Zum Matterhornunglück vom 14. Juli 1865 | Club Alpino Svizzero CAS
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Zum Matterhornunglück vom 14. Juli 1865

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Von Heinrich Dübi und Paul Montandon.

P. M. Mit nicht geringer Mühe gelang es mir, zeitgemässe Bilder zu erhalten und zusammenzustellen von jenen sieben Männern, welche am denkwürdigen 14. Juli 1865 die erste Besteigung des Matterhorns vollführten. Behilflich waren mir dabei in freundlicher Weise die Redaktoren des Alpine Journal und Hermann Seiler in Zermatt, wie auch seinerzeit der Bibliothekar der Sektion Bern des S.A.C. Es sei ihnen dafür bestens gedankt. Es wurden die Originalaufnahmen vorgezogen, weil immer noch naturgetreuer als auch die schönsten Whymperschen Stiche. Wir glauben, dass die so erhaltene, photographisch verkleinerte Bildtafel eines alpinhistorischen Wertes nicht entbehre. Das Original soll später dem Alpinen Museum in Bern übergeben werden ' ).

Vorbericht.

H. D. und P. M. Durch Zeitungen, Romane und Filmvorführungen ist neuerdings die Aufmerksamkeit gelenkt worden auf die Ereignisse, welche die erste Besteigung des Matterhorns von Zermatt aus durch vier englische Turisten, einen Führer aus Chamonix und zwei Führer aus Zermatt begleiteten und durch das beim Abstieg erfolgte Unglück verdüsterten. Das Interesse an dem immer noch berühmten, wenn auch keineswegs grössten alpinen Unglücksfall hat nicht abgenommen, wenn auch der letzte Teilnehmer und Überlebende, der « junge » Taugwalder, vor sechs Jahren in hohem Alter gestorben ist. Beweis für dieses Interesse und für die dramatische Wirkungskraft jenes vieljährigen Kampfes um den schliesslich schwer bezahlten Sieg sind eben auch jene Machwerke. Sie nützen die grandiose Geschichte des Matterhorns zu finanziellen Zwecken aus, entstellen willkürlich den Charakter und die Lebensgeschichte der Beteiligten und schaden ihrem Andenken. Wir haben uns, ausser diesem Protest, mit ihnen nicht weiter zu befassen. Es erscheint uns aber angemessen, durch eine Zusammenstellung der Tatsachen nach zeitgenössischen Berichten mit Kommentar das Publikum aufzuklären und der wieder in Fluss gekommenen Legendenbildung zu begegnen. Wir verweisen im übrigen auf die Artikel von Heinrich Dübi im Jahrbuch S.A.C., Band 47, und J. P. Farrar im Alpine Journal, vol. 32/33, in welchen diese Autoren die verschiedenen Fragen in sachlichen Ausführungen bereits behandelt haben. Es versteht sich von selber, dass wir hier die Ersteigungsgeschichte des Matterhorns und besonders das Unglück nicht zum wievielten Male wiedererzählen. Wir werden uns auf die für unsere Zwecke wichtigeren Punkte beschränken. Dass unsere Arbeit sich als eine äusserst trockene darstellt, weil sie an die Romantik keinerlei Zugeständnis macht, möge man uns zugute halten. H. D. Wenn wir methodisch und unparteiisch vorgehen wollen, müssen wir auf die ersten Quellen zurückgreifen und den ältesten Berichten, soweit sie von Augenzeugen oder gut Unterrichteten stammen, den ersten Rang einräumen. Chronologisch aufgeführt, kommen folgende literarische Belege besonders in Betracht:

1. Die Zeitungsartikel und Telegramme, welche im Juli bis Anfang August 1865 durch Korrespondenten verbreitet wurden und die sich auf Berichte der Überlebenden oder auf die umlaufende Tradition beriefen. Ich habe diese Berichte und Gerüchte in meiner 1912 erschienenen Abhandlung: « Zur Erinnerung an Edward Whymper » 1 ) zusammengestellt und nach ihrer Bedeutung gewürdigt.

2. Die Verhörakten vom 21.23. Juli 1865. Sie sind abgedruckt im Alpine Journal, vol. 33, S. 234 ff., nach den Minuten der Kanzlei in Visp, welche die Aussagen der Führer ins Französische übersetzte, und ebenso in der französischen Ausgabe der « Scrambles » von 1922: « Escalades dans les Alpes par Ed. Whymper », Seite 281 ff. Das Verhör wurde geleitet von dem Untersuchungsrichter des Distriktes Visp, Joseph Anton Clemenz, und fand statt im Hotel Mont Cervin in Zermatt. Es wurden demselben unterworfen Edward Whymper ( 17 Fragen ), Peter Taugwalder, Vater ( zweimal, total 31 Fragen ), Franz Jos. Andenmatten und Alex. Lochmatter. Letztere zwei hatten sich an der Bergung der Leichen beteiligt.

Das Resultat dieser Verhöre, die man in den angegebenen, jedermann zugänglichen Publikationen nachlesen möge, ist zusammengefasst in folgenden Tatbestand, den wir aus dem Französischen in die vermutliche deutsche Originalfassung zurückverlegen:

Am 13. Juli 1865 um 5 Uhr morgens verliess eine Gesellschaft, bestehend aus den Herren Lord Douglas, Hudson, Eduard Whymper und Hadou ( so statt Hadow ) und den Führern Michel Cropt ( richtig Croz ) von Chamonix, Peter Taugwalder, Vater und Sohn, beide von Zermatt, Zermatt, um die Besteigung des Matterhorns zu versuchen. Den Abend des 13. verbrachten sie am Fuss des Berges. Am folgenden Tage verliessen sie ihr Nachtquartier um 340 Uhr morgens und erreichten um 140 Uhr nachmittags den Gipfel des Berges. Im Abstieg folgten sie dem gleichen Weg, den sie im Aufstieg eingeschlagen hatten, und waren in dieser Reihenfolge angeseilt: An der Spitze der Kolonne ging der Führer Croz, dann kamen Hadow, Hudson, Lord Douglas, Taugwalder Vater, Whymper und Taugwalder Sohn. In einer Entfernung von ungefähr 300 Fuss unterhalb des Gipfels kamen sie zu einer felsigen, mit Schnee bedeckten Stelle, wo es schwierig war, Fuss zu fassen. Beim Überschreiten dieser schwierigen Stelle, glitt Herr Hadow aus und riss im Sturze den Führer Croz mit sich fort. Das doppelte Gewicht riss auch Hudson und nachher Lord Douglas mit fort. Während dem kurzen Augenblick, in welchem dieses Ereignis sich zutrug, fanden die folgendenZeit Fuss zu fassen, und zwar so gut, dass das Seil zwischen Lord Douglas und Vater Taugwalder riss. Die Überlebenden stiegen hierauf mit aller Vorsicht ab und gelangten ohne anderen Unfall nach Zermatt Samstag den 15. Juli um 10 1/2 Uhr vormittags, nachdem sie die Nacht vom 14. zum 15.

1 ) Jahrbuch S.A.G.. 47.

in einer Höhe von 13,000 englischen Fuss über Meer auf einer Felsleiste von ungefähr 12 Fuss Ausdehnung zugebracht hatten. In Anbetracht:

1. dass aus den oben erwähnten Fakten sich keine Tatsache eines Vergehens ergibt, 2. dass Herr Hadow den Unglücksfall verursacht hat, dass aus den in Vorgehendem erörterten Tatsachen niemand einer Schuld oder eines Vergehens bezichtigt werden kann, wird beschlossen:

Es ist kein Anlass, der vorstehenden Untersuchung weitere Folge zu geben, deshalb wird sie aufgehoben und die Kosten werden dem Fiskus überbunden.

In den Akten folgen dann noch Protokolle über die den Verunglückten zugehörenden Gegenstände und Wertsachen, welche den Behörden vorlagen.

3. Nachdem Whymper am 21. Juli sein Verhör bestanden und dem Untersuchungsrichter eine Anzahl Fragen zur Beantwortung durch Taugwalder übergeben hatte, verreiste er von Zermatt nach Interlaken, wo er im Hotel-Pension Schlössli ( Besitzer P. Ober ) Quartier nahm. Hier verfasste er in englischer Sprache einen ersten Originalbericht über die Ereignisse vom 12. bis zum 18. Juli und überliess das Manuskript ( das nun als Nr. 779 in der Bibliothek der Sektion Bern S.A.C. aufbewahrt wird ) einem englischen Kollegen und seinem Gastgeber mit dem Auftrag, es an Edmund von Fellenberg weiter-zuleiten, zugleich mit einer Übersetzung ins Deutsche und einer solchen ins Französische, welche P. Ober vorzunehmen versprach. In einem an Fellenberg gerichteten, Interlaken, den 26. Juli 1865 datierten englischen Briefe wurde dieser gebeten, durch Veröffentlichung dieses Briefes im « Bund » und im « Journal de Genève » den Schweizer Alpenclub und das Schweizer Publikum über den wahren Sachverhalt, der bereits durch falsche Pressemeldungen entstellt sei, aufzuklären.

Warum aus dieser Verbreitung zunächst nichts wurde, ist in der Alpina vom 15. Dezember 1911, Seiten 225/226, auseinandergesetzt. Fellenberg war eben zu dieser Zeit im Berner Oberland und mit den Besteigungen des Lauterbrunner Breithorns und des Gross Grünhorns so beschäftigt, dass er erst am 10. August nach Grindelwald zurückkam, wo ihn dann wohl die für ihn bestimmten Briefschaften erreichten. So ist es gekommen, dass der deutsche Bericht Whympers resp. die von P. Ober verfasste Übersetzung des Originals erst in der Nummer vom 13. August der von Dr. Abraham Roth redigierten « Sonntagspost » erschien, während der für das « Journal de Genève » bestimmte, französische Text überhaupt nicht zur Publikation kam. Er ist noch vorhanden als Teil einer Aktensammlung, betitelt Ed. Whymper: « Récit de l' accident au Matterhorn. Correspondances relatives à la catastrophe. Traduction en français de M. Ober, 1865 », welche E. von Fellenberg im Dezember 1865 der Bibliothek der Sektion Bern S.A.C. « zur ewigen Aufbewahrung » übergab, Ein Doppel seines Briefes an von Fellenberg, von Interlaken 26. Juli datiert, sandte Whymper an einen zufälligen Bekannten, Sig. Rimini in Turin, und durch dessen Vermittlung offenbar ist er ( in italienischer Übersetzung ) im « Bolletino trimestrale del Club Alpino di Torino », Nr. 1, Seiten 20—25, erschienen. Die « Sonntagspost », bzw. deren Redaktor Dr. Abr. Roth, hatte schon in ihrer Nummer vom 30. Juli zu den durch die Katastrophe vom 14. Juli hervor- gerufenen Fragen nach der Verantwortlichkeit usw. in einem sehr verständigen und massvollen Artikel Stellung genommen. Sie setzte diese Diskussion und Abwehr in der Nummer vom 13. August fort und brachte die Hauptstellen zum Abdruck.

4. Sobald Whymper nach England zurückgekehrt war, richtete er auf Veranlassung des Präsidenten des Alpine Club einen Originalbericht an die « Times », welcher bald darauf im « Alpine Journal », Band 2, Seite 148, veröffentlicht wurde, wo man ihn nachlesen möge. Dieser Brief an die « Times », welcher mit dem Interlakener « Originalbericht » beinahe identisch ist, bildet die Grundlage aller Berichte, welche von Whymper selbst über die Ereignisse vom 12. bis zum 18. Juli 1865 ausgegangen sind. Er hat dieser Zeichnung später noch einige besondere Lichter aufgesetzt oder dunkle Schatten hervorgehoben, dies besonders zuungunsten der Taugwalder, aber in der Hauptsache ist er diesem Texte gefolgt in allen Publikationen, durch welche er später der Welt seine Ansichten über diesen Unglücksfall kundgab. Wir finden sie in nachstehenden Werken Whympers:

Scrambles amongst the Alps 1860—1869, including the first ascent of the Matterhorn. London 1871.

The Ascent of the Matterhorn. London 1880 ( 4. Auflage der Scrambles ).

A Guide to the Valley of Zermatt and the Matterhorn. London 1897.

Es wäre interessant, in diesen Werken die Entwicklung zu verfolgen, welche Whympers Darstellung des Unglücksfalles von 1865 bis nahe seinem Tode genommen hat. Wir wollen hier nur als Ergänzung auf das Interview hinweisen, welches Whymper im Jahre 1895 Herrn Jules Monod gewährte und über welches dieser in der Augustnummer des « Journal de Zermatt » unter dem Titel: « La première ascension du Cervin: détails inédits » referierte. Ich sagte hierzu in meinem Aufsatz 1 ):

« Wenn wir das Gesagte überblicken, kommen wir zu der Überzeugung, dass Whymper in dem Bestreben, das Geschehene zu erklären, mehrmals unwillkürlich über das hinausgegangen ist, was er in seiner ersten Niederschrift, in Interlaken, auf Grund einer noch ganz frischen Erinnerung und unbeeinflusst von Gerüchten festgelegt hatte. Auch das häufige Sprechen und Schreiben von dieser Sache musste naturgemäss gewisse Widersprüche in der Darstellung erzeugen, namentlich in bezug auf die verwendeten und die nicht zur Verwendung gelangten Seile. »

Ergebnisse.

H. D. 1. Die nicht von unmittelbar Beteiligten stammenden Berichte sind fast durchweg zuverlässig und kaum von Legendenbildung beeinflusst.

2. Man hat die Verhörakten als farblos und als von inkompetenter Seite stammend bezeichnet. Sie sind nach unserer Meinung durchaus korrekt abgefasst und stellen die Verantwortlichkeiten, auf die es dem Untersuchungsrichter einzig ankommen konnte, in genügender Weise fest. Besonders in bezug auf die verwendeten Seile geben sie gute Auskunft, und von irgendwelcher Verschleierung von für die Taugwalder belastenden Tatsachen kann keine Rede sein. Eben darum bleibt es zu bedauern, dass die versprochene Abschrift der Aussagen von Vater Taugwalder einem Whymper nicht zur Verfügung gestellt wurde und er diese also nie zu Gesicht bekam. Aber dies war nach unserem Gefühl nicht böser Wille, sondern Nachlässigkeit. Der Schlussbericht der Behörde hätte mit seinen Motiven, wenn rechtzeitig veröffentlicht, zur Hintanhaltung schlimmer Gerüchte beigetragen und Vater Taugwalder genützt. Auf einige Zwiespältigkeiten zwischen dem ersten und zweiten Verhör dieses Führers werden wir später zurückkommen.

3. Der noch ganz unter den ersten Eindrücken stehende Bericht aus Interlaken vom 25. Juli 1865 war zunächst für das Schweizer Publikum und den S.A.C. bestimmt und hat dank dem energischen Eingreifen von Abraham Roth und Peter Ober in der « Sonntagspost » und den Tagesblättern für einmal wenigstens den Erfolg gehabt, über die Ursachen der Katastrophe aufzuklären und hässlichen Gerüchten Einhalt zu gebieten. Nicht zu vergessen ist auch der Gewinn, welchen die Seiltechnik von diesen Kommentaren gehabt hat und dass das alpine Publikum aus der Matterhornkatastrophe und deren Diskussion 1865 vom Seilgebrauch und dessen Vor- und Nachteilen mehr gelernt hat als aus hundert vorhergehenden Besteigungen zusammengenommen 1 ).

Die zur Beachtung empfohlenen vier Hauptquellen kommen darin überein, dass sie die Diskussion auf vier Kardinalpunkte lenken, nämlich: a ) Vorbereitung der Unternehmung und Fähigkeit der Teilnehmer; b ) Leitung und Durchführung der ersten Besteigung des Matterhorns; c ) nähere Umstände und unmittelbare Ursache des Unglücksfalles; d ) Verantwortlichkeiten und die Seilfrage.

A. Vorbereitung der Unternehmung.

H. D. Der Zusammenschluss von drei Partien zu einer gemeinsamen Expedition war nur insofern zufällig, als sich die vier Turisten ohne vorherige Verabredung am gleichen Tage in Zermatt trafen. An sich war jeder schon vorher zu der Bergfahrt entschlossen und auf sie vorbereitet. Für Whymper war es der neunte Anlauf, der erste von dieser Seite. Dass auch Lord Francis Douglas die Besteigung auf dem Programm hatte, geht aus der Tatsache hervor, dass der in seinem Dienste stehende, ältere Taugwalder die Möglichkeit einer Besteigung von der Nordostseite erkundet hatte und seinem Herrn darüber Nachricht zukommen liess durch seinen Sohn, der Lord Douglas von Zermatt über den Theodulpass nach Breuil begleitete. ( Der Zweck dieses Überganges ist nie bekannt worden. ) Dass Hudson — Hadow war nur sein zufälliger Begleiter — sich auf dieses Projekt festgelegt und vorbereitet hatte, geht daraus hervor, dass er besondere, mit Draht durchflochtene Seile mitgebracht hatte, welche er dann als überflüssig in Zermatt zurückliess. Auch hatte er sich der Mitwirkung des Reverend Joseph M'Cormick, des englischen Pfarrers von Zermatt, versichert, der dann aber dienstlich verhindert war, mitzugehen. Und endlich war er im Winter vorher auf Besuch zu P. S. Kennedy gegangen zum Zwecke, diese Matterhornfahrt vorzubereiten.

Die Ersteigergesellschaft und deren Fähigkeiten.

P. M. Die aus drei Teilen zusammengefügte Gesellschaft: Reverend Charles Hudson und D. Hadow mit dem Führer Michel Croz — Lord Francis Douglas mit Peter Taugwalder Vater und Sohn — und endlich Edward Whgmper, stellte eine Zusammenfügung von ( mit einer Ausnahme ) homogenen Elementen dar. Sie war aber für eine Unternehmung dieser Art viel zu gross, worüber alle Alpinisten einen Sinnes sind. Unter den Schweizern haben dies zuerst Abraham Roth und später H. Dübi — unter den Engländern besonders Farrar und auch D. W. Freshfield — gerügt. Farrar bemerkt hierzu x ): Eine so grosse Gesellschaft erwecke unwillkürlich, auch bei erfahrenen Bergsteigern, fälschlicherweise ein Gefühl erhöhter Sicherheit. Es werde mehr geplaudert und die Aufmerksamkeit nehme ab. Es fehle die unbedingte Unterordnung unter ein verantwortliches Haupt. Niemand habe die unbedingte Verantwortung und damit das Gefühl derselben. Bei schwierigen Unternehmungen solle daher die Teilnehmerzahl eine beschränkte bleiben.

Wir möchten bei diesem Anlass beifügen, dass im Fels die Steinschlaggefahr, hervorgerufen durch die Turisten selber ( unter denen es stets Ungeschickte und Gleichgültige gibt ) eine bedeutend grössere wird. Wenn in einer Kolonne von sage 10 Mann einer der Oberstgehenden einen Stein löst, erlangt dieser bis zum unteren Teile der Reihe eine sehr gefährliche, todbringende Ein-schlagskraft. Die nun überall üblichen Sektionsfahrten auf schwierige Felsgipfel und die nicht mögliche Beschränkung auf nur erstklassige Teilnehmer tragen aus all diesen Gründen eine hohe Gefahr in sich und können von vorsichtigen Alpinisten nicht befürwortet werden.

Die „ Herren ".

P. M. Charles Hudson 2 ), geb. 1828, mit 37 Jahren der älteste der vier Turisten, war unbestritten ein Bergsteiger ersten Ranges, erfahren, geistig und körperlich vollkommen auf der Höhe. Eine mehr als zwölfjährige, bergsteigerische Tätigkeit befähigte ihn zum Schwierigsten. Führerlos hatte er schon 1855 eine Besteigung des Mont Blanc von St. Gervais aus, über Aiguille du Goûter, Dôme, Grand Plateau und Mur de la Côte ( mit Abstieg nach den Grands Mulets ) geleitet 3 ). Die erste Besteigung des Mont Blanc über die Bosses du Dromadaire ( mit Melchior Anderegg und anderen ) ist sein Werk. 1856bestieg er den Ararat. Bei der ersten Besteigung der Aiguille Verte über den schwierigen Moine-Grat am 5. Juli 1865 4 ) ging er beim Abstieg fast stets als letzter ( M. Croz als erster ), ohne irgendwelcher Hilfe zu bedürfen. Schon dies rechtfertigte das Zutrauen, welches Croz in ihn setzen musste. Auch während der Besteigung des Matterhorns, neun Tage später, war er überall von den Führern vollständig unabhängig, wie Whymper es bezeugt. Leslie Stephen 5 ) sagt von ihm: « He was the strengest and most active mountaineer I ever met. » Er stand im Ruf, damals der beste englische Bergsteiger zu sein 1 ), und war in der besten Form. Er härtete sich systematisch ab — auch zur Winterszeit, worüber Chaix von Genf 2 ) amüsante Einzelheiten berichtet. Er war also Whympers gefährlichster Konkurrent für das Matterhorn. Dabei bescheiden und anspruchslos — ein sympathischer, ganzer Mann.

Über Edward Whymper, der damals 25 Jahre alt war, d.h. über sein bergsteigerisches Können, besitzen wir, Irrtum vorbehalten, eigentlich kein Zeugnis ausser dem, welches aus seinen eigenen Schriften herausgelesen werden kann. Wir wissen aber, dass er vier bis fünf Sommerferien dazu benützt hatte, um mit den besten Führern viele grosse Turen und eine Reihe bedeutender Erstersteigungen auszuführen. Grandes Jorasses, Col Dolcent, Aiguille Verte, Pelvoux, Barre des Ecrins, Grand Cornier, Ruinette, Moming-Pass sind einige derselben. In diese Zeit fallen auch seine acht Ersteigungsversuche des Matterhorns von Breuil aus 3 ), welche recht eigentlich den schwierigen und verwickelten Weg von der italienischen Seite anbahnten. Sein ohne Begleitung ausgeführter und bis zur « Cravatte » gelungener Versuch war eine äusserst kühne Unternehmung — und damals war jene Seite ohne feste Seile. Sie beweist sein grosses Können. Es unterliegt keinem Zweifel, dass Whymper, wenn er einen derartigen Versuch auf der viel leichteren Schweizerseite wenn auch allein gemacht hätte, er sicher bis zur Schulter oder gar auf die Spitze gelangt wäre. Merkwürdigerweise hat er aber nicht einmal eine Erkundung auf der allerdings abschreckend aussehenden Zermatterseite unternommen. Erst 1864 verabredete er endlich mit Adams-Reilly, auch diese Nordostseite anzugehen 4 ), was jedoch umständehalber nicht zur Ausführung kam. Endlich hatte er sich also vom absprechenden Einfluss der Führer unabhängig zu machen gewusst.

Whymper war also ein durchaus geübter und erfahrener Bergsteiger. Für Fels hatte er nach eigener Aussage eine Vorliebe. Bescheiden und offen berichtet er, dass er am obersten schwierigen Hang des Matterhorns von Croz hie und da etwas Handreichung angenommen habe 5 ). Im übrigen wechselten er und Hudson — also nicht die Führer — bis zur Schulter im Vorausgehen ab 6 ), und es unterliegt keinem Zweifel, dass Whymper ein durchaus geschulter, ungemein zäher und entschlossener Gänger war, in der Vollkraft seiner jungen Jahre.

Lord Francis Douglas, der Jüngste von allen sieben, wurde geboren 1847 und zählte also bloss 18 Jahre. Sein sehr gutes, im Album der Sektion Bern des S.A.C. vorhandenes, hier wiedergegebenes Bild zeigt einen schlanken, sehnigen Mann mit jugendlichem, aber willensstarkem Charakterkopf. Er blickte bereits auf zwei bis drei bergsteigerische « Saisons » zurück. Kurz vor der Matterhornbesteigung hatte er als Erster mit Vater Taugwalder und Jos. Viennin das Obergabelhorn über die Mountetflanke erklommen, eine vollwertige Leistung. Whymper beschreibt ihn als « nimble as a deer » — gewandt wie ein Reh — und sagt von ihm: « he was becoming an expert mountaineer » 1 ). In seinem Briefe an die Times 2 ) schildert er ihn sogar als « a most accomplished mountaineer ». Während des ganzen Aufstieges auf das Matterhorn habe ihm kaum je die geringste Hilfe geleistet werden müssen, und er habe « niemals einen falschen Tritt getan»3 ). Ein kräftiger, unternehmender, in den Bergen erfolgreicher Jüngling, dessen Anschluss durchaus verantwortet werden konnte.

D. Hadow endlich, geboren 1846, etwa 19 Jahre alt, die unglückliche Ursache der Katastrophe, war das schwache Glied der sonst starken Kette. Aber eine Kette ist nicht stärker als deren schwächstes Glied. Er stand im ersten Jahre seiner bergsteigerischen Laufbahn 4 ). In Begleitung von Hudson hatte er allerdings am 9. Juli 1865 den Mont Blanc in sehr kurzer Zeit bestiegen — 4 1/2 Stunden von den Grands Mulets aus, Abstieg vom Gipfel nach Chamonix in 5 1/2 Stunden. Sonst aber hatte er keinerlei ernsthafte Bergfahrten gemacht. Bergsteigerische Geschicklichkeit ist zum Teil geistige und körperliche Naturanlage, die dem einen in hohem Masse verliehen sind, dem anderen weniger. Es kommt ja vor, dass erfahrene Bergsteiger, die einmal einen jungen Anfänger mitnehmen, zu ihrem Erstaunen wahrnehmen, dass dieser auf seiner ersten Fahrt ohne weiteres gut, vielleicht sogar schneller klettert als sie selber. Aber dies sind Ausnahmen, und man erhält den Eindruck, angesichts der steten Hilfe, welche Hadow nötig hatte, und der Art dieser Hilfe, dass er zu den wenig begabten Kandidaten gehörte.Vater Taugwalder sagte bei seiner Einvernahme vor Gericht, Hadow sei « ein sehr schlechter Kletterer » gewesen 5 ). Nur lange Übung hilft über diesen Mangel hinweg. Und auch dann sind, wie übrigens auch auf anderen Gebieten, einem solchen die Grenzen enger gezogen als den von der Natur mehr Begünstigten.

Es kann dem jungen, für die Berge begeisterten Manne kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass er die Begleitschaft mit seinem Vorbild Hudson nicht von sich aus freigab und nicht zurücktrat. Zwei Tage vorher hatten sie zusammen das Horn auf einem Spaziergang besichtigt, und Whymper sagt, sie hätten ihm ihre Absicht kundgegeben, am folgenden Tage, also am 13., zur Besteigung aufzubrechen 6 ).

Seiner selbst und ihres Führers Croz sicher hatte Hudson in der Mitnahme des ungeübten Begleiters, dessen Unbeholfenheit im Fels ihm wohl nicht bekannt war, offenbar nichts Unvernünftiges und Gewagtes erblickt. Vielleicht sah er sogar in der Verbindung mit vier weiteren guten Bergsteigern eine erhöhte Sicherheit für alle voraus. Es ist auch möglich, doch nicht sicher, dass, wenn Hudson, Hadow und Croz für sich gegangen wären, Croz im Abstieg die Stelle des Letzten eingenommen hätte und dass dann trotz der Unzulänglichkeit Hadows kein Unglück eingetreten wäre.

Hudsons Urteil: « Ich erachte ihn ( Hadow ) als einen genügend guten Mann, um mit uns zu gehen » 7 ), musste für den viel jüngeren, frage-stellenden Whymper massgebend und entscheidend sein. Auch befürchtete dieser, der ohne Führer war, vielleicht seinen eigenen Plan zu ver- eiteln, wenn er wegen Hadow Einwendungen machte. Zwar konnte bei dem gefürchteten und im näheren unbekannten Matterhorn niemand wissen, welchen Schwierigkeiten man entgegenging, und eine Entdeckungsfahrt dieser Klasse ist nicht für junge Anfänger. Grössere Schwierigkeiten zeigten sich allerdings erst in der Nordflanke oberhalb der Schulter. Hier macht Whymper, nur in seinem Brief an die Times 1 ), die Bemerkung, dass « niemand vorschlug, den ( sehr hilfebedürftigen ) Hadow zurückzulassen. Sie gehört zu den von Whymper immer mehr verklausulierten Äusserungen über den jungen Mann, den er nach seinem Tode aus Noblesse nicht zu sehr belasten mochte. Hadow hätte eben in Gesellschaft des jungen Taugwalder auf der Schulter zurückgelassen werden sollen, wodurch die Gesamtqualität der übrigen gewonnen hätte.

Nach allem kann dem erfahrenen Hudson der Vorwurf nicht erspart bleiben, seinen jungen Freund aus Gutmütigkeit oder Optimismus zu leichthin empfohlen und nur an dessen Ausdauer gedacht zu haben. Dadurch ist Hudson die indirekte Ursache des Unfalls geworden und hat dies mit dem Leben bezahlen müssen.

( Wenn Hudson den Hadow auch mit auf den Mont Blanc nahm und sie zusammen im Hause des Prof. Chaix in Genf verkehrten 2 ), so war doch Hudson keineswegs Hadows [oder Douglas'] Privatlehrer, wie dies gelegentlich behauptet wurde. J. W. Charlton, ein Kollege Hudsons, bestritt dies in seinem Brief an die Times vom 21. Juli 1865 3 ). Ihr Zusammengehen war mehr Folge zufälliger Reisebekanntschaft. ) Die Führer.

P.M. Michel Croz, geboren 1830, 35 Jahre alt, war damals einer der hervorragendsten Führer der ganzen Alpenwelt und auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit. Man lese darüber z.B. in Whympers « Ascent of the Matterhorn » die Schilderung der von Croz bei Überschreitung des Moming-passes geleisteten Arbeit. Er hatte in seinem Haben eine Reihe grosser Erstersteigungen. Seine aussergewöhnliche Kraft, seine erstklassige Kenntnis von Schnee und Eis, sein Unternehmungsgeist, verbunden mit einem durchaus edlen Charakter und vieler Kultur, stempelten ihn zum Führer im besten Sinne des Wortes. Von allen ihm bekannten Führern, sagt Whymper, sei Croz am meisten nach seinem Herzen gewesen* ).

Peter Taugwalder, Vater ( 1820—1888 ), damals 45 Jahre alt, wenn auch alles in allem vielleicht nicht ganz vom Kaliber eines Croz oder Carrel oder Almer, hatte Führereigenschaften, die jedenfalls über das gewöhnliche Mass bedeutend hinausragten. Er war, wie Farrar bemerkt 5 ), damals wohl der beste Zermatterführer und einer der besten überhaupt. Er war besonders durch seine Teilnahme an den ersten Monte Rosa-Besteigungen berühmt geworden und von daher auch mit Hudson persönlich bekannt 6 ). Tuckett, Kennedy ( Matterhornversuch vom Januar 1862 ), Lord Douglas und andere hatten ihn verwendet, ihn und seine Leistungen gerühmt. Er und Carrel waren die einzigen Führer, welche nicht an die Unbesteigbarkeit des grossen Hornes glaubten. Die anderen, sogar Almer, lachten, wenn Whymper eine Besteigungsmöglichkeit von der Zermatterseite zur Rede brachte 1 ). Wer je die glänzenden Eishänge und Seraks betrachtet hat, in denen das Obergabelhorn gegen Mountet abfällt und über welche Taugwalder Lord Douglas beim ersten Anlauf hinaufführte, muss dem entschlossenen Unternehmungsgeist, den Fähigkeiten und dem Charakter dieses Führers hohe Achtung zollen. Douglas hat dies auch getan 2 ).

Sein Sohn Peter Taugwalder ( 1843—1923 ), wenn auch zur Zeit der Matterhornbesteigung bloss 22 Jahre alt, hatte seinen Vater als Träger und auch schon als zweiten Führer auf manchen grossen Bergfahrten begleitet, unter anderen bei einem Versuch auf die Dent Blanche von Bricolla aus. Dass sein Vater ihn beim Abstieg vom Matterhorn als Letzten der Kolonne gehen liess, beweist des Vaters Vertrauen in den Sohn als einen sicheren Mann. Für den Unfall kann er nicht als Zeuge in Betracht fallen, da er hoch oben stand, er wurde vom Gericht deswegen auch nicht einvernommen.

Die Frage an den Vater lautete: « Votre fils a-t-il connaissance de quelle manière l' accident est arrivé? » und dessen Antwort: « Je ne le crois pas, car il m' a demandé à ce moment: Vous êtes encore là, mon père?3 ). » Er wurde später ein gesuchter Matterhornführer ( « Matterhorn-Peter » ) und bestieg das Horn im ganzen etwa 120 mal, zum erstenmal nach dem Unglück wieder 1871, bis in den 90er Jahren ein Unfall ihm das Steigen verunmöglichte. Sein Führerbuch ist jetzt im Besitze des Alpine Club 4 ), aber leider ist das ganze Jahr 1865 von einem Unbekannten herausgerissen worden. In seinem Alter scheint er, offenbar bei geschwächtem Gedächtnis, seine Rolle bei der Katastrophe mit der seines Vaters verwechselt zu haben. Aber es liegt in keinem Falle ein Grund vor, das Ergebnis der Einvernahmen Whympers und des Vaters Taugwalder sowie den von Whymper sogleich nach dem Begebnis niedergelegten, sorgfältigen Bericht nicht als durchaus sichere Quellen zu betrachten.

B. Die Leitung und Durchführung der Besteigung.

H. D. Dass Hudson und Whymper die Leitung des Unternehmens an sich nahmen, war durchaus zweckmässig. Die Initiative lag ohnehin bei ihnen und nicht bei den Führern. Lord Douglas ordnete sich freiwillig unter und Hadow ging nur so mit. Die Führerfrage wurde durch die erstgenannten geregelt, und es ist bezeichnend für das grosse Selbstvertrauen Hudsons, dass er glaubte, vier Herren könnten mit zwei prima Führern auskommen. In der Tat wurde der junge Taugwalder erst am Morgen des 15. als Führer und wohl auch als Träger in Dienst genommen, vorher war er mit seinem jüngeren Bruder bloss als Träger angestellt worden. Am ersten Tage gingen Hudson und Whymper auf dem Hörnligrat voran und hackten die wenigen notwendigen Stufen. Sie waren es auch, die Croz und den jüngeren Taugwalder auf Rekognoszierung ausschickten und die Herstellung des Lagerplatzes überwachten. Auch am 14. gingen sie, wie schon gesagt, bis zur Schulter des Matterhorns abwechselnd voran. Vom Seil wurde anscheinend wenig oder gar kein Gebrauch gemacht. Erst beim Übertreten auf die Nordflanke wurde die Marschordnung eine andere, straffere. Croz ging nun voraus. Ihm folgten Whymper und Hudson; Hadow und der alte Taugwalder bildeten den Schluss. Der Zweck der Änderung war, die sichersten Leute an die Spitze der Kolonne zu bringen. So konnte auch dem Hadow die dringend benötigte Hilfe am besten gewährt werden. Nur in seinem Briefe an die Times 1 ) deutet Whymper an, dass niemand vorschlug, ihn über diese schwerste Stelle nicht mitzunehmen. Das Marschtempo war nicht nur wegen Hadow ein langsames. Auf die zehn Stunden des effektiven Aufstieges kamen eine Stunde und zwanzig Minuten Halte. Bloss in seinem Briefe an die Times hebt Whymper hervor, dass dieses Langsamgehen bei ihm und Croz Bedenken hervorgerufen habe. Er gibt dort auch eine andere Berechnung, nämlich weniger als zehn Stunden vom Nachtquartier zum Gipfel, davon nahezu zwei Stunden Halte. Gemäss Brief an die Times 2 ) zeigte oben kein Glied der Gesellschaft irgendwelche Spur von Müdigkeit.

C. Die Reihenfolge im Abstieg 3 ).

P.M. Für den Abstieg entschieden Hudson-Whymper zusammen die Reihenfolge. Die drei Führer waren offenbar mit ihr einverstanden. Es ging also Croz « als der Stärkste » voran, gefolgt von Hadow, Hudson, Douglas und dem Vater Taugwalder, « als dem Kräftigsten der übrigen ». Whymper und der junge Taugwalder deponierten noch eine Flasche mit den Namen auf dem Gipfel und folgten daher etwas später als Letzte. Warum im Abstieg gerade der Stärkste vorangehen sollte, da keinerlei neue Hackarbeit zu besorgen war, ist nicht ersichtlich. Der einzige Vorteil bei dieser Anordnung am Matterhorn war, dass einer der zwei älteren Führer am meisten Gewähr bot für das Einschlagen des besten Weges, speziell Croz, der ihn im Aufstieg aufgespürt hatte. Auch hatte Croz das Einsetzen der Füsse Hadows, dessen und Hudsons Führer er war, zu besorgen. Von dieser allzu primitiven, bergsteigerischen Hilfe ist man seitdem längst abgekommen, und die Sicherung wird nun im allgemeinen von oben besorgt. In jenen Zeiten waren Turisten und Führer — ausser etwa die Schüler Melchior Andereggs — noch in der sehr natürlichen Idee befangen, dass unbedingt ein Führer im Auf- und Abstieg voranzugehen habe. Deshalb Messen diese auch Führer. Das Alpine Journal 1, Seite 38, erzählt, dass bei einer Besteigung der Dent Blanche Jean Baptiste Croz, älterer Bruder und wohl auch Lehrer des Michel, auch beim Abstieg voranging. Seine zwei Herren und ein Jüngling ( a lad ) folgten « so gut als möglich » als Letzte! Und beim Abstieg von der Aiguille Verte über den Moine- Grat am 5. Juli 1865 1 ) gingen alle sechs an einem Seil, Michel Croz voran. Auch hier war ein Turist, und zwar, wie schon gesagt, Hudson, fast durchweg der Letzte, Oberste. Dagegen aber, bei L. Stephens zweiter Besteigung des Weisshorns, am 13. August 1863 2 ), blieb Melchior Anderegg beim Abstieg Letzter. Die Meiringer waren also in der alpinen Technik den Chamoniarden voraus und überlegen.

Ein im Abstieg vorangehender Herr hätte, wenn nötig, von Führerseite oberhalb Winke bekommen können betreffs des einzuschlagenden Weges. Die Aufstiegsspuren müssen übrigens in den mit Schnee untermischten Felsen und bei der grossen Kolonne noch gut sichtbar gewesen sein. Da bloss drei Führer vorhanden waren, wäre es nach heutigen Begriffen angezeigt gewesen, sie an den wichtigsten Posten zu belassen und einen tüchtigen Herrn an die Spitze zu stellen, Hudson oder Whymper. Man hätte die Gesellschaft auch in zwei Teile zerlegen können. Die Reihenfolge wäre dann, wieder nach heutigen Begriffen, im Abstieg z.B. folgende gewesen:

Erstes, unteres Seil: Hudson voraus, Hadow in der Mitte, Croz zu oberst.

Zweites, oberes Seil: Whymper voraus, Taugwalder Sohn, Douglas und Vater Taugwalder zu oberst 3 ).

Bei dieser Vorkehr hätten aber die Führer wohl reklamiert und aus alter Gewohnheit gefunden, wenigstens beim unteren Seil solle einer der ihrigen vorangehen.

Falls alle sieben in einer Kolonne marschierten, wäre gemäss Farrar folgende Anordnung die beste gewesen:

Vater Taugwalder zu oberst, hernach Whymper, Croz, Hadow, der junge Taugwalder, Douglas und zu unterst, vorausgehend, wiederum Hudson. Hadow hätte also zwei Führer gehabt, um ihm beizustehen, und Führer sind eher als die damaligen Herren gewohnt, Schwächeren zu helfen. Dagegen wäre aber Croz etwas weit von der Spitze gestanden. Er hätte Hudson, der es allerdings kaum nötig hatte, von so hoch oben nicht wohl dirigieren können.

Wenn man aber der dermaligen Meinung Rechnung trägt, es müsse ein Führer vorangehen, so käme unserer Ansicht nach folgende Anordnung in Betracht:

Erstes, unteres Seil: Taugwalder Sohn voraus, dann Hadow und Croz zu oberst.

Zweites, oberes Seil: Whymper voraus, sodann Hudson, Douglas und Vater Taugwalder ganz zu oberst, oder auch, in der gleichen Folge, beide Seile zusammengeknüpft.

Dem Einwand, dass hier drei Turisten aufeinandergefolgt wären, mit nur einem Führer oberhalb, darf entgegnet werden, dass die zwei untersten des oberen Seiles unbedingt sichere Gänger waren und dass überdies Whymper, der Unterste, gleich oberhalb Croz und in dessen Nähe gestanden hätte.

H. D. Der Abmarsch vom Gipfel geschah offenbar wegen der grossen Anzahl Leute etwas überstürzt, so dass Whymper und der mit ihm durch ein Seil verbundene jüngere Taugwalder nacheilend erst später dazu kamen, sich der Hauptkolonne anzuschliessen, zunächst noch getrennt, dann, bei dem gefährlichsten Hang angekommen, durch Seilverbindung mit ihrem Letzten, dem älteren Taugwalder. Wenn das Verhältnis zwischen Herren und Führern ein ungleiches war, so durfte Vater Taugwalder, durch den Untersuchungsrichter auf diesen Verstoss gegen das Reglement aufmerksam gemacht, wohl antworten: « Der Erste der Kolonne war der Führer Croz, dann kam Hadow, dann Hudson, der sich als Führer gab, dann Lord Douglas, dann ich, Whymper und mein Sohn. Wenn der Richter zugibt, dass Hudson den Führer machte, so sehen Sie, dass jeder Turist zwischen zwei Führern war. » Alle Berichte stimmen darin überein, dass das Wetter während den in Betracht kommenden Tagen tadellos war. Infolgedessen waren auch die Verhältnisse am Felsberg Matterhorn für eine Besteigung günstig, ausgenommen, dass die Schulter und die plattige Nordflanke mit einer dünnen Schicht Neuschnee, herstammend von einer drei bis vier Tage zurückliegenden Wetterstörung, bedeckt waren, durch welche einzelne, auch um die Mittagszeit noch leicht vereiste Felszacken durchstachen. Während unterhalb der Schulter von Schwierigkeiten nicht gesprochen werden konnte, werden dieselben auf dem ungefähr 200 Fuss in die Breite und 300 in die Höhe umfassenden Terrain, der eigentlichen Schlüsselstellung, als beträchtlich und zur Vorsicht mahnend angegeben. Whymper hat sich darüber verschieden geäussert, je nachdem die Frage gestellt wurde, und immer mit Bezug auf die Fähigkeit der Teilnehmer und besonders Hadows. In seinem Brief aus Interlaken heisst es: « Immerhin war es eine Stelle, die jeder gute Bergsteiger mit aller Sicherheit passieren konnte », und die Bemerkung bezieht sich auf den Abstieg. Im Briefe an die Times hingegen fügt er dieser Bemerkung bei: Es ist nur gerecht zu sagen, dass die Schwierigkeit, welche Herr Hadow hier ( d.h. beim Aufstieg ) empfand, nicht von Ermüdung oder Mangel an Mut herkam, sondern lediglich von Mangel an Übung 1 ).

Dass ein Ausgleiten Hadows die unmittelbare Ursache des Unglücks war, hat schon die gerichtliche Untersuchung festgestellt. Wie die Sache im einzelnen zuging, ist nicht sicher bekannt, und Whymper ist in seinen Berichten hierüber von einer zögernd ausgesprochenen Vermutung — er 1 ) Der Hang, an dem das Unglück geschah, wurde von G. E. Foster, der ihn am 4. August 1868 mit drei Führern beging und wobei sie von der -Schulter, erst von hier weg am Seil und mit vierzig Fuss Distanz zwischen den einzelnen 200 Fuss in die Nordwand hinausquerten, wie folgt beurteilt ( A.J. 4, S. 159 ): Im Aufstieg ( 2% Stunden von der alten, oberen Hütte zum Gipfel ): « Diese Felsen sind so steil, dass es eben noch möglich ist, sie zu erklimmen, geben aber guten Halt und sind nicht eigentlich schwierig. Der alleroberste Hang war von einer tiefen ( im Abstieg gefährlichen ) Schneeschicht bedeckt. » Und im Abstieg ( 3 1/2 Stunden vom Gipfel zur Hütte ): Der Abstieg war bis zur Schulter viel schlimmer als der Aufstieg, aber auch nicht schwieriger, als ich es anderwärts in den Alpen antraf... Ich glaube nicht, dass die Felsen schwieriger sind als diejenigen des Schreckhorns, aber der Abstieg zur Schulter verlangt mehr Sorgfalt, da es fast unmöglich wäre, ein Ausgleiten aufzuhalten. » Die Schwierigkeiten werden auch auf dieser Route, die längst nicht mehr begangen wird, sehr stark vom Zustande des Berges abhängen. Whympers Schätzung der Neigung, 35—40°, wird wohl ihre Richtigkeit haben.

sah von seinem Standpunkt nur die Schultern der Untersten — zu einer uns überraschenden Sicherheit der Kenntnis fortgeschritten, die dennoch einigem Zweifel Raum lässt. Auch Vater Taugwalder konnte wegen der Schnelligkeit des Vorganges, wie er bestimmt angibt, keine feste Meinung gewinnen. Noch weniger konnte sein Sohn, der weit entfernt stand, darüber Auskunft geben, und ist deswegen auch nie als Zeuge einvernommen worden. Ich hebe dies deswegen hervor, weil man in neuster Zeit ein grosses Wesen davon gemacht hat, was er 60 Jahre nach dem Ereignis und in hohem Alter interessierten Fragern als beweiskräftiges Material geliefert haben soll.

D. Die Seile, das Anbinden und die Katastrophe.

P.M. Während Whymper und der junge Taugwalder kurze Zeit auf dem Gipfel zurückblieben, wurden die vier Vordersten in der überein-gekommenen Reihenfolge an eines der stärkeren Seile gebunden. Croz war also der Unterste, ihm folgten Hadow, Hudson und Douglas. Vater Taugwalder, vorläufig Letzter und Oberster, verband sich mit Douglas mit einem andern Seil. Der gesamte Seilvorrat war gemäss Whymper 1 ) folgender:

Nr. I: Total 200 Fuss eines englischen, neuen Manilaklubseiles.

Nr. II: Total 150 Fuss eines ähnlichen, noch etwas stärkeren Seiles.

Nr. III: Total über 200 Fuss eines dünneren, älteren Reserveseiles ( stout sash-line, gemäss Bild in « Ascent » gewoben ).

Da in Whympers « Ascent », Seiten 287, 292 und 293, die Seile abgebildet sind, nach photographischer Aufnahme, und alle aus gleicher Distanz, kann man die Dickenverhältnisse der Seile dort nachmessen. Es ergeben sich dafür die Verhältniszahlen Nr. I = 3 1/2; Nr. II = 3 1/4 und Nr. III = 2. Whymper sagt jedoch, Nr. II sei dicker und wohl stärker gewesen als Nr. I.

Es stellt sich nun für den Forscher die wichtige Frage dar, ob die 350 Fuss der zwei stärkeren Sorten in zwei Stücken von 200 und 150 Fuss oder aber in zahlreicheren Einheiten, z.B. 100 und 100 Fuss von Nr. I, 75 und 75 Fuss von Nr. II, vorhanden waren? In ersterem Falle, und wenn Whymper den Abstand zwischen den einzelnen Bergsteigern mit 20 Fuss 2 ) richtig einschätzte 3 ) und man für jeden Leibumfang 4 1/2 Fuss anrechnet, wären bei Douglas mindestens 70 Fuss Seil übriggeblieben, an die sich Vater Taugwalder hätte anbinden können. Dann wäre es allerdings unerklärlich und sogar verdächtig, dass er sein schwächeres Reserveseil entrollte und sich mit ihm an Douglas, seinen Vordermann, festband. Gemäss Taugwalder besorgte Croz das Anbinden bis zu Douglas 4 ). Aber Croz hätte jenen grossen Rest sicher nicht um seine Schulter gerollt, wenn sein Kollege am oberen Ende keinen Seilvorrat mehr zur Verfügung gehabt hätte, um auch sich an das gleiche starke Seil zu knüpfen. Dass Croz keinen langen Rest um sich hatte, wird unseres Erachtens auch durch den Umstand erwiesen, dass die Leichen am Fusse der Wand nahe beieinander liegend gefunden wurden 5 ). Ein grosser Rest hätte sich entrollt, und dann wäre der Fall in anderer Weise vor sich gegangen.

Die sehr bedeutsame Frage: Aus wie vielen Stücken bestanden die genannten Seillängen? bleibt unbeantwortet. Sie ist leider weder an Whymper, noch an Vater Taugwalder — bei seiner Einvernahme oder später —, noch an den Sohn, als sein Gedächtnis noch frisch war, gerichtet worden, obwohl Unzählige mit ihnen über den Unfall gesprochen haben müssen. Es ist auch nirgends gesagt, wer die Seile alle trug.

Wir haben nun aber zwei ganz bestimmte und genaue Aussagen, an die wir uns zu halten haben: nämlich erstens Vater Taugwalders Aussage vor Gericht 1 ), dass er sich mit dem Reserveseil an Douglas festband, weil bei Douglas kein Ende des einen stärkeren Seiles mehr zur Verfügung stand: « Parce que la première corde n' était pas assez longue pour pouvoir m' y attacher ». ( offiziell aus dem Deutschen übersetzt ). Und zweitens, ganz besonders, Whympers ebenso bestimmte Aussage 2 ), wonach mehr als 250 Fuss von den zwei stärkeren Seilsorten unbenützt vorhanden geblieben seien.

Da diese Zahl von 250 keiner der zwei angegebenen Längen von 200 Fuss ( Nr. I ) oder 150 Fuss ( Nr. II ) der stärkeren Sorten entspricht, müssen sich unseres Erachtens deren Längen auf mehr als zwei Stücke verteilt haben. Es sind also mehr als zwei starke Seile vorhanden gewesen 3 ).

Seile von 60 oder 45 Meter Länge sind ungewöhnlich. Nehmen wir nun wie gesagt an, dass die zwei starken Seilsorten z.B. in Längen von 100 und 100 Fuss ( Nr. I ), 75 und 75 Fuss ( Nr. II33 und 33 und 25 und 25 Meter vorhanden waren. Dies vorausgesetzt, und nachdem die vier vordersten Männer mit einem dieser kürzeren Teilstücke von 25 oder sogar 33 Meter verbunden waren, ist es bei 25 Meter sicher, und bei 33 Meter sehr wohl möglich, dass oben für den alten Taugwalder nichts mehr übrig blieb, namentlich wenn der Abstand von 20 Fuss zwischen den einzelnen etwa überschritten wurde. Falls Croz eines der Seile von 75 Fuss verwendete, war es ohne weiteres bei 20 Fuss Abstand zu kurz, um auch noch Taugwalder damit festzubinden, und deswegen band Taugwalder sich dann offenbar mit dem dünneren Reserveseil, das er trug, an Lord Douglas. Im übrigen hat niemand ein Recht oder einen Grund, an des Führers Aussage zu zweifeln, dass bei Douglas kein Rest für Taugwalder mehr verfügbar war, auch wenn das Anbinden an ein dünneres Seil für ihn bei einem Unglück von Vorteil war. Croz und die drei Herren waren im Momente des An-bindens zugegen, und eine zweideutige Vorkehr hätte sie stutzig gemacht. Wäre bei Douglas noch ein Rest übriggeblieben, hätte dieser nicht begriffen, warum sein Führer sich nicht an diesen Rest gebunden hätte, sondern an ein anderes Seil.

Wo waren die verschiedenen Seile? Eines der, sagen wir vier ( und nicht bloss zwei ) starken Seile verband also Croz und seine drei Herren. Ein zweites starkes Seil verband die zurückgebliebenen Whymper und Taugwalder Sohn, diente dann später auch zu ihrer Verbindung mit Taugwalder Vater. Dieser endlich hatte das schwächere Reserveseil bei sich. Wer die von Whymper erwähnten übrigbleibenden 250 Fuss der stärkeren Sorten ( sage in zwei Rollen ) trug, ist unbekannt. Sie waren wohl verteilt — wie, wusste wohl nicht einmal Whymper —, aber der Sohn Taugwalder, als Jüngster und als dritter Führer und Träger, hatte dann wohl den Löwenanteil. Die Verwendung des schwächsten Seiles durch Vater Taugwalder hatte nur dann « a very ugly look », ein hässliches, verdächtiges Aussehen 1 ), wenn er auch noch eines der restlichen stärkeren Seile bei sich gehabt hätte. Dies ist aber durch nichts bewiesen. Es ist im Gegenteil wahrscheinlich, dass er die ganzen 200 Fuss Reserveseil und damit genügend Gewicht bei sich trug 2 ).

Es scheint also, dass die einzige Kritik, welche dem älteren Führer gemacht werden konnte, diejenige wäre, dass er nach dem Eintreffen der zwei Zurückgebliebenen das dünne Seil zwischen ihm und Lord Douglas nicht gegen ein stärkeres auswechselte, oder aber dass er jenes nicht gleich doppelt nahm. Zum Auswechseln fehlte wohl die Zeit, da die Vorangehenden den Abstieg über die schwierigen Stellen bereits begonnen hatten 3 ). Und was ein doppelt genommenes Seil anbelangt, so ist dessen Handhabung unbequem. Auch löst es leicht Steine. Taugwalder dachte wohl auch nicht im entferntesten an die Möglichkeit einer so ungeheuerlichen Katastrophe, wie sie dann eintrat ( was allerdings für einen Führer keine Entschuldigung wäre ), und zweifelte unbewusst nicht an der Sicherheit einer so grossen Kolonne. Er wusste, dass sein Seil, wenn auch von leichterer Sorte, vollkommen genügte, seinen unmittelbaren Nachbarn unterhalb, den gewandten und ihm wohl bekannten Douglas zu sichern 4 ).

Die Verdächtigung des anerkannt ehrlichen und braven Mannes, er habe das Seil im kritischen Augenblick durchschnitten, wie sie nachher von seiten gewisser seiner Kollegen und von sensationsbegierigen Schriftstellern erhoben wurde, ist mangels jeden Beweises eine gemeine, eine schmutzige. Sie entbehrt jeder Grundlage, wird auch von Whymper selber 5 ) wie auch später von Farrar 6 ) entrüstet zurückgewiesen. Der ganze unglückliche Vorgang war das Werk eines Augenblicks. Taugwalder sagte im Verhör 7 ): « Tout se passa dans un clin d' œil et nous étions tellement surpris qu' il est pour ainsi dire impossible de bien se rendre compte de l' accident » ( amtlich aus dem Deutschen übersetzt ). Zum Ziehen und Öffnen eines Messers war keine Zeit da, und auch ein Schlag mit dem Pickel hätte Whymper zum nahen Zeugen gehabt. Taugwalder hätte das Seil schon vor dem Unfall anschneiden müssen. Aber dies wäre später zum Vorschein gekommen. Whymper erklärt ausdrücklich, « das in der Luft gerissene Seil habe keine Spur vorheriger Verletzung aufgewiesen »: « The end of the rope in my possession shows that he did not do so beforehand 1).»Im verhängnisvollen Augenblick standen die drei Vordersten nahe beieinander ( « were all close together » ). Es war eine verhältnismässig leichte Stelle, welche die Überlebenden gleich nachher begingen: « It must be distinctly understood that Hadow slipped at a comparatively easy part 2 ). » Trotz er-schütterter Nerven fanden die Überlebenden sie nachher nicht schwer. Hadow stand in jenem Moment « in der Nähe eines guten Griff bietenden Felsens, den er mit der Hand erreichen konnte ». Er hätte sich also dort halten können. Sein Ausgleiten und Fallen, nach dem Einsetzen seiner Füsse durch den unter ihm stehenden Croz, war ein ganz plötzliches, vehementes. Keine Warnung von seiner Seite, dass er sich nicht sicher fühle, wurde gehört. Die Annahme Whympers, dass Hadow mit den Füssen gegen Croz stiess ( der ihm den Rücken kehrte ) und ihn dadurch in die Tiefe warf, ist unzweifelhaft die richtige. Der Stoss braucht auch gar kein grosser gewesen zu sein. Der unweit oben stehende Hudson hatte keinen sehr guten Stand. Das Seil zwischen ihm und Hadow war nicht in seiner ganzen Länge gestreckt, was von Whymper gerügt wird 3 ). Hingegen hielt er es unzweifelhaft gespannt — was auch Farrar annimmt 4 mit einer Anzahl Schlingen in der Hand, sonst hätte Hadow eben nicht vorrücken können. Wenn nur einer aufs mal vorrückt, kann das Seil nicht überall in ganzer Länge gestreckt bleiben. Den ausgleitenden Hadow allein hätte Hudson halten können. Dessen Auf-denrückenfallen allerdings konnte er nicht verhindern. Auch ein Führer hätte dies nicht gekonnt. Aber ein solcher wäre wahrscheinlich zu Hadow hinabgestiegen und hätte ihn bis zu einer leichteren Stelle von Hand zu Hand gehalten und gestützt. Die unmittelbare Nähe eines ungeschickten und nervösen Kletterers bedeutet allerdings für jeden Führer oder Begleiter eine stete Gefahr, was sich Croz nicht genügend vor Augen hielt. Als die zwei Untersten nach Annahme von Whymper zehn oder zwölf Fuss gestürzt waren, erhielt Hudson den gewaltigen Ruck der beiden. Das Seil wurde ihm offenbar aus der Hand und er selber gleich nachher weggerissen. Dass ein Führer auf dem nicht guten Stand Hudsons — die Neigung sei dort gegen 40den Ruck der zwei fallenden Körper aus- und aufgehalten hätte, ist kaum wahrscheinlich. Zu dem Nächstoberen, Lord Douglas, war das Seil « fast » angestreckt — « all buttant»5 ). Aber auch Douglas stand nicht gut: er wurde durch den Fall der drei Mann sogleich aus seiner Stellung gerissen.

1 ) « Ascent », S. 294. 2 ) « Ascent », S. 286. 3 ) A.J. 2, S. 153. 4 ) A.J. 33, S. 249.

— 5 ) « Ascent », S. 286.

Das Reissen des Reserveseiles 1 )

P.M. Erst der Nächstfolgende, Vater Taugwalder, hatte festen Stand unter einem grossen Felsen, welchen er mit beiden Armen umfasste ( « was firmly planted under a large rock which he hugged with both arms », nur in « Ascent », Seite 286. Im Brief an die Times sagt Whymper nichts von dieser Umarmung ). Gemäss Whymper war das Seil von Douglas weg bis zum obersten Ende der Kolonne angestreckt. Dagegen sagte Vater Taugwalder in der zweiten Einvernahme ( offiziell ins Französische übersetzt ): « Pour me maintenir plus solidement, je me suis tourné contre la montagne, et comme la corde entre M. Whymper ( sollte vielleicht heissen Douglas ) et moi n' était pas tendue, je l' ai roulée autour d' une saillie de rocher 2 ), ce qui m' a sauvé. La corde qui m' attachait à Douglas et les autres m' a donné par la chute de telles secousses que je suis bien souffrant à l' endroit où la corde a passé mon corps 3 ). » In der ersten Einvernahme — Frage 33: « Au moment de la chute des touristes, la corde était-elle tendue ou non? » — hatte er allerdings geantwortet: « Elle était tendue » ( d.h. wohl teilweise ). Und seine Antwort Nr. 34 lautete: « Le poids des trois ( sic ) personnes, avec la force de leur chute, aurait pu briser une corde bien solide. » — Das Umlegen des oberen, stärkeren Seiles ( gegen Whymper zu, falls die Namen nicht verwechselt wurden ) um den Felsen stellt eine ungewohnte Prozedur dar. Immerhin band sie Taugwalder für alle Fälle an den Felsen. Aber es ist mit der betreffenden Aussage wohl bei Taugwalder oder beim Gericht ein Irrtum unterlaufen. Es ist anzunehmen, dass Vater Taugwalder in üblicher Weise das untere ( dünne ) Seil um den Felsen legte und es dann sogleich mit beiden Armen in seiner Lage festhielt. Der Fels erhielt dann in erster Linie und zum grössten Teil den gewaltigen Ruck. Das Seil riss in der Luft — jedes gewöhnliche Seil musste reissen 4 ).

1 ) A.J. 2, S.151.

2 ) Farrar bemerkt hierzu ( A.J. 33, S. 249 ), es seien an jener Stelle keine hierzu geeignete Felsen. Aber ein kleiner, aus der Ferne nicht unterscheidbarer Vorsprung genügte. Und nach dem Unfall benutzten die Überlebenden solche Vorsprünge, um ihren Abstieg zu sichern ( « Ascent », S.288 ).

3 ) Antwort Nr. 64, A.J. 33, S. 243 und 249.

4Das gerissene Seil leistete immerhin einigen Widerstand, da Taugwalder sich, wie gesagt, vor Gericht beklagte, dass der Ruck um seinen Leib ihn noch schmerze. Whymper erzählt allerdings nirgends, dass Taugwalder das Seil um einen Felsvorsprung gelegt habe. Nicht bloss der Führer sagte dies im Verhör ( Antwort Nr. 64 ), sondern auch das « Journal de Genève » vom 18. Juli 1865 berichtete aus Zermatt: « Zum Taugwald ( sic ) eut le bonheur de pouvoir passer la corde sur la crête d' un rocher et crut un moment avoir arrêté cette épouvantable chute. » Der « Bund » vom 19. Juli 1865 hatte die Erzählung der Katastrophe aus dem Munde « der Reisenden » vernommen und schrieb: « Vater Taugwalder vermag sich an einem Felsen festzuklammern » usw. Es mag immerhin sein, dass eine Verwechslung unterlaufen ist mit den nach der Katastrophe durch die Überlebenden beim ferneren Abstieg getroffenen Versicherungsmassregeln. Die spätere Erzählung Whympers ( « Ascent », S. 286 ), Taugwalder habe sich mit beiden Armen an einen Felsen geklammert, ist nicht im Widerspruch mit des Führers Aussage, er habe das Seil um einen Vorsprung gelegt, denn beides konnte zu gleicher Zeit geschehen und das Seil dann trotzdem mitten in der Luft reissen.

Ein elastischer Körper, falls er standhält, und weil er etwas nachgibt, beansprucht ein gespanntes Seil viel weniger. Ein mir bekannter Bergsteiger hielt einmal an ähnlicher So war das Schicksal der vier Stürzenden besiegelt und hätte, wie die Sachlage war, nicht mehr aufgehalten werden können. Und wenn ein un-zerreissbares Seil sie mit Taugwalder verbunden hätte, wären auch er und seine zwei Hintermänner durch die Wucht der vier Fallenden in die Tiefe geschnellt worden 1 ).

In einem Memorandum Whympers an Auguste Terraz, Hôtel du Planet bei Chamonix ( früher in La Bérarde ) vom 9. März 1911, in Faksimile wiedergegeben in « La Montagne » von 1917, schreibt Whymper, dass den drei gefundenen Leichen beim Fallen die Schuhe und alle Kleider abgerissen wurden, dass Croz bloss an seinem Bart erkenntlich und der Anblick ein schauerlicher gewesen sei. Ähnliches erzählt Whymper schon 1895 dem ihn befragenden Jules Monod, der es im « Journal de Zermatt » weiter berichtete 2 ). Im kritischen Augenblick ist die Anspannung aller Leibes- und Seelenkräfte eine derartige, dass zu einem Angstgefühl kein Raum bleibt, und im Fallen haben die Verunglückten keinerlei Schmerz gespürt. Alle, die einmal gestürzt sind, können dies bestätigen. Man lese z.B. in Whympers « Ascent » seine Gefühle während seines schweren Sturzes unter dem Col du Lion. Was den Leichnam des Lord Douglas anbetrifft, der bis zum heutigen Tage unauffindbar blieb, so wurde vermutet, dass er in den Felsen hängen geblieben sei. Es erscheint dies angesichts der plattigen Beschaffenheit der Wand und der Wucht des Falles fraglich. Die Nordwand des Matterhorns wurde in der jüngsten Zeit wenigstens zweimal von unten bis zu einer gewissen Höhe erstiegen, ohne dass eine Spur des Abgestürzten bemerkt worden wäre. Die Wand wurde auch wohl unzählige Male mit starken Fernrohren und Feldstechern von nah und fern gründlich durchforscht. Und endlich hätten wohl in der ersten Zeit Vögel sich beim Leichnam angesammelt. Es ist eher anzunehmen, dass der Körper, nachdem er vom Ge-samtseil abgerissen worden, im Bergschrund, der nie untersucht wurde, verschwand oder aber weiter hinausflog als die übrigen und in irgendeiner Gletscherspalte versank. Ob für immer?

H. D. und P. M. Der Untersuchungsrichter hat es abgelehnt, einem der Überlebenden eine Verantwortung zuzuschieben, und nur leisen Tadel darüber ausgesprochen, dass ein unfähiger Turist und zu wenige Führer mitgenommen worden seien. Wir brauchen uns diese Zurückhaltung heute nicht aufzuerlegen. Die Verantwortung dafür, dass jener Turist zu einer Bergfahrt, der er in keiner Weise gewachsen war, mitgenommen wurde, trifft Hudson. Die unrichtige Reihenfolge beim Abstieg, die sich allerdings durch die früheren Anschauungen erklärt und an welche die meisten damaligen Führer noch gewohnt waren, wurde durch Hudson und Whymper im Einverständnis der Stelle zwei fallende Kameraden, ohne das Seil um einen Felsen zu legen. Er legte allerdings beide Arme um einen solchen und konnte die Füsse gegen aussen verstemmen. Der Ruck wurde ohne Nachteil ausgehalten.

Führer angeordnet. Was endlich die Frage anbetrifft, ob die einseitige Verwendung des schwächsten Seiles eine Schuld Taugwalders bedeute, so kann sie allerdings nicht mehr mit unbedingter Sicherheit verneint werden, da alle Teilnehmer der Besteigung tot sind. Aus den angegebenen Gründen glauben wir aber an die Rechtlichkeit jenes Mannes und dass er kein anderes Seil zur Verfügung hatte. Er konnte sich zu seinen Lebzeiten wohl nur ungeschickt gegen alle Verdächtigungen wehren und sie entkräften, aber sein Leben wurde durch sie geknickt. Wir haben versucht, die Handlungsweise des alten Führers zu begründen und mehr Licht in den Vorfall zu bringen. Wir hoffen, dass uns dies, so gut als es möglich war, gelungen sei.

Literatur.

1. Brief Ed. Whymper an Edmund von Fellenberg, datiert Interlaken, 26. Juli 1865, mit Whympers erstem englischen Originalbericht über das Matterhornunglück, niedergeschrieben in der Pension Schlössli des Peter Ober in Interlaken am 25. Juli 1865. Diese Schriftstücke wurden an Fellenberg übermittelt durch W. H. Hawker, A. C, mit Brief, datiert Maison du Préfet Ritschard, Interlaken, 26. Juli 1865. In seinem Briefe ersucht Whymper Fellenberg, seinen Bericht dem S.A.C. und dem schweizerischen Publikum zur Kenntnis zu bringen. Der ins Deutsche übersetzte Bericht wurde von Abraham Roth in der « Sonntagspost » von 1865 ( siehe unten, Ziffer 5 ) ziemlich in extenso veröffentlicht. Das ( fast korrekturfreie ) Original liegt seit Dezember 1865 samt der, wohl von Ober besorgten französischen Übersetzung und den zwei Briefen in der Bibliothek der Sektion Bern des S.A.C., welcher sie von Fellenberg « zur ewigen Aufbewahrung » übergeben wurden. Eine Übersetzung ins Italienische erschien im Bolletino trimestrale del Club Alpino di Torino, N° 1.

2. Brief Ed. Whympers an die « Times »: « The fatal accident on the Matterhorn », datiert Haslemere, 7. August 1865, veröffentlicht am 8. August, abgedruckt im Alpine Journal 1865, Seiten 148 ff.

3. Brief Rev. MacCornick an die « Times », datiert Zermatt, 17. Juli 1865. ( Siehe Jahrbuch S.A.C. 47, Seiten 192 und 193, Artikel H. Dübi. ) 4. « Journal de Genève » vom 16., 18., 20., 27., 30. Juli und 1. August 1865, und « Bund » vom 16., 19. und 29. Juli 1865.

5. « Sonntagspost » Bern, Red. Dr. Abraham Roth, Nrn. 33, 35 und 36 vom 30. Juli, 13. und 20. August 1865, enthaltend Bericht und sachgemässe Kritik des Unglücks, und in Nr. 36 Wiedergabe des Times-Briefes sowie eine Zurechtweisung des Meissnerschen Elaborates.

6. Offizielles Verhör vom 21. und 23. Juli 1865, abgehalten im Hotel Mont Cervin in Zermatt, durch den Untersuchungsrichter Joseph Antoine Clemenz. Verhört wurden Whymper, Peter Taugwalder Vater ( zweimal ), Josef Andenmatten und Alex. Lochmatter. Letztere zwei waren bei der Bergung der Leichen behilflich gewesen. Deren Aussagen und diejenigen Taugwalders wurden vom Gericht ins Französische übersetzt 1 ).

7. Thos. S. Kennedy: « Ascent of the Aig. Verte », mit Hudson und Hodginson sowie drei Führern, worunter M. Croz. Alpine Journal, Vol. 3, 1867, S. 68 ff.

8. Paul Güssfeldt. Vortrag in der Sektion Berlin des D. Ö.A.V. Siehe « Alpenrosen » 1876, Seite 78. ( Versuch Güssfeldts der Besteigung des Matterhorns von der Südseite mit den beiden Taugwalder und einem Träger, zwei Monate nach dem Unglück. ) 9. Edward Whymper:

aScrambles amongst the Alps, I. und II. Auflage 1871, und Nelsons Shilling-Ausgabe von zirka 1900; b ) The Ascent of the Matterhorn, 1880 und 1893: sind die III. und IV. Auflage der « Scrambles »; c ) deutsche und französische Übersetzungen; dGuide to Zermatt and the Matterhorn, 1897; e ) Memorandum to Auguste Tairraz vom 9. März 1911. ( Faksimile in « La Montagne » 1917. ) 10. Journal de Zermatt, August 1895. Enthält Interview Whympers durch Jules Monod: « La première ascension du Cervin, détails inédits. » 11. « La Liberté » ( Fribourg ), vom 27. September und 23. Oktober 1911.

12. « Bund » vom 1. Oktober 1911. Nrn. 461 und 463, abgedruckt in der Deutschen Alpenzeitung vom November 1911, enthält Nachruf für Whymper von H. Dübi.

13. « Alpina » vom 15. Dezember 1911, Seiten 226 ff. H. Dübi: In Memoriam Edward Whymper ( abgekürzt ).

14. « Jahrbuch S.A.C. », Nr. 47, 1911/12. Seiten 183—216. H. Dübi: In Memoriam Ed. Whymper ( erschöpfend, mit Porträts ).

15. « Alpine Journal », vol. 26, S.55 und 56. D. W. Freshfield: In Memoriam Ed. Whymper ( mit Jugend- und Altersporträt ).

16. « Österreichische Alpenzeitung », 1911. E. T. Complon: Ed. Whymper.

17. « Alpine Journal », vol. 32, 1918, S. 1 ff. J. P. Farrar: Days of long ago, Charles Hudson, the prototype of the mountaineer of today.

18. « Alpine Journal », vol. 33, 1920, S. 243 ff. Nach Wiedergabe des Protokolls des offiziellen Verhöres ( vide N° 6 ), J. P. Farrars Konklusionen.

19. « Journal de Genève » vom 14. Februar 1921: Charles Gos, La tragique affaire du Gervin; idem vom 27. März 1923: Charles Gos, Un guide historique ( Taugwalder Sohn f 1923 ).

20. « Neue Zürcher Zeitung » vom 4. September 1924. W. M. Uehlinger: Das Matterhornunglück von 1865 bei Doré und Hodler.

21. « Der Alpenfreund » München. Josef Braunstein. Matterhornheft vom Juli 1925.

22. « Bund », 14. Oktober 1928. F. Hegg: Bergsteigerelire.

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