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Wär' ich ein Königssohn

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ein Königssohn

Willy Auf der Maur, Seewen, SZ

1 War'ich ein Königssohn, wünschte mir einen Berg! Keinen mit dämmerigen Schluchten und Steinschlagrinnen, keinen mit Eisbarrieren und Hängegletschern. Nein, einen gutmütigen, freundlichen Kerl; einen mit knorrigen Legföhren und sonnenüberfluteten Plattenwänden. Bunte Schmetterlinge müssten ihn umgaukeln, Glockengebimmel in seinen Wänden widerhallen.

War'ich ein Königssohn, wünschte mir einen Brüggler! Man würde nachsichtig lächeln am Hof. , würde mir der Hofmeister sagen, ( nimm doch einen grösseren Berg, einen Riesen mit gleissenden Borten und funkelnder Diamantenkrone... Dein Vater ist reich und mächtigNein>, würde ich eigensinnig erwidern und zornig auf dem Boden stampfen,

Ich sehe ihn noch heute vor mir, den Sepp jenes denkwürdigen Brüggler -Tages. Unversehens ist er aus dem Schatten des Tannenwäldchens auf die Geröllhalde hinausgetreten, hat sich auf einem Block niedergelassen, Transistor und Mostflasche ausgepackt und zwischen zwei Schlucken zu uns hinauf-geäugt.

Nahezu eine Viertelstunde hat er uns zappeln und den Kopf nach dem Weiterweg aus-renken lassen. Endlich, zwischen Casi Geis-sers ( Jetzt wird 's lustig ) und Rees Gwerders ( Mütsche Geischt ) erbarmte er sich unser.

( Diä Ruute, wo-n-iehrmachid, ische Chabis — si hed nüd als Bäum und Drägg - det äne müönd iehr chläddere !) Er wies mit dem Kinn zum jenseitigen Ende der breiten Wandflucht: ( De Silvesterwäg, der isch schüüb Wisel tat, als hätte er nichts gehört. Mit der Miene eines Hochseefischers, dem man für eine Sonderleistung gekochten Hering in Aussicht stellt, zupfte er das Seil aus dem Legföh-rengeäst, um es in gleichmässigen Schlaufen in seine schwielige Hand zu legen. ( Gang Du wyter, mier chönd da es Stuck wyt mitenand chläddere !) Recht unwirsch kam dies über seine Lippen, und da ich wusste, dass offene Am Eingang des oberen Schwänditals GL

Widerrede ohnehin zwecklos wäre, begann ich -wehmütig des schönen Silvesterweges gedenkend - mich über die mit Legföhren besetzte Passage hinaufzuarbeiten.

Derweilen nahm Sepp, nach einer letzten innigen Umarmung, Abschied von seiner Mostflasche, rannte über geräuschvoll niederrau-schende Schuttmassen der Wandflucht entlang und huschte mit einigen frohen Jauchzern im warmen Sonnenlicht die ( unmögliche ) Fluh hinauf.

Als wir uns eine gute Stunde später im blanken Steilfels nach spärlichen Haltepunkten streckten, blickte er bereits teilnahmsvoll auf uns herab, verriet uns Griff und Tritt und erging sich halblaut in einer Betrachtung über Nutzen und Unnutzen von Legföhren im allgemeinen und derjenigen am Brüggler im besonderen.

Die Kletterei hatte mir trotz des vielerorts anzutreffenden Gehölzes mächtig imponiert, und so machte ich mich auf dem Gipfel wiss- In der Bildmitte die plattige Südwand des Brüggler begierig an den Mann heran, der uns am damals noch recht unbekannten Brüggler weiterhelfen konnte.

Sepp stellte uns vorerst mit grossartiger Geste die Linthebene und die Welt seiner Glarner Dreitausender vor. Hierauf geleitete er uns beflissen über die Randzone unserer Wand an den Fuss des Berges zurück. Edel-mütig stellte er uns hier seiner bauchigen Begleiterin vor... und dann legte er los: ( Also da, grad näbem Föhrewäg, wo-n-iehr grad gmacht hend, isch die gross Verschnydig... denn da, schräg ufä, hemmer de Waseriss, denn chunt die chlei Verschnydig, die gross Rilli, d'Plattewand... det hinde de Seppliriss und z'hinderscht denn nu de Sylvesterwäg. Ich ha-n-üch scho gseid, der müönd iehr gah, der isch verruggt schüüb Schliesslich fügte er noch etwas zögernd bei: ( Ich chume-ne üch scho go zeige !) Ich war gleich Feuer und Flamme, befürchtete aber Wisels neu entfachten Widerstand. Nichts konnte ihm, dem Eigenständi-gen, Zurückhaltenden, so gründlich die Laune verderben, als wenn sich ein Dritter in unsere Seilschaft einzudringen erdreistete. Doch diesmal schien er sich ergeben in sein Schicksal zu fügen.

Die Erosionsrillen am Brüggler: Wie die Geleise eines Güterbahnhofes ( ( Plattenwand ) ) Wir sollten in den nächsten Stunden zu einer völlig neuen Klettererfahrung kommen, denn hatten wir die Materie auf unseren Streifzügen durch die Berge bisher auch in den vielfältigsten Formen erlebt... ein versteinerter Spiegel war uns noch nie unter die Finger gekommen! Da war es beruhigend, zu erfahren, dass man nicht unbedingt als Fliege geboren sein muss, um eine zerborstene, glatte Fläche hinaufzuspazieren. Sepp bewies uns sogleich, dass man selbst ein bisschen Elefant sein darf, sofern man über gutgepol-sterte Oberarme verfügt. Die Art, wie er - beständig vor sich hinmurmelnd - den schmalen Gesimsen entlang in die Wand hinauspolterte, wie er die Griffe anpackte und übermütig an versteckten Rändern herumzerrte, forderte Wisel ein erstes Schmunzeln ab. Was sich da schräg über unseren Köpfen abspielte, war kein listenreiches Fechten mit feiner Klinge, sondern die harte, ehrliche Auseinandersetzung zweier ungleich starker Gegenspieler.

Die Route führte uns in reizvollem Schräganstieg von Rinne zu Rinne, von Nische zu Nische, jede von einer kräftigen Legföhre besetzt. Mit ihren weit über die Wand hinausragenden Ästen gemahnten sie an Seeleute, die ihre Segelboote vor dem Kentern zu bewahren suchen. Eine ganze Regatta schien da bei steifer Brise über die flimmernde Fläche zu gleiten.

Das feine, hellbraune Haar in die Stirne geklebt, lehnte Wisel an den Standplätzen, das angezogene Knie gegen den Fels gestemmt, und sog genüsslich den Rauch seines Glimm-stengels ein. Er hatte seine Krähenfüsse wieder! Wenn es mir meine Sicherungsaufgabe erlaubte, warf auch ich einen Blick übers Land, zum trotzigen Bockmattlistock etwa, oder zu den gezackten Silhouetten der fernen Mythen. Ausser vereinzeltem Glockengebimmel, dem Summen der Insekten, dem diskreten Klingeln der Karabinerhaken, drang kaum ein Geräusch an unser Ohr. Wir taten das Unsrige, um die friedliche Stille zu erhalten. Den da oben, den Sepp, liessen wir seinen Berg weiterhin traktieren! Höchstens etwa, dass Wisel mal ein dunkles Krächzen vernehmen liess, wenn wir ihn undeutlich mit den Griffen Zwiesprache halten hörten. So tönte es allemal von oben, und erst später fand ich heraus, dass Sepps Selbstgespräche und sein ganzes Gehabe einem einzigen, selbstlosen Zweck zu dienen hatte, nämlich uns, den beiden Brüg-gler-Neulingen, Vertrauen zum Fels und zum Seilgefährten einzuflössen.

Dies wäre wohl nicht nötig gewesen. Schon lange waren wir nie mehr so unbeschwert, so lustvoll über eine Wand hinaufgeklettert. Es gefiel uns ungemein am Brüggler! , begann ich meine Gedanken und Gefühle allmählich zusammenzufassen,

Ich habe an jenem heissen Sommertag, dem 26. Juni 1965, den Brüggler auf Anhieb ins Herz geschlossen, und so mag es kaum verwundern, dass ich im Verlauf der Jahre auch mit den meisten anderen Brüggler-Routen Bekanntschaft gemacht habe. Selbst wenn sich der eine Weg etwas steiler und der nächste etwas plattiger präsentiert, so gleichen sie sich in der Struktur doch wie ein Ei dem anderen. Alle sind sie ein bisschen Föhren- und ein bisschen Silvesterweg, ein wenig Stufen-arena, ein wenig Tanzparkett.

Es wäre aber ein schlechter, ein blinder Bergfreund, der dem Brüggler nur gerade die klettertechnische Seite abgewinnen könnte. Am frühen Morgen, wenn die schräg einfallenden Sonnenstrahlen abstrakte Bilder in die breithingelagerte Karrenplatte zaubern, am Mittag, wenn uns dieselbe Fläche als fein zise-liertes Mosaik erscheint, ist es ein Berg zum Betrachten. Da laden die rätselhaft ineinan-derverlaufenden Linien zu geistigen Spaziergängen und Höhenflügen ein, erwacht die Lust Räume auszumessen, Ursehnsüchte zu stillen. Träumen, träumen und spintisieren, das kann man am Brüggler. Wie jener lockige Jüngling, den ich einmal auf einem Steinblock sitzend traf; der mir, da ich einen Augenblick lang den Schritt verlangsamte, zögernd ein blaues Milchbüchlein unter die Nase hielt. ( Sinnsprüche ) las ich erstaunt auf dem schmucklosen Deckblatt. Neugierig schlug ich die erste Seite auf: ( Einmal Prüggier, immer Prüggier !) stand da geschrieben; ( Prüggier for ewer!> auf dem nächsten Blatt; ( Den Prüggier sehen und dann sterben !) auf der dritten Seite. Ich wagte nicht weiterzublättern und gab ihm das Büchlein zurück. ( Ewer mit V>, seufzte ich, drückte ihm bewegt die Hand und rannte meinem Seilgefährten nach, der sich bereits besorgt nach mir umdrehte.

Träumen und spintisieren, um das Wesentliche zu erkennen, um sich von Natur und Berg formen zu lassen! Ob uns da die neue Brügg-ler-Generation, die Lässigen, die Sanften mit ihren flaumigen Barten und randlosen Brillen, die uns auf abgelaufenen Fahrradpneus um die Ohren klettern, nicht schon geistig-ethisch den Rang abgelaufen haben?

Die Zeit verrinnt, stiehlt und schenkt! So weilt Wisel, mein lieber, langjähriger Seilgefährte schon ein Dutzend Jahre nicht mehr unter den Lebenden. Neue, jugendlichere Gesichter vermengen sich mit meinem inneren Brüggler-Bild; mit demjenigen von Hans zum Beispiel, dem Wildhüter und Bergführer, der am Brüggler verschiedene neue Routen eröffnet hat und uns in seinem Ferienhaus am Wandfuss immer wieder seine Gastfreundschaft schenkt.

Träumen und spintisieren... Dies darf auch, wem die schwierigsten Wände versagt blei- ben, und dies tue ich nirgends lieber als am Brüggler im schönen Glarnerland. So auch gestern - und als ich gerade darüber nachdachte, warum es überhaupt Berge gebe, ob wohl noch viele Brüggler in der brodelnden Magma herumschwimmen und wie mancher sich zwischen Feuerhölle und Erdoberfläche ächzend Platz zu schaffen versuche, da kam mir plötzlich ein Gedanke, der mich aufspringen liess: diese, Brüggler genannte, schräg in die grünen Alpweiden hineingestellte Klippe sei im Grunde genommen gar keine Kletterwand, sondern... der Alpgarten des hl. Fridolin!

Hatte ich nicht in den Spalten des Seppli-Risses den Seidelbast blühen gesehen? War ich nicht der Akelei, dem Enzian, der Trollblume begegnet und vielen anderen blühenden Pflanzen, deren Namen mir, als schlechtem Botaniker, nicht geläufig sind? Hatte Freund Hanspeter in der Kleinen Verschneidung nicht den fettesten Flüeblüemlistock auf Zelluloid gebannt, den er in seinem Leben je zu Gesicht bekommen hatte?

Ein unerhörtes Verdienst, meine Erkenntnis... eine Entdeckung, will mir scheinen, die nicht ohne Belohnung bleiben kann! Darum erwarte ich denn auch stündlich eine Botschaft, die mich fürderhin davon entheben wird, mein tägliches Brot in den vergasten Ebenen zu verdienen.

Lieber Leser, solltest Du also auf Deinem nächsten Gang ins romantische Schwändital drei Gestalten mit grünen Schürzen über die hellgrauen Plattenschüsse des Brüggler huschen sehen, dann sind wir es: der Sepp, der Hans und ich, der glücklich verhinderte Königssohn... wir, die fröhlichen Gärtner des hl. Fridolin!

... im reizvollen Schräganstieg von Rinne zu Rinne, von Nische zu Nische...

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