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Bergwildbeobachtungen

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

VON KARL-WILHELM SPECHT, MÜLHEIM A. D. RUHR, SAC GRINDELWALD

Mit 2 Bildern ( 38, 39 ) Eine zwar anstrengende, aber schöne Bergtour auf das noch stark verschneite Schwarzhorn bei Grindelwald liegt hinter uns. Von Graspolster zu Graspolster hüpfend, geniessen wir die herrliche Aussicht auf die Kette der Berner Alpen. Hinter jedem der bemoosten Felsblöcke pfeifen Murmeltiere, wenn wir sie stören. Da! Gemsen linker Hand! Wir sinken in die Knie. Das Glas holt uns dreizehn Stücke heran. Sie flüchten nicht weit, nehmen bald die nahen Felsen an. Kein Wunder, dass der Grasberg über ihnen Gemsberg heisst.

Ein friedliches Bild liegt vor uns. Das Rudel zieht sich auseinander. Hier äst eine Geiss, dort spielen zwei Kitze miteinander. Ein Bock steht auf einem Absatz und äugt zu uns herunter.

« Was ist denn das? » entfährt es mir plötzlich. « Das Glas, schnell! » Ein Fuchs, tatsächlich, ein brandgelber Fuchs mitten unter den Gemsen und mitten im Fels! Ob der es auf die Kitze abgesehen hat? Das wäre dreist! Nein, er scheint zu mausen. Wie behende er die Felsen bewältigt!

Schrill pfeift plötzlich ein Murmeltier. Hoch aufgerichtet windet es zum Fuchs hin. Wieder ein Warnpfiff. Der Räuber stört sich nicht daran, schnürt auf das Murmeli zu. Wupp, fort ist es.

Die Gemsen kümmern sich gar nicht um den Störenfried. Sie ziehen langsam die Felsgalerie entlang, während der Fuchs verschwindet. Die Leitgeiss tritt einen Stein los. Jetzt aber volle Deckung!

Eine kreisrunde, gezackte Platte saust auf uns zu, wenige Meter an uns vorbei. Das hätte ins Auge gehen können!

Plötzlich werde ich angestossen. Vor uns, etwa dreissig Schritt entfernt, taucht ein zweiter Fuchs auf. Und was für einer! Hellgelb, fast weiss ist der Pelz, dick und buschig die Rute, richtig zottig der Kopf- ein prächtiger Bergfuchs. Die Murmeltiere pfeifen, dass es einem durch Mark und Bein geht. Misstrauisch äugt er zu uns herüber. Jetzt hat er Wind bekommen Verschwunden ist die stolze Rute. Hochflüchtig nimmt auch er die Felsen an.

Drüben ist der erste Räuber wieder aufgetaucht. Regungslos sitzt er vor einem Murmeltierloch. Aber die flinken Nager sind wachsam. Von vielen Sehern wird er beobachtet, und von Zeit zu Zeit pfeift es da oder dort. Doch Hunger macht geduldig.

Die Gemsen haben sich inzwischen niedergetan. Es wird Abend. Wir sind noch 2200 Meter hoch und müssen ins Tal. Der Fuchs lauert immer noch am gleichen Loch. Nun denn, Waidmannsheil!

Auch am Bachalpsee ist Gemsrevier. Ziellos klettere ich in den Felsen umher, den Blick an den Boden geheftet, in der Hoffnung, ein paar botanische Raritäten vor das Kameraauge zu bekommen.

Da klirrt ein Stein. Gemsen! Elf Stücke sind 's. Gemächlich bummeln sie über die Felstrümmer. Vorsichtig steige ich ihnen nach. Kaum werfen sie auf. Behutsam schaue ich um einen Block herum auf eine höher gelegene Berg wiese. Und was ich da sehe, verschlägt mir fast den Atem. Hier wimmelt es geradezu von Gemsen! Ich beginne zu zählen: dreissig, vierzig, fünfzig, zweiundfünfzig - es ist unglaublich! Da stossen die elf von eben noch dazu: dreiundsechzig! Ich zähle nochmals - nein, ich irre nicht. Die nächsten sind nur fünfzehn Meter entfernt - ein Bild wie im Paradies. Ich schaue, schaue...

Interessant sind die Farbunterschiede zwischen den einzelnen Tieren. Manche sind fast gelb, andere grau, die meisten hellbraun, doch einige auch sehr dunkel. Krücken in allen Variationen kann ich unterscheiden, wie auf einer lebenden Trophäenschau: hier ein Bock mit weitgestellten Krickeln, die schräg zueinander stehen, dort eine Geiss mit ganz eng gewachsenen Schläuchen, drüben gar ein Stück, dessen eine Krücke an der Krümmung abgebrochen ist - wahrlich, eine Fundgrube für Gemsstudien.

Das Rudel - fast bin ich geneigt zu sagen « die Herde » - äst sich bis an den Rand der Wiesenfläche, dort, wo sie steil abwärts in die Felsen übergeht. Da pfeift eine Geiss. Störung? Ja, von obenher nähern sich ein paar Wanderer. Sie gehen zwar vorüber, ohne auch nur eine Gemse zu sehen, doch ihr Lärm treibt das Wild hinab ins steinige Element. Kopfschüttelnd vor Staunen sehe ich ihm nach. Welch ein Anblick war das, welch ein Glück!

Das stolze Wetterhorn hat mich zu einer Erkundungstour angeregt. Diese endet nach fünf Stunden Bergwanderung in 2338 Metern Höhe bei der Glecksteinhütte des Schweizer Alpenclub Regen und Nebel verhindern weitercAnstiegsversuche.

« Haben Sie schon einmal Steinböcke gesehen? » fragt mich der Hüttenwart, als ich missmutig vor der Hütte sitze. Fragend und überrascht sehe ich ihn an. « Ja, dort drüben hat 's dreizehn Stück. » Ungläubig blicke ich seinem Finger nach. Tatsächlich, dort, vielleicht fünfhundert Meter entfernt, äsen sie auf einer winzigen Matte in wilder, urwüchsiger Gebirgslandschaft. Ohne mich zu wenden, sehe ich im Glas die mit lautem Gepolter herabstürzenden Eislawinen auf dem Oberen Grindelwaldgletscher und das friedliche Bild des äsenden Fahlwildes in seiner unmittelbaren Nähe. Das Schlechtwetter ist vergessen, und beim Abstieg gelingt es mir, bis auf zweihundert Meter an die Tiere heranzukommen.

Ein anderes Mal sind wir am Rifelhorn über Zermatt. Auch hier gibt es Steinwild. Wir brauchen gar nicht lange zu warten. Als wir um die erste Felsnase blicken, entdecken wir bereits einen jungen Bock, der sich vor der prächtigen Kulisse des eisgepanzerten Breithornmassivs einzigartig ausmacht. Er ist so vertraut, dass ich ihn reihenweise photographieren kann. Komme ich zu nahe an ihn heran, so zieht er langsam vor mir her, bis ich ihn in Ruhe lasse. Ähnlich verhält sich das Rudel von etwa zwanzig Stück, dem ich am Nachmittag mit der Kamera nachsteige. Doch besteht es nur aus weiblichen Tieren und Kitzen. Ob wir wohl auch einmal Böcke mit den meterlangen Hörnern zu Gesicht bekommen?

Wieder ein Jahr später ist es so weit. Wir wandern schon ein paar Tage lang durch das grösste Steinwild-Schutzgebiet der Alpen, am Piz Albris bei Pontresina. Ein 35köpfiges Geiss- und Kitz-rudel haben wir schon einen ganzen Nachmittag beobachten können. Da entdecken wir eines Abends drei starke Böcke oberhalb der Alp Languard. Am nächsten Morgen sind wir schon früh dort oben. Und wie bestellt, treffen wir auf ein Rudel von sechzehn meist sehr starken Böcken. Auf einem geröllbedeckten Berghang ziehen sie vertraut durch den Neuschnee, der in der vergangenen Nacht gefallen ist. Von uns nehmen sie kaum Notiz. Für mich beginnt ein Festtag, denn die Kamera kann pausenlos arbeiten. Zuerst bin ich vorsichtig und begnüge mich mit einer Entfernung von fünfundzwanzig bis dreissig Metern; dann, als ich merke, dass die Tiere nicht flüchten, wage ich mich näher heran. Und als ich mich plötzlich mitten unter den Böcken befinde, von den nächsten kaum fünf Meter weit weg, da möchte ich jubeln vor Freude. Könnte meine Frau nicht alles mitbeobachten, ich würde es selbst kaum glauben. Da stehen und liegen sie greifbar nahe vor mir, die prachtvollen Alpen tiere. Gedrungen und stämmig sind sie gebaut, muskulös und voller urwüchsiger Kraft, und trotzdem so unglaublich geschickt, beweglich und flink im Fels. Fast immer stehen sie mit leicht ein-geknickten Läufen. Stets setzen sie nur einen Lauf vorwärts, wenn das Gelände steil ist. Mit den langen Hörnern kratzen sie sich, oft bis hinten zum Schwanz. Spielerisch, doch auch halb ernst stossen sie sich, wenn es um das Futter geht. Ja, das Futter! Mit Stumpf und Stiel äsen sie halbmeterhohe Bergdisteln ab, die man kaum in die Hand nehmen kann.

Die prachtvolle Kulisse der Engadiner Landschaft lässt diesen Tag zu einem grossartigen Erlebnis werden. Dort drüben strahlen die Eisgipfel der Berninagruppe, die wir vor wenigen Tagen durchstreiften. Im krassen Gegensatz dazu liegt tief unter uns die Talsohle mit den zauberhaften Engadiner Seen. Und hier tummeln sich die Steinböcke mitten in ihrem ureigensten Revier, auf das der Piz Albris und der Piz Languard hoheitsvoll herabsehen.

Die Tiere wissen wohl recht gut, dass der Mensch ihnen nichts anhaben will, sind sie doch ganzjährig geschützt. Und das ist richtig so, denn es gibt kaum eine schönere Wildbeobachtung im Hochgebirge als die der stolzen Steinböcke inmitten imposanter Berggestalten.

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