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Canalone Lorousa

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Ruth Steinmann-Hess, ZürichBilder 10g und 110

Italien, Alpi Marittime Auf dem Gipfel des Monte Viso sitzend, gemessen wir den Blick auf ungezählte Bergspitzen bis hinauf zum Monte Rosa und dem Matterhorn, die in ihrer typischen Form selbst von hier aus, am untern Bogen der Alpen, deutlich erkennbar sind.

Unsere neuen italienischen « Bekannten » aber lenken unser Augenmerk noch weiter gen Süden. Dort unten, nur noch etwa fünfzig Kilometer von 107 Die Monie-Viso-Nordwand mit der Coolidge-Rinne 108 Monte Viso ( 3841 m ): Eisanstieg in der Coolidge-Rinne 109 Morgenrot über dem Canalone Lorousa ( Alpi Marittime ) den sonnigen Gestade des Mittelmeeres entfernt, soll es noch eine Eiswand geben: « il canalone Lorousa », wie sie uns schwärmend erzählten.

« Canalone » - « Cannelloni » - eine Gedankenverbindung mit der kulinarischen Köstlichkeit aus eben diesem Lande! Mir läuft beim Gedanken an mit Käse und Tomaten überbackene Cannelloni das Wasser im Munde zusammen, und dies ausgerechnet in einem Moment, wo wir die letzten Reste des Tourenproviantes zusammen-klauben. Da höre ich Erich, meinen Bergpartner, sich nach der Tour erkundigen. Sollte auch ihm der Hunger ein herrliches Bild vorgaukeln? Oder -was eher anzunehmen ist-hat ihn die Idee eines Eisanstieges in Mittelmeernähe fasziniert?

Zwei Tage später fahren wir im vollgepackten gelben Caravan noch weiter Richtung Süden, und wie gewöhnlich sind die Wildwasser-Kajaks oben auf dem Dach festgebunden. Mit ihnen vertreiben wir uns die Zeit zwischen den Touren oder wenn das Wetter ganz einfach zu wenig gut zum Bergsteigen ist.

Im mittelalterlichen Städtchen Cuneo sind wir mit unserem « Aufsatz » nicht viel mehr als kaum beachtete Touristen, während vierzig Kilometer weiter, in St.Anna di Valdière ( ioiom ), die Boote grosse Aufmerksamkeit erregen. Zwar gibt es hier einen Bergbach; der aber windet sich zwischen Felsblöcken über Steilstufen und verschwindet schäumend und tosend in der Tiefe.

Interessiert beginnen Einheimische und italienische Touristen sich nach unserer Kajakfahrt zu erkundigen. Ob wir den Fluss kennten und ihn schon einmal befahren hätten. Jedermann scheint mit einer Gratis-Attraktion zu rechnen, und keiner möchte den Moment verpassen, ein gelbes und ein grünes Boot, beide « bemannt » natürlich, in der milchigen Gischt der Schlucht verschwinden zu sehen... Indes, uns wird mulmig bei dem Gedanken; wir holen tief Luft... und doch lieber die Steigeisen aus dem Auto...

Nachdem wir den Schlüssel zum Biwak Silvio Varrone im CAI-Büro geholt und den Ausweis deponiert haben, geht die Fahrt weiter.

110 Die Eisrinne in der Mähe des Mittelmeers: Canalone Lorousa Pholos Ruth Slcinmann-Hcss, Zürich Eine halbe Stunde später sind wir in Therme di Valdière ( 1368 m ) angekommen. Ein baufälliges Badehotel aus der Zeit der Jahrhundertwende und eine kleine Bar bilden den Abschluss, bevor Laub- und Nadelbäume sowie üppige Alpenflora an den steilen Berghängen emporwachsen.

In unzähligen scharfen Kehren führt der Weg durch dichten Wald bergan. Noch lange ist das Rauschen des Wassers in der Schlucht zu hören, und durch die Blätter der Bäume sieht man auf die Rückwand und das Dach des Hotels, das einmal bessere Zeiten erlebt hat. Nach etwa einer Stunde Aufstieg öffnet sich der Wald, Alphänge treten an seine Stelle und fuhren nach einer weiteren halben Stunde zum Bergbach, der sich hier auf dem Plateau deltaartig verzweigt. Glasklar fliesst das Wasser über moosige Steine, die auf seinem Grund deutlich erkennbar sind.

Ein so herrliches Plätzchen lädt zur Rast ein! Drüben, jenseits des Wassers, breitet sich ein steiles Schuttfeld aus, und ganz hoch oben, auf den obersten Steinblöcken, ist das rot gestrichene Biwak Varrone sichtbar.

Eine Stunde später spreizen wir über die letzten Felsblöcke und stehen auf dem Plätzchen vor der Hütte, 2280 Meter über Meer. Der mitgebrachte Schlüssel passt glücklicherweise, und bald durchflutet die Sonne das heimelige Häuschen, das immerhin zehn Personen bequem Platz bietet.

Eine kleine, gemütliche Küche mit Gasherd, verschiedenen Pfannen, Geschirr, Gläsern, Besteck lässt eher den Eindruck eines Ferienhäus-chens als den eines Biwaks entstehen. Und heute sind wir sogar die einzigen Gäste hier obenWieder einmal piepst unser Bergwecker zu un-christlicher Zeit. Es ist 1.45 Uhr! Es folgt das übliche, von mir lustlos verschlungene Frühstück unter Erichs fürsorglichem Zuspruch: « Iss, damit was wird aus dir! » Um 2.45 Uhr schliessen wir die Hüttentüre hinter uns. Es ist ungewöhnlich warm und von Sternen keine Spur zu sehen. Sollte man bei diesem Wetter überhaupt aufsteigen? Eine Frage, die, 107 111 Frühling auf Dürrboden; Blick zum Scaletlagletscher Photo L. Gensetler, Davos 112 Blick von der Porta d' Es-cha über den Vadret da Porchabella zum Ausläufer des P. Kesch 113 Es-cha-Hütte; hinten die alte Rascherhütte Photos Emil Schimpf, Wimerthur wie wir später feststellen, jedem auf der Zunge brannte, die aber keiner laut werden Hess, um den Elan des andern nicht zu bremsen.

Etwa 300 Höhenmeter haben wir im Schein der Stirnlampen bereits zurückgelegt, und das Couloir beginnt sich aufzustellen; da fallen auch schon die ersten Tropfen, und bald prasselt der Regen auf uns nieder. Pechschwarz und glitschig ist alles um uns her. Haare, Hemd und Hose kleben bald am Körper, und wir sind froh, uns zum Trocknen ins schützende Biwak zurückziehen zu können.

Zwei Tage später: 2.30 Uhr! Diesmal blinken die Sterne vom nachtblauen Himmel. Ich geniesse es, keinen langen Zustieg zur Wand zu haben, sondern wenige Meter oberhalb der Hütte die Zwölfzacker anziehen zu können. Bei etwa 2600 Meter, eine halbe Stunde oberhalb der Hütte, stellt sich die Rinne auf ( etwa 40 Grad ). Mit Steigeisen und Pickel kommen wir auf der gefrorenen Firnunterlage gut voran; das Seil bleibt vorläufig im Rucksack. 220 Meter höher lädt links ein Felssporn zu einer kurzen Rast und einem Schluck aus der Thermosflasche ein.

Die Berge der Umgebung tauchen aus dem fahlen Dämmerlicht, und am orographisch linken Begrenzungsrand der Eisrinne werden scharfkantige Felstürme sichtbar.

Das Eis wird sichtlich steiler und erreicht jetzt eine Neigung von 45 Grad. Noch immer gehen wir unangeseilt und gewinnen rasch an Höhe. Der Tiefblick wird zusehends grandioser; unter uns liegen Eisrinnen, Felsgrate, Schutthalden, und ganz tief unten fliesst der Bach über die Alpwiesen. Da erreichen die ersten Sonnenstrahlen den Gipfelgrat. Plötzlich - ein uns bekanntes, unheimliches Pfeifen: Rechts neben uns saust ein rucksackgrosser Eisbrocken, mehrmals aufschlagend und schliesslich zersplitternd, in die Tiefe. Und dies um 6 Uhr früh! Sekunden nur hat der Spuk gedauert; dann ist alles wieder ruhig. Wir seilen uns jetzt an und versuchen, uns möglichst am linken Begrenzungsrand der Felsen zu halten. Seillänge um Seillänge geht es höher. Kurz vor 114 Auf dem Sertigpass. Blick zum P. Kesch Photo L. Genseiter 115 Grialetschgletscher mit P. Sarsura Pitschen, Fuorcla Sarsura, P. Sarsura und Fels P. 284g 116 Grialetschfurka Photos Emil Schimpf dem Ausstieg ist noch eine etwas heikle Felszone zu passieren; dann verschwindet der Seilerste über die Wächte auf den Colletto di Coolidge ( 3220 m ). Wenige Minuten später stehe auch ich in der Scharte. Wir blicken hinunter in die 700 Meter lange Eisrinne, das Canalone Lorousa.

Auf leichtem Fels, der über und über mit blühenden Bergblumen bedeckt ist, ersteigen wir die Gipfel: Punta Gelas de Lorousa ( 3261 m ) und den Nordgipfel der Argenterà ( 3286 m ).

Der Abstieg führt über teilweise nassen Fels ( II ) der Ostseite hinunter, wo auch noch grosse Schneefelder liegen. Über diese steigen wir, uns leicht links haltend, bis zu einem grossen Steinmann auf 2850 Meter, der in einen schmalen, steilen Jägerpfad weist.

Unsere Abstiegsbemühungen werden hier von einigen Gemsen neugierig verfolgt. Friedlich äsend, stehen sie auf ausgesetzten Rampen und betrachten das erdgebundene Treiben der seltsamen Zweibeiner.

Über den Col Chiapons ( 2526 m ) und das Rifugio Morelli ( 2430 m ) steigen wir in nicht enden wollenden Schuttfeldern mühsam tiefer bis zum klaren Bergbach, wo im Aufstieg unser Weg abzweigte.

Ein letzter Blick hinauf zum gemütlichen Biwak Varrone - und unsere Eistour in der Nähe der südlichen Gefilde des Mittelmeerei gehört der Vergangenheit an.

Etwa 3000 Meter Eisanstieg, Klettern und Abstieg liegen an diesem Tage hinter uns. Wen wundert's, dass uns im steilen Zickzack-Abstieg nach Therme schliesslich beinahe die Schuhe rauchen und wir, unten angekommen, kein herrlicheres Vergnügen kennen, als die nackten Füsse im frischen Wasser zu schlenkern!

Kartenmaterial: Ital. Karte des Istituto Geografico Torino. 1:50000 Blatt 8, Alpi Marittime e Liguri.

Führer: Ital. Führer Argenterà—Nasta von Gianni Pastine des CAI Ligure.

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