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Nationaler Gesang bei den Alpenbewohnern

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bei den

Alpenbewolmern.

Von H. Sczadrowsky.

Das Land voll zauberhafter Pracht und märchenhaftem Schimmer durch die eigensten Naturbildungen und machtvollsten Erscheinungen in der Natur, die Schweiz, hat auch einen eigenthümlichen nationalen Gesang, der sich formell und in seiner tonlichen Aeusserung originell charakterisirt gegenüber den Gesängen anderer Bergvölker. Zieht sich auch durch die Gesänge der Bewohner des europäischen Centralalpengebietes ein allgemeiner Typus, so sind die einzelnen doch sehr verschieden unter einander, weisen die durch Sprache und Sprachdialekte geschiedenen Völker auch wieder viele eigenthümliche Abweichungen in ihren Gesängen und ihrer Gesangmanier auf und findet der aufmerksame Beobachter gewisse, wenn auch kleine Unterscheidungsmerkmale an der Melodieform, in der Rhythmik oder in hervorstechenden Varianten.

Wie in einem einzelnen Sprachstamm die Dialekte einen Unterschied bilden und eine scharf gezogene Grenze aufstellen, so auch gewisse Abweichungen in der Ge-sangweise bei einem und demselben Volke, wenn sich auch die Prägnanz der Sprachdialekte nicht in der gleichen scharf abgegrenzten Weise im Gesang findet und allgemein nicht so auffallend hervortritt, wie dort. Nur dürfen diese Abweichungen nicht Zufälligkeiten des Augenblicks sein, sie müssen als gebräuchlich im Volke gelten, müssen einen unverrückbaren Bestandtheil der Art zu singen ausmachen. Diess sind grösstenteils Figuren, gewisse Verzierungen des Gesanges, hervorgegangen aus kleinen Aenderungen der ursprünglichen Melodie, oder aus der Singseligkeit eines ganzen Volkes. Charakteristisch ist, dass z.B. die südlichen Völker fast immer ihren Gesang verzieren, während die nordischen mehr den einfachen Gang der Melodie lieben. Die lebhaftere Phantasie der Ersteren findet eine Bedingung in diesen Verzierungen, die fälschlich und mit grossem Unrecht oft mit dem Worte Schnörkel bezeichnet werden; mit Unrecht, weil man unter Schnörkel in der Regel eine den Gesang verunstaltende Figur annimmt, diese Verzierungen aber besonders bei einem sangeslustigen Volk aus dem Gefühl und dem Streben nach Mannigfaltigkeit hervorgehen und die Schönheit des Gesanges um so mehr erhöhen, je nachdem sie das Gepräge des Geschmackes tragen. Es muss allerdings streng geschieden werden zwischen jenen Verzierungen, die durch eine allgemeine Anwendung mit der Bevölkerung Eins geworden sind, also einen nationalen Charakter haben,

und zwischen den Zufälligkeiten, den Ergüssen und Erfindungen Einzelner. Im ersteren Falle sind sie ein wesentlicher Bestandtheil der Ausdrucks weise eines Volkes und können auch, ohne dem Volke seine Eigenthümlichkeit zu rauben, nicht als Schnörkel im schlimmen Sinne aufgefasst und angenommen werden. Letzteres dagegen vermag, als vereinzelt, keinen Anspruch auf den Begriff und Werth national zu machen.

Speciell die Schweiz betreffend sind deren drei Sprachstämme zu berücksichtigen. Jede Völkerschaft der drei Sprachen nahm auch die nationale Eigenthümlichkeit des Gesanges, wie der Musik überhaupt, an. Das südlich gelegene Bergvolk, die italienisch Sprechenden, trägt den unverkennbaren Typus der italienischen Melodien und ihrer Vortragsweise; jenes der französischen Sprache neigt sich dem französischen Chanson zu. Alle Bergvölker des deutschen Sprachstammes dagegen haben ihren eigenthümlichen Gesang, der demnach, weil diese Bevölkerung die schweizerische Mehrheit bildet, mit Hecht ein schweizerisch-nationaler Gesang genannt werden kann und muss.

Woher stammen diese Volksweisen?

Wir beschränken uns auf das neuere, wirklich lebende Volkslied, und lediglich nur auf seine musikalische Gestaltung.

Es ist anzunehmen, dass dasselbe den gleichen Entwicklungsgang durchlief, wie das deutsche Volkslied bis zur Zeit, wo Musik und Gesang überhaupt allgemeiner wurden im Volke.

Das sangeslustige Schweizervolk bemächtigte sich bekanntlich sehr früh und eifrig der Pflege der Musik, ganz besonders des Gesanges. Diese bald sehr allgemein gewordene Pflege, welche durch das erweckte Interesse nicht ohne Einfluss blieb auf eine gewisse musikalische Bildung im Volke — und habe sich dieser Einfluss auch nur auf eine grössere Empfänglichkeit für Musik beschränkt, ohne weitere ästhetische und technische Ansprüche zu erheben — führte allmälig zu einer höheren Entwicklungsstufe, denn früher, und zu einer gewissen Selbstständigkeit, welche auch die Geschicklichkeit beförderte, Lieder zu dichten und ohne weitere Reflexion auch die Melodie dazu.

Die Form war zunächst das Resultat dieses Einflusses. Die gesanglichen Uebungen und die älteren Muster führten endlich zu dem Höhepunkte, dass einzelne Begabte aus dem Volke eine entsprechende Technik zu beherrschen wussten, zu einem gegebenen oder auch selbstgeschaffenen Text eine den Gesetzen des Rhythmus und Melos genugende Weise zu erfinden, die durchaus den Charakter eines ächten Volksliedes trug und „ kraft ihres Ursprunges aus dem Volke und der erfüllten Beding- Hisse, auch im Volke eine bleibende Heimath fand.

Ein solches Weiterbilden nach Mustern, an welchen wir hauptsächlich auch einen Antheil der Kunstmusik in der Neugestaltung des Volksliede zuschreiben in Bezug auf die Technik, auf das formelle Bilden, ganz besonders aber an den eigenen Erzeugnissen der Volksmuse, führte endlich zu jener Freiheit im Schaffen und der Beherrschung der Form, dass der herrschende Volksgeist und die Gefühlsweise im Volke ihr gut Theil mit- spannen und die Lieder als ein vollendetes Ganze jene Originalität erreichten^ die wir als nat oval kennen und bezeichnen. Hiemit treten wir mitten unter das Volk und in sein eigenstes gesellschaftliches Leben hinein und haben Gelegenheit, eine sonst tief verborgene Seite, seine Gefühls- und Empfindungswelt, in der natürlich- sten und ungeschminktesten Weise kennen zu lernen, das Volk in jenen Stunden zu beobachten, wo es sich mit beschwingter Phantasie von der Macht und dem Eindruck des Gesanges beherrschen lässt, wo Musik die bewegte Innerlichkeit allen beengenden äusseren Verhältnissen überhebt, mit einem Wort:

wo das Volk nicht mehr raisonnirt, nur fühlt.

Der beherrschende Eindruck der Musik überhebt die Innerlichkeit allen beengenden äusseren Verhältnissen, d.h. die Musik, der Gesang lässt die Prosa des Alltags- oder Berufslebens aufgehen in eine mehr ideale Welt, sucht in wohligen Stimmungen die Wirklichkeit, wenn sie eine trübe ist, .zu mildern, zu vergessen; wenn sie eine glückliche ist, noch mehr zu beseelen; das Gemüth wird aus seinem Schlummer geweckt, die Reflexion tritt zurück, die Träume einer vergangenen Zeit vermengen sich mit den Bildern einer selig geschauten Zukunft; und da es nicht den Einzelnen aus dem Volke betrifft, sondern die Massen im Volke, so schafft der gesellschaftliche und gegenseitige Austausch dieser kindlich glücklichen Stimmungen, der allgemeine Genuss der Freude aus dem einheitlichen Quell der Musik, des Gesanges, die Wirklichkeit um zu Stunden, wie sie so ungetrübt nur die naive Kind-lichkeit bieten konnte.

Es ist wichtig, zu wissen, wie ein Volk singt; denn hierin seigt sich der Gemüthszustand und die seelische Entwicklung eines Volkes, äussert sich der Sinn für das Schöne, lässt sich in der Wahl der Texte ein'Blick werfen auf die sittliche Entwicklung, um zu wissen, ob « in Volk noch auf einem roheren Standpunkte steht, indem es Gefallen findet an Liedern von rohem, obscönem Inhalt und diese mit Liebhaberei pflegt,

oder ob es auch hier mit dem Sinn für Schönheit und dem Gefühl für ein Edleres, Höheres frei geworden und sich bis zu einem seinen sonstigen Bildungsverhält-nissen entsprechenden Punkte erhoben.

In dieser Beziehung steht es bei der schweizerischen Bevölkerung gut. Die wenigen Ueberbleibsel von s. g. liederlichen Ueberläufern wurden auf dem Wege der langjährigen Tradition bedeutend geläutert und sind im Verschwinden \ ordinäre Gassenhauer zeigen sich nur sehr vereinzelt und werden kaum mehr eine grössere Verbreitung finden. Es regt sich im Volksgesang ein guter, theilweise sogar musterhafter Geist, und dieser findet einen Nachhall bei den Bergvölkern, bei welchen sich manches schöne Volkslied der Ebene, aus den Vereinen der Städte und grösseren Orte, unter gewissen Modifikationen einbürgert.

Das Unmittelbare der poetischen Grundlage aus dem Volke selbst und die Natürlichkeit des Ausdruckes im Texte zieht auch den Gefühlen und Empfindungen bei der Erfindung der Melodie seine Grenze und weist sie in einen Kreis, der nicht über den ursprünglichen Einfluss jener hinausragt. Innerhalb dieses Kreises, und vielleicht auch gerade desshalb, findet sich eine vortreffliche Uebereinstimmung des Textinhaltes mit der Ausdrucksweise der Melodie, und ebenso bezeichnend wie bewunderungswürdig und staunenswerth ist es, in welch kleinem Tonumfang diese mannigfaltig gestalteten Lieder sich bewegen, mit wie wenigen Tönen die allerverschiedensten Empfindungen, vom tiefen Leid bis zur höchsten Freude, versinnlicht werden.

Neben dieser Mannigfaltigkeit nach Innen, den Stimmungen, behält die nationale Ausdrucksweise, die Charakteristik der Form, ihr Recht. Ein Volk kann Massen von Liedern schaffen oder bieten, immer wird sich in denselben nur die dem Volke eigenste — nationale — Weise, zu empfinden und die.

Empfindungen auszudrücken, kundgeben, d.h. es hat an seinen dichterisch-musikalischen Ergüssen so lange herumgemodelt, bis sie jene Gestalt erreichten, die nach Inhalt und Form mit der Gefühlswelt zusammenfloss. Hieraus erklärt sich der Unterschied, den wir kennen und machen z.B. zwischen einem Schweizerliede und einem Tyroler-liede, oder — um die Vergleiche zu erweitern — zwischen diesen und einem schwäbischen, fränkischen, nordischen, slavischen, provencali^ehen etc. Volksliede, erklärt .sich auch die Bestimmtheit in der Bezeichnung einer Melodie als ungarischen, böhmischen, französischen oder italienischen Ursprunges. Jedes ist aus dem Volke, jedes trägt den Stempel der Einfachheit und Natürlichkeit, jedes bewegt sich speciell gesanglich in einem kleinen Tonumfange, wodurch man auf eine Erschöpfung in der originellen Erfindung, auf eine allzu grosse Aehnlichkeit unter einander, wenn nicht gar auf eine Monotonie, schliessen könnte -, und wie verschieden sind sie doch, wie bezeichnend und ausdrucksvoll für die Seelenstimmungen, wie charakteristisch in der Form!

So finden wir auch in der schweizerischen Alpen-weit einen nationalen Gesang, der sich charakteristisch unterscheidet von den Gesängen anderer Völker und sich auch nicht mit jenen verwechseln lässt. Selbst die ihm zunächst stehende Tyrolerweise zeigt sich von ihm so verschieden, dass nur die Oberflächlichkeit keinen Unterschied zu machen weiss und häutig beide mit einander verwechselt. Eine weiter unten folgende kurze Charakterisirung wird hiezu die Begründung geben.

Der schweizerisch - nationale Gesang besteht aus zwei Theilen, dem eigentlichen Liede und dem Jodler^ dem eigenthümlichsten Kinde der Berge.

Bemerkenswerth ist vor Allem der Inhalt der Lieder, die Gefühlswelt, aus welcher derselbe genommen. Wir können uns über diesen wichtigen Punkt nur kurz und im Allgemeinen ausdrücken. Es ist der Bergvölker Umgebung, ihre geliebte tägliche Beschäftigung, denen sie vorzugsweise ihre Poesie widmen. Während z.B. in den Volksliedern des deutschen Flachlandes sich ein höher gedachter, über die Wirklichkeit hinausgehender, glücklicher gefühlter Zustand ausspricht, die Phantasie sich in die Märchenwelt verliert und Bilder zaubert von Königen und Rittern in Gold und Edelstein, von schimmernden Burgen, paradiesischen Ländern und engelglei-chen Menschen. wissen die Bergvölker ihre Lust und Liebe zu ihren Bergen, ihren Alpen, Viehheerden und selbst an das Schrecklich-grossartige der hohen Gebirgswelt nicht genugsam auszusprechen, und immer neu und unermüdet fliessen die Lieder von ihren Lippen, fühlen sie sich glücklich, den wirklichen Zustand, nicht einen geträumten, zu preisen.

„ Lustig use, usem Stall Mit de liebe Chüehne, Üsi schöni Zyt ist elio, Lufc und Freiheit warte scho Dinne-n-uf de Flüehne. "

Bezeichnend, nicht sowohl auf den Gesang, als überhaupt auf das Leben im Hochgebirge sich bezie-hend, sagt Prof. Theobald in seinen Naturbildern aus den rhätischen Alpen: Das ist die Luft der Freiheit,... das Gefühl der eigenen Kraft und das stolze Bewusstsein, mit dem man hinaußlickt zu den ewigen Hohen und hinab in die ewige Tiefe..

Nach den Gebirgsgegenden unterscheidet man in der Schweiz hauptsächlich dreierlei Weisen. Es sind dies aber nicht sowohl drei charakteristisch verschiedene Gesangesweisen, als vielmehr gewisse Gesangsmanieren, die unter sich eine dem aufmerksamen Hörer allerdings auffallende Verschiedenheit haben. Diese selber kennzeichnet sich in kleinen Figuren am Jodler, und im Liede in dem mehr oder minder lebhafteren Vortrage. Es lassen sich drei Grundtypen aufstellen: der Appen-zelleç Gesang, der Berner Oberländer und der Waadtländer Gesang. In ihren Kreisen ( Kantonen ) zunächst am meisten und reinsten ausgebildet, schliesst sich denselben ihre nächste Umgebung mit wenig Abweichungen an. So findet sich die Appenzeller Jodlerweise ( weniger das Lied und die Art zu singen ) im Toggenburg, dem St. Galler Oberlande überhaupt, und imGlarner-lande. Das Charakteristische im Gesänge dieser Bergvölker ist im Allgemeinen Mehrstimmigkeit, in der Regel vierstimmig, eine lebhafte Bewegung, accentuirte, mitunter scharf hervortretende Deklamation, eine hohe Tonlage und ein in Figuren und Stimmumfang ungemein reicher Jodler mit weitgelegenen Intervallen.

Die Gesangsweise des Berner Oberlandes erstreckt sich am weitesten, bis herauf über die Gebirgsgegenden der Urschweiz, Unterwalden, Uri, Luzern und Schwyz. Im Gebiete des deutschen Theils vom Kanton Bern macht man zwar einen Unterschied z.B. zwischen dem Oberhasli und dem Emmenthaler Chüjerlied, der jedoch nur nominell ist, weil vielleicht die Texte in jenen Thälern entstanden sind oder sich von dort aus über andere Gebirgsgegenden verbreitet haben. Aehnliches müsste auch, wenn wir überhaupt auf Einzelheiten eingehen könnten, z.B. zwischen Toggenburg und Appenzell- [nnerrhoden hergestellt werden.

Musikalisch herrscht hier kein wesentlicher Unterschied. Das Charakteristische des Berner Oberländer Gesanges ist ebenfalls Mehrstimmigkeit, vier- und fünfstimmig, jedoch nicht so scharf accentuirt in der Deklamation und Vortragsweise, und auch der Jodler steht in der Lebhaftigkeit dem Appenzeller nach, zeigt aber ebenfalls weitgelegene Intervalle. Im Gesammteindruck erscheinen die Gesänge des Berner Oberlandes gegenüber denen des Appenzells gemässigter.

Eine ganz eigene Stellung nimmt das Waadtland ein. Der Sprache nach französisch, ist auch das Volkslied in seiner Gestaltung und Vortragsweise vom französischen Chanson beeinflusst, es zeigt die leichte, fliessende Deklamation, eine mehr getragene Vortragsweise der Melodie, diese selber ganz nach dem bekannten graciösen französischen Muster, und singt vorherrschend nur zweistimmig. Nur der Jodler ist, wenn wir so sagen können, durchaus schweizerisch, ähnelt sehr dem Appenzeller, verliert aber gesungen von seiner Schönheit durch eine dem französischen Gesang überhaupt eigene näselnde Vortragsmanier. Der bekannte Ranz-des-Vaches ist in seinem ersten Theile eigentlich nur ein parlando ( Pàtois ), keine zusammenhängende Melodie, verdient desshalb auch nicht den Namen eines Yolkesliedes. Einen ähnlichen Chüjerruf besitzen auch die Appenzeller, in der Aehnlichkeit wirklich so überraschend, dass man geneigt wird, eine Uebertragung in die andere Sprache anzunehmen. Es fragt sich nur, welcher von den beiden älter ist.

Die Mehrstimmigkeit der Gesänge ist das Erzeugniss der Kunstmusik. Wie ein derartiger, nur durch die Tonsetzkunst entstandener Gesang in die Berge gekom-

Schweizer Alpenclub.33

men, lässt sich leicht erklären: die Volksweise wurde vier- oder fiinfstimmig gesetzt, Einzelnen aus dem Volke eingelernt und wurde dann durch diese dem Bergvolk mitgetheilt. Bei der besondern Vorliebe für Gesang ist 's ferner erklärlich, dass sich der vierstimmige oder überhaupt mehrstimmige Gesang durch die Tradition so-rein erhalten konnte. Wir haben im Berner Oberlande und ganz besonders in Appenzell vielmal mehrstimmige Lieder mit Jodlern gehört, deren Akkorde und einzelne Stimmen auch nicht durch Einen Misston gestört wurden. Interessant war uns im Appenzellerlande ( Innerrhoden ) auch ein dreistimmiges Lied mit Jodler, von weiblichen Stimmen mit einer überraschenden Sicherheit gesungen. Die Abstammung der Composition konnten wir leider nicht ermitteln. Alles hierauf Bezügliche lief auf die Praxis des Volksspruches hinaus: Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen. Die Töchter hatten das Lied von ihren Müttern gelernt.

Mochten die Uranfänge des schweizerischen Volksliedes mit dem deutschen bis zur Identität zusammengefallen sein, so hat die Zeit das jetzige schweizerische Volkslied so bedeutend umgestaltet, dass nach dieser Seite hin keine Vergleiche mehr gezogen werden können. Nur auf einen Umstand wollen wir, abgesehen von der ganz andern Melodiebildung, aufmerksam machen. Während nämlich beim deutschen Volksliede, auch bei aller dramatischen Lebhaftigkeit des textlichen Inhaltes, der Vortrag der Gesangsweise immer in gleich breiter und epischer Ruhe und Gleichförmigkeit bleibt, weisen die schweizerischen Berggesänge eine lebhafte und wechselnde Bewegung auf, die zunächst verschiedene Taktarten wählt und diesen auch wieder verschiedene angsamere und schnellere Zeitmasse ( Tempi ) gibt- z.B. zeigt der Anfang eine Jodlereinleitung im ziemlich lebhaften, accentuirten Vortrag, 3/4- Takt.

Dieser folgt in der gleichen Taktgattung, jedoch im Tempo gemässigter, die erste Hälfte der Liedstrophe des eigentlichen Volksliedes, dessen Schluss ein kurzer Jodler bildet. Die zweite Strophenhälfte unterliegt einem sehr lebhaften Vortrage im 2/4- Takte, mit einem in der gleichen Taktart, jedoch im Zeitmasse gesteigerten Sehluss-jodler. Dies ist die ausgedehnteste Form, die uns bekannt wurde, keineswegs aber das stereotype Muster. Wir wollten damit nur die äusserste Grenze berühren, bis wohin das Volk in der Gestaltung seiner Gesänge die musikalischen Mittel benützt.

Es dürfte hier, bevor wir zum Jodler übergehen, der Ort sein, einen flüchtigen Blick auf die Tyroler Weisen zu werfen und einen kurzgefassten Vergleich zu bilden.

In Tyrol und dem ihm gesanglich verwandten Steyermark findet sich bekanntlich auch eine bewegte Vortragsweise und ebenfalls eine Mannigfaltigkeit des Zeitmasses. Sie weisen drei Arten auf: den langsamen Ländler, den bewegten Ländler und das Schnadahüpferl, das ihr be-wegtestes Zeitmass zeigt. Diese Ländlerform ist charakteristisch für das Tyroler Volk, das mehr getragene, gemüthlichere Weisen liebt. Findet sich die Ländlerform auch in den schweizerischen Bergen, so liegt in dem ganz anderen, viel lebhafteren Vortrag ein so grosser Unterschied, dass hier wirklich nur die äussere Gestaltung in Betracht kommt. Der Ausdruck und die Art zu singen ist bei beiden Völkern ganz verschieden. Das schweizerische Gebirgsvolk zieht energischere Weisen vor, im Rhythmus accentuirter, entschiedener, im Melos herber, urwüchsiger, kräftiger, jugendfrischer. Auch die Tonlage charakterisirt beide Bergvölker in ihren Gesängen.

Zu der weichen, gefühlvollen Ausdrucksweise eignet sich mehr die Mittellage der Stimmen, wie denn auch die Tyroler diese vorzugsweise wählen. Dem fröhlichen Jauchzen der Schweizer hann nur eine hohe und höchst zu erreichende Stimmlage genügen, wesshalb auch hier die Gesänge von Sängern und Sängerinnen möglichst hoch intonirt werden. Uebersteigt auch ihre Intonation die natürliche Grenze der Möglichkeit zu singen und überschreitet sie dadurch mitunter das Mass der Schönheit, so findet dieser Uebelstand seine Entschuldigung in der kaum zu bewältigenden Lust zu singen, in einem Ueberaiuthe der eigenen Kraft und einer durchaus ungebrochenen und ungebeugten Empfindung. So haben wir es gefunden im Appenzellerlande, Toggenburg, im Glarnerlande und in Schwyz, wo nach unsern Beobachtungen und Vergleichungen grösstentheils hohe Tonlagen beim Singen gewählt werden. Gemässig-ter hierin erschienen uns die Bewohner im Gebiete der Centralalpen.

Gelegentlich muss auch hier bemerkt werden, dass die Tonarten in ihren Vorzeiehuungen in den durch den Druck veröffentlichten Liedern keineswegs massgebend sind für die Bergvölker. Diese singen nicht nach einer Stimmgabel, und ihr Normal-A ist mitunter erstaunlich hoch. Ja in fröhlicher Gesellschaft und bei gutem Zuge überbieten sieh die Sänger gegenseitig durch hohe In-tonationen und setzen keinen geringen Stolz darein, recht hoch hinauf zu singen. Es verhält sich dann beim Singen wie beim Bergsteigen: wer nicht hinauf kommt, bleibt unten.

Herrscht in der eigentlichen Liedform und der Ausdrucksweise unter den Bergvölkern des europäischen Centralalpengebietes eine Verschiedenheit, so zeigt sich dagegen im Jodler eine grosse Aehnlichkeit, um nieh gleich zu sagen eine vollständige Gleichförmigkeit;

denn die einzelnen Abweichungen, die als eine Verschiedenheit gelten könnten, sind es der Wesenheit nach nur scheinbar, sind mehr Varianten, wenn auch von mehr oder minder hervorstechender Art, gewissermassen Ergüsse, Erfindungen des Augenblicks. Im Grunde genommen stammen die Jodler alle aus derselben Quelle, sie sind Phantasieerzeugnisse und haben, wenn für sie ein Gesetz will herausgefunden werden, nur das Eine, dass sie sich überhaupt an kein Gesetz der Melodie-bildung binden grosse Intervallensprünge lieben und sich in einem grossen Stimmenumfange bewegen, d.h. in einer Ausdehnung, wie sie einer gewöhnlichen Menschenstimme, die nicht zu dem aussergewöhnlichen Mittel des Ueberschlagens des Tones, Fistuliren, greift, nicht möglich wird zu erreichen. Sie lassen sich, in ihrer rhythmischen Gestalt genommen, nicht so ganz genau in der Notenschrift festhalten oder wiedergeben, wie sie gesungen werden. Unsere Notenschrift ist zu arm, ihre gegenwärtigen Zeichen sind nicht vollständig ausreichend, um alle rhythmischen Aenderungen, die reiche, grosse Mannigfaltigkeit des Vortrages genau so zu fixiren, wie sie der Sänger gibt. Ein Anspruch auf eine Treue in der Ausführung kann nur durch die lebendige Uebertragung, auf dem Wege der Tradition, hergestellt werden.

Wir haben den Jodler das eigenthümlichste Kind der Berge genannt, was er in der That auch ist. Hat das gegenwärtige schweizerische Berg-Volkslied seinen Urtypus von Aussen, seine mehrstimmige Gestalt von der Kunstmusik, so ist dagegen der Jodler das unmittelbare Kind der Berge.

Seine ursprüngliche und ächte Heimath ist hier. Ueber diese hinaus erscheint er nur als ein verkümmerter Abklatsch; in der Ebene verliert er sich gänzlich. Im Alpengebiete aber ist er sowohl in den Gesängen als Bestandtheil, wie auch bei den Bergvölkern vorherrschend. Nicht ein jeder Senne oder Bergbewohner singt Lieder, aber ein jeder jodelt, besser oder schlechter, oder hat die Lust dazu, und äussert sich gesanglich mindestens in einem kürzeren oder jodlerartigen Juchzer. Bei ihren alpwirthschaftlichen Beschäftigungen herrscht fast ausschliesslich der Jodler und nur im gesellschaftlichen Kreise wenden sie sich auch zum Liede. Es erklärt sich dies in Bezug auf das Lied daraus, dass sie an die Mehrstimmigkeit desselben gewohnt sind, wogegen ihnen der Jodler bei ihren Einzelbeschäftigungen als ein auch für den Einzelnen abgeschlossenes Ganze vollkommen genügen kann. Für diesen wissen sie in ihren Gebirgs-lokalitäten genau alle Stellen, die ein Echo erzeugen, und namentlich sind hierin die Gaisbuben unermüdliche und gewissermassen unersättliche Echowecker, und mögen in dieser Hinsicht ebenso wählerisch, wie auch durch die sublimsten Genüsse verwöhnt sein. Ein kleines Beispiel mitzutheilen können wir uns nicht versagen. Wir beobachteten nämlich auf der Lösisalp ( Wallen-stadter See ) einen Gaisbuben, der auf der gegenüberliegenden Alp Vergooden, unter dem Sichelkamm gelegen, fleissig und wirklich unermüdet jodelte. Dabei sang er gegen die Kalkwände der Churfirstenkette und erweckte durch seine scharfe kräftige Knabenstimme ein hübsches Echo. Als wir am andern Morgen den Gaisbuben auf der Vergoodenalp sprachen und ihn absichtlich fragten, warum er vorzugsweise gegen die Felsen- wände singe und weniger in der Richtung gegen das Seezthal hinab, gab er uns die ganz entsprechende Antwort:

es töne eben besser gegen die Felsen, als in 's Thal hinab. Sein gesundes Gefühl hatte ihn richtig geleitet. Man wird überhaupt die Beobachtung machen, dass die Sennen vorzugsweise gegen die Felsenwände hin jodeln, auch wenn sich dort nicht ein Echo erzeugen lässt. Der Sinn für den schönen Ton und die Erfahrung führt sie von selbst auf den Kern des diesfälligen akustischen Gesetzes.

Die Beobachtungen des grossen, vielfachen Echo's in den Bergen und die Vergleiche einzelner, in ihren Wiederholungen gleichförmig auf- und absteigender Jodlerfiguren führen uns zu der Vermuthung, dass die Uranfänge des Jodlers dem vielfachen Echo nachgebildet wurden. War hierin eine gewisse Basis vorhanden oder, wenn wir so sagen können, eine gewisse Form hergestellt, so mochte dann im Verlaufe die eigene Erfindung, eben der Erguss des Augenblicks, die Phantasie auf den Grund einer Reihe von Tönen, oder einer Figur, die wir die Urform nennen wollen, weiter gebaut, den ursprünglichen kleinen, engen Raum der ( Jodler- ) Figur erweitert haben, aus einer engen Inter-vallenlage in eine weite gerückt sein, den Umfang einer Octave überschritten und bis zur Grenze der menschlichen Stimme überhaupt ausgedehnt und endlich auch in der fortgesetzten Erweiterung und Bereicherung des Jodlers durch neue Figuren auch zu den leiterfremden Intervallen gegriffen haben, zu Tönen, die nicht mehr in der Skala der ursprünglichen Tonart lagen, nicht mehr zu den akustischen Naturtönen gehörten.

Ein kleines Notenbeispiel mag unsere Ansicht ver- anschaulichen.

Nehmen wir die dem Jodler stereotype

Figur

und denken wir uns die Figur a der Lokalität eines vielfachen Echo's zugerufen, so werden sich die Figuren b bis / ", und noch weiter, bilden. Die vom vielfachen Echo auch in entsprechender Zahl wiederholte Figur mag dem Sänger die Veranlassung, seine Schule gewesen sein, auch in seinen eigenen Figurenerfindungen die Wiederholungen anzubringen, wie sich auch wirklich in den Jodlern verschiedene Figuren finden, deren gleichförmige Wiederholungen durch mehrere Takte gehen. Eine Erweiterung solcher Figuren führte endlich zu dem grossen Umfange des heutigen Jodlers. Wir glauben noch einen Sei itt weiter gehen zu dürfen. In der Belauschung des vieLachen Echo's konnte es dem Sänger nicht entgangen sein, da ss die letzteren Wiederholungen derselben matter und schwächer erklangen. Verloren sie auch nicht ihre ursprüngliche Klanghöhe, so schienen sie dem Ohr dünner, weit entfernter, und desshalb scheinbar höher. Diese Beobachtung und Wahrnehmung mochte zu der interessanten Nachbildung geführt haben, dass die Bergvölker noch heutzutage zum Schlüsse ihres Jodlers in der Regel um eine Octave steigen, in die Fistellage der Stimme übergehen, etwa in folgender Weise:

Da der gemessene Raum für unseren Beitrag leider keine Exempla gestattet, so müssen wir entweder eine Bekanntschaft mit der Weise des Liedes sowohl als auch der Form der Jodler voraussetzen, oder auf die gedruckten Sammlungen z.B. eines Ferd. Huber verweisen.

Legen wir uns die Frage vor, welcher Theil der ältere sei, das Lied oder der Jodler, so müssen wir uns für den Letzteren entscheiden. Zur kurzen Begründung wollen wir nur auf den Umstand aufmerksam machen, dass die Lieder, resp. Liedstrophen, gleichsam wie zwischen die Jodler hineingeschoben erscheinen. Will man annehmen, es gehe das aus der vorhandenen grossen Liebhaberei für den Jodler hervor, dieser sei überhaupt eine Bedingung bei den Gesängen der Bergvölker, so lässt sich gerade daraus ein Grund finden zur Zurückführung seiner Existenz schon in einer Zeit, in welcher das Lied noch nicht allgemein war, die Bergvölker aber so gut sangeslustig sein mochten, wie heutzutag. Uns persönlich führen die obigen Untersuchungen über die Bildung des Jodlers aus dem vielfachen Echo, und die Vergleichungen seiner Figuren und Wiederholungen mit den tonlichen Erscheinungen des Echo's, zu dieser Annahme. Nun sind die Bergvölker als Hirtenvolk entschieden älter, als das allgemeine Volkslied, ihre Ge-birgsumgebung mag sie aber von jeher schon so gut wie heute angeregt haben, auf Grund des Echo's gewisse, zum Mindesten dem heutigen Jodler ähnliche, verwandte Figuren zu singen, um so mehr, als die Grundform des Jodlers die einfachste Tonfigur ist, die, beispielsweise erwähnt, auch Kinder bei ihren Singversuchen bilden, die ihrem Fassungsvermögen nahe liegt, wenn auch noch unbestimmt, d.h. unrein gesungen.

Wie sich Lieder aus dem Flachlande in die Berge verpflanzen und welche Umgestaltung — Modification — sie dort erleiden müssen, darüber ist uns ein interessantes Beispiel bekannt geworden. Die Bergbewohner lieben bekanntlich nicht das Fremde und Fremdartige, sie halten fest an dem ihnen Gewohnten und Liebgewor-denen. Wo sich ein Lied bei ihnen einbürgern will, muss es einer ihren Gewohnheiten und ihren Anschauungen in dieser Sache entsprechenden Aenderung unterliegen. Folgende bemerkenswerthe Beobachtung haben wir gemacht: Auf einer Alp unterhalb des Kin-zigkulmpasses, gegen das Muottathal zu, trafen wir einen sangeslustigen Sennen, dessen Liederreichthum auch das bekannte Lied enthielt: Freut euch des Lebens. Die erste Strophe, welche dann später immer den Chorus-Refrain bildet, sang er richtig nach dem Original; jedoch die zweite Strophe, der Solo-Mittelsatz, erhielt folgende Umgestaltung. Nach dem Motiv zur ersten Reimzeile: Man schafft so gern sich Sorg'und Müh\ folgte eine eintaktige Jodlerfigur; ebenso nach dem Motiv zur zweiten Reimzeile: sucht Dornen auf und findet sie. Das Uebrige wurde wieder in der Originalgestalt gesungen, mit Ausnahme des Refrains, an welchen sich unmittelbar ein lang ausgesponnener Jodler anschloss, ganz frei und selbständig, wie die Hirten gewohnt sind, diesen Appendix ihrer Gesänge auszuführen. Das Charakteristische dieser letztern Zugabe erklären wir uns aus der Liebhaberei und Gewohnheit, jedem Liede einen Jodler anzuhängen. Nur mit dieser Beigabe wird das Lied dem Bergbewohner heimisch, kann er es überhaupt lieb gewinnen. Einen tiefer gehenden und bedeutsamen Zug erblicken wir in den kleinen Jodleranhängseln nach den beiden Reimzeilen.

Offenbar wurde der Sänger von den Worten unangenehm berührt, sie waren ihm ein Misston in seiner Lustigkeit auf den Bergen, und er suchte nun für seinen tiefgesunden Sinn, der sich nicht trüben Seelenstimmungen hingeben wollte, auch ein entsprechendes Ausdrucksmittel, um Freude und volle Befriedigung zu erreichen und etwaigen Trübseligkeiten gleich Anfangs die Spitze zu brechen. Dies fand er in dem kurzen, eben so geläufigen wie die Lustigkeit befördernden Jodler, der sich schliesslich auflöste in den grossen Jodler nach dem Refrain, wo er all* seine Freude und Lebenslust hineingeheimnisst haben mochte.

Auffallender Weise fanden wir auf unsern Touren nie mehr dieses Lied. Es mochte wohl auch Zufall sein; möglich aber ist, dass das sonst so weitverbreitete Lied eine Zeitlang bei den Bergvölkern eine Aufnahme fand, aus der jüngeren Generation aber wieder verschwindet. Die genaue Feststellung über die frühere Verbreitung des Liedes wäre ein Beleg für die Annahme, dass die Bergvölker nur die ihnen eigensten und eigenthümlichsten Weisen, ihren charakteristischen Melos, forterben und hauptsächlich pflegen, wohl zeitweise fremde Elemente aufnehmen, sie umzugestalten suchen und, wo dies nicht von Erfolg ist, sie wieder verschwinden lassen. Eine allmälige Sammlung aber der gebräuchlichsten Lieder, geordnet nach den Kantonen oder Gebirgsgegenden, wäre zunächst wünschenswerth.

Dass sich in den Bergen auch vereinzelt das marschartige Lied findet, ist erklärlich aus dem Umstand, dass jeder Schweizer Jüngling Militärdienste macht, aus welcher Nationalpflicht auch eine Lieb- haberei fur das Marschlied entstand.

Der Gebrauch findet sich jedoch mehr in den Thälern, in welchen auch die weibliche Bevölkerung grosses Wohlgefallen am Marschtempo findet und frischweg singend marschirt und strengrhythmisch marschirend singt. Beobachtet haben wir dies im Appenzeller Land, Obertoggenburg, im Glarner Gebiet, in der Umgebung des Rigi und einmal am Brienzer See.

Freudigkeit und Freiheit athmen die schweizerisch-nationalen Gesänge, die beiden mächtig bewegenden seelischen Elemente bilden die Basis der Empfindungswelt der Bevölkerung; demgemäss muss auch der Ausdruck im Gesang himmelhochjauchzend sein. Wer die Gesänge wahr mitempfinden will, muss sich auf den Boden ihrer Bedingungen stellen; den überreizten Sinnen erschliesst sich ihre Schönheit nicht, bleibt dieser Volksausdruck in seiner Einfachheit und dem schlichten Gewand unverständlich. \yem aber noch der Sinn für Natürlichkeit verblieb, wer dieses kostbare Kleinod für ein stufenreiches Mitempfinden äusserer Eindrücke aus dem verwirrenden und tödtenden grossen Weltleben gerettet, wer gekommen in die Alpenwelt, um hier nicht bloss mit dem Auge zu empfinden, sondern auch den Gehörsinn in den Kreis seiner Beobachtungsmittel zog und durch diese feine Verbindung der äussern Welt mit dem eigenen Seelenleben auch der von aussen angeregten und herrschenden Freudigkeit das weite Feld nach seinem Innern öffnete: — dem Freunde der Alpennatur und der ungeschminkten Ausdrucksweise eines Volkes werden auch die nationalen Lieder nahe stehen, ihre Einfachheit und Natürlichkeit wird in seinem Innern einen Brennpunkt zur Erzeugung der Freudigkeit finden, er wird in vollen Zügen athmen und geniessen das Volkslied, das

naua der Seele dringt

Und mit urkräftigem Behagen Die Herzen aller Hörer zwingt. "

Wahrlich, Wanderer! wenn dich, wie Shakespeare sagt, noch nie die Einfalt süsser Töne rührte, wenn dein Inneres bisher den Eindrücken der Musik verschlossen blieb und du noch keine Ahnung hattest von dem unaussprechlichen Wohl und Wehe, das Musik in süssen Schauern zaubert wie eine unsichtbare Macht, mit der man ringend kämpft und ihr doch gern und ganz zu eigen wird; wenn du noch nie erkanntest, was es heisst, zu empfinden die Musik, nachklingen zu lassen im Herzen den Ton, und durch ihn tiefverborgene Saiten angeschlagen zu fühlen, die geheimnissvoll und unwiderstehlich, wie von zauberhafter Hand berührt, erzittern: — im Liede wird 's dir klar, magst du fühlen und erkennen die Gewalt und Macht der Musik über ein empfindend Gemüth.

Wir sind am Schlüsse unserer kleinen Arbeit angekommen, zu. klein und eng für das grosse Gebiet. Kaum bedarf es der Bemerkung und Entschuldigung, dass der gegebene Raum für dieselbe nur eine allgemeine Uebersicht zuliess und sich desshalb auch eine lückenhafte Behandlung des bedeutsamen und weitgreifenden Thema's leider von selbst bot.

Fühlen sich die Leser unseres Club-Buches auch zu diesem Beitrag in dem Interesse hingezogen, dass sie daraus für ihre Wanderungen eine Anregung schöpfen zur Beobachtung und Aufzeichnung der Gesänge in den Bergen, um aus den losen Blättern und durch die gemachten Erfahrungen Beiträge zu gewinnen für diese noch wenig behandelte Kulturstufe der Bergvölker, so ist unser zunächst beabsichtigter Zweck vollkommen erreicht.

Dem schweizerisch nationalen Gesang aber ein fortgesetztes kräftiges Blühen und treues Festhalten an den so belebenden alten Formen!

7.

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