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Alpendohlen

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von Willy Zeller.

« Gornergrat! Alles aussteigen! Tout le monde descend! » Flackerndes Gewimmel von Farben und Sprachen. Aufdringlich laute Begeisterung. Gelassene Ruhe. Kicherndes Vergnügen. Gleichgültig blicken die Eiswände im Ring. Was kümmern sie die Menschlein, die ängstlich über sorgsam geschichtete Platten zum Hotel schreiten. Flüchtige Umschau, ein schneller Blick durch das steifbeinige Fernrohr, dann rasch zum Eiskaffee oder Grog, je nachdem. Höhnisch kobolzt der Gratwind um die goldflechtigen Blöcke, treibt mit einem zerschlissenen Papierfetzen Lumpereien, pustet in die weisskreuzige Fahne, dass sie nur so knattert, und weht glanzschwarze, gelbschnäblige Vögel herbei, die graziös zwischen die Blöcke sinken, herzu-trippeln und aus lüsternen Perlaugen nach Schätzen fahnden. Bergdohlen. Mit fast stadtvogelhafter Dreistigkeit wagen sie sich in knappe Greifnähe, schlingen unersättlich hinunter, was ihnen belustigte Spender streuen und was der Zufall zwischen die Felsbrocken warf. Huschende Sonnenfunken zaubern Purpurgeschiller aus dem nachtdunkeln Gefieder, geistern über die Korallenfüsse, dass sie bluten im Licht. Geschäftig hüpfen die Dohlen zum ungefügen Steinplattentisch, wirbeln abseits, wie die Ferienleute geräuschvoll aufbrechen, gaukeln zum Hoteldach und sind da und dort und überall, wo Menschen mit Käserinde und halbleeren Konservenbüchsen die Heimat verschönern.

Monte Rosa. Gipfelrast. In bodenlosen Tiefen kriechen seltsam gewundene Gletscherschlangen. Herrisch bäumen sich die gleissenden Lys-kammwände. Sprunghaft duckt sich das Matterhorn. Nach Westen brandet ein unbändiges Wirrsal von Zacken und Kuppen, von Fels und Eis. Schaumige Wolkentürme quellen in die schwere Bläue über uns. Still, leichenstill, bis jauchzende Schreie in die Wände zittern: « Küri — krüi — küri! » Weiche Schatten huschen über die Klippen, und dann sind drei, sieben, zehn Dohlen da, umschweben uns in tändelndem Spiel, gleiten auf rauhe Felstrümmer, falten leise und sorgsam die leuchtenden Schwingen und trippeln vertraut herzu. Spielend haschen sie die gespendeten Brocken, stochern zwischen die Ritzen und ernten, wo wir Eis und Tod und Schatten sehen. Dann faucht der Gratwind zwischen die Granitbrocken und schleudert die Vögel in den Himmel. In toller Laune lassen sie sich treiben, breiten jauchzend die scharfen Schwingen, platschen wie nasse Lappen in die gähnende Tiefe und sitzen im selben Augenblick in den Felsen, als wäre nichts geschehen. Dann stapfen wir über den luftigen Grat, sind am Bergschrund und mühen uns durch den breiigen Mittsommerschnee, trunken, erdgebunden. Aus dem fleckenlosen Blau klirren höhnische Schreie: « Küri — küri! » Die lodernden Herbsttage sind verglommen. Nun schleichen klebrige Nebelsträhnen über die müden Hänge, tasten sich mit eklig kalten Fingern die Waldschneisen hinauf und zerfasern. Todeshauch geistert um die uralten Kronen, dass sie bang erschauern und eisige Tropfen zu Boden fallen. Dann brodelt es heftiger in den Tiefen, und wulstige Schwaden wälzen sich über den Hang. Der Wald will sterben. Da wirbeln mit höhnischem Satans-gekicher nachtschwarze Flatterteufel durch die zerfetzten Nebel — zehn, zwanzig, hundert. In tollem Hexensabbat hetzen sie sich in die Tiefe, pfeilen um die rauschenden Tannen, kreischen durch den zerwühlten Ahornhain, rasen in wahnwitzigem Gewirbel zwischen die steilen Buchenkronen, von denen brennende Blätter sinken. Dann findet sich der ganze Dohlenschwarm, jagt in bübischem Geplänkel über das weite Tal, wirft seine gellenden Schlecht-wetterschreie über Strasse und Dorf und trifft sich endlich zu kurzer Rast in den brandschwarzen Mauernischen des verbröckelnden Landvogteischlosses. Jahrhunderte zogen an ihm vorbei — seit Jahrhunderten finden sich die Alpendohlen beim Wettersturz in seinem toten Gemäuer.

Zischend reissen die Bretter eine schmale Spur in den Hang. Flimmer-kristalle flackern auf, und dampfende Schneefahnen heften sich an unsere Fersen. Jauchzendes Sonnenfunkeln glüht über dem Tal. Die schwärzeste Steilwand träumt versonnen im Neuschnee. Der trotzige Bergwald glitzert im Licht. Meterhohe Flaumkissen hocken in seinen Ästen und zaubern drollige Märchenkinder darein, bis die uralten Arven sich mürrisch der losen Last entledigen, dass es silbern durch die dunkeln Zweige huscht. Vergeblich wehrt sich der Bergwald. Das Licht ist Herr. In breiten Bändern flutet es um die Kronen und malt zitternde Kringel in das satte Schattenblau. Und plötzlich klirren helle Dohlenrufe über uns. Durch das gleissende Winterlicht schweben schimmernde Vögel, kreisen im Sonnengefunkel, überschlagen sich in toller Lebenslust, schweben zum Steilgrat, der in kühnem Satz in den Himmel springt, sind wieder da, spielen um Zacken und Türme und verschwimmen im fernen Blau. Doch den ganzen lichten Wintertag jauchzt durch den tänzelnden Bergwind bald fern, bald nah der herbe und so leuchtend sieghafte Ruf: « Küri — küri — krüi! »

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