J. J. Weilenmann | Club Alpino Svizzero CAS
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J. J. Weilenmann

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1S19-1896.

Vortrag, gehalten am 26. Februar 1897, vor der Sektion St. Gallen.

Dr. E. Scherrer ( Sektion St. Gallen ).

Von Werte Clnbgenossen!

Am 10. Juni vergangenen Jahres haben wir unser Ehrenmitglied und Clubveteranen J. J. Weilenmann zur letzten Ruhestätte geleitet. Als Ergänzung des Nachrufes, den wir ihman offener Grabesgruft gewidmet haben, dürfte es sich ziemen des Verstorbenen noch einmal hier im Clubkreise zu gedenken. Das Andenken Weilenmanns ist nicht nur uns St. Galler Clubisten ein teures, auch alle andern Sektionen unseres S.A.C. haben durch die Kondolenzschreiben, die sie unserem Sektionsvorstande anläßlich des Hinschiedes Weilenmanns zukommen ließen, ihre Sympathie für den heimgegangenen alten Wanderer kundgegeben. Eine Lebensskizze Weilenmanns dürfte deshalb auch weitern Clubkreisen willkommen allerdings bloß eine Lebensskizze und nicht ein vollständiges Lebensbild des seltsamen Mannes zu geben, da Weilenmann außer seinen gedruckten Schriften keine Zeile hinterlassen hat, die über sein Leben und Wirken Aufschluß gäbe, und auch die Mitteilungen, welche er etwa gegenüber ( jetzt noch lebenden ) Freunden und Bekannten über seinen äußern Lebensgang machte, sind sehr spärlich.

Sie dürfen deshalb von vornherein keine ausführliche Biographie erwarten, wie sie beispielsweise Professor Walder in Zürich über Professor Ulrich im Jahrbuch S.A.C. XXIX zu bringen im Falle war.

Johann Jakob Weilenmann wurde geboren in der Stadt St. Gallen am 24. Januar 1819 als Sohn eines Privatschulmeisters von Illnau ( Kanton Zürich ). Seinem Vater, der im Institute Heinrich Pestalozzis in Yverdon zum Lehrer herangebildet worden war und ein tüchtiger Pädagoge gewesen sein soll, war es leider nicht lange vergönnt die Erziehung seines Knaben zu leiten, denn als dieser erst 10 Jahre alt war, wurde der Vater durch eine Krankheit weggerafft. Die Mutter mußte ihre ganze Kraft aufbieten, um ihre Kinder durchzubringen, und deshalb auch darauf Bedacht nehmen, den Sohn Johann Jakob sobald als möglich auf eigene Füße zu stellen. Mehr als einmal sprach Weilenmann in späteren Jahren sein Bedauern darüber aus, daß die Ungunst der Verhältnisse ihm in seiner Jugend nicht gestattet hätte, einen wissenschaftlichen Beruf zu ergreifen. Nach kurzer Schulzeit trat Weilenmann als Lehrling in das Geschäft des Herrn Joh. Conrad Fehr in St. Gallen, wo er die übliche Lehrzeit zu bestehen hatte.

Schon in seinem Jünglingsalter muß die Liebe zu den heimatlichen Bergen in ihm wach geworden sein, denn sonst hätte er nicht im Jahre 1836 als siebzehnjähriger Bursche ganz allein den Säntis bestiegen. Und schon das Jahr vorher muß er eine größere Schweizerreise gemacht haben; er war im Wallis und Berner Oberland. In seinen „ Streifereien in den Berner- und Walliseralpen " berichtet er, u.a. seine Wanderung nach der Steinbergalp im Jahre 1859 erzählend, daß er vor 24 Jahren die Partie aus dem Öschinenthale über den Bundgrat und die Sefihenlücke nach Lauterbrunnen gemacht, jedoch nicht gewagt habe, die Schwelle des dortigen Alpentempels zu überschreiten. „ Unkenntnis der Gegend, Mangel an guten Karten und ein beklemmendes Gefühl, eine gewisse Scheu, deren sich wohl niemand zu erwehren vermag, der zum erstenmal jene furchtbaren Fels- und Gletschermassen vor sich auftürmen, jene düsterwilden Schluchten gähnen sieht, hielten mich davon ab. " Auch an einer andern Stelle seiner Schriften gedenkt er dieser seiner ersten größeren Wanderung, wie er, vom Leman kommend, zum erstenmal das Wallis betreten habe und wo es ihm vorgekommen sei, als stehe er wunderweit verloren in der Welt draußen, unter den fremdredenden Leuten, und wie er stracks über die Gemmi wieder den deutschredenden Gauen, der Heimat zugeeilt sei.

Nach vollendeter Lehrzeit kam er in das Geschäft des Herrn J. C. Fehr in New-York. Von Nordamerika führte ihn der Wandertrieb nach Pernambuco in Brasilien, wo er in zwei Geschäften thätig war. Als er in das zweite Geschäft eintrat, erhielt er Wohnung in dem vor der Stadt liegenden Hause seines Chefs, und als ihn an einem der eisten Abende, die er daselbst zubrachte, auf der Veranda sitzend, die „ großen Leuchtkäfer und Nachtfalter umschwirrten ", kam ihm „ auf einmal " der Gedanke, sie zu sammeln. Schon am nächsten Tage trieb er bei einem Antiquar eine Anleitung zum Präparieren von Insekten auf, die sich als durchaus brauchbar erwies. Er betrieb dann das Sammeln mit solchem Eifer, daß er eines Sonntags, als er ein paar Stunden von seiner Wohnung eine kleine seltene, aber sehr gefährliche Giftschlange fand, dieselbe lebend, sie am Schwänze mit ausgestrecktem Arme haltend, nach Hause trug. In cirka zehn Monaten hatte er etwa 10,000 Objekte, ungerechnet die Dubletten, gesammelt. Er legte sich auch eine prachtvolle Kolibri-Kollektion an; die Tierchen schoß er mit Sandladung. Ein französischer Naturforscher, der damals ebenfalls in Pernambuco weilte, gab ihm wertvolle Ratschläge für das Präparieren von Käfern, Spinnen, Schmetterlingen u. s. w., und in der That wurde er bald ein vorzüglicher Präparator. Mit stolzer Genugthuung erfüllte es ihn, als er dreißig Jahre später seine wertvolle Sammlung im besten Zustande dem eidgenössischen Polytechnikum zum Geschenk machen konnte.

Als er Amerika verließ, ging er zunächst auf einige Zeit nach London. Unterhandlungen wegen des Verkaufs seiner Sammlungen an das britische Museum zerschlugen sich, wenn wir richtig berichtet sind, weil Weilenmann im letzten Augenblicke zurücktrat. Die Freude an seinem kaufmännischen Berufe hatte Weilenmann schon in Amerika, und zwar, bevor er das Sammeln angefangen hatte, verloren: in die Heimat zurückgekehrt, trug er sich mit dem Gedanken, eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen; leicht begreifliche Gründe ( stand er damals doch schon in den Dreißigen ) hielten ihn schließlich von der weitern Verfolgung dieses Gedankens ab. Der wesentliche Grund seiner Rückkehr nach Europa war eine schwere Erkrankung. Auf der Heimreise, so äußerte er sich einmal, habe er nicht geglaubt, daß er die Schweiz wiedersehen würde, so schlecht habe er sich befunden. Aufenthalt und Bewegung in der freien Natur machten ihn wieder gesunden und durch diese Rekonvalescenz wurde er allmählich zum Bergsteiger.

Anfang der fünfziger Jahre begann er seine alpine Thätigkeit. Die Berge und Thäler seiner engern Heimat, des St. Galler- und Appenzellerlandes hatte er bald des gründlichsten durchforscht und begangen. Im Jahre 1855 hatte er den Säntis schon zweidutzendmal bestiegen. Jedesmal hatte er hierbei einen besondern Zweck, entweder einen neuen Weg oder eine neue Aussichtherauszufinden; er wollte den Berg von allen Seiten und in allen Details kennen lernen.

In dieser Zeit wurde Weilenmann mit Fürsprech Bucher aus Regensberg bekannt, mit welchem er namhafte Touren ausführte und der heute noch als 82jähriger Greis sich des Lebens freut. Herr Bucher berichtet uns über sein Zusammentreffen mit Weilenmann folgendes: „ Es war im Jahre 1855, daß ich mit Weilenmann Bekanntschaft machte. Etwa zehn Tage, nachdem ein Erdbeben Visp und Umgebung so arg verschüttet hatte, gingen wir beide über die Furka das obere Wallis hinunter, das Zermatterthal zu besuchen, und trafen in Visp zusammen. Weilenmann wie ich wollten vorher das Eggischhorn besuchen. Ein Deutscher, vom Fuß bis zum Kopf patent als Bergsteiger ausstaffiert, hatte sich von der Purka Weilenmann angeschlossen. Ich weiß nicht, war es die sarkastische Art und Weise, mit der Weilenmann Leute behandeln konnte, wenn sie ihm nicht einleuchteten, auf einmal am Morgen hieß es, der deutsche Herr gehe nach Brieg und über den Simplon nach Italien. Da ich größere Bergtouren noch nicht gemacht hatte und aus Weilenmanns Ausrüstung und seinem Stock ersah, daß er Leistungen aufzuweisen hatte, wünschte ich um so mehr, mich ihm anzuschließen, was er freundlich gestattete. Ich machte mit Weilenmann die Tour auf das Eggischhorn, von wo wir dann durch das arg zerstörte Vispbach und St. Nikiaus nach Zermatt uns begaben, wo wir verschiedene Ausflüge in die Umgegend machten, auf den Zmuttgletscher, Hörnli, Gornergrat, Riffelhorn, Monte Rosa, Cima di Jazzi und über das Weißthor nach Macugnaga u. s. w. " J ) In der Folge machten Bücher und Weilenmann noch manch schöne Wanderung zusammen; so bestiegen sie im Jahre 1858 den Grand Combin und die Pointe d' Azet, wobei auch Gottlieb Studer von der Partie war.

Sie werden nun kaum eine Aufzählung all der zahlreichen Touren ( auf seinen zwei Bergstöcken sind, mit dem Brennglas kunstvoll eingebrannt, cirka 350 Namen von Gipfeln und Bergübergängen zu lesen ), die Weilenmann im Laufe der Jahrzehnte gemacht hat, erwarten, und in der That ist das für die Würdigung der Persönlichkeit Weilenmanns auch nicht notwendig; dagegen muß wenigstens seiner bedeutendem Bergfahrten kurz Erwähnung gethan werden. Das Wallis gefiel ihm ganz besonders, und so finden wir ihn denn von Mitte der 50er Jahre bis in die 70er Jahre hinein immer wieder in der herrlichen Bergwelt der Rhone-thäler. Nach den bereits erwähnten Fahrten mit Bucher im Jahre 1855, sowie mit diesem und Gottlieb Studer drei Jahre später, durchstreift er allein im Jahre 1859 die Gegend des Simplon, wobei er als erster Tourist den Monte Leone besteigt; im gleichen Sommer begeht er eine Anzahl Gletscherpässe, so das Triftjoch, den Col d' Hérens, den Col de Cotton, den Col de Val Cournera, das Matterjoch, den Col des Diablons. Im Jahre 1865 hatte er für den Alpenclub das Itinerarium des Exkursionsgebietes zu erstellen; in Ausforschung des betreffenden Gebirges bestieg er die Ruinette, den Mont Blanc du Seüon und die Rosa Blanche ( erste Besteigungen ) und im folgenden Jahre als erster die Pointe d' Hautemma und den Bec Epicoun, sowie 1867 die Tour de Boussine ( erste Ersteigung ) und den Mont Pleureur. In den Jahren 1872 und 1873 hatte er es hauptsächlich auf das Maiterhorn abgesehen; das eine Mal wegen Sturmes, das andere Mal, schon nahe am Ziel, wegen Nebels zur Umkehr gezwungen, gelingt ihm schließlich die dritte Besteigung. Auch an der Dent Blanche hatte er Wetterpech, während die Besteigung des Weißhorns bei Randa gut gelang.

Ebenfalls schon Ende der fünfziger Jahre macht er als einsamer, still beobachtender Wanderer Gletschertouren in den Berner Alpen, wie über den Tschingeltritt und Petersgrat nach dem Lötschenthal und über den Lötschengletscher, die Lötschenlücke und den Aletschgletscher nach Fiesch. Am 12. Juli 1863 finden wir ihn mit R. Lindt, Edm. v. Fellenberg und G. Studer auf dem Finsteraarhorn.

Nach fünfzehnjähriger Pause besucht er im Jahre 1874 wiederum das Lötschenthal, um Bieischhorn und Aletschhorn zu besteigen.

Nächst dem Wallis bevorzugte er vom schweizerischen Alpengebilde hauptsächlich das Bündnerland und das an dieses angrenzende benachbarte Tirol. Im Jahre 1857 machte er mit Studer und Bucher und Führer Madul die Tour auf den Mont Pers und zum Diavolezzasee. Damals sagte man ihnen in Pontresina, der Diavolezzasee sei nur noch fünf Personen bekannt: Herrn Coaz und seinen zwei Gehülfen, dem Führer Colani und einem andern Pontresiner ( Studer, Über Eis und Schnee, III, pag. 6 ). Und heute? Die stolze Pyramide des Piz Linard bestieg Weilenmann als erster nach Oswald Heer im Jahre 1858. Folgenden Jahres macht er einige Streifzüge in der Berninagruppe. Nachdem er eine mühsame Erklimmung des Piz Corvatsch, sowie die Besteigung des CapittscJiin und des Ttchierva ausgeführt hatte, drang er auch in das Fexthal hinein, um seinem noch unbesiegten Beherrscher, dem von Gletschern umstarrten Piz Tremoggia einen Besuch zu machen, was ihm dann auch gelang; auch der Muttier im Unterengadin wurde sein und im gleichen Sommer durchforschte er das Adulagebirge, nacheinander in wenigen schönen Tagen Rheinwaldhorn, Vogelberg, Güferhorn, Fanellahorn und Kirchalphorn erkletternd. Die Besteigung des Rheinwaldhornes war die zweite authentische Besteigung dieses Berges nach der ersten im Jahre 1789 durch Placidus a Specha ausgeführten, während die Erklimmung des nächsten Rivalen des Rheinwaldhornes, des nur 5 Meter niedrigeren Güferhornes, eine Erstbesteigung war. Mit Begeisterung schreibt er am Schluß der Schilderung der letztgenannten Bergbesteigungen: „ Der Hut wird mit einem Kranze der schönsten Alpenblutnen geschmückt, und nun, nachdem ich auf den namhaftesten Spitzen des Adulagebirges mich umgesehen, drängt es mich für eine Weile wieder ins Thal und zu den Menschen hinab. Ich grolle ihnen nicht, jenen Gebirgsriesen, für all die Mühen, für die Tausende von Schweißtropfen, die mich ihre Bezwingung gekostet. Mit Dank vielmehr scheide ich von ihnen, für das viele Schöne, das sie mir geboten, und rufe jedem zu, der ein wenig Ungemach nicht scheut, der ein oifenes Auge, ein für jene erhabenen Naturscenen empfängliches Gemüt mitbringt: „ Gehe hin und thue desgleichen. "

In das Jahr 1861 fällt die Ersteigung des Fhichthorns, ein Lieblings-gedanke Weilenmanns. „ Seit ich das Pluchthorn ", schrieb er, „ vom Muttier und Linard in der Nähe gesehen und in ihm die oft zuvor vom Säntis aus bewunderte, den ganzen Osten beherrschende Zackenkrone erkannt, dann zu meiner nicht geringen Überraschung auch von den westlichen Partien des aussichtsreichen Höhenzuges es entdeckt, der von Fröhlichsegg nach Vögelinsegg ( bei St. Gallen ) streicht, hatte sich lebhaft das Verlangen in mir geregt, seine, soviel bekannt, nie von Menschenfuß betretene Zinne zu erklimmen. "

Das Fluchthornunternehmen führte zu seiner Bekanntschaft mit dem Schäfer und Gemsjäger Franz Pöll aus Mathon im Paznaunthal, mit dem er in der Folge eine ganze Reihe bedeutsamer Hochtouren ausführte; so diejenige auf den Roseg im Jahre 1864 und die Erstbesteigungen der Crestagüzza und des Piz Buin; letztere Touren in Gemeinschaft mit Herrn Specht aus Wien und dem Passeier Gemsjäger Jakob Pfitscher.

Im Sommer 1867 hat er einige Zeit mit seinem Leibführer Pöll in dem herrlich gelegenen Bormio Standquartier genommen und von dort aus die Gobbetta und den Monte Confinale bestiegen, am 21. August genannten Jahres mit Pöll und dem Träger Romani Santo als erster die Eismasse der Cima di Piazza betreten, am 31. gleichen Monats versucht, dem Ortler aus der Valle del Zebru beizukommen, und am 1. September glücklich die Kònigspìtze erklommen.

Aber auch das entfernter gelegene Tirol blieb ihm nicht unbekannt. Wiederholt besuchte er das Ötzthaler Gebirge, zum erstenmal im Jahre 1860. Von bedeutenderen Besteigungen seien nur diejenigen des Similaun, der Venter WeißJcugel, der Freibrunnerspitze und der Hochwildspitze erwähnt. Das sind nur einige wenige Beispiele; schreibt er doch an einer Stelle im ersten Band seiner „ Firnenwelt ": „ Nachdem ich drei Sommer im Tirol gewandert, manches Gletscherjoch der Ötzthaler Gebirge überschritten, auf manchem ihrer Gipfel Umschau gehalten, nachdem ich die bizarren Dolomitgebilde von Fassa und Enneberg bewundert, am frischen Grün, das den Fuß ihrer kahlen Wände schmückt, das Auge geweidet, nachdem ich von den Eisgipfeln des Venedigers und Glockners mich hatte verlocken lassen, dann durchs Etschthal hinab zum Gardasee gepilgert, um von der hohen Rasenkuppe des Monte Baldo den Blick in seine felsumschlossene blaue Flut zu tauchen und Italien in endloser Ferne verschwimmen zu sehen — nachdem ich so lange nicht in den heimischen Gebirgen mich getummelt, trieb es mit starkem Drange wieder ihnen mich zu.Bis zu Anfang der achtziger Jahre sich voller körperlicher Rüstigkeit erfreuend, suchte er jeden Sommer seine geliebten Berge auf.

Eine seiner letzten größeren Reisen war diejenige nach Korsika, welche Insel und deren Gebirgswelt er während mehreren Wochen durchforschte.

Als Weilenmann in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre wieder nach Europa zurückgekehrt war und sich die Erforschung der heimatlichen Berge zu seiner Lebensaufgabe setzte, hatte die Bereisung der Alpen und die Besteigung der hohen und höchsten Gipfel, teils aua Forschungszwecken, teils lediglich aus Freude an der Natur, eben ihren Anfang genommen. Schon finden wir einzelne Engländer, die wenige Jahre später, 1857, den ersten Alpenclub gründeten, thätig an der Erforschung der schweizerischen Gebirge; aber auch eigene Landeskinder, wie Forstinspektor Coaz, Professor Ulrich, Gottlieb Studer und andere, hatten sich schon einen hervorragenden Namen als Alpenpioniere erworben; ihnen reihte sich nun Weilenmann würdig an; einmal als kühner Berg- und Gletscherfahrer, der, auf die eigene Kraft vertrauend, Be-wunderungswertes leistete, dann als alpiner Schriftsteller und Erzähler, der durch seine ebenso originellen als fesselnden Naturschilderungen in weiten Kreisen die Freude an der Naturschönheit des Hochgebirges geweckt hat.

Betrachten wir uns einmal unsern Weilenmann als Bergsteiger. Er war eine großgewachsene, knochige Mannesgestalt, mit ausgeprägten, interessanten Gesichtszügen, einem scharfen, durchdringenden Auge, das-Antlitz vom schwarzen Vollbart umrahmt. Seine Ausrüstung bestand in starken, gut genagelten Schuhen, die jeweilen auch eine längere Bergtour aushielten, weißleinenem Rock und Hosen, dazu wollene Unterkleider, die je nach Bedarf mehr oder weniger zahlreich getragen wurden, dem unvermeidlichen Panamahut mit breiter Krempe, dem langen, festen Stock von Eschenholz, unten mit guter Stahlspitze, kreuzweise über den Schultern hängend rechts das Fernrohr und links die Reisetasche mit den Karten und einigen notwendigen Kleinigkeiten, die übrigen Effekten pflegte Weilenmann mit der Post vorauszusenden. Den Eispickel, das unentbehrliche Werkzeug des heutigen Bergsteigers, führte er nicht; dafür trug er auf hartem Eis und Firn schwere Steigeisen, und im Notfalle schlug er sich Stufen mit der scharfen Stahlspitze seines starken Bergstockes.

So ausgerüstet, konnte man ihn schon in weiter Ferne erkennen, da die weiße Erscheinung sich vom dunkeln Fels oder grünen Wiesengrund vorzüglich abhob, oder vernahm man aus noch so großer Entfernung seinen kräftigen, hellklingenden Jauchzer, so war man sicher, daß Weilenmann es sei. Er war auch ein Muster von Genügsamkeit; hatte er größere Touren vor, so war es ihm vor allem darum zu thun, einen rechten Morgenimbiß zu haben, dann aber mußte sozusagen die ganze Tageszeit zum Gehen und Steigen verwendet werden. Hatte er ein Stück Brot, das Fläschchen mit Kirsch und etwa noch ein Stückchen Käs in der Tasche, dann konnte er den ganzen Tag hindurch gehen und steigen; jede Viertelstunde reute ihn, die verwendet werden sollte, zu rasten und etwas zu genießen; nach geleisteter Tagesarbeit dagegen ließ er dem Körper auch gerne das Seinige zukommen. Wo sich ihm Gelegenheit bot, liebte er es, in den erfrischenden Fluten eines Bergbaches oder Alpen-seeleins ein Bad zu nehmen. Als er schon in vorgerücktem Alter jeweils auf Partnun Sommeraufenthalt nahm, badete er regelmäßig im dortigen Seelein. Auf die Frage eines Kurgastes, ob denn das Wasser nicht sehr kalt sei, erwiderte er: „ 0 nein; ich habe es nie unter acht Grad getroffen !" Wenn er nach gethaner Tagesarbeit die ruhebedürftigen Glieder auf der einfachen Heulagerstätte des Älplers ausstrecken konnte, war er glücklich. Einen fast komischen Horror hatte er jedoch vor jenen kleinen Plagegeistern, die so oft die nächtliche Ruhe des Menschen stören. Weilen-tnann hebt allüberall dieses Klagelied an, und er zieht es vor, das Heulager zu beziehen oder gar unterm freien Sternenhimmel, das Haupt auf das Ränzel gelegt, die Nacht zuzubringen, als einem verdächtigen Bett oder etwa der Schaffelldecke eines Hirten seinen, wie es scheint, so zartblutigen Leib anzuvertrauen.

Köstlich beschreibt er, was alles der an Reinlichkeit gewöhnte Alpenwanderer erleben und über sich ergehen lassen muß. So als er zum erstenmal nach Galtür im Paznaunthal kam und im dortigen Wirtshause „ Lager und Stärkung für einen müden Wanderer " suchte, die ihm in der Voraussetzung, daß er nicht „ hoakel " sei, angeboten wurde, schreibt er: „ Und wahrlich, die Voraussetzung war nicht ganz überflüssig! An Gegensätzen fehlt 's dem Alpenwanderer nicht — überraschend schnell folgen die Schattenseiten den Lichtseiten. Eben noch schwelgtest du im Vollgenuß hehrer Gebirgsnatur und im Handumkehr, kaum nahst du wieder deinesgleichen, überkommen dich Ekel und Überdruß. „ Die Welt ist vollkommen überall, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual ", brummst du in den Bart hinein. Und wie wenig Ansprüche du machst, so genügsam du sein magst, es kostet dich dennoch Überwindung, den Abend in der mit hunderterlei Gerüchen erfüllten Wirtsstube, von um den Ofen zum Trocknen aufgehängten Wollkleidern und Kinderbettzeug, regendurchweichten Schuhen, qualmenden Öllampen, ungewaschenen Hunden, jungen Katzen, die noch nicht den Weg zur Thür hinaus finden, von beschmutzten Kindern ebensoschwach entwickelten Ortssinnes, die mit ihnen auf dem schwarzen Boden sich wälzen oder unter dem Ofen Verstecken8 spielen, von feuchtem Regietabak, dem heißen Atem des Branntweintrinkers, von dampfenden „ Kneedle und Sauerkraut ", ranzigem „ Selchfleisch ", altem Käse herrührend, zu verbringen. "

Weilenmann war in erster Linie Alleingänger, und als solcher erregte er großes Aufsehen und wurde sein Name weithin bekannt. Er war wohl auch der erste Tourist, der allein so kühne Gebirgs- und Gletscherwanderungen unternommen hat. Weilenmann ging als Einzelgänger nicht leichtsinnig oder unbesonnen zu Werke; er überlegte stets ruhig und wußte, was er sich zutrauen durfte; er hatte sich eine genaue Kenntnis der Gebirgs- und Gletscherformationen erworben, so daß er darauf zählen konnte, immer wieder nach einer Seite hin einen Ausweg zu finden.

Mit vollem Rechte, sagt Purtscheller, betrachtet ihn die heutige große Gemeinde der Führerlosen als eines ihrer Vorbilder, als Herold und Bahnbrecher des Alpinismus, und fügt den Wunsch bei, daß sich nicht nur die Kühnheit und die Unternehmungslust des gefeierten Mannes, sondern auch seine Vorsicht, Erfahrung und Besonnenheit auf das heranwachsende jüngere Koryphäentum vererben möge. Weilenmann hat in seinen Schriften bei wiederholten Gelegenheiten, wenn er die Reize des Alleingehens schildert, nie ermangelt, auch auf die Schattenseiten aufmerksam zu machen. Anläßlich der Fluchthornbesteigung, welche ihm ohne seinen Pöll nicht gelungen wäre, da er körperlich so schlecht disponiert war, wie selten sonst, jammert er über die untergeordnete Rolle, die der Tourist etwa bei Besteigungen mit tüchtigen Führern spiele, und preist daran anschließend das Alleingehen. „ Wie ganz anders tritt er auf, ist er auf sich selber angewiesen! Wie da die schlummernden Kräfte erwachen, die Sinne sich spornen, jede Fiber sich regt, das Ziel zu erringen. Da heißt 's aufpassen, ein offenes Auge haben. Ob dir Sieg oder Niederlage bevorstehen, du weißt es nicht. Aber gerade diese Ungewißheit ist mit ein Hauptreiz der auf eigene Faust gewagten Partien. Manch unnützen Schritt magst du schon thun, magst, dem Ziele nahe dich wähnend, getäuscht dich finden, mußt zu neuem Anlauf deine Kräfte sammeln. Vieles jedoch siehst du, das mit dem Führer dir entgangen wäre, lernst das Terrain besser kennen. Und hast du endlich den hohen Gebirgsthron errungen, wie stolz du alsdann bist, deiner eigenen Umsicht nur, deiner Thatkraft allein den Sieg zu verdanken !" Dann fügt er aber gleich warnend bei: „ Seine ernste Schattenseite hat es freilich auch, das Alleingehen. Ein Fehltritt, ein Ausgleiten, ein Sturz in eine Gletscherspalte — und es ist um dich ge- schehen! Wohl dir, wenn du im Fallen aushauchst! Langsames Dahin-siechen auf dem Krankenlager ist auch kein schönes Ende.Vielleicht aber lebst du noch, bist möglicherweise nicht einmal stark verletzt, kannst aber nicht dich regen, nicht fortkommen, mußt langsam und elend vor Kälte oder Hunger zu Grunde gehen — kein Hahn, der nach dir krähte. "

Als ein junger Zürcher, der allein den Piz Tschierva erstiegen hatte, auf dem Rückwege, vermutlich in einer Gletscherspalte, verunglückte, mußte Weilenmann den Vorwurf hören, daß durch die Lektüre seiner Schilderungen, in denen das Alleingehen verherrlicht werde, der Verunglückte verleitet worden sei, es auch zu versuchen, und so treffe ihn ein Teil der Schuld am Tode des jungen Mannes. Mit vollem Rechte weist er diesen Vorwurf zurück: „ Ein leichtes wäre es mir, darzuthun, wie ungerecht und unbedacht eine solche Beschuldigung, selbst wenn ich nicht im gleichen Atemzug, wo ich die Vorzüge des Alleingehens betonte, auch seine grellen Schattenseiten hervorgehoben hätte. Sollte es nicht selbstverständlich scheinen, daß diese wie jede andere Fertigkeit nur durch vielfache Übung, durch vernünftiges Vorschreiten vom Kleinen zum Größeren, vom Leichteren zum Schwereren erlangt werden kann? Nur so wird der Gebirgswanderer zugleich mit der richtigen Würdigung der Gefahren auch die Kraft, Gewandtheit und Umsicht gewinnen, diese Gefahr zu bewältigen oder zu umgehen. Mangelt es ihm aber an natürlicher Begabung dazu, wird er auf diese Weise zur Einsicht dieses Mangels kommen, ohne allzugroßen Schaden genommen zu haben. Freilich giebt es auch Leute, die dies nie einsehen wollen, die durch Schaden nicht klug werden. Beharrlieh gehen sie allein, trotzdem daß sie von Mißgeschick ( vulgo Pech ) verfolgt werden, sowie sie nur die Nase ins Gebirge strecken. Selten läuft bei ihnen eine Partie ohne geschundene Glieder, zerfetzte Hose, Bivouac unter Sternenhimmel, gewöhnlich am unwirtlichsten Orte, ab. Gelingt es ihnen je zuweilen, sich ganz zu verklettern, so sind sie, dank ihrer Ungeschicklichkeit, nicht im stände, sich selbst aus der Patsche zu helfen, und dürfen von Glück sagen, wenn ihr Jammerruf etwa einen Anwohner zu ihrer Hülfe herbeilockt. Soll das Mißgeschick solcher Leute auf meinem Gewissen lasten, dann gnade mir der Himmel.Zu dem Kühnsten, was Weilenmann als Alleingänger unternommen, gehören seine Wanderungen und Erstbesteigungen im Adulagebirge. Mit Bewunderung muß man dem energischen Manne folgen, wie er mit ans Übermenschliche grenzender Anstrengung bei den mißlichsten Schneeverhältnissen den Vogelberg erklimmt, auf dem er des nassen Schnees wegen nicht einmal ausruhen konnte. „ Um mich vom Schlafe nicht übermannen zu lassen, der mir den Gipfel des Vogelberges leicht zur ewigen Ruhestätte hätte bereiten können, wußte ich nichts Besseres zu thun, als die ganze Zeit, da ich oben weilte, zu stehen. " Trotzdem versäumt er nicht, die Aussicht und nächste Umgebung sich des genauesten einzuprägen, bis schließlich die herzbeklemmende Einsamkeit, die den einzelnen Wanderer auf solchen Höhen etwa heimsucht, ihn zum Abstieg treibt. „ Die schauerliche Umgebung, der immer mehr sich verfinsternde, gewitter-drohende Himmel, die Totenstille ringsum — denn weder das Rauschen der Gletscherbäche noch der Donner der Lawinen vermag hier hinauf zu dringen — wirkten zuletzt so beängstigend, daß es mich trieb, die Tiefe zu suchen, nachdem ich eine Stunde auf dem Gipfel verbracht. Es ist « ine Beruhigung, nur wieder Kasengrün um sich zu haben, wieder das Toben der Elemente zu hören. "

Die Besteigung des Güferhornes, bei welcher er mit bedeutenden Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, verdient ebenfalls als ganz hervorragende Leistung des Alleingängers hervorgehoben zu werden. In miß-lichster Situation, in welcher ihn jenes Zittern der Kniee überrascht, das den Bergsteiger in fatalen Lagen etwa befällt, rettet er sich durch einen kühnen Sprung. Auch hier ergreift ihn das Gefühl der Einsamkeit, aber das ficht ihn nicht an, das unternommene Wagestück zu Ende zu führen. „ Wohl ergreifen geheime Schauer den Wanderer, der sich allein in Mitte solcher Gletscherwildnisse, solch tiefem Schweigen sieht. Hat er sich aber einmal so weit gewagt, ist er leidenschaftlich für die Sache eingenommen, so wird er solche Anwandlungen zu beschwichtigen wissen und wird, was es kosten möge, das Unternehmen ans Ziel zu führen suchen. "

Ähnlich ging es ihm auf dem Triftjoch, nachdem er den Führer Epiney, der ihn bis auf die Jochhöhe begleitete, entlassen hatte, und dessen letzter Jauchzer verhallt war. Als Totenstille um ihn herrschte, er sich so mutterseelenallein in der schaurigen Wildnis sah und er den Blick über die unbekannten Firnfelder wandern ließ, die ihm zu überschreiten blieben, da wurde ihm seltsam zu Mute, beklemmend ergriff 's ihn ums Herz; aber auch da spornte ihn der eigentümliche, intensive Reiz, sich so Schritt für Schritt für seine Haut wehren zu müssen, zur frischen That und entschlossener Durchführung derselben an.

Auch auf dem Col de Severeu, wo er ebenfalls den Führer entlassen hatte, um allein die Gletscherwanderung fortzusetzen, überkam ihn das Gefühl des Alleinseins und konnte er sich einer Anwandlung des Bangens nicht erwehren; zumal ihm der Unfall lebhaft vor die Augen trat, den er wenige Monate vorher, trotz Führer und Seil, beim Hinabsteigen vom Buin hatte. Der weiche Gletscherschnee flößte ihm Bangen ein. „ Sinke ich hier ein... dann Welt Ade! Niemand, der meinen Angstschrei hörte. " In solchen Fällen war dann der lange, starke Stock sein einziger Trost, den er, wenn nicht sondierend, horizontal trug, damit er im Falle eines Einsinkens quer über die Kluft zu liegen komme; oder aber es nötigten ihn, wie beim Abstieg vom Piz Tremoggia, die Weichheit des Schnees und die verdeckten Spalten, mit horizontal gehaltenem Bergstock auf dem Bauche fortzukriechen.

Wenn man die zahllosen Wanderungen, welche Weilenmann allein über Fels, Eis und Schnee unternahm, in Betracht zieht, so erscheint es fast als ein Wunder, daß er immer heil davonkam. Weilenmann selbst hat dies " in alten Tagen auch zugegeben. Mitten in seinen Wanderjahren schrieb er aber einem Freunde, dem er seine „ Streifereien " schenkte, in das Buch hinein den Kitzerschen Vers:

„ Laß, o Gott, mich oft noch preisen Dich an deinem Bergaltar! Wollest oft mit dem mich speisen, Was der Seele Labung war; Hier auch möcht'ich, kann 's gescheh'n, Einst zu dir von hinnen geh'n. "

Bei all seinen Einzeltouren ist ihm, wie gesagt, nie ein ernstlicher Unfall begegnet. Der Unfall am Buin passierte, als er in Gesellschaft war. Weilenmann schildert denselben sehr anschaulich. Auf dem Plan Rai war es, der Passeier hatte sich vorübergehend von der Gesellschaft getrennt. „ Wir anderen ", fährt Weilenmann fort, „ schlenderten unterdessen langsam davon, Pöll voran, dann Specht und ich, durch eine ziemliche Strecke Seiles, das ich zum Teil aufgewunden in der Hand trug, von meinem Vormann getrennt. Das Nachschleppen des Seiles war mir lästig, und ich hatte eben noch die leichtfertige Frage gethan: ob wir nicht alle uns losbinden wollten. Da — ich schaute statt auf den Boden in die Höhe und verfehlte die Fußstapfen der andern — fand ich mich mit Blitzesschnelle, nur fähig im Sturz einen Schrei zu lassen, in eine dunkle Kluft versenkt, darin baumelnd im Leeren zwischen Leben und Tod, soweit das Seil mich hatte fallen lassen, vielleicht etwa 20 Fuß tief. Es war ein Moment des intensivsten Schreckens für alle Beteiligten. Mancher, dem ein Gram das Leben verbittert, wähnt, sie seien nur schwach, die Bande, die ihn noch ans Leben ketten, ein Nichts könnte sie zerreißen. Tritt aber urplötzlich der Sensenmann drohend an ihn heran, dann regt sich instinktiv der Erhaltungstrieb und trotz alle und alledem wehrt er sich tapfer um seine Haut. So war es mein erstes, daß ich mit der Linken über dem Kopf des Seiles mich versicherte, mit der Rechten des schon ihr entgleitenden Alpstockes. An den spiegelglatten Eiswänden suchte ich umsonst Halt mit den Füßen, sie glitten überall ab. Ganz unfähig, selber etwas für meine Rettung zu thun, blieb ich einen Moment hängen. Specht, der Wackre, hatte indessen oben festen Stand behalten. „ Turnen Sie !" rief er hinab... was aber nicht wohl ging. Dann jedoch, als auch Pöll zu Hülfe kam, fühlte ich, wie energisch sie oben um mich sich mühten. Es ging rasch hinan, so rasch, daß ich, an Knieen und Ellbogen heftig geschürft von den nun kommenden Unebenheiten, hinaufschrie, sie sollten doch nicht so unbarmherzig ziehen! Auf einem Gesimse fand ich an einem geästelten Gebilde, durch herabtropfendes Wasser entstanden, meine Gletscherbrille hängen... es wurde heller zwischen den grünblauen Wänden... einbrechender Schnee, durch die Manöver meiner Gefährten abgelöst, überschüttete mich, so daß mir Hören und Sehen verging. Doch endlich fasse ich den Stock, den sie quer über die Spalte gelegt, ich werde gepackt von ihren Fäusten und herausgezogen an den lieben warmen Sonnenschein. "

Ein anderer Unfall, der Weilenmann im Jahre 1863 auf der Tour über den Col Durand passierte, sei hier als warnendes Beispiel für den Bergsteiger, auch scheinbar unbedeutende Verletzungen nicht en bagatelle zu behandeln, erwähnt. In Begleit des Führers Vianin von Zinal hatte Weilenmann auf der Alpe de l' Allée eine Hecke zu überschreiten, hierbei knickte er sich infolge Weichens einer als Treppenstufe dienenden Steinplatte den rechten Fuß. Der geknickte Fuß schmerzte beim Auftreten und schwoll rasch an. Statt nun nach dem IV2 Stunden entfernten Zinal zurückzukehren, was wohl ohne großen Nachteil für den Fuß hätte geschehen können, kann er es nicht über sich bringen, die so prächtige Gletscherfahrt aufzugeben, und trotz des lahmen Fußes, aber unter den unsäglichsten, sich von Stunde zu Stunde steigernden Schmerzen, macht er mit Vianin den weiten, mühsamen Gang über den gletscherbepanzerten Col Durand nach Zmutt, wo sie nachts 10 Uhr anlangen. Folgenden Tags schleppt er sich mit dem Fuße, der unterdessen zu einem formlosen Klumpen angeschwollen, mühsam nach Zermatt, wo er neun Tage den kranken Fuß vergeblich gepflegt, um dann schließlich nach Hause zu fahren und noch monatelang an demselben zu laborieren. Weilenmann hatte seine Unvorsichtigkeit bitter büßen müssen.

In einer Lebensbeschreibung Weilenmanns darf auch seiner Führer nicht vergessen werden, denn neben seinen vielen Einzeltouren hat Weilenmann sehr bedeutende Bergbesteigungen und Gletscherwanderungen mit Begleitern, Führern unternommen. Unter diesen steht im Vordergrunde der Gemsjäger und Hirte Franz Pöll, ein Paznauner, der heute noch in Mathon-Paznaunthal als siebenzigjähriger Mann lebt. Weilenmann machte die Bekanntschaft Polls, als er sich ans Fluchthorn machen wollte und ihm in Galtür Pöll, der im Laveinthal als Hirte den Sommer verbrachte, als Begleiter empfohlen wurde. Als er denselben zum erstenmal sah, ein kleiner Mann, in der Sennhütte sitzend, wie er sich vergebens abmüht, mit zerlassenem Talg seinen steinharten Schuhen etwelche Geschmeidigkeit beizubringen, den Oberleib wie in die Hüften versunken oder vom Unterleib abgeknickt — kann er es nicht glauben, daß der Gesuchte vor ihm sei. „ Wieder einmal recht angeführt ", dachte er im stillen bei sich. Doch dem war ganz und gar nicht so. Bei der Flucht-hornbesteigung bewährt sich Pöll glänzend. Weilenmann läßt ihm volle Gerechtigkeit widerfahren und zugleich verschweigt er dem Leser nicht, wie elend er selber disponiert war, wie oft er stillehalten mußte, wenn Atem und Beine den Dienst versagten; wie er kläglich dahinten blieb und Pöll, „ den leibhaftigen Teufel im Leib ", immer auf und davon war. Sehr richtig fügt er dann bei: „ Kaum ein Unternehmer mühsamer Besteigungen übrigens, der nicht schon in ähnlichem Zustande der Ermattung sich befunden. Selten aber dringt der Jammer bis zu den Ohren des Lesers, selten sieht er, wie Furcht und Zagen des kühnen Gipfel-stürmers Gesicht verzerren. Wohlweislich wird darüber geschwiegen, um sich keine Blöße zu geben, um die That um so eklatanter, den Ruhm um so größer erscheinen zu lassen, oder die dünnere Luft war schuld daran — während man doch, auf dem höheren Gipfel angekommen, es sei denn, daß es sich um bedeutendere Höhen handle, als unsere Alpen sie haben, nach einiger Rast wieder so leicht atmet, wie in der Tiefe. Wollte man aus der Schule schwatzen, es ließen sich über das Thema ergötzliche kleine Anekdoten erzählen. "

In den der Fluchthornbesteigung folgenden zehn Jahren unternahmen Weilenmann und Pöll noch manche Bergfahrt miteinander, so diejenige auf den Piz Buin und im Berninagebiet die Besteigung des Piz Roseg und der Cresta Güzza, letztere gemeinsam mit Specht aus Wien, der den Passeier Pfitscher als Führer bei sich hatte. Letztere Tour schloß sich an diejenige auf den Piz Buin an. Köstlich beschreibt Weilenmann, wie die beiden Tiroler auf der Landstraße Lavin-Zernetz-Madulein sich mit ihren schweren Schuhen als nichtsnutzige Gänger erwiesen, kaum vom Fleck kamen und schließlich als wahre Jammergestalten in Madulein, wo die beiden Touristen ihrer warteten, herangehumpelt kamen. Einen schönen Beweis seiner Tüchtigkeit hat Pöll geleistet an der Eiswand der Königspitze beim Abstieg. Außer Weilenmann war auch der Träger Romano Santo von der Partie. Während die anderen jeden Tritt erwägen, klettert der Träger zwar behende, aber leichtfertig. Gedroht hat es ihm schon einmal. Er ist ein Stück weit hinabgeglitten und hat sich eine blutende Hand geholt. „ Zuletzt, wie die Gratseite zu schroff wird, betreten wir gezwungen die Eiswand. Pöll steigt allein hinab, eine Anzahl Stufen hauend, indessen wir warten, bis er uns folgen heißt. So ging es eine Zeit lang leidlich gut, wiewohl mit beständigem Bangen. Wiederholt schon hat Pöll dem Träger den Text gelesen, daß er statt platt mit dem Steigeisen aufzutreten, damit alle Sporen packen, immer nur mit dem Rande auftritt. Eben schickt er sich wieder an, Stufen zu hauen. Dem ob ihm stehenden Träger sendet er noch einen Blick und ein energisches Attenzione! zu. Aber kaum hat er, sich sicher wähnend, begonnen, da gleitet der Träger aus, fährt ihm wie eine Fettlawine in die Beine und enthebt ihn der Wand. In einem Knäuel fahren sie rasch der Tiefe zu. Mich ergreift Entsetzen bei dem Anblick. Pöll aber sträubt sich verzweifelt gegen die Fahrt. Wie eine Katze, die überall noch sich anzuklammern weiß, wenn es ihr ans Leben geht, gelingt es ihm, mittelst der Steigeisen und am rauhen Bort eines Rinnsales, durch das ein Wässerchen hinabschießt, mit der Linken Halt zu gewinnen. Wir sind mit dem Schreck davongekommen !"

Rührend ist das letzte Zusammentreffen Weilenmanns und Polls im Jahre 1871. Weilenmann war zu Fuß das Paznaunthal hinaufgewandert und ins Jam hinein ( er hatte im Plan, über den Futschölpaß ins Unterengadin zu gelangen ). Die hintere Hütte im Jam bezog er als Nachtquartier. „ Auf der Bank vor der Hüttenthüre sitzend genoß ich des freilich nicht schönen Abends, froh aber, ein leidliches Unterkommen gefunden zu haben. An meinem Innern schwebten vorüber die Bilder und Scenen während meines früheren Aufenthaltes in der Gegend. Da plötzlich dringt aus der Tiefe ein haarsträubendes Gejauchze, wie nur ein heftiger Gemütsaffekt, überwallende Freude oder jäher Schreck es der Brust entringen kann. Hinabblickend sehe ich zwei Wanderer thalein schlendern, der eine lebhaft gestikulierend, den Hut schwenkend. Kein Zweifel, die Demonstration gilt mir. Rasch nehme ich das Fernrohr zur Hand und spähe... Pöll ist 's!... am hellen Kleid hat er mich erkannt. Ihn erkennen und den Weidhang hinabrennen nach des Stromes Rand war eins. Am jenseitigen Rand steht er. Wir suchen uns verständlich zu machen, schreien uns an, so laut wir können, doch des Stromes Tosen übertönt uns. Gegenseitiges Hutschwenken!... dann wandern jene thalein und ich steige wieder zur Hütte empor. Wir haben uns nicht wiedergesehen. "

In den Oetzthälern waren es hauptsächlich die Gebrüder Nicodem und Leander Klotz aus den Rofenhöfen bei Sent, die ihn begleiteten, während er im Wallis meist in der Thalschaft, deren einschließende Gebirgswelt er gerade besuchen wollte, gute Führer fand, so Epiney, den Wirt in Zinal, Joseph Vianin von Ayer, im Bagnesthal den überaus tüchtigen Justin Feüey von Fully und den nicht minder leistungsfähigen Zimmermann und späteren Führer Joseph Gillioz.

Weilenmann war aber nicht nur ein eigenartig kühner und gewandter Berg- und Gletscherfahrer, sondern auch ein vorzüglicher alpiner Schriftsteller.

Eine seiner ersten Publikationen war die „ Besteigung der höchsten Spitze ( Dufourspitze ) des Monte Rosa " in der „ Zeitschrift für allgemeine Erdkunde ". Für die von Professor Ulrich zu Anfang der Sechzigerjahre herausgegebenen „ Berg- und Gletscherfahrten in den Hochalpen der Schweiz " lieferte er einen wertvollen Beitrag mit seinen „ Streifereien in den Berner- und Walliseralpen ", die 1862 schon in den Verhandlungen der st. gallischen naturwissenschaftlichen Gesellschaft veröffentlicht worden waren. Nach Gründung des Alpenclubs war er während den ersten Jahren ein reger Mitarbeiter des Jahrbuches; die ersten vier Bände enthalten Abhandlungen von seiner Hand, so über die bemerkenswertesten seiner Besteigungen im Bündnerland und dem angrenzenden Tirol ( Piz Tremoggia, Piz Roseg, Crestagüzza, Piz Buin, Fluchthorn ) und einige Walliserfahrten ( Ruinette, Mont Blanc du Seïlon ). Das 1865er Jahrbuch des österreichischen Alpenvereins brachte eine Abhandlung Weilenmanns über das Gepaatschjoch. Im Jahre 1868 giebt er im Verein mit Professor Theobald ein Büchlein „ die Bäder von Bormio ": Landschaftsbilder, Bergfahrten und naturwissenschaftliche Skizzen heraus. Weilenmann schildert in demselben die Besteigungen, die er in der Umgebung von Bormio mit Pöll und Romano Santo gemacht hat, wie Monte Confinale, Cima di Piazza, Königspitze.

Durch diese Arbeiten schnell und aufs vorteilhafteste bekannt, durfte er ruhig an die Herausgabe seiner „ Gesammelten Schriften " gehen. Unter dem Titel „ Aus der Firnenwelt " erschien von denselben im Jahre 1872 der erste Band. Mit Recht konnte der damalige Redaktor des Jahrbuches des S.A.C. die Ankündigung dieses Buches mit den Worten einleiten: „ So bekannt der Name Whympers unter den englischen Clubisten, ist derjenige Weilenmanns unter den schweizerischen, und es hieße Eulen nach Athen tragen, wollten wir dem Schweizer Alpenclub, der Weilenmanns Leistungen und seine Darstellungsgabe aus den Jahrbüchern kennt, ein Werk von ihm besonders anempfehlen. "

Die „ Neue Folge " der Sammlung aus der Firnenwelt erschien 1873 und der dritte, letzte Band im Jahre 1877. Sein Herausgeber war A. E. Liebeskind in Leipzig. Weilenmanns Darstellungsgabe ist eine so originelle, seine Naturschilderung, weil auf inniger Hingabe beruhend, eine so fesselnde, daß der Leser gerne dem nie ermüdenden Wanderer folgt. Ein schwieriger Punkt alpiner Schriftstellerei ist meist die Beschreibung einer Gipfelaussicht; die Gefahr, langweilig zu werden, ist sehr nahe. Weilenmann versteht es, derselben auszuweichen. Gestatten Sie mir, Ihnen einige Beispiele Weilenmannscher Aussichtsbeschreibungen vorzuführen. Auf dem Gipfel der Cima di Gobbetta bei Bormio beschreibt er zuerst das eigentliche Ilochgebirgspanorama, das sich vor seinem Blick aufthut, und fährt dann fort: „ Ist das Auge müde des Wanderns über ödes Eis- und Felsrevier, dann mag es an den warmen Tönen des Thales sich erlaben. Es ergeht sich an den duftigen Weid-und Waldhängen des Confinale, der sich in seinen unteren Partien gewaltig breitmacht, auf dem saftiggrünen Wiesengrund von St. Caterina mit seinen gebräunten Hütten. Im Hauptthale draußen glänzt Bormio am Rand der Wiesenfläche; man sieht die Stelviostraße an den Bädern vorbeiziehen und in der Schlucht des Brauliothales verschwinden. Das alte Bad klebt wie ein Raubnest am Felshang. Darunter, am Eingang zur Valle Viola, erblickt man das Dorf Premadio, drin im Thal die Kirche und zerstreuten Häuser von Pedenosso, umgeben von Wiesengrün und dem matten Violett der Felder. Darob schlängelt sich der Pfad zum romantischen Scalepaß hinan, der von zwei alten Türmen bewacht wird. Den Blick weiter thalein hemmt der weiden- und waldreiche Kulm des St. Colombano, den eine Einsenkung vom höhern südlichen Piz St. Colombano trennt. Über der Einsenkung glänzt von ödem Weiderücken die Wallfahrtskirche St. Colombano, sonst eher einer Sennhütte ähnlich. Oben beleben einige Alphütten den sonnigen Abhang des Kulms, tiefer unten blinkt Von smaragdgrüner Terrasse die Kirche Madonna d' Oga. Aus Stoppelfeldern und demselben lebendigen Grün, das, dank der sorgfältigen Bewässerung, bis zu gewisser Höhe rings die Thalwände schmückt, " schaut Dorf Oga zu uns herauf. " Tritt nicht das liebliche Gemälde, welches Weilenmann hier entwirft, dem Leser gleichsam greifbar vor die Augen?

In ebenso anziehender Weise schildert er die Aussicht von der Königspitze. Er giebt dieser den Vorzug vor derjenigen des Ortler, hauptsächlich wegen des majestätischen Gebildes des Ortler selbst, für welches das Ortlerpanorama kein Äquivalent bietet. „ Er ( der Ortler ) ist der fesselnde Gegenstand der ganzen Kundschau. Das weltferne Suldenthal, mit seinen eisstarrenden Gründen und tiefverlornen Matten, die zuweilen noch eine Hütte belebt, ist mit ihm gleichsam verwachsen. Und was darüber hin erscheint, dort an grüner Bergwand Dorf Stilfs, das duftige Wiesengelände des Obern Vintschgau, von Ortschaften erglänzend, weiter oben die spiegelnden Etschseen, macht vollends diesen Teil der Rundschau zum anziehendsten, auf dem unwillkürlich das Auge immer wieder ruhen bleibt. Nur schüchtern blickt ringsum sonst das bewohnte Thal herauf. Tief in Dunst begraben, von duftigen Höhen umragt, öffnet sich im Nordosten das Becken von Meran. Zwischen Mont Zebru und Ortler dämmert die Wildnis, in der das Ofen-Wirtshaus liegt. Westwärts über den Gipfel schreitend, erspäht man sogar einen Teil des Städtchens Bormio. Der Blick dringt hinein nach der Valle Viola, wo am Fuße des Foscagnopasses Dorf Semogo schimmert. Es erschließt sich die einsame Valle Gavia, am Eingang beherrscht vom zierlich geformten Tresero und der Sobretta. Ringsum sonst, soweit das Auge reicht, dicht hintereinander-gereihte Gebirgszüge oder wirre Knäuel gewaltig dominierender Gruppen, wie das Ötzthalergebirge, der Berninastock. Bewundernd schweift das Auge über die herrliche Gipfelkette, die vom Monte Cevedale beherrscht und von ihm sich abzweigend die Thäler von Martell und St. Caterina südwärts umschließt. Zumal der Abzweiger vom Cevedale bis Tresero bietet einen Anblick von blendender Pracht. Dahinter ragten eben noch die Presanella und Spitzen der Adamellogruppe — jetzt haben sich schwarze Wolkenmassen über sie gelagert, auf denen gespenstig grell die Schneehäupter leuchten. Die vielgipflige Gruppe zwischen den Martell-, Sulden- und Laaserthälern, der Cedehgletscher, großartig zu Füßen sich weitend, der Confinalezug, schreckhaft zerrissen vor uns absteigend, dann zahmer werdend, das tiefgespaltene Zebruthal, der starrgewandete Mont Zebru, der Cristallokamm — sie alle thun das Ihre, die Umschau zu einer der wechselreichsten, tiefergreifendsten zu machen. "

Weilenmann verstand es nicht nur, die Gebirge und Gipfelaussichten lebendig zu beschreiben, sondern er wußte auch, sie mit dem Stifte naturgetreu zu skizzieren. Einige dieser Skizzen sind noch vorhanden. Die Sicherheit, mit welcher er durch wenige Linien die Konfiguration eines Berges oder gar das Zackengewirre einer Bergaussicht wiederzugeben versteht, ist überraschend. So hat er im Jahre 1857 auf dem Gipfel des Piz Languard in wenigen Stunden das Panorama dieses herrlichen Aussichtspunktes gezeichnet. Im Jahre 1865 hat er dasselbe einmal in einer Sitzung unserer Sektion vorgewiesen; seither ruhte es unter alten Papieren im Kasten; jetzt haben wir es ans Tageslicht gezogen und die Redaktion des Jahrbuches war so freundlich, dasselbe als Beilage zum Jahrbuch zu veröffentlichen.

Was Weilenmann im fernem über die Eindrücke schreibt, die er auf Hochgipfeln wie Matterhorn, Weißhorn, Bietschhorn erhalten hat, gehört zu dem Lesenswertesten alpiner Litteratur.

Neben den herrlichen, wahrheitsgetreuen Naturschilderungen und der packenden Darstellung seines Wanderns über Eis und Schnee,, des Erkennens, Prüfens und Überwindens der Schwierigkeiten, die dem Bergsteiger stetsfort begegnen, ist er auch ein feiner Beobachter der Menschen, die er anmutig, lebenswahr und gerne mit etwas Spott vermischt schildert; Kapitel wie „ Stillleben in Galtür ", „ Auf Beialp eingeschneit ", „ Nachtlager bei Bergamasker Hirten ", „ Wie anno 1871 im Bergell Gastfreundschaft geübt wird ", „ Im Stellwagen durchs Stanzerthal " legen Zeugnis hierfür ab.

So wechseln in seinen Schriften in bunter, angenehmer Abwechslung die Bilder aus Natur- und Menschenleben.

Weilenmann hat nur den kleinem Teil seiner Bergfahrten beschrieben; er machte es sich zum Grundsatze, nur mit Beschreibungen an die Öffentlichkeit zu treten, von denen er annehmen durfte, daß sie etwas Neues und Ungewöhnliches bieten. Als im Winter 1869 im Alpenclub St. Gallen die übliche Anfrage des Präsidiums an die Mitglieder nach den im vergangenen Sommer gemachten Touren und allfälligen Vorträgen über dieselben erging, teilte Weilenmann mit, daß er den Ortler bestiegen habe, aber es sei diese Besteigung für ihn kein zu besonderer Ausarbeitung geeigneter Stoff, da ihm nichts Außerordentliches dabei vorgekommen sei.

An der Gründung des Schweizer Alpenclubs im Jahre 1863 nahm er hervorragenden Anteil. Mit Theodor Simler, der im Herbst 1862 durch sein „ Kreisschreiben an die Bergsteiger und Alpenfreunde der Schweiz " den Anstoß zur Gründung des Clubs gab, war er befreundet, und schon im Dezember hatte Weilenmann in St. Gallen 23 Unterschriften für Gründung eines „ schweizerischen Alpenvereins " zusammengebracht. Als am 3. Juni 1863 sich die Sektion St. Gallen S.A.C. konstituierte, wurde Weilenmann Aktuar der Sektion; lange scheint ihm diese Würde nicht behagt zu haben; nur zwei Protokolle sind von seiner Hand geschrieben und im November gleichen Jahres wurde er auf sein Ansuchen hin von dieser Charge entbunden.

In ihren ersten Jahren beschäftigte sich unsere Sektion lebhaft mit der Bergschuhfrage. Es kam sogar vor, daß die Sektion Muster-Berg-schuhe machen ließ, die dann Weilenmann auf seinen Bergtouren trug'und hernach im Clubkreise zu begutachten hatte. Trotzdem ist diese Schuhfrage heute noch eine offene.

Von 1863 bis 1876 hält Weilenmann Vorträge über seine Bergfahrten im Clubkreise; es sind dieselben, die successive später im Druck erschienen sind.

Während einer Reihe von Jahren war er neben Friedrich von Tschudi als Präsidenten Vizepräsident der Sektion St. Gallen, und als im Jahre 1866 St. Gallen die Centralleitung des Clubs übernommen hatte, wieder neben Tschudi auch Centralvizepräsident. Im Jahre 1886 wurde er zum Ehrenmitglied des S.A.C. ernannt.

Jahrelang, auf manch schöner Bergwanderung gefestigte Freundschaft verband ihn mit den Koryphäen des Alpenclubs, so vor allem mit G. Studer und Professor Ulrich. Keiner der bedeutenderen jüngeren Bergsteiger, der St. Gallen berührte, wie Purtscheller, Hans Schmidt, die Sigmondy, unterließen, den Bergveteranen aufzusuchen und ihm ihre Ehrfurcht zu bezeigen.

Aus seinem sonstigen äußeren Leben ist nicht mehr viel zu berichten. Weilenmann war ein guter Sänger; im „ Frohsinn " gehörte er lange Zeit einem Quartett an, dessen Weisen die st. gallischen Musikfreunde gerne lauschten. Im Freundeskreise gab er oft sein Lied zum besten. Während Jahren war er, gewöhnlich im Herbst oder zur Weihnachtszeit, der gern gesehene Gast des nun verstorbenen Fürsten Karl von Hohenzollern-Sigmaringen; entweder besuchte er ihn im Residenzschlosse in Sigmaringen oder in der „ Weinburg " bei Thal, Kanton St. Gallen. Der Fürst hatte die Bekanntschaft Weilenmanns durch dessen Schriften gemacht und wünschte dann den Gletschermann persönlich kennen zu lernen. Sie verkehrten wie zwei Freunde miteinander. Aber nicht nur der Fürst, auch die Hofgesellschaft lauschte gerne, wenn Weilenmann von seinen Fahrten über Eis und Schnee erzählte. Durch Vermittlung des Hohenzollernfürsten wurde Weilenmann auch mit dem preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm, dem späteren Kaiser Friedrich, bekannt.

In den späteren Jahren, da infolge eines Herzleidens die anstrengenderen Touren ihm versagt waren, machte er jeweilen im Sommer einen längeren Bergaufenthalt, so in Sels ob Quinten am Walensee, in Partnun ob St. Antönien und zuletzt ( bis zum Jahre 1892 ) auf dem Gupf bei Kehetobel.

Seit drei bis vier Jahren war er ganz auf die nächste Umgebung angewiesen. In der ebenfalls hochbetagten Witwe Engler, bei der er seit Anfang der achtziger Jahre sein Logis hatte, wurde ihm für seinen Lebensabend eine treue Pflegerin, die ihren oft nicht leichten Samariterdienst für Weilenmann, den sie sich freiwillig auferlegte, mit rührender Geduld besorgte. Ein andauernder Zustand der Schwäche und Hülflosigkeit war für Weilenmann eine schwere Geduldsprüfung. Es schien der Zustand noch Monate und Jahre andauern zu können, als unerwartet eine Änderung eintrat. Im Mai letzten Jahres war seine Schwester, die letzte nähere Anverwandte, gestorben; nun kam die Reihe auch an ihn. Nachdem er am 7. Juni noch außer Bett sich hatte aufhalten können, wurde er Montag den 8. Juni 1896 in seinem 77. Altersjahr durch einen sanften Tod aus dem Leben abberufen. Sein nicht unbedeutendes Vermögen vermachte er größtenteils gemeinnützigen Zwecken.

Werte Clubgenossen! Neben Friedrich von Tschudi ist und bleibt J. J. Weilenmann der Stolz unserer Sektion und des gesamten Schweizer Alpenclubs. Seinen kühnen Thaten, mit denen er in einer Zeit, in welcher sich dem Bergsteiger fast unüberwindliche Hindernisse in den Weg stellten, die Geheimnisse der Alpenwelt erforschte und aufdeckte, werden wir unsere Bewunderung und Anerkennung nie versagen, und seine anmutigen und lebenswarmen Schilderungen des Hochgebirges werden dem Clubisten eine unversiegbare Quelle sein, aus welcher die Begeisterung und Liebe zur hehren Alpenwelt stets neue Nahrung schöpft.

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