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Adelboden und seine Berge

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von Dr. Aug. Walker ( Sektion Weißenstein ).

Das Thal von Adelboden ist erst seit einigen Jahren in Touristenkreisen bekannter und besuchter geworden. Vorzugsweise hat der Bau der neuen Straße von Frutigen nach Adelboden zur Folge gehabt, daß ein Teil des Touristenstromes, der früher nur gegen Kandersteg und die Gemmi sich bewegte, jetzt in Frutigen nach dem Engstligenthale abschwenkt. Die Zahl der Gäste Adelbodens hat sich in den letzten Jahren successive vermehrt, so daß die Hotels kaum mehr im stände sind, alle Einlaßsuchenden aufzunehmen, und trotz der Vergrößerung des Hotel Wildstrubel sich das Bedürfnis geltend gemacht hat, ein neues Hotel zu bauen.

Es verdient aber das reizende Gelände von Adelboden vollauf einen Besuch. In erster Linie ist der Ort solchen anzuraten, die, von strenger Berufsarbeit ermüdet, in reiner, erquickender Gebirgsluft Erholung suchen wollen. Der Umstand, daß der Thalkessel von Adelboden eine weite Mulde darstellt, ermöglicht eben eine große Auswahl wenig ansteigender, daher nicht anstrengender Touren. Wie die fünf Finger einer Hand breiten sich in der Thalmulde Adelbodens fünf Thäler aus, durch kleinere oder größere Höhenzüge, Abzweigungen der Hauptketten, von einander getrennt und Gelegenheit für kleinere und größere wenig anstrengende Ausflüge bietend. Hierdurch zeichnet sich der Ort vor andern in gleicher Höhe oder höher gelegenen Orten vielfach aus. Wenn, wie in den meisten Walliserthälern, das Thal gleichsam nur einen Durchbruch der dasselbe einschließenden Gebirgsmassen vorstellt, beiderseits unmittelbar neben der Ortschaft steil aufragende Berge sich erheben, wird die Zahl der möglichen und wenig anstrengenden Ausflüge beschränkt, da nur nach zwei Seiten sich solche machen lassen, wodurch eine gewisse Monotonie bedingt wird. Das ist eben bei Adelboden mit seinen fünf Thalverzweigungen nicht der Fall.

Aber nicht nur für den nur spazierengehenden Touristen oder Sommerfrischler ist hier gesorgt, auch der Bergsteiger findet lohnende Objekte. Die Hochgebirgswelt Adelbodens ist freilich lange nicht mit derjenigen Zermatts oder Grindelwalds vergleichbar, nur zwei größere Gebirgsstöcke, der Lohner und der Wildstrubel, dienen dem Hochclubisten.

Es sind neben diesen Gipfeln aber noch eine Anzahl kleinerer und auch nicht zu verachtender Berge vorhanden, die als Vorübung zu größeren Touren dienen können und auch an und für sich punkto Aussicht und Weg sehr lohnende Ausflugsziele vorstellen. Auch dem Kletterer bietet Adelboden Gelegenheit, seine Kunst zu zeigen, und wer Berge auf neuen oder nur wenig begangenen Pfaden zu besteigen liebt, hätte in Adelboden noch einiges zu thun.

Ich will in folgendem versuchen, dem Bergfreund einige der von Adelboden aus möglichen Touren vorzuführen, und hoffe vielleicht diesem und jenem auch etwas Neues zu bringen, da das Gebiet von Adelboden im Jahrbuch schon lange keine und überhaupt noch wenig Erwähnung gefunden hat. x ) Als Ausgangspunkt für fast alle meine Touren diente mir das Hotel Wildstrubel ( 1356 ra ) im Orte selbst, auf dem leicht an-; steigenden westlichen Berghange gelegen, mit freier Aussicht auf den gerade gegenüber sich erhebenden gewaltigen Stock des Lohner und den im Hintergrund im Firngewand erglänzenden Wildstrubel. Frau Hirt-Wyß, die im Hotel das Regiment mit kundiger Hand führt, sorgt zudem aufs beste für gute Küche und Keller, so daß man auch in dieser Hinsicht in Adelboden gut aufgehoben ist.

Es wird zweckmäßig sein, eine kurze Topographie der Berge Adelbodens vorauszuschicken, um dem Leser das Verständnis für das folgende zu erleichtern. Wenn wir den auf der Grenzlinie von Wallis und Bern liegenden Gebirgsstock des Wildstrubel zum Ausgangspunkt nehmen, so ziehen von diesem zwei größere Gratlinien nordwärts, eine kürzere östliche und eine längere westliche. Beide beginnen nahe bei einander an der nordöstlichen Ecke des Wildstrubelmassivs. Während der östliche Zug voft'hier aus in ziemlich gerader Richtung nordwärts zieht, macht der westliche gleich anfangs eine starke Ausbiegung westwärts, indem er bis zum, Gipfelstocke des Albristhorns vom östlichen Grat sich entfernt und erst von dort an parallel mit dem letztern nordwärts zieht. Durch diese Ans-biegung wird der weite Thalkessel Adelbodens geschaffen. Der östliche Grat, das Engstligen- vom Kanderthal trennend, beginnt mit dem Steghorn ( 3152 m ) am Wildstrubel und endet mit dem Elsighorn. Bis zur. Bonderkrinde, dem Paßübergang von Adelboden nach Kandersteg, hat er hochalpinen Charakter und zeigt folgende bemerkenswerte Erhebungen: Thierhörnli 2901 m, Kindbettihorn 2696 m, Tschingellochtighorn 2740 m, Großlohner 3055 m, Kleinlohner 2591™, Bondevspitz 2548 m, Allmengrat 2530 m, First 2550 m und Elsighorn 2346 m.

Eigentliche Paßübergänge hat dieser Grat drei: der vielbegangene Engstligengrat, von Adelboden beziehungsweise der Engstligenalp direkt nach der Gemmi führend, die schon erwähnte Bonderkrinde, zwischen Klein- und Großlohner, und die auf der Siegfriedkarte keinen Namen tragende, von den Führern Adelbodens fälschlich Allmengrat benannte Lücke zwischen Klein-Lohner und Bonderspitz, wie die Bonderkrinde von Adelboden nach Kandersteg führend.

Der westliche Grat, beim Großstrubel beginnend, hat nirgends hochalpinen Charakter. Mit dem Arnmertengrat beginnend, findet er nach langem Verlaufe im Niesen seinen Endpunkt. Für uns kommen folgende bemerkenswerte Erhebungen desselben in Betracht: Ammertengrat 2615 m, Albristhorn 2764 m, Gsür2711 m, Winterhorn 2609 m. Dieser Grat trennt das Adelbodenthal vom Simmenthal ( Lenk ) und dem Diemtigthal. Paßübergänge in demselben sind: der Ammertenpaß, von der Engstligenalp nach dem Räzliberg führend, das tief eingeschnittene Hahnenmoos 1954 m, kürzester Übergang von Adelboden nach der Lenk, die Krinde 2354 ' ", zwischen Albrist und Gsür, und der Otterngrat 2282 m, letzterer von Adelboden nach dem Diemtigthal führend.

Sämtliche Paßübergänge von Adelboden aus, der Engstligengrat vielleicht ausgenommen, können mit der Siegfriedkarte zur Hand von nur etwas Bergeskundigen ohne Führer gemacht werden. Nach dieser kurzen Orientierung wollen wir die Gipfel im einzelnen etwas betrachten. Wir beginnen mit dem Bonderspitz ( 2548 m ).

Der Bonderspitz ist einer der lohnendsten der ganz leicht zu besteigenden Gipfel im Gebiete von Adelboden. Wer morgens früh um 4 oder 5 Uhr aufbricht, kann zum Mittagsmahle ganz gut wieder in Adelboden zurück sein. Ein Führer ist nicht notwendig. Von Adelboden zum Engstligenbach hinabsteigend, überschreitet man bei der Schützenmatt oder bei der Margelbrücke den Bach und gelangt über Wiesen und Matten, teilweise durch Wald, entweder dem Bondelenbach folgend oder über die Brandegg und den Stutz aufsteigend zur Alp Bonder und zuletzt zum Kumi, von wo entweder über den Grat ansteigend, oder etwas rechts von demselben sich haltend, wo die Karte einen Weg angiebt, der aber nicht existiert, die Spitze ganz leicht gewonnen wird. Auch von der Einsattlung zwischen Klein-Lohner und Bonderspitz, dem Allmengrat der Führer, ist der Gipfel zu erreichen. Der ganze Aufstieg beansprucht für einen mittelguten Gänger 3V2 — 4 Stunden. Der mit einem Steinmann gekrönte Gipfel bietet nur wenig Platz, er fällt ziemlich schroff gegen das Kanderthal und nordwestlich gegen das Engstligenthal ab. Ein schneidiger Grat, der meines Wissens noch nie überschritten worden ist und Sportsliebhabern Freude machen müßte, führt von der Bonderspitze hinüber zum Allmengrat der Karte und zur First. Seine Begehung wäre gewiß möglich und sehr lohnend, aber durchaus nicht leicht.

Am Tage unserer Besteigung war die Aussicht nicht allseitig frei, von den Hochgipfeln waren einige mit Nebelkappen geziert, andere ziemlich weit hinab mit Wolken bedeckt. Südwärts verdeckt das gewaltige Massiv des Lohner den Blick gegen den Wildstrubel, gestattet dafür aber interessante Blicke in das Gewirr seiner Klippen und Schluchten. Daß der Kleine Lohner, ein allseitig wild abfallendes Felsgerippe, nicht leicht zu besteigen ist, wird bei der Besichtigung von der Bonderspitze aus sofort erkennbar. Nach Westen ist der lange, das Engstligenthal vom Simmenthal trennende Höhenzug in seiner ganzen Ausdehnung bis zum Niesen sichtbar, das Gasthaus auf dem letzteren ist von bloßem Auge deutlich zu erkennen. Nach Osten dringt der Blick in die Hochgebirgspracht der ewig schönen Berneralpen, zum Wetterhorn, nach der schlanken Eigerspitze, dem Mönch und der Jungfrau. Das Blümlisalp-massiv präsentiert sich recht hübsch, und gewaltig erheben sich aus dem tief eingeschnittenen Gasterenthal die mächtigen Gebirgsstöcke des Doldenhorn, des Balmhorn und der Alteis. Wie ein Idyll lagert zu den Füßen des Doldenhorn und der Blümlisalp im milden Sonnenglanze der herrliche Öschinensee, und neben Schilt und Hockenhorn grüßt die firn-bepanzerte Pyramide des Bietschhorn, über ihre Nachbarn in kühnem Schwünge sich erhebend, zum Beschauer hinüber. In schönem Kontrast zu dieser wilden, leblosen Scenerie winken aus der Tiefe die Häuser von Kandersteg und von Adelboden, und nord- und nordostwärts schweift der Blick über die Voralpen hinaus ins schweizerische Hügelland und an den heimatlichen Jura.

Albristhorn ( 2764 m ).

Länger, mühsamer und etwas schwieriger als der Bonderspitz ist das Albristhorn oder der Albrist. Ich bestieg ihn am 12. Juli 1894. Morgens 61/* Uhr brach ich vom Hotel Wildstrubel auf, allein, den Sack mit Proviant auf dem Rücken, bei schönem Wetter. Der Weg führt nach der Alp Stiegeischwand und dort bei der sogenannten Schirmtanne, einem beliebten Ausflugsziel der Sommerfrischler Adelbodens, bergan zur Alp Furrgi. Man kann auch auf anderem, etwas weiterem, aber weniger steil ansteigendem Wege zu dieser Alp gelangen, wenn man bei der Schirmtanne nicht rechts abzweigt, sondern geradeaus geht bis zur Alp-liütte „ Im Horn ". Beim Anstieg zur Alp wurde ich von zwei schottischen Fräuleins eingeholt, die, von Führer Fähnrich begleitet, sich auch den Albrist als Ziel ausgewählt. Da es Gäste aus dem Hotel Wildstrubel waren, und es angenehmer ist in Gesellschaft als allein zu gehen, schloß ich mich ihnen an, und im Schweiße des Angesichts ansteigend, gelangten wit zu den Alphütten von Furrgi, oberhalb welchen eine klare, aus dem Felsen hervorsprudelnde Quelle zur Rast einladet. Von der Alp zieht man sich hinan gegen die sogenannte Krinde. der tiefsten Einsattlung zwischen Albrist und Gsür, und mit einem Male öffnet sich hier der Ausblick in die Berge und Thäler des Simmenthals. Von hier ist der Weg vorgezeichnet, möglichst dem Grate folgend wird die Spitze des Albrist unschwierig ( nur zwei kurze Stellen erfordern die Hülfe der Hände ) erreicht. Gerade diese zwei schwierigen Stellen fanden die beiden schottischen Fräuleins, die noch nie einen höhern Berg bestiegen hatten und zum ersten Male in der Schweiz waren, wonderful and very nice. Ein Steinmann krönt die luftige Höhe, von der man eine prachtvolle Ausschau hat, westwärts über die Berge der Waadt, Freiburgs und die anschließenden des Simmenthals. Südwärts ist über den Grenzwall zwischen Wallis und Bern hinweg ein großer Teil der Spitzen des Wallis sichtbar. Wolken verhüllten hier einen Teil des Horizonts, so war der Montblanc, der sonst gut sichtbar wäre, in Nebel gehüllt, der große Combin hingegen ragte als prachtvoller breiter Schneedom in die Höhe, und gerade rechts neben dem Wildstrubel war die Spitze des Matterhorns sichtbar. Natürlich zeigen sich auch die Diablerets, die schöne Firnkuppe des Wildhorns; herrlich baut sich in stolzer Breite direkt vor dem Beschauer die Nordwand des Wildstrubelmassivs auf, und die plaine morte erstrahlt im warmen Glänze der Sonne. Weiter ostwärts kulminieren die meisten Spitzen der Berneralpen, so der Großlohner mit seinen wilden Felswänden und Runsen, die Gebirge Kanderstegs, Rinderhorn, Doldenhorn, Blümlisalp, das Gespaltenhorn mit seinen Zacken, noch weiter die herrliche Jungfrau, der Mönch und der weit ins Land hinausschauende Eiger. Zwischen ihm und dem Mönch ragt keck über die Lücke die dunkle Spitze des Schreckhorns und links vom Eiger zeigen sich Berglistock und die drei Kuppen der formenschönen Wetterhörner.

Weiter nordwärts erkennt man deutlich den Titlis, das Faulhorn, die Schwalmern, den Dreispitz, Gemmenalphorn und Sigriswylerrothorn, und über die Berge der Niesenkette schweift der Blick in das schweizerische Hügelland zum fernen Jura und bis zum Schwarzwald. Ich erkannte deutlich meine heimatlichen Juraberge, die Hasenmatte, die Röthe und den Weißenstein. Auch der Neuenburger See ist zu erkennen. Herrliche Alptriften umgeben den Fuß des Albrist und das harmonische Geläute der weidenden Kühe dringt gut vernehmlich zu dir empor. Das schöne Panorama ließ uns den etwas kalten Westwind vergessen, und l1k Stunden, bis 11 Uhr 30 Min., blieben wir auf der luftigen Höhe.

Den Rückweg nahmen wir südwärts gegen das Hahnenmoos; diese Abstiegsroute ist nicht genug zu empfehlen. Sie stellt eine Gratwanderung dar, wie man sie in den Voralpen schöner gewiß nicht antreffen kann. Der Grat ist fast überall breit und gut gangbar, zwei oder drei Stellen verlangen etwas Schwindelfreiheit und Vorsicht, können zur Not aber auch umgangen werden. Man hat immer so schöne Ausblicke in die beidseits dem Wanderer zu Füßen liegenden Triften und hinüber zu den Hochalpen, daß man sich nicht beeilen wird, rasch herunter zu kommen, und gewiß nicht der Versuchung widerstehen kann, auf den Spitzen des Seewlenhoms und des Thierbergs, welche Punkte kleine Erhebungen im Grate vorstellen, sowie tiefer unten auf dem Laveygrat noch Halte zu machen und die Umschau recht zu genießen. Bad und Dorf Lenk nehmen sich z.B. von hier oben allerliebst aus. Beim Laveygrat bietet sich dem Botaniker und Blumenfreund reiche Ausbeute, Gentianen, Orchideen, Alpenrosen, ein buntfarbiger Teppich von Blumen. Auf dem Wege über das Hahnenmoos erreicht man dann ganz bequem und auf gutem Pfade in kurzer Zeit wieder Adelboden. Es war noch nicht 5 Uhr, als wir dort wieder eintrafen. Die beiden schottischen Fräuleins waren von Anfang bis Ende auf der ganzen Tour gut disponiert und munter gewesen, so daß für rüstige Damen die Tour auch nicht zu stark ist. Wer in das Gebiet von Adelboden kommt und etwelche Mühe nicht scheut, soll sich diese Überschreitung des Albrist ja nicht entgehen lassen.

Gsür ( 2711 m ).

Das Gsür, der nördliche Nachbar des Albrist, ist wohl ebenso lohnend wie dieser, ist aber mehr für den Hochclubisten und Sportfreund berechnet, da die Besteigung etwas Fertigkeit im Klettern erfordert. Die Tour bildet eine hübsche Vorübung zu schwierigem Fahrten. Sie ist nicht lang und kann ein rüstiger Gänger, wenn er morgens etwas früh aufbricht, mittags ganz wohl wieder in Adelboden zurück sein.

Es war ziemlich zweifelhaftes Wetter, als Herr Ph. Segner, ein in Manchester ansäßiger Deutscher, ich und Führer David Sporri aus Adelboden, am 14. Juli, morgens 5 Uhr 40 Min. vom Hotel Wildstrnbel aufbrachen. Beim zweiten Haus außerhalb der Kirche biegt der Weg nach rechts und steigt über Matten und durch Wald gegen die Alphütte von Schwandfehl. Dort hat man bereits eine ganz hübsche Aussicht, jedenfalls die schönste, die man von Punkten von 2000 m Höhe in der Nähe Adelbodens haben kann.

Man erblickt den ganzen Kranz der Berge, der Adelboden umgiebt, und darüber hinaus das Doldenhorn, die Blümlisalp, die Spitzen vosr - Jungfrau, Mönch und Eiger. Thalauswärts ist das Adelboden- und Kanderthal in großer Ausdehnung sichtbar, das letztere von Frutigen bis über Reichenbach hinaus. Vom Schwandfehl zieht sich ein Grat, der nach der rechten Seite ziemlich schroff gegen das Tschententhal abfällt, direkt gegen die breite Wand des Gsür hin. Immer auf der Höhe desselben bleibend, erreichten wir, zuerst über Gras, dann über Fels und schuttiges Terrain, den eigentlichen Gipfelbau des Berges ohne Schwierigkeit. Wo die Felsen steiler sich auftürmten, bogen wir nach links und gelangten über stark mit Schutt bedeckten brüchigen Schiefer in eine mit Trümmern erfüllte Rinne. Hier überfiel uns der Regen, vor dem wir unter den etwas überhängenden Felsen der linken Seite der Rinne ( im Sinne des Anstiegs ) Schutz suchen mußten. Nach Nachlaß desselben wieder aufbrechend, erreichten wir, durch die Rinne ansteigend, ohne Gefahr den Nordgrat des Gsür. Die jetzt folgende Gratwanderung ist recht hübsch. Der Grat ist nicht steil, aber stellenweise ordentlich schmal ( 10—15 om ), besteht aber größtenteils aus gutem Fels. Man könnte ihn in seiner ganzen Ausdehnung bis zum Gipfel begehen, eine kleine Scharte in demselben wird aber besser nach rechts hin umgangen. Nach etwa 20 Minuten langer Gratwanderung erreichten wir ohne den geringsten Unfall den Gipfel um 9 Uhr präcis, hatten somit, Rasten inbegriffen, 3 Stunden 20 Min. gebraucht.

Die Aussicht vom Gsür ist derjenigen des Albrist ziemlich ähnlich, aus eigener Erfahrung kann ich sie nicht beschreiben, wir hatten Wolken über uns, Wolken unter uns. Nur ein Teil des Hochgebirgs war sichtbar, der Wildstrubel, die Spitzen des Lohners und die Berge von Kandersteg: Blümlisalp, Doldenhorn, Alteis, Balmhorn, Rinderhorn; was weiter lag, hüllte sich in düstern Nebel und unförmliches Grau.

Den Abstieg bewerkstelligten wir auf dem gleichen Wege. Bei der Sennhütte von Schwandfehl zwang uns ein gehöriger Regenschauer wieder zu einem längern Halt, doch erreichten wir das Hotel Wildstrubel noch zu rechter Zeit ( um 11 Uhr 45 Min. ), um an der gut besetzten Mittagstafel der Frau Hirt Leib und Seele wieder zu stärken und zu erwärmen.

Männlifluh ( 2654 m ).

Obschon nicht mehr recht in das Gebiet der Adelbodener Berge gehörend, mag doch dieser Berg, weil seine Ersteigung von Adelboden aus ebenso wohl wie vom Simmenthal aus bewerkstelligt werden kann, hier einige Erwähnung finden. Von der langen Bergkette, die das Adelboden-und weiterhin das Kanderthal nach Westen begrenzt, der Niesenkette, zieht sich beim Winterhorn ein anfangs zersägter und scharfer kurzer Felsgrat nach Westen. Er trägt als Haupterhebung die Spitze der Männlifluh. Am 16. Juli, morgens 8 Uhr 30 Min., erreichten wir ( Herr Segner und ich ), das Tschentenegg und Eggenschwand auf langem größtenteils ebenem Wege umgehend, das Thal des Otternbachs. Hier steigt man auf schmalem Zickzackwege bergan gegen die Alpen von Einder-wald, entweder zum Eggenbergli oder, horizontal traversierend, in der Richtung gegen das Ottermäder. Wir schlugen den letztern Weg ein. Bei der Bachrunse des Otternbachs angekommen, geht 's wieder aufwärts und dann links zur Alp Ottern auf gut gangbarem Pfade. Es war nebliges Wetter, und beim weitern Anstieg gegen den Otterngrat waren wir bald in dichten Nebel gehüllt, der uns die Höhe des Otternpasses nicht gleich auffinden ließ. Der Nebel ist kein Freund des Alpenwanderers, ungemein leicht läßt man sich von einer einmal angenommenen Richtung abbringen, besonders durch kleine Terrainschwierigkeiten, steile Hänge, Felsen, und verfehlt so das Ziel. Auf der Grathöhe zerstreute zum Gluck der Wind den ungastlichen Nebel und ließ uns erkennen, daß wir nicht weit abgewichen. Zu gleicher Zeit konnten wir die weitere Anstiegsroute auf die Männlifluh gut verfolgen. Über Schutthalden an der Westseite des Erbethhorns traversierend, erreichten wir bald einen steilen nach Südwest abfallenden Gratrücken, über den auf Rasen ansteigend gut aber mühsam der Gipfel der Männlifluh gewonnen wurde, 5 Stunden 10 Min. nach unserem Aufbruch vom Hotel. Für die entgangene Aussicht mußten wir uns mit den mitgenommenen Speisen und Getränken trösten. Überall wogten die Nebel, nur der Blick auf die Alp Kilei und hinab ins Schwenden-thal war frei. Zeitweise ragten noch die Spitzen der Weißenfluh und des Winterhorns gespensterhaft und düster, grau in grau, etwas aus dem Nebel hervor. Die Männlifluh muß jedenfalls, da sie die umgebenden Gipfel alle an Höhe überragt, ein ziemlich ausgedehntes Panorama haben. Trotz des etwas langen Weges muß die Besteigung derselben als lohnend bezeichnet werden. Den Rückweg bewerkstelligten wir auf gleichem Wege; um 2 Uhr 10 Min. vom Gipfel aufbrechend, erreichten wir den Adelboden wieder um 6 Uhr 15 Min.

Groß-Lohner ( 3055">).Das Massiv des Groß-Lohners vermag in seinem Aufbau mit dem Wildstrubel fast zu konkurrieren. Es fehlen ihm freilich das Gletscherrevier und große Firnfelder. Aber der ganze Aufbau des Lohners, von Adelboden aus gesehen, übt auf den Beschauer fast einen mächtigern Eindruck als die breite Wand des Wildstrubels. Drohend baut sich sein felsiger Grat auf, 2 kühne Felstürme, deren kahle Wände an die Dolomiten Stidtyrols erinnern, das Mittaghorn und das Nünihorn, bilden den Vorbau des Lohners, dessen langer Grat in 2 Punkten 3055™ und 3005 m gipfelt. Eine breite Einsattlung trennt diese beiden Punkte und ein wüstes-Kar mit Resten von Lawinenschnee teilweise ausgefüllt zieht sich hier hinab gegen das Bonderlenthal. Das Kar selbst aber mündet aus in steil abfallende, bastionenähnliche Felsenmauern, die, von schmalen, horizontalen, parallelen Rasenbändern unterbrochen, den breiten Sockel des Berges bilden.

Von den verschiedenen Gipfeln des Lohnermassivs wird fast ausschließlich der Punkt 3055, der Kulminationspunkt des Groß-Lohners, bestiegen und zwar am häufigsten und am bequemsten von Adelboden aus. Am 21. Juli 1894 brachen Herr Segner, Führer David Sporri und meine Wenigkeit um 5 Uhr 15 Min. morgens beim schönsten Wetter von Adelboden auf zur Besteigung des Groß-Lohners.

Unser Weg führt hinab zum Altenbach und überschreitet denselben beim „ Bad " auf einer steinernen Brücke. Das Bad, um auch einige Worte über dasselbe zu sagen, besteht aus zwei wohl sehr schwachen Quellen, einer Eisen- und einer Schwefelquelle, die aber nicht in Röhren gefaßt sind, wie in Ragaz und anderswo. Wenn jemand sich den Genuß eines Bades ( eine Mischung des Schwefel- und des Eisenwassers ) gönnen will, so muß er es einige Zeit vorausbestellen, da die Frau, die Vorsteherin des Etablissements, das Wasser aus beiden Quellen emporschleppen und erst in einem großen Kessel erwärmen muß. Die Einrichtung der Badestube ist wie alles andere höchst primitiv und nur für die allergenügsamsten Naturen berechnet.

Vom Bach weg führte uns der Weg über den sogenannten „ Boden ", eine ebene Thalfläche, zum Engstligenbach und bald ansteigend auf steilem Pfade zur Alp Artelen. Von dort steigt man gegen die gewaltige Schutthalde an, die der Lohner auf dieser Seite gegen die Alp Artelen heruntersendet. Das Schuttkar mündet nicht direkt auf die Alp aus, eine steile, stellenweise recht imposante Felswand trennt dasselbe vom Weidland der Alp. Dort, wo der auf der Karte deutlich eingezeichnete Bach, der nicht weit unter der Spitze des Lohners entspringt, über die Felswand hinunterfallt, muß letztere erklommen werden, und ist hier die einzige eigentlich schwierige Stelle der ganzen Besteigung. 8 Uhr 15 Min. hatten wir diesen Punkt erreicht. Die Felswand führt hier den Namen „ Wagen ". Durch einige gut befestigte Stifte wird die Erklimmung der etwa 10—15 m hohen Wand ordentlich erleichtert ( es ist die einzige Stelle, wo eventuell das Seil zur Verwendung kommt ), und über Felsen und Schuttmassen stiegen wir langsam dem Grate zu, den der Lohner südwärts gegen das Tschingellochtighorn entsendet. Es ist ratsam, sich möglichst lang in der Mulde zu halten, da hier der Fels mehr zu Tage tritt und das Terrain gangbarer ist, als am Grate selbst, der fast nur aus Trümmermassen sich aufbaut. Um 10 Uhr 15 Min. hatten wir den Grat erreicht und, über denselben stellenweise ziemlich steil emporsteigend, um 10 Uhr 50 Min. den Gipfel. Mit fröhlichem Hailoh wurde er begrüßt. Die Spitze selbst stellt die Vereinigung von drei Graten vor: 1 ) des eigent- lichen Lohnergrates, der zu Punkt 3005 hinüberzieht, 2 ) des schon erwähnten, der zum Tschingellochtighorn sich senkt, und 3 ) eines westlichen Grates, der in der Richtung gegen das Mittaghorn abfüllt. Eine herrliche Aussicht, fast wolkenloser Himmel lohnte die Mühe des etwas beschwerlichen Aufstieges reichlich. Im warmen Sonnenschein ruhte es sich zudem auf der felsigen Höhe so angenehm, daß die Zeit, die zum Aufenthalt bestimmt war, nur zu rasch verstrich.

Durch Vereinigung von Thal und Berg, Flachland und See bietet das Panorama vom Lohner eine Fülle herrlicher Kontraste, nach Osten, Süden und Westen einen herrlichen Kranz von Hochgebirgsbildern. In allernächster Nähe erhebt sich vor dir, zum Greifen nahe, das schöne Firndach des Rinderhorns, und nahe ihm das noch größere der Alteis und die blanke Firnkuppe des Balmhorns. Schneidig baut sich das Doldenhorn auf und neben ihm der Prachtbau der Blümlisalp, mit seinen Vorbauten, dem breiten Firnrücken der wilden Frau und dem trotzigen Pfeiler des Blümlisalpstocks. Vom Gipfel des Doldenhorns senkst du deinen Blick dem Südabfall des Berges folgend und erblickst tief unten das Gasterenthal und über dasselbe hinaus den Petersgrat und einen Teil der Lötschthalerberge. Blickst du nordwärts vom Doldenhorn in die Tiefe, so glänzt dir der herrliche Spiegel des Öschinensees entgegen, eingebettet zwischen gewaltigen Felsmauern, und über ihn hinaus thronen in der Ferne die Riesen der Berneralpen, das herrliche Dreigestirn von Jungfrau, Mönch und Eiger. Weiter links sind die Wetterhörner und die Firnkuppe des Titlis sichtbar. Nördlich dieses Hochgebirgswalles erheben sich die zahllosen Gipfel der Voralpen und nordwärts durch das Kanderthal hinaus dringt der Blick auf den krystallhellen ,'blauen Spiegel des Thunersees und verliert sich weiterhin, weit draußen im Lande, an den welligen Höhen des Jura. Der Neuenburger See ist deutlich sichtbar, das zahllose Heer der Freiburger- und Simmenthalerberge giebt dir manch Rätsel auf, das du ohne Karte und genaue Kenntnis des Gebirges nicht lösen kannst. Gerne siehst du auch hinab auf den Ort, wo du hergekommen, hinab zu den grünen Triften von Adelboden mit seinen schmucken, braunen Häuschen und der altehrwürdigen Kirche. Südwestlich hast du einen herrlichen Blick in das Massiv des Wildstrubels mit seinen vielen Gipfeln, auf die blendend weiße Firnkuppe des Wildhorns, auf Diablerets und Oldenhorn. Zwischen Wildstrubel und Rinderhorn, durch die breite Lücke, über die der Gemmiweg führt, erkennst du als herrlichen Abschluß des Bildes einen großen Teil der Walliserberge, vor allem schön die ungemein kühn sich aufbauende Spitze des Weißhorns, das gewaltige Massiv der Mischabel: Dom und Täschhorn, beide gleich imponierend. Mit ihnen wetteifert die herrlich gebaute Pyramide der Dent blanche, eine der schönsten Gipfelbauten des Wallis, sogar mit dem schwarz und drohend aussehenden Matterhorn rivalisierend. Die im Profil ganz -.

wie ein Zahn aussehende Spitze des Zinalrothorns mahnt an die Aiguilles der Montblanckette. Der Monte Rosa mit seinen weiten Firnrevieren erglänzt im schönsten Weiß, das Obergabelhorn will auch nicht vergessen sein. Neben diesen Riesen von Zermatt müssen die Berge von Evolena zurücktreten, erst der herrliche Bau des großen Combin fesselt wieder den Blick und entschädigt reichlich für das Fehlen des Montblanc, dessen Anblick durch den Wildstrubel dem Auge entzogen ist. Ich habe nicht alle sichtbaren Gipfel genannt, es würde zu weit führen, doch möchte ich die Gruppe des Weißmies nicht vergessen, die zwischen Rinderhorn und Alteis in der Ferne deutlich sichtbar ist. Durch die glückliche Kombination von Thalansicht und Hochgebirgsscenerie bietet der Lohner ein Panorama, das mit den berühmtesten wetteifern kann.

Nachdem wir uns auch unseren nicht besonders luxuriösen Mittagsimbiß gut hatten schmecken lassen, traten wir um 11 Uhr 50 Min. den Abstieg an. Es ging schneller hinab als hinauf über die Schutthalden des Lohners, und die schlimme Stelle an der Felswand wurde, da inzwischen die durch den Bach bespritzten Felsen an den meisten Stellen durch die warme Sonne getrocknet, noch leichter überwunden als beim Anstieg, und köstlich labte die Siesta auf dem grünen Boden der Alp Artelen. Nach verschiedenen Rasten, die uns durch die Wärme des Nachmittags aufgenötigt wurden, erreichten wir glücklich wieder Adelboden um 4 Uhr nachmittags, hochbefriedigt von unserer Tour, die man mit gutem Gewissen empfehlen kann. Nur möge man nicht auf den Lohner gehen, wenn trübes Wetter oder Nebel in Aussicht, denn die Besteigung des Berges an und für sich ohne Panorama ist nicht lohnend, besonders wegen der langen Wanderung über die ziemlich steilen von den Felsen bis auf den Gipfel sich hinziehenden Schuttmassen.

Klein-Lohner ( 2591 m ).

( Versuch. ) Einer gotischen Kirche ähnlich, mit vielen Zacken und Türmen, baut sich zwischen Großlohner und Bonderspitz der kleine Lohner auf. Er ist ein unwirtlicher Geselle, ohne alle Vegetation, mit kahlen Felsmauern, Felszinnen, Türmen, und umgeben von weiten Schutthalden. Steil fällt sein langgezogener Grat nach beiden Seiten ab, besonders steil nach der Seite von Kandersteg, und unersteiglich scheinen seine der Bonderkrinde und dem großen Lohner zugekehrten Seiten. Der Berg hat die Augen der Bergsteiger erst spät auf sich gerichtet. Seine erste Besteigung fällt in das Jahr 1890 und geschah durch die Engländer G. Stallard und A. L. Ornerod mit den Führern Johann Ogi und Abraham Müller aus Kandersteg. Seither ist er jedenfalls nicht oft, viel- leicht nie mehr bestiegen worden: von den Adelbodener Führern, die ich befragte, war keiner oben gewesen.

Ich beschloß bei Gelegenheit eines Ausfluges auf die Bonderkrinde einen Versuch einer Besteigung des Berges zu machen. Über den Weg, wie hinaufzukommen, wußte ich nichts, als daß die Besteigung von der Allmenseite aus gemacht werden müßte. In Begleitung meines Schwagers Paul Vogt wurde nach etwelcher Rekognoscierung des Berges von der Alp Kumi aus versucht, durch ein ziemlich breites Couloir anzusteigen, das sich ununterbrochen bis an die Gratlinie des Berges hin zu ziehen scheint. Von dort hofften wir über den Grat den höchsten Gipfel leicht erreichen zu können. Eine mühsam zu begehende Schutthalde führte an das Couloir hin, das in nicht schwieriger Kletterei gut zu begehen ist. So gewannen wir rasch an Höhe.

Wir hatten kein Seil und jeder kletterte so gut es ging, womöglich nicht beide in der gleichen Anstiegslinie, um durch die immer abfallenden Steine keine Verzögerung und auch keine gegenseitige Gefährdung aufkommen zu lassen. Schwierig war die Kletterei nicht zu nennen, immerhin erforderte sie einige Vorsicht, eben des brüchigen Gesteines wegen. Wir hielten uns immer in gleicher Richtung und erreichten schließlich durch einen kleinen Kamm den Grat des Berges in einer kleinen Scharte nördlich vom Hauptgipfel. Am nur etwa 1—2 Fuß breiten Grate selbst war das Gestein am allerbriicbigsten, und lange mußte ich mit dem Pickel die lose liegenden Steine wegschaffen, bis ein halbwegs sicherer Standpunkt gewonnen werden konnte, wo wir beide einen Augenblick rasteten, um das weitere zu überblicken. Die Aussichten für das Weiterkommen waren nun hier auf dem Grat die allerschlechtesten. Gerade von der Lücke aus, die wir erreicht hatten, steigt der Grat ziemlich steil an, ist aber nur aus kleinen, lose aufgetürmten Steinen aufgebaut. Wir waren fast ohne Proviant, ohne Seil, und wurden um Mittagszeit wieder in Adelboden erwartet. Die kleine Gratstrecke bis zum Gipfel, etwa 100 m Horizontaldistanz, hätte uns vielleicht noch Arbeit von 1—2 Stunden erfordert, denn um sicher vorwärts zu kommen, mußte vorerst der Grat von den lose aufliegenden Steinen gesäubert werden, wollte man nicht riskieren, mit der ganzen Trümmermasse nach dieser oder jener Seite abzufallen. Richtiger aber wäre es, bevor man den Grat erreicht, an der Seite des Berges, etwas unterhalb des Grates, nach rechts zu traversieren, um den Grat ganz nahe beim Gipfel erst zu betreten. So gern wir dies versucht, aus den schon erwähnten Gründen mußten wir uns zum Abstieg entschließen. Aussicht hätten wir zudem auf dem Gipfel kaum mehr gehabt, als in der Gratlücke, wo wir standen. Das Panorama ist dem vom Bonderspitz sehr ähnlich, und interessant durch die Vereinigung von Thal- und Hochgebirgsscenerie. Wer eine kühne Aussichtswarte mit einiger Mühe gewinnen will, dem ist der kleine Lohner von Adelboden aus sehr zu empfehlen. Um 10 Uhr 30 Min. stiegen wir ab auf dem gleichen Wege, überzeugten uns hierbei, daß eine Traversierung an der Adelbodener Seite etwas unterhalb des Grates sehr wohl möglich ist, und langten um 12 Uhr 20 Min. glücklich wieder im Hotel Wild- strubel an.

Tschingellochtighorn ( 2740 m ).

Wer vom Dorfe Adelboden westwärts wandert, in der Richtung zum Hahnenmoos, sieht schon bei der Kirche über dem vom Groß-Lohner sich absenkenden Grat eine stolze Zinne kirehturmähnlich emporragen. Der ganze Aufbau derselben wird aber erst demjenigen sichtbar, der einen Gang zur Engstligenalp unternimmt, oder den beliebten Übergang von der Gemmi nach Adelboden über den Engstligengrat macht. Bei letzterer Tour kommt er ganz nahe an der schneidigen Spitze des Tschingellochtighorns ( so heißt die Zinne ) vorbei. Wenn dieses auch an Zahl der Meter von seinen beiden Nachbarn, dem Groß-Lohner und dem Wildstrubel, überragt wird, übertrifft es sie in Kühnheit des Aufbaus. Es fesselt in erster Linie das Auge des Kletterfreundes, das bald errät, daß dort tüchtige Arbeit zu finden.

Am 23. Juli brachen mein Schwager Paul Vogt und ich mit Führer Johann Pieren aus Adelboden morgens um 4 Uhr 25 Min. vom Hotel Wildstrubel auf, um das Tschingellochtighorn zu versuchen. Pieren war der einzige der Adelbodener Führer, der bis dato den Aufstieg zum Gipfel gemacht hatte. Seither ist das Horn auch von David Sporri und Führer Zryd bestiegen worden, so daß letztere jetzt auch als Führer dienen können. Absteigend zum Engstligenbach und über das ebene Gelände des Bodens stiegen wir auf dem bekannten Geißpfade zur Alp Engstligen empor und erreichten die Höhe des die beiden Alpen Engstligen und Artelen trennenden Grates um 7 Uhr 5 Min. Von hier aus gesehen, baut sich der Endpfeiler des Tschingellochtighorns in voller Kühnheit über einem gewaltigen Felsmassiv auf, das nach Westen, Norden und Südosten Gratausläufer entsendet. Der nach Westen auslaufende Grat ist derjenige, auf welchem ansteigend wir, immer in voller Ansicht des Berges und mit schönem Niederblick, rechts auf das Plateau der Engstligenalp und links auf die von zahllosen Rinnen durchfurchten Gehänge der Alp Artelen, das Felsmassiv des Berges erreichten.

Um 7 Uhr 25 Min. begannen wir auf der Südwestseite des Berges über Geröll und leichte Felsen steiler, aber ohne Seil, anzusteigen, und hatten in 25 Minuten den Punkt erreicht, von dem der letzte Aufbau des Gipfels, überall in senkrechten Wänden abbrechend, sich emporschwingt zur schneidigen Spitze. Hier machten wir Halt und beschauten uns den Berg. Das ganze Massiv desselben, und auch der letzte Turm, besteht aus horizontal geschichteten Schieferplatten, die durch den Ver-witterungsprozeß meistenorts hart hergenommen und stark brüchig sind.

Aug. Walker.

Nach kurzer Rast begann Pieren die Kletterarbeit, die sich bis zum Gipfel in drei Abschnitte teilen läßt, vorerst eine steile Wand von etwa 8 Meter Höhe, dann einen etwa 10-12 m langen Kamin, der durch das Auseinanderweichen von zwei Felswänden gebildet wird und sich mehrere Meter weit in das Innere des Felsturms fortsetzt, und eine dritte Stufe aus einem weitern und nicht so steilen Kamin und leichtem Felsen bestehend. Den schwierigsten Teil des Anstieges bildet die unterste Stufe, bei welcher man auch etwas an die Ostseite des Berges hinausgedrängt wird und über die hier abfallende steile Wand des Berges in eine ziemliche Tiefe hinabsehen kann. Ein durch die ganze Länge der Wand sich hinaufziehender Riß und einige Griffe ermöglichen den Anstieg, der dadurch noch erleichtert wird, daß der im Kamin festen Stand findende Führer das Seil stets gespannt, hält. Der Kamin selbst bietet reichliche Griffe für die Hände und gute Standpunkte für die Füße, und wird, obwohl es ganz senkrecht hinauf geht, verhältnismäßig leicht bezwungen. Schlangenartig sich windend, verläßt man oben den Kamin, und hat hiermit das Schwierigste überstanden, denn die nun folgenden Felsen sind leicht. Der ganze Anstieg für den nach meiner Schätzung etwa 40 Meter hohen Turm beanspruchte genau lU Stunde. Auf dem Gipfel musterten wir die Gipfelkarten, die sich hier nicht in so ansehnlicher Menge vorfinden, wie auf andern Gipfeln. Die Karte des Herrn Montandon, der als erster den Berg bestiegen ( Jahrbuch XVIII, pag. 448 ), war nicht vorhanden, die meisten der übrigen sieben Karten waren von Engländern, worunter auch eine Dame.

Die Aussicht auf dem Gipfel war hübsch, lange nicht so ausgedehnt, wie vom Groß-Lohner, aber doch immerhin recht interessant. Ein schöner Tag, herrlicher Sonnenschein, Windstille, machten zudem den Aufenthalt auf dem stolzen Gipfel höchst angenehm.

Der Abstieg bis zum Sattel erforderte die gleiche Zeit wie der Aufstieg. Beim Sattel erwartete mich mein Kamerad, der sich, da er noch keine Klettertouren gemacht, erst jetzt, da wir glücklich wieder heruntergekommen, dazu bestimmen ließ, den Versuch zur Erklimmung des Gipfelstocks auch zu wagen. Während ich jetzt zurückblieb, stieg er mit Pieren empor, und es war hübsch, von unten die Kletterei mitanzusehen. Während ihres Aufenthaltes auf dem Gipfel beobachtete ich eine Partie von vier Personen, die uns gegenüber gemächlich gegen die Spitze des Balmhorns anstiegen. Sie waren von bloßem Auge als schwarze Pünktchen sichtbar. Um 10 Uhr 35 Min. war mein Freund auch wieder auf dem Sattel zurück, und gemeinsam wurde der Abstieg zur Engstligenalp angetreten und Adelboden um 2 Uhr 30 Min. wieder erreicht. Wir waren beide hochbefriedigt von unserer Tour. Freunden des Klettersports ist das Tschingellochtighorn als genußvolle Partie sehr zu empfehlen. Die Kletterei ist zwar nur kurz, aber hübsch und interessant.

Großstrubel ( 3253 m ) und Steghorn ( 3152 m ).

Der Alpenclubist darf Adelboden nicht verlassen, ohne den Wildstrubel bestiegen zu haben. Sieht er doch tagtäglich die breite mit Schnee und Eis umkleidete Wand des Berges mit ihrem schönen Firnplateau über den Engstligenfällen sich emporschwingen und bei den Strahlen der Abendsonne in herrlichen Farbentönen erglänzen. Die Besteigung des Gipfels bietet keine besondern Schwierigkeiten. Während man von der Gemmi und auch von der Lenk aus gewöhnlich den mit der Quote 3251 m bezeichneten westlichen Gipfel des Wildstrubelmassivs besteigt, wird von Adelboden aus vorzugsweise der um 2 m höhere Großstrubel bestiegen. Man bezieht hierfür das Nachtquartier auf der Engstligenalp. Am 27. August, nachmittags 4 Uhr, brachen Herr Segner und ich mit Führer David Sporri von Adelboden auf, um unser Nachtquartier noch rechtzeitig zu erreichen.

Herrlich wandelte es sich über den schattigen Thalboden des Engstligenbachs, kurzweg der „ Boden " genannt, hinüber zu den mit donnerndem Getöse über die Felswand sich hinabwälzenden, an Sommernachmittagen gewöhnlich grauschwarz verfärbten Wasserfällen des Engstligenbachs, an deren rechter Seite der steile, stellenweise etwas schwindlige Geißpfad hinaufführt. An einzelnen Punkten des Weges hat man einen lieblichen Blick auf das Thal von Adelboden, dessen braune Hütten im milden Lichte der Abendsonne freundlich zu uns hinaufgrüßten.

Auf der Engstligenalp, die nach etwa 2 ', 2 stündigem Marsch erreicht wurde fanden wir gutes Nachtquartier. Bisher mußte man dort auf dem Heu schlafen, jetzt ist die Sennhütte etwas umgebaut, man hat Zimmer eingerichtet und findet bequeme Unterkunft. Der burschikose, freundliche Senn wartete mit allem auf, was seine Hütte bot, guter Milch, schmackhafter Butter und einem Käse, für dessen Bearbeitung in kleinere Stücke unsere Pickel noch als brauchbarer sich erwiesen hätten als das Messer. Frühzeitig krochen wir unter die Decke und brachen andern Morgens beim schönsten Sternenhimmel um 3 Uhr von der Hütte auf. Dunkel erhob sich vor uns die breite Wand des Wildstrubel, sich kaum vom Himmel abhebend. Die vom Vieh zerstampften Matten der Engstligenalp vertrieben mit ihren Grashöckern den letzten Eest von Schlafsucht, der uns noch umfangen hielt, in Bälde, und wacker schritten wir den Hängen des Fizers und Rotstocks entlang gegen den Ammertengrat an. Es wird der Umweg über den Ammertenpaß einer direkten Ersteigung des Gipfels über den Strubelgletscher, weil weniger mühsam und leichter, immer vorgezogen. Auf dem Ammertenpaß angekommen, sahen wir im Osten schon hellen Tag, und westwärts lagen die Lenk und die Ormondthäler in einem herrlichen mattvioletten Lichte, eine bezaubernd schöne Morgenbeleuchtung. Der Moment des Sonnenaufgangs im Hochgebirge hat bei heiterem Himmel immer etwas ungemein Fesselndes. Man überblickt eine ganze Farbenskala von dem hellen Rotgelb des Ostens bis zum düstern Blaugrau des Westens. Und wenn dann die Helle stärker und stärker wird, wenn die Spitzen im ersten Glänze der Sonne sich röten, das Licht von oben hinuntersteigt an den weißen Firnen, die Konturen der Felsen in schärfern Bildern sich erkennen lassen, die in der Nacht und Dämmerung unförmlichen Massen Gestalt und mannigfache Gliederung annehmen, so erlebt man etwas, was zum Schönsten gehört, das die Natur dem Menschenauge bieten kann.

Vom Ammertenpaß muß man wieder ein Stück absteigen gegen die rechtseitige Moräne des Ammertengletschers. Dieser steigt man entlang und betritt hierauf den Gletscher selbst, auf welchem es in mäßiger Steigung bergan geht gegen den Firnrücken des Wildstrubelmassivs. Bei Punkt 2833 des Siegfriedatlas biegt man etwas nach links um und gewinnt auf der Höhe des hier nordwestwärts absinkenden Grates einen prachtvollen Ausblick auf das Plateau der Engstligenalp und das Thal von Adelboden. Ohne irgend welche Schwierigkeiten gelangten wir auf hartem Firn gemächlich ansteigend auf den Firngrat des Gipfels, wo successive das Panorama auf die Walliserberge sich aufthut und bei weiterem Anstiege ostwärts immer weiter und umfangreicher wird. Um 7 Uhr 30 Min. hatten wir den felsigen, mit einem Steinmann versehenen Gipfel des Wildstrubels erreicht und lagerten uns im warmen Sonnenschein, um in Muße das herrliche Panorama zu genießen. Es genauer zu schildern, will ich unterlassen. Es ist etwas ausgedehnter als vom Groß-Lohner und es hat einen eigenen Reiz, die beiden Berge punkto Aussicht zu vergleichen. Durch den Blick auf den Lämmerngletscher und die Plaine morte gewinnt beim Wildstrubel das hochalpine Element mehr an Bedeutung als beim Lohner, aber die Aussicht von letzterem Berge ist unbedingt für das Auge wohlgefälliger, das Bild ist farbenreicher durch den Anblick des Thuner- und des Oeschinensees und der beiden herrlichen Thalböden von Kandersteg und Adelboden. Wenn ich an einem schönen Tage wieder die Wahl hätte, die eine oder andere der beiden Touren zu wiederholen, ich würde trotz des harten Anstiegs auf den Lohner doch diesen letztern Berg als Ausflugsziel wählen. Doch das sind Geschmackssachen, werden die Leser des Jahrbuchs und mit Recht denken, lassen wir daher dies Thema ruhen.

Nach 1 stündigem Aufenthalt brachen wir von unserem Gipfel wieder auf, um unserem zweiten Ziele zuzusteuern, dem Steghorn, dem östlichen Kameraden des Großstrubels, von dem letztern durch die Einsattlung der Strubelegg getrennt. In diese zu gelangen, konnten wir entweder auf einem Umweg durch das südlich des Buchstabens b im Worte Wildstrubel des Siegfriedatlas gelegene Schneecouloir absteigen, oder einen direkten Abstieg gerade ostwärts über die Felsen des Großstrubels versuchen. Unser Führer wußte, daß dieser letztere Weg einmal im Aufstiege gemacht worden sei. Er war ihm vollkommen neu, er glaubte aber, ihn versuchen zu dürfen. Leicht war der Abstieg nicht, vor allem der brüchigen Felsen wegen. Wir stiegen vorerst durch ein enges steiles Couloir ab, das zuoberst mit Firn, weiter unten mit blankem Eise ausgekleidet war und Stufenhacken, sowie vorsichtiges langsames Gehen erforderte. Weiter unten kam Fels, aber wir konnten wegen der Steilheit des Gehänges nicht in der anfangs genommenen Richtung absteigen, sondern mußten, links uns haltend, an den Abhängen des Berges schief abwärts über zwei Felsrippen hinüberklettern, bis sich ein Abstieg als möglich erwies. Die Kletterei war stellenweise ziemlich „ bös ", und so brauchten wir für die 323 m hinab zur Strubelegg volle Vk Stunden.

Der Weg ist zum Abstieg nicht recht zu empfehlen, man macht mit geringerer Gefahr und nicht größerem Zeitaufwand den kleinen Umweg über den Lämmerngletscher.

Von der Strubelegg zum Steghorn geht 's in sanfter Steigung über Firnfelder und Triimtnerhalden. Der Gipfel des Steghorns stellt ein breites Plateau vor, das slid- und ostwärts in steilen Wänden abfällt. Die Aussicht ist ähnlich derjenigen vom Großstrubel, nach Westen etwas beschränkter. Auch nach Norden verdeckt das gewaltige Massiv des Lohners einen ziemlichen Teil des Panoramas. Wunderhübsch ist der Blick auf den Gemmiweg, der in seiner ganzen Ausdehnung dem Daubensee entlang und bis zur Paßhöhe gut sichtbar ist. Wir hielten auf dem steinigen Plateau eine gemütliche Siesta von 1 Stunde, uns so lang wie wir waren ausstreckend in der warmen Sonne. Dann folgte wieder ernste Arbeit, der Abstieg vom Steghorn gegen das Tierhörnli. Ein wild zerborstener Grat, der von oben gar nicht gemütlich aussieht, zieht zu diesem Gipfel hinab. Vorsichtig klettern wir abwärts, der Führer voran, da er den ihm unbekannten Weg ausspähen will, Herr Segner in der Mitte, ich als letzter. Zuerst hielten wir uns ganz auf dem Grate, dann stiegen wir nach links ab, wobei wir bald in ein höchst ungemütliches Terrain kamen. Das schwarze Schiefergeröll des Berges, aufgeweicht vom Schmelzwasser des Schnees, ist zu einer kotigen Masse geworden, in die wir stellenweise bis über die Knöchel einsinken, und die dann mit uns gemütlich bergab rutscht. Kommt jetzt der Fuß unversehens wieder auf felsiges Terrain oder hart gefrorenen Schnee, so purzelt mau um wie ein Kegel und nimmt Moorbäder billiger als in Franzensbad. Natürlich fehlt 's dabei auch nicht an Spott von Seiten der Kameraden. Zu guter Letzt kamen wir noch an einen Felsabsturz und sahen, daß wir eine falsche Richtung eingeschlagen. Wer vom Steghorn auf unserer Route zur Engstligenalp absteigen will, muß, wenn er den Grat verläßt, entweder stark links halten gegen den vom Steghorn herunter kommenden Bach, oder möglichst der Gratrichtung folgen, sonst gerät er, wie wir, an die auf der Karte eingezeichneten abschüssigen Felswände, die wie ein breites Band unterhalb des Steghorns gegen das Tierhörnli hinziehen und zum Abstieg unmöglich benützt werden können. Wir mußten ein gutes Stück nach rechts gehen, hiebei ein steiles Schneefeld in Stufen traversieren, das schon abgelegte Seil von neuem wieder anlegen, bis wir durch ein kleines Couloir rechts der Felswand den Abstieg nehmen konnten. Über Geröll und später Rasen ging 's dann ohne Hindernisse hinab zur Engstligenalp, die wir um 3 Uhr 20 Minuten wieder erreichten, hochbefriedigt von unserer Tour, die uns einen rechten Einblick in die Gruppe des Wildstrubels gewährt. Der weitere Abstieg nach Adelboden vollzog sich wieder auf bekannten Wegen.

Zum Schluß darf ich den Clubgenossen Lehrer David Sporri als guten Führer für die Berge Adelbodens empfehlen. Gründliche Kenntnis seiner heimatlichen Berge vereinigt er mit guten Charaktereigenschaften.

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