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Abenteuer in den Drakensbergen

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Mit 4 Bildern.Von Max Spoerri.

Die ersten dreihundert Kilometer Strasse von der Küste landein waren ja noch ganz ordentlich, aber wenn man jetzt, nachdem ich das kleine Städtchen Estcourt hinter mir gelassen habe und nach links den Drakensbergen entgegensteure, noch von Strasse reden will, muss man entweder eine ganz rege Phantasie haben, oder aber der bereits geschluckte Staub hat eine geistige Verwirrung verursacht. Ein schmaler Pfad, schützend bedeckt von einer etwa 10 cm hohen Staubschicht, führt den Reisenden durch ödes und ausgetrocknetes Steppen- und Halbwüstenland zu den noch ziemlich oft besuchten Ferienplätzen im Cathkinpark und im südafrikanischen Nationalpark. « Park » ist ja allerdings eine ein wenig irreführende Bezeichnung, denn die beim Hören dieses Ausdruckes in unserer Gedankenwelt auftauchenden duftenden Wälder, blühenden Fluren und fruchtbaren Landstriche gibt es in Wirklichkeit hier sehr selten, und der grösste Teil der Parks ist ödes Steppenland oder steinige Berglandschaft. Aber es ist trotzdem prächtig dort, denn die eigenartige Schönheit und imposante Mächtigkeit dieser Natur schenkt dem ruhebedürftigen Auge und Geist Erholung. Und obgleich die Drakensberge keine Schnee- und Firnfelder und weder Gletscher noch blühende Alpweiden aufweisen, haben sie mich in ihren Bann gezogen wie jede andere Berglandschaft, und mit Sehnsucht gedenke ich der dort verlebten Tage.

Sie bietet tatsächlich sehr wenig Abwechslung, die Landschaft. Alle 10 km erscheint vielleicht eine einsame Burenfarm oder erblickt man die verblassten Strohdächer eines Kaffernkrals, aber keine Bäume, keine sprudelnden Bäche. Hin und wieder ist ein beinahe ausgetrockneter Flusslauf zu queren, Brücken würden sich hier nicht lohnen, drum führt der Pfad einfach durch das Wasserbett. Der Strassenunterhalt ist überhaupt ausserordentlich schwierig, denn bei Regenfällen werden die Pfade regelmässig vollständig aus- und beinahe weggeschwemmt. Eine Staubwolke zeigt sich am Horizonte. Ich nähere mich einem für Südafrika typischen Gespann: zwölf riesige Ochsen mit grossen Hörnern ziehen einen kurzen, auf zwei gewaltigen Rädern daherroUenden Karren, langsam, aber sicher.

Ferne erscheinen nun aus dem Dunst heraus die Umrisse der Drakensberge. « Blaue Berge » würde man sie in Australien nennen, denn wie in jenem Erdteil lässt eine Luftströmung oder ein leichter Nebel die ganze Landschaft in einem bläulichen Farbton erscheinen. Der Cathkin-Peak ist der vorderste in der Kette, ein tischförmiger Gipfel mit einem riesigen Gipfelplateau und steil oder senkrecht abfallenden Wänden nach allen Seiten, wie die meisten Gipfel in den Drakensbergen. Er verdeckt den höchsten Gipfel Südafrikas, den Champagne-Castle, hinter welchem sich das Basutoland mit seinen unzähligen, unbenannten kleinen und grossen Gipfeln breitet. Ab und zu kommen Herden johlender Negerbürschlein aus den Kralen heraus-gestürzt, aber sobald ich meinen Wagen anhalte, um eine Aufnahme zu machen, stieben sie davon. Ich nähere mich nun meinem heutigen Ziel, dem « Cathkin-Park-Hostel », von wo aus ich einige Besteigungen unternehmen will. Es ist kein Hotel in unserem Sinne: Es ist vielmehr eine Siedlung, ein kleines Dorf mit vielleicht einem Dutzend kleiner Negerhütten, Rondelle, wie man sie nennt, und zwei grossen, flachen Gebäuden, wo sich Küche, Speisesaal und noch eine Anzahl Zimmer befinden. Man kann sich entweder in ein Zimmer oder aber in eine alleinstehende Hütte einquartieren lassen, und bei Mahlzeiten ruft eine Glocke die ganze Siedelung zusammen. Schwimmbad, Tennisplätze und schöne Spazierwege in die nahe Umgebung bieten jedem Feriengast eine Abwechslung nach seinem Geschmack.

Ich will mir noch heute meine Boys, mein Pferd und Packpferde aussuchen, um morgen nicht viel Zeit mit Vorbereitungen zu verlieren. Die Boys — Kaffern, die nicht ein Wort englisch verstehen und sich hier als « Mädchen für alles » die Mittel für eine Frau verdienen wollen — werden mich allerdings nur bis an den Fuss der Berge begleiten, wo ich kampieren will, denn die Zumutung, mit mir z.B. den Cathkin-Peak zu besteigen, weisen sie erschreckt zurück. Er scheint für sie « tabu » zu sein — warum, kann ich jetzt nicht erfahren. Auf der Pferdeweide suche ich mir ein passendes Tier aus: Aber als ich es versuchsweise besteigen will, tut es keinen Schritt, alle Versuche, es zum Gehen zu bringen, scheitern. Ein Kaffer belehrt mich dann, dass man das Tier erst prügeln muss, sonst sei nichts zu machen, und mit einem dicken Stock schlägt er auf den Gaul los — ich glaube die Knochen krachen zu hören — aber richtig, nun geht es ordentlich. Leider muss man sich stets eines Prügels bedienen, denn auf gütliche Art lässt sich ein von Kaffern erzogenes Pferd nicht führen. Dabei sind sie unsäglich mager, die Tiere, dass man alle Knochen sieht, und einen elastischen Gang haben sie durchaus nicht. Aber sie sind von erstaunlicher Ausdauer und besonders auf den schmalen, gefährlichen Bergpfaden sehr sicher auf den Füssen. Ich habe mich dann nach einigen Tagen recht gut verstanden mit meinem Pferd, wir wurden dicke Freunde.

Am andern Morgen brechen wir ziemlich zeitig auf. Es ist sehr kalt hier während der Nacht, ist es doch Winterszeit. Doch tagsüber scheint die Sonne sehr heiss, und wenn nicht gerade ein kalter Wind bläst, steigt die Temperatur bis 30 Grad. Zwei Boys — Asa und Jim, wie ich erfahren kann — zwei Packpferde mit Nahrung und Kampiermaterial und meine Wenigkeit auf meinem spindeldürren Pferd bilden die Karawane. Aufwärts geht es nun, über Steppengebiet, durch Busch und kleine Wälder, an Kaffer-kralen vorbei. Nicht zu schnell bewegen wir uns vorwärts, denn wir haben noch einen weiten Weg. Vor uns türmt sich eine ca. 300 m hohe Felswand auf, die zu überwinden auf den ersten Blick als unmöglich erscheint, besonders mit Pferden. Es ist aber ein schmaler Pfad, der oft nur 30 cm breit sehr exponiert über Felsbänder hinaufführt. Hier bewundere ich zum ersten Male die Fußsicherheit meines Pferdes. Nur wenn es ab und zu ins Rutschen kommt, muss ich ihm die Sporen geben, sonst geht es von selbst Ich kriege natürlich einen ziemlichen Vorsprung vor meinen Boys, da das Heraufführen der Packpferde ziemlich schwierig ist.

Nach Überwindung dieser Wand kommen wir auf ein Hochplateau. Hier ist der eigentliche Eingang zum « Cathkin-Park », eine Tafel macht darauf aufmerksam, dass man Pflanzen jeder Art nicht mitnehmen darf. Allerdings frage ich mich, was denn hier wäre zum mitnehmen, denn ausser einigen Sträuchern kann ich nichts wie gelbes Steppengras entdecken. Ein langer, eintöniger Ritt hebt an. Hügel um Hügel folgen, immer aufwärts, leicht steigend, aber kein Busch mehr, kein Baum, gar nichts. Dafür reiten wir über riesige abgebrannte Strecken, wo aus irgendeinem Grunde sich das Steppengras entzündet haben mag, und diese ausgedörrten Steppen bieten reiche Nahrung für ein Feuer — und niemand leidet eigentlich darunter. Ich versuche eine Unterhaltung mit meinen Boys — aber sie verstehen ebenso- wenig englisch wie ich die Kaffernsprache. Und trotz allen Versuchen bringe ich das Schnalzen mit der Zunge nicht fertig, das notwendig ist, um sich darin auszudrücken. So lassen wir es bei der Zeichensprache bleiben. Auf alle Fälle lerne ich, dass Asa bereits verheiratet ist, sechs Kinder hat und nun arbeiten muss, um seine Frau abzuzahlen. Er hat sie nämlich vom Schwiegervater vor fünf Jahren « auf Kredit » erhalten und braucht noch weitere sechs Kühe, d.h.c.a. 30—40 £, bis sie endlich sein eigen ist. Drum muss er nochmals ca. zwei Jahre arbeiten. Jim lacht ihn aus, klopft sich auf die Brust und meint, von nächstem Jahre an brauche er nicht mehr zu arbeiten, da er bereits den Kaufpreis für eine Frau besitze, und nachher werde er sich ein Faulenzerleben gönnen. Mit der Heirat hört für die meisten Kaffernburschen das Sorgen auf, bei den zivilisierten Völkern ist es oft umgekehrt.

Verschiedene tiefe und steile Tobel sind zu queren. Wenn hier mein Pferd ausrutscht, können wir uns beide 50 m weiter unten zusammenlesen — vorsichtig setzt es Fuss um Fuss, und ohne Zwischenfall legen wir die Stellen hinter uns. Ich bin nun bereits sechs Stunden im Sattel und beinahe am Fusse des Cathkin-Peak angelangt. Aber ich muss ihn umgehen, da eine Besteigung von dieser Seite als ganz unmöglich erscheint. Zudem muss ich einen Kamp errichten, wo wir Wasser in der Nähe haben und etwas Futter für die Pferde. So geht 's weiter und weiter. Mein Pferd strauchelt nun sehr oft, da das Gras sehr hoch steht und die darunter verborgenen Steine nicht sichtbar sind. Aber endlich finde ich einen geeigneten Platz zum Kampieren, und aufatmend steige ich aus dem Sattel.

Wir befinden uns in einem Tal, das sich zwischen dem Cathkin-Peak und dem Champagne-Castle dahinzieht. Weiter unten winkt der Catberg, mit seinem Loch unter dem Gipfel. Den Abschluss des Tales, das sich nach oben sehr verschmälert, bildet der Monkskal, ein Gipfel, der bis heute als unbesteigbar gilt.

Der Abend bricht nun ziemlich rasch an, und es wird empfindlich kalt. Wir sitzen nah beisammen am Feuer. Die Boys verschlingen mit grossem Appetit ihr « Mealie-Meal », ein Gemisch aus Wasser und Mehl, während ich mit « zivilisierten » Sachen fertigzuwerden trachte. Eine andere « Karawane » trifft noch vor dem Schlafengehen ein, zwei Weisse mit 15 Boys, welche morgen auf Entdeckungsreisen ins Basutoland aufbrechen wollen. Nach einigem Erzählen machen wir uns zur Ruhe bereit. Die zwei Männer schauen mich an wie einen total Übergeschnappten, als ich meine, dass meine zwei Boys im Zelt schlafen können, da es draussen bitterkalt ist, und klären mich auf, dass sowas ganz ausgeschlossen sei, da erstens meine Boys alle Achtung vor mir verlieren würden, wenn ich unter derselben Zeltdecke wie sie schlafen würde usw. Ich musste ihnen schliesslich recht geben, da es alte Pioniere waren, die besser mit Negern umzuspringen verstanden als ich. Aber als ich mich in der bitterkalten Nacht wohlig in meinen Decken wälzte und meine Boys draussen am Feuer sprechen hörte, da sie infolge der Kälte nicht schlafen konnten, machte ich mir heimlich Vorwürfe, und mit tausend Theorien im Kopf über das Verhältnis des Weissen zum Farbigen, vom « Boss » zum « Boy », schlief ich endlich ein.

Erst ziemlich spät krieche ich am andern Morgen aus meinem Zelt, denn das Reiten am Vortage hatte mich ziemlich ermüdet. Ich beschliesse, vorderhand einmal auf eine Erkundigungsfahrt auszuziehen. Ein schmaler, beinahe ausgetrockneter Flusslauf zieht sich durch das enge Tal. Anfänglich bahne ich mir meinen Weg längs dieses Baches durch hohes Steppengras und ver-einzeltstehenden niederen Busch. Weiter oben jedoch ist das Tal in seiner ganzen Breite unsäglich dicht überwachsen von einem ca. zwei Meter hohen, stacheligen Dornbusch. Ein Durchkommen ist beinahe unmöglich, nur mit einem Buschmesser kann ich mir einigermassen Bahn verschaffen. Ich folge dann dem Flusslauf, der ebenfalls dicht überwachsen ist, aber wenigstens habe ich mehr Bewegungsfreiheit. Gut, dass es Winter ist, sonst würde dieser Urbusch bestimmt wimmeln von giftigen Schlangen und anderem Gewürm. Langsam nur komme ich vorwärts, ich will den Busch nun nach rechts queren, um dann an den steil abfallenden Gras- und Felsbändern etwas in die Höhe zu klettern und ihn so zu umgehen.

Wie ich draussen bin, kann ich dann leicht steigen und gewinne ziemlich rasch an Höhe. Ich klettere ein steiles, ziemlich breites Geröllcouloir hinauf, das sich von einem kleinen Sattel zwischen dem Cathkin-Peak und dem Monkskal herniederzieht. Es ist schattig hier und ziemlich kühl. Links von mir zeigen sich die zerklüfteten Gipfeltürme des « Stockhorns », eines dem Cathkin-Peak nach Norden vorgelagerten Gipfels. Seine Besteigung ist morgen auf meinem Programm. Mein Camp befindet sich auf ca. 6000 Fuss Höhe, jetzt mag ich mich auf ca. 8000 Fuss befinden. Ich habe meine Nagelschuhe im Kamp zurückgelassen und muss jetzt sehr Sorge tragen, dass ich auf den Grasbändern nicht ausrutsche mit meinen Kletterschuhen. Langsam komme ich dem Sattel näher. Schon einige Male habe ich mich umgeschaut, um einem komischen Geschrei, das mir von allen Seiten entgegentönt, auf die Spur zu kommen — wie der Hilferuf eines Kindes tönt es. Einige Steine kommen heruntergesaust. Ich folge mit den Augen ihrer Laufbahn, und dort, wo der Ausgangspunkt des Steinhagels sein könnte, bemerke ich etwas. Richtig — dass mir das nicht vorher in den Sinn gekommen — es sind Affen, Paviane, die hier oben ihre Heimat haben. Und plötzlich bemerke ich Hunderte von diesen Tieren auf allen Seiten. Die Gleichfarbigkeit ihres Pelzes mit dem Gestein macht sie unsichtbar, bis man ziemlich nahe ist. Man hatte mich gewarnt vor diesen Tieren, die sehr gefährlich sein können, aber ich kann mir nicht vorstellen, was sie mir anhaben könnten. So denke ich jetzt.

Endlich stehe ich auf dem Sattel. Er ist bewachsen von hohem Gras in sattem Grün. Ein prächtiger Ausblick in die Ebenen hinunter bietet sich von hier. Rechts türmt sich der Monkskal auf, und links protzt majestätisch das wuchtige Massiv des Cathkin-Peak. Und Hunderte von Pavianen schreien und springen und turnen an den Wänden herum, einige kommen bis auf Steinwurfnähe und beäugen mich neugierig. Bis hierher war mir die Route beschrieben gewesen, nun soll ich selbst weiterschauen. Ich studiere genau die Aufstiegsmöglichkeiten auf den Cathkin-Peak. Es sind glatte Plattenwände, ab und zu von Felsbändern durchzogen, und ab und zu zeigt sich ein ausgewaschenes Kamin. Dabei ist die Wand ausserordentlich exponiert, denn die Plattenflüchte fallen einige tausend Fuss senkrecht ab bis in die fernen Ebenen hinunter. Wie ich so betrachte und studiere, beobachte ich unwillkürlich einige Affen, die spielerisch und mit grosser Gewandtheit einen Kamin, der vom Sattel zum ersten Felsquerband führt, hinauf- und herunter-turnen. Und instinktiv folge ich meiner blitzartig aufgetauchten Idee: Warum nicht einmal diese Könige der Kletterkunst, diese « Einheimischen » der Drakensberge als Führer akzeptieren? Gedacht, getan. Ich wage den Einstieg in den Kamin, und tatsächlich — von meinem Standort aus hätte ich nie feststellen können, wie einfach eigentlich der Aufstieg hier ist. Allerdings — wie schon erwähnt — ausserordentlich exponiert, und der Fels ist auch nicht erstklassig. Aber die meisten losen Steine sind schon von den Pavianen ausgerissen worden. Wie sich meine unfreiwilligen Führer dazu stellen Y Selbstverständlich unter grossem Protestgeschrei sind sie sofort vorausgeeilt und glotzen nun neugierig herunter vom ersten Band. Nach einer Viertelstunde stehe auch ich dort. Meine Wegweiser sind indessen ca. 10 m über das Band gerannt und einen weiteren Kamin hinauf auf ein zweites Band. Meine gute Erfahrung von vorhin hat mich gelehrt, dass diese Affen tatsächlich den leichtesten und besten Aufstiegsweg kennen müssen, und nach einer Schnaufpause folge ich erneut der vordemonstrierten Route. Das Protestgeschrei wird wesentlich lauter, und nun höre ich bereits den Bass der « alten Herren », während bis jetzt erst die Jugend Lärm gemacht hatte. Aber dem schenke ich keine Beachtung, ich schmunzle schon heimlich über den leichten Sieg, den mir diese Erstersteigung dank meinen ausgezeichneten Führern zu erlauben scheint. Die Stelle ist etwas kitzlig, da das Band schräg nach unten hängt und der Fels ausserordentlich glatt ist. Auch der zweite Kamin bietet bedeutend mehr Arbeit als der erste und ist zudem noch etwas länger. Aber schliesslich ist auch dieses Stück überwunden, und ich stehe auf dem zweiten Band.

Die Paviane befinden sich nun nur etwa sechs Meter von mir weg auf demselben Band und knurren schon ziemlich wütend. Aber der Sieg winkt und alle Bedenken verschwinden hinter dem Bedürfnis, bald den Fuss auf diesen vielumstrittenen Gipfel setzen zu können. So begehe ich erneut einige Meter des Bandes. Dann folgt eine kurze Hangelquerung, da der Fels etwas überhängend ist. Hier wird mir zum ersten Male klar, wie sehr ausgesetzt und exponiert ich eigentlich hange, und vollständig ungesichert. Es sind gute 4000-5000 Fuss glatte Wand, die hier beinahe senkrecht zur Ebene abstürzt. Ich hoffe irgendwo anders eine Abstiegsmöglichkeit zu finden, denn hinauf geht 's ja immer leichter als hinunter. Ich befinde mich nun ca. 30 Meter unter dem Gipfelplateau, und ein drittes Kamin führt direkt hinauf. Allerdings kann ich schon von hier aus feststellen, dass es unbedingt das schwierigste sein muss. Aber probieren geht über studieren, und so fasse ich an. Die jungen Affen wurden von ihren Eltern auf den Gipfel vorausgeschickt, und ziemlich fern höre ich ihr Geschrei. Aber die ausgewachsenen stecken noch ca. 10 m weiter oben im Kamin, und ich höre ihr wütendes Pfauchen, als ich die letzte Etappe des Aufstieges in Angriff nehme. Meter um Meter gewinne ich an Höhe.

Der widerwärtige Kamin wird breiter und öffnet sich nach aussen, so dass das Aufstemmen sehr erschwert wird. Oftmals hange ich an nur einer Hand, und ich muss mehrmals Schnaufpausen einschalten, um mich nicht zu sehr zu ermüden. Dabei kann ich dann in die geifernden Gesichter der ausgewachsenen Affen blicken, die sich stets kaum einige Meter entfernt von mir bewegen. Eigentlich ein unappetitliches Vieh, ein Pavian: diese tückischen, tiefliegenden Augen, diese vorstehenden Zähne und das tiefe Grunzen und Pfauchen könnten einem Angst einflössen. Was sie nur wollen, dass sie stets auch anhalten, wenn ich es tue? Sobald ich wieder mich bewege, pfauchen sie wieder wütend. Es sind vier ausgewachsene Exemplare, etwa metergross, und erst jetzt kommt mir in den Sinn, dass man mir gesagt hatte, dass ein Pavian, der sich angegriffen fühlt, imstande ist, jedes Wesen im Verein mit etlichen andern Pavianen anzugreifen und zu zerreissen. Besonders gefährlich sollen sie sein, wenn sie die Jungen mit haben. Und mir kommt die Erkenntnis: Jetzt scheint es ernst zu gelten, denn die Affen zeigen keine Angst mehr, sondern eher freche Angriffslust. Und ich habe nichts, um mich zu verteidigen. Noch einmal probiere ich. Es sind nurmehr ca. acht Meter bis zum Gipfelplateau, und ich hange in einer sehr unbequemen Position und muss mich verändern. Da — die jungen Bestien erscheinen über der Gipfelkante und beginnen mich mit Steinen zu bombardieren! Und sie haben ein gutes Auge, und es sind grosse Steine. Wenn mich einer auf eine Hand oder einen Fuss trifft, bin ich geliefert. Ein Steinhagel um den andern bedroht mich. Und dazu die alten Paviane, die kaum vier Meter weiter oben hangen und mir die Zähne entgegenfletschen. Hätte ich doch einen Revolver mit! Soll ich tatsächlich aufgeben müssen, so nah am Ziel? Teufel — einen Stein habe ich auf die Schulter gekriegt, ein anderer streift meine Wange, und ich spüre das Blut rieseln. Also doch! Wenn ich die Plattenwände hinunterblicke, kommt mir das Unmögliche, das Hoffnungslose meiner Lage zu Bewusstsein. Eine ohnmächtige Wut erfüllt mich, als ich vorsichtig den Abstieg beginne.

Es war Glück, dass ich heil unten ankam. Während des ganzen überaus gewagten Hinunterkletterns kamen wieder einzelne Steine geflogen, und verschiedene Male musste ich mich eng an die Felsen drücken, um nicht getroffen zu werden. Erst beim letzten Kamin lassen mich die Biester in Ruhe. Aber nachfolgen tun sie mir doch, wenigstens die alten, grossen Tiere. Aufatmend stehe ich endlich wieder auf dem Sattel. Und Hunderte von Affen schreien wieder von allen Seiten. Und meine ganze Wut entlädt sich jetzt. Ich suche nach Steinen und schmeisse sie nach meinen Verfolgern. Aber sie springen nicht davon, weichen nur geschickt aus. Nein, mit unheimlicher Ruhe kommen sie langsam näher, fletschen die Zähne und beäugen mich aus ihren tiefliegenden, tränenden Augen. Und es sind schon Dutzende jetzt. Erneut muss ich Rückzug blasen, und resigniert stelle ich fest, dass ich eigentlich nichts Gescheiteres tun kann, als vor den Pavianen mich zu flüchten.

Es muss schon ziemlich spät sein. Wenigstens knurrt mein Magen jetzt erstmals. In der grossen Aufregung hatte ich völlig vergessen, dass ich heute nur auskundschaften und zum Mittagessen wieder im Kamp sein wollte. Nun ist es 430 Uhr nachmittags. Noch mindestens zwei Stunden Abstieg, der Gang durch den Dornbusch unten mitgerechnet. Also darf ich nicht zögern, um nicht in die Nacht hinein zu kommen. Eine Dämmerung gibt es ja hier nicht. Ich klettere in grosser Hast das Geröllcouloir hinunter, oftmals ganze Felsstürze loslösend. Aber die Zeit kann niemand aufhalten, unerbittlich marschiert der Zeiger der Uhr. Und schon bevor ich die Talsohle, wo der dichte Busch beginnt, erreiche, umfängt mich die Dunkelheit. Also auch das noch.

Verlorengehen kann ich eigentlich nicht, denn ich brauche ja nur durch den Busch talabwärts zu gehen und muss dann in die Nähe des Kampes kommen — und dort unterhalten die Boys bestimmt ein Feuer. Aber das ist leichter gedacht als getan. Erstens finde ich das beim Aufstieg abgelegte Buschmesser nicht mehr. Dann ist es absolut stockfinster im Busch, ich kann kaum meine Hand sehen vor den Augen. Ein Licht habe ich auch keines. Und hier bleiben kann ich auch nicht, denn die Nacht wird empfindlich kalt werden. Also muss ich durchkommen, und wenn es Stunden dauert. Was sich wohl meine Boys denken werden, dass ich solange nicht zurückkomme? Dieser Busch ist ganz ausgedörrt und sehr zäh. Meter um Meter muss ich mich durchkämpfen, mir mit den Händen einen Weg brechen. Meine Hose ist bereits in Fetzen, mein Hemd und meine Jacke auch. Die zerkratzten und verschärften Hände und Beine und das Gesicht spüre ich gar nicht mehr. Nur ein Gedanke beseelt mich: ich muss durchkommen! Nur immer vorwärts, irgendwo muss ich hinauskommen Es geht so langsam. Ich bin höchstens in der Hälfte und habe doch schon mindestens eine Stunde gearbeitet. Ein Brandgeruch steigt mir in die Nase. Bin ich schon so nah dem Kamp? Ah, ich stosse gegen eine Felswand, wohl einer der grossen Felsbrocken, die vereinzelt im Busch liegen. Ich muss mich mal orientieren, wo ich eigentlich stecke. Also klettere ich auf den Block hinauf und kann den Busch ein wenig übersehen. Das Ergebnis dieser Umschau ist eine Flut von Kraftworten — und dann beinahe Mutlosigkeit. Meine Boys dachten sich wohl, dass ich noch droben in den Felsen stecke und das Lager oder das Tal nicht mehr finden könne, und haben kurzerhand den Busch und die Steppe angezündet, um mir Licht und eine Fackel zu machen. Das Feuer hat eine prächtige Nahrung an dem dürren Zeug. Sie konnten sich natürlich nicht vorstellen, dass ich darinnen stecken könnte. Ein Entkommen nach rückwärts kommt nicht in Frage, denn das Feuer bewegt sich dank dem wehenden Wind sehr rasch talaufwärts. Auf dem Felsbrocken bleiben? Ohne Brandwunden geht 's da auch nicht ab. Das Feuer ist schon verdächtig nah. Mein Schreien nach den Boys wird übertönt von dem Brausen des brennenden Busches. Immerhin kann ich jetzt schon etwas sehen und —ja dort ist meine Rettung! Eine kleine Lichtung von vielleicht vier Metern Durchmesser zeigt sich aus dem Rauch heraus, nicht weit weg von meinem Standpunkt. Instinktiv springe ich erneut in den Busch hinunter und arbeite mich durch zu diesem Plätzchen. Jetzt die Streichhölzer heraus und ein kleines Feuer anfachen, ist das Werk eines Augenblicks. Der Wind tut das Nötige. Schon ist die kleine Lichtung abgebrannt, und der Busch dahinter beginnt zu flackern. Aber schon ist auch das grosse Feuer von unten da. Am äussersten entgegen- jgçTK..r- gesetzten Ende der Lichtung halte ich an — und tatsächlich muss das Feuer um meinen Platz herum einen Weg suchen, weil hier kein Brandstoff mehr ist. Ein Sprung — und ich stehe hinter der Feuerlinie. Gleich ergreife ich einen brennenden Ast als Fackel und stürme dann vorwärts dem Kamp entgegen. Unterwegs schon begegne ich den Boys, die zu Tode erschrecken, als ich aus dem Feuer auftauche. Sie haben ja nichts verstanden von dem, was ich ihnen gesagt, aber sie wussten doch, was sie zunächst zu tun hatten, nämlich sofort den Brand zu unterbrechen und ein Gegenfeuer anzuzünden. Sie haben ja Übung in derlei Sachen, und ich kann es ihnen allein überlassen. Ich wanke dem Kamp entgegen, wo ich mich kaum ausziehe, in die Decken rolle und in einen tiefen Schlaf verfalle.

Am nächsten Morgen sorgte ich zuerst gründlich für den Magen und flickte dann die zerrissenen Kleider. Auch war mir ein Ruhetag ausserordentlich willkommen. Aber bald sind die überstandenen Strapazen wieder vergessen, und ich beschäftige mich mit neuen Plänen.

Der Champagne-Castle — der höchste Berg Südafrikas — lockt in nächster Nähe. Diesmal breche ich wohlweislich früh auf, um nicht wieder in die Nacht hineinzukommen. Ich lasse den Dornbusch links liegen und steige anfänglich über vorgelagerte Hügel auf ein kleines Plateau. Von dort aus zieht sich ein langer Grat bis an den Fuss des Gipfelaufbaues, welcher wieder aus senkrecht abfallenden Plattenwänden besteht. Es ist unmöglich, den Gipfel direkt anzugehen. Auch ist es meiner Ansicht nach nicht die kürzeste Route, dem Grate zu folgen, wie es meistens getan wird. Ich quere deshalb nach rechts in eine Plattenflucht hinein und steige dort von Band zu Band direkt aufwärts. Es ist keine schwierige Kletterei, aber auch hier ist das Gestein sehr lose, und ich muss Sorge tragen, um nicht auszugleiten. In dreiviertel Höhe quere ich erneut über einen andern Grat, welcher ein tiefes Couloir rechts begrenzt. Ich steige in das Couloir ab und strebe dann vorsichtig gegen einen kleinen Sattel hinauf. Im obersten Teil wird es ausnehmend steil, und ich muss wohl oder übel die Kletterschuhe anlegen. Langsam nähere ich mich dem Gipfelplateau. Stets halte ich Ausschau nach eventuell auftauchenden Pavianen, aber heute lassen mich die Bestien in Ruhe. Zur Sicherheit habe ich heute auch einen Revolver in die Tasche gesteckt. Endlich sind die letzten Meter überwunden, und vor mir breitet sich das Gipfelplateau des Champagne-Castle.

Es ist ein komisches Gefühl, hier in den Drakensbergen « oben » zu sein. Ich weiss, der Aufstieg ist praktisch beendet — und doch habe ich nicht das befreiende Gefühl, das jeden Bergsteiger beseelt, wenn er einen Gipfel erreicht. Das Plateau ist etwa 700 m lang und 500 m breit. In der Mitte bildet es eine Art Kessel, dessen Rand aus nach innen sanft abfallenden Hügeln besteht. Man weiss eigentlich noch nicht, welcher der acht « Gipfel » der höchste ist. Auch die genaue Höhe des Champagne-Castle weiss man nur mehr oder weniger schätzungsweise. Sie ist mit 12,500—13,000 Fuss angegeben. In seiner ganzen Länge wird das Plateau von einem kleinen Bach durchzogen, heute ist er dick gefroren. Grosse Mengen von kleinen Kaninchen leben hier oben, auch sehe ich einige Riesenantilopen. Und dort — wahrhaftig — Pferde! Halbwilde Pferde! Jedenfalls sind sie irgendwo durchgebrannt und fristen nun hier oben ein freies, ungebundenes Leben. Der nächste bewohnte Kaffernkral muss sich ca. 50 km von hier befinden, in Basutoland. Die Tiere müssen auch von dort hier herauf gelangt sein, denn auf der von mir begangenen Seite wäre es für grosse Vierbeiner unmöglich, zu « kraxeln ». Ich spaziere dem Rand des Plateaus entlang, von Hügel zu Hügel, und eine prachtvolle Aussicht bietet sich mir auf allen Seiten. Links von mir — durch das Tal, wo ich meinen Kamp errichtet habe, getrennt—liegt breit und massig das Massiv des Cathkin-Peak, ihm vorgelagert das Stockhorn. Rechts vom Cathkin erhebt sich der wuchtige Kegel des Monkscowl, des unbesteigbaren Berges. Ich habe gute Gelegenheit, von hier aus diesen Kerl zu betrachten und zu studieren. Und ich komme zur Ansicht und zum Entschluss, dass mir bei einem späteren Besuch, wenn ich nicht mehr allein sein werde, sondern mit einem tüchtigen Seilkameraden, die Besteigung des Monkscowl bestimmt gelingen wird.

Ich quere nun das Plateau und steige auf die entgegengesetzten Randhügel. Hier breitet sich vor meinen Augen die unendliche Berglandschaft des Basutolandes. Alles kahle, mehr oder weniger flache Massive. Ein Eldorado für einen « Erstbesteiger », trotzdem eigentlich zwischen den einzelnen Gipfeln nicht viel Abwechslung bestehen kann. Ich setze mich auf einen Steinhaufen. Ob er wohl von der Natur hieher gesetzt wurde oder von Menschenhänden? Unabsichtlich verschiebe ich einen Block und muss feststellen, dass sich ein Hohlraum unter der Pyramide befindet. Ich schaue näher zu und stelle fest, dass ein menschliches Skelett unter den Steinen liegt. Also ein Grabhügel. Wer ist wohl der Unglückliche? Oder der Glückliche? Ein Neger-fürst? Ein alter Pionier oder ein Opfer des Burenkrieges? Wer kann wissen, was sich in dieser einsamen Gegend hier schon für Schicksale abgespielt haben! Ich steige hinunter zur tiefsten Stelle des Plateaus. Ein steiles Couloir zieht sich hier von einem einsamen, öden Tale herauf. Auf der entgegengesetzten Seite wird das tiefe Tal begrenzt von riesigen senkrechten Wänden, zerklüfteten Gräten und Nadeln. Man könnte meinen, sich in den Dolomiten zu befinden. Dort jenes Felsgebilde mit den unzähligen spitzen Nadeln heisst man sehr zutreffend die « Kathedrale » mit den « Orgelpfeifen ». Die Wände sind voll prächtiger Adlerhorste.Von blossem Auge kann ich die jungen Vögel erkennen, während ihre riesigen schwarzen Eltern über mir grosse Kreise ziehen.

Ich geniesse noch ein wenig die wohlige Wärme der afrikanischen Wintersonne und mache mich dann an den Abstieg. Durch das gleiche Couloir, durch welches ich heraufgekommen bin, klettere ich wieder hinab, allerdings quere ich erst viel weiter unten in die Bänder hinein. Es ist ein gefährliches Gehen infolge des losen Steins und des auf den abwärtsgerichteten Bändern liegenden Gerölls. Mehr als einmal rutsche ich aus, kann mich aber stets wieder halten. Aber beinahe am Fusse des Berges passiert mir doch noch ein Missgeschick: ich verklemme mich mit meinem linken Fuss zwischen zwei Platten und trage eine leichte, aber schmerzhafte Verstauchung davon. Ich humple noch einige hundert Meter weiter, bis ich den Kamp erblicken kann, und rufe dann aus Leibeskräften meinen Boys. Es ist noch früh am Die Alpen — 1939 — Les Alpes.38 Nachmittag, und bald sehe ich sie mir entgegenkommen. Mit ihrer Hilfe bin ich dann bald im Lager und kann mich ausruhen und den Fuss pflegen.

Mit der Besteigung des « Stockhorns » ist es nun allerdings aus, denn für einige Tage werde ich nicht mehr klettern können. Also machen wir uns anderntags zum Aufbruch bereit. Die Pferde spüren sofort, dass es heimwärts geht, zudem sind sie gut ausgeruht, und ich brauche sie nicht mehr gross anzutreiben. Wiederum ziehen wir durch ödes Buschland und Halbwüste. Nach drei Stunden leuchten die Lichter meines Hotels aus dem Dunkel heraus. Dankbar klopfe ich den Hals des Pferdes, ich selbst hätte mich nie so rasch zurechtgefunden.

Mein diesmaliges Gastspiel in den Drakensbergen wurde leider infolge des kleinen Unfalls etwas vorzeitig abgebrochen. Aber die Erinnerung an den Zauber, an die Pracht dieses einsamen Gebirges, dessen Eigenartigkeit mich trotz der äusserlichen öde sofort gefangen nahm, lebt stets in mir. Auch meine Freunde, die Paviane, werde ich nicht so schnell vergessen. Ich habe später diese Tiere auch in den Wäldern von Transvaal und Mozambique sowie am Kap der Guten Hoffnung angetroffen und beobachtet, und kein Mensch wollte mir glauben, dass diese stets zu drolligen Spässen aufgelegten Affen auch gefährlich werden können. Vielleicht mögen sie auch liebenswürdiger sein als ihre Vettern in den Drakensbergen. Und wenn ich je wieder dorthin zurückkehre, werde ich sie als gute alte Bekannte begrüssen.

Corrigendum.

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