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1. Die Jungfrau von der Nordseite erstiegen

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von der Nordseite erstiegen

4167 m = 12,827 Par.F.

JlLs war dem Jahre 1867 vorbehalten, einen meiner sehnlichsten Wünsche auf montanchibistischem Gebiete zu erfüllen, und endlich an einem unserer Bernerriesen für viel erlittene Unbill und Schmach süsse und vollständige Rache zu nehmen. Wer Freund Aeby's „ Von der Jungfrau " und meine Mönchbesteigung im vorjährigen Clubbuch gelesen hat, wird wissen, dass es die strahlende Jungfrau war, welche uns schon im Jahre 1866 einen abweisenden Wink gegeben hatte, und die Ursache wurde, dass wir uns damals aus dépit dem Eiger zuwandten. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, hatte ich nach jedem, theils durch die Witterung, theils durch den unüberschreitbaren Zustand der Séracs am Guggigletscher vereitelten Ersteigungsversuch gedacht, und als ich den 10. August des Jahres 1867 in Grindelwald anlangte, tauchte beinahe wider meinen Willen wiederum die verwünschte Idee auf: Könntest du nicht von hier aus in 's Lötschthal gelangen so en passant die Jungfrau mitnehmen? Allerdings seit unserer letzten Guggigletscherwallfahrt das Problem der Jungfraubesteigung von der Nordseite aus den. August 1865 durch die Herren George und Young vom englischen Alpenclub unter Anführung Christian Almer's und Joli.

Baumann's gelöst worden, und seither war die gleiche Tour, wenn ich nicht irre, im Jahr 1867 zum zweiten Mal von Herrn Foster vom S.A.C. ausgeführt worden, was jedoch für mich kein Grund war, nicht noch einmal mein Glück zu versuchen und die erste schweizerische Besteigung von dieser Seite aus auszuführen.

Die Idee wurde stärker als ich, und da ein herrlicher, wolkenloser Himmel bei leichtem Südostwind dazu seinen Segen geben zu wollen schien, wurden in aller Stille die Gletschermannen Peter Michel, Peter Egger und Schlegel requirirt, und unter dem Vorwand, wir beabsichtigen auf dem kürzesten Wege das Aeggischhorn oder den Faulberg zu erreichen, in aller Stille die nöthigen Vorbereitungen getroffen.

Montag den 12. August in der Kühle eines herrlichen Sommerabends wandelten wir in aller Stille der Wen-gernscheideck zu. Peter Schlegel und ein Träger, Namens Michel, waren vorangegangen, um für mich bei Eimer Quartier zu bestellen und droben noch Proviant auf zwei Tage zu fassen und zu verpacken. Wie oft war ich schon diese Wengernalp in gleicher Absicht hinaufgebummelt! Wie oft kleinmüthig und getäuscht, wie oft mit siegreicher Fröhlichkeit denselben Weg thalabwärts geranntNach 9 Uhr Abends kamen wir bei Elmer's an und wurden auf gewohnte, herzliche Art bewillkommt. „ Söll's würklich no einisch sy ?" fragte verwundert und besorgt die freundliche Wirthin. „ More und übermore, so Gott will, zum letzte Mal !" war die Antwort.

Der Morgen des 13. August brach wieder wolkenlos an; und da wir für selbigen Tag nur in die Schneehornfelsen zu gelangen gedachten, hatten wir mit dem Abmarsch keine besondere Eile. Es war 8 Uhr, als wir von unsern Freunden auf Scheideck Abschied nahmen und langsam über die blumigen Weiden dem blinkenden Guggigletseher zuschlenderten.

Ich werde mich über den heutigen Marsch kurz fassen, da er über zu bekanntes und oft beschriebenes Terrain führt. Ich verweise nur auf Bädecker's und meine Silberhornfahrt im ersten Band unsers Jahrbuchs, auf Aeby's „ Von der Jungfrau " und auf George's „ Oberland Peaks and Glaciers ".

Am Rande des Guggigletschers unter den Mönchfelsen nahmen wir eine ältere Leiter zur Hand, welche von einer Ueberschreitung des Jungfraujoches vom Aeggischhorn her hier war deponirt worden, und übergaben sie dem trefflichen Träger Michel zur Besorgung. Auf die Höhe des Gletschers hatten wir eine ziemliche Anzahl Stufen zu hacken. Der Gletscher selbst war, wie im Spätsommer immer, sehr geschrundet, aber doch im Ganzen gut zu begehen. Unsre Leiter half uns, wie alle frühere Male, über die breitem Spalten weg, so dass wir gegen Mittag schon am Fusse des grossen Eisbruchs angelangt waren, allwo ein erstes Frühstück eingenommen wurde. Der Sérac selbst zeigte, wie immer, ein phantastisches Gewirre von mächtigen Eiswänden, Klüften und sturzdrohenden, würfelförmig abgesonderten Eismassen. Besonders ein, wohl gegen achtzig Fuss hoher, ziemlich runder Eisthurm zog unsere Aufmerksamkeit mehr als alles Andere auf sich, da unser Weg dicht an ihm vorbeiführen musste. Wir mussten diesmal uns ziemlich links halten gegen eine unter dem obern Sérac hervortretende, entblösste Kalksteinplatte, von welcher aus wir durch einen Schrund ein gutes Stück in den Eisbruch hineingerathen, ohne viel Hackarbeit zu haben. Erst am Fusse dieses mächtigen Eisthurmes, welcher eben diesem Schrunde entstieg, fing das Stufenhauen an, und wohl gegen Drei- Viertelstunden dauerte es, ehe wir wendeltreppenartig um den Eisthurm herum uns auf die Höhe des Séracabsturzes hinaufgehackt hatten.

Nun standen wir vor dW zwei bekannten grossen Schrunden, wxelehe den ganzen Gletscher durchziehen und deren oberer mit seiner überhängenden blauen Eiswand schon mehrern Besteigungsbeflissenen sein „ Bis liieher und nicht weiter !" zugerufen hat. Der vordere Schrund gab uns ordentlich zu thun, und Seil und Leiter mussten gebraucht werden, ehe wir ihn überschritten hatten. Der obere, grosse Schrund jedoch zeigte sich diesmal ganz leicht passirbar, indem er theilweise durch eine vom Jungfraujoch wahrscheinlich kurz vorher herunter gekommene Eisbruchlawine beinahe ganz aufgefüllt war. Hier liessen wir auch an einem sichern Ort die Leiter stehen, deren wir nun nicht mehr bedurften, und um 3 Uhr Nachmittags hielten wir auf der kleinen Thalebene über dem grossen Guggischrund unser frugales, durch herrliches Wetter und die fröhlichste Stimmung gewürztes Mittagsmahl.

Der Aufstieg zu den Schneehornfelsen ging rasch vor sich, so dass wir um 51/? Uhr, etwas höher als mit Bädecker anno 1863, eine einigermassen ebene Stelle zum Bivouak auswählten. Wir mussten auf den etwas zerbröckelten Gneisfelsen des Schneehorns ziemlich lange herumsuchen, bis wir an dem steilen Felsabsturze einen einigermassen ebenen Platz zum Uebernachten ausfindig gemacht hatten, und als wir die beste Stelle gefunden zu haben glaubten, fingen meine Mannen unverdrossen an, den Platz durch Wegräumen von Steinen, Aufpickeln alten Eises und Schnees zur Aufstellung des Zeltes dienlich zu machen. Das Zelt wurde an einem höhern überragenden Felskopf an einem in einer Felsritze befestigten Eispickel glücklicherweise, wie wir gleich sehen werden,

angeknüpft. Etwas weiter unten fand Schlegel Platz für die Weingeistmaschine, und nun wurde der schöne Abend benutzt zur Herstellung einer herrlichen Bouillonsuppe, begleitet von kalten Côtelettes, Eiern und einem Schlückchen vom „ Mehbessern " aus Elmer's und Rudi Bohren's Keller. Nachher machten wir unsere Nachttoilette, lehnten alle Bergstöcke, Pickel, das kleine Tragräf des Trägers Michel, die Hüte, statt deren wir wollene Mützen oder Taschentücher angezogen hatten, an einen auf der äussern Seite gegen den Abgrund hin emporragenden Felsblock und, nachdem mein grosses Plaid im Zelt auf den Boden ausgestreckt war, krochen Peter Michel und Peter Egger mit mir in 's Zelt, während Schlegel und der Träger sich vor der offenen Seite des Zeltes hinter jenem Felsblock, an dem unsre ganze Ausrüstung gelehnt war, zur Ruhe niederkauerten. Noch rauchten wir gemüthlich ein Pfeifchen; noch fanden wir, wir hätten noch nie ein so angenehmes Bivouak gehabt bei so ruhiger, verhältnissmässig warmer Luft; noch dehnten wir uns zum tiefen Schlafe aus, als ein Ereigniss eintrat, an das ich ohne Schaudern nie zurückdenken kann.

Es war Mitternacht vorbei. Wir hatten alle schon eine Weile des sanften Schlummers genossen, als ich, um mich auf eine andere Seite zu wenden, meine Beine zum Zelt hinaus streckte, und mich unwillkürlich an einen festen Körper stemmte. Plötzlich gibt dieser feste Körper nach, die Erde unter mir erzittert — ein Geräusch, Gepolter, dann ein donnerähnliches Krachen von nachstürzenden Steinen, das dumpfe Dröhnen einer Steinlawineünser und der Boden unter uns zitterte; athemlos kriechen wir hinaus.Herr Jeses, Herr Jeses, was het 's OK ?" rufen Michel und Egger aus, „ Schlegel, Michel, wo syd erMit leiser, bebender Stimme rufen Beide:

„ Mer sy Gottlob no da, aber kheie gwüss bald alli z'Tod !" Wie wir zum Zelt hinaus sahen, es war Sternenzwielicht, blicken wir unmittelbar vor der Zeltöffnung in den Abgrund, in eine neu geöffnete Runse, in welche immer noch Steine nachstürzen, dahinter Schlegel und Michel, der Träger, aufrecht, mit zitternden Beinen und schlotternden Knieen am Felsen klebend. Vom aufrecht stehenden Felsblock, der uns gegen den Abgrund schützen sollte, von unsern Pickeln, dem Eäf, den Hüten, dem Proviant — Nichts mehrdas war Alles der Tiefe zu-gerollt, und noch hörte man das Nachrollen nachgerisse-ner Steine und Schneemassen. Schnell hatte Egger den beiden in Lebensgefahr Schwebenden über die neu geöffnete Runse den Arm gereicht und riss sie zu uns herüber. Das Zelt brachen wir ab und drückten uns fest umschlungen so nahe an den Felsen als möglich; denn wer konnte uns dafür bürgen, dass unserer Lagerstätte nicht auch der Halt benommen sei, und wir unsern Effekten nachstürzen müssten? Nach einer viertelstündigen Pause, während welcher wir von unserm jähen Schreck uns allmälig etwas erholten ( denn anfangs klapperten Allen die Beine ), erklärte Peter Michel, unsers Bleibens sei an dieser Stelle nicht, und, nachdem wir Zelt und Plaid aufgerollt hatten, zogen wir uns dem Felsen entlang etwas weiter nördlich und kauerten uns, jeder wo er etwa Platz finden konnte, nieder. Wäre unser Gletscherseil nicht mit hinunter gestürzt, so hätten wir uns hier angebunden; denn Keiner konnte recht absitzen, %und stehend einzuschlafen war auch zu riskirt. So wurde nun mit dem Chlupf im Magen und in der Üngewissheit, ob wir bei'm Mangel an aller Ausrüstung die Reise würden fortsetzen können, frierend und weder sitzend noch stehend, ohne Schlaf und Ruhe, ohne Herz Stärkung der Rest der bangen und langen Nacht durchgebracht.

Endlich, endlich wurde es Tag, und wir kehrten zu unserer unglücklichen Bivouakstelle zurück, und erst jetzt erkannten wir die Grosse der Gefahr, in der wir geschwebt hatten. Ich hatte offenbar durch mein Anstemmen den grossen Felsbiock, der speziell den Träger und Schlegel gegen den Abgrund schützen sollte, losgemacht und alles darüber liegende lockere Material war nachgestürzt. Schlegel und der Träger Michel hatten sich noch rechtzeitig an den festen Felsen anklammern können, sonst wären sie unfehlbar nachgestürzt. Wäre nun gar, wie wir 's anfangs zu thun im Sinne hatten, unser Zelt am besagten Felsen befestigt gewesen, so wären wir, wie in einen Sack eingewickelt, nachgerissen worden, und diese Zeilen würden ungeschrieben geblieben sein. Zu unserer nicht geringen Freude sahen wir nun, dass die Unterlage des Zeltes doch noch fester Fels war, so dass wir uns dort wieder lagerten, während Egger und Schlegel den hinuntergestürzten Ausrüstungsgegenständen bis auf den Gletscher hinunter nachgiengen. Da die Kochmaschine nicht zu Fall gekommen war, so konnten wir uns unterdessen die sehr nothwendige Erwärmung bereiten und getrost abwarten, was uns die Beiden aus der Tiefe wieder herauf bringen würden. Es dauerte über 1% Stunde, bis sie zurückkamen, und ihrem fröhlichen Jauchzen nach hatten sie gute Ausbeute gemacht. Und in der That ^ar das Meiste wieder aufgefunden worden. Das kleine leichte Räf des Trägers Michel lag unten auf dem Glet-Scher zu oberst auf dem Lauinenschnee beinahe unversehrt; einen Habersack mit Proviant hatten sie auf einem Zusatz gefunden; ebenso waren die Filzhüte der geehrten Gesellschaft hie und da auf Felsen herumgelegen.

Mein Bergstock stak ganz unversehrt unten im Lauinenschnee. Eine zylindrische Blechbüchse mit Zeichnungs-papier wurde ziemlich zerquetscht am Fusse der Felswand aufgefunden. Yon drei heruntergestürzten Eispickeln waren zwei noch ganz, der dritte total gebrochen; mein Plaidriemen war in mehrere Stücke zerschnitten und von meinen geologischen Hämmern, welche in einem Futteral von Leder aufbewahrt waren, fand sich nur noch einer weit draussen auf dem Gletscher; die beiden andern sammt Futteral waren verschwunden. Zum Glück war der Blechkessel mit Wein bei der Kochmaschine geblieben und nicht zu Fall gekommen. Endlich fehlten die Gletscherbrillen Peter Michels und ein Paar Ueberstrümpfe.

Hatten wir nun unsere Ausrüstung so ziemlich wieder ( denn auch Seil und Gurt hatten sich in der neueröffneten Eunse gefunden ), so waren wir natürlich zur Fortsetzung der Eeise entschlossen, und nach rasch eingenommenem Frühstück, bei welchem sich der erschrockene Magen nicht recht freudig betheiligen wollte, sandte ich Schlegel und den Träger Michel mit dem Zelt und der überflüssigen Ausrüstung zurück, da ich ihrer nicht mehr bedurfte, und zugleich um im Thale Nachricht zu bringen.

Wir Uebrigen, Peter Michel, Egger und ich, brachen am Morgen des 14. um 6^4 Uhr früh bei wolkenlosem Himmel auf, und diesmal galts der Jungfrau!

Ohne Schwierigkeit erreichten wir den Kamm des Schneehorns und dessen Gipfel, 3415 m, dann die schöne Mulde oder das untere Hochthälchen am Fusse der Jungfrauwand, den Schoos des Giessengletschers, über dessen gefrornen Schnee, der wie Millionen von Diamanten glitzerte, es eine wahre Götterlust war, zu gehen. Auch der Sérac beim Kleinen Silberhorn gab nicht viel zu schaffen,

Î867F.18G5A.&F. 1863B.ÄI\ Die Silbermulde und die Jungfrau.

da er noch tief eingeschneit war, und so wurde die stille Silbermulde in raschem Tempo durchschritten, die kleine Eiswand mit Stufen erklommen und um 8V2 Uhr standen wir auf der Silberlücke unseligen Angedenkens und fanden, noch im Schnee eingesteckt, einen Holzsparren, der seiner Zeit berufen gewesen war, Fahnenträger zu werden. Hier wurde Angesichts des erschütternden Einblicks in die grauen Tiefen des Roththaies, welches tausende von Fuss tief zu unsern Füssen lag, etwas gegessen und nun mit gehobenem Muth der Verbindungsgrat mit der Jungfrau in Angriff genommen. Es war mir, als brenne der Boden unter meinen Füssen, so drängte es mich, von der verwünschten Silberlücke wegzukommen.

Der Grat, der das Silberhorn mit der eigentlichen Jungfrau verbindet und die Silbermulde auf der westlichen Seite einschliesst, erhebt sich gleich über der Silberlücke in steilen, gerundeten, jedoch ganz festen Gneisfelsen, und gleich am Anfang setzte es während einer halben Stunde eine tüchtige Kletterei auf allen Vieren ab. Weiter oben wird der Grat zerrissener und lockerer, und nur mit Vorsicht darf der Fuss aufgesetzt werden, um nicht Steine zu lösen; zugleich ist der Blick sowohl in die ungeheuren Tiefen nach dem Roththal hin, als über die jähen Eishänge nach der Silbermulde hinunter ziemlich schwindelerregend, und einem nicht ganz sichern Kopf ist ein so „ lauteres " Passage nicht anzuempfehlen. Stellenweise muss der Grat rittlings genommen werden, wobei ein Fuss das Roththal, der andere die Silbermulde beherrscht.

Nach einer starken Stunde angestrengter Kletterei erweitert sich der Grat; wir nähern uns den wundervoll gewölbten Firnmassen des von den höchsten Spitzen der Riesin herunterkommenden Hochfirnes, welcher nach dem Schweizer Alpenclub.10 Roththal hin in blauen Eiswänden plötzlich abbricht und mehrere Mal im Jahr die gefürchtete „ Silberlaui " in 's Silberlauitobel und bis auf Stufisteinalp hinunter schickt.

( Yergl. Jahrbuch desS.A.C.., I. Jahrg., „ das Silberhorn ". ) Um 10Va Uhr betreten wir den Hochfirn da, wo der Grat vom Silberhorn her rechtwinklig auf die Nordwand der vordem Jungfrau stösst und die gewaltigen Firnmassen unterteuft. Wir machen hier einen kleinen Halt und fangen an zu ahnen, was unser da oben auf der so nahe scheinenden höchsten Spitze wartet. Schon liegt der Silberhorngipfel tief zu unsern Fussen und schaut sehr bescheiden zu uns herauf. Wir wenden uns nun südwestlich und traversiren den Hochfirn in ziemlicher Höhe über seinem Abbruch nach dem Roththal hin, nicht ohne Grausen in die bodenlosen Abgründe blickend. Wir müssen einen steil gewölbten Firnbuckel umgehen und halten uns dicht am Fusse einer von mächtigen Firnmassen gekrönten Felswand. Da biegen wir nach Osten um und steigen ohne alle Schwierigkeit den ziemlich steilen Hochfirn hinan, hie und da die immer grossartiger sich entwickelnde Aussicht geniessend. Allmälig nimmt die Steigung ab; wir überschreiten ein kleines Plateau, welches sich gratförmig und in einem Dreieck nach Norden etwas ausspitzt und noch zu einer vielleicht 40'hohen Gwächte erhebt und stehen um 11 Va Uhr auf dem vordem Gipfä der Jungfrau, dem Kulminationspunkt jener gewaltigen, nordwärts abfallenden Wand, welche von Norden gesehen die Spitze eines gewaltigen Pentagons bildet. Dieser Gipfel bildet eine nach Nord steil abgerissene Gwächte von 50—60'Länge auf 3—5'Breite. Hier steht auch richtig das halb im Schnee begrabene Tanngrotzli der ersten Besteigung durch die HH. George und Young. Wir lagern uns im weichen Schnee und blicken hinauf zur höchsten Spitze, die vielleicht noch 5-600'hoch scharf und spitzig in das Dunkelblau des Himmels ragt, ein Felsgerüst, mit schmaler Gwächte gekrönt, als plötzlich der höchste Gipfel lebendig wird.

Zuerst kommt ein schwarzer Punkt über dem höchsten Kamme zum Vorschein; der wird grösser, Kopf, Leib, Beine — einer — zwei — drei und vier Mann — kräftig wird da oben der Schnee weggeschlagen, dass er stäubend über die Fluhsätze herunter-sprüht — dann lagert sich die ganze Gesellschaft, und in diesem Augenblick lassen wir einen lauten gemeinsamen Juchzer erschallen, der sogleich von oben beantwortet wird. Einer der Herren steht wieder auf, juchzt, schwenkt das Taschentuch, wir antworten. Michel fragt an, wer sie seien, wir hören die Antwort, können sie aber nicht verstehen. Dann machen wir die Gesten des Zu-trinkens, welche Geste erwiedert wird. Noch mehrere Juchzer werden oben losgelassen, und der Gipfel wird wieder frei. An uns ist es nun, ihn auch zu betreten. Wir brechen auf, überschreiten den horizontalen Grat, das kleine Schneeplateau und steigen nun bereits im erweichten Firn gegen die höchsten Felsen hinan. Wir umgehen ihren Fuss bis da, wo der oberste Gipfelgrat nach dem Roththalsattel sich absenkt, überschreiten einen kleinen Bergschrund, klettern über leichte Gneisfelsen, betreten den schon betretenen Schneegrat, steigen noch etwa 50'nach Osten an und stehen exakt um 12 Uhr 30 Minuten auf dem höchsten Gipfel der Jungfrau!

Man wird mir die Beschreibung der Aussicht vom Gipfel der Jungfrau gerne erlassen, da diese von viel kompetenteren Montanisten und durch beredtere Federn gegeben worden ist, als meine schwache Kraft es vermag. or Allem lese man unseres Altmeisters G. Studers Beschreibung der Aussicht in seinen Hochalpen, pag. 118 ff.

10* Es genügt zu sagen, dass die Luft warm war und so still, dass man eine Cigarre mit frei brennendem Zündhölzchen anzünden konnte, der Himmel, so weit das Firmament reichte, wolkenlos, die entferntesten Gebirge gegen Süd und Südost, Gebilde, die dem sonnigen Italien in weiter, weiter Ferne über der Einsenkung der Binnen-thaler- und Tessinergebirge zu entsteigen schienen, sichtbar waren, ja die Schweizerebene und ihre Seen, der heimelige Jura, der Schwarzwald und die Vogesen — nichts, was da oben sichtbar ist, entging unserm wonnetrunkenen Blick.

So schön hatte ich es bis jetzt nur auf dem Eiger getroffen, dessen Aussicht Freund Aeby meisterhaft geschildert hat. Der Gipfel muss seit den Vierzigerjahren sich sehr verändert haben; denn der ganze halbmondförmige Eiskamm, der nach Nordost sich ausbiegt, ist verschwunden. Wir stehen auf einer 15'langen und 2'breiten Schneegwächte, deren Unterlage rings herum Felsen ist. Ja hatten wir doch das Glück, nach einigem Suchen das unversehrte Fläschchen mit der Notiz der Besteigung der HH. G. Studer und F. Bürki von Bern, vom 14. August des Jahres 1842 — also exakt auf den Tag vor 25 Jahren — zu finden, welches wir mit wahrer Ehrfurcht wieder am selbigen Ort verwahrten! Nachdem eine Flasche edlen Schaumwein's geleert, ein gutes Handstück Gneis ( welches mir leider verloren wurde ) geschlagen, die Aussicht noch einmal, wohl zum letzten Mal, rings herum studirt und genossen worden war, traten wir um 1 Uhr 30 Minuten den Rückweg, und zwar nach Süden an. Unsere Vorgänger hatten auf der steilen Eiswand nach dem Rothsattel herunter den schon sehr erweichten Schnee ganz wegge-treten, so dass das blaue Eis zum Vorschein kam. Wir schlugen uns daher in die Felsen rechts vom Eiskamm, hart am Rande der entsetzlichen Abgründe des Roth- thals und stiegen bedächtig am stets straff gespannten Seil über die glatten, vom Schneewasser triefenden Gneisplatten.

Aeusserst langsam rückten wir vorwärts; denn erst um 4 Uhr gelangten wir auf den Roththalsattel, übersprangen daselbst den Bergschrund und trollten im weichen Firn dem Faulberg zu, welchen wir um 8 Uhr erreichten. Nach kurzem Halt ging 's weiter, und bei'm freundlichen Licht des Monds gelangten wir sehr ermüdet um 11 ^U Uhr Nachts auf die Märjelenalp.

In der Märjelenhütte waren wir gar nicht so übel aufgenommen; wir hatten ein loderndes Feuer zum Trocknen unserer durchnässten Schuhe und Strümpfe, und ein Lager von feinem, duftendem Bergheu; als Decke funktionirte mein guter, treuer Plaid, und so schliefen wir denn, nachdem mir die freundlichen Sennen noch Suppe gekocht hatten, fest und wohlthätig ein und thaten einen langen und gesunden Schlaf.

Um 8 Uhr Morgens des 15. August traten wir in 's Freie. Der Himmel hatte sich mit feinen Schafwölkchen überzogen; bleigrau hing es in den Bergen, und einzelne Luftstösse kündeten Föhn und vielleicht Regen an. Uns konnte es für denselben Tag wenig scheren. Wir spazierten Vormittags gemüthlich zum Aeggisehhornh&tel, wo ich nicht ungern die irdischen Güter der europäischen Zivilisation in Form delikater Fische aus dem Bettensee, und alten Muskatellers aus Valesias sonnengluthgebrann-ten Gefilden genoss. Nach dem Mittagessen musste ich eine kurze Siesta halten, während welcher eine kunst-geübte Hand mit Nadel und Faden unheilvolle Zwistigkeiten in meinen Inexpressibles zu versöhnen trachtete. Um 2 Uhr Nachmittags verabschiedeten wir uns von dem freundlichen und trefflichen Wirthe des Hotels auf Aeggischhorn und spazierten über die weichen Matten und üppigen Weiden der Riederalp zu.

Am Bettensee angelangt, unterliessen wir es nicht, ein Fussbad zu nehmen; bei Herrn v. Sepibus, der, sowie seine Gemahlin, abwesend war, sprachen wir auch vor, und stiegen in der Abendkühle zum Aletschgletscher hinunter, um jenseits steil wieder gegen Bellalp emporzusteigen. Das neue Hotel Bellalp war eben unter Dach und Fach gekommen, sah aber noch ziemlich unfertig aus. Papa Klingele hatte grosse Freude, uns zu sehen, und wir mussten ihm unsre abenteuerliche Jungfraureise und noch manches Andere erzählen, und so wurde es nicht gerade früh, als wir uns unter die Decke streckten. Als Gast hatte Klingele auch den Herzog von Joinville mit Gemahlin, welche des andern Tags einen Ausflug nach dem Oberaletschgletscher zu machen beabsichtigten.

Freitag den 16. August verliessen wir bei sehr unsicherm Wetter das Hotel Bellalp gegen 8 Uhr Morgens, um dem Lötschthale zuzusteuern. Der Weg nach dem Beichgrat geht bekanntlich über den Oberaletschgletscher und Beichfirn. Der Uebergangspunkt selbst ist die tiefste Einsenkung des Grates, welcher das Schienhorn mit der Kette des Lötschthaler Breithorns verbindet. Oben auf dem Oberaletschgletscher begegneten wir dem bereits nach Bellalp zurückkehrenden Herzog von Joinville mit Gemahlin, welche sehr früh aufgebrochen und bis zur Gabelung des Oberaletschgletschers und Beichfirns vorgedrungen waren, wo sie angesichts des majestätischen Aletschhorns déjeunirt hatten. Das Wetter war sehr grau und unsicher; tief hingen die Wolken an den Bergen herum; der Gletscher war glatt und feucht, der Firn weich, die Luft drückend, und schon fingen wir an zu bereuen, nicht früher aufgebrochen zu sein. Auf dem Beichfirn zeigten sich grosse Flächen von vielen hundert Quadratfussen leicht rosenroth gefärbt durch Protococcus nivalis.

Die Färbung war immer am Fusse der kleinen Firnhöcker am intensivsten, ebenda wo der Anfang einer Schmelzung des Firns im Beginne war.

Als wir gegen die Passhöhe emporstiegen, erhob sich ein wüthender Föhn, und oben auf dem Grat, den wir um 12 % Uhr erreichten, überfiel uns ein rasender Wirbelwind mit dichtem Schneegestöber, so dass wir eiligst und im Laufschritt dem Lötschthale zuliefen. Das Lötschthal selbst war schon ganz in Nebel und Regen gehüllt, und kaum hatten wir die unterste Partie des Distelgletschers überschritten, als ein tüchtiges Gewitter losbrach, und bevor wir die blumigen Abhänge des Distelbergs hinter uns hatten, waren wir bis auf die Haut durchnässt. Wohlthuend fiel jedoch auf die erhitzte Haut der geschundenen Gesichter die kühlende Frische des Regens. Wir hielten nirgends an als in Ried, um den Gebrüdern Siegen, die abwesend waren, Bescheid von meiner Anwesenheit zu hinterlassen, und schnell eine Flasche rothen Wallisers zu stürzen. Um 5 Uhr trafen wir pudelnass bei meinem werthen Freund, Herrn Rektor W. Brunner, in Kippel ein, der mich, wie gewohnt, mit offenen Armen empfing und in kurzer Zeit uns alle Strapazen und Unwetter vergessen machte.

Samstag der 17. war zum Voraus als Rasttag ausersehen worden, und es war mir keineswegs unlieb, als an diesem Tage der Himmel noch sehr grau, wenn schon mit allmälig sich schnürenden Wolken behangen, aussah, durfte mich doch dieser Tag in exkursorischer Beziehung nicht reuen, und meinen Gliedern war nach dem Vorangegangenen einige Ruhe zu gönnen. Ich verbrachte ihn in Besprechungen mit Herrn Brunner in Betreff des Bietschhorns und liess mir genau alle Daten über die erâte Ersteigung durch Herrn Leslie Stephen mittheilen.

Herr Brunn er rieth mir entschieden ab und sagte mir, ich würde Mühe haben, Jemand, der mich da hinauf begleiten wollte, zu finden. " Wenn nicht Einer der Siegen mitgehe, so werde vom Thal aus gewiss Niemand sich finden, der mich begleiten wolle, und für meine Berner Führer sei es doch von Werth, Jemand dabei zu haben, der schon oben gewesen sei.

Gegen Abend begaben wir uns hinauf nach Ried zu den Gebrüdern Siegen. Nach langen Hin- und Herreden, aus denen ich den gewaltigen Respekt, den alle vor dem Bietschhorn hatten, nur zu deutlich heraus merkte, bot sich Anton Siegen, der bei der Stephen'schen Besteigung als Träger mitgewirkt hatte, an, mitzukommen, und sein Sohn, ein schlanker, blauäugiger, blondhaariger Jüngling, dem Muth, Ausdauer und intelligente Keckheit zu den klaren Augen hervorleuchteten, bat mich, ihn mitgehen zu lassen; er lerne dabei etwas, er sei schon bös gegangen u. s. w. Da Anton Siegen einwilligte, so hatte ich auch nichts dagegen. Wir redeten ab, dass, falls morgen Sonntags das Wetter ganz schön und sicher sei, wir des Abends noch in die Nesthütte hinaufsteigen würden. Die Siegen sollten Stroh, Wein und sonstige Lebensmittel hinauftragen lassen.

Der Sonntag, 18. August, brach wieder mit herrlichem, klarem Wetter an, die Luft war erfrischt, der Himmel tief blau, der Barometer hoch, und ein Stäubchen frisch gefallenen Schnee's bepuderte dieliöchsten Gräte. Die Besteigung des Bietschhorns war eine beschlossene Sache, und der Vormittag verging in Studien seiner Zugänglichkeit mit dem Fernrohr, wobei wir beschlossen, das Hörn von einer neuen Seite zu attaquiren. Nach dem Mittagessen begleitete uns der Herr Pfarrer zu Siegens in Ried, und

um 4 Uhr brachen wir unter den herzlichsten Segenswünschen aller Anwesenden auf, um noch bei Zeiten in der Nesthütte anzulangen und uns für die Nacht einrichten zu können.

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