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Bergmusik

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Ein gewichtiger Teil der Arbeit im 4. Jahrbuch gilt einem solchen Fall, und zwar einem jetzt tausend Jahre alten. Im 9./10. Jahrhundert hat der St. Galler Mönch Notker Balbulus in kirchlichen Kompositionen, in Sequenzen, eine Melodieform angewandt, die auffällig an Alphornweisen erinnert. Zumal ein Ostergesang zeigt Melodien, die dem Alphorn und dem Jodel abgelauscht sein können. Dergleichen hörte der Mönch in der ländlichen Umgebung des Klosters und im Appenzellerlande. Freute er sich schon an Ostern auf den Us-Tag, den Ustig mit dem Hirtengetön ums Kloster herum? Die Worte seiner Ostersequenz wissen ja auch von Naturgefühl und vom süss jubelnden Vogelschwarm. Ahmte dann ein Geissbub mit dem Jodel und der Schalmei, ein Hirte beim Alpsegen und Alphornblasen den feierlichen Klostergesang nach, dann bekamen seine aus heidnischen Urvätertagen stammenden Naturtöne christliche Weihe. Den glaubensstarken Mönch liessen naturkräftige Bergtöne gesundes Neues zeugen in kirchlicher Kunst. Fachleute werden weiterhin erwägen, was und wieviel damals aus dem Kloster in die Ohren der Hirten und aus der Natur in die Klostermusik gewandert ist.

Auf wunderbare Art, vollkommen naturhaft und kunsthaft, ist echte, ursprüngliche Bergmusik noch einmal gestaltet worden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von einem St. Galler: Ferdinand Fürchtegott Huber ( 1791-1863 ). Ihm gilt eine musikwissenschaftliche Arbeit, die 1942 erschienen ist, eine Bergschrift, die sachlich und warmherzig zugleich, also der Berge würdig ist: Walter Rüsch, Die Mefodie der Alpen. Gedanken über Ferdinand Huber. Es ist ein wunderhübsches Heft von dreissig Seiten, eine kleine musikalische Offenbarung. Da tritt klar zutage: aus der Quelle der Alpenmelodik hat F. Huber geschöpft. Die urtümliche Melodik des Alphorns hat es ihm angetan. Durch die Wiederholung einfacher Motive, durch die bindende Kraft Die Alpen - 1952 - Les Alpes5 BERGMUSIK der Harmonik vermochte der Meister immer wieder ein musikalisches Ganzes zu erschaffen, dem dennoch die Unmittelbarkeit seines naturhaften Ursprungs entströmt. Es ist erhellend für Herz und Geist, mit W. Rösch dieser wundersamen Durchdringung von Natur und Kunst im einzelnen nachzuspüren, nachdem man von ihm Grundsätzliches und Wesentliches über die Musik der Alpen, über Alphornmelodien und Jodel vernommen hat. Möchten doch recht viele durch diese Schrift zur Verachtung und Ächtung der sogenannten « Volksmusik » und des modernen « Liedjodeis » gelangen; der hat von dem grossen, freien Ausholen der wirklichen Alpenmusik ganz und gar nichts mehr: « In der Engbrüstigkeit einer vermeintlichen Volksmusik erstarb ihr freier Atem. » Wie fängt doch F. Hubers Vertonung von G. J. Kuhns « Küherreihen zum Aufzug auf die Alp » an?

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Der Us - tig wott cho, der Schnee zer-geit scho Das ist fürwahr die Naturmelodik des Alphorns! Wir haben ja die Alphornweisen im Ohr. Dort ist die Heimat, aus der Hubers reine, kristallklare Tonfolge stammt. Auch die Jodel jeder Strophe sind bei F. Huber noch das ungebundene Aneinanderreihen von Naturmotiven. Wir nehmen das altvertraute Lied erst recht zu Herzen, wenn wir noch auf ein paar Einzelheiten aufmerksam werden. « Lustig use usem Stall »: ein rascher Zweivierteltakt stellt den Aufbruch zur Alp dar. In der zweiten Strophe lässt Huber am Anfang die erhöhte Quarte hören ( das Alphorn-Fa, hier von G aus gerechnet als Cis ); dadurch wird die Melodie erst recht ein echtes Kind der Alpen, naturnah und schön:

Im Jodel zur dritten Strophe hören wir wieder den herbschönen erhöhten Ton ( hier als Gis von D aus ) und bemerken « die Linienführung, die zu einer wundervoll bildhaften Weite des melodischen Verlaufs führt. Das sind wieder die Klänge, die über Täler und Alpen in die gewaltigen Räume der Bergwelt hinein schallen »:

Lehrreich und freudenreich wäre, mit W. Rösch zu beobachten, wie kunstvoll F. Huber die naturwüchsigen Eigengebilde zu einer Einheit, einer melodischen Linie, zusammenschliesst, und die natur- und kunstvolle Art seines Komponierens noch an andern Liedern zu studieren, zum Beispiel an seinem bekanntesten Lied: « Lueget vo Berg und Tal » ( gedichtet von A. Henne von Sargans ). F. Huber hat es zuerst für seine Schüler in Hofwil im Kanton BERGMUSIK Bern dreistimmig, dann für verschiedene Zwecke und Chorbesetzungen gesetzt. Spätere Bearbeiter haben allerlei Feines darin verderbt. Hauptsache ist für das Lied und für uns wiederum: Alphornweisen sind vollkommen in die melodische Linie aufgegangen:

« Die vollendete Ruhe, in der sich die Dreiklangtöne in gemächlichem Auf und Nieder zu einer melodischen Form zusammenschliessen, lässt die Stimmung in einem Tonbild ausklingen, das wir nur noch mit der unübertroffenen Harmonie der Linien und Klangfarben in der Malerei der Romantik vergleichen können, die die Landschaft so oft in den hauchzarten Tönen des Abendlichts dargestellt hat. » Noch eine feine Bemerkung W. Rüschs über den Zusammenhang zwischen Horizontlinie und melodischer Zeichnung: « In den letzten Takten des Liedes sind die weiten Intervalle der Alphornmelodik aus-ebnenden Topschritten gewichen. Alpenmelodik und Tonfolge des hügeligen Mittellandes haben sich hier einzigartig gemischt. » Im Jodel des Liedes nimmt F. Huber dann wieder die Klänge der Alpenwelt auf und lässt sie allmählich verklingen:

Hat uns Walter Rösch nicht Ohr und Herz aufgetan für einen wunderbar beglückenden Zusammenklang von Bergnatur und Kunst?

Überraschender ist, dass auch in Beethovens hoher Musik Alphornmelodik erklingt. Er war mit der Natur innig verbunden, erlebte sie stark auf Wanderungen in der Gegend von Wien, erkannte in der wunderbar geschaffenen Natur den Schöpfer: « Allmächtiger im Walde! Ich bin selig, glücklich im Wald: Jeder Baum spricht durch dich. O Gott! Welche Herrlichkeit! In einer solchen Waldgegend, in den Höhen ist Ruhe, Ruhe ihm zu dienen. » Sicher hörte er oft Hirtenmusik, Schalmeibläser, wohl auch Berglermusik. Hat er gar etwas von schweizerischen Alphornweisen vernommen? Möglich ist es, sogar sehr wahrscheinlich. Der Luzerner Arzt und Philosoph Ignaz Troxler hat als Student in Wien freundschaftlich mit Beethoven verkehrt. In einem Brief an H. Szadrowsky schreibt er 1857 etwas Aufschlussreiches: er habe Beethoven « oft und viel vom Rheinfall, vom Rigiberg und Pilatus, von dem ganzen Bereich des Vierwaldstätter Sees mit den geschichtlichen Erinnerungen erzählen » müssen, gewiss doch auch etwas über Alphorn und Alphornweisen. Auch von Xaver Schnyder von Wartensee hat Beethoven sich in Wien über die Schweiz berichten lassen und ihm dann am 19. August 1817 geschrieben: « Sie wünschten mich einmal begriffen zu sehn in dem Anstaunen der schweizerischen grossen Natur, ich mich selbst auch. » Im 4. Jahrbuch stellt H. Szadrowsky zum Vergleichen Stellen aus Beethovens Pastoralsinfonie neben Alphornweisen, z.B. neben eine Alphornmelodie, die er 1855 am Rigi aufgezeichnet hat.

Die ganze Sinfonie lebt und tönt von Natur; sie ist vom Schöpfergeist Beethovens geschaffen aus naturhaften Tongebilden. Wir hören und fühlen darin das Naturempfinden eines grossen Menschen, spüren darin, als Bergsteiger besonders, auch den Atem der Berge und der Bergmelodik. Und seltsam: es ist zugleich Atem und Seele der Welt. Erstaunliches entdecken wir, wenn wir die « Elemente » ( in naturhaft lebendigem Sinne ) anderer Beethoven-werke betrachten. Gewaltige Tonsätze lässt er aus Motiven wachsen, welche allereinfachste Naturtonschritte sind. Mit ureinfachen Tongebilden, die als Geschwister der Alphornweisen anmuten, unternehmen auch die Eroica-sinfonie, die Fünfte und die Neunte den Gang in die Tiefen und Höhen des Menschen und des Alls.

Für Johannes Brahms war es gewiss nicht leicht, in seiner ersten Sinfonie, die wie Beethovens Fünfte in der Tonart c-moll mit den selben Tiefen und Höhen der Welt zu tun hat, gegen Ende den befreienden C-dur-Aufschwung auch wieder ursprünglich, eigen zu erfinden. Eine Bergmelodie, eine Alphornweise kam ihm zu Hilfe. Der wanderfrohe Freund der Schweiz hat sie oder ihr Urbild wohl im Berner Oberland gehört. Er sandte sie einmal mit ein paar Worten als Wunsch nach Versöhnung und Frieden an Clara Schumann. In der Sinfonie wird die Alphornweise zum Ruf nach Erlösung aus Seelendunkel, eine der schönsten Hornstellen in aller Musik, mit vollem, grossem Ton zu blasen:

Wir überhören dabei natürlich nicht das liebe Alphorn-Fa, eben Fis anstatt F. Das Orchesterhorn hat es vom Alphorn gelernt.

Höher schätzen und werten wir den Satz der Sinfonie als die paar Takte der Alphornweise. Was der Meister aus ihr geschaffen hat, das ist viel grösserer Wert als die Naturmelodie. Das Werk ist aus Seele und Geist geschaffen. Sie ist « nur » Seele. Aber Seele! Dem Musikgenie tönt der Schöpfergeist wundersame Melodien und Harmonien zu und schenkt ihm dazu die Kunst, sie zauberhaft zu wandeln, zu verflechten, zu harmonisieren. Armselig ist dem gegenüber, was das Alphorn kann. Trotzdem geht uns zu Herzen, was es tönt. Sein einfaches Tongeschöpf kommt aus dem selben Geisterreich wie das erstaunliche Werk des schöpferischen Geistes. Das Naturgewächs wetteifert nicht mit dem Kunstwerk, bleibt genügsam und gerade darum selbstgenügsam und vergnügt — darum ein Vergnügen für unser allzu oft von Ungenügen und Missvergnügen geplagtes Gemüt.

Am Vierwaldstätter See hat wohl Richard Wagner den « Hirtenreigen » gehört, der dem todwunden Tristan die unendliche, unstillbare Sehnsucht seiner Seele « sehnsuchtbang » widertönt: « Muss ich dich so verstehn, du alte, ernste Weise, mit deiner Klage Klang? » Wagner wollte dabei die « Wirkung eines sehr kräftigen Naturinstrumentes wie das Alphorn » eines sei, schlug ein Instrument « aus Holz nach dem Modell der Schweizer Alpenhörner » vor. Die Weise, nach Wagners Art breit ausholend, dürfen wir Bergfreunde als kunstvolle Ehrung unserer Alpenmelodik hören und liebhaben. Sie beginnt so:

BERGMUSIK creso.

« Natürlich » kommen auch alphornmässige Triolenbewegungen mit Oktaven und Quinten:

sf dim.

Aus einem solchen Ges ( das ein wehmütiges Alphorn-Fa ist ) findet die Weise folgenden Ausklang:

Heitere Schalmeitöne bläst der Hirt im « Tannhäuser », bläst sie sogar getrost in den Pilgerchor hinein, eine musikalische Wohltat. Urweltlich mächtig einfach beginnt « Der Fliegende Holländer »: die Quarten und Quinten wären auch dem Gebirge angemessen, gelten in diesem Werk aber dem rastlos durch Meer, Sturm, Nebel segelnden Holländer, sind einfachste Tongestalt der dem Urwesen der Welt eigenen Unrast. Verwandt mit der Naturmelodik des Gebirges sind « natürlich » auch die Motive, mit denen Wagner im « Ring des Nibelungen » Wasser, Feuer, Sturm, Wald vertont, Rheintöchter, Riesen, Zwerge, das urkräftige, urnatürliche Wesen Siegfrieds und seines Schwert-schwungs.

Wagner konnte auch durch seinen Freund Franz Liszt Kunde über Bergtöne erhalten. Liszt, in Weimar von Krankheit heimgesucht, dankt am 1. Mai 1857 Heinrich Szadrowsky für einen Brief: er « bringt mir... so volle Atemzüge frischer, gesundender Bergluft von einem mir so lieb gewordenen Lande, dass es mir dabei ganz wohl zumute wird ». Liszt hat jenen Aufsatz im 4. Jahrbuch zuhanden bekommen; in einem Brief aus Rom vom 6. Juni 1868 dankt er dem Verfasser freundschaftlich für die ihm willkommenen « Alpenskizzen », rühmt « die Schilderung und feine Charakterisierung der gemütvollen Alpen-weisen und sonderlichen Instrumente »; er wünscht, die Skizze möchte zu einem ganzen Bande ausgeführt werden.

Von Nietzsches philosophischer Dichtung « Also sprach Zarathustra » hat sich Richard Strauss zu einer sinfonischen Dichtung anregen lassen. In dem Teil, der von den « Hinterwäldlern » und von der « grossen Sehnsucht » handelt, führt der Meister ein grossartiges Naturthema durch, « das man sich unwillkürlich von einem unsichtbaren und gedämpften Alphorn vorgetragen vorstellt », nämlich der Musikwissenschaftler A. E. Cherbuliez, nicht nur irgendein Bergsteiger. Ein anderes Orchesterwerk von R. Strauss gilt ganz den Bergen: « Eine Alpensinfonie ». Da wäre so überreiche Ausbeute für meinen Vortrag, dass sie ihn aus Rand und Band brächte. Musikalische Darstellung des Gebirges und besonders des Bergerlebens wäre « Bergmusik » in einem eigenen Sinn; sie bleibe einer neuen Arbeit vorbehalten.

Auch die Schweizerische Sinfonie von Hermann Suter darf uns diesmal nicht aufhalten. Nehmen wir noch ein gebirgiges Hauptthema der e-moll-Sinf onie von Hans Huber zu Ohr und Herzen:

Auch wenn es nicht so unverkennbar alphornartig klingt, dürfen wir uns manchmal mit ungenagelten Schuhen im Konzertsaal an die lieben Berge und Alphorntöne erinnern.

Wüchse doch aus dem « Elementaren » immer wieder einmal, wie in Beethoven und andern, eine Musik, welche Stärke des Naturverbundenen, Gesunden mit geistiger Kraft vereinigt; erstünde auch immer wieder aus Bergen Musik, die sich hoch über alles Gebirge erhebt.

Einer der ganz grossen Meister des 19. Jahrhunderts, Anton Bruckner, Schöpfer erhabener Sinfonien und grosser Kirchenmusik, erlabte sich an der Orgel oder am Klavier am einfachen Aneinanderreihen von Dreiklängen: « Gibt es etwas Innigeres, Herrlicheres als solche Folge blosser Dreiklänge? Ist es nicht wie ein reinigendes Seelenbad? » So fühlte Bruckner, der grosse Musiker des Innigen, Herrlichen. Gewaltige Sinfoniesätze hat er aus Themen geschaffen, die sich in den Urschritten der Quarte und Quinte bewegen. Naturstimmung, Romantik, Weltgefühl, Religion hat er daraus gestaltet, vor allem Musik.

Der Dichter Thomas Mann, der sich in Novellen und Romanen immer wieder in geistreichen Gedankengängen über Musik ergeht, lässt im Roman « Doktor Faustus » einen Musiklehrer Vorträge über « das Elementare in der Musik » oder « die Musik und das Elementare » halten. Die Musik, im Lauf der Jahrhunderte zu einem hochkomplizierten, reich und fein gegliederten Wunderbau emporgewachsen, habe sich doch niemals einer frommen Neigung entschlagen, ihrer anfänglichsten Zustände pietätvoll zu gedenken und sie feierlich beschwörend heraufzurufen, ihre Elemente zu zelebrieren, kurzum: ins Elementare unterzutauchen. In einem Gespräch zweier Freunde kommt dann auch die Strenge der musikalischen Formen zu Ehren, das Gesetzliche: die Musik brauche allerlei gesetzliche oder pedantische oder asketische Abkühlung und verlange auch selber darnach, weil sie so viel Eigenwärme, Stallwärme, Kuhwärme habe. Aus dem Streit, ob man dem Lebens- und Gottesgeschenk Musik Liebe oder Interesse widmen solle, fischen wir noch den Gedanken heraus, Interesse sei eine Liebe, der man die animalische Wärme entzogen habe.

« Interessieren » wir uns für das Alphorn? Wir lieben es.

( Schluss folgt )

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