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VergleichVon otfo Büchi

( Bern ) Grauer Nebel hat sich in der Häusergruppe des kleinen Bergdörfchens festgesetzt, und kein Wind will den ungebetenen Gast vertreiben. Verdrossen sitzen Ferienleute hinter zer-lesenen Zeitschriften und Broschüren. Ab und zu hebt einer den rot-weiss gemusterten Vorhang und späht in das düstere, regnerische Draussen. Sein Bericht ist nicht verheissungsvoll. Obschon die letzte Etappe einer Ferienwoche ein unausgeführtes Projekt bleibt, sind wir zufrieden. Haben uns nicht Berge, auf die keine überlaufenen Moderouten führen, schöne Sonnentage geschenkt? Im Glase perlt der herbe, einheimische Wein, und jeder hängt still seinen Gedanken nach. Viele Eindrücke haben wir gewonnen, die zu verarbeiten und einzuordnen nun genügend Zeit bleibt.

Mit schweren Säcken sind wir über einen Grenzpass gewandert. Noch gilt es, den letzten Anstieg aus dem fremden Tal zu meistern, dann ist das Tagesziel erreicht. Erbarmungslos brennt die Sonne im steilen Hang auf die gebeugten Nacken. Kein Wasser, nicht das dürftigste Rinnsal, fliesst zu unserer Erfrischung. Die Technik hat alle Wasserkräfte in den Dienst des anspruchsvollen Menschen gestellt. Tief unter uns zieht eine Betonmauer ihren nackten, grauen Strich durch das Tal. Dahinter liegen gebändigt die Wasser, die früher munter über Steilstufen zu Tale schössen. Nur ein kleiner Faden schleicht, träge von Menschenhand in Steindämme gezwungen, durch das vom Surren der Automotoren und vom Knattern der Motorräder erfüllte Hochtal. Noch hat die Technik auf ihrem Eroberungszug keine Grenze gefunden, denn selbst aus den Gletscherregionen hallen Detonationen der Sprengladungen herüber. Trotz allem Verständnis für diese Arbeiten tun uns die schweren Eingriffe in die Natur weh. Die Gewissheit, bald im Rifugio Unterschlupf zu finden, lässt die drückende Last auf unseren Schultern leichter erscheinen und hoffen, dass die Hüttenmauern dem unsteten neuzeitlichen Leben ein gebieterisches Halt befehlen...

Ein umfangreicher Motorfahrzeugpark ums Rifugio und die in der Eingangshalle untergebrachten Motorräder lassen uns wenig Erfreuliches ahnen. Die Bar, dotiert mit der üblichen Batterie von Flaschen, einem Nickelungetüm von Kaffeemaschine und umlagert von einer Schar von Ausflüglern, die Damen in grellfarbenen, langen Hosen oder knappen Shorts, verstärkt den ersten, abweisenden Eindruck. Wohl ist es angenehm, an den gedeckten Tisch zu sitzen, auch wenn das ehemals weisse Tischtuch ein ganzes Mosaik von Wein- und Kaffeeflecken ziert. Der müde Körper verschmäht auch die Betten mit säubern Leintüchern nicht, und es ist bequem, am Morgen sein Lager zerknittert zurückzulassen, um am Abend wieder ein von dienstbaren Geistern gemachtes Bett vorzufinden. Angenehm ist es auch, das Neueste aus dem Radiolautsprecher zu vernehmen, besonders wenn die Wettervorhersage günstig ist. Die Klänge moderner Orchester passen aber sowenig hierher wie die Strandtenues der Weiblichkeit, und gerne verzichten wir auf den« Genuss » einer Fernsehdemonstration. Zwei Autos bringen Tanzlustige aus dem Tal. Sie vertreiben uns vollends aus dem lärmigen Eßsaal, denn dieser Betrieb verträgt sich nicht mit unserem heutigen Naturerlebnis hoch über der « Hütte ». Der Ausspruch des Helfers des Hüttenwartes: « Viele Touristen, aber wenig Bergsteiger », ist leider nur zu wahr. Wenige hundert Meter vom Haus entfernt sitzen wir auf einen Felsblock, rauchen eine letzte Pfeife und staunen in den kleinen, durch zackige Berge begrenzten Ausschnitt des unendlichen Sternenhimmels. Morgen stehen auch wir wieder einsam auf einem der Gipfel...

Wieder sind wir unterwegs. Das « Hotelleben » im verlassenen Rifugio liess die Säcke nur wenig leichter werden, und wieder kommt der Zeitpunkt, wo wir im Abstieg durch unwegsames Gelände sehnsüchtig nach der Hütte spähen. Schwierig war es gewesen, anfänglich im Blockgewirr der Moränen, dann im Netz der Gletscherbäche, das Kartenbild mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Endlich finden wir einen wilden Steig, der uns auf die erste Alp führt. Wie wir um einen Vorsprung biegen, steht das kleine Steinhaus mit der lustig flatternden Schweizerfahne vor uns.

Zwar empfängt uns der Hüttenhund knurrend und bellend, dafür ist die Aufnahme durch den Custode um so herzlicher. Im Laufe des Nachmittages kehren weitere Partien von Touren zurück, und das Treiben wird auch in der stillen Unterkunft lebhafter. Aber keine Musik sucht mit den rauschenden, ungebändigten Gebirgsbächen in Wettstreit zu treten. Wie die Sonne hinter dem das Tal beherrschenden Gipfel verschwunden ist, nehmen auch wir die häuslichen Arbeiten auf. Nicht auf einem schmutzigen Tischtuch, sondern « nur » auf dem blankgescheuerten Hüttentisch verzehren wir das einfache, selbst zubereitete Mahl. Früh kehrt in der Klause die ungestörte Nachtruhe ein. Obschon uns nicht weisses Leinen, sondern rauhe Decken umgeben, schlafen wir königlich.

Am andern Tag führt uns der Weg durch eines der romantischsten Täler unseres Landes. Wir freuen uns an der Wildheit der Natur, bewundern die Zähigkeit der Bewohner und übersehen auch die Zeichen fortschreitender Entvölkerung nicht. Handelt es sich um ein sterbendes Tal? Nein! Es vollzieht sich nur eine Wandlung. Davon zeugen die gewaltigen Werkplätze an seinem südlichen Ende. Durch den Zugriff der Technik werden bald die wilden Wasser in Tunnels durch den Berg fliessen. Zeichen des unaufhaltbaren Fortschrittes! Diese Gewissheit lässt uns glücklich schätzen, unter der Clubhütte lange Zeit in die schäumende Gischt des tosenden Wasserfalles geschaut zu haben.

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