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Der Unteraargletscher in den historischen Quellen

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Heinz J. Zumbühl, Bern

( Dieser Standpunkt ist einer der wildesten und ausserordentlichsten, den man sich nur denken kann. [...] Die hier ungemein reine Luft, der helle Himmel, der Anblick der mich allerorten umgebenden ungeheuren Felsspitzen, die unermesslichen von denselben hinabsteigenden Schnee- und Eismassen, die fast unabsehbaren Gletscherebenen, welche hier gleichsam unter meinen Fussen zu sa m-menstiessen - alles brachte eine ganz ungewohnte Stimmung meiner Seele hervor, die mir ungemein angenehm war.>J. S. WITTENBACH, auf der Mittelmoräne des Unteraargletschers beim Abschwung am 5.8. 1777:29/40.

AU 06.1 C. Wolf, 1774/1776: auf der Mittelmoräne des Unteraargletschers beim Abschwung ( Ausschnitt ) 1. Einleitung Den Unteraargletscher kann man ohne Zweifel als

Beim Unteraargletscher, dem grössten Eisstrom im Einzugsgebiet des Rheins sowie in den Berner Alpen ( dem viertgrössten der Alpen ), handelt es sich um einen maximal 13,5 km langen, im Mittel 2,4 km breiten, eine Fläche von 28,41 km2 bedeckenden, nach Osten fliessenden Talgletscher.1 Der komplexe Eisstrom wird vor allem von drei Firngebieten gespeist: von NW ( links ) fliesst der Lauteraargletscher ( Herkunft von den NE-Flanken der Lauteraar-Schreckhorn-Gruppe und der Firnmulde zwischen Nässihorn und Berglistock ); von SW ( rechts ) fliessen der kleinere Strahlegggletscher ( aus dem S/SE-Kar der Lauteraarhörner ) und der Finsteraargletscher aus dem gewaltigen Kar mit der über 1000 m steil emporragenden Finsteraarhorn-Nord-westwand ( höchster Punkt 4273,9 m ), die von Agassiz- und Studerhorn flankiert wird. Die Ströme vereinigen sich beim Abschwung, einem östlichen Ausläufer der Lauteraarhörner, zum heute mehr als 6 km langen, von mächtigen Moränen bedeckten Unteraargletscher.

Die grossen Dimensionen und das schwache Gefälle der Talzunge - auf 11 km fällt die Oberfläche nur um 750 m ( Gefälle: Eisoberfläche ca. 7%, Talboden ca. 3-4sowie die starke Schuttbedeckung führen dazu, dass der Gletscher nur mit starker Verzögerung auf klimatische Veränderungen reagiert.

Beim Unteraargletscher ist die Auswertung historischer Bilddokumente und Karten zur Rekonstruktion der Gletschergeschichte aus drei Gründen erschwert:

- Markante, eindeutig identifizierbare Felsstufen im Gletscherendbereich fehlen ( im Gegensatz zu Grindelwald und Rosenlaui ).

- Anders als beim Rhonegletscher existieren weder auf den Bilddokumenten noch in der Naturlandschaft eine Vielzahl auffallender Moränenwälle im Vorfeldbereich.

- Das ehemalige Zungenvorfeld ist durch den Grimselstausee überschwemmt.

2. Der älteste Hinweis auf den Unteraargletscher ( 1577 ) sowie der Vorstoss im 18. Jahrhundert2 Erstmals erwähnt werden das Gebiet der , d.h. der ( wahren Aar-quelle ), und das Eis des Unteraargletschers in der ( Chorographia Bernensis> um 1577, die der Berner Stadtarzt Thomas Schoepf zu seiner hervorragenden, in Kavaliersperspektive gezeichneten Karte des Kantons Bern geschaffen hat ( vgl. Rhonegletscher Anm. 5, S. 302 ).

( Am östlichen Fuss dieses Berges ( wohl des'Schreckshornm[ons] ', wie auf der Karte eingetragen ) beginnt ein Tal welches sich bis zur Grimsel erstreckt sehr rauh und von ewigem Eis bedeckt [ist] so dass es durchaus keinen Nutzen darbietet ausser [den] Jägern und solchen die Kristalle graben wovon jener Ort eine reichliche Menge gewährt. Und weil jenes Tal die Form eines Nachen oder einer Arche hat, entstand ihm der Name, dass es inn arch genannt wurde, woher denn auch jener berühmte Fluss, nämlich die Aare, seinen Namen her hat. ( SCHOEPF, 1577, 1:204).3 An anderer Stelle wird noch präzisiert, dass die wirkliche Quelle der Aare und ihr ( Emporsprin-gen ) sich am Westfuss des Berges Schreckhorn befindet, unterhalb dem Ort der ( inn arch ) genannt ist.

Auf der Schoepf-Karte ( Blatt 2 ) ist östlich des ( Schreckhorns ) mit drei Quellbächen die ( Arolae fons verus ) vermerkt.

Die älteste kartographische Darstellung des Unteraargletschers ist ( wie die des Rhonegletschers ) zu sehen auf der 1712/13 erschienenen ( Nova Helvetiae Tabula Geographica> ( AU 01.1 und 2 ) von J. J. Scheuchzer. Auf der Originalzeichnung ( AU 01.1 ), vermutlich auf der vierten Alpenreise Scheuchzers im August 1705 entstanden, ist die ( Fons Arolae verus> mit brauner Wasserfarbe und einigen Federstrichen am linken ( SW ) Fuss des ( Schreckhorns ) mehr schlecht als recht angedeutet. Auf der gedruckten Karte ( AU 01.2 ) markiert ein Haufen kugeliger Gebilde den Gletscher. Allerdings ist die topographische Lage des Unteraargletschers durch die Verschiebung nach Westen ( er liegt nun zwischen Bietschhornund Schreckhorn ) markant verfälscht worden.

Fast zur gleichen Zeit wie Scheuchzer hat S. Bodmer in seinem Marchbuch Nr. 2 mit der Grimselpassregion ( vgl. RO 03* S. 171 ) auch das Unter- und Oberaargebiet mit seinen bei- den Bächen gezeichnet. Bei dem heute vom Stausee überfluteten Unteraartal vermerkt Bodmer: ( die wisse arr... kompt hier auf dem gletzen ( BÖDMER 1706, 2:247 ). Zu sehen ist der Unteraarbach, ( die wisse arr>, und sein Zusammenfluss mit der

Die erste halbwegs auswertbare Beschreibung mit Grundriss- und Ansichtsskizze der Stirnpartien des Unteraargletschers hat der Luzerner Naturforscher und Stadtarzt Moritz Anton Cappeler ( 1685-1769 ) unter dem Titel ( Von den Gletscheren auf dem Grimselberg, und deren alldorten sich befindenden Crystall = Gruben ) in Briefform in Johann Georg Altmanns ( Versuch einer Historischen und Physischen Beschreibung der Helvetischen Eisbergen ) 1751 publiziert.

Cappeler besuchte vermutlich in den Jahren zwischen 1719 und 1729 das Grimselgebiet, wobei er auch ( den Gletscher des Grimsel-bergs> abzeichnete ( CAPPELER in ALTMANN 1751: 130).4 Aufgrund der Bild- und Textangaben von Cappeler sind drei verschiedene Zungenendlagen des Unteraargletschers für 1719-1729 denkbar.

Fall a: Ausgangspunkt ist die ungenaue Grundrissskizze f .1 bei Au 02* S. 271. Danach endete der Gletscher ungefähr dort, wo auf der südlichen ( rechten ) Talseite der Bach auf der NE-Flanke des Vorderen Zinggenstocks den Talboden erreichte. Dieses Gebiet liegt ca. 1200 m westlich der Mündung des Oberaarbaches in die Unteraar oder ca. 1150 m hinter dem Maximalstand von 1871. Wir betrach- Karte 7 Ausdehnungen und Stände des Unteraargletschers vom 18.19. Jahrhundert sowie Fundstellen fossiler Böden und Hölzer i'Überaarbach 200 m Gletscherausdehnungen/-stand ( Hochstand rekonstruiert anhand von Moränenwällen; in den Randbereichen unsicher ) Hochstand 1871

CD

um 1890

CD

s. Fig. 6 um 1900

CD

II 1981 Landeskarte der Schweiz Blatt 1250, 1:26000 Fossile Böden und Hölzer Aufschlüsse mit fossilen Böden und darin enthaltenen Hölzern: AU A1-AU A3 Fossile Hölzer ( Einzelfunde ):

1-11 ( mit Ausnahme von 4 handelt es sich um Hölzer in situ

269 Mit Hilfe historischer Quellen belegte Gletscherausdehnungen ( Auswahl ) 1719-1729 nach Cappelerum 1758/60 nach Grünerum 1842 nach Wild und Agassizs. AU 38'S.282/283; entspricht etwa Ausdehnung wie um 1890 Mit 14C-Daten belegte Gletschervorstös 10./11. JahrhundertAU A3, 6 Ende 16,/AnfangAU A1, AU A2, 1^1, 7, E 17. Jahrhundert 19. Jahrhundert5,9-11 Moränenwall au 08.1 J. J. F. le Barbier l' aîné, 1770er Jahre: das stark schuttbedeckte Zungenende des Unteraargletschers ten Fall a als die am ehesten zutreffende Gletscherausdehnung für jene Zeit.

Fall b: Nach der Ansichtsskizze ( f. 2. bei AU 02* S.271 ) endete gemäss Legende F. der ( beständige Gletscher, so wie er vor Augen ligt, und wird von den Alp-Einwohneren insgemein der Firn geheissen ) ( CAPPELER in ALTMANN 1751: 167 ) am Fuss des auf dem Kupferstich durchaus erkennbaren Zinggenstocks, d.h. weniger als 1000 m hinter der Mündung des Oberaarbachs.

Fall c: Laut dem Text von Cappeler hatte der Unteraargletscher ( zugleich einer der grösten Gletscheren... seinen Anfang etwa eine und eine halbe Stund Wegs rechter Hand gegen Mittag von dem so bekannten Spittahl auf der Grimsel, ...> ( Cappeler in Altmann 1751:135 ). Nach diesen Angaben ( 1,5 Std. Marschzeit, ca. 7,5 km vom Grimsel-Spital ) stirnte der Unteraargletscher ca. 3 km westlich des Oberaarbachs, d.h. extrem stark zurückgeschmolzen ( ca. 2950 m vom Maximalstand 1871 oder ca. 1300 m hinter dem heutigen Gletscherende ), am Nordfuss des Vorderen Tierbergs. Grundriss- und Ansichtsskizze AU 02* S.271 widersprechen den Textangaben.5 Als sich Cappeler bei der einheimischen Bergbevölkerung nach dem Verhalten der Gletscher erkundigte, erhielt er zur Antwort, ( dass das Eis in den Thäleren alle Jahr zu-nemme, ohne dass man bissher beobachtet, dass es wieder abnehme ). Als Beweis zeigten ihm die Walliser, ( wie an etwelchen Orten eine grosse Anzahl von den sogenannten Lerchen-bäumen gestanden, die aber von dem anruk-kenden Eis wären umgestossen und endlich bedeckt worden ) ( CAPPELER in ALTMANN 1751: 141/142 ).

Rund 30 Jahre nach Cappeler, vermutlich um 1758 ( GEISER 1929: 32 ), entstand die Originalzeichnung zu der Radierung ( Der Zinke Gletscher oder die Eiswand des Lauteraar Gletschers ) ( AU 04* S. 271 ), die Gruners ( Eisgebirge des Schweizerlandes ) ( GRÜNER 1760, 1: 48/49 ) beigegeben war. Nach einem Hinweis auf die starke Schuttbedeckung des öst- Der'/.iiikr olrt.tr/iri'oder dirEiôimmddr.sLauteraarûlr/.tr/irr.i.

AU 02 A. Cappeler, vermutlich zwischen 1719 und 1729 ( pubi. 1751 ): Grund-riss- und Ansichtsskizze vom Zungenende des Unteraargletschers au 04 S. H. Grimm, um 1758:

das Gletscherende am Fuss des Vorderen Zinggenstockes liehen Zungenendes ( GRÜNER 1760, 1: 43 ) kritisiert Grüner die Darstellung von Cappeler:

Über die Lage des Zungenendes des Lauteraargletschers vermerkt GRÜNER ( 1760, 1: 49 ):

Auf der in den 1770er Jahren entstandenen Radierung

Der grosse Alpenmaler C. Wolf, dem wir hervorragende Ölgemälde des Rhone- und Rosenlauigletschers verdanken ( vgl. S.183 und 238 ), hat beim Unteraargletscher Ansichten des Abschwunggebietes gemalt, aber keine vom Zungenende. Damit ist leider das Verhalten des Unteraargletschers in den 1770er Jahren, das bei anderen Gletschern gut dokumentiert ist, nicht befriedigend rekonstruierbar.

Die zuverlässigsten Angaben aus dieser Zeit liefert der Berner Naturforscher J.S. Wyttenbach, der am 5. August 1777 und dann wieder 11 Jahre später, am 2. August 1788, den Unteraargletscher besuchte:

Es ist unklar, aus welcher Zeit die von Wyttenbach erwähnte, in 130-150 m ( 1 Büchsenschuss ) Entfernung vom Gletscher liegende Moräne stammt. Wegen des heute überschwemmten Vorfeldes ist keine Rekonstruktion mehr möglich. Gesichert ist für 1788 einzig der Vorstoss.

Interessant, aber wegen der geringen Grösse wenig genau ist ein medaillonförmi-ger, mit Gouache kolorierter Stich des ( Lauteraar Gletschers ) ( Au 09.2 ) von C. Wyss ( möglicherweise eine Kopie nach C. Wolf ). Der Gletscher endet dabei am Fuss des Vorderen Zinggenstocks ( auf der Abbildung links ) in ge- ringer Distanz zu der NE-Flanke des Zinggenstocks, dort, wo 1719 in ca. 2260 m Höhe der grösste in der Literatur verzeichnete Quarzkristallfund der Schweizer Alpen gemacht wurde.6 Diese Höhle hat Wyss vermutlich auf dem Medaillon links dargestellt ( Wolf hat vom Höhlenausgang ebenfalls ein Gemälde angefertigt, vgl. RAEBER 1979: 292 Kat. Nr. 364 ).

Am 19. August 1794 besuchte H.C. Escher von der Linth zum erstenmal den Unteraargletscher. Das von Escher in seinen Fragmenten über die Naturgeschichte Helvetiens verfasste Bild des Gletschers trifft auch die heutige Situation. Der ( Lauteraargletscher (... ) der in diesem horizontalen Thale ganz flachdaligt, (... ) ohne irgend eine Art Spalten u. Schrunde. Einzig sieht man eine nicht ganz vertical abge-schnitne Eiswand die das Ende der ungeheuren Eismasse ist (... ). Der Gletscher selbst ist ganz von Schutt u. Geschieben hoch überschüttet (... ) Da sich keine merkliche[n] Glet-scherdäme hier zeigen ...>, glaubt Escher, ( dass dieser Gletscher keinem Fortrücken unterworfen ist, sondern an seinem eigentlichen Geburtsort steht ) ( ESCHER 1791/1794, 1:89/90 125 ). Der von Wyttenbach sechs Jahre früher beobachtete Moränenwall ist von Escher also nicht gesehen worden. Dass der Gletscher in der Zwischenzeit so stark ( nämlich 130-150 m ) vorgestossen ist, ist kaum anzunehmen; es steht damit Aussage gegen Aussage; wer besser beobachtete, lässt sich nicht sagen.

Eine schöne Illustration zum Text bildet die aquarellierte Federzeichnung Eschers vom 19. August 1794 ( AU 10* S.279 ) mit der Eisstirn des ( Lauteraargletscher[s] am Grimsel>, die jedoch für eine Zungenendstandsbestimmung zuwenig genau ist. Die offensichtlich sehr eindrückliche Eiswand bestätigt jedoch den Vorstoss des Gletschers.7 3. Der Vorstoss des Unteraargletschers im 19. Jahrhundert ( bis 1871 ) Auf dem grossformatigen Relief der Schweizer Alpen im Massstab 1:38000 von J. E. Müller ( AU 16 ) ist auch der Unteraargletscher vermutlich um 1810/12 dargestellt ( vgl. S. 196/197 ). Die für den Rhonegletscher beobachtete, erstaunlich hohe Qualität der Landschaftsdarstellung gilt nicht unbedingt auch für den Unteraargletscher. Zwar ist die starke Schuttbedeckung der Stirnzone ebenfalls angedeutet, doch genaue Details wie beim Rhonegletscher fehlen. Das Zungenende lag schätzungsweise 1150-1320 m westlich der Einmündung des Oberaarbaches in die Unter- aar oder ca. 1100-1270 m vom späteren Maximalstand von 1871 entfernt. Diese Gletscherausdehnung ist aber keineswegs gesichert. Auf drei leider nicht datierten und wenig sorgfältig wirkenden Panoramaskizzen vom Nägelisgrätli ( AU 12 und 14 ) und vom Sidelhorn ( AU 13 ) ist zwar der Unteraargletscher dargestellt, aber das Zungenende ist gerade nicht sichtbar oder abgeschnitten. Doch die Ausdehnung des Gletschers scheint bei allen drei Skizzen grösser zu sein als auf dem Relief und belegt damit die beschränkte Aussagekraft dieser Quelle.

J. R. Wyss beschreibt in seiner

Fünf Jahre ( 1821 ?) nach Wyss bestätigt K. Kasthofer8 den Vorstoss: ( Der Vorderaar-gletscher- unweit dem Grimselspital, (... ) ist nun mehrere hundert Fuss weiter als die älteste Gandecke gerückt; an den Felsenwänden, durch welche die Gletschermasse sich in ihrer Mündung drängt, sind die höchsten Spuren der vom Gletscher ausgestossenen Furchen unter dem Eise begraben. Mehrere der alten Arven, die hier noch auf der Sonnenseite seit vielen Jahrhunderten ohne Spuren des Verderbens gestanden, haben schon vor den rauhen Jahren von 1816 und 1817 zu verdorren angefangen. ) ( KASTHOFER 1822: 300, vgl. auch 210 ).

S. Birmann hat im August 1824 auf seinem ( Panorama des Sidelhorns ) ( AU 23* S.280 ) auch den Unteraargletscher mit Feder gezeichnet, wie immer mit fotografischer Genauigkeit. Der vom überragenden Doppeldia- dem Lauteraar-/Schreckhorn kaskadenförmig über die Steilhänge hinunterfliessende Gletscher wirkt mit der starken ( vor allem Mittel- ) Moränenbedeckung wie ein gewaltiger Mäan-derstrom.

Der an der Stirn gut sichtbar aus zwei Hauptteilen bestehende Gletscher ( der Lau-teraarlappen, auf dem Bild rechts, hat im Talboden eindeutig eine grössere Ausdehnung ) ist gegenüber früheren Bildquellen markant vorgestossen und endet ca. 190-240 m westlich des Maximalstandes von 1871. Die Struktur der Felswände westlich Bärenritz und Mederlouwenen ermöglicht eine topographische Abschätzung der Zungenendlage. Der präzis beobachtende Birmann hat natürlich auch die starke Schuttbedeckung ( mit laviertem Grau ) an der Stirnzone differenziert. Auf der Zing-genstockseite ( linke Bildseite ) sind an der Front des Finsteraarlappens zwei Gletschertore eingetragen. Im Gletschervorfeld hat Birmann keine Moränen gezeichnet, wohl weil sie fehlten und/oder weil sie aus dieser Distanz zuwenig genau erfassbar waren.

Von 1827 bis 1831 besuchte der Solothurner Gymnasiallehrer und Naturhistoriker Franz Joseph Hugi ( 1793-1855)9 im Sommer jedes Jahr den Unteraargletscher. Dabei liess er auch eine Schutzhütte zwischen zwei Granitblöcken auf der Mittelmoräne östlich des Abschwungs errichten. Bei seiner dritten Alpenreise im Jahr 1829 mussten Ingenieur Walker und P. Gschwind 10 eine Karte vermessen, die dann unter dem Titel ( Der Unteraargletscher mit seinen Verzweigungen ) ( Au 25, Massstab uneinheitlich zwischen ca. 1:45000 und 1:60000 ) als blaugrau kolorierte Radierung Hugis ( Naturhistorischer Alpenreise ) von 1830 beigegeben wurde.11 Die südorientierte Karte umfasst das ganze Einzugsgebiet des Unteraargletschers von der Eisfront bis zu den höchsten Gipfeln sowie die Mittel- und Seitenmoränen. Eine der Hauptaufgaben der Karte bestimmte HUGI ( 1830: 233 ) folgendermassen: ( Durch Signale z.B. einen weissen Granit, markiert mit eingehauenem + sollte das Verschieben des Gletschers an der Front bestimmt werden können. ) Auf der Karte, die zwar besser ist als der ATLAS SUISSE von Meyer-Weiss-Müller ( Blatt 11, 1800 erschienen ), aber wegen des uneinheitlichen Massstabs kaum als genaue Grundlage betrachtet werden kann, endet der Eisstrom 1829 auf der Südseite ca. 265-285 m hinter der Einmündung des Oberaarbaches ( Massstab ca. 1:53000-57000 ) und auf der Nordseite ca. 106-114 m vom Oberaarbachprofil unterhalb der Bärenlamm. Aufgrund seiner jährlichen Reisen ist Hugi nun auch erstmals in der Lage, genauere Angaben über die Veränderungen der Zungenfront zu geben. ( Der Gletscher hatte seit letztem Jahre 40 bis 50 Fuss sich thalabwärts geschoben, und seit 18 Jahren über eine Viertelstunde; und auch zugleich nach den Seiten sich ausgedehnt... Eine kleine Arve, die letztes Jahr auf einem begrünten Granite stand, ist nun vom Gletscher erreicht und zerstört. ) ( HUGI 1830:229 ). Der Jahreswert von 11,7-14,6 m für 1828/29(1 Bern-Fuss = 0,293 m ) ist durchaus realistisch. Nicht genau erfassbar ist jedoch die Distanzangabe von einer ( Viertelstunde ) in 18 Jahren. Wenn wir von der ( ebenfalls unsichern ) Gletscher- AU06.1 C. Wolf, 1774/1776: der Lauteraargletscher, vom Abschwung aus gesehen; Vorlage für AU 06.2* ausdehnung auf dem Müller-Relief um 1810/12 ( Au 16 ) ausgehen, erhalten wir in 18 Jahren bis 1829 einen Vorstoss von 860-1050 m ( was einer Viertelstunde durchaus entsprechen könnte ). Unter Berücksichtigung der Birmann-Zeichnung von 1824 ( Au 23* S.280 ) muss dieser Wert gar in 12-14 Jahren erreicht worden sein, was bei dem sonst so trägen Unteraargletscher nicht sehr realistisch scheint. Da der Gletscher heute seit mehr als 100 Jahren immer nur abschmilzt, haben wir hier keine aktuellen Erfahrungswerte.

Nach seinem ersten Besuch 1839 führte der junge Professor für Zoologie und Paläontologie in Neuenburg, Louis Agassiz ( 1807-1873)12, in den Jahren 1840 bis 1845 ganz im Sinne der heutigen Wissenschaften mit einem Team von Mitarbeitern auf dem Unteraargletscher ein Forschungsprogramm durch, das den Anfang der modernen experimentellen Gletscherforschung markiert ( vgl. S. 281-284 ). Dabei schuf der Vermessungsingenieur Johannes Wild ( 1814-1894 ), später Professor für Geodäsie an der ETH, nach den Angaben von AGASSIZ ( 1847: IV ) im Sommer 1842 die ( Carte du glacier inférieur de l' Aar> im Massstab 1:10000 ( AU 38* S. 282/283 ). Agassiz publizierte 1847 diese für die damalige Zeit einmalige, auch heute noch bewunderungswürdige erste ( wissenschaftliche Gletscherkarte> in grossem Massstab ( KLEBELSBERG 1948, 1: 3 ) im Atlasband zu seinen ( Nouvelles études et expériences sur les glaciers actuels ). Auf der zweifarbigen Lithographie, auch aus ästhetischer Sicht ein Meisterwerk, ist die damals mehr als 8 km lange Zunge des Unteraargletschers unterhalb oder östlich des Abschwungs als elegant geschwungene Doppelwelle mit einem raffinierten System von Böschungsschraffen dargestellt. Wild hat dabei im Auftrag von Agassiz die einzigartige Fülle von Gletscher-oberflächenphänomenen wie Moränen, Trichter, Kegel ( beispielsweise den ( Grand Cône> auf der Mittelmoräne beim Profil zwischen Vermessungspkt. VIII und IX ), unterschiedlich grosse Felsblöcke und natürlich, nahe beim Abschwung, auch das ( Hôtel des Neuchâte-lois> in Schwarz festgehalten. Spaltensysteme, Gletscheroberflächenbäche, intragla-ziale Wasserfälle und Eisseen sind mit blauer Farbe in die schwarzen Grundstrukturen eingedruckt. Der Unteraargletscher endete 1842 mit einer steilen, imposanten Eisfront, auf der südlichen Seite ca. 130 m von der Einmündung des Oberaarbaches in den Unteraarsan- AU 07.1 C. Wolf, 1774/1776(7 ): ein Gletschertisch auf dem Unteraargletscher der entfernt. Seit der Hugi-Karte ( Au 25 ), d.h. von 1829 bis 1842 war der Gletscher auf der Südseite ca. 135-155 m ( ca. 10,4-11,9 m pro Jahr ) vorgestossen, auf der Nordseite waren die Werte etwas geringer, nämlich ca. 84,4-94,4 m ( ca. 6,5-7,3 m pro Jahr ).

Auf der vier Jahre später, 1846, durch Ingenieur J. R. Stengel vermessenen ( HOGARD 1854: 10 ). Auf der Lithographie ( Au 54* S. 291 ) fehlen im Gletschervorfeld, abgesehen von einer kleinen Stirnrandmoräne auf der linken Bildseite, markante Moränenwälle früherer Stadien. Da Hogard, wie wir bei seiner Ansicht des Rhonegletschers sahen ( vgl. S. 211/212 ), auf solche geomorphologischen Phänomene besonders achtete, also solche Wälle sicher eingetragen hätte, wird dadurch indirekt der seit längerer Zeit andauernde Vorstoss nochmals be-stätigt.14 In der gleichen Zeit wie Hogard, d.h. 1851, hat J. Anselmier im Zusammenhang mit der Schweizerischen Landesvermessung das Unteraargebiet auf dem Messtischblatt XVIII ( Massstab 1:50000 ) für den Dufour-Atlas ( Au 70 ) kartiert. Ein Vergleich der Gletscherenden von 1842 ( Au 38* S. 282/283, Wild-Agassiz-Karte ) mit denen von 1851 ( Au 70, Anselmier ) ergibt je nach Messort Werte zwischen 44 und 62,5 m.15 Allzu genaue Vorstosswerte für diese Zeit zu errechnen hat allerdings auch keinen Sinn, ist doch der Massstab der Karte zu klein und Anselmier zuwenig genau ( vgl. Rhonegletscher, S.213 ).

Das Andauern des Vorstosses ist belegt auf dem von Daniel Dollfus-Ausset ( 1797-1870)16 gezeichneten Plan

1861, also vor dem Maximalstand von 1871, hat A. Braun ( 1812-1877 ) oder eher sein Mitarbeiter Jean-Claude Marmand vom Sidelhorn und vom Pavillon Dollfus aus das sehr eindrückliche Aussehen des Unteraargletschers fotografiert ( AU 72).17 Dieser Vorstoss des Unteraargletschers dauerte bis 1871 18, womit der Gletscher erst jetzt ( seinen grössten nacheiszeitlichen Gletscherstand erreichte ) ( KlNZL 1932: 330 ).

In der im Vergleich mit andern Gletschern gut beobachteten Zeit von 1842-1871 stiess der Unteraargletscher in der Mitte ca. 150 m vor ( pro Jahr ca. 5,2 m ), auf der N-Seite 117,5 m ( 4,05 m/Jahr ) und auf der S-Seite ca. 80 m ( 2,7 m/Jahr ).

4. Das kontinuierliche Rückschmelzen von 1872 bis 1986 1872, also ein Jahr nach dem Höchststand, hat L' Hardy den Unteraargletscher und seine Umgebung noch stark schematisiert für die Siegfriedkarte im Massstab 1:50000 aufgenommen ( Au 78 ). Viel besser differenziert ist der Gletscher auf dem Originalmesstischblatt XVIII zum Siegfriedatlas von 1879/80, kartiert von J. Becker ( AU 80* S. 290 ). Die Eisfront ist ca. 60-80 m ( FOREL 1884, 5: 296 ) hinter die gut sichtbaren Hochstandsmoränen von 1871 zurückgeschmolzen.

Etwa in der gleichen Zeit mag die Fotografie ( Vue depuis le mont Sidelhorn ) mit dem Unteraargletscher ( Au 79* S. 290 ) und der sehr schön sichtbaren, in vier Teilwälle aufgelösten Hochstandsmoräne von 1871 entstanden sein. Die Hauptentwässerung mit dem Gletschertor erfolgte auf der bereits stärker abgeschmolzenen Südseite ( auf der Abbildung linke Gletscherseite ).

Neun Jahre später, Ende August 1889, hat Jules Beck ( 1825-1904 ) die ( Frontmoräne des Unteraargletschers & Lauteraarhörner von Ghälteralp 1862 m> ( Au 86 ) fotografiert. Das Zungenende zeigt nun eindeutig die Merkmale des Rückschmelzens, die Oberfläche sinkt ab, es bilden sich Einsturztrichter, vom Eis ist wegen der starken Schuttbedeckung immer weniger zu sehen. Dieses Aussehen hat sich bis heute kaum mehr verändert.

Von 1871 bis 1986 ist der Unteraargletscher fast ununterbrochen um insgesamt 1790 m zurückgeschmolzen ( von 1979/80 bis 1986 allein um 133 m ).

5. Höhepunkte der Gletscherforschung auf dem Unteraargletscher Die ersten genauen Darstellungen des Un-teraar- und Lauteraargletschers stammen von Caspar Wolf ( 1735-1783 ). Auf zwei seiner Reisen begleitete ihn J.S. Wyttenbach ( 1748- AU 10 C. Escher von der Linth, August 1794: die Unteraareisfront 1830 ), Pfarrer an der Heiliggeistkirche und nach A. von Haller der grösste Naturforscher Berns in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Dieser Umstand wirkte sich unmittelbar auf die Bildinhalte von C. Wolf aus. So entstanden im Gebiet des Abschwunges, d.h. des Zusammenflusses von Finsteraar- und Lauteraargletscher, in den Jahren 1774 bis 1777 drei Olskizzen und drei Ölgemälde ( AU 05.1*, AU 06.1 * S. 274, AU 07.1* S. 276 ), wobei zwei Ansichten später auch als Vorlage für graphische Blätter der VUES REMARQUABLES von 1780/1782, 1785 und 1789 dienten ( Au 06.4, 06.5, 06.6 und AU 07.1* S. 276, AU 07.2* S. 277 ). Bei den wohl 1774 entstandenen Ansichten AU 05.1* S.274, AU 05.2 ( Ölskizze und Gemälde ) steht der von der dominant aufragenden Pyramide des Finsteraarhornes ausgehende, mit einem mächtigen Bogen vom Mittel- zum linken Vordergrund fliessende, breite Gletscher im Zentrum.

AU 06.1 * und AU 06.2* S. 274, AU 06.3 ( AU 06.1* spontan und sehr frisch, als Gemälde AU 06.3 düsterer ) werden dominiert von der zacki- 279 gen, kronenartig wirkenden Lauteraarhorn-Schreckhorn-Gruppe im Hintergrund, der hohen Fels-Schuttpyramide auf der Mittelmoräne im Vordergrund links und dem Lauteraarfirn rechts. Die Staffagefiguren ( AU 06.2* S.274 und 06.3 unterschiedlich ) sind alle mit dem Gletscher beschäftigt, als Maler, als Bewunderer der Bergszenerie oder aber als beobachtende und analysierende Naturforscher ( Eisschuttpyramide rechts im Vordergrund).19 Was hiess nun Gletscherforschung in der Zeit der Spätaufklärung, also der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts? Hinweise erhalten wir wieder bei J. S. Wyttenbach. Er wählte ( am 5.8.1777 ) als Beobachtungsstandort diejenige Stelle am Fusse des Finsteraarhorns und der Lauteraarhörner,

( Etwas weiterhin fiel mir ein Phaenomen auf, das ich bisher noch auf keinem Gletscher gesehen hatte, und dies war ein 18-20 Schuh ( 5-6 m ) langes und im Verhältnisse breites und dickes Felsstück, welches mitten in einem Bassin von Eise auf einem dicken schönen ungefähr mannhohen Eispfeiler in völligem Gleichgewichte lag, und einen der sonderbarsten Anblicke darstellte. (... ) Dieser grosse Stein lag, so wie tausend andere, auf der Ebene des Gletschers, ...> ( WYTTENBACH 1777/1788: 38 ). Wolf stellte diese Grössenverhältnisse auf der Ölstudie AU 07.1* S.276 richtig dar, der Stecher dagegen zeichnete die Staffagefiguren zu klein ( AU 07.2* S.277, AU 07.3 ), wohl um dadurch die Wirkung des für die damalige Zeit staunenswerten Phänomens noch zu erhöhen.

Nach den Pionierbeobachtungen von J. Hugi von 1827 bis 1831 ( vgl. S.273 ) bilden die mehrwöchigen Sommer-Feldkampagnen von Louis Agassiz ( 1807-1873)12 mit seinen Gefährten in den Jahren 1840-1845 den Höhepunkt der glaziologischen Forschungen im 19. Jahrhundert am Unteraargletscher. Agassiz hatte sich in seiner Eröffnungsrede vom 24. Juli 1837 an der Jahresversammlung der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft in Neuenburg ( AGASSIZ 1837: 5-32 ) vehement für die Gletschertheorie, d.h. die damals noch sehr umstrittene Existenz einer quartären Eiszeit in der Schweiz und Europa, eingesetzt. Nach zwei längeren Reisen 1838 und 1839 zu verschiedenen Gletschern der Zentral- und Westalpen publizierte er seine Ergebnisse in den ( Etudes sur les glaciers ) ( AGASSIZ 1840, deutsche Bearbeitung 1841 ), seinem ersten Hauptwerk, das nicht zuletzt dank der eindrücklichen 32 Lithographien im Tafel-Band Erfolg hatte. Agassiz erkannte jedoch, dass man für weitere Forschungen die Gletscher an Ort und Stelle und über längere Zeit hinweg studieren musste, ganz nach seiner Devise: da nature doit être notre seul manuel. ) Dass Agassiz sich den Unteraargletscher als Studienobjekt auswählte, hat verschiedene Gründe:

Agassiz stellte bei seinem ersten Besuch auf dem Gletscher 1839 überrascht fest, dass sich die Hugi-Hütte von 1827 bis 1839 um mehr als 4400 Fuss ( ca. 1289,2 m in 12 Jahren oder ca. 107,4 m/Jahr ) vom Abschwung abwärts bewegt hatte und damit zu seinem wichtigsten Indiz für die Gletscherbewegung wurde ( AGASSIZ E. 1887: 226, PORTMANN 1975: 121-124).20 Aber auch die imposante Ausdehnung, die gute Zugänglichkeit und das Grim-sel-Hospiz in der Nähe mögen Agassiz bewogen haben, den Unteraargletscher für seine Untersuchungen zu wählen.

Von 1840 bis 1845 war Agassiz mit seinen Mitarbeitern ( mit Ausnahme von 1844 ) jeden Sommer mehr oder weniger lang auf dem Unteraargletscher; die längste und wichtigste Feldforschungskampagne dauerte vom 4. Juli bis 5. September 1842; zudem besuchte Agassiz den Gletscher 1841 ebenfalls im März, d.h. auf einer ( PORTMANN 1975: 134 Anm.49 ). Jeder Mitarbeiter war bei den Feldkampagnen ( jede Kampagne hatte ganz bestimmte Ziele ) verantwortlich für die Beschaffung bestimmter Messresultate.

L. Agassiz war Initiant, Hauptorganisator und verantwortlich für Temperatur-, Luft-feuchtigkeit- und Luftdruckmessungen ( DESOR 1847: 189; PORTMANN 1975: 125 ), sein langjähriger Sekretär Jean Edouard Desor ( 1811-1882)21 war als Naturforscher verantwortlich für glaziologische ( z.B. Eisstruktur ) und geomorphologische Fragen (

Nachdem Joseph Bettannier die Tafeln für die ( Etudes sur les glaciers ) ( AGASSIZ 1840 ) CARTS. 1 » 10 GXACIER 2 N I !'f|.,'t ( II IHIH'.'ì> HI. IfeAU 38 J. Wild. Sommer 1842: Die erste wissenschaftliche Gletscherkarte, Massstab 1:10000; sie wurde von L. Agassiz gezeichnet hatte, wirkten von 1840 bis 1845 vor allem der langjährige Freund von Agassiz, Jacques Bourckhardt ( 1811-1867)23, und 1843 auch der junge Maler Gustave Castan ( 1823-1892)24 als Zeichner bei dem Forschungsunternehmen mit.

Die Ergebnisse der zahllosen Beobachtungen publizierte Agassiz 1847 in Paris unter dem Titel ( Système glaciaire ou recherches sur les glaciers... Première partie: Nouvelles études et expériences sur les Glaciers Actuels, leur Structure, leur progression et leur influence sur le sol>. Das Werk besteht aus veranlasst und 1847 als Lithographie im Tafelband zu seinen ( Nouvelles études et expériences sur les glaciers actuels ) publiziert.

einem umfangreichen Text und einem Tafelband ( mit 3 Karten und 9 Tafeln, vgl. AU 37, AU 38* S. 282/283, AU 39* S.283, AU 40-49 ). Diese Monographie des Unteraargletschers bildet das zweite, wissenschaftlich entscheidende Hauptwerk von Agassiz, das den Anfang der modernen experimentellen Gletscherforschung markiert.

Nennen wir einige entscheidende Resultate: Nachdem B. F. Kuhn in dem seiner wissenschaftlichen Qualität wegen berühmt gewordenen

So wurde bereits im Sommer 1842 die tägliche Bewegung des Gletschers an der Oberfläche mit Hilfe von Blöcken festgestellt ( z.B. 3.26.8.1842 +0,1 m/Tag ). In den folgenden Jahren setzte Agassiz Methoden ein, die noch heute gebräuchlich sind: die Vermessung von ins Eis gebohrten Stangen mit einem Theodoliten, aber auch die direkte, mechanische Messung der Verschiebung einer Stange im Eis des Gletscherrandes gegenüber einem Bezugspunkt am Fels. Diese Messungen ergaben ausgeprägte jahreszeitliche Schwankungen der horizontalen Komponente der Geschwindigkeit mit einem Geschwindigkeitsmaximum während der Schneeschmelze und einem zweiten kleineren im Februar. Die in geringerem Umfang ausgeführten Messungen der vertikalen Bewegung des Eises deuten bereits auf eine jahreszeitliche Hebung des Gletschers hin, die Agassiz allerdings noch nicht zu interpretieren wusste. Agassiz und seine Mitarbeiter waren aber noch nicht in der Lage, den effektiven Grund der Gletscherbewegung festzustellen, was die Bedeutung ihrer Arbeit keineswegs mindert. Agassiz'Schätzung der Eismächtigkeit des Unteraargletschers von 380 m hat sich dagegen durch neuere Messungen als erstaunlich genau erwiesen. Bei der Beschaffung von Gletscherdaten bewies Agassiz gelegentlich ausserordentliche Kühnheit. So liess er sich beispielsweise 1841, eingehüllt in Murmeltierpelz, an einem Seil 120 Fuss ( ca. 35-36 m ) tief in das Strudelloch eines Schmelzwasserbaches in das Gletscherinnere abseilen.

Als Unterkunft bei den mehrwöchigen Feldkampagnen wählten Agassiz und seine Mitarbeiter einen riesigen Glimmerschieferblock auf der Mittelmoräne, 1840 genannt. Dieser Felsen befand sich 1840 östlich vom Abschwung ent-fernt.25 Dieser Felsblock befand sich vermutlich ganz in der Nähe der Stelle, von der aus 75 Jahre früher schon C. Wolf und J. S. Wyttenbach und dann um 1830 F.J. Hugi den Unteraargletscher beobachtet hatten. J. Bourckhardt hat das

Auf der aquarellierten Federzeichnung ( AU 33.1* S.287 ) ist das 1840 von seiner S-Seite mit dem Lauteraargletscher im Hintergrund zu sehen, AU 34.1* S. 286 zeigt die Nordseite des Blockes sowie das Finsteraarhorn mit seinen Eismassen. Im Laufe der Jahre ist die Unterkunft ausgebaut worden. Auf dem Ölgemälde AU 35* S. 287 von 1842 ist Louis Agassiz im Vorraum mit seinen Geräten dargestellt; wie eine Illustration dazu liest sich der Text von DESOR ( 1847: 389 ): Die Küche

Agassiz und seine Gefährten verstanden aber nicht nur zu forschen, sondern wussten auch zu leben. An einem Sonntag im Sommer 1842 versammelten sich unter einem Zeltdach auf dem Unteraargletscher Musikanten aus dem Oberwallis und eine stattliche Zahl von Mädchen und Burschen aus Guttannen zu einem Gletscherfest. Einer der Gefährten von Agassiz weiss darüber zu berichten:

Der elsässische Industrielle und Gletscher-enthusiast Daniel Dollfus-Ausset ( 1797-1870 ) hat nach der Übersiedlung von L. Agassiz 1846 in die USA - er wurde Professor für Naturgeschichte an der Harvard Universität in Cam-bridge/Mass. die Beobachtungen und Messungen am Unteraargletscher bis 1863 weitergeführt und in der umfangreichen Dokumentation ( Matériaux pour l' étude des glaciers ) ( DOLLFUS-AUSSET 1863-1872 ) publiziert.

Aus den Jahren 1847-1849 stammen vier schöne, grossformatige Farblithographien von HOGARD ( 1854: 6-15 ). Hogard hat das Zungenende ( AU 54* S.291 ), den Gletscher beim Pavillon Dollfus ( Au 55 als breitformatiges Panorama mit der Zunge links und der Konfluenz-zone Lauteraar-Finsteraargletscher rechts ) sowie die gewaltigen Moränen beim Abschwung ( AU 56* S. 289 ) dargestellt. Die schönste Lithographie der Serie ist jedoch wohl AU 57* S. 289 mit dem , und der intensiv sonnenbeschienenen NE-Wand des Finsteraarhorns, dessen Gipfelpartien allzu spitzig stilisiert sind. Ähnliche Ansichten des Finsteraarhorns und des Firns existieren auch, wie wir gesehen haben, von C. Wolf ( AU 05.1* S. 274, Au 05.2 ), G. Lory Sohn ( Au 22 ) und S. Birmann ( AU 24 ).

Der Unteraargletscher diente aber auch im 20. Jahrhundert als Werkstatt für entscheidende Forschungsunternehmungen. In den Jahren 1936-1950 erfolgten mehrere seismische Feldkampagnen auf dem Unteraargletscher ( KASSER 1986: 206/207 ).

Seit 1969 werden systematische Bewegungsmessungen mit einer automatischen Kamera durchgeführt ( FLOTRON 1973: 15-17 ). Dabei wurde während der Schneeschmelze neben dem typischen Geschwindigkeitsmaximum eine Aufwärtsbewegung bis zu 0,6 m beobachtet ( IKEN, RÖTHLISBERGER H., FLOTRON, HAEBERLl 1983: 28-47 ). Dieses Phänomen lässt sich durch die vermutete Wasserspeicherung am Gletscherbett erklären, wobei die Gleitbewegung des Gletschers durch den subglazialen Wasserdruck und den jeweiligen Entwick-lungszustand der Hohlräume an der Gletschersohle beeinflusst wird.

6. Die heutige Gefährdung des Unteraargletschers Heute ist die Zunge des Unteraargletschers durch das Projekt ( Stausee Grimsel-West> der Kraftwerke Oberhasli, das einen Höhenstau des Grimselsees bis auf Höhenkote 2020 m vorsieht, stark gefährdet. Bei unveränderten gegenwärtigen Klimaverhältnissen ist zu erwarten, dass infolge Abschmelzens und Kal-bens des Eises sich die Gletscherzunge in ca. 50 bis 100 Jahren etwa um 3,3 km verkürzen wird ( AELLEN 1987: 216, RÖTHLISBERGER H./ FUNK 1987 a/b/c, UVP KWO 1988: 75 ). Damit würden ca. 50% der heutigen Zunge des Unteraargletschers östlich des Abschwunges zerstört. Von der Lauteraarhütte würde man gegen S und SE auf den Stausee und nur gegen SW auf einen etwas mehr als 3 km langen Restzungenstummel mit einer bei Maximal-stau ca. 30 m hohen Abbruchfront blicken. Es gilt nun, die ungeheuerliche Zerstörung des landschaftlich wie wissenschaftshistorisch einzigartigen Unteraargletschers mit allen Mitteln zu verhindern!

7. Fossile Hölzer und Böden aus dem Vorfeld Hanspeter Holzhauser, Zürich Anlässlich eines Besuches bei L. Agassiz auf dem Unteraargletscher im Sommer 1848 machte COLLOMB ( 1849a: 39, 1849b: 12 ) auf dem Rückweg zum Grimselhospiz eine interessante Beobachtung:

( Sur la rive gauche, dans une localité indiquée sur la carte de Mr. Agassiz, sous le nom de Brandlamm, il existe sur le flanc de la montagne encaissante quelques pied rabougris de pinus cembra, un de ces pins a été atteint l' été dernier27 par le glacier, nous en avons scié le tronc et reconnu l' âge, il avait 220 ans; à côté de ce tronc on remarquait d' anciennes souches de la même essence, passées à l' état de bois pourri, qui devaient remonter à une époque plus reculée, mais dont il était impossible de déterminer l' âge précis. ) Die Aufzeichnung von Collomb ist in zweierlei Hinsicht interessant: Einerseits beweist sie, dass in unmittelbarer Nähe des Unteraargletschers ( im Bereich der Vordren Brandlamm, s. AU 38* S. 282/283 ) um 1848 mehrhundertjährige Arven stockten und dass der Gletscher damals durch sein Vorrücken solche Bäume umwarf ( die damalige Gletscherausdehnung entsprach etwa derjenigen von 1890, s. Fig. 6, Falttafel ).

Andererseits ist durch das Baumalter von 220 Jahren ein Mindestzeitraum gegeben, während dem der Standort der Arve eisfrei war, d.h. mindestens seit 1628. Daraus lässt sich ableiten, dass der Unteraargletscher Ende 16./Anfang 17. Jahrhundert sehr wahrscheinlich keinen Hochstand erreicht hat. Der Gletscher hätte im Falle eines Hochstandes die Stelle, wo Collomb die Arve vorfand, schon Ende des 16. Jahrhunderts wieder freigeben müssen, denn erfahrungsgemäss dauert es nach dem Eisfreiwerden einige Zeit, bis Bäume im Vorfeld wieder Fuss fassen - im Falle der Arve können das mehrere Jahrzehnte sein. Zieht man die träge Reaktion dieses Gletschers auf Klimaänderungen in Betracht — der Unteraargletscher wies im 19. Jahrhundert vergleichsweise erst spät ( 1871 ) die maximale Ausdehnung auf-, so ist es sehr unwahrscheinlich, dass ein Hochstand schon im ausgehenden 16. Jahrhundert, als die meisten Gletscher erst vorzustossen begannen, erfolgte.

Wie noch gezeigt werden kann, bestehen wohl Hinweise auf ein Vorrücken des Unteraargletschers im 16./17. Jahrhundert, doch ist kein Hochstand nachweisbar. Die von Collomb erwähnten schon verfaulten Wurzelstöcke sind vermutlich Indizien dieses früheren Gletschervorstosses ( s. Karte 7 S. 269,3 ).

Jeweils im Monat August dreier aufeinanderfolgender Jahre ( 1848-1850 ) hielt Hogard im Stirnbereich ( unterhalb der Bärenritz ) zeichnerisch fest, wie ein grosser vom Unteraargletscher mittransportierter Felsblock eine Arve abknickte ( HOGARD 1858-1862: PL 19; AU 58 ). Auch im vordersten Abschnitt des Vorfeldes stockten um die Mitte des letzten Jahrhunderts offensichtlich ältere Bäume, die der vordrängende Gletscher allmählich umdrückte.

Unterhalb der Bärenritz bei der Mederlouwenen sind heute noch einzelne fest verwurzelte Baumstrünke zu finden, und auch ein grosser Felsblock, der dem auf der Skizze von Hogard entsprechen könnte, haftet am steilen Hang. Wir befinden uns im Bereich der maximalen Ausdehnung des Unteraargletschers im 19. Jahrhundert. Ein nicht allzu deutlich ausgebildeter Moränenwall begrenzt hier das Vorfeld. Auf der gegenüberliegenden Talseite ist ein kleiner, gut sichtbarer Wall erkennbar, der vom Unteraargletscher ebenfalls während des letzten Hochstandes um 1871 abgelagert wurde.

Mit dem Schwinden des Gletschers nach 1871 sind Fragmente von Bäumen zum Vorschein gekommen, eindeutige Belege für ein einst vegetationsbedecktes Vorfeld. Anlässlich einer Exkursion im Rahmen der Einweihung des Naturschutzreservates am Unteraargletscher im Jahre 1935 entdeckte MARIÉTAN ( 1936: 45-50 ) in Felsritzen unterhalb der Bärenlamm fest verankerte Wurzeln an Stellen, die der zurückschmelzende Gletscher damals freigab.

Angeregt durch diese Holzfunde wurde 1985 die linke Seite des Vorfeldes zwischen Vordri Brandlamm und Mederlouwenen nach weiteren Überresten von Bäumen abgesucht, mit Erfolg: Insgesamt konnten zwanzig Proben fossiler Hölzer und fünf Proben fossiler Böden an der Oberfläche bzw. in natürlichen Aufschlüssen entnommen werden ( s. Karte 7 S. 269 ). Fünfzehn der geborgenen Holzproben - mit einer Ausnahme handelt es sich ausschliesslich um In-situ-Funde — und vier fossile Böden wurden uC-datiert.

Die dem Gletscher am nächsten gelegene Fundstelle war vor wenigen Jahren noch eis-bedeckt.28 Ein Bach hat hier flächenhaft einen fossilen, stark zusammengepressten Boden aufgeschlossen, der mit dichtem Wurzelge-flecht durchsetzt ist. In nur geringer Entfernung von diesem Aufschluss wurzelt der nicht mehr allzu gut erhaltene Strunk einer Arve ( s. Karte 7 S. 269, AU Al und 1 ). Die 14C-Alter von Holz und Boden weisen auf den ersten neuzeitlichen Vorstoss des Unteraargletschers an der Wende 16./17. Jahrhundert hin. Aufgrund der 14C-Daten des fossilen Bodens muss angenommen werden, dass die Stirn des Unteraargletschers während mehrerer Jahrhunderte hinter der Fundstelle AU Al zurücklag und somit kleiner war als heute.29 Weitere 14C-Daten fossiler Hölzer und Böden ( 2, 3, 4, 7, 8 und AU A2, Karte 7 S. 269 ) sprechen ebenfalls für ein Anwachsen des Gletschers im 16./17. Jahrhundert bzw. für eine vorangegangene mehrhundertjährige Zeitspanne, während der im Vorfeld des Unteraargletschers sich ein Boden entwickelte, auf dem Nadelbäume und niedere Sträucher gedeihen konnten.29 Der Unteraargletscher schwoll bei diesem ersten neuzeitlichen Vorstoss bis zu einer Ausdehnung wie um 189030 an ( Lage von Probe 3, Karte 7 S.269 ); aus den eingangs erwähnten Gründen ( 220jährige Arve von Collomb ) wuchs er wohl kaum wesentlich weiter an, so dass die randlichen Bereiche des Vorfeldes bewachsen blieben.

Wann diese Vorstossphase einsetzte und wie lange sie dauerte, ist aufgrund der 14C-Da-ten nicht exakt feststellbar. Jedenfalls bildete sich der flache Eisstrom nach Erreichen der grössten Ausdehnung im Verlauf des 17. Jahrhunderts ( Ausdehnung wie um 1890 ) zurück und machte der Vegetation wieder Platz.

Den Aufzeichnungen von Cappeler zufolge war der Unteraargletscher zwischen den Jahren 1719 und 1729 einmal mehr im Vorrücken begriffen ( s. S.268/270 ). Die Gletscherstirn lag damals etwa 1150 m hinter dem Maximalstand von 1871, was einer Ausdehnung wie um 1945 entspricht. Die Tatsache, dass einzelne Lärchen - wie Cappeler schreibt - vom Eis begraben wurden, weist darauf hin, dass der Gletscher vorher kleiner war und hinter einer Ausdehnung von 1945 zurückgelegen haben muss.

Der vordere Abschnitt des Gletschervorfeldes war auch noch im ausgehenden 18. Jahrhundert bewachsen. Wyttenbach schreibt, dass 1788 der Gletscher Ibis in grüne Stellen hinaus ) sich erstreckte und in der Nähe eines an der nördlichen Talseite gelegenen Arven-wäldchens lag ( s. S.272 ).

Die Resultate der Auswertung fossiler Hölzer widersprechen den erwähnten Hinweisen aus historischen Quellen nicht: Fossile Wurzelstöcke, die im randlichen Vorfeldabschnitt am Wuchsort gefunden wurden und 14C-Alter zwischen 170 yBP und modern aufweisen, bestätigen die geringe Ausdehnung des Unteraargletschers im 18. Jahrhundert. Es handelt sich um Reste von Bäumen, die damals im Vorfeld stockten ( auf AU 08.1 erkennbar ) und während des Vorstosses - der laut historischen Quellen schon im 18. Jahrhundert einsetzte und mit einem Hochstand um 1871 endete - unter das Eis gerieten. Das Anwachsen des Gletschers kann mit den 14C-Daten gut nachvollzogen werden ( vgl. Karte 7 S.269 ):

Probe9 ( 17090 yBP, UZ-1039 ) belegt einen Vorstoss bis zu einer Ausdehnung wie um 1900, Probe 5 ( modern, UZ-955 ) einen solchen bis zu einer Ausdehnung wie um 1890 ( entspricht etwa der Ausdehnung wie um 1848, s. Collomb ). Mit den Proben 10 AU 79 A. Braun ( evtl. J. C. Marmand ), kurz nach 1871: der Unteraargletscher mit dem kurze Zeit vorher entstandenen Endmoränenkranz

m-4.

AU 80 F. Becker, 1879/1880: Messtischblatt im Massstab 1:50000 zur Siegfriedkarte; vor dem Zungenende des Unteraargletschers sind die Endmoränen des Maximalstandes von 1871 deutlich eingetragen.

( 15575 yBP, UZ-962 ) und 11 ( modern, UZ-975 ) ist auch der anschliessende Hochstand im 19. Jahrhundert belegt.

Die von Hugi erwähnte, 1829 vom Gletscher umgedrückte Arve ( s. S.275 ) könnte sich im Bereich der Felsen unterhalb der Bärenlamm befunden haben, wo auch Probe 9 herstammt. Probe 5 wurde einem Wurzelstock aus der von Collomb beschriebenen Lokalität ( südöstlich der Vordren Brandlamm ) entnommen.

In seltener Weise ergänzen und bestätigen sich hier die Hinweise aus historischen Quellen und die Resultate glazialmorphologischer Untersuchungen.

Ein früher Vorstoss des Unteraargletschers kann um 1000/900 yBP ( ca. 950/1050 n.Chr .) nachgewiesen werden ( s. Karte 7 S.269, AU A3 und 6 ). Der Eisstrom erreichte damals Ausmasse, die zumindest einer Ausdehnung wie um 1890 entsprachen.

Vor diesem Vorstoss war der Gletscher während längerer Zeit wesentlich kleiner: Die 14C-Daten des Bodens deuten auf eine äusserst lange Bodenbildungsdauer hin, die mindestens von 193575 yBP bis 94580 yBP ( uz-1043 bzw. UZ-1042 ) gedauert hat.31 Während dieser Zeitspanne erreichte der Eisstrom die Ausdehnung von etwa 1900 nie ( Lage des Aufschlusses AU A3, s. Karte 7 S.269 ). Im Vergleich mit den Schwankungen anderer Alpengletscher ist eine so ausnehmend lange Phase geringer Gletscherausdehnung sehr ungewöhnlich.32 Das abweichende Verhalten des Unteraargletschers gegenüber dem anderer Alpenglet- scher widerspiegelt sich auch in der langandauernden geringen Ausdehnung vor Beginn des ersten neuzeitlichen Vorstosses im 16./17. Jahrhundert: Nach dem mittelalterlichen Vorstoss um 950/1050 n. Chr. schmolz der Eisstrom soweit zurück, dass er schliesslich eine kleinere Ausdehnung aufwies als heute. Über mehrere Jahrhunderte ( etwa 400 Jahre lang ) entwickelte sich in der Folgezeit allmählich ein Boden im Vorfeld, was ein Ausbreiten der Vegetation wieder ermöglichte.

Der Unteraargletscher wäre aufgrund der vorliegenden Daten innerhalb der letzten rund 2000 Jahre nur dreimal kräftig vorgestossen, nämlich im Mittelalter um 950/1050 n. Chr. ( 1000/900 yBP ) sowie während der Neuzeit im 16./17. und im 18./19. Jahrhundert.

Für klimatische Aussagen eignet sich der Unteraargletscher offenbar schlecht. Ein Grund für sein nicht in ein bestehendes l\ I!

AU 54 H. Hogard, 22. August 1847: der langsam vorstossende Unteraargletscher Schema hineinpassendes Verhalten mag sicher einmal darin liegen, dass die Gletscherzunge lang, äusserst flach und schuttbedeckt ist. Dies alleine erklärt aber nicht das ( scheinbare ?) Fehlen von weiteren kräftigen Vorstossen, wie sie beispielsweise am Grossen Aletsch- und am Rhonegletscher nachgewiesen sind ( um 750/850 n. Chr. und um 1350 n.Chr. ).

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