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Das Biwak am Zinalrothorn

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von Ernst Hodel

Mit 1 Bild ( 179S.A.C.. Basel ) Es ist 21 Uhr vorbei. Um uns herrscht finstere Nacht. Der Schnee fällt in schweren, nassen Flocken. Mühsam tastet der unsichere Fuss abwärts. Ein Weglein, das wir, mein Freund Willy Preiswerk aus Basel und ich, glaubten gefunden zu haben und das uns hätte über die steilen Felsstufen auf den Rothorngletscher hinabführen sollen, haben wir längst verloren. Wir halten öfters an und suchen mit der Laterne unseren Weiterweg. Das flackernde Licht vermag aber nur die nähere Umgebung aufzuhellen, weiter dringt es nicht. In schwachen Strahlen geistert es auf einem schwarzen, undurchdringlichen Hintergrund, ohne dass es uns einen Ausweg aus unserer Situation aufdecken kann.

Immer steiler geht es über plattige Felsen und in glitschigen Rinnen hinunter. Beinahe wäre der Fuss über eine Platte, die mit trügerischem Schnee überdeckt ist, hinabgeglitten. Wiederum stehen wir still, suchen und lauschen. In immer dichter werdenden Flocken fällt der Schnee lautlos zu Boden. Wo er aber gegen die Glimmerscheiben unserer Laterne wirbelt, da zischt es auf, und die feinen Kristallgebilde hauchen ihr kurzes Leben aus.

« Da hinunter kommen wir in der Nacht und bei diesem Schneetreiben sicher nicht », so beurteilt mein Freund unsere Lage. « Wir sind nicht auf der richtigen Route. Wahrscheinlich befinden wir uns zu weit rechts und wollen die Felsbarriere, die vom Rothorngletscher aufsteigt, an unbegehbarer Stelle forcieren », erwidere ich. Nach links steigt aber der Berghang, hinter dem wir die Schneehalde vermuten, die uns den weiteren Abstieg hätte vermitteln sollen, wieder steil an. Das Gelände ist schwierig, mit Felsen und lockerem Geröll durchsetzt, und alles ist mit einer Schicht von nassem Neuschnee überdeckt, so dass wir auch da nicht durchkommen.

Es ist alles vergeblich. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als den Weg, den wir gekommen sind, wieder zurückzugehen. Mechanisch, ohne weitere Worte zu verlieren, kehren wir um und tasten uns zurück und gegen die Felsen hin, die wir weiter oben im Abstieg, als die Dämmerung noch eine schwache Sicht gestattete, bereits gemustert hatten.

Endlos dünkt uns dieser Gang, bis wir vor der Felsenmauer, die uns noch schwärzer als das Dunkel der Nacht erscheint, stehen. Nach kurzem Absuchen finden wir eine überhängende Stelle, darunter wir die Nacht zu verbringen einmütig beschliessen.

Wir sind irgendwo über der nach Norden auslaufenden Wand des Eseltschuggens auf ca. 3300 m. Ja, wir Esel, wären wir heute nachmittag von der Schulter am Anfang des Nordwestgrates des Zinalrothorns den Schneegrat hinuntergestiegen, wir wären jetzt wohlgeborgen auf gutem Lager und unter dem Dach der Mountethütte. Aber was helfen alle diese Überlegungen im jetzigen Augenblick?

Die Alpen - 1946 - Les Alpes21. ..tiii. !.'»,*[;,* ...ii Durchnässt, wie wir nun einmal sind, lassen wir uns von der Müdigkeit keineswegs übermannen und beginnen nach einem letzten kärglichen Schluck aus unserer Feldflasche unser Nachtlager herzurichten. Alles tun wir mit bewusster Langsamkeit, um die vor uns liegende lange Nacht abzukürzen. Unsere Lagerstätte ebnen wir mit ein paar Steinplatten aus, auf die wir das lose zusammengerollte Seil legen. Dann ziehen wir noch alles an, was wir an Reservewäsche mitgenommen haben.

Auch ein paar wasserdichte Überhosen sollen ihren Zweck erfüllen. Ich hatte sie heute früh beim Verlassen der Weisshornhütte fein zusammengelegt, zuunterst in meinen Rucksack gepackt. Aber wie auch meine Hand im Sack herumwühlt, es bleiben diese Hosen unauffindbar. Wie oft habe ich sie schon mitgenommen, ohne sie zu benötigen, und jetzt, wo ich sie wirklich brauchen könnte — welches Ungeschick —, kann ich sie nicht finden. Ob ich sie wohl doch in der Weisshornhütte habe liegen lassen? Wegen der Nässe und des Schnees lässt sich eine Auslegeordnung nicht bewerkstelligen, und so muss ich meine erfolglosen Bemühungen aufgeben.

Dann schütteln wir den Schnee ab und schlüpfen zu zweit in den Watro-sack. Obwohl nur für eine einzige Person berechnet, gibt er trotzdem Raum für zwei Kameraden. Allerdings können wir nicht liegen, nur sitzen; zu einem Ausstrecken des Körpers ist aber der uns zur Verfügung stehende Platz ohnehin zu klein.

Die Schuhe ziehen wir aus und deponieren sie nahe unserem Körper, damit sie durch die Körperwärme geschmeidig bleiben, stecken unsere Füsse in den Rucksack und binden zu, nachdem wir ihm die notwendigen Sachen, wie den letzten Proviant, Kerzen, Zündhölzer, Meta usw. entnommen haben.

Die Laterne hält einer von uns dauernd in der Hand. Sie gibt uns wohltuende Wärme und erhellt mit ihrem Scheine unsere schützende Klause. Ein Blick auf die Uhr, sie zeigt die letzte Stunde vor Mitternacht; also noch lange Stunden stehen uns bevor, bis es wieder Tag wird. Ein paar tiefe Atemzüge — damit bekunden wir, dass wir uns mit der unabänderlichen Situation abgefunden haben.

Wir fangen gleich an zu kochen. Als Unterlage dient der Deckel einer Aluminiumdose, darauf kommt der kleine Kocher zu stehen, alles ruht auf den Knien meines Freundes. Wasser haben wir keines, deshalb müssen wir Schnee schmelzen, und da sind wir nicht in Verlegenheit. Wir haben das frischgefallene Weiss nur von den Steinen vor unserem Hause wegzuwischen und brauchen dabei nicht einmal aufzustehen. Bis das Zündholz brennt, das verursacht einige Mühe, aber all die Arbeit ist gut und wird mit einer ungewöhnlichen Bedächtigkeit verrichtet, damit die grausame Zeit vergeht.

Bald brodelt das Teewasser, und das heisse Getränk, versüsst mit etwas Zucker, erfrischt und belebt. Dann kratzen wir noch die letzten Reste einiger Bretzeln zusammen. Wie das schmeckt und mundet!

Alles, was wir bisher gesprochen haben, bezog sich auf die Arbeit an unserer Behausung, die Herrichtung und die Wohnlichmachung. Jetzt er- stirbt das Gespräch mehr und mehr, und jeder von uns beiden beginnt seinen eigenen Gedanken nachzugehen. Es überfällt uns das Gefühl, dass wir hier weit, unendlich weit entfernt von unserem alltäglichen Wirkungsfeld sind, getrennt durch eine unüberspringbare Grenze, wo jenseits Frau und Kind in ihren Betten schlafen und nicht ahnen, dass wir hier über 3000 m am Zinalrothorn draussen die Nacht zubringen.

Da schüttelt es uns vor Kälte, und wir schlottern beide, dicht aneinander gelehnt. Willi erfasst die Gelegenheit, um mir zu erklären, dass dieses Schlottern eine Selbsthilfe des Körpers darstelle, der sich durch selbsttätige Bewegung vor zu grossem Wärmeverlust zu schützen wisse. Ich lausche angestrengt seinen Ausführungen, um meine eigenen Gedanken zu verscheuchen. Liegt es nicht im Bereich der Möglichkeit, hier in diesem kalten Loch eine Lungenentzündung zu bekommen? Auch hier weiss mein Freund wiederum Bescheid, indem er mir mit dem Brustton der absoluten Überzeugung erklärt, dass hier oben in dieser Höhe die Lebensbedingungen aller Krank-heitskeime nicht günstige seien und er somit meine Befürchtungen nicht teilen könne. Er muss es ja wissen, der schon manches strenge Biwak hinter sich hat, während ich es in dieser Beziehung erst zu bescheidenen Anfängen gebracht habe. Wie ist es doch so herrlich gewesen, unter einem strahlenden Sternenhimmel am Nordwestgrat des Dürrenhorns die Nacht draussen zu verbringen, aber heute unter diesen Verhältnissen hat das Biwakieren ein anderes Gesicht. Wir heben unser schützendes Dach etwas hoch, es schneit draussen immer noch in dichten Flocken, und ein weisses Leichentuch liegt vor unseren Füssen ausgebreitet.

Was ist doch ein Menschenleben? Wie ist der Mensch im Biwak doch so klein geworden! Vor der Unbill des Wetters drückt er sich an die Flanken des Berges, über den er hinweggeschritten ist und den er als bezwungen wähnte. Bitter steigt die Frage auf, ob es wohl zu verantworten gewesen ist, bei nicht ganz sicherem Wetter diese lange Bergfahrt zu wagen. Und doch, ihr Nörgler und Besserwisser, eure guten Ratschläge und Ermahnungen können uns nicht bewegen! Wir halten es mit Andreas Fischer, der seiner Beschreibung der Winterbesteigung des Finsteraarhorns die Worte voran- setzt * « Klug oder töricht? » Fragt nicht lang, Kann nur die Antwort geben:

Ein bisschen Trotz und Tatendrang Gehören auch zum Leben.

Die Gedanken eilen zurück zur Weisshornhütte, von wo wir heute früh aufgebrochen sind. Es ist uns aber nicht, als ob wir unsere Tour erst heute unternommen hätten; es dünkt uns, sie sei schon in weite Vergangenheit gerückt. Man ist im Biwak nicht nur iäumlich in einer anderen Welt, auch die Zeit scheint eine andere zu sein. Und wie man gern von früheren Touren berichtet, so fangen wir an, uns gegenseitig von unserer Traversierung des Weisshorns, des Mominggrats und des Zinalrothorns zu erzählen.

Schon seit vielen Jahren haben wir, unabhängig voneinander, eine Traversierung des Mominggrates geplant. « Wie oft habe ich daheim am Schreibtisch die Überschreitung auf der Karte ausgeführt », beginne ich zu berichten, « nachdem ich zuvor alle verfügbare Literatur zusammengetragen hatte. Die Traversierung des Weisshorns war als erste Tour vorgesehen, an die sich dann diejenige der Momingspitzen anreihen sollte.Vor zwei Jahren bin ich der tatsächlichen Ausführung greifbar nahe gestanden », fahre ich fort. « Ich stand mit zwei Bergkameraden auf dem Gipfel des Bieshorns, wo uns aber trotz blauem Himmel ein perfider Sturmwind den Weiterweg über den Nordgrat des Weisshorns verwehrt hat. » « Im gleichen Jahre », antwortet Willy, « ist mir der Plan durch den Absturz eines Kameraden am Schalligrat zunichte gemacht worden. » — Im Jahre 1944 haben wir uns dann beide zur Tour verbunden und den Abend des 1. August unter strahlendem Himmel allein in der Weisshornhütte verbracht.

Am nächsten Tage wird der Aufstieg zum Schallijoch rekognosziert und die Route über die Felswand, die den Schalliberggletscher in zwei Teile spaltet, mit Steinmännchen festgelegt. « Fast hätte es uns gereut », fährt mein Freund fort, « den schönen Sonnentag für eine Rekognoszierungsfahrt vergeudet zu haben, denn das Wetter am dritten Tage hat nicht mehr verheissungsvoll ausgesehen. Trotzdem sind wir dann aufgebrochen, um dank der Wegkenntnis das Schallijoch in fünf Stunden zu erreichen, und wir haben das Glück auf unserer Seite gehabt, denn je höher wir gestiegen sind, desto mehr hat die Sonne das Bleiche und Graue des Morgenhimmels in das klare Blau eines Sommertages verwandelt. In bester körperlicher Verfassung haben wir nach einem kurzen Morgenimbiss die anregende Kletterei an den ersten Türmen des Schalligrates begonnen. » Es ist fast windstill, angenehm warm, der Fels ist fast durchwegs solid, einige Stellen mit grünlichem Gestein ausgenommen. Das rasche Vorwärtskommen versetzt uns in frohe Stimmung. Wir ältere Semester begreifen den Übermut, zu dem die einzigartige Kletterei den unglücklichen jungen Basler verleitet hat, der dann an der schwierigen Aufstiegswand eines der Türme infolge Ausbrechens des Griffes abgestürzt ist. Wie wir vor der Absturzstelle stehen, halten wir unwillkürlich inne. Es stimmt uns nachdenklich, und wir wissen, dass auch wir heute einen schwierigen Weg gehen, und wann das Schicksal zugreift — wer weiss das unter uns Bergsteigern?

« Sind wir dem Berg verfallen », frage ich, « sind wir ihm gleichsam ausgeliefert, dass wir einfach nicht anders können, als immer wieder schwierige und wenig begangene Pfade aufzusuchen? Nein, wir sind ihm nicht verfallen, sondern wir gehen in die Berge, weil wir sie lieben und weil sie ein Stück von uns selbst geworden sind. » Weiter geht es, fast durchwegs der Gratlinie folgend. Es sind lauter ganze Kerle, über die wir hinwegklettern müssen. Immer wieder steht einer da, wenn wir schon geglaubt haben, wir hätten den letzten vor dem Gipfel bezwungen. Aber unvermutet stehen wir auf dem Gipfel des Weisshorns ( 4512 m ) und geniessen in kurzer Rast die imposante Sicht. Dann eilen wir den Ostgrat hinunter, denn mächtige Wolken sind aus den Tälern aufgestiegen und verkünden einen Wetterumschlag. In der Nacht setzt er auch ein, und ein starker Regen trommelt auf das Dach der Weisshornhütte.

Doch kann ja das schlechte Wetter im Wallis nicht von langer Dauer sein. Schon am Nachmittag des folgenden Tages drückt gelegentlich die Sonne durch das schwere Gewölk, und wir erwägen die Möglichkeit, die geplante Traversierung des Mominggrates und des Zinalrothorns am morgigen Samstag auszuführen.

« Ja, versuchen wollen wir sie », werfe ich ein, « und wollen uns nicht so leicht von der Durchführung unseres Plans abbringen lassen. Sonst wird die Momingspitze zum ,Piz Beinah'umgetauft, wie meine Frau scherzhafter-weise das Bietschhorn benannt hat, weil ich verschiedene Male unverrichteter Dinge umkehren musste, ohne den Gipfel erreicht zu haben. Seither ist mir dann die Besteigung gelungen, und der Name des ,Piz Beinah'steht für weitere nicht auf den ersten Anhieb erreichte Gipfel zur Verfügung. » « Wir müssen uns aber vorsehen », entgegnet mein Freund, der mit mir einverstanden ist, « wie die Tour abzubrechen ist, wenn das Wetter trotz allem eine vollständige Durchführung nicht erlauben sollte.Vor Erreichung des Hohlichtgletschers kommt der Abstieg über das Hohlicht nach Randa in Frage. Weiter oben steht uns das Äschijoch nach Zermatt offen. Sollte nach der Begehung des Mominggrates die Traversierung des Zinalrothorns nicht mehr möglich sein, so werden wir zur Mountethütte absteigen. » Dass diese Überlegungen nicht unnützerweise angestellt worden sind, das beweist uns der Nachthimmel, als wir um 2% Uhr früh abmarschbereit vor der Hütte stehen — zwischen schwarzen Wolkenstreifen hellfunkelnde Sterne. « Wird wohl die Sonne wie vor zwei Tagen beim Aufbruch zum Schallijoch auch heute ihr Wunderwerk tun? » so fragen wir uns.

Noch etwas schlaftrunken queren wir im Scheine unserer Laterne die Moränenhänge unterhalb des Schalliberggletschers, um die Zunge des Hohlichtgletschers zu gewinnen. Eine steile, rutschige Moräne, die gegen Punkt 3003 hinaufführt, wo vom obern Plateau des Hohlichtgletschers ein steiler Seitenarm hinunterreicht, treibt uns den Schlaf vollends aus den Augen und bringt unseren Gliedmassen die nötige Gelöstheit. Mittlerweile ist es Tag geworden.

Wir ziehen unsere Steigeisen an und nehmen den untern, steilen Eisbruch in Arbeit. Langsam geht es höher, zwischen gähnenden Spalten, über holprige Eisrinnen und inmitten phantastischer Eisgebilde, bis dort wo ein Gletscherhang zum obern Boden des Hohlichtgletschers hinaufführt. Der Hang ist mit angefrorenem Schnee überdeckt, was uns ermöglicht, da die Eisen gut anpacken, rasch an Höhe zu gewinnen. Der obere Teil des Hohlichtgletschers ist bedeutend weniger steil, dafür liegt viel tiefer Schnee, was unsern Lauf energisch zu bremsen vermag. Öfters stehen wir still, um wieder Luft zu schöpfen, denn die Stapterei ermüdet stark.

( Schluss folgt )

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