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Altes Weissthor und Jugum Cremonis

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( Zwei alpengeographische Fragen .) a. Altes Weissthor.

In den Bänden XVII und XVIII des Jahrbuches hat Herr Professor Dr. Schulz di« Frage nach der Lage des alten Weißthores eingehend erörtert und alle auf dieselbe bezüglichen Stellen der älteren Schriftsteller besprochen. Das Ergebnis seiner Untersuchung ist ein geringes. Es sind keine anderen Nachrichten über das alte Weißthor vorhanden, als die erste Erwähnung desselben, die sich in Saussures Schriften findet.

Als Hirzel ( siehe Jahrbuch S. C. A. XVII, pag. 245 ) sich 1822 in Zermatt und in Macugnaga nach dem alten Weißthore erkundigte, weiß noch niemand von einem solchen. Aber schon 1829, als Brunner ( XXVII, pag. 164, Anmerkung ) Macugnaga besucht, kann der Wirt ihm von eisernen Ringen erzählen, die in den Felsen des alten Weißthores vor Zeiten den Übergang erleichtert haben, und die Bildung der Tradition ist in vollem Gange. Die praktische Untersuchung hat ebensowenig ein Ergebnis geliefert, wie die geschichtliche Forschung. Der Kamm zwischen dem Jägerhorn und der Cima di Jazzi ist an allen möglichen Punkten überschritten worden, aber alle Übergänge sind so beschaffen, daß man in ihnen unmöglich den gesuchten Weg finden kann. Was den Übergang betrifft, der von Zermatt über das Schwarzenberg-Weißthor und dann in südlicher Richtung abwärts nach Macugnaga führt, so war er vor 1840 bekannt und nichts deutet darauf hin, daß er damals als eine neue Entdeckung angesehen worden ist. Das jetzige neue Weißthor ist möglicherweise auch schon um 1835 bekannt gewesen ( XVIII, pag. 181 ).

Das einzige, was bis jetzt nicht untersucht worden ist, ist die eigentliche Quelle der Streitfrage, die auf das alte Weißthor bezügliche Äußerung Saussnres. Herr Schulz citiert sie, wie folgt ( XVII, pag. 245 ): „ II y a encore un passage du Mont Rose, qui conduit en onze heures de route à Zermatt, autre paroisse du Valais. Le nom de ce passage est „ Weiße Grat " qui veut dire Porte blanche. Il est situé à 55 degrés du Nord par Ouest de Macugnaga, mais très peu fréquenté, parce qu' il est très' dangereux. " ( Voyages dans les Alpes, tome IV, 2145. ) Es geht hieraus hervor, daß niemand Saussure gegenüber von einem „ Weißthore " gesprochen hat. Man sprach von einem „ Weißen Grate " und dieser Begriff wird von Saussure irrtümlich mit „ Porte blancheWeißthor " übersetzt! Über die Lage des von den Eingeborenen als „ Weißer Grat " bezeichneten Überganges macht Saussure eine bestimmte Angabe. Zieht man derselben entsprechend durch die Punkte, welche als Übergänge in Frage kommen, Linien, die von Norden nach Westen mit dem Meridiane einen Winkel von 55 Grad einschließen, so trifft nur der durch den Punkt 3612 der Dufourkarte gehende Strahl Macugnaga. Der durch das neue Weißthor gehende Strahl geht daran etwas südlich vorüber. Alle durch die „ alten Weißthore " gelegten Strahlen streichen so weit abwärts von Macugnaga, daß sie gar nicht in Frage kommen können. Punkt 3612 ist aber der Felszahn, an dem sich der Grat des Schwarzenberg-Weiß-thores nach Osten hin abzweigt, und dieser Punkt ist also Saussure als der Übergangspunkt über den „ weißen Grat " gezeigt worden. In der Litteratur wird nun freilich die Kammstrecke zwischen Jägerhorn und Punkt 3612 als Weißgrat bezeichnet. Aber diese Bezeichnung ist eben Saussures Äußerungen entnommen, und wenn jetzt die Bevölkerung Zermatts dieselbe gebrauchen sollte, so ist sie ohne Frage seiner Zeit mit dem alten Weißthor zusammen in die Leute hineinexaminiert worden. Passend ist die Bezeichnung jedenfalls nicht, denn die fragliche Kammstrecke zeigt sich, von Zermatt gesehen, nicht wie ein Grat und verdient von Macugnaga aus gewiß nicht das Prädikat „ weiß ". Für den Grat des Schwarzenberg-Weißthores ist aber wenigstens bei den älteren Bergsteigern die Bezeichnung „ weißer Grat " üblich gewesen. Conway, wenn ich nicht irre, sagt von ihm einmal im Alpine Journal: L' arête blanche, die in den Kinderjahren des Bergsteigens gefürchtet wurde. Allerdings hat Saussure in der betreffenden Abbildung sein Weißthor in seinen Weißgrat verlegt ( XVII, pag. 251 ), aber hierauf kann der bestimmten, natürlich auf Messung mit dem Kompasse beruhenden Angabe gegenüber, die er im Texte bezüglich der Lage des Weißgrates macht, kein Gewicht gelegt werden. Auch die Gebr. Schlagintweit haben die Lage ihres „ alten Weißthores " auf der Karte des „ Weißgrates " unrichtig angegeben, während sie es auf einer Ansicht desselben dahin verlegen, wo sie den Grat wirklich überschritten.

Es hat also nie ein „ altes Weißthor " gegeben. Man hat die Abbildung, die Saussure gab, allein in Betracht gezogen und den Text seines Buches unbeachtet gelassen. Dieser läßt keinen Zweifel daran, daß der alte Übergang kein anderer war, als der in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts noch bekannte, welcher beim Beginne der bergsteigerischen Zeit sofort wieder benutzt wurde.i b. Jiignm Cremonis.

Während die Frage nach dem alten Weißthor nur reichlich 100 Jahre alt ist, müssen wir um etwa 2000 Jahre zurückgehen, um dem jugum Cremonis zu begegnen. Ich entnehme den die Alpenpässe des Römischen Altertumes behandelnden Aufsätzen, welche Herr Dr. Dübi im Jahrbuche Band XIX und XX veröffentlichte, die auf den genannten Übergang bezügliche Nachricht. Der Römische Schriftsteller Coelius ( etwa 137 v. Chr. ) läßt Hannibal, als dieser mit Roß und Elephanten gegen Rom zog, auf dem jugum Cremonis die Paßhöhe der Alpen überschreiten. Livius, der uns diese Angabe überliefert hat, ihre Richtigkeit aber anzweifelt, giebt an, daß der genannte Paß in das Thal der Dora Baltea ausmünde. Der Paß ist daher von einigen für den kleinen Bernhard, im Altertum Alpis »™*«^î Graia genannt, gehalten worden, während andere in ihm den Col de la Seigne erblicken und zur Bestätigung ihrer Ansicht anführen, daß der Name des Passes jugum Cremonis in dem Namen der Courmayeur im Westen gegenüberliegenden Bergkette, des Cramon, erhalten sei ( XIX, pag. 394 und 408, und XX, pag. 353obgleich der Weg zum Col de la Seigne eigentlich gar nichts mit dem Cramon zu thun hat.

Mich interessierte nun die Frage, ob man schon im Altertum den Weg um den Montblanc gewählt hat, und als ich das Versprechen, mit einem lieben Freunde eine recht friedliche Bergreise zu machen, einlösen mußte, schlug ich ihm den Besuch von Chamonix und den „ tour du Montblanc " vor. Als ich dann den oberen Teil des Val Véni vom Combalsee aus abwärts durchwanderte, kam ich zur Überzeugung, daß im Altertum niemals ein Verkehrsweg in demselben geführt haben kann. Aber am Ende des Combalsees ( 1993 m ), wenn der Thalweg zu sinken beginnt, zweigt sich zur Rechten ein Alpweg ab, der kaum ansteigend über den Col de Chécouri zu der Alp gleichen Namens ( 1671 m ) hinab und dann an den Ausläufern des Cramon hin nach Courmayeur hinab führt. ( Tschudi: Tourist 1892, S. 545, und Mieulet: Carte du Montblanc. ) Dieser Weg hat als Höhenweg den Charakter eines alten Verkehrsweges und würde mit Recht jugum Cremonis heißen, wenn anders der Name Cramon damit in Verbindung gesetzt werden darf. Die Fortsetzung dieses Weges rückwärts führt also über den Col de la Seigne ( 2532 m ) nach Mottet ( 1898 m ) hinunter und weiter über Chapin ( 1509 ra ) nach Bourg-St-Maurice ( 857 m ), wo er in die zum kleinen St. Bernhard ( 2200ra ) führende Straße einmündet. Da ich diesen letzteren nicht kenne, kann ich keinen Vergleich zwischen beiden Wegen anstellen, jedenfalls hat aber der Weg über den Col de la Seigne auf der französischen Seite ein viel sanfteres Ansteigen bis Mottet hin, also bis 600 m unterhalb der Paßhöhe. Es wäre nun denkbar, daß in der ältesten Zeit das jugum Cremonis als Übergang benutzt worden ist, aber in Vergessenheit kam, als nach der Römischen Occupation des Aostathales der kleine St. Bernhard fahrbar gemacht wurde. Sollte das jugum Cremonis wirklich existiert haben, so wäre damit freilich noch nicht erwiesen, daß Hannibal es benutzt hat, und daß er überhaupt aus dem Thale der Isère in das Thal der Dora Baltea hinübergestiegen ist. Hält man dieses mit Herrn Dübi für sehr unwahrscheinlich, so müßte erklärt werden, wie Coelius zu seiner falschen Angabe gekommen ist. Die Annahmen, daß Livius, sich täuschend, den Coelins falsch citiert hat, oder das jugum Cremonis desselben fälschlich in das Aostathal verlegte, haben beide eine schwache Seite. Zur Zeit, als Livius lebte, waren die Bewohner des Thales längst gebändigt und Aosta ( 25 v. Chr. ) gegründet, so daß die Geographie der Gegend den Römern bekannt war und Livius recht wohl gewußt haben kann, wo das jugum Cremonis lag. Nimmt man aber an, daß er den Coelius falsch citiert hat, so thut man der schriftstellerischen Ehre des Livius zwar kein Unrecht, aber es ist doch nicht unbedenklich, ihn gerade da einen Flüchtigkeits-fehler begehen zu lassen, wo er einmal eine vernünftige Kritik ausübt. Wahrscheinlicher scheint es mir zu sein, daß Coelius den Fehler begangen hat. In noch weit späterer Zeit verwechselte man Dora Baltea und Dora riparia ( XIX, pag. 408 ). Coelius, der nun einerseits in seinen Quellen fand, daß Hannibal aus dem Thale der Dora ( riparia ) gekommen sei, und andererseits wußte, daß im Thale der Dora ( Baltea ) ein jugum Cremonis vorhanden sei, hat den Hannibal einfach über dieses marschieren lassen. Daß seine geographischen Kenntnisse nicht weit reichen, zeigen die als Coelianisch angesehenen Stellen des Livius. Auf der den Römern seiner Zeit wohl bekannten französischen Seite des Hannibalweges kennt er die Namen von einer Reihe von kleinen Völkerschaften, aber auf der italienischen Seite, die den Römern erst viel später näher bekannt geworden ist, weiß er nicht anzugeben, zu welcher Völkerschaft Hannibal nach Überschreitung des jugum Cremonis kam, und giebt so dem Livius den Anlaß zu seiner kritischen Bemerkung.J. Lüders ( Aachen ), Sektion Basel.

Anmerkung. Mieulets Montblanc-Karte schreibt für Cramon: Grammont. Die gewöhnliche Schreibweise ist Cramont, doch dürfte in der Endsilbe kein Berg, Mont, stecken. Die Eingeborenen sagen sowohl le Cramon, als le Mont Cramon, wie ich auf meine bezügliche Nachfrage erfuhr.

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