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An der Aiguille du Dru (Bonattiweg)

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

VON HUGO WEBER, LA HEUTTE

Schluss Am 12. Juni hellt im Laufe des Tages der Himmel auf. Die Wetterprognose der Abendnachrich-ten ist ausserordentlich gut: « Das Hoch rings um Europa stabilisiert sich. In den Bergen Temperaturanstieg. Auf dem ganzen Kontinent herrscht Bise. Es ist eine Schönwetterperiode zu erwarten. » Weitere günstige Umstände und die überbordende Begeisterung meines Freundes Jean-Jean Braun, der einverstanden ist, unverzüglich mit mir aufzubrechen, geben mir die Überzeugung, dass die Gelegenheit für einen neuen Versuch am Dru einmalig ist. Jean - Jean geht an jeden Berg, ob leicht oder schwer, ohne Vorurteil und mit gleichem Vergnügen heran. Er liebt lange Märsche auf Jurakämmen und besitzt auf einem solchen ein Chalet; aber er findet ebensoviel Gefallen am schwierigen Klettern. Immer ist er guter Laune, ruhig und von einer Ausdauer, die jeder Belastung standhält. Es ist ein Gewinn, mit ihm eine Fahrt zu erleben.

Am nächsten Morgen, nach einer Bahnfahrt mit vielen Zwischenhalten, die angesichts des klarblauen Himmels unsere Geduld auf eine harte Probe stellten ( wir glaubten, wertvolle Minuten zu verlieren ), kamen wir endlich in Montenvers an. Je mehr sich der Zug dem Dru genähert hatte und je genauer wir den Berg sahen, um so deutlicher zeigte es sich, dass wir ein paar Tage zu früh waren: es herrschten noch sehr winterliche Bedingungen, und unsere geheime Hoffnung auf eine « Blitztour » verflüchtigte sich wie ein Räuchlein am Himmel. Wir waren die einzigen Bergsteiger, die aus dem Zug stiegen, und der Hotelier erkundigte sich freundlich, aber verwundert, was wir im Sinne hätten.

Am nächsten Tag beobachten wir vom frühen Morgen an ungeduldig das Schwinden des Schnees am Pfeiler. Die Kühnheit unserer Aufstiegsroute beunruhigt uns: sie kommt uns immer gewagter vor. Um unserer ärgerlichen Moral ein Ende zu setzen, schlage ich Jean-Jean vor, unsere Unternehmung mit einer reichlichen Mahlzeit zu beginnen, dann ruhig zum Rognon aufzusteigen und dort ein Biwak aufzuschlagen. Am andern Morgen werden wir dann beizeiten die 400 m des Couloirs ersteigen und die Verhältnisse aus der Nähe beurteilen können. Liebenswürdigerweise schlägt uns der Hotelier vor, mit Lichtsignalen den Kontakt mit uns aufrechtzuerhalten. Etwa um 9 Uhr wird er auf der Südseite des Gebäudes ein Feuer anzünden, und wir werden mit der Taschenlampe antworten. Unglücklicherweise vergessen wir ihm zu sagen, dass das Manöver für diesen ersten Abend überflüssig ist, da wir nur auf der Moräne biwakieren. Erst am Sonntagabend wird er ja feststellen können, ob wir uns entschlossen haben, den Aufstieg zu beginnen.

Und so brannte das Feuerzeichen für uns, als wir schon eine gute Stunde schliefen. Am zweiten Abend, als uns schon grosse Schwierigkeiten vom Tale trennten, konnten dann umgekehrt unsere verabredeten Zeichen vom Hotel aus nicht gesehen werden. Sie wurden von einer kleinen Wolke verschluckt, die sich jeweils bei schönem Wetter im Laufe des Nachmittags genau vor unserem Pfeiler bildet und sich erst etwa um 22 Uhr wieder auflöst. Wie ein bedauerlich gut funktionierender Mechanismus wiederholte sich das Phänomen an den folgenden Abenden, was in Montenvers eine wachsende Beunruhigung hervorrief, die sich bis zu unsern Angehörigen zu Hause auswirkte. Aber das ist eine Geschichte für sich.

Am Sonntagmorgen machen wir uns vor Sonnenaufgang auf den Weg, und die Schwierigkeiten beginnen viel früher, als wir sie erwartet haben. Über gefrorenen Schnee gelangen wir richtig bis zum « Schneekegel », aber als wir seinen Hang angreifen, gibt der Schnee bei jedem Tritt nach und verschlingt uns bis zum Bauch. Weiter oben treffen wir Schneecouloirs, von kleinen Lawinen, die die Sonnenwärme im Laufe des Nachmittags gelöst hat, geglättet. Diese Couloirs verlangen ein mühsames und vorsichtiges Emporsteigen mit den vorderen Zacken der Steigeisen. Unter der harten Kruste ist der Schnee noch pulverig, und es tönt hohl. Nur ein zaghafter Gebrauch des Pickels empfiehlt sich auf diesem unsicheren Terrain. Wäre es vorsichtiger umzukehren?

Regelmässig, ruhig und bestimmt löst mich Jean-Jean ab. Ich schaue ihm zu, wie aufrecht er auf dieser Rutschbahn laviert. Das Seil spannt sich, und ich komme nach, überhole den Gefährten und richte 35 m höher einen Standplatz ein. So erreichen wir die Eiswand, die heute glücklicherweise nicht mehr Schwierigkeiten als gewöhnlich bietet. Im oberen Kessel treffen wir tiefen Pulverschnee, in welchem die Stufen, wenn sie einmal festgetreten sind, sicher sind. Die Wände ringsum sind weiss, als wenn sie eben von einem Schneewirbel beworfen worden wären. Auch der Pfeiler ist im unteren Teil verschneit; aber weiter oben fallen die Sonnenstrahlen von den mit feinen, blendenden Wächten geschmückten Flammes de Pierre herab schräg auf den roten Granit des Pfeilers.

Die Stunden sind schnell verflossen; es ist bald Mittag, und wir strengen uns an, bald in die Sonne hinauf zu kommen. Aufmerksam prüfen wir den Sporn: die ersten 40 m sind ausserordentlich verschneit und werden ohne Zweifel entscheidend sein. Ich beginne die Kletterei ohne Sack, entschlossen, mit äusserster Sorgfalt vorzugehen. Es heisst, jede Bewegung zu überlegen und jeden Meter vorzubereiten, bevor man sich weiterwagt. Nach ununterbrochenem Ringen erreiche ich den ersehnten Standplatz. Jean-Jean kommt nach, und wir gratulieren uns zu diesem ersten Erfolg.

Der nächste Vorsprung besteht aus einer 30 m hohen, ungegliederten Platte, links von einer Verschneidung, rechts in ihrer ganzen Höhe von zwei tiefen parallelen Rissen begrenzt. Letzteres ist der « Ramarro » ( die Eidechse ), welcher eine kühne, freie Kletterei ermöglichen würde, wenn er nicht vollständig mit Schnee verstopft wäre. Wir müssen uns also an die Verschneidung halten, die wir künstlich erklettern.

Die Sonne hat uns erreicht. Jean-Jean führt. Er umgeht den Sporn und erreicht den Fuss eines Kaminrisses. Ich erinnere mich noch genau an diese ausserordentlich schwierige Stelle. Ich war erleichtert, als Jean-Jean bereit war, die Führung zu übernehmen. Keine seiner Bewegungen verriet indessen den ausserordentlichen Charakter dieser Passage. Ihm zuzusehen, wie ruhig und präzis er kletterte, erfüllte mich mit unbegrenztem Vertrauen für den weiteren Verlauf des Aufstieges.

Der erste Tag endet indessen etwas ärgerlich; denn die Nacht ereilt uns, als ich einen engen Riss, nur eine Seillänge unter der grossen Terrasse, erreiche. Als Jean-Jean nachkommt, ist es bereits Nacht, und ohne Begeisterung bereiten wir an dieser ungeeigneten Stelle unser Biwak vor, während 30 m höher sich der schönste Platz der ganzen Tour befindet: eine richtige Aussichtsterrasse, so gross, dass wir unangeseilt darauf spazieren könnten. Hier aber müssen wir jede Bewegung mit Bedacht ausführen, um nichts von unserem Material, von dem der kleinste Bestandteil von entscheidender Bedeutung sein kann, in die Tiefe fallen zu lassen. Die Säcke ausräumen, das Kochen, ja sogar das Essen, alles wird zur kompliziertesten Handlung, die unglaublich viel Zeit kostet.

Die Nacht vergeht verhältnismässig schnell. Am Morgen beginnen wir früh mit den Vorbereitungen und sind um 6 Uhr startbereit. Der Mont Blanc ist schon in Sonnenschein getaucht; hier aber ist die Luft noch kalt und rauh. Die Wiederaufnahme des Aufstiegs ist das Mühsamste vom ganzen Tag. Jean-Jean nimmt es mutig auf sich. Ich bin ihm dankbar, und nehme mir im stillen vor, ihm dies im Weiterstieg zu vergelten. Da aber, 10 m weiter oben, hat es den Anschein, dass uns eine kleine Mauer und ein geweiteter, mit einer durchsichtigen Eismasse ausgefüllter Kamin den Zugang zur grossen Terrasse verwehren wolle. Nach zwei vergeblichen Versuchen meint Jean-Jean, ich solle probieren, die Stelle zu überwinden. Ich glaube aber nicht, dass es mir besser gelingen könne, und ermuntere ihn durchzuhalten. Von meinem Platz aus kann ich das Hindernis nicht sehen; nur an der Seilbewegung merke ich, dass mein Freund zum drittenmal ansetzt. Ich hoffe inständig, dass es ihm diesmal gelinge. Mit langen Zwischenpausen läuft das Seil Meter um Meter ab, und nach mehr als einer Stunde verkündet mir Jean-Jean, dass er die Partie gewonnen hat und dass ich nachkommen kann. Es ist eine aussergewöhnliche Passage; senkrechtes Klettern mit Hilfe von Griffen, die, für Hände und Füsse ins Eis gehauen, von der Willenskraft meines Freundes zeugen.

Mit Vergnügen steigen wir nun über vollständig trockenen Fels weiter. In den « Roten Platten » erreicht uns die Sonne, was uns neuen Schwung verleiht. Es ist nun das zweite Mal, dass ich mich durch diese Risse emporarbeite, und ich stelle mit Staunen fest, dass sie mir diesmal länger, ausgesetzter und eindrücklicher vorkommen, als ich sie in Erinnerung habe.Von Zeit zu Zeit stosse ich auf einen meiner Haken vom letzten Jahr, die Willi damals nicht mehr herausbrachte. Es berührt mich eigenartig, und aus meiner Erinnerung tauchen jedesmal die genauen Umstände auf, unter denen ich den betreffenden Haken einschlug. Dass ich diese Schwierigkeiten nun noch unter schwereren Bedingungen als damals zu meistern vermag, erfüllt mich mit Genugtuung und gibt mir neuen Auftrieb. Eigenartigerweise freue ich mich schon auf das Biwak, das wir auf einer grossen Terrasse am Ende der « Roten Platten » errichten werden. Wir werden dann sagen können: « Jedem Tag seine Mühe » und uns wie zwei Pilger ausruhen, bevor wir unsere « grosse Reise » fortsetzen. Es wird dort genug Schnee haben, um unseren Durst zu stillen, und diese Gewissheit ist eine grosse Erleichterung, während man sich, mit der stechenden Sonne im Genick, von Haken zu Haken aufarbeitet. Mund und Kehle sind von der am Fels stagnierenden Luft ausgedörrt, und man wird von einem Durst geplagt, den sich nur wenige vorstellen können. Das kleinste bisschen Flüssigkeit besitzt dann einen Geschmack, für den man diese vorübergehende Qual gern auf sich genommen hat.

Die « Roten Platten » besitzen noch ein besonderes Kennzeichen: ihre Standplätze.Von unten lässt nichts darauf schliessen, im Gegenteil. Erst beim letzten Seilwechsel nach einer senkrechten Kletterei über 35 m - von Überhängen durchsetzt und so exponiert, wie man sich 's nur wünschen kannwird man sie gewahr und ist ganz überrascht, dass man den Sack ablegen und sich bequem setzen kann. Nicht, dass sie besonders " gross sind; aber nach ihrer Lage und ihren Massen sind es gleichsam zwei bequeme Treppenabsätze. Dank der mühsamen Arbeit des Klettergefährten geniesst man diese idealen Ruheplätze eine gute Stunde lang. Diese Zeitspanne kommt mir nie lange vor. Wenn man sich einmal auf dem Platz eingerichtet und ganz mechanisch gesichert hat, lässt die Nervenspannung nach, und für ein paar Augenblicke empfindet man eine ähnliche glückhafte Freude, als wenn man einen Gipfel erreicht hat. Dann beginnt man zu träumen oder lässt den Blick in diesem wilden Kessel umherschweifen. Die Flammes de Pierre ändern ihren Aspekt nach jeder Seillänge. An ihnen schätzen wir unser Vorwärtskommen ab. Manchmal schaue ich geradeaus und denke an nichts, als wenn ich selber ein Teil der Felsen wäre. Dann, plötzlich überkommt mich wieder ein Staunen angesichts dieser so fremdartigen, so schönen Welt, die ich so hoch an der Wand, wie von einem unzugänglichen Adlerhorst aus, überschaue: das ganze Vallée Blanche, 15 Die Alpen - 1959 - Les Alpes225 die Aiguilles de Chamonix, der Mont Blanc, die Dent du Géant, die Grandes Jorasses mit ihrer imponierenden Nordflanke. Ein Teil dieser Gipfel rufen in meinem Innern Stunden wach, die ich in ihrem Bereich erlebte. Im Biwak erzählen wir uns jeweils solche Erinnerungen. Auch von unsern Bergkameraden reden wir dann und nennen ergriffen ihre Namen. Wir wissen, dass auch sie an diesem Abend in Gedanken bei uns sind, dass sie versuchen, sich unser Abenteuer vorzustellen.

Wie vorgesehen, haben wir unsere Terrasse vor dem Einnachten erreicht. Sie liegt unter einer dicken Schneedecke, und wir schaffen einen guten Kubikmeter davon weg, um unsern Schlafplatz herzurichten. Dann, als wir warm geborgen in unsern Schlafsäcken liegen, rings um uns Dunkelheit und Abgründe und über uns die Sterne, wünschen wir uns inbrünstig, dass das gute Wetter weiter anhalten möge. Wenn man weiss, wie plötzlich sich der Himmel über diesem Massiv mit Wolken überziehen kann, weiss man auch, dass man eine solche Fahrt nie mit der Gewissheit, dass die Verhältnisse bis am Schluss gut seien, beginnen kann. Diesmal geniessen wir schon vier Tage schönstes Wetter. Wie wird es morgen sein? Das ist unsere grosse Sorge.

Dienstag. Seit 6 Uhr sind wir wieder im Aufstieg durch den grossen « Dièdre Eboulé » ( Geröll-gang ), das « Grand Toit », die « Niche ». Von da an beginnt für uns das Unbekannte.

Die dauernd sehr luftige Kletterei wird während drei Seillängen fast ohne Haken bewältigt, dann halten wir zögernd unter einer sehr steil aufgerichteten Mauer an. Es gibt drei Möglichkeiten, sie zu überwinden; aber es ist von hier aus unmöglich zu sagen, welches die beste ist. Wir entscheiden uns schliesslich für die Linke. Es ist eine herrliche Kletterei, aber als wir oben sind, stellen wir fest, dass der Weg zur Rechten ein schnelleres Vorwärtskommen erlaubt hätte.

Unversehens sind wir von Nebel umhüllt, und schon einen Augenblick später folgt heftiger Hagelfall. In wenigen Minuten ist jeder kleinste Griff mit Eiskügelchen gefüllt. Es ist lustig, ihrem Aufhüpfen zuzusehen. Aber auch in meinem Rücken häufen sie sich bedenklich an, und ich klettere so schnell als möglich weiter. Nach einem schmalen Felsband wird das Gelände weniger schwierig. Gottlob! Denn die Bedingungen sind nun wirklich ungemütlich. Noch eine kleine Verschneidung, und ich gelange auf eine Schulter, die ich, ohne zu zweifeln, für jene halte, die 100 m unter dem Gipfel liegt und vom Tal aus gut gesehen werden kann. Vor mir öffnet sich wie durch Zauberei, eine vollständig würfelförmige Grotte, zwei Meter in jeder Richtung. Ich begebe mich sofort in ihren Schutz und fühle mich wie in einer Schutzhütte geborgen. Der Sturm nimmt zu. Fünf Meter vor mir, auf einem Block auf der Mitte der Schulter, lokalisiert sich ein starkes Summen. Da ich das Phänomen nur von Beschreibungen her kenne, setzt es mich in unruhiges Staunen. Jean-Jean ist eben auf ein paar Meter herangekommen, als das mysteriöse Geräusch verstummt. Ein paar Sekunden darauf werden wir von einem Blitz geblendet, dem unmittelbar ein wiederhallender Donnerschlag folgt. Jean-Jean erreicht den Unterschlupf mit einem Satz. Das Gewitter bricht nun mit ganzer Gewalt los. Aber es beunruhigt uns nicht im geringsten. Bis zum Gipfel sind es ja nur noch drei bis vier Seillängen und wir werden ihn unter allen Umständen erreichen. Wir entledigen uns der nassen Kleider, schlüpfen in unsere Schlafsäcke und fühlen uns wie im Märchen, so unwahrscheinlich wohltuend erscheint uns der Unterschlupf, den uns die Vorsehung an einem solchen Ort und genau in dem Augenblick, wo wir ihn so nötig haben, bietet. Ein Weitergehen kommt für heute nicht mehr in Frage, obwohl es erst 17 Uhr ist.

Als wir am nächsten Morgen erwachen, haben sich die Elemente vollständig beruhigt, aber ringsum steht fast unbeweglicher, dicker Nebel. Die absolute Stille ist fast ebenso eindrücklich wie gestern das heftige Gewitter. Resigniert stellen wir fest, dass der Berg gleichmässig mit gefrorenem Schnee gepflastert ist. Aber wir haben keine Wahl, wir müssen weiter.

Während wir uns ein gutes Morgenessen bereiten, beginnt sich der Nebel aufzulösen. Er wird immer durchsichtiger und lässt Fetzen blauen Himmels sehen, und dann wird langsam der ganze Horizont klar. Es wird heute noch einmal schön sein! Aber im Augenblick herrscht grosse Kälte, und es heisst die ganze Energie aufbieten, um die Kletterei wieder zu beginnen.

Zuerst folgen wir einem Band bis zu einem mit guten Holzkeilen ausgestatteten Überhang mit einem Ausstieg mit « Dülfer », wo man die Griffe für Hände und Füsse vorweg unter dem Schnee suchen und von den Eiskrusten säubern muss. Wir fügen uns in die Schwierigkeiten, als ob sie zum Programm gehörten. Nach und nach stellt sich mein Elan wieder ein und ich warte schon ungeduldig auf das Erscheinen des Gipfels. Nach einem kurzen Vorsprung gelangen wir auf einen Firn, welcher - wir stellten es mit bitterer Enttäuschung fest - nicht etwa zum Gipfel führt, sondern zur Schulter, die wir gestern Abend schon erreicht zu haben glaubten! Vor uns gibt es noch beachtliche Überhänge, und der Gipfel, der immer noch nicht zu sehen ist, wird uns noch mühsame Kletterarbeit kosten. Wir sind wieder unsicher über den Weiterweg. Da ich den grössten Teil des Pfeilers schon kannte und den Rest der Route selbst entdecken wollte, habe ich diese letzte Strecke nicht studiert und besitze nicht die geringsten technischen Angaben. Und nun haben wir Mühe, zu glauben, dass wir wirklich noch diese Überhänge überwinden sollen. Von der Höhe des Vorsprungs werfen wir einen Blick zur Nordwand hinüber; aber von ihr trennen uns makellose Platten, die uns jede Hoffnung, dort einen leichteren Weg zu finden, nehmen.

Resigniert untersuchen wir von neuem unsere Überhänge. Einmal mehr werden uns grosse, durch Schnee und Eis erhöhte Schwierigkeiten auf die Probe stellen. Die Quarzbänder werden wir nicht vor Mittag erreichen. Bis zu diesen Bändern, das heisst praktisch genommen bis zum Gipfel, muss der Alpinist, der diese Besteigung unternimmt, imstande sein, Kletterstellen von ausgesuchter Schwierigkeit ohne Unterbruch die Stirne zu bieten.

Den Bändern folgend, gelangt man nachher ohne Mühe zur normalen Route. Man könnte die Bänder also als Endpunkt unserer Besteigung betrachten. Aber wir erwägen mit keinem Gedanken, die Tour hier abzubrechen, bevor wir den Gipfel, den wir noch nicht kennen, betreten haben. Das Terrain ist verhältnismässig leicht, aber die Vereisung zwingt uns zu neuer Vorsicht, die den Weg in die Länge zieht. Endlich erreichen wir den Kamin, der zum Gipfelgrat zu führen scheint.

« Jean-Jean, es ist an Dir! » « An Dir, Hugo! » Ich gebe nicht nach, und mein Freund geht lachend voraus. Einen Fuss und eine Hand auf jede Seite des Kamins setzend, zieht er sich auf, erreicht den oberen Rand und tritt nach rechts auf den Grat hinaus. Seine Silhouette hebt sich einen Augenblick vom Himmel ab und entschwindet dann meinem Blick. Nun läuft das Seil rasch und als nur noch ein Meter bleibt, gehe ich nach, um das Vorrücken meines Gefährten nicht aufzuhalten. Wie ich aus dem Kamin herauskomme, sitzt Jean-Jean schon zu Füssen der Muttergottes auf dem Gipfel. Ich hole ihn ein, und wir drücken uns die Hand.

Wir würden gerne lange bleiben, etwas träumen, auch etwas ruhen, zu den Gipfeln ringsum schauen und in die Täler hinab. Aber die Luft ist elektrizitätsgeladen. Die Wolken, die rasch unter unsern Füssen vorbeiziehen, steigen zeitweise höher und hüllen uns ein. Durch ihre Risse sehen wir Bruchstücke der Wiesen im Tal, die Häuser von Chamonix, diese Welt, die wir vor so langer Zeit verlassen haben und die so tief unten, so fern liegt. Hier oben kann jeden Augenblick das Gewitter losbrechen mit härteren Donnerschlägen als irgendwo sonst. Trotzdem bleiben wir eine halbe Stunde. Aber entspannen können wir uns nicht. Wie wir vom Pfeiler aus gesehen haben, weist der Abstiegsweg schlechte Verhältnisse auf, und seit 9 Uhr fegen Lawinen darüber hinweg. Unsere Fahrt ist noch nicht zu Ende! Sie wird es erst sein, wenn wir wieder im Tal sind.

Nicht ohne Sorge nehmen wir die lange Reihe von Abseilungen in Angriff, die uns auf die Flammes de Pierre absetzen sollen. Eine Menge Faulschnee liegt auf den weniger steilen Hangstellen. Wir sind bald durchnässt, und auch die Seile sind durchtränkt, und die Seillängen sind mit unsern schweren Lasten mühsam. Zum Glück gibt es kein heftiges Gewitter. Bei den Flammes de Pierre beginnt es nun leicht zu schneien. Von hier führen die Couloirs schräg durch die Flanke des Berges hinab; aber unsere Uhren stehen still und wir wissen nicht genau, wieviel Zeit uns noch bleibt vor der Nacht. Auch glauben wir, dass es vorsichtiger ist, diese Stelle vor 9 Uhr zu passieren, das heisst vor der ( in systematischer Beobachtung festgestellten ) Zeitperiode der Lawinenniedergänge. Wir bereiten also unser fünftes Biwak seit dem Aufbruch von Montenvers vor. Dank unserem gut berechneten Proviant, haben wir noch genug zu essen.

Am Morgen früh steigen wir ohne Verzug durch die mit Faulschnee gefüllten Couloirs ab und wechseln zum oberen Teil des Charpona-Gletschers hinüber. Von der Sonne schon durchwärmte Granitplatten laden uns zu einem Halt, um unsere Ausrüstung zu trocknen. Wir löschen den Durst und essen den Rest unseres Proviants auf. Die Fahrt ist nun bald zu Ende. Als wir den Gletscher überschritten haben, wissen wir, dass das Tal in wenigen Stunden erreicht ist. Wir möchten unserer frohen Laune laut Ausdruck geben.

Als ob es zugewartet hätte, bis wir in Sicherheit seien, überfiel jetzt das schlechte Wetter den Berg. Die Landschaft bekam ein trostloses Gesicht. Es regnete, aber in uns leuchtete das Erlebnis nach, das mit der Zeit zur schönsten Erinnerung unseres Lebes werden sollte.

Geschichtliche Anmerkungen Die Besteigung des Südwestgipfels des Dru ist vor derjenigen der Westwand mehrmals versucht worden, also vor 1950. Die Vereisung des untersten Couloirs wie auch die Schwierigkeiten, die in den Felsen sofort auftauchten, entmutigten die ersten Besucher. Erst 1950 fühlten verschiedene Alpinisten, dass sie diesem alpinen Problem von unvergleichlicher Weite und Eleganz mit ihrer Technik und ihrem Mut gewachsen seien. Walter Bonatti hat ihn in zwei Versuchen ausgiebig kennengelernt. Der zweite, mit den hervorragenden Alpinisten J. Aiazzi, C. Mauri, A. Oggioni, ist seiner wohlbekannten Tat als Alleingänger nur einen Monat vorausgegangen. Am 16. August 1955 steigt er allein über die normale Dru Route bis zu den Flammes de Pierre, von wo er durch Abseilen den Fuss des Pfeilers erreicht und so die objektiven Gefahren des Angriffscouloirs umgeht. Am 22. August erreicht er den Gipfel nach weiteren fünf Biwaks, begünstigt durch die einzige Schönwetterperiode jenes Sommers.

2. Besteigung, 23.26. Juli 1956, durch die Italiener Cesare Giudici, Carlo Mauri, Dino Piazza, Giorgio Radaelli; die Franzosen Adrien Billet, Yvon Kollopp, Roger Saison, Emile Troksiar; die Schweizer Roger Habersaat und Robert Wohlschlag.

3. Besteigung, 31. Juli bis 1. August 1956, durch die Österreicher Toni Egger und Herbert Radit-schnik.

4. Besteigung, 31. Juli bis 2. August 1957, durch den Schweizer Marcel Bron, die Franzosen Michel Grassin, Pierre Lesueur und Robert Paragot.

Unvollständige Besteigung, 2.4. August 1957, durch die Schweizer Willi Mottet und Hugo Weber.

5. Besteigung, 15.18. Juni 1958, durch die Schweizer Jean Braun und Hugo Weber.

6. Besteigung, 19.22. Juli 1958, durch die Österreicher W. Philipp und K. Blach, die Engländer P. Ross und D. Williams, C. Nonington und H. Mac Innes.Übers.: F. Oe.

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