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Yosemite — einmal anders

Hinweis: Questo articolo è disponibile in un'unica lingua. In passato, gli annuari non venivano tradotti.

Gaetano Vogler, Genf

Im Yosemite National Park zu klettern und einen Artikel über ihn zu schreiben, gehört heute zum Alltäglichen. Wohl hat nicht jeder die Möglichkeit gehabt, dorthinzukommen, aber jeder hat von den grossartigen Granitwänden und den z.T. extrem schwierigen Kletterrouten erzählen hören.

Vor einigen Jahren hatte ich Gelegenheit, das berühmte Tal unter vollkommen anderen Umständen zu entdecken. Ziel der Reise war, eine Reihe von Aufnahmen aus dem Yosemite für ein amerikanisches Werk über das Klettern in den USA zu machen.

Da körperliche Anstrengung für mich unerlässlich ist und die Anziehungskraft des Unbekannten immer stärker wurde, beschloss ich, der Freude am Abenteuer nachzugeben und die Möglichkeiten für Wanderungen in diesem Gebiet zu erkunden.

Meine erste Unternehmung war ein ausgesprochen klassischer Spaziergang, der in die Nähe von zwei grossartigen Wasserfällen, den Vernal Falls und Nevada Falls, führte. Ich kannte diesen Weg bereits, weil ich sechs Jahre zuvor, als ich den Half Dome auf der Normalroute erstieg, schon dort entlanggegangen war. Es handelt sich dabei um die erste Etappe des berühmten John Muir Trail, auf dem man in knapp 15 Tagen vom Yosemite-Tal zum Mount Whitney, dem mit 4418 m höchsten Berg der USA, gelangt.

Meine Absichten waren aber viel bescheidener, doch allein schon der Besuch der Wasserfälle lohnt den Weg. Die Auswirkungen der späten Schneeschmelze waren in jenem August 1983 besonders eindrucksvoll. Die Fälle führten so viel Wasser, dass man, um auf dem nahe an ihnen verlaufenden Mist Trail, dem Nebelpfad, aufzusteigen, den Oberkörper entblössen und einen regelrechten Sprühregen über sich ergehen lassen musste.

Später wendete ich mich den Tuolumne Meadows zu, einer Hochebene in der Sierra Nevada, dem Mekka der Wanderer in Nordamerika. Man fährt mit dem Wagen über eine schöne, sehr ( amerikanische ) Strasse. Sie führt zum Tioga-Pass auf mehr als 3000 m, doch hat man fast niemals den Eindruck zu steigen.

Dort oben gibt es eine grosse Auswahl an Wanderrouten die ganz verschieden viel Zeit beanspruchen - von einem Tag bis zu mehreren Wochen. Leider muss man aber vorher den Weg und die Dauer der Wanderung festlegen, denn jeder, der auch nur eine Nacht in der freien Natur zubringen will, ist verpflichtet, ein ( Wilderness Permit ), eine Art Wanderge-nehmigung, zu erwerben.

Meine erste Reaktion war, mich darüber hinwegzusetzen, doch die Neugier führte mich zur Ranger Station, dem Posten der Parkpolizei, wo diese Genehmigung ausgegeben wird. Ich erhielt also mein Papier und dazu eine ganze Anzahl

Wenn Sie im Nationalpark zelten wollen, müssen Sie wissen, dass Sie Ihr Zelt mehr als 30 m entfernt von Seen und Bächen aufzuschlagen haben, um diese Gewässer nicht zu verschmutzen, und dass es auf mehr als 3000 m Höhe - also etwas unterhalb der Waldgrenze - verboten ist, Feuer zu entzünden. Ihre Notdurft müssen Sie in ein mindestens 20 cm tiefes Loch verrichten und das Papier verbrennen, vergraben oder mitnehmen. Sollten Sie jedoch zu einer grösseren Gruppe gehören, so unterliegen Sie folgenden Bestimmungen: Für mehr als 8 Personen besteht ein Verbot, die bezeichneten Wege zu verlassen; Gruppen von über 25 Personen sind überhaupt nicht zugelassen.

So lächerlich dieses kleine Reglement scheinen könnte, muss ich doch zugeben, dass es äusserst positive Auswirkungen zeigt. Ich habe nie sauberere Zeltplätze als in der Sierra Nevada gesehen, und um nichts Schlechtes über unsere schönen Alpen zu sagen, verzichte ich lieber auf jeden Vergleich mit unserm guten alten Kontinent.

Ich bin also allein für zwei Tage mitten im Wald losgezogen, mit der Absicht, in der Nähe der Young Lakes, kleiner Seen am Fuss der höchsten Gipfel des Yosemite-Parks, zu nächtigen. Nach einigen Meilen verlasse ich den Glen Aulin Trail, einen breiten Weg, der zu einem Camp in der hohen Sierra, einer Art Refugium mit fest eingerichteten Zeltbehausun-gen, wo man schlafen und Mahlzeiten einnehmen kann, führt. Darauf dringe ich in die tiefsten Tiefen eines Waldes aus Nadelbäumen vor, die vielfach Blitzschlagspuren von den in dieser Gegend häufigen Gewittern tragen.

Bei jedem meiner Schritte habe ich den Eindruck, mich mehr und mehr von der Zivilisation zu entfernen, in das Herz der Natur selbst einzudringen. Gerade diese Empfindung des Vernal Falls ( Yosemite, usa ) Tenaya Lake ( Tuolumne Meadows ) Photo Robert Bosch Entferntseins scheint mir den besonderen Zauber der Sierra Nevada auszumachen. Ausser dem Pfad, den man verfolgt, sieht man keine menschliche Spur mehr um sich herum. Das ist in den Alpen selten, wenn nicht sogar unmöglich geworden. In der hohen Sierra hingegen ist man nach einer Stunde Wegs schon sehr fern.

Plötzlich lässt mich ein Geräusch zusammenfahren, und ich sehe mich schon einem Braunbären, wie er in diesem Gebiet häufig ist, gegenüberstehen. Doch es ist nur ein sympathischer, für mein Teleobjektiv leider zu schneller Hirsch. Zum Ausgleich halte ich mich damit auf, die im Unterholz verborgenen Schönheiten, kleine Blumen und Pilze, zu bewundern.

Ich bin jetzt den Seen ganz nahe, und es kommt zu meiner zweiten Begegnung: Diesmal ist es ein Mann, ein Ranger, also Parkaufseher, sehr sympathisch, wie die meisten Amerikaner; doch nach einem kurzen Gespräch verlangt er, mein ( Wilderness Permit ) zu sehen. Diese plötzliche Konfrontation mit unserer niedrigen materiellen Welt reisst mich aus meinen Träumen: Ich bin nicht mehr als zwei Meilen von den Seen entfernt, die bald darauf sichtbar werden.

Am Ufer des höchstgelegenen Sees, gerade unter der Waldgrenze, richte ich mich ein. Nachdem ich meine Vorräte ausserhalb der Reichweite eines möglicherweise auftauchenden gefrässigen Bären an einem Ast aufgehängt habe, kann ich in Ruhe die Landschaft betrachten, die sich rings um mich erstreckt. Ich befinde mich am Fuss einer weit sich hinziehenden Mauer aus zerbrochenen Felsen, die sich im See spiegelt, und auf der anderen Seite, nach Westen zu, dehnen sich die riesigen Wälder der Sierra Nevada, aus denen da und dort erstaunliche Granitkuppen aufragen.

Die Wiese am Seeufer ist mit kleinen roten Blumen übersät, denn in dieser Höhe herrscht mitten im August noch Frühling. Auch die Mücken sind da, doch für ihre Aggressivität entschädigt ein prächtiger Sonnenuntergang in reichem Masse.

Am Morgen muss ich mein Biwak schleunigst verlassen, denn ein Gewitter droht, und ich habe bis zu meinem alten Chevrolet vier Stunden Marsch auf einer andern Route vor mir. Die von den Wolken zugestandene Frist reicht ganz knapp für den Rückweg, dann bricht eine eigentliche Sintflut herein.

Während ich den Weg zurück zum ( Basislager ) ( Camp IV des Yosemite-Tals ) nehme, ge-lobe ich mir, in einem späteren Jahr wiederzukommen, um dann noch länger in diese geheimnisvollen und wilden Wälder eintauchen zu können.

Aus dem französischsprachigen Teil. Übersetzt von Roswitha Beyer, Bern.

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