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Besteigung des Weisshorns (aus dem Französischen übertragen)

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Von Emile Javelle.

Aus dem Französischen übertragen.

Die Berühmtheit der Berge ist oft eine Sache der Mode und der zufälligen Umstände, gleich derjenigen der Menschen. So sind Mont Blanc und Rigi zu Weltruhm gelangt, während wir in der Schweiz lange die höchste Bergspitze, welche wir ganz die unsrige nennen können, den Dôme de Mischabel, ignoriert haben. Ein vielversprechender harmonischer Name oder eine Reihe von Unglücksfällen, welche sich an seine Ersteigung knüpft, tragen mehr zum Bekanntwerden eines Berges bei als seine bedeutende Erhebung -oder wirkliche landschaftliche Schönheit.

Die Alpen haben aber einen andern Ruhm, und es liegt ihnen wenig an dem, den ihnen die Menschen geben. Die Gipfel, welche die Sonne zuerst mit ihrem Purpur bestrahlt, sind die höchsten, die stolzesten. Helios selbst verteilt die Ruhmeskränze.

Von diesen reinen Kuppen und Spitzen ist es der Mont Blanc, welcher als ihr wahrhaftiger Gebieter zuerst unter dem Grusse der Morgensonne funkelt. Beinahe gleichzeitig sieht man im Osten den Monte Rosa erglühen und, wenn man auf einer günstig gelegenen Warte steht, nacheinander den Dom, den Lyskamm, das Weisshorn, das Matterhorn, die Dent Blanche, den Grand Combin, die Aiguille Verte. Das sind die wahren Glanzpunkte unserer Alpen.

Man sieht, dass vor diesem unbestechlichen Richterstuhle das Weisshorn, obwohl es in der Turistenwelt sich keines besondern Rufes erfreut, an Höhe der fünfte Berg in der Gesamtkette ist. Wenn selbst diejenigen, die viel in den Alpen wandern, es nur wenig kennen, so mag das in seiner Lage begründet sein. Weniger glücklich als die Dent du Midi, beherrscht es kein vielbesuchtes Tal; es hat nicht wie die Jungfrau ein Belvedere auf halber Höhe, von welchem aus man mit einem Blicke die Erhabenheit seines Gipfels und die Tiefen der Abgründe zu seinen Füssen erfassen kann. Fast auf allen Seiten wird es von Strebemauern gegen die Täler maskiert, welche rings um seine Flanken eingegraben sind. Man glaubte es auf dem Wege von Stalden nach St. Nicolaus zu sehen, wo in der Tat rechts ein schöner Eisgipfel mit reinen und glänzenden Graten ragt; es ist aber nur ein ehrgeiziger Vasall des Weisshorns, das Brunegghorn, welches von diesem Punkte aus häufig für jenes gehalten wird. Kaum ist das Weisshorn, etwas später, für einen Augenblick aufgetaucht, so wird es sogleich wieder von andern Erhebungen verdeckt. Vom Zinaltal aus kann man es zwar in seiner ganzen Majestät von der Basis bis zur Spitze und aus nächster Nähe betrachten. Das Tal ist aber wenig begangen, auch sieht man von dort nur die Rückseite des Weisshorns, welche nichts als eine furchtbare Mauer ist. Will man diesen schönen Berg in seiner ganzen Pracht thronen sehen, so muss man sich entweder von ihm entfernen und das Rhonetal hinauf gehen oder noch besser eine der Anhöhen der gegenüberliegenden Berner Alpen besteigen, bis zu den einsamen Triften der Riederalp oder des Eggischhorns. Von dort aus verschwinden die erwähnten Strebemauern, und man sieht eine herrliche Schneepyramide von reinen Formen zum Himmelsgewölbe stossen. Es wäre ein vergebliches Bemühen, denen, die sich an diesem Anblicke nicht erfreut haben, durch die glänzendste Beschreibung eine annähernde Vorstellung davon geben zu wollen; die Anmut der Form, das Malerische seines weissen Aufschwungs und die Wildheit der Zerklüftung entziehen sich jeder Schilderung.

Von den drei Seiten seiner Pyramide trägt die nördliche einen Mantel von Gletschern und Schneefeldern; die zwei andern zeigen nichts als dunkle Abgründe, von Furchen durchzogen, über welche ohne Unterlass Lawinen herunterdonnern. Um den Gipfel zu erreichen, gibt es keinen andern Weg als die Grate, und bis jetzt hat sich ausschliesslich der östliche als gangbar erwiesen.

" Wie so viele andere heute überwundene Alpenriesen hat auch das Weisshorn lange für unersteigbar gegolten. Die ersten Menschen, die im Jahre 1861 das Glück hatten, den Fuss auf die unbefleckte Schneespitze zu setzen, waren der gelehrte Physiker Tyndall und seine Führer J. J. Bennen von Lax und Ulrich Wenger von Grindelwald. Etwa ein Dutzend Besteigungen sind seither geglückt, die neueste dürfte die sein, von welcher ich berichten will.

Zwei meiner Freunde, Walter und Symour Butcher, beide geübte Bergsteiger, hatten im August des vergangenen Jahres den Wunsch ausgesprochen, vor ihrer Rückreise nach England das Weisshorn zu ersteigen, und ich hatte mich ihnen angeschlossen. Am 29. August 1871 trafen wir im Tale von St. Nicolaus ein. Wir hatten einige Mühe, die zuverlässigen Führer zu finden, derer wir zu einer solchen Expedition bedurften, da alle anderweitig in Anspruch genommen waren. Glücklicherweise war Peter Knubel, der beste Führer des Tales, verfügbar, und nachdem wir uns seine Leitung gesichert hatten, war an den andern wenig gelegen. Am 30. befand sich unsere Gesellschaft am Ufer des Vispbaches in der Nähe von Randa, des gewöhnlichen Ausgangspunktes der Weisshornbesteigungen. Wir zählten 9 Mann. Zwei jüngere Brüder meiner Freunde wollten uns bis zur letzten Hütte begleiten und dort unsere Rückkunft abwarten. Peter Knubel hatte sich zwei Führer beigesellt, M. J. Perren und Johann Petrus, nebst einem Träger, welcher uns bis zur Stelle unseres Biwaks folgen sollte. Ein Pfad, welcher steil zwischen Tannen und Felsen ansteigt, führte uns in anderthalb Stunden zur Schalliberghütte. Hier blieben die zwei jungen Leute zurück, während wir uns vorgenommen hatten, die Nacht 10,000 Fuss über Meer am Rande des Gletschers zu verbringen.

Die Schalliberghütte steht hoch über dem Bereich menschlicher Wohnungen und grenzt sozusagen an die Einöde der Alpenwelt. Sie ist so ziemlich die letzte Sommerwohnung in diesem Gebiete. Etwas höher breiten sich noch dürftige Weiden aus, dann folgen in geringer Entfernung nackte Felsen und Gletscher. Die Lage dieser einsamen Berghütte hat etwas grossartig Feierliches. Wir gaben uns eine halbe Stunde dem Genüsse dieses Eindruckes hin und brachen dann auf.

Nun betraten wir das Tälchen, wo von hohen Gipfeln der Hohlichtgletscher herabsteigt. Ein hübscher Fussweg führte uns auf die Rasenhänge, welche ihn umranden. Die Sonne neigte sich zum Untergange, als wir ein Plateau erreichten, auf welchem die Trümmer einer längst verlassenen Hütte herumlagen. Unsere Führer, welche der Gedanke eines Biwaks beim Gletscher nicht sehr anzog, bestanden darauf, dass wir an dieser günstig gelegenen Stelle uns für die Nacht einrichten sollten. In der Nähe fand sich gutes Trinkwasser, der Rasen war weich und trocken, eine Böschung hielt den Wind ab, während weiter oben, nach der Angabe der Führer, harte Felsen und kalter Wind zu erwarten waren. So triftig die Gründe schienen, so glaubten wir doch, mit Rücksicht auf die harte Arbeit des folgendes Tages, noch 1000 Fuss zurücklegen zu müssen. Jeder raffte ein Stück altes Holz auf, das auf dem Boden herumlag, belastete sich damit, und so brachen wir auf. Es war schon ziemlich dunkel, als wir zerklüftete Felsen über einem steilen Abhang er- Die Alpen — 1937 — Les Alpes.15 reichten. Ein Führer suchte die Stelle, wo die früheren Ersteiger Halt gemacht hatten. Sie war bald gefunden. Zwischen zwei grossen Blöcken, von welchen der eine etwas überhing, lag ein dreieckiger trockener Platz von wenigen Fuss, hier sollte unser Nachtlager sein.

Ein glänzendes Feuer prasselte bald vor uns, die Vorräte wurden ausgepackt und der Tee bereitet. Solche Mahlzeiten, 10,000 Fuss über Meer, im Angesichte der Gletscher und auf rauhen Felsen haben einen eigenen Reiz. Eine herrliche Nacht verschönerte noch unser vergnügliches Abendbrot. Der Vollmond hatte sich in seinem vollen Glänze erhoben und überstrahlte den Gletscher und die rauhen, wilden Zacken und Grate.

Als wir das letzte Glas geleert hatten, wurde für mich und meine zwei Freunde an der bestgeschützten Stelle eine Decke ausgebreitet, eine zweite legten wir über uns, während die Gefährten sich in die zwei übriggebliebenen teilten. Der Schlaf wollte sich aber nicht einstellen. Je tiefer die Nacht, desto durchdringender wurde die Kälte, trotz unserer Decken. Dazu schienen zu unsern Häupten die Sterne durch die Lücken der Blöcke. Gegen 1 Uhr erhob ich mich, die unbewegliche Lage auf dem harten, kalten Fels war mir unerträglich. Die Führer schliefen, eine phantastische Gruppe, die mich an eine Schar von Räubern in den Wildnissen der Apenninen gemahnte. Mein Aufbruch weckte alle, es war übrigens Zeit zum Abmarsch zu rüsten. Der Vollmond schien so klar, dass man bei seinem Lichte unbedenklich die gefährlichsten Stellen betreten durfte. Wir frühstückten und verliessen um 2 Uhr das Lager, wo wir unsern Träger zurückliessen.

In wenigen Minuten erreichten wir den Schalliberggletscher. Zuerst bot er uns einen langen, wellenförmigen Firnhang, welcher aber frei von Schrunden war. Nachdem wir ihn erstiegen hatten, befanden wir uns auf einer wilden Rampe und sahen nichts als Schnee und düstere Felsen um uns herum. An dieser Stelle hielt es Knubel für geraten, wegen der Spaltengefahr das Seil loszuwickeln. Wir banden uns, für den Rest des Tages, in der üblichen Entfernung voneinander an. Dieser Augenblick hat immer etwas Ernstes, Feierliches, wenn es sich um eine gefahrvolle Bergfahrt handelt.

Die Kälte war heftig und der festgefrorene Schnee knirschte unter den Füssen, tausendfältig funkelten seine Kristalle im Lichte des Vollmonds. Wir überkletterten eine Felsbank, welche längs des Gletschers ansteigt und von dieser Seite aus gleichsam ein Vorwerk zu der Basis des mächtigen Grates bildet, der vom Weisshorn herabkommt. Einige Zeit gingen wir auf lockerem Geschiebe, was das Steigen sehr mühsam machte. Walter, der sich unwohl fühlte, erklärte, dass er nicht weiter könne und vorziehe, wieder umzukehren. Wir gaben ihm den Führer Petrus mit, welcher der Jüngste und wenigst Erfahrene war. Die Gesellschaft bestand mithin noch aus vier Köpfen: Symour, mir, Knubel und Perren.

Der Tag war angebrochen, als wir unsern Marsch fortsetzten. Vor uns erhoben sich die rauhen Abdachungen der Felsen, welche wir übersteigen mussten, um den Anfang des grossen Grates zu erreichen. Diese Kletterstelle kostete zwei mühsame, aufreibende Stunden. Wir fühlten uns aber rüstig und aufgeräumt. Die Leichtigkeit, mit welcher wir die ersten Schwierig- BESTEIGUNG DES WEISSHORNS.

keiten überwunden hatten, regte uns an, und in fröhlicher Stimmung erreichten wir die Höhe. Hier überraschte uns die perspektivisch zurückweichende, malerische Kante des Weisshorns, beherrscht von der stolzen Eispyramide, die in diesem Augenblicke im Lichte der ersten Sonnenstrahlen erglühte. Es war ein herrlicher, unvergesslicher Anblick. Dieser edle, reine Gipfel im Glänze des Morgenlichtes, durch Abgründe von der übrigen Welt abgeschlossen, schien jeder menschlichen Anstrengung zu trotzen.

Teil des Weisshornostgrates.

Wir lagerten uns auf Felsblöcken, um zu essen und neuen Atem zu schöpfen, bevor wir uns an den schwierigsten Teil unserer Aufgabe machten. Das Aneroidbarometer zeigte eine Höhe von 13,100 Fuss, was zu den Verhältnissen stimmte. Tief zu unsern Füssen im Norden der Biesgletscher, im Süden der Schalliberggletscher. Das Brunegghorn, dessen Spitze in geringer Entfernung erschien, lag schon unter uns, und wir hatten nur noch Gipfel erster Grosse zu unsern Häupten.

Die Kante sah bedrohlich genug aus. Erst ziemlich horizontal streichend, erhebt sie sich dann plötzlich, um eine der Pyramidenkanten zu bilden. Man kann sich zur Veranschaulichung eine etwa 3000 Fuss lange, halb zerfallene Mauer denken, welche von ausgezackten Spitzen und wackeligen Türmchen besetzt ist und nach beiden Seiten unglaubliche Abgründe be- herrscht. Die nördliche Abdachung ist überall von eineF dichten Schicht hartgefrorenen Schnees bedeckt, man müsste vielleicht 2000 Stufen hauen, um ihr bis zur Spitze nachzugehen. Die südliche Abdachung ist eine steile Halde von Felsgeschiebe, wie dies bei hohen Gipfeln meist der Fall ist. Mit Eis gefüllte Couloirs, welche den Einsattlungen des Grates entsprechen, finden sich in unregelmässigen Entfernungen. Die Kante ist zu unruhig, als dass man auf ihrem Firste schreiten könnte, zudem war sie damals an mehreren Stellen mit gefährlichen, ganz unnahbaren Schneewächten gekrönt. Das zwang zu langen Umwegen, was die Besteigung wesentlich erschwerte und deren Erfolg in Frage stellen konnte. Statt der Kante zu folgen, mussten wir uns an der Südseite halten, längs dem Abgrunde hinschreiten und quer über die Felsen und die Couloirs. Um die gangbarsten Stellen zu gewinnen, waren wir oft genötigt, zwei- bis dreihundert Schritt abzusteigen, dann wieder hinaufzuklettern. Auf diesem Abhang begann der schwierigste Teil des Aufstieges.

Knubel hackte Stufen, wenn wir auf Eis kamen. Ich schritt hinter ihm, hierauf folgte S. Butcher, und Perren bildete die Nachhut. Die Couloirs waren mit einem starren, schwer zu bearbeitenden Eise austapeziert, ihre Steilheit und grosse Länge verboten jede Unvorsicht. Wir zogen daher auch, trotz der dadurch bedingten Umwege, den Fels vor. Eine gefährliche Stelle nahte. Es galt über ganz jähen Fels zu schreiten, welcher überhing und dessen Vorsprünge gerade nahe genug waren, um sie mit einiger Anstrengung erreichen zu können. Als Knubel hinübergelangt war, rief er uns mit fester Stimme zu, die grösste Vorsicht anzuwenden, denn er war noch nicht an sicherer Stelle und hätte uns im Falle des Ausglitschens nicht halten können. Wir gelangten glücklich über dieses Hindernis und stiegen wieder gegen die Kante hinan, um zu versuchen, parallel mit ihr in die Höhe zu steigen. Wir fanden oben eine wahre Messerschneide. Die Schieferplättchen waren an einigen Stellen so dünn, dass man nicht daran denken konnte, den Fuss hinzusetzen. Auf der Rückseite stürzte eine entsetzlich steile, spiegelglatte Halde gefrorenen Schnees so weit hinunter, als der Blick reichte, und tief, tief unten lag das kreisrunde Becken des Biesgletschers, von vielen Spalten durchzogen.

Da wir nicht auf der Kante selbst gehen konnten, so waren wir genötigt, zwei oder drei Fuss weiter unten links und parallel der Kante in einer halb niedergekauerten Haltung zu steigen, indem wir uns mit der Hand an den scharfen Vorsprüngen festhielten. Dann kamen wacklige und überhängende Türmchen, welche auf ihren Flanken nur unzuverlässige, halb mit Schnee bedeckte Vorsprünge boten; dann erschien wieder die Kante, schneidend wie eine Messerklinge und mit einem feinen, gezackten Schneekamme gekrönt, welcher an mehreren Stellen überhing und allerliebste Krümmungen zeigte. Einmal stiess ich zufällig mit dem Stiele der Eisaxt die obere Schneeschicht durch und sah, wie durch die Öffnung einer Lunette, die bläulichen Tiefen des Hohlichtgletschers. Wir konnten nicht länger so fortschreiten.

Wir stiegen auf den Felsen der Südseite ab, indem wir diese Arbeit den bisherigen Voltigierübungen vorzogen. Doch wurde nach einiger Zeit auch diese Bahn unpraktikabel, auf einer ziemlich langen Strecke gab es schlechter- dings keinen andern Weg als die Kante. Diese zeigte aber jetzt statt scharfer Grate und Türmchen eine lange Reihe von dünnen und überhängenden Schneewächten. Trotz der Kühnheit ihres Profils und des Glanzes ihres unbefleckten Schnees lockten ihre verräterische Krümmung und die Keckheit ihrer Stellung durchaus nicht. Es gab aber nur eine Alternative: man musste da hinüber oder sich für geschlagen erklären. Peter schüttelte den Kopf, und sein Gesicht verriet ernstliche Verlegenheit. Schon fünfmal hatte er diesen Weg zurückgelegt, aber noch nie unter so schwierigen Verhältnissen. Einen Augenblick schienen alle stillschweigend zu überlegen und ihren Mut und ihre Hoffnungen auf die Waagschale zu legen. Dann wandte Knubel, ohne ein Wort zu sagen, sich um und stieg gegen die Kante empor. Einige Minuten später setzten wir den Fuss auf Schneefelder. Der Schnee, auf der Oberfläche etwas weich, war im übrigen ziemlich fest. Es war nicht nötig, Stufen zu hacken, ausgleiten aber durfte keiner.

Unendliche Wände verloren sich in den Abgründen, welche beim Hohlichtgletscher münden, und die Seite, wo wir schritten, war eine Schnee-böschung von etwas mehr als 50 Grad. Oft hatte ich in ähnlichen Lagen links und rechts vor mir Abgründe von einigen tausend Fuss gesehen, aber niemals ein so steiles Gefälle von so erschreckender Länge. Ich konnte mich einer gewissen Erregung nicht enthalten, als ich die ersten Schneebrocken, welche die Schritte unseres Zugführers gelöst hatten, mit steigender Schnelligkeit über diese endlose Böschung auf den Biesgletscher hinunterstürzen sah.

Wir schritten behutsam weiter, indem wir uns mit der linken Hand am Schneerande hielten, aber nur leicht, um ihn nicht zu brechen. Kein Wort wurde während dieses ganzen Marsches gesprochen. Nach etwa hundert Schritten zeigte sich eine Öffnung, welche uns gestattete, wieder auf die Felsenseite abzusteigen. Es war eine kurze Halde gefrorenen Schnees, aber so steil, dass man rückwärts hinunterklettern musste. Auf den Felsen angelangt, wurde uns leicht ums Herz, fanden wir die Sprache wieder. Über nützliche Vorsprünge und ohne grosse Schwierigkeiten erreichten wir eine Schneehalde, welche man die Schulter des Weisshorns nennen könnte.

In dieser Gegend bildet die beträchtlich erweiterte Kante einen schönen Vorplatz. Wir waren nun ungefähr 14,000 Fuss hoch. Welch eine Schau! Tausend Einzelheiten dieses unermesslichen Gemäldes sind mir ohne Zweifel entgangen; manche habe ich auch vergessen, aber der Gesamteindruck ist einer der schönsten, welchen ich von hohen Alpengipfeln empfangen. Nirgends habe ich die hohen Walliser und namentlich die Kette des Monte Rosa, des Lyskamms und Breithorns, der Dent Blanche und des Matterhorns so majestätisch und in einer so reizvollen Gruppierung gesehen. Unmittelbar zu Häupten erhob sich unser herrliches Weisshorn in seinem wundervollen Eis-kürass. Die Führer teilten unsern Enthusiasmus nicht und wiederholten immer: Das letzte Stück ist sehr steil. Allein wir hatten nicht den geringsten Gedanken an eine Umkehr, da Symour Butcher bei seiner seltenen Körperkraft keine Ermüdung spürte, und ich wusste, dass solche Eroberungen eine hartnäckige Ausdauer verlangen. Das Wetter war schön, doch leichte Nebelschleier erhoben sich im Nordwesten.

Der Rest der Besteigung führte über eine Reihe von Schnee- und Eiskämmen, die bis zum Gipfel an Steilheit zunahmen. Der Gang wurde beschwerlich. Um seine Kräfte zu schonen, übergab Knubel die Führung an Perren, welchem damit eine harte Aufgabe zufiel, deren er sich aber mit Einsicht und Kraft entledigte. Bald nach der Esplanade kamen wir zu einer grossen Spalte, welche teilweise mit prachtvollem Eis ausgefüllt war. Die einzige Übergangsstelle dünkte uns aber so wenig sicher, dass wir nur auf dem Bauche kriechend, einer nach dem andern, hinüber konnten. Mitten auf dieser Brücke über dem Abgrund konnte man einen Blick in das Innere der Spalte werfen: sie sah einem Feenpalast ähnlich, himmelblau schimmernd und von Tausenden herabhängender Eiskristalle erglänzend. Über uns erhob sich ein schöner Sérac mit bläulichen Wänden. Der nun folgende Aufschwung bot ziemlich guten Schnee; bald aber machte er dem Eise Platz, und es galt wieder Stufen zu hacken. Einen Augenblick suchten wir in den Felsen links unsere Zuflucht, mussten aber gleich wieder auf die Eiskante zurückkehren, die immer härter und steiler wurde.

Der Nebel hatte indes mit erstaunlicher Schnelligkeit zugenommen und wurde mit jedem Augenblicke dichter, schon hatten einige Schleier den glänzenden Gipfel verhüllt. Diese Veränderung, welche nicht von guter Vorbedeutung war, mahnte zur Eile. Perren arbeitete mit Eifer, er legte die Stufen nur roh an und überliess es mir, als dem Nächstfolgenden, die Arbeit zu vollenden. Wir überstiegen so eine wahrhaftige Eistreppe.

Als wir bei einer Art von Einsattelung angekommen waren, hatten wir nur noch eine steile Schneefläche vor uns, man konnte sie für die Spitze des Berges halten. Ich wagte jedoch nicht, dieser Hoffnung Raum zu geben, denn ich war gewarnt worden, mich bei der Besteigung des Weisshorns keinen entmutigenden Sinnestäuschungen hinzugeben. Seine Kante spiegelt, wenn man sich dem Gipfel der Pyramide nähert, wiederholt Gipfel vor, von denen ein jeder, von unten angesehen, der letzte zu sein scheint. Man erklimmt ihn voll Freude, aber je höher man gelangt, desto bedrohlicher sieht man einen zweiten, noch höhern sich erheben, dann einen dritten, einen vierten usw., bis man ganz entmutigt ist. Wir begingen auf diese Weise siegreich zwei oder drei dieser trügerischen Höhen, und erst bei der letzten wurden Butcher und ich ein Opfer der Täuschung, welche diesmal vollständig war.

Indessen hatten wir einige Felsen erreicht, und nachdem auch diese hinter uns lagen, sahen wir einen Kegel reinen Schnees vor uns — nun war es wirklich die Spitze. Der Preis unserer Anstrengung und unserer Ausdauer war errungen, wir betraten den obersten Gipfel des Weisshorns.

Jeder von uns bestieg der Reihe nach die Schneekante, welche den Gipfelpunkt bildet, aber nur für ungefähr eine Minute, denn die Heftigkeit des Windes gestattete keinen längern Aufenthalt. Wir schützten uns an einer tieferen Stelle im Fels, wo wir drei verkorkte Flaschen fanden, in welchen unsere Vorgänger ihre Namen und das Datum der Ersteigung niedergelegt hatten.

Eine weisse Wolke hatte gleichzeitig mit uns die Spitze genommen. Ganz in ihren dichten Schleier gehüllt, konnten wir es kaum fassen, dass wir uns auf einem der höchsten Gipfel Europas befanden. Plötzlich öffnete ein BESTEIGUNG DES WEISSHORNS.

Windstoss hier und dort den feuchten Mantel. Eine Reihenfolge von Szenen, von welchen man im Tale keine Vorstellung haben kann, riss uns nun aus einer Überraschung in die andere. Mitten unter flatternden Nebelbändern öffneten und schlössen sich in rascher Abwechslung phantastische Fenster, durch welche gespensterähnlich wilde Gipfel und glänzende Gletscher in bläulicher Beleuchtung erschienen: Rothorn, Grand Cornier, Dent Blanche, Rimpfischhorn, Lyskamm; einen Augenblick schob auch das Matterhorn seinen massigen Torso zwischen zwei Wolken hervor, von welchen die eine seinen Gipfel und seine Schultern verhüllte. Bald aber verschwammen diese Weisshornostgrat vom Gipfel aus, nach Photo O. Stettier.

magischen Gestalten eine nach der andern im Nebeldunste, und die Berge selbst schienen in diesem Chaos beweglicher, gigantischer Gestalten zu wanken und zu schwimmen. « Sehen Sie da! » rief plötzlich Knubel und wies auf ein interessantes Schauspiel hin, welches man nahe am Gipfel auf einem überhängenden Felsen geniessen konnte: auf der Flanke des Berges selbst hatte sich eine Lichtung gebildet, und unsere Blicke tauchten in eine düstere Leere, bis zu den Tiefen des Mominggletschers und Zinaltales.

Schon verdichteten sich die Nebelschleier mehr und mehr, der Wind blies kälter. Kaum oben, mussten wir an Umkehr denken, wenn wir nicht ernstlich Gefahr laufen wollten. Es war beinahe 2 Uhr, wir hatten nahezu 12 Stunden für die Bergfahrt gebraucht, und der Abstieg nimmt bei so schwierigen Expeditionen kaum weniger Zeit in Anspruch.

Die Gefahren und Schwierigkeiten einer Ersteigung treten nie lebhafter vor die Seele, als wenn man zur Umkehr rüstet. Man sieht sich dann von gierigen Abgründen umgeben, in einer wilden Welt vereinsamt, aus welcher man nur mit Mut, Geschicklichkeit und kaltem Blut sich herausringen kann. Nirgends mag sich dieses Gefühl lebhafter regen als im Anblick der Grate des Weisshorns, wenn man sich anschickt, wieder hinabzugehen. Wolken verhüllten sie uns aber teilweise, und die schwindlige Stufenleiter auf dem langen Eishang verlor sich im Nebel. Die Reihenfolge war geändert worden. Auf Perren, welcher den Zug eröffnete, folgten Butcher und ich, Knubel, der Mann des allgemeinen Zutrauens, war der Letzte, um alles zu leiten und jedem Zufall zu begegnen.

Die ersten und steilsten Gratstücke haben mindestens eine Neigung von 50 Grad. Das Sicherste war, an denselben wie auf einer Leiter hinunterzusteigen, rückwärts zum Abgrund, und bei jedem Schritte die Spitze des Beiles in das nächstobere Eis einzuschlagen, um wenigstens einen Stützpunkt zu haben. Diese Gangart ist nicht gerade für Nerven, die dem Schwindel unterworfen sind; denn man hat das Gefühl, als ob man frei in der Luft schwebe, ist aber das sicherste Verfahren. An den gefährlichsten Stellen legten Knubel und ich das Seil um den Stiel der festgerammten Eisaxt, während die zwei Gefährten abstiegen.

Als wir bei den Wächten ankamen, war der Schnee durch den Nebel weich geworden, bedeutend schlüpfriger als beim Aufstieg. Der ganze Marsch geschah mit grösstem Stillschweigen; nur einmal stiess Knubel einen Warnungsruf aus, als er sah, dass ein Stück der Wächtenkante, auf welche ich mich stützte, unter meiner Hand zerbröckelte.

Wir wählten so ziemlich den frühern Weg, gelangten glücklich über die Schneidestelle des Grates und stiegen dann in die Felsen nieder, um wie am Morgen über die Couloirs zu gelangen. Aus Nebel wurde Schneefall, welcher die Felsen weiss bemalte. Der Tag ging zur Neige, unsere Lage begann kritisch zu werden. Mitten in diesem Irrsal von Couloirs und Felstrümmern rückten wir nur langsam vor. Die Stufen vom Morgen hatte die Sonnenhitze teilweise geschmolzen, mehr als die Hälfte musste neu geschlagen werden. Knubel wollte durchaus die gefährliche Stelle in den Felsen vermeiden, welcher wir beim Aufstieg begegnet waren. Es gab aber keinen andern Ausweg, als ein breites und steiles Firnfeld zu überschreiten, dessen Eis von lockerem Schnee bedeckt war, was die Begehung sehr gefährlich machte. Wir hielten es für geboten, ein zweites Seil loszuwickeln, welches lang genug war, um Perren zu erlauben, eine Felseninsel zu erreichen, die mitten im Firnfeld einen festen Standpunkt gewährte.

Die Zeit drängte, der Abend brach herein. Knubel machte seinem gepressten Herzen Luft durch eine Batterie von Flüchen über das Wetter, das Seil und das Firnfeld. Dank seiner Klugheit kam aber der Übergang glücklich zustande. Als wir die Stätte unseres Frühstücks betraten, war die Dämmerung vollständig hereingebrochen, und wir standen noch auf einer Höhe von 13,000 Fuss, hatten vor uns eine lange Talfahrt durch misslichen Fels und über den Schalliberggletscher. Zum Überfluss entdeckten wir in diesem Augenblicke, dass alle Feldflaschen leer waren und der feste Mundvorrat zur Neige ging. Auch wurde die Kälte je länger je fühlbarer.

« Wir werden das Genick brechen, wenn wir bei dieser Finsternis durch die Felsen hinuntersteigen! » rief Knubel aus. « Und doch können wir nicht hier bleiben », entgegnete Perren.

Nicht ohne ein gewisses Behagen denke ich heute an unsere damalige Lage zurück. In jenem Augenblicke aber erschien sie uns furchtbar, und die Müdigkeit, welche unsere körperliche Energie herabzustimmen begann, demoralisierte uns vollends. Wir versuchten trotz der Finsternis zu gehen —eine klägliche Wanderung. Bei jedem Schritte stiess man an oder strauchelte. Glücklicherweise boten die Felsen überall Rauheiten und starke Vorsprünge, welche den einen erlaubten, sich einen festen Stützpunkt zu sichern, während die andern vorzurücken versuchten. Alle Augenblicke verursachte das Seil unerträgliche Verlegenheiten, indem es sich in den Felsvorsprüngen verwickelte. Durften wir aber daran denken, uns desselben zu entledigen?

Es war finster wie in der Mitte eines Waldes, als wir bei der jähen Felsbank am Fusse des Berges ankamen. Sie hat nur eine einzige gangbare Stelle, nämlich die, über welche wir vor 24 Stunden hinaufgedrungen waren. Wie aber diese finden? Perren bestand darauf, dass man es trotzdem versuchen müsse, hinunterzugelangen. Knubel aber erwiderte, das hiesse sich mit Gewalt die Knochen brechen. Einen Augenblick dachten wir daran, eine Spalte oder sonst eine geschützte Stelle im Fels aufzusuchen und dort den Rest der Nacht zu verbringen. Die Kälte war aber unerträglich, und das Beste blieb immer noch, in Gottes Namen den Gang zu wagen. Dank der Geschicklichkeit, Ortskenntnis und Kaltblütigkeit Knubels gelangten wir, wiewohl nicht ohne allerlei Schwierigkeiten und Püffe, an den Rand des Schalliberggletschers. Hier harrte uns ein neuer Schrecken. Der Schnee war so hart gefroren, dass es unmöglich schien, ohne Stufen abzusteigen. Bei diesem Anblick ergriff uns eine allgemeine Entmutigung. Keiner fühlte sich kräftig genug, um vielleicht 5—600 Stufen zu hauen. Mein englischer Freund und ich selbst waren in keiner bessern Verfassung. Vollständig entmutigt drängten wir uns in eine Felsenhöhle, so dicht als möglich aneinander gelehnt, um die fürchterliche Kälte zu bekämpfen, die uns bis auf die Knochen drang. In dieser wenig beneidenswerten Lage wollten wir den Anbruch des Tages erwarten.

Vor Ermattung schlummerte ich bald ein und mochte etwa eine halbe Stunde so gelegen haben, als Knubel, welcher in seinem Eifer einige Stufen gehackt hatte, uns mit der unerwarteten Nachricht ermunterte, dass gegen die Mitte des Gletschers der Schnee weich und gangbar sei. Diese Kunde elektrisierte uns, wir machten uns wieder auf den Weg. Der Mond blickte mitunter aus wilden Wolkenfetzen mit trübem Lichte hervor, Blitze zuckten von Zeit zu Zeit aus dunkeln Schleiern und zeichneten phantastische Umrisse. Müdigkeit und Schlaf verwirrten meine Sinne in dem Masse, dass ich in diesen Wolkengebilden gespenstische Wesen sah, welche tanzten und drohten.

Endlos war der Weg auf dem Gletscher. Die Unebenheiten des Firnhanges brachten uns jeden Augenblick aus dem Gleichgewicht, und jeder Misstritt, jeder Fall vermehrte unsere üble Laune und Müdigkeit. Endlich betraten wir festen Boden und bald darauf die Stelle unseres Biwaks, wo wir zu unserer nicht geringen Freude eine Flasche Wein vorfanden, welche der vorsorgliche Träger für uns zurückgelassen hatte. Als wir uns etwas erquickt und ausgeruht fühlten, beschlossen wir, bis zur Schalliberghütte zu marschieren, was noch zwei Wegstunden bedeutete.

Der Himmel hatte geklart, als wir auf die Weide gelangten, und der Mond warf silberhelles Licht in das schöne Hohlichttälchen. Sein milder Schein, ein prächtiger Fussweg und der Duft der Alpentriften schlössen unsere Odyssee mit einem freundlichen Eindruck ab. Um halb 2 Uhr früh klopften wir an der Türe der Hütte an, genau 23 Stunden nach unserm Aufbruch vom Biwak.

Mehrere von unsern Vorgängern haben das Weisshorn in viel kürzerer Zeit erstiegen. Wir hatten uns aber bemüht, grössere Schwierigkeiten zu überwinden, und dafür hatten wir vielleicht sechs bis acht Stunden geopfert. Alles in allem genommen, ist die Besteigung des Weisshorns, selbst unter günstigsten Verhältnissen, eine der längsten und mühevollsten in unsern Alpen und darf wohl auch mit Rücksicht auf die ernstlichen Gefahren verschiedener Stellen des Grates zu den schwierigsten gezählt werden.

Abraham Imseng.

dieser abgrund war mein tod, darum hüte dich im leben for einem falschen schritt, den auch deine stunde naht, weist nicht wan wie und wo dein ende ist.

Marterl am Kapellen weg nach Saas-Fee. ( Mitgeteilt von Alfred Séquin. )

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