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Vegetationsansichten aus den Tessiner Alpen

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Von Dr. H. Christ in Basel.

Es< ist doch immer ein ganz besonderes Fest für den Naturfreund, Fuss und Auge über die Kämme der Alpen auf die südlichen Abhänge führen zu dürfen. Denn was die Alpenwelt Grosses bietet, das drängt sich auf der steilem Südseite weit näher zusammen als auf den langsam ansteigenden Berglehnen des Nordabhanges; die Contraste sind geschärft, weil sie räumlich so eng auf einander stossen. Daher kommt wesentlich der mächtige Reiz, den die Südgehänge auf uns ausüben: was diesseits der Berge nur allmälig und langsam sich vor uns entfaltet, das durcheilen wir jenseits auf kleinstem horizontalem Kaum.

Und wie rasch der Mensch, auch vor der Tunnel-periode, die verticalen Distanzen des Gebirgs, zumal wenn es abwärts geht, durchmessen kann, dafür rufe ich den Schlitten- oder Postpassagier zum Zeugen auf, der je die Strecke vom Lucendro See bis Airolo durch-stürmt hat. Wahrlich, die brillante Leistung des eid- genössischen Postillons wird nach der Durchbohrung des Gotthard bald in 's Eeich der Sage gehören.

Die hohe Schule der Rosselenkung um die scharfen Zickzacks der steilen Strasse, Abgründe ringsum, wird zu Grabe gehen, wie so manches andere Schöne! —

Es war am 23. Juli 7 Uhr früh, als ich im Innern der vierplätzigen Mallepost von Flüelen abfuhr. Sclrwer wurde der Abschied nicht; eine ungemüthlichere Re-misenwirthschaft als gerade im urnerischen Emporium ist mir kaum je vorgekommen; dazu kam ein Regen, den wir als einen Vorschmack der Südalpen schon auf dem See zu kosten hatten, so dicht, dass er das Dampfboot fast in den See drücken zu wollen schien. Daher denn allerlei Ungeduld und Ungelass awch bei dem, ohne diess stets fieberhaften Moment des Ein-steigens in die Posten. Der völlige Mangel einer Halle oder eines ausreichenden Schirmdaches zwingt die Reisenden unter dem Regenschirm, d.h. unter der Traufe der nachbarlichen Regenschirme einzusteigen. Da zeigt sich der Reiseegoismus in krasser Nacktheit, da werden die glattesten, höflichsten Menschen plötzlich unerwartet grob, und eine bemühende Rücksichtslosigkeit durchbricht die schimmernde, aber dünne Kruste der Civilisation. Am Besten steht sich bei alle dem der Condukteur, den Jeder sich durch den ungerechten Mammon zum Freunde zu machen sucht.

Ich hatte mich nicht zu beklagen; den übrigen Wagen voraus, rollte baldigst unser Legno ab, und ich begann, mich mit meinen Gefährten in Rapport zu setzen. Wie leicht dies wird mit unsern Eidgenossen italischen Stammes, habe ich stets und oft mit wahrem Vergnügen erfahren.

Mögen wir Germanen noch so viele Qualitäten voraus haben vor den « entarteten » Romanen, so haben sie dafür, was uns gründlich abgeht: die Grazie des Umgangs, die rein menschliche, ja kindliche Liebenswürdigkeit des Verkehrs. Es ist dies ebenso wohl eine Gabe des südlichen Naturells, als ein Erbtheil ihrer, um 1000 Jahre altern Cultur. Das Gefühl der eigenen Menschenwürde und die freudige Anerkennung dieser Würde bei dem Nächsten ist beim geringsten, ungebildetsten Italiener lebhafter als beim geschultesten Germanen; daraus entspringt eben jene Grazie des gesellschaftlichen Tones, der mich immer wieder hinreisst und entzückt, mag ich nun — wie es mir diesmal zu Theil wurde — mit Leuten aus den ersten und besten Kreisen Italiens, oder mit den einfachen Kindern unseres Tessiner Volks umgehen.

Und so war denn auch bald das Gespräch lebhaft mit dem jungen Arbeiter von Mendris und dem Bürger-sohn aus Bellenz, die mit mir fuhren. Es waren Vertreter der zwei Haupttypen des italienischen Volks der erstere, den wohl nur seine Augenentzündung zur Benutzung der Post zwang, gedrungen, derb gebaut, mit breitem, fleischigem Gesicht, braunem Haar, der alpine Typus des Bauern mit einem Wort, trotz seiner hügeligen Heimat; der andere, fein, blass, schmal, mit langem schwarzem Haar, langen prächtigen Augenwimpern, mit jenem tief geschnittenen, klassischen Profil und der fast unverhältnissmässig grossen Adlernase, wie es uns schon so viele Portraits der altern lombardischen und florentiner Schule zeigen: das italisch-aristokratische Gesicht.

Der Mendrisier war ein Mann der Freiheit, ein tessinischer Liberaler, und mächtig erregt von dem Kampf des Liberalismus gegen die Preti; die Religion wollte er haben, aber deren Diener, vom Papst an bis zu seinem Dorfcurato waren ihm alle zuwider: namentlich die Beichte war ihm tief verhasst, zurückgehen müsse man in den Dogmen wie in den Einrichtungen auf die Anfänge der Christenheit. Als ich ihm diese Gesinnung als eine so ziemlich protestantische deutete, so schrak er davor durchaus nicht zurück.

Merkwürdig, wenn auch nicht auffallend war dabei die Unkenntniss des Mannes in Betreff der Grundlage, auf die er doch gebaut haben wollte. Das alte Testament, das nach seiner Meinung die Protestanten besitzen, hielt er besonders hoch; das neue, das die Katholiken lesen oder nicht lesen, sei eben doch nur eine Verfälschnng des alten durch die Päpste und daher Nichts werth. Was mich aber freute, war das tiefe Interesse, welches dieser Mann an den grossen Fragen nahm, welche die Geister jetzt bewegen: wäre es wohl bei uns möglich gewesen, mit dem ersten besten Passagier gleichen Standes und gleich mangelhafter Bildung einen langen Tag so vertraulich, so angenehm über hohe und höchste Dinge zu verplaudern? Ich wage es nicht zu bejahen.

Die vierte Person der Gesellschaft war endlich ein decidirtes, gescheidtes Schaffhauser Landmädchen, das auf der Reise nach Cairo begriffen war, um dort in einer Schweizer Familie zu dienen. Nil admirari, dabei aber sorgfältig auf Comfort, hauptsächlich auf ausgiebige Verköstigung bedacht, zeigte sie den praktischen Sinn des deutschschweizerischen Stammes.

Und so ging es denn die allbekannte Weltstrasse des Reussthaies hinan. Schon etwas mehr als andere Alpenthäler, zeigt dieses, im Ganzen der Vegetation nicht gerade günstige, steinige Thal bereits ein Ueber-greifen des Klima's der Südalpen über den Einschnitt der Passhöhe herab gen Norden. Ist ja auch dieses Thal eine Hauptrinne des Föhn, jenes Windes, der vom Südrand der Alpenkette die Luft mit so beispielloser Gewalt in die innere Schweiz wirft. Schon zeigen sich die Lärchen hie und da; schon hängen an den Felsen überall und bis Amsteg herab die prachtvollen, milchweissen Blumensträusse des Steinbrechs der südlichen Alpenthäler ( Saxifraga Cotylédon Jacq. ), am schönsten an der grausigen Wand grad ob der Teufelsbrücke, wo der Contrast der sonst völlig nackten, eisenschwarzen Felsen mit den überaus zarten, riesengrossen Blumenbüscheln ungemein reizend ist. Oben freilich, auf dem öden Plateau, tritt der hochnordische Charakter noch einmal ungemischt hervor; es ist überhaupt selten eine Strecke, wie gerade hier, welcher bemerkenswerthe Gipfelansichten und Bergformen gänzlich fehlen, und welche doch durch ihr dunkles Colorit, ihre herben Linien, ihre chaotische Mischung von Fels, Wasser; Schnee so hochalpin und bedeutsam erscheint. Es sind keine Veduten, und doch ist die landschaftliche Stimmung die entschiedenste, die es giebt.

Doch die Veduten beginnen, und die phantastisch-möglichsten, sobald man vom Hospiz Val Tremola hinunterbraust. Noch war ( 24. Juli ) der Schnee haus- hoch überall in den Winkeln und Vertiefungen angesammelt, und der junge Tessin lag versenkt unter einer Schneebrücke, die wohl kaum dies Jahr abschmelzen wird.

Ueberhaupt ist es ja eine längst gemachte Wahrnehmung, dass die Nordseite der Alpen bei weitem weniger Schnee zeigt, als die Südabhänge. Das hängt zusammen mit der allgemeinen Thatsache, dass eben am Südhang die Niederschläge jeder Art unendlich stärker und häufiger sind, als diesseits.

Die Alpen verhalten sich klimatisch genau, wenn auch im Kleinen, wie der indische Himalaya. Ich kann mich nicht enthalten, die plastische Schilderung hier einzuflechten, die Dr. Hooker in seinen Himalayan Journals von den Vorgängen am Himalaya giebt: sie lassen sich Wort für Wort auf das Gebiet anwenden, das uns nun beschäftigt:

« Die Wasserdämpfe, die, ohne einen Tropfen über « der heissen Ebene zu verlieren, aus einer Ferne von « mehr als 80 Geogr.Meilen vom indischen Meer herbei-« geführt werden, entladen sich hier, um die üppige « Kraft der Vegetation dieser entlegenen Region zu « stützen; kehren dann, in reissende Waldströme ver-« wandelt, zum Delta des Ganges zurück, um aufs « Neue verdunstet, durch die Lüfte getragen, zu Wolken « gesammelt, in Güssen niedergestürzt, den ewigen « Wechsel zu wiederholen. > Setzen wir hier statt der Gangesebene die Ebene Italiens, statt des indischen Oceans das Mittelmeer, statt der Emodischen Berge die Südalpen: und wir haben eine treue und energische Schilderung der klimatischen Bewegungen am Südhang unserer Alpenketten.

Die Zahl der Regentage während des Sommers beläuft sich in Florenz auf 17, in Mailand auf 18, in Rom auf 15, in Nizza auf 6; in den Thälern der Südalpen toben, wie wir wissen, die Gewitter gerade am Ende des Sommers und im Herbst am zahlreichsten, und es vergeht kaum ein Tag, wo nicht, sei es an dieser oder an jener Kante des Gebirgs, die Wolken sich ausschütten. In Rom fällt im Sommer 3 Zoll Regen, in Genua 6 Zoll; welche Regenmasse aber während des Sommers in unseren Tessiner Alpenthälern fällt: zeigt Benteli's schöne Arbeit über die atmosphärischen Niederschläge in den sieben Hauptflussgebieten der Schweiz wo- die Zahl von 1 Meter 13 Centimeter für den Tessiner Sommer ( Mai bis Oktober ) angegeben ist. Einzig der August hat im Tessin 1865: 28 Centimeter, 1868: 22 Centimeter Regen geliefert. Und doch überbieten die andern Jahreszeiten den Sommer noch weit: der Mai hat in Tessin schon 46, der September 50, der Oktober 45 Centimeter Regen gefällt. In Mailand fällt im Jahr 35,7 Zoll, im Engadin 31,6 Zoll Wasser vom Himmel; in unseren tessinischen Südalpen aber erzielt sich die erstaunliche Quantität von 66,6 Zoll als Mittel von sechs Jahren. Dies ist eine Zahl, welche der Regenmenge feuchter Tropenländer nichts nachgiebt, und die in Europa höchstens in den östlichen Südalpen übertroffen wird, wo sich die Dünste des Meeres aus erster Hand niederschlagen, und wo man, bei Tolmezzo, schon ein Maximum von 90 Zoll erreicht haben soll. Bei solchen Regenmasseii kann es uns nicht mehr Wunder nehmen, wenn 1868 der Langensee im Oktober um 6,67 Meter stieg, während zur gleichen Zeit der Bodensee nur um 1,0 Meter zunahm.

Diese gewaltige Erscheinung: die hochgesteigerte Feuchtigkeit der Südalpen, beherrscht nun aber ihre ganze Natur; alles ist von ihr abhängig: Vegetation und Thierwelt und das Leben des Menschen, deren Landwirthschaft, die gerade hier so mächtig und schrecklich eingreifende Zerstörung der Gebirgsmassen u. s. f., und es wird dies Thema, fast als Grundton, in meiner vorliegenden Studie zur Genüge wieder anklingen müssen.

Nicht ohne einiges Grausen wird der Postinsasse die fünfzig « Kehren » der Tremolastrasse hinabgeschleudert, denn anders lässt sich die Operation kaum nennen, und man bewundert die Virtuosität des schlichten Rosselenkers. Die Force scheint darin zu bestehen, das Gespann die richtige Wendung nehmen zu lassen, wobei die Pferde möglichst weit an den äussern Rand der Strasse ausbiegen, damit die Wandung nicht zu kurz ausfalle. Es ist dies ein Eindruck, demjenigen ganz ebenbürtig, den die geschickte Führung einer Sloop vor einer recht sehr steifen Brise auf dem Meere gewährt: man freut sich der kühnen, raschen That, und doch ist man auch wieder recht froh, dass die Geschichte ohne Unfall zu Ende ging.

Prachtvoll ist der Ausblick, der sich hoch ob Airolo öffnet weit, weit in die Leventina hinunter, in welcher die reichen Farben eines heissen Sommerabends glühen, während wir noch sclrweben in kühler Bergluft, und die Felsen um uns her noch bedeckt sind mit thaufrischen Alpenblumen: namentlich mit der " Achillea inoschata, der Iva der Engadiner.

Man hat hier am Gotthard den Trost, dass diese edle Pflanze vorläufig noch nicht einer raffinirten Schnapsindustrie erlegen ist, wie anderswo.

Es erscheinen die dunkelblutrothe Pedicularis rostrata L., gleich auch glühen am Strassenbord die purpurnen Blumen der Rosa pomifera Hermann, der eigenthümlichen Rose der Central- und Südalpen. Die zwei schönen, charakteristischen Alsinen recurva Wahlenb. und laricifolia Wahlenb. und die herrliche tiefblaue Traube der Veronica spicata L., ein Wahrzeichen der Tessiner Alpen, zeigen sich auch sofort, und wir halten in Airolo, wo gerade wie drüben in Casinotte, der Tunnelbau ein ungewohntes Leben entfaltet hat.

An der Adresse eines Kistchens, auf welche indiscret unsere Blicke fallen, sehen wir, dass der berühmte Physiker des Tunnels, Professor Colladon, eben hier anwesend ist.

Allein es geht rasch weiter an wehenden Lärchen vorüber, Faido zu. Ich weiss keinen glücklicher gelegenen Alpenflecken, als dieses Faido, in Mitten der steinigen, engen Thalspalte auf einer reizenden Oase, einem herrlich grünen Thalbecken hingebreitet, von Wasserfällen umspielt, und bereits innerhalb der eigentlich « insubrischen » Region, jener spezifisch-südalpinen Waldzone der K a s t a n i e. Denn bereits ob dem Flecken ( bei circa 800 m ) zeigen sich die ersten dieser edeln Bäume, und deuten damit das Land an, gleich fern von Staub und Schwüle des Südens und von starrem Frost des Nordens; das Land rieselnd von Bächen und

24 Quellen, triefend von Thau, wo sich jeder Fleck, sei es Fels, Mauer, Dach oder Weg mit zierlichen Farnen und jenem noch zierlicheren Moosteppich übergrünt, dessen Fäden so häufig bestehen aus der Selaginella helvetica Spring.

Der Kastanienbaum ist leicht zu zeichnen und leicht und dankbar zu malen, denn er hat kühne, kraftvolle Stammformen, tief dunkle Farben: gedrungene Kraft ist sein vorherrschendes Wesen. Vergleichen wir ihn mit dem Nussbaum, und wir werden finden, dass der letztere in Stammform, Verastung, Rinde, Laubwerk ein weicher, heller, zartsaftiger Baum, ich möchte sagen eine prädestinirte Kulturpflanze darstellt. Die Kastanie verläugnet nie den Charakter des Waldbaums, de& wilden, eichenartigen, ursprünglichen. Sein Laub, das-tief gezackte, hat etwas hartes, es nähert sich schon in etwas dem immergrünen Baumschlag der Mittelmeerzone, und doch ist kein Grün so saftig und reich, und wenn gar die Sonne durchfällt, so ist es fliessendes Gold und Smaragd. Dazu die weissen Silbersträusse, die seine männliche Blüthe über die Krone ausbreitet, der Spirsea Aruncus an Zartheit'vergleichbar; und dann der tiefe Schatten, den er gewährt. Aber selbst in diesem ambrosich dunkeln Schatten ist es grün von wallenden Gräsern, denn obwohl das welke Laub der Kastanie mindestens die Consistenz unseres Buchen-laubes hat ( beide Bäume sind in ihrem Bau die nächsten Verwandten ) so entspriessen dennoch in diesem feuchten Klima trotz Schatten und Laubdecke siegreich die Gräser der Erde, und ihr tiefes Blaugrün sticht scharf gegen das flüssige Gold der Baumkuppel ab.

Man mag darüber streiten, ob die Kastanie ursprünglich wild ist in den Südthälern unserer Alpen. Ich möchte es glauben: das ganze Auftreten des Baumes, der sich auch vor den rauhesten Standorten auf Felsblöcken nicht scheut, ja sie sogar vorzugsweise auf sucht, spricht entschieden dafür. Immerhin ist bemerkenswerth, dass der Mensch den ganzen Kastanien- bestand vollständig und ausnahmslos in Pacht und Kultur genommen hat; denn von allen diesen Bäumen, und sei ihr Standort auch noch so verwegen, werden die Früchte eingeheimst. Daneben herrscht ein ausgedehnter Betrieb des Kastanienwaldes als Niederwald zur Holzgewinnung, für Rebstöcke und andere Zwecke. Diese Niederwälder der Kastanie sind es, die den mittleren und oberen Höhen der Berge am Lago Maggiore ihre reiche, dichte Bekleidung in Grün verleihen, so dem reizenden Sasso di Ferro ob Luino. Wie con-genial diese subalpine Zone dem Baum ist, welche wunderbare Lebenskraft er hier entfaltet, sieht man überall an den mannigfach verstümmelten Exemplaren, die, und wenn auch nur noch ein handbreites Rinden band den Weg zwischen Wurzel und Zweigen vermittelt, dennoch ihre Krone so kräftig und frisch entfalten wie in der Fülle ihrer unberührten Jugend. Es sind auch die Tessiner Kastanienwälder jenen Beständen, wie sie das Unter-Wallis bietet, an Wucht und Schwung des Wuchses beträchtlich überlegen. Freilich müssen wiederum die Tessiner Bäume zurückstehen hinter jenen wahrhaft einzigen Kastanienhoch-wäldern, wie sie einzelne Thäler am Südhang der grajischen Alpen bieten. Wer das Thal der Soanna von Val Prato bis Ponte durchwandert hat, stundenlang im Schatten von Kastanien, deren Krone sich an 80 und mehr Fuss über dem Boden wölbt, deren Aeste wagrecht 30, 40 Fuss übergreifen, der kennt erst den Baum in seiner vollen Entfaltung und auf dem Höhepunkt seiner majestätischen Schönheit;

das sind erst Waldestiefen und Baumformen, wie kaum je ein Claude, ein Poussin sie geträumt.

Drei Dinge: Endlose Steintrümmer aller Dimensionen, Kastaniendome, die darüber sich wiegen, und schäumende, krystallreine Sturzbäche sind die Wahrzeichen der tessinischen Alpen. Fügen wir noch bei die gewaltigen Brücken, die überall von der Thatkraft unserer italienischen Bundesgenossen zeugen, und daneben ein Heiligenbild in gemauerter Nische, so ist das Landschaftsbild nahezu vollständig. Um abzuschliessen, erwähnen wir noch den Himmel darüber, bald voll dunkler Wetterwolken und zündender Blitze, bald von tiefstem Azur, und das scharfe blendende Licht, das herniederfiiesst und dunkle Schatten ohne Abstufung von grellstem Glänze scheidet; il lume acuto, wie es Dante schon genannt hat.

in dieser obern Thalstufe der Leventina sieht man überall bei den Dörfern einen sprechenden Beleg für die enorme Luft- und Bodenfeuchtigkeit dieser Gegend: hohe, aus Stangen mit Querlatten errichtete Gerüste, an welchen das Getreide bündelweise befestigt wird. Dies geschieht, damit das Korn hoch über dem Boden durch Sonne und durchstreichende Luft austrockne und zum Dreschen geeignet werde. Allerdings sind die Vögel der, von ihrem Standpunkt verzeihlichen An- sieht, diese Ausstellung sei ihretwegen gemacht;

sie tafeln reichlich, freilich nur, um drunten am See dem Roecolo des Locarnesen gemästet anheimzufallen.

Wenn sich gleich mit der Kastanie der schöne gelbe Goldgeissklee ( Cytisus nigricans L. ) und der Ginster ( Sarothamnus scoparius Wim .) einfand, als treue Begleiter durch alle unsere Südthäler, in Tessin, der Mesolcina, in Puschlav und weiter, so stellte sich auch ob Giornico, bei 490 m, die Rebe ein, die sich über dem Mais bald auf steinernen Pfeilern, bald um den Oppio ( der Acer campestre L., im tessinischen Patois Rumpo ) hinschlingt. Dieser Oppio ist deswegen geeignet zu diesem Amt, weil er von allen unsern Bäumen die kleinsten Blätter hat, mithin der Rebe möglichst wenig Licht entzieht.

Bellinzona's romantische Lage, mit seinen hoch an den Bergen ansteigenden Zinnen und Burgen, machte sich auch diesmal wieder geltend, als am 25. Juli ein glanzvoller Morgen mich thalabwärts gegen Magadino führte. Schon grüsste ich am Ausgang der Stadt in einer Villa hochstämmig, ihre rosenrothen Blüthen kugeln auf dem bläulichen, doppelt gefiederten Laube wiegend, die schöne Albizzia Julibrissin, eine Mimosée aus Masenderan am Caspischen Meer. Die Strasse von Bellenz bis zum Langensee hat den Ruf des Ein-förmigen; mag sein, doch ist diese Einförmigkeit vollkommen schön im Grossen und im Einzelnen. Denn es prangen die Berge im dichtesten Grün des unten hochstämmigen, nach oben buschartigen Kastanienwaldes, und die Ebene selbst ist, bis zur weiten Fiumara des Tessin hin, von Wiesen und Maisfeldern bedeckt, und strotzt von Wasser überall.

Die Maul-beere ( Morone, Gelso ) wirft über das Land ihren eigenthümlich grünen, fetten Schimmer. Der Mais erwächst in seiner stolzen Fülle, mit breiten, dunkeln, straffen Blattflächen; über die zerfallenen Mauern der Gärten wölbt sich fast wild der Jasmin, und bei Cadenazzo erscheint bereits auch der Granatbaum. Die aus Peru eingewanderte, nun aber überall vollkommen wilde Kermesbeere ( Phytolacca decandra ) bekleidet in mannshohen Gruppen die Wegborde, die Steinbrüche, selbst die Felsen der Hügel; die Wiesen sind gelb von Ginster ( G. tinetoria L. ) und selbst in den Unkräutern: Xanthium, Hyoscyamus, Datura, zeigt sich ungewohnte Ueppigkeit, an dem schlammigen Delta des Tessin bei Magadino macht sich die Mentha Pulegium L. bemerklich.

Und nun eröffnet sich mit einem Schlag das obere Becken des Lago Maggiore dem hoch erfreuten Blick. Ton 2100 bis 199 m, vom Gotthardhospiz bis zum Spiegel des tiefsten und grössten aller Alpenseen: es ist ein Sprung, ein Schwung, der uns nachgerade gewöhnlich scheint, weil er so oft wiederholt wird; aber er ist in der That ein Ereigniss ersten Ranges für jeden empfänglichen Beobachter, und schliesst eine reichere Reihe von Landschaftsbildern in sich, als irgend ein anderer Weg von so kurzer Strecke. Ist auch der Abstieg vom Bernhard nach der alten Sa-lasser- und Römerfeste Aosta oder der Abstieg vom Simplon nach Iselle's herrlichen Hainen noch etwas rapider, und hat auch der Abstieg vom Splügen oder Maloja nach Chiaveima ein ähnliches Gepräge, so führen doch alle diese Concurrenzlinien nicht so direkt aus einem rauhen Alpenthal an ein Seebecken, zumal an eines von solcher Macht und Herrlichkeit.

Und gerade das obere, schweizerische Becken des Sees ist eines der schönsten des ganzen, reich gegliederten und alle nur möglichen Seeindividualitäten darbietenden Maggiore. Denn es ruht im Frieden ringsum aufstrebender, noch jetzt mit Schnee geschmückter Alpengipfel: scharfe Gräte von 1500 m mit schön geschnittenen Gipfeln von circa 2000 in Höhe ziehen sich herum, so weit das Auge reicht, Grün bis in die steilsten Halden empor, ihr Fuss ist reich beperlt mit Städtchen und Dörfern bis in die Bergregion hinein. Namentlich fesselt gegenüber Locarno, und weiter südlich der tiefe Einschnitt, der die Valle Maggia andeutet. Selbst das grosse Delta, welches die Maggia in den See hinausschiebt, verunziert die Gegend nicht, denn seine Ränder sind bewachsen mit Buschwald. Immerhin erweckt dies Delta die Idee, dass, wenn die Maggia fortfährt, in gleichem Maassstab die Berge zu Thal zu schleppen, dereinst dem obern Theil des Langensees das Schicksal des Lago di Mezzola bei Chiavenna bereitet werde, den lediglich das ungeheure Addagrien vom Comersee abzuschnüren vermocht hat. Ich fuhr mit dem italienischen Dampfer 10 Uhr 15 Min. ora di Roma, in weniger als einer halben Stunde hinüber nach dem schweizerischen Amalfi, dem schönen Locarno, dem ein durchaus süditalienisches Gepräge eigen ist, Wenn manche Stelle des Langensees: so die Bucht von Luino und die von Arona, den campestren Charakter der lombardischen Brianza tragen, so sind die Buchten von Locarno und von Bàveno die Glanzpunkte des Sees, wo die italienische Natur direkt in die hohen Alpen eingreift.

Allerdings-dürfen wir nicht zu patriotisch sein, und müssen bekennen, dass der letztern Bucht, landschaftlich betrachtet, die Palme gebührt. Von mehreren Inseln belebt, rundet sich das weite Becken dem Hintergrunde zu; zahllose Coulissen immer neuer, immer fernerer Gebirge erheben sich hier, um endlich mit den Schneefeldern des Rosa und Monte Leone abzuschliessen; und Alles ist gross angelegt, weit entfaltet, in stolzer Ruhe: eine Majestät und zugleich eine Harmonie der Massen und Formen, wie sie Italien vielleicht nirgends in solchem Grade bietet.

Locarno's Seegegend ist weit beschränkter, die Berge sind Berge zweiten und dritten Ranges, und weite Horizonte sind nicht vorhanden. Indessen labt sich der Blick au den fernen, inhaltreichen Einschnitten des Gotthardtliales und der Mesolcina, die sich bei Bellenz abzweigen. Und das Pflanzenkleid nimmt es auch hier mit dem borromäischen Theil des Sees völlig auf, wie wir bald des Nähern sehen werden.

Locarno ist eine stille kleine Landstadt. Alles athmet Behagen und Ruhe. Ein Hôtel im grossen Styl wird erst gebaut; inzwischen macht sich noch ein, von jeder Industrie entferntes träumerisches Existenzleben geltend, alles auf echt italienischem Fusse. An den steilen Berg gelehnt, von der zauberischen Madonna del Sasso gleich einer Acropolis gekrönt, ist die Lage der Stadt, auch am Langensee, einzig, und das will etwas sagen. Wer all' das Eigenthümliche dieser Süd- alpen in Trachten, Physiognomien und Produkten geniessen will, sollte den Donnerstag in der Stadt verweilen, wo aus all den benachbarten Thalschaften die Leute zu Markte kommen.

Was mich zuerst in Anspruch nahm, waren die Gärten in und um die Stadt. Sind ja doch die Gärten stets ein genauer Maassstab der Vegetationszone, namentlich für die äusserste Grenze des Möglichen in der Richtung der südlichen Arten hin.

Die südlichen Bäume, mit denen die Locarnesen ihre, durch die unvermeidlichen Mauern cernirten, steil ansteigenden Gärten geziert haben, zeichnen sich weniger aus durch Mannigfaltigkeit, als durch schöne Entfaltung.

Die alten Kulturpflanzen der Mittelmeerzone: der Granatbaum, der Maulbeerbaum, die Feige, die Mandel, die Rebe sind alle reichlich vorhanden, so schön als irgendwo; die Granate giebt hier reichlich reife Aepfel, und die Feigen trugen bereits ( 25. Juli ) ihre ersten Früchte: « Fioroni ». Auch verwildert kommt die Feige auf Felsen hier vor, allein ihre Früchte sind dann, wenn auch schön gefärbt, doch stets trocken und ungeniessbar, weil ihnen die Caprification fehlt, die allein dem Fruchtboden den Saft und den Früchtchen die Reife vermittelt. Die einheimische Rebe ist auffallend häufig ersetzt durch die grossblättrige und wollige nordamerikanische Sorte ( Vitis Labrusca ), weil sie dem Oidium besser wiedersteht; sie reift hier vollkommen aus und ihr Wein ist so geschätzt als der andere. Jene wunderschöne, mit tausenden von Trauben belastete Pergola der Osteria zu Brione besteht aus solchen Reben.

Der Oelbaum steht noch hie und da in alten Exemplaren in den Weinbergen, so bei der^ Madonna del Sasso und gegen Solduno hin, allein es sind bloss einzelne Ueberreste früherer Kultur, die durch einen grossen Frost, ich glaube den von 1816, zerstört wurde, in welchem Jahr bekanntlich auch die Oelplantagen der ganzen Provence vernichtet wurden. In der Schlucht hinter der Stadt ist die Dattelpflaume ( Diospyros Lotus ) und bei Someo im Maggiathal der Zürgelbaum ( Celtis australis ) angesiedelt. Letzterer Baum interessirte mich ganz besonders durch seine vollkommene Isolirung: ein Stamm, der einzige dieses ganzen Gebiets, steht auf den Felsen unter stachlichem Gebüsch jeder Art. Wie ist er hieher gekommen? Gepflanzt sicherlich nicht. Der Baum ist häufig an Felsen und Rebterrassen im Aostathal; im Südtyrol wird er kultivirt, und wird wohl auch am Luganer-und Comersee vereinzelt vorkommen. Ob ein Yogel den Fruchtstein aus der Ferne hier in der Maggia niederlegte? Wer weiss es. Nur daran möchte ich erinnern, dass auch zweifellos wilde Bäume und Sträucher nicht selten eben so vereinzelt stehen. Bei den Rosen ist dies häufig der Fall, und gerade die ausgezeichnetem Arten finden sich oft in weiten Gebieten nur in einem oder in sehr wenigen Sträuchern vor.

Das kleine Gebiet von Locarno, als innerster Winkel einer Seebucht, gleich einem grossen Garten- " spalier geschützt durch eine Bergwand von 1800 m Höhe, und nur nach Süden, nach dem milden, ausgleichenden Seespiegel offen, hebt sich fast während des ganzen Winters als dunkler, freier Fleck aus der Schneedecke der Umgebung ab.

Demgemäss ist auch der Anbau all der blumigen und duftenden Sträucher der Mittelmeerzone leicht. Der Lorbeer, der Oleander, Vitex Agnus Castus, Pinus Halepensis, Prunus Lusi-tanica ( « Azarero » ) und viele Andere sind darum auch häufig, allein auch die immergrünen Holzgewächse Japans wachsen frei und schön empor. Besonders beliebt sind Ligustrum japonicum, Evonymus japonica; Camellia wird im Freien zu einem dichtbelaubten Bäumchen von 12—15 Fuss Höhe. Der herrlichste aller immergrünen Bäume: die Magnolia grandiflora aus Florida erwuchs in einem Garten in 15 Jahren zu einem weitschattenden Baum von 40 Fuss, der fast das ganze Jahr auf dem glänzenden, goldbraunen Laub die riesigen, schneeweissen Blüthen zeigt. Nerium in- dicum, die schönste der Oleanderarten, eine zierliche Buddleja, Annona triloba, Azalea indica, Acacia deal-bata gedeihen trefflich im Freien, und am Felsen der Madonna kleben frei und sich selbst überlassen hohe Agaven, ganz wie im tiefen Süden. Was intensive Kultur aus dieser Oase machen könnte, zeigt z.B. der weit weniger geschützte Gartenhügel der Gebrüder Rovelli ob Pallanza. Hier gedeihen im Freien Juba spectabilis, eine grosse Palme Chilis; Stillingia sebi-fera; die brasilianische Araucarie ist ein hoher Baum, bedeckt mit kopfgrossen Fruchtzapfen; die Canarische Fichte, die Coniferen Mexicos ( Pinus Theocote, Pinus religiosa ), Japans ( Pseudolarix Ksempferi, Pinus Je-zœnsis ), des Himalaya ( Cupressus torulosa ), Süd-Indiens ( Cupressus glauca ), die seltsamen Bäume Neu-Hollands ( Eucaly i tus, Frenela, Metrosideros ) bilden zum Theil hochstämmige " Waldbäume, und ein wahrer Buschwald von Camellia, Thea, Olea fragrans versetzt in die immergrüne südchinesische Hügelzonedie Torreya Myristica, eine Conifere Californiens, zeigte eben Büschel ihrer pflaumenartigen Früchte.

Doch wenden wir uns nun der einheimischen Pflanzenwelt zu.

Zwei Erscheinungen sind es hier, die uns fesseln: einmal das Auftreten neuer, im cisalpinen Gebiet feh

Von jenen, der diesseitigen Schweiz fehlenden Arten sind zuerst zu nennen die echt italischen« und mediterranen, welche eben durch den Golf des Langensees von den Hügeln der Alpeiminen her vordringen. Dahin gehört der einzige strauchartige Cistus ( salvifolius L. ) der die Felsen an der Strasse bis Ponte Brolla und weiter häufig bekleidet. Es ist ein Busch von 2 bis 3 Fuss Höhe, mit kurzem, graufilzigem, aber immergrünem Laube; von diesem trockenen Ton der Blätter sticht im Juni die milchweisse, rosenartige, aber sehr vergängliche Blume lebhaft ab und zaubert eine Fülle weisser Rosen über die Felsen hin. Dahin gehört ferner die schöne Graminee Andropogon Allionii DC, die mit der auch im Waadtland vorkommenden Andropogon Gryllus ebenda häufig ist. Ferner das grosse Arum Italicum Mill. mit gelbem Spadix, eine im Frühling in den Hecken erscheinende, wahre Riesenform aus dem Geschlecht unseres bekannten Aronenkrauts ( mit röthlichen! Spadix ).

Dann die prächtigen Farne Pteris Cretica L. und Nothochlsena Marantse Br. Namentlich die Pteris zeigt wohl den südlichsten Typus aller dieser Arten. Da muss man schon bis Neapel, Korsika, Sardinien und zu dem griechischen Archipel hinunter, um den eigentlichen Heimatsbezirk dieser Prachtpflanze zu finden. Diese Pteris bietet eines der Belege, dass das grossartige Spalier am Südfuss der Alpen eine weit geeignetere Station für südliche Pflanzen ist, als die Ebene Piemonts und der Lombardei. In der That ist auch die Flora der norditalienischen Ebene bis zu den Apenninen hin eine weit trivialere, weit nördlichere, als die der privilegirten Hügelzone längs den italienischen Seen. Man muss aber auch den herrlichen Winkel gesehen haben, den ob Locarno jene Pteris bewohnt, um zu wissen, was dieses subalpine, dieses insubrische Klima leisten kann. Wo die Vignen aufhören, steigt eine steile kleine Schlucht in die Gneissfelsen auf; mächtige Kastanien beschatten den Eingang der Schlucht; ihre Tiefe ist bekleidet mit Kräutern, die hier, vor jedem Luftzug geschirmt, weit über Manneshöhe erreichen; den Boden bedeckt ein Teppich des schönsten aller Gräser, das Panicum undulatifolium Ard ., dessen Blätter ganz gegen die Gewohnheit der Familie breit oval und zierlich gefältelt sind: eine Bambusa im Kleinen. Unter den überhängenden Gneisstafeln des obersten Schluchtrandes endlich, aus grottenartigen Vertiefungen, wallen die bis zwei Fuss langen, überaus zierlichen und zarten, schmal und lang gefiederten, wellig gekräuselten Wedel der Pteris hervor, ein Bild^ das uns mit einem Schlage die Tropen herbeizaubert,

denn diese Pteris ist nach Farbe, Wuchs und Schwung der Linien eine durchaus tropische Form. Daneben eine WTelt anderer Farne, alle zierlich, fein, zart und zum Theil ganz besondere Seltenheiten: so das wollige Aspidium Braunii. Spenn. Und gerade von diesem, durch Klettern errungenen Standort taucht das Auge hinab in den blauen See und grüsst hinüber nach dem duftigen Tamar, der Hochwarte am Cenere. Kann wohl der Golf von Neapel ein südlicheres, ein origi-nelleres Végétations- und Landschaftsbild bieten?

Der andere dieser Farne, die Nothochlsena, bewohnt Felsenmauern dicht bei Cavigliano, am Eingang der Thäler Centovalli und Onsernone, und zeigt starre, kurze, aber elegant eingeschnittene Wedel von lederartiger Consistenz, deren eine Fläche dicht mit braun-schimmernden Spreublättchen bewachsen ist. Sie ist eine echt italienische, von den Seen an häufige Erscheinung.

Wir finden aber auch, neben diesen südlichen Arten, solche Pflanzen, welche der Art nach mit denen der nördlichen Schweiz identisch sind, welche jedoch hier, unter dem Einfluss des südlicheren Klima's, in ganz bestimmter, charakteristischer Form abändern, so dass jeder Kenner, auch wenn ihm ohne Angabe des Fundorts eine dieser Pflanzen von den Hügeln des Maggiore vorgelegt würde, sie sofort als die südliche Varietät der bei uns gemeinen Art erklären wird. Dahin gehört der bei uns in allen Wiesen so häufige Schoten-klee ( Lotus corniculatus ) und der Quendel ( Thymus Serpyllum ). Beide treten ob der Madonna di Sasso in echt südlichen Formen auf: L. ciliatus Tenore und Thymus pannonicus Scop. Der Einfluss des Südens auf diese Pflanzen äussert sich namentlich in einer auffallend starken Behaarung der Blattorgane, welche an unserer gewöhnlichen Form ganz kahl sind.

Diese Erscheinung der verstärkten Behaarung ist in allen Zonen der Erde ein Merkmal eines Gebirgsklimas mit starker Insolation und darum auch für unsere Region bedeutsam. Doch zeigt sie sich in trockenen Gegenden, z.B. im Wallis, noch weit entschiedener als in Tessin, wo — ganz das Gegentheil der so eben betrachteten Erscheinung — einige Pflanzen kahl vorkommen, die bei uns dicht behaart sind: so der Holcus mollis L., bei uns ein dichtwolliges Gras der Ackerränder, in Tessin an Waldrändern und Wegen völlig kahl. So mannigfaltig und reich sind die Erscheinungen in dieser Zone, so wenig binden sie sich an jene Regeln, welche der Mensch der Natur glaubt abgelauscht zu haben und sie für Gesetze zu nehmen geneigt ist, bis die Ausnahmen ihn lehren, dass er noch weit entfernt ist vom Ergründen des ursächlichen Zusammenhanges.

Ausser den besprochenen südlichen Arten und Varietäten, deren Ausstrahlung aus ihrer meerum-gürteten Heimat unzweifelhaft, findet sich dann eine Reihe von Arten, die dem Süden wie dem Norden fehlen, also echt endemische Formen gerade dieses subalpinen Bezirks. Nichts spricht mehr für die hohe Eigenthümlichkeit eines Gebiets, als das Auftreten solcher endemischer Formen, die hier und nirgends anders ihren Bildungsherd haben. Und nun findet sich in diesem Gebiet eine ganze Anzahl solcher Pflanzen, eine Thatsache, deren Bedeutung steigt, wenn ich beifüge, dass z.B. der ganze, weite Jura vielleicht nur eine einzige echt endemische Art ( Heracleum alpinum Jacq. ) besitzt

Dahin gehören z.B. Galium insubricum Gaud. Eine Pflanze feuchter Wiesen, in der tiefern Region Tessin's häufig, auch auf der Südseite des Monte Rosa ( Boissier ), sonst nirgends gefunden. Centaurea trans-alpina Scheich. Gemein in allen Wiesen unserer Region bis in die Wälder hinein, unsere C. Jacea vertretend, jedoch ausser der insubrischen Zone nur noch im Hügelland Toscana's. Dann die durch rein weisse völlig trockene Hüllblättchen ausgezeichnete Centaurea Gaudini Boiss., die bei Ponte Brolla die Felsen schmückt; eine nur am Fuss der tessinischen Hügel gefundene Art.

Nennen wir noch das schon angeführte, reizende Gras, das Panicum undulatifolium Ard ., auch dieses fehlt dem tiefen Süden und dem Norden; es bewohnt nur feuchte Thäler der Südalpen vom Tessin an durch Süd-Tyrol bis zu den Istrianer Alpen.

Nicht nur die warme Tiefregion, sondern auch die Berge bis zu ihren Gipfeln zeigen solche eigenartige Typen. Ja, gerade diese Bergregion zeigt die so seltene, so geheimnissvolle Erscheinung von Pflanzenarten, die auf einen Berggipfel oder wenigstens einen ganz beschränkten Höhenzug localisirt sind, und rundum nirgends mehr gefunden werden. Im Gesichtskreis von Locarno, auf dem weit ausblickenden Grat des Camoghé ob Bellinzona wächst die herrliche Androsace Charpentierii, die von Heer entdeckt und 1840 in der von ihm besorgten Ausgabe der Flora von Heget- schweiler beschrieben ist.

Es handelt sich hier nicht um eine jener « petites espèces », die sich gar nicht -wesentlich von einer weit verbreiteten Form unterscheiden; es ist vielmehr eine total eigenartige, von allen andern auffällig verschiedene Art, die grösste, besonders auch'grossblumigste von allen. Weiterhin um die italienischen Seen zeigt gerade die Gipfelregion der Vorberge zwischen 4000 und 6000 Fuss eine Reihe anderer hieher gehöriger Beispiele: ich erinnere an die Campanula Raineri Perp ., der Corni di Canzo, die Alsine Grinseensis Boiss. an der Grigna ob Lecco. Solche Vorkommnisse lassen eine Gegend, wo sie auftreten, plötzlich in einem ganz andern Licht erscheinen: in dem von eigentlichen Schöpfungscentren deren Eigenthümlichkeit intensiv genug ist, um auf beschränk-testem Raum Arten festzuhalten, die sich nicht weiter verbreitet haben. Und ich bin geneigt, gerade in den so fühlbaren klimatischen Eigenthümlichkeiten die Ursache dieser Erscheinung zu sehen.

Alsdann finden wir im Tessin manche Pflanzenformen, die nicht unbedingt als südliche gelten können, da sie auch anderwärts in Europa nördlich der Alpen wachsen; für die Schweiz aber, für das Alpenland selbst sind sie doch südliche, die wir nirgends diesseits innerhalb unserer Grenzen finden.

Es sind wieder Farne, die uns vor Allem in die Augen fallen, und zwar die grössten, kräftigsten aller europäischen Formen:

Einmal der Köiiigsfarn ( Osmunda regalis ). Nichts strammeres, kraftvolleres, gediegeneres, als diese Prachtpflanze, wie sie sich an den Bächen und Quellen er-

25 hebt, die von dem Berge Locarno's nach dem Seespiegel eilen.

Der Strunk ist fussdick, eisenfest; über mannshoch ragen die goldgelben Spindeln, glashart und elastisch, glitzernd in der Sonne, und die laubigen Fiedern vom reichsten Grün streben in spitzem Winkel empor, oben in die gebräunte fruchttragende Spitze-übergehend. Dieser herrliche, leider schwer kultivirbare Farn wächst hin und her, selbst im Norden; ich fand ihn sogar an einer, unsern Südalpen wahrlich nicht gerade ähnlichen Stelle: bei Tegel, sage bei Tegel in der märkischen Sumpfheide. Allein in der cisalpinea Schweiz fehlt er ganz. Und das muss ich sagen: anders als dort an der Spree nimmt er sich denn doch aus hier an dem Abhang bei Solduno, wo der zarte Schleier des Yenushaars ( Adiantum Capillus veneris ) seinen Wurzelstock umkleidet, und wo vom nahen Fels die goldgelbe Chrysocoma, die brennendrothe Feuerlilie ( Lilium croceum ) im Verein mit dem Schnee des Steinbrechs und der Cistrose glüht!

Der zweite ist der Straussfarn, die Struthiopteris-germanica, deren Name schon andeutet, dass sie ebenfalls im Norden nicht fehlt. Sie zeichnet sich aus durch einen oft mannshohen, äusserst regelmässigen Trichter von zarten, hellseegrünen Wedeln, in dessen Tiefe die braunen Fruchtkolben aufragen. Sie kommt ob Bellinzona und im Sotto Cenere an dunkeln Waldstellen vor, fehlt jedoch sonst in der Schweiz vollständig.

Dahin gehören auch die schönen kleinen Nelken ( Dianthus deltoides L. ); dann Galeopsis pubescens; ferner der seltsame, reich verästelte Cucubalus bac- cifer, eine der wenigen Pflanzen mit entschieden grünen Blumenblättern u. s. f.

Und so könnte ich fortfahren und eine stattliche Zahl schöner, charakteristischer Pflanzen aufführen, die in der Schweiz sich hier nur zusammenfinden.

Allein was uns am meisten auffällt, das sind die Pflanzen, die wir sonst nur als Alpen- oder doch Bergpflanzen kennen, und die hier, am Lago Maggiore sich auf denselben, sonndurchglühten Felsen mit den Vertretern der Mittelmeerflora zusammenfinden. Wandern wir an den ölbaumgeschmückten Vignen vorbei von Locarno gegen Ponte Brolla, an den Mauern, über welche die chinesische Rose, der Oleander, die Granate herabhängen, und betreten endlich den « alten Boden », so treffen wir die seltsamsten Zusammenstellungen, die der Pflanzengeograph nur ersinnen kann. Neben der Cistrose, dem Andropogon Allionii, der völlig verwilderten Feige und dem Zürgelbaum kleben am schimmernden Gneissfels überall die mächtigen Rosetten des Steinbrechs ( Sax. Cotylédon ) und der Alpenhauswurz ( Sempervivum tectorum ), der Milz- farn des hohen Nordens ( Asplenium septentrionale ) sitzt in allen Spalten; die Alpenerle ( Alnus viridis, Tros der Tessiner ) beschattet vielleicht das Venushaar des Südens. Und in der Schlucht nordwärts der Madonna di Sasso, da wo von Orsellina her der Bach schäumend zu Thal fährt, pflücken wir hier die südlichen Galien aristatum L. und lucidum All ., die Calamintha grandiflora und neptoides, die Campanula spicata, wieder den Cistus und den stachlichen Ruscus und daneben die Heidelbeere, die Calamagrostis syl- vatica und die rostfarbene Alpenrose ( Giup der Tessiner, wie der Ober-Engadiner Romanen ), indess sich rings ein Teppich des zierlichen Lycopodium complanatum ausbreitet.

Alles dies, kaum 100 m über dem Spiegel des Langensees; alles selbst Ende Juli strotzend von Saft, von ewiger Frische. Und mehr noch: wer sollte glauben, dass am Rande der staubigen Strasse, wo links sich der Mais in doppelter Manneshöhe erhebt, wo nur der sparrige Rumex pulcher und das immer durstende Glaskraut ( Parietaria diffusa ) der Hitze zu widerstehen vermögen, rechts am Abhang hin, sich echte kleine Torfmoore hinziehen? Und doch ist es so: saftgrüne Vertiefungen, ausgefüllt mit den charakteristischen Seggen des Hochmoors: Carex ( hier ist es freilich nicht die gemeine distans, sondern die seltene punctata ) Rynchospora alba, Schsenus nigricans, Montia fontana, Gratiola officinalis.

Die zwischen diesen kleinen Mooren sich erhebenden Felsköpfe zeigen, im grellsten Contrast, jene schon beschriebenen Cistusgebüsche, und hie und da hängt ein verwilderter Feigenbaum.

Das Geheimniss dieser in der That einzigen Erscheinung, dieses Reichthums an disparatesten Formen ist nun eben die unendliche Feuchtigkeit dieser südlich exponirten, der vollen Insolation italienischer Sonne preisgegebenen Gegend. Die Sonne ist warm genug, der Winter milde genug, um den Gewächsen des Südens Raum und Statt zu bieten, aber der Boden ist feucht genug, um den Alpenpflanzen die erforderliche, saftige, frische, quellige Stätte zu bereiten, ja, um die Torfbildung nicht zu unterbrechen. Jede Mauer, in dem an Mauern gewiss nicht armen Tessin zeigt uns, deutlicher als nirgends ein anderer Standort, ein Beispiel dieser Wechselwirkung von Sonne und ewiger Frische.

Bei uns pflegen die Mauern kahl zu sein, und werden sie alt und bleiben sie vergessen, so beziehen sie sich etwa mit gelben Flechten, kaum dass hie und da spärlich ein Gras, ein Geranium Robertianum, ein Sedum sich ansiedelt. Im Tessin ist die Farbe der Feldmauern durchweg grün, denn sie sind zart umkleidet von einem Anflug von Jungermannien, Moosen, Lycopodien, Farnen und Blüthenpflanzen der zierlichsten Art, von Arten die bei uns fast nur den lebendigen Fels bewohnen. Ich weiss nichts lieblicheres als diese Miniaturflora der Tessiner Weg- und Feldmauern. Da sind ausser unserm Asplenium Tricho-manes und Ruta muraria noch üppig vorhanden das stattliche Adiaiitum nigrum mit seinen ebenholz-glänzenden Spindeln, dann septentrionale und Breynii, Ceterach ( C. officinarum ) krönt die Mauer, indess Venushaar aus den Ritzen weht; Oxalis corniculata L., Rumex scutatus ( Erba pan a vin der Tessiner ); Sedum stellatum und vielleicht eine neue Art, ein grosses gelbes aus der Acregruppe. Und auf den Wiesen des Thales steht eine Menge von Arten, die bei uns erst weiter oben, am Rande der Bergwälder wachsen. Die Dolde Laserpitium oreoselinum färbt die Wiesen um Locarno und selbst noch bei Intra und Pallanza weiss, bei uns ist sie eine ziemlich seltene Art des Bergwaldes. Vergessen wir, zur Erklärung dieser Mischung von Alpenwelt und Südvvelt, nicht dass überall, in dieser Region in ununterbrochener, doch gäher Steigung die Abhänge sich vom Seesraiide bis zur Alpenhöhe schwingen.

Neben der allgemeinen Erscheinung der hoch gesteigerten Niederschläge und der spalierartigen Südexposition kommt bei unserm schweizerischen Himalaya die Steilheit des Abhangs hinzu. Das Rhododendron hat eine kurze Reise vom Joch der Punta di Tros ( 1866 m ) bis zur Schlucht bei Orsellina ( 300 m ) und auch die Wolken und das fliessende Wasser haben einen kurzen Weg, um das Kind der alpinen Höhe drunten zu erquicken und sein Leben zu fristen. Vergessen wir ferner nicht, dass das ganze Areal dieser Berge aus Urgestein, aus feldspathreichen und sandigen Gneissen besteht, welche die Feuchtigkeit in hohem Maasse einsaugen und halten, so dass tiberall das Urgebirg vor dem Kalkgebirg in Bezug auf Bodenfeuchtigkeit, und somit auf Frische und Fülle der Vegetation weit voraus ist. Ein glänzendes Beispiel höchster Verschiedenheit zweier Länder unter gleichem Klima bieten die Inseln Sardinien und Korsika, von denen die erstere aus Kalk bestehend, einen dürren, spärlichen, und die letztere, aus Granit aufgebaut, einen so quellfrischen, laubreiclien Charakter entfaltet.

Vermöge aller dieser Eigenschaften ist aber auch keine Stelle der Schweiz, ich wTage zu sagen Europa's, die in solchem Maasse die Forschung des Pflanzengeographen lohnt, als unser Tessin: es wirkt im Erforschen, im allmäligen Erkennen dieser so seltenen Thatsachen ein Zauber, mächtiger selbst als der Zauber der Schönheit, der ja diese Gegend zum grossen Theil denselben klimatischen Faktoren verdankt.

So viel über die erste, die Seezone unseres Ge- " bietes:

eine der ersten Perlen unseres Heimatlandes. Wir steigen nun empor in die Waldzone.

Kastanien sind es, welche sie wesentlich bilden, und Felsenhänge, verzweifelt steile und verzweifelt rauhe Felsenhänge, welche ihr Areal liefern. Denn die Sohle der Val Maggia zeichnet sich vor allem negativ aus, durch das Fehlen jeder Vegetation. Sind wir ja hier im Gebiet der kolossalsten Schuttbildung in den Alpen; Val Maggia und speciell Valle di Campo sind ja die Schmerzenskinder der schweizerischen Land-und Forstwirtschaft, und es ist wahrlich nicht abweg, dass die Tessiner Forstgenossen ihre cisalpinen Freunde heuer gerade nach Campo führen. Die Sohle der Maggia ist zwischen Locarno und Ascona reichlich zwei, und bei Losone immer noch über einen Kilometer breit. All' das ist bedeckt mit Felsenschutt, zwischen welchem im Sommer mäandrisch das klarste Wasser dahin sich schlängelt, jenes Wasser, das, sobald es sich in einer tiefen, stillen Mulde sammelt, im tiefsten Seladongrün prangt. Ich weiss diesseits der Alpen nur eine Stelle, wo gleich klares Bergwasser sich zeigt: es ist der " wunderbare Quellensprudel, der sich im Bett der Sarine, à la Tine, in den Greyerzer Alpen bildet. Und die von keinem Hauch getrübte Klarheit der Wasser ist ein Schmuck der Tessiner Thäler, der nicht hoch genug anzuschlagen ist, denn welches Leben so herrliche Farben: sei es in Grün beim fliessenden, sei es in Weiss beim schäumenden Wasser einer Landschaft mittheilen, ist leicht begreiflich. Und wenn, wie das bei der grellen Beleuchtung in so transparenter Luft stets der Fall, ein zum Grün complementäres Rosa dem Weiss des Wellenschaums sich beimengt, so lässt sich Schöneres gar nicht denken.

Dazu kommt die überraschende Mächtigkeit dieser Bäche sammt und sonders, welche überall in Wasserfällen erster Grösse,. in gewaltigen Stromschnellen wild bewegt zu Thal gehen, denn auch die Bäche nehmen natürlich Theil an der allgemeinen Steigerung der Niederschläge. Die Wasserfälle der Maggia sind bis jetzt namenlos und unbekannt, allein sie übertreffen an Wassermenge, oft auch an malerischer Umgebung manche der berühmtesten Collegen diesseits der Alpen. Man kann sagen, dass im Tessin Thäler und Thälchen zweiten, dritten und vierten Ranges lauter Bäche ersten und zweiten Ranges haben, verglichen mit den in der übrigen Schweiz waltenden Verhältnissen. Was Ueberfülle wildbewegten Wassers für einen überwältigenden Effekt hervorbringen kann, zeigt die Lage von Bignasco, des-Hauptorts im Thale ( 440 m, also blos circa 200 m über Locarno ). Dieses Dorf sitzt so zu sagen rittlings auf dem Vorsprang, der zwischen den hier zusammenfliessenden Thalbächen, der Bavona und der Lavizzara,. sich einkeilt. Jeder dieser Bäche, breit wie ein Fluss zweiten Ranges, in rasendem Lauf aufschäumend, tiefgrün, mit weissem Gischt bedeckt, dabei laut rollend und tosend: es ist ein Anblick zum Entzücken und man gewinnnt einen Eindruck von der Gewalt des sonst so schmeichelnden Elements, dass man sich fragt: wie muss es hier erst im Winter aussehen, wo selbst vorn bei Losone das ganze Bett der Maggia zum Rande gefüllt ist? Zwei kühne Brücken, wie man sie nur in Tessin sieht, dem Lande der steinzwingenden, uner- müdlichen Mauerarbeit, verbinden in stolzen Bogen die Landspitze von Bignasco mit den beiden Ufern, und man braucht nicht erst — wie es mir zu Theil wurde — dicht an einer dieser Brücken mit dem eidgenössischen Einspänner umzuschlagen, um überzeugt zu sein von der gefahrvollen Heldenarbeit, solche Brücken über solche Ströme zu schlagen!

Von oben blickt das breite Schneefeld des Basodin aus dem Bavonathal herein; der Bavonabach ist, entsprechend diesem grossen Quellenreservoir, bedeutend stärker als die Lavizzara. Beiläufig sei noch bemerkt, dass kaum irgend eine der grossen Hauptstädte Europa's eine Brücke aufweisen kann, wie die, welche die gewaltige Fiumara des Tessin zwischen Sementina und Bellinzona durchschneidet. Auf zehn Bogen, breit wie die grösste Heerstrasse, setzt sie in majestätischer, ruhiger Kraft über den ewig wechselnden, ewig grollenden Strom, und liefert ein Element der schönsten, wildesten und doch abgeschlossensten Uferlandschaft, wie sie malerischer wohl nicht wieder sich finden dürfte.

Wie diese Ströme auf ihre Grundlage wirken, davon giebt ein Blick vom Ponte Brolla hinab auf das etwa 70 m tiefe Strombette Kunde. Hier hat die Maggia die Terrasse anstehenden Gneisses durchschnitten, welche sich einst, in eben dieser Höhe von 70 m erhob. Der Rest sind einige Felsenblätter, durchsetzt von mehreren schmalen, senkrechten Rinnsalen: vollkommen kunstgerecht eingeschnittenen Kanälen von grosser Tiefe, glatten Wänden und scharfen Rändern. Die Rücken der Felsen, zwischen diesen Kanälen,

zeigen nun ganze Reihen tief eingebohrter, wie mit Meisseln ausgerundeter Mulden, deren Ränder zackig emporstehen! Welches Ungestüm, welche gewaltsam wirkende Kraft hier thätig war, ist nun kaum zu begreifen; eine Kraft, die sich nicht Zeit nahm, den Fels horizontal wegzureissen, sondern wild genug, um ruckweise, sprungweise zu wirken und seinen Rücken mit solchen tiefen Narben zu bezeichnen.

Wenn die Rede ist von den Verheerungen, welche die Wasser in Tessin anrichten, wenn dabei der schlechten Waldwirtschaft der Einwohner mit gerechtem Tadel gedacht wird, so ist doch eines nicht zu vergessen: es ist die ausnehmend hohe Verwitter-barkeit des Felsgesteins. Dieser geschichtete und dabei nach jeder Richtung und bis in 's Kleinste zerklüftete Gneiss und Glimmerschiefer hat eine unselige Neigung, sich in Fragmente aufzulösen, und auch bei besserer Wirthschaft könnten die Tessiner Thäler kein ganz erfreuliches Bild bieten. Dennoch ist es wahr, dass gerade bei der heikein Beschaffenheit der Thalgehänge doppelte Vorsicht nöthig gewesen wäre. Denn gerade die Sohle von Maggia ist noch vor vierzig Jahren an vielen Stellen grüner Wiesengrund gewesen: heute trostlose Fiumara fast überall. Nur wo das Thal eine stärkere Ausweitung zeigt, dehnen sich auch heute noch in der Bucht lieblich grüne Gründe aus. So bei Maggia und wieder bei Someo. Alsdann gewinnt das Thal eine hohe Schönheit, und mahnt lebhaft an jene edle Stelle im untern Bergell, in der Gegend von Plurs, denn es steigen die Dörfer empor aus üppigem Grunde voll Reben und Mais, und es wölben sich die Berge im dunkeln Grün der Kastanien, und es ragen die mächtigen Gräte der Cremlina und Malura, und es fallen von nah und fern Cascaden über hohe, zum Theil senkrechte Flühe:

alles mithin vereinigend, was irgend ein Bergthal zieren und schmücken kann.

Und die Dörfer sind schmuck und echt italisch in Bau und Farbe: beliebt ist ein Porticus, in reicher Sculptur und bunter Bemalung prangend, der wie ein kleiner Triumphbogen frei dasteht, und hinter dem sich erst, durch einen weiten Hof getrennt, das Haus mit Gesimsen und eleganten Fensterstürzen erhebt. Das Haus umschliesst den offenen Hof, den säulen-getragenen Cortile, wie überall in Italien und Spanien und weit in den Orient hinein. Und wenn man eintritt in das Erdgeschoss. so liegt etwa die neueste, eben angekommene Nummer des « Journal de Californie » auf dem Tisch. Denn hier wandern die Männer in Masse aus, nach dem Italien der Neuen Welt, und freuen sich dann, heimgekehrt, wieder ihres Thales und der Erinnerung an den fernen Westen.

Das eigentliche Stammdorf des ganzen Maggiage-biets scheint aber Cevio, namentlich wenn man seine Kirche betrachtet. Eine originellere Anlage von Hauptgebäude, davon getrenntem Campanile und hallenartig umbautem Camposanto ist mir wenigstens nirgends vorgekommen. Das Ganze hebt sich ab von einem riesenhaften Bergsturz und prachtvollen Kastaniengruppen und es führt dazu eine breite, durch dicht stehende Pfeiler gegen das Eindringen des Viehes geschützte Freitreppe. Hier sind Feldzäune aus den zu allem Dienst so geeigneten Gneisstafeln zu sehen, die ganz nach Art einer hölzernen Einfriedung aus vertikalen Stöcken bestehen, durch deren durchbohrtes oberes Ende eine horizontale Brüstung läuft.

Welch ein Luxus war 3 das in einem Lande, wo der Stein weniger gefügig, und die Menschen keine gebornen Maurer sind!

Auch Sornico, höher oben, schon bei 800 m, ist sehr eigenthümlich und bietet eine sehr alte Kirche, deren Absis mit zwei höchst originellen und uritalischen bemalten Seitenkapellen in Rundbogen geziert ist. Die Fresken sind von 1640. Neben der Kirche steht die Banca, das alte Gerichtshaus des Distrikts, an dem das Halseisen ( Gogna, Berlina ) nicht fehlt. Rundum ein Conglomérat uralter, zum Theil mit Wappen und Baikonen gezierter Steinhäuser.

Hie und da, wenn auch seltener als in Wallis, sieht man die hölzernen Scheunen auf Steinpfeilern stehen, welche in Pilzform nach oben mit breiten Steinplatten versehen sind, zum Schutz gegen die Ratten und Mäuse. An Wallis mahnen auch die Oefen aus Giltstein, Pietra ollare, den man im Val Bavona bricht.

Bei den Dörfern finden sich in den Klüften der Bergstürze, zwischen den riesigen Steinblöcken die Keller der wohlhabenden Bürger. Aus Felsplatten aufgebaut, erheben sich primitive Tische und Bänke am Eingang der Höhlen, und man geniesst hier mit urkräftigem Behagen, inmitten der phantastischen Felsenwelt des edeln Weins der gastlichen Tessiner. Die wilde Romantik der Umgebung, die Liebenswürdigkeit der Menschen, der Duft des dunkeln Weines von Alba, die magischen Lichter der Abendsonne durch goldenes Kastanienlaub, der rauschende Bach zu Fussen: alles vereinigt sich hier, um — sei es auch nur für einen glücklichen Moment — den Geist conventioneller Fesseln zu entheben und wieder einmal in jugendliche Schwärmerei zu versenken.

Solche Eindrücke gehören unbedingt mit zum Verständniss dieses Landes, des Landes, an das sein grosser Dichter dachte als er sang:

La gloria di Colui, che tutto muove, Per l' uni verso pénétra e risplende, In una parte più, e men'altrove.

In Bignasco ist ein gutes Unterkommen beim Sgr. Giovan Angelo del Punte. Wir machten Mager mit den hier häufigen Trotte, den schwarzen Forellen dieser Bäche, einer Insalata aus Cichorie, duftend von reichlichem Aglio ( Knoblauch ), mit Eiern und schliesslich der Minestra, von hartem Reis an einer langen Brühe, in welcher Kräuter schwimmen.

Die Frauentracht zeichnet sich in Valle Maggia aus durch ein kleines Schirmdächlein aus gef iltelter Leinwand, das die Haube umgiebt. Es ist nicht selten, die Frauen im Wandern auf der Strasse am Rocken spinnen zu sehen. Lasten pflegen hier die Frauen zu tragen; unser nicht leichtes Gepäck trug Oliva, die Magd des del Punte, ganz wohlgemuth bis Fusio hinauf; nie stand ihr der Mund still, und sie hatte beim Beginn der Reise nichts Eiligeres zu thun, als ihre Holzsandalen auszuziehen und sie in der Hand zu tragen, indess die blossen Füsse, die in Strümpfen ohne Vor fuss stecken, wacker vorwärts schritten.

Die Kastanienregion geht in Valle Maggia hinauf in den untern Theil von Val Lavizzara; bis zu der ersten grossen Terassenböschiing, welche ob Peccia dem bis dahin sehr allmälig ansteigenden untern Thalabschnitt von Lavizzara ein Ende macht und das Thal zur zweiten Bifurkation:

in die Valle di Peccia und die Valle di Fusio veranlasst. Selbst noch an dieser mächtigen Terrasse klettert ein uralter Kastanienwald empor, der als Bannwald das Dorf Peccia schützt; die Grenze der obersten Bäume wird ziemlich genau 900 m erreichen. Ich sah kaum je dickere, gedrungenere und wetterfestere Bäume dieser Art; sie stehen über und zwischen Felsblöcken von Häusergrösse; ihre Stämme sind an der Basis überwallt mit knolligen Auswüchsen gleich den ältesten Oelbäumen der Riviera von Genua; ein Baum, den ich mass, hatte in Brusthöhe 45 Fuss Umfang, und die meisten sind ungefähr gleich gross. Der Kastanienwald nun ist belebt durch eine reiche Fülle von blühenden Kräutern, worunter manche eigenthümliche. Eine lieblich rosenrothe Nelke ( Dianthus Segnierii Vill. ) blickt überall daraus hervor, so auch gelber Ginster: Sarothamus und Cytisus nigricans; ersterer bis Fusio 1280 m, letzteres bis ob Peccia, 850 m steigend; die herrliche Veronica spicata in einer ästigen Varietät, die hellblaue Jasione montana, bei Cevio das Galium pedemontamum, al Cantonaggio ob Bignasco die mächtige Dolde Molopospermum cicutarium DC, und nach oben schon die Astrantia minor. Reichliche Brombeeren ( Rubus amoenus Port, mit hellpurpurnen Blüthen ) bilden mit der Waldrebe Dickichte am Wege; Rosen sind in dieser Region selten und nur etwa die R. rubiginosa L. v. comosa Ripart steht einzeln hie und da. Von Maggia ( 380 m ) an tritt auf den Geröll- halden neuere Datums, welche von der Kastanie noch nicht besiedelt sind, häufig die Birke auf, und bildet innerhalb der Kastanienregion Wäldchen.

Einzeln ragen hie und da Eschen empor.

Mais und Gelso, Rebe und Feige steigen mit den Dörfern hinan; die Rebe bis Cavergno 450 m, der Maulbeer bis Broglio 728 m; allein die immer schroffem, immer trümmerreichern Hänge lassen eine Kultur auf breiterer Basis seit Bignasco nicht mehr zu. Auch der Buchweizen, die Faina, ist hie und da zu sehen, der zur Bereitung einer Polenta dient.

Peccia's Lage ist fesselnd und schön. Zwar herrscht das Steinige, Zerrüttete weit vor; allein der Einblick in das Val Peccia, aus dem die Kirche von Cortignelle von grünem Vorsprung herabglänzt, und das von den sonderbaren etwas an den Besso im Einfischthal mahnenden Punta die Braga ( Braga heisst auch, gleich Besso, Gabel ) überragt wird, überrascht uns nach dem langen Gang in dem bisher stets geschlossenen Thal; man fühlt, dass man der Alpenregion entgegendringt. In der kleinen Valle di Peccia findet sich der hochnordische Farn Woodsia ilvensis nicht selten. Steigt man nun über die schon besprochene Peccia-Terrasse ( Salita di Peccia ) auf den unzähligen Windungen der für ein so wenig bevölkertes Thal im Herzen der Tessineralpen wirklich anerkennenswerthen Poststrasse hinauf, so folgt auf den Kastanienwald ein lichtes Gehölz von Erlen, welche, sehr gegen die Gewohnheit dieser Bäume, auf den mächtigen Felsblöcken dieser Halde sich wiegen. Wieder ein Beweis des feuchten Klima's, das einem Baum, der bei uns die sumpfigen Wiesen sucht, einen Standort gestattet, auf welchem wir höchstens verkrüppelte Föhren suchen würden.

Diese Erlen sind aber namhaft verschieden von allen, mir bisher bekannt gewordenen Formen: schon der völlig weissgraue Anblick der Gebüsche zeigt dies von Weitem. Sie unterscheiden sich von unserer Alnus incana DC durch Kleinheit aller Theile, namentlich der Fruchtzäpfchen, durch breitere, stumpfere Blattform, durch eine durchaus weissfilzige Blattunterfläche, deren Nerven mit silbernen Haaren umkleidet sind, und eine graue, stark silber-haarige Oberfläche, sowie durch tiefe Falten der Blatt-spreite zwischen den Nerven, gleich dem Blatt von Carpinus. Fruchtstiele und junge Zweige sind grau-filzig. Der Stamm ist hellgrau, glatt, bis 15 Fuss hoch, straff aufrecht. Es liegt hier eine neue jener Erlen-formen vor, an denen das südliche Europa ziemlich reich ist. Schon unten, vor Cordevio, sind wir an einer sonderbaren Zwergform der Alnus viridis ( Alnus Brembana Rota ) vorbeigegangen, die auch am Camoghé wächst und daselbst in die gewöhnliche Form übergehen soll. Allein auf der Trümmerhalde von Peccia fehlt jeder Anklang an die gewöhnliche Incanaform. Ich nenne daher diesen schönen Baum bis auf weiteres Alnus incana var. sericea und empfehle ihn dem Blick anderer Beobachter.

Haben wir endlich die obere Thalstufe gewonnen, wo die Strasse wieder eben fortläuft, so sind wir auch in die subalpine Höhe eingetreten, und es umwehen uns die Lärchenbäume, die hier die Tanne unserer Gebirge vertreten. Das erste Lärchenbäumchen an der Strasse steht auf dem gewaltigen Bollblock Sasso del Diavolo, ob Broglio, 750 m, mit welchem es, oder sein Vorfahr, ganz so aus der Höhe herabgefahren ist, wie etwa das Asplenium septentrionale auf Granitfindlingen im Jura.

Jener Sasso ist übrigens ein Unicum: ein loser Block von der Höhe unseres Münsters.

Zugleich auch tritt mit der Lärche in mächtigen, uralten Exemplaren von hoher Schönheit die Buche auf. Dieses Zusammentreten der beiden, sich sonst fliehenden Bäume ist für diese oberen Tessinerthäler eine landschaftlich sehr hoch anzuschlagende Eigenthümlichkeit, und mir nur etwa im vordem Prättigau vorgekommen. Auch im Unter-Engadin sollen beide Arten sich zusammenfinden. In Wallis, im innern Graubünden scheint eigentlich die Lärche die Buche auszuschliessen; schon Wahlenberg hat dies ( 1816 ) bemerkt und diese Erscheinung von der besondern " Trockenheit der Centralalpen hergeleitet. In der That zeichnet sich das buchenlose Wallis durch lange trockene Sommer, und das ebenfalls biichenlose centrale Graubünden, das schweizerische Tibet, durch ein besonders gesteigertes Plateauklima aus. Es scheint mithin, dass die Alpen Tessins auch in dieser Eigenthümlichkeit -des gemischten Buchen- und Lärchenwaldes die relativ hohe Feuchtigkeit des Klima's der Südabhänge zur Erscheinung bringen. So mächtig und schön sind einzelne dieser Buchen, dass unter Fusio mit spezieller Erlaubniss der Regierung entgegen dem Strassengesetz ein solcher Baum stehen bleiben durfte, obschon er die Strasse beschattet, was gewiss in dem nicht gerade durch Sentimentalität für die Wälder glänzenden

Tessin etwas sagen will.

26 Bald öffnet sich das reizend grüne Wiesenbeckei* von Mogno ( 1143 m ) und wir sind inmitten der schönsten subalpinen Vegetation.

Hier wächst nicht selten die schöne Achillea tanacetifolia, allgemein bekannt vom Monte Generoso; und eine Varietät dieser Form ( stricta Schleich .) mit schmalen, kahlen Fiederlappen, welche-den Uebergang zur A. Millefolium zu bilden scheint. Dann die Rosen Reuteri God.; abietina Gren .; rubrifolia Vill.; R. pomifera Herrn, in ihren var. recondita, Grenieri, Friburgensis sind häufig, so sehr, dass die getrockneten Früchte, Ballerini, im Patois frutti di Rovedi gemahlen und als Farina di Bescul den Schweinen gefüttert werden; in den Hecken von Mogno dominirt die herrliche, ganz haarlose und auch auf der Blatt-untcrfläche drüsenlose R. Franzonii Christ, ebenfalls zur Gruppe der Pomifera gehörig, und bisher nur hier gefunden. Um die Hütten selbst ist häufig eine mir bisher noch ganz unbekannte, spiegelnd glatte Dolde von hohem Wuchs, die ich zuerst für Pleurospermum ansah: das Cliœrophyllum lucidum, nur diesen Südalpen angehörig und ", von den neuen Floristen ganz ignorirt. Die südlichen Kulturgewächse sind nun verschwunden; dafür grünt an allen Mauerritzen der feine Farn Allo-surus crispus Bernh., ein Wahrzeichen des Gotthard-gebirgs; aber immer noch klebt hie und da Asplenium Breynii der tiefen Region. Am Wege steht Hieracium staticefolium Vill., im Wasser Saxifraga stellaris; an den Felsen sind schon die echten Centralalpenpflanzen Laserpitium hirsutum, Phyteuma Scheuchzeri, Erysimui » helveticum, Primula viscosa, Astrantia minor, Galeopsis intermedia Vill., Bupleurum stellatum üppig in Blüthe,

letztere, sonst so sparsam auftretend, hier ganz reich verästelt und in grosser Menge, den Namen Gamuccina ( Gemsenkraut ) führend.

In dieser Region scheint die Viper gemein, wenigstens liegen deren Leichname hie und da am Wege. Auch eine sehr schöne hellbraune, schwarz gezeichnete Natter mit dunkelblauem Bauch und gelblichem Schwanzende fiel uns bei Peccia auf. Lieblichere Gefährten sind die zahllosen Falter, von denen namentlich schöne Euprepise, dann Apollos, vor allem aber die reizende Lycsena virgaurese in 's Auge fallen, die gleich Feuerfunken alle Blumen belebt.

" Wieder gilt es, aus dem Becken von Mogno über eine Böschung emporzusteigen, und wir gelangen zum letzten Dorf der Valle Lavizzara, Fusio. Mit einer letzten Prachtbrücke endet hier die Poststrasse würdig.

Fusio ( 1180 ffi ) hat den Charakter der subalpinen Dörfer der Südalpen; hier findet man nicht mehr den schönen, Säulen umstellten Cortile des tessinischen Hauses; Blockhäuser mischen sich unter die düstern, kleinfenstrigen Steinhäuser; das Ganze ist dicht gedrängt um eine primitive Kirche. Aber der Ort ist geschmückt durch einen wahrhaft reizenden Fall der Lavizzara dicht unter der Brücke, und dicht unter dem an die Brücke gelehnten, wohnlichen Hause des Sgr. Dazio, des Telegraphen- und Posthalters und Gast-wirths, bei dem man gut aufgehoben ist. Aus den Fenstern blickt man staunend hinab, in den dunkeln Schlund und die donnernden Wogeiimassen des Falles, in dessen Schaume der Regenbogen zittert. Gleich ob dem Dorf fällt vom Campolungo herab ein zweiter grösser und überaus malerischer Fall ins Thal, dem eine kleine Sägemühle als Staffage und Massstab dient.

Yon dem üppig grünen Wiesenplan heben sich zerstreute Lärchenwälder gegen die dunkeln Gneisstöcke, deren Formen im Einzelnen wenig Eindruck, im Ganzen aber eine hochernste, alpine Stimmung hervorbringen; Schnee klebt überall reichlich an Gräten und in Mulden, ewiger Schnee jedoch wohl keiner im ganzen Gesichtskreis. Wir sandten von hier, aus dem innersten Centrum der tessinischen Alpen einen telegraphischen Gruss in die Heimat; es ist ein Ruhm der Schweiz, die Wohlthat des Draths den letzten Dörfern dieser noch so einsamen Thäler gewährt zu haben. Bereits aber finden sich im August an die 40 Sommergäste, Bürger aus dem tessinischen Tiefland bei Sgr. Dazio zusammen.

Hier sind wir nun inmitten der subalpinen Vegetation: Yeratrum ( Yaledri genannt ), Cirsium heterophyllum, Paradisia Liliastrum, Lilium Martagon, Centaurea Jacea L., var. alpestris Heg. bedecken die Wiesen, und dabei häufig die Dolden Imperatoria obstruthium L., Laserpitium latifolium und das südalpine grün-blühende L. luteolum Gaud. des Monte Generoso, völlig kahl, etwas verschieden von dem L. Gaudini Moretti des Engadin; Streptopus amplexifolius findet sich an offenen Quellen, sonst in der Schweiz nur in tiefem Schatten; Gentiana utriculosa ist häufig; an Rosen sind alpina, abietina und eine prächtige tiefdunkle Reuteri nicht selten; die Semperviven breiten sich sehr aus, und es treten sehr grosse, bisher ganz ungewohnte Formen der Arachnoideum-Gruppe, wahrscheinlich neue Arten auf, die ich zur Kultur mitnahm.

Roggen, Kartoffeln, Flachs, Gartengemüse gedeihen natürlich in dieser Höhe noch vorzüglich. Im Getreide kommt eine unwillkürliche Aussaat, die südliche Gra-minee Cynosurus echinatus L. vor, und bis in diesen abgelegenen Alpenwinkel fehlt jenes erst seit zwei Jahrhunderten eingeschleppte amerikanische Unkraut: Erigeron Canadense nicht.

Gleich ob Fusio beginnt ein Alpweg in den hintersten Grund des ganzen Maggiathals: zur Alp Naret. Wieder wechselt eine wilde Klamm mit einem langen, ebenen, sandigen Boden, von dem eben erst der See abgelaufen zu sein scheint. Die Klamm bietet ein herrliches Bild wilder Felsen und reicher Waldvegetation: hier wiegen sich zusammen Saxifraga Cotylédon und Hieracium albidum im stäubenden Wasser. Hier auch ist eine der wenigeren Stellen, wo die Rothtanne ( Pinus Picea du Roi ) vorkommt. Der Thalboden aber ist monoton, überführt mit unendlichem Geschiebe; einzelne mächtige Lärchen, in Candelaberform getheilt, stehen hin und her als Reste des Waldes, und die Halden, an denen jetzt noch Lawinenschnee klebt, sind trostlos öde. Am untern und obern Ende liegen die Alpdörfchen Sambucco und Corte, ärmlich und verlassen. Die alpine Vegetation beginnt. An der 5 ° R. warmen Lavizzara findet man, herabgeschwemmt aus den Höhen, Achillea moschata, die Erba Leva der Tessiner, und von ihnen als Thee gesammelt; und Achillea nana, Astragalus depressus in Frucht und eine noch nicht beschriebene Euphrasia ( Gruppe officinalis L. ) mit grossen einfarbig goldgelben Corollen. Im Sande des Flusses wachsen Carex leporina und frigida,

Juncus älpinus, Scirpus Bseothryon, Triglochin palustre. In den letzten Wiesen steht reichlich Centaurea nervosa Willd., und wo die Felsen daraus hervorragen, leuchtet der glühende Purpur des Dianthus carthu-sianorum L., var. atrorubens auct. non All. Aber immer noch folgt uns bis reichlich 1600 m Galium rubrum L. der insubrischen Hügelzone. Solche Erscheinungen sind für den Pflanzengeographen inmitten der allgemeinen Centralalpenflora äusserst anziehend: sie geben dem Revier sein lokales Gepräge. In diesen Höhen wandelt sich aber theilweise das trübe Weinroth der Blüthe in weiss, ( Gr. obliquum Vill. ) gerade wie die Tagfalter aus der Gattung Hipparchia in den Alpen oft ihr Braun in Weiss verwandeln.

Das Gestein ist immer und immer Gneiss, bald dicht und dickschiefrig, bald stark glimmerhaltig und dünnschiefrig ( Glimmerschiefer ), ob Corte herrschen grosse Quarzabsonderungen vor, die ebenfalls der Schichtenlage folgen; ganz helle Stücke von grösser Schönheit, auch mit einigen Krystallflächen sind nicht selten; ebenso einzelne Granaten.

Im Bett der Lavizzara fand ich, ausser diesen Gesteinen, nur noch eine weiche, schiefrige schwarzgrüne Chloritmasse vereinzelt auftreten. Hinter Sambucco wird das Thal immer baumloser und der Pfad führt mehr oder weniger ansteigend zu der grossen Alp Campo alla turba ( Torffeld ), wo die Hochgrenze erreicht ist. Die Hütten liegen im Schutz eines Hügels bei 1725 m Höhe. In einem scheinbar hochalpinen Circus dehnt sich hinter dieser Alp der Kamm des Gebirges, welches Val Lavizzara von Bedretto scheidet.

Ich sage scheinbar hochalpin, denn jetzt noch ( 28. Juli} sind all diese, doch nirgends 3000 m erreichenden Höhen tief und allgemein mit Schnee bedeckt, selbst die obersten, sonst mit Seen geschmückten Becken der Hochalpen starren unter meterhoher Schneedecke. In den felsigen, niedrigen Tessiner Alpen würde man dies, ohne Kenntniss der klimatischen Eigenthümlichkeit der Südalpen nicht für möglich halten. Immerhin ist zu bemerken, dass sich der Winter 1872/73 durch ganz besonders reichliche Niederschläge auszeichnete.

Hinter Campo alla turba setzten wir unsern Gang fort über grasige Hänge voll Phyteuma hemisphsericum, Pe-. dicularis tuberosa und prächtiger Semperviven schwankend zwischen Montanum mit schmalen pfriemlich zugespitzten, und zwischen Arachnoideum mit breitspateligen Petalen; bald erschienen blühende rostfarbige Alpenrosen jenseits der Lavizzara ( linksseitig ) in ganzen Halden, und eine fernere steile Querböschung ( die vierte von Peccia ) bringt uns über die abschüssigen Schneefelder hinauf zur vorletzten Stufe: zu den Forne sotto Naret. Hier war tiefster Winter, von dem See keine Spur: Alles in gleichförmiger Schneehülle, an « deren Rande, wo die Sonne mächtig genug war, eben die schönen Anemonen sulfurea und vernalis in erster Blüthe standen; Gentiana acaulis guckte eben auch erst hervor.

Nur an den freien Felswänden der steilen Salita war etwas mehr Leben: Leontopodium mit seinem steten Begleiter Aster alpinus. aber noch nicht aufgeblüht; Saxifraga oppositifolia, Achillea atrata.

Um Naret und dessen Alphütte und See zu ge- winnen, hätten wir noch eine fünfte Schwelle zu übersteigen gehabt, allein zwecklos war die Wanderung bei dem Alles verbergenden Schnee.Von einem Gewitter,, würdig der Südalpen, gepeitscht, ging es abwärts;

wer die hochalpine Flor der Naretgräte studiren will, mus& sich später als ich auf den Weg machen: er wird da nach Mittheilung des Hrn. A. Franzoni Statice alpina Hoppe finden, wohl auch die am nahen Campolungo vorhandenen Primula longiflora All. und Viola Thomasii Perr. et Song., Juncus Jacquini Sm. und andere Seltenheiten. Selbst hier oben kommen die Gebirgslinieii nicht einmal denen der Gotthardketten gleich; auch der Campo Tencca ( 3044 m ), dessen lang abfallender Grat den Abschluss abwärts nach Südost bildet, fällt höchstens durch die gewaltige Länge des Abhangs,. nicht durch seine Gipfel auf. Dennoch ist die Physiognomie des Ganzen höchst wild, tief einsam, und das Gefühl, im Centrum eines weiten Alpenmassivs zu seinr drängt sich uns überall auf: wo irgend ein Ausblick möglich ist, wird er durch neue und immer neue Gräte-in unbekannte Fernen hin geschlossen. Dies bildet eine » Hauptzug dieser Alpen: man fühlt sich wie verloren zwischen unzähligen, wenn auch nur massig hohen Ketten.

Eine traurige gedankenweckende Ruine dehnt sich quer durch die Lavizzara unter Campo alla turba: die Serra, eine mächtige, aus Stein und Holz erbaute Schleuse, welche dazu diente, die Wälder des nun so viel als kahlen Thales abwärts zu flössen. Mittelst der Schleuse wurde das Gewässer zu einem kleinen See gestaut, der dann, losgelassen, die Stämme thal- abwärts führte.

Hier oben die Ursache, drunten im Thalgrund die Wirkung: es ist das alte Lied von der Durance bis in 's Unter-Engadin.

Eine schöne Scene wartete unser, als wir am Abend zur Alpe Campo alla turba hinabstiegen. 180 Kühe und eine noch weit grössere Herde von Ziegen standen, streng gesondert, die erstem auf dem weiten Weidegrund, letztere auf dem Felshügel ob der Alpe. Die Kühe sind alle thierfarb, Mein, selbst noch etwas feiner und kleiner als die Ober-Walliser. Die Ziegen schienen mir die auch bei uns herrschende Race. Um die Hütten lagerten, begraben in Schmutz, die in allen Südalpen, bis zu den Thälern ob Nizza, üblichen schwarzen Schweine in einem so scheusslichen Klumpen, wie mir kaum je vorkam. Nachdem diese furchtbare Verschanzung glücklich überstiegen war, fanden wir die Hütte selbst geräumig und nicht unreinlicher als andere, und die Milchprodukte: Seruda Sufi, Scoccia Schotte, Mascarpa Zieger, Crema ( hier für Fiore di latte ) Rahm ganz besonders rein und würzig schmeckend. Namentlich der Zieger schien an Fettigkeit und Süssigkeit besser als ich ihn je genossen; auch ohne Zuthat von Milch war er sehr zu loben. Der Käsekessel, la Caldaja, hat nicht die bauchige Form, wie bei uns, sondern stellt einen abgestutzten Kegel dar. Marmotten fangen hier die Hirten viele; auch wir hörten häufig ihr Pfeifen.

Auf der Rückkehr nach Fusio, in der durch den Gewitterregen gekühlten Abendluft, ging trotz dem herben, öden Charakter dieser Gegend uns all der unendliche Reiz südlicher Abendbeleuchtung auf, den Tyndall in der Schilderung seiner Weissthorfahrt von Macugnaga rühmt und ihn auf ein ganz besonderes Fluidum zurückführt, das in der italienischen Luft sus-pendirt sei.

Ich rechne nun dies Fluidum zu den ver-schiedentlichen geist- und phantasievollcn, aber etwas gewagten Thesen des berühmten Physikers, allein so viel ist richtig, dass in den Südalpen die Sonne, wenn sie scheidet, die düstersten Gebirge mit einer Lebens-gluth durchhauchen kann,, die man gesehen haben muss, um sie für möglich zu halten. Ich bin geneigt auch diese unendlich herrlichen Lichteffekte eben dem Verein von starker Insolation und reichlicher Luftfeuchtigkeit zuzuschreiben, die ich als unterscheidenden Zug dieser Gegend annehme und deren Spuren in den einzelnen Erscheinungen nachzuweisen ich mich bemühte.

Fassen wir, am Ende unserer Umschau angelangt, die hervorstechenden Züge dieses insubrischen Ve-getationsgebiets zusammen. Ich nenne so, nach Gaudins Vorgang, die Eegion, welche die vom Kamm der Centralalpen nach Süden abfallenden Thäler nebst dem Berg- und Hügelland um die italienischen Seen umfasst. Gleich einem grossen Spalier an die Alpenwand gelehnt, ist sie geschützt vor den Nordwinden und ebensosehr der starken Insolation offen, als sie die ungeheuren Niederschläge empfängt, welche dem italischen Tiefland nicht zu gute kommen. An diesen Südabhängen strömt die Wassermasse, die dem Mittelmeer, ja wohl auch den fernem Meerestheilen der atlantischen Region durch Verdunstung entflieht, in unendlicher Fülle nieder, und begabt das Land, das zugleich eines milden Winters und eines langen, warmen Sommers geniesst, mit ambrosischer Frische.

Dies ist der Grund der Vegetationsfülle, die uns hier entzückt. Daher auch treten hier einzelne südliche Typen auf, welche in Nord- und Mittelitalien fehlen; daher hat die insubrische Vegetation ein südlicheres Gepräge als die lombardisch-piemontesische Ebene. Aber eben diese Feuchtigkeit verstattet auch ein, in andern Gebieten unerhörtes Zusammenwohnen der Berg- und Alpenpflanzen mit den südlichen Formen, ja ein Herabdringen der subalpinen Torfbildung bis in die Zone der Gra nate. Der Reichthum wird noch gesteigert durch das Vorkommen vieler Pflanzen, welche zwar anderwärts im gemässigten Europa auch vorkommen, aber doch in der übrigen Schweiz fehlen.

Und es kann dieses Gebiet zu dem Allem noch die Bedeutung eines Vegetationscentrums für mehrere, nur hier vorkommende Arten ansprechen; ja auch die Erscheinung von Vegetationscentreii, die auf einen einzigen Standort lokalisirt sind, beginnt bereits hier aufzutreten; eine Erscheinung, nach der wir uns in der übrigen Schweiz, ja, wenn ich nicht sehr irre, im ganzen übrigen Europa nördlich von der Alpenkette vergeblich umsehen.

Gehen wir in die Thäler unserer Region hinauf, so zeigen sich, obschon die Arten ändern, bis zur Alpenregion im Ganzen dieselben Phänomene. Als eigenthümliche Region sondert sich aus die der Kastanie. Das Zusammentreffen der kontinentalen trockenen Lärche und Birke mit der Feuchtigkeit liebenden Buche und Rothtanne ist ebenfalls als eine, sonst in den Schweizer- Alpen seltene, für dieses ebenso stark insolirte als feuchte Alpengebiet charakteristische Combination zu erwähnen.

Die alpine Vegetation endlich ist die der Centralalpen, des Gotthardstocks, mit einzelnen, für die Südhänge dieses Gebirgs bezeichnenden Formen ( Armeria alpina Hoppe etc. )

Betrachten wir die Höhengrenzen der Arten, so zeigen sich eher niedrigere Zahlen, als wir erwarten könnten; Zahlen, die hinter denen des trockenen Wallis und des Engadins weit zurückstehen. Die Schneeregion ist auf der Tessiner Seite der Alpen eine sehr ausgiebig entwickelte, wenn wir die geringe Höhe der Kämme berücksichtigen. Denn die Niederschläge, auch in Form des Schnees, sind überaus stark. All' die Gräte zwischen Formazza, Bavona, Lavizzara, Leventina, Blegno, obschon im Mittel nur 2500 m hoch, zeigen Ende Juli noch reichlich Schnee, wovon ein gewisser Antheil ewiger Schnee, und Basodin, Fiorina, Cristallina, Campo Tencca, obschon nur 3000 m hoch, zeigen bedeutende Hochfirne. Im Wallis und Engadin muss man schon um 500 m höher gehen, um analoge Schneeanhäufungen zu treffen. Und die Zahlen für die hervorragendsten Pflanzen gestalten sich für

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Val Maggia also:

Cistus salvifolius L. ob Madonna del Sasso390 m

Rebe bei Cavergno450 »

Maulbeer bei Broglio... 750 »

Kastanie bei Peccia...... ...900 »

Buche bei Fusio1300 »

Roggen bei Fusio1300 m

Lärche untere Grenze vor Prato.. .780 »

» obere Grenze ob Sambucco. .1750 »

Rothtanne ob Fusio1360 »

Alpenrose untere Grenze bei Orsellina .300 » » obere Grenze ob Campo alla

Turba......... .2100 »

Saxifraga Cotylédon untere Grenze bei

Solduno 200 »

» » obere Grenze mit«

Leontopodium unter Naret2100 »

Anemone vernalis vor Naret.... .2200 »

Halten wir neben diese Zahlen entsprechende für " Wallis:

Opuntia vulgaris ob Sitten.... .500 m

Rebe bei Stalden....... 834

Kastanie bei Fouly. 600

Buche am Chemin1200 »

Roggen im Nikiaustha11650 »

Lärche untere Grenze,.,.... .1000 *

» obere Grenze2300 »

Alpenrose untere Grenze1620 »

» obere Grenze2300 »

Anemone vernalis ob Zermatt 2600 »

Die Depression der Tessiner Grenzen, ausser bei der Buche und Kastanie ist augenfällig.

Aber auch hier liegt der Grund in der in Tessin weit grössern Feuchtigkeit. Gleich wie die Gletscher des Himalaya wesentlich auf dessen Südseite liegen und der Pflanzenwuchs daselbst schon bei 4000 m aufhört, während das trockene tibetanische Plateau bis zu dieser Höhe und höher noch Getreidebau hat, ganz so steigen im trockenem Wallis gegenüber dem feuchten Tessin die obern Grenzen.

Dass die Kastanie und die Buche in Tessin höher gehen als in Wallis, hängt mit der eigenthümlichen Natur dieser Bäume zusammen. Beide fliehen die Trockenheit, und können in einem feuchten Klima auch bei niedrigerer Temperatur, also in grösserer Höhe ausdauern, als wo sie diese Lebensbedingung nicht finden.

Damit habe ich nun, wenn auch in kurzen und fragmentarischen Zügen, ein Bild angestrebt von der Vegetation dieses herrlichen Berglandes, welches in so raschem Uebergang die rauhe alpine Natur mit der weichen italischen vermittelt. Möge es den Clubgenossen einen kleinen Bruchtheil des warmen Interesse mittheilen können, welches mich an dieses ohne Unterlass sprossende und treibende Pflanzenleben, an diesen grossen Garten Gottes « am Fuss der Berge » fesselt.

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