb ich mich fast wütend nochmals durch die Moräste stürzte, in einem wohl kilometerlangen Laufschritt zur Fellakvisl, wo wir kurz angehalten hatten. Vergeblich! Lag er etwa am Saudafell, 13 Kilometer vom Kofi entfernt, an jener reizenden Stelle inmitten rostverbrämten Schotters? In aufsässigem Wind, dichtem Sprühregen und klatschnassen Schuhen bewältigte ich auch diese Strecke noch und fand wirklich das farbige Eiland mitsamt dem Papierstreifen des ausgewechselten Filmes. Mehr aber nicht! Mir wurde schier schwindlig ob des Missgeschickes und der erfolglosen Suche. Den Verlust dieses teuren Apparates schrieb ich der Übermüdung zu. Aber hier hatten wir ihn doch noch gebraucht!

Zum Beweis meiner Anwesenheit nahm ich jenen Streifen mit, eilte diesmal der Ostflanke des Afangafells entlang in zwei Stunden zur Hütte zurück, was kürzer war. Emil erwartete mich traurig, da er von weitem erkannt hatte, dass mein Marsch von 23 Kilometern vergeblich gewesen war. Ich setzte mich rechtschaffen müde an der Erdmauer nieder und brütete vor mich hin. Hernach brauten wir Tee, wonach Emil vorschlug, mit ihm nochmals am Rand der Sümpfe nachzuschauen. Solange ein Hoffnungsstrahl bestand, wollte ich nichts unversucht lassen und willigte ein. Wir durchwateten den Quicksand des Bachs, kreuzten die Bergschulter und zogen hinab an den Saum der Sümpfe.

« Siehst du, hier habe ich alles abgesucht; er bleibt einfach verschwunden. » « Vielleicht liegt er weiter nördlich, beim nächsten Lehmkeil. Ich gehe rasch hinüber. » « Wir haben aber hier gerastet und nicht dort. Es wird nutzlos sein », sagte ich entmutigt.

Kaum war er an jenem Lehmvorsprung angelangt, hob er den Apparat auf!

« Aber dort befanden wir uns nie », hielt ich ihm entgegen, vor Freude ausser mir. Wir brauchten wohl eine Viertelstunde, um uns klar zu werden, wieso der Kasten dorthin zu liegen kam.

« Jetzt habe ich eine Lösung! » rief er aus: « Siehst du drüben an unserm Abhang die Pferde und die vielen Huftritte hier? Sie sind nach unserm Aufbruch hieher getrottet, vielleicht aus Neugier. Eines der Ponys schnappte den Riemen auf und schleppte den Kasten eine Weile mit sich, bis es ihn wieder fallen liess. » Das klang überzeugend. Doch wer hätte geahnt, dass die sonst harmlosen, gutmütigen Tiere einen derartigen Streich spielen würden, uns braven Schweizern, die von so weit hergereist waren, als Freunde Islands!

« Ich muss die Ponys allmählich ausklammern », gab ich ihm kleinlaut zu verstehen; denn ich hatte ihretwegen insgesamt 31 Kilometer zurückgelegt und einen ganzen Tag verloren, so dass wir in der Hütte nochmals nächtigen mussten.

Trotz Regenschauern und garstigen Winden wanderten wir dann 24 Kilometer weiter, zur ersten bewohnten Farm im Hintergrund des Blöndudalur, und waren äusserst gespannt, wie uns die Leute aufnehmen würden. Der Hof Eldjárnsstadir befindet sich unterhalb zerhackter Fluhstufen, umgeben von tropfenden Halmen, Pfützen und mit Blachen bedeckten Heutristen. Zwei oder drei Giebel-wände schmiegen sich aneinander, die Fenster haben keine Flügel zum Öffnen, Pflaster liegt am Eingang, und die Dächer sind mit Grasschollen belastet. Es ist eines der noch im altisländischen Stil erbauten Gehöfte, bewohnt von einer grössern und gewiss armen Familie, die uns sogleich in die schlichte, etwas muffige Stube einlud und mit Kuchen, Gebäck und Kaffee bewirtete, was nach dem von uns häufig gekauten Isländischen Moos herrlich mundete. Aber wir Hungrigen wagten kaum zuzugreifen und hätten lieber Brot gegessen, das jedoch nicht üblich ist. Die guten Leute sprachen leider nur isländisch. Darum mussten Blicke, Gebärden, Finger und Karten unsere Herkunft beschreiben und die Worte ersetzen. Es gelang sogar, uns nach einer Brücke über die angeschwollene, dem Hofsjökull entsprungene Blanda zu erkundigen. Der Jüngste erriet unsern Wunsch und fragte: « Brú? » Ich nickte lebhaft. Eine solche gäbe es erst am Ausgang des Tals, so dass wir weitertrotten mussten, zumal hier keine Unterkunft angeboten werden konnte.

Auf einmal überlief es mich kalt und heiss: Hatten wir uns nicht fest vorgenommen, in Höfen unter allen Umständen die Schuhe auszuziehen, um nicht unhöflich zu sein? Doch ausgerechnet die erste Farm betraten wir nichtsahnend mit Schuhen! Ich hielt ein Bein hoch, über die Tischplatte hinaus, was auch nicht gerade vornehm war, und zeigte mich bestürzt. Die Frau verstand und beschwichtigte mich durch Handzeichen. Sie wollte auch keine Entschädigung annehmen; aber als Emil ein neues, blumenbesticktes Taschentuch als Entgelt hinreichte, stand sie auf und drückte uns beiden gerührt die Hand.

Als wir uns abermals ins Regengestöber begaben, hu, wie war das kalt und widerlich! Ohne Hoffnung, den lieben Leuten nochmals zu begegnen, sagten wir « bless » ( auf Wiedersehen ) und nahmen ihren freundlichen, so wohlklingenden Abschiedsgruss mit: « Göda ferd! » ( gute Reise ). Er begleitete uns nach Gudlaugsstadir, wo wir in einer modernen Farm wiederum zuvorkommend empfangen wurden, und begleitete uns noch anderntags über die Blanda, dann durch die gegenüber Bólsta-darhlid brückenlose, Hochwasser führende Svartá, den Schwarzen Fluss, welcher von der Eyvindar-stadaheidi abfliesst, bis hinüber zum Skagafjord - immerzu durch unwirtliches Land, das aber trotz aller Unbill, nur schon durch die unendliche Einsamkeit und die düstern Farben, ungemein verlockend ist. Wenn jedoch bei Sonnengefunkel finstere Lavadecken, geheimnisversponnene Vulkane, bleierne Seen, schiefergraue Ströme, öde Bergrampen, bunt bekleckste Sinterlehnen und die fahle Hochlandheide in unwahrscheinlich üppigen Farben leuchten, dann überkommt mich das Gefühl, auf einem fremden Planeten zu sein, einer andern Welt anzugehören, wo noch keine geschäftigen und geschäftstüchtigen Wesen an der Schöpfung herumgebastelt haben.

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