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Das Rettungswesen des SAC

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von Rudolf Campell

Rückblick - Gegenwart - Ausblick Mit 1 Bild ( 45Pontresina ) Der Mensch tut gut, in seinem Lebenslauf von Zeit zu Zeit stillzustehen, um sich umzusehen. Er blickt nach hinten und stellt fest, wie er sich entwickelt hat. Er vergleicht das Erreichte mit seinem früheren Programm und stellt fest, was er davon verwirklicht hat. Dann schaut er nach vorn; er schmiedet neue, hohe Pläne für die Zukunft, die er dann voll Arbeitslust zielbewusst in Angriff nehmen will; und so geht es weiter von Jahr zu Jahr, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt.

Wie dem Einzelmenschen ergeht es auch jeder ideellen Vereinigung, wenn sie ihren hochgesteckten Zielen zustrebt. Unser SAC ist 1863 mit grosser Begeisterung von einigen Bergfreunden gegründet worden. Er kann auf eine sehr erfreuliche Entwicklung zurückblicken. Er kann Erfolge buchen, die man sich bei seiner Gründung wohl kaum vorstellen konnte. Aber das genügt nicht. Unser SAC ist alt geworden; das heisst keineswegs, dass er versteift und vergreist sein sollte. Dem kann er dadurch begegnen, dass er sich fortlaufend neue Ziele setzt, sich für die neueste Entwicklung des Alpinismus und verwandter Bestrebungen interessiert und stets bereit ist, sie aktiv und initiativ zu fördern.

1938 habe ich anlässlich des 75jährigen Jubiläums des SAC in den « Alpen » über das Rettungswesen des SAC von 1863-1938 geschrieben. Aus nichts hatte sich im Laufe der Jahrzehnte eine leistungsfähige Hilfsorganisation für den bedrängten Touristen entwickelt. Der SAC hatte erkannt, dass ihm aus der von ihm propagierten Popularisierung der Bergsteigerei Pflichten auferlegt sind, denen er sich nicht entziehen kann, ohne seinen Idealen untreu zu werden.

Darum betrachtete er mehr und mehr das alpine Rettungswesen als seine moralische Pflicht. Er hat dabei eine grosse, selbstlose Aufgabe erfüllt. Und wollen wir dieser Tradition treu bleiben, so können wir nicht umhin, uns mit allen damit zusammenhängenden Fragen weiter zu beschäftigen und mit der modernen Entwicklung der Rettungstechnik Fühlung zu behalten. Es ist keineswegs einfach, aber sehr mühevoll und undankbar, ehrenamtlich für das ganze Gebiet der Schweiz einen zweckmässigen Rettungsdienst zu organisieren. Aber es gehört das zu den schönsten Zielen unseres SAC, und wir müssen bereit sein, dafür freiwillige Arbeit zu leisten und grosse Opfer zu tragen.

Es darf für uns nicht wegleitend sein, dass im Ausland vielfach amtliche Stellen oder halbamtliche Fremdenverkehrsorganisationen diese Hilfsdienste in die Hand genommen haben und sie durch vollbezahlte Hilfskräfte betreuen lassen; es ist uns auch gleichgültig, dass in anderen Ländern die Organe des Roten Kreuzes eingesprungen sind und durch straffe Organisation gute, zielbewusste Arbeit leisten.

Unser System hat sich in sehr natürlicher Weise historisch entwickelt, ist unseren speziellen Verhältnissen in unserem Gelände am besten angepasst; es wird auch in Zukunft seine hohe Aufgabe sehr gut erfüllen können, vorausgesetzt, dass sich der SAC auch auf breiterer Basis der Entwicklung neuerer Rettungsgeräte und modernster Rettungstechnik anschliesst und hierin gegenüber ausländischen Organisationen nicht ins Hintertreffen gerät. Wir sollten aufgeschlossen genug sein, um auch in diesen Fragen freudig mit der neuen Zeit zu gehen, ja um sogar mit eigener Initiative unsere früher führende Stellung zurückzugewinnen.

Was sich in den letzten Jahrzehnten in bezug auf das alpine Rettungswesen vor allem abzeichnete, ist zunächst die Breitenentwicklung der Rettungstechnik, die bedingt war durch systematische Ausbildung grösserer Truppenkontingente für den Gebirgskrieg, dann die daraus resultierende Entwicklung und Herstellung von neuartigen, zum Teil sehr zweckmässigen Rettungsgeräten zum Einsatz bei Schwerverletzten. Einzelne kriegführende Völker scheuten dafür keine Opfer und keine Kosten und ermöglichten so die sprunghafte Entwicklung der modernen Rettungstechnik. Nach Kriegsschluss konnte diese auch für zivile Belange dienstbar gemacht werden.

Punkto Ausbildung der Gebirgstruppen im Hochgebirge und besonders auch unserer Sanitätsoffiziere und Mannschaften können wir zuversichtlich behaupten, wir hätten einen befriedigenden Stand erreicht, und es steht nur zu hoffen, dass man jetzt nicht - aus missverstandenen Spargründen - alles wieder verkümmern lasse. Unser SAC hat sich vor, während und nach dem Krieg im Zusammenhang mit dieser Gebirgsausbildung anerkannte Verdienste erworben. Es gehörte zu unserer selbstverständlichen Pflicht, nach der Demobilmachung soviel vom Erreichten als möglich ins Zivilleben hinüberzuretten und Aufgaben, die die Armee nicht mehr erfüllen konnte, zu übernehmen oder in anderer Weise zu fördern. In bezug auf den Rettungsdienst denke ich besonders an den Lawinenhundedienst, an die Organisation von zentralen Rettungskursen mit Einführung von modernen Rettungsuten-silien, an Belange des Wetter- und Lawinendienstes, an die Förderung des Alpinen Museums, dessen Wert für Zivil und Armee nicht verkannt werden sollte, u.a. m. In dieses Gebiet gehört auch das lebhafte Interesse, das man vom CC her der Entwicklung des Flugrettungsdienstes entgegengebracht hat, und die Bereitschaft, unsere ausgedehnte Rettungsorganisation auch den im Gebirge verunfallten Fliegern möglichst rasch zugutekommen zu lassen.

Wir ersehen daraus deutlich, dass der SAC - ohne von der Eidgenossenschaft Subventionen zu nehmen oder zu erwarten - mit seinen 39 000 Mitgliedern, seinem Rettungspersonal, seinen Hütten, seinem Material für unsere selbstgewollte Milizarmee eine zuverlässige Hilfsorganisation bedeutet, an deren Einsatzbereitschaft nicht zu zweifeln ist. Eine gute Koordination in der Gebirgsausbildung und der Rettungstechnik erschien mir - als Zentralpräsident des SAC - während der Kriegszeit und erscheint mir auch heute noch von grösster Bedeutung zu sein. Wer sich das überlegt, wird sicherlich aus Überzeugung mit mir einiggehen können.

Eine auffallende Entwicklung hat nach dem Beispiel des Parsennrettungsdienstes der Pistenrettungsdienst durchgemacht. Und mit jedem neuen Skilift und jeder Skibahn geht es auf diesem Gebiet weiter. Man rettet am laufenden Band! Wir müssen verhindern, dass das Publikum dem oft gemachten Fehler verfällt und das Pistenrettungswesen mit dem alpinen Rettungsdienst verwechselt und an den letzteren dieselben Anforderungen stellt wie an den ersteren. Es ist ein sehr wesentlicher Unterschied - das muss betont werden -, ob bezahlte Retter von der warmen Stube der oberen Skibahnstation aus, beim Jass sitzend, auf Anruf des SO S-Telephons voll ausgerüstet auf Ski zu Tal sausen können und dem auf der Piste liegenden Verunfallten Hilfe bringen und schonend mit ihm zu Tal fahren können oder ob in einem Bergdorf für ein Bergunglück in wirklichem Hochgebirge, womöglich bei Nacht und Sturm, eine improvisierte Rettungskolonne von Freiwilligen aufgeboten wird, die sich erst organisieren und ausrüsten muss und dann schwer beladen und mühevoll zum Berg hinaufsteigen soll, um den Vermissten erst zu suchen, ihn aus Fels, Gletscherspalte oder Lawine zu bergen, dann nach Hilfeleistung mit ihm - oft über schwierigstes Gelände -zu Tal zu gehen und erschöpft dort anzukommen!

Ja, dieser gewaltige Unterschied der wirklichen Leistung verpflichtet uns, die beiden Begriffe alpines Rettungswesen und Pistenrettungswesen ganz deutlich auseinanderzuhalten und verschieden zu bewerten. Dass eine alpine Rettung - den bedeutenden Schwierigkeiten entsprechend - verdienstvoller ist und - zufolge unvergleichlich grösserer Mühe, Gefahr und Zeiteinbusse - meistens auch teurer ausfallen wird, sollte jedem Einsichtigen ohne weiteres klar sein.

In letzter Zeit spricht und liest man bei uns viel - für meine Begriffe vorläufig zu viel -vom Flugrettungsdienst in den Bergen. Bald könnte man meinen, dass durch das Aufkommen dieser Rettungsart unsere bisher bewährte alpine Rettungsorganisation mit ihren 126 Hauptstationen und über 300 Meldestellen hinfällig geworden wäre. Dem ist nicht so. Ich halte mich für verpflichtet, hier ausdrücklich darauf hinzuweisen, um peinlichen Missverständnissen vorzubeugen. Ich bin keineswegs Gegner des Flugrettungsdienstes und sitze sogar selbst in einer Kommission, die diese Rettungsart fördern will. Wir müssen aber klar betonen, dass der Flugrettungsdienst für den alpinen Unglücksfall nur in Spezialfällen erfolgreich eingreifen kann. Ohne darüber ein abschliessendes Urteil abgeben zu können, muss man konstatieren, dass unsere Erfahrungen auf diesem Gebiet heute noch so spärlich sind ( Rettungen aus wirklich schwierigen Gebirgsverhältnissen sind noch gar keine bekannt ), dass man gut täte, mit der Anpreisung der Erfolgsaussichten vorsichtiger zu sein, als das in den zahlreichen Zeitungsberichten der Rettungsflugwache der Fall ist. Man darf nicht vergessen, dass wir heute noch praktisch durchwegs auf die Rettungshilfe zu Fuss angewiesen sind.

Wir wollen nicht vergessen, dass der Helikoptereinsatz im Gebirge heute noch dadurch eingeschränkt ist, dass die zur Verfügung stehenden Modelle über 2000 m nicht mit Sicherheit gebraucht werden können und bei schlechtem Wetter überhaupt nicht. Auch von den entstehenden Kosten weiss man zu wenig, um hier von einer praktisch in Betracht kommenden Rettungsart zu sprechen. Und so müssen die Retter zu Fuss nach wie vor sofort mobilisiert werden; man soll froh sein, sie zur Verfügung zu haben, und darf ihre verdienstvolle Einsatzbereitschaft dankbar anerkennen.

Es ist verwerflich, so wie es heute geschieht, mit einer aufgebauschten Zeitungsreklame das Publikum in den Glauben zu versetzen, mit Flugzeughilfe könne in kürzester Zeit bei jedem Bergunfall eingegriffen werden. Dadurch bewirkt man nur, dass untüchtige Berggänger schlecht ausgerüstet ausziehen, sich unvorsichtig Gefahren aussetzen und dann glauben, im Notfall sei gleich der Flieger da, um gratis und franko sie aus der Verlegenheit zu retten. Es ist das auch deswegen gefährlich, weil durch die überschwängliche Lobpreisung der Flugretter unsere gewöhnlichen Rettungsleute sich mehr und mehr überflüssig, ja lächerlich vorkommen und sich so - je länger desto weniger - für die undankbare Aufgabe des gewöhnlichen Fussvolkes interessieren werden: « Was wollen wir uns in Gefahr setzen und uns abplagen, wenn man aus der Luft so mühelos Hilfe bringen kann! ?» Ich gebe gern zu, dass ein Helikopter - am richtigen Ort eingesetzt - für das Rettungswesen eine willkommene Hilfe sein kann; ich betone auch, dass ein Abwürf von Material, Lebensmitteln, Holz etc. aus dem Flugzeug für spezielle Fälle lebensrettend wirken kann und dass der Fallschirmabsprung für Ärzte, Rettungspersonal und Lawinenhund in besonderen Situationen von Bedeutung sein kann; es besteht kein Zweifel, das mit Flugzeugen für den alpinen Rettungsdienst manchmal sehr nützliche Beobachtungen und Nachrichten übermittelt werden können; ich bestaune auch den Mut und die Einsatzbereitschaft von Alpenfliegern, die auf Gletschern landen, um in Notfällen zu helfen; aber wirklich verlassen kann man sich auf alle diese Hilfeleistungen aus der Luft nicht! Sie mögen in besonders günstig liegenden Situationen eine willkommene zusätzliche Hilfe und Erleichte- rung sein, aber für die breite Masse der alpinen Unglücksfälle sind sie belanglos. So darf ihr Wert nicht überschätzt werden.

Es dürfte nicht abwegig sein, an dieser Stelle zu sagen, dass die alpine Rettungsorganisation des SAC gerade im Hinblick auf die enorme Entwicklung der Fliegerei an Bedeutung nur noch gewonnen hat, indem mehr und mehr die Flugzeugunfälle in den Bergen sich häufen und auf die möglichst rasche Hilfe unserer tüchtigen Rettungskolonnen zu Fuss oder auf Ski angewiesen sind. Ich glaube sogar, dass es häufiger vorkommen wird, dass die alpine Rettungsmannschaft den in exponiertem Hochgebirge verunglückten Fliegern Hilfe bringen muss, als dass der Flieger aus der Luft verunglückten Touristen wirksam helfen kann. Das schliesst nicht aus, dass nach Präzisierung der vorhandenen Möglichkeiten Rettungsflugwache und alpine Rettungsorganisation des SAC Hand in Hand arbeiten, beide geeint durch den Willen, bedrängten Mitmenschen zu helfen.

An dieser Stelle möchte ich konstatieren, dass bei uns eine ganze Anzahl sehr lobenswerter Institutionen sich den Rang ablaufen wollen, um den im Gebirge verunfallten Kameraden Hilfe zu bringen: Samaritervereine, Skiverband, Lebensrettungsgesellschaft, Mili-tärsanitätsvereine, Flugrettungsdienst, Pfadfinder, Pistenrettungsdienst, Alpenclub etc. Das ist sehr erfreulich; es führt aber zu Verwechslungen und Reibereien, die keineswegs nötig wären. Es sollte nicht schwer sein, sich xu einem Zusammengehen zu finden, das für alle Teile eine Erleichterung wäre.

Und wenn der älteste Helfer auf diesem Gebiet - unser SAC - entschlossen ist, wie bisher die volle Verantwortung zu übernehmen für das alpine Rettungswesen, so ist es an ihm, einmal wieder klar dieser seiner Einstellung den nötigen Ausdruck zu verschaffen und seinen Willen öffentlich zu bekunden.

Es dürfte zur Prüfung der heutigen Situation und zur Verwirklichung einer der Zeit angepassten, umfassenden Reorganisation unseres alpinen Rettungsdienstes angezeigt sein, im SAC eine permanente Kommission für alpines Rettungswesen zu bestellen, der der jeweilige Rettungschef und dessen Vorgänger ex officio angehören würden. Dazu kämen drei auf längere Zeit gewählte Leute mit grosser Erfahrung, die auch mit den oben genannten Institutionen und mit der Armee Fühlung haben oder eine solche herstellen könnten.

Die Kommission würde für die Verwirklichung einer allesumfassenden Rettungsorganisation verantwortlich sein. Sie sollte für fortlaufende Modernisierung derselben sorgen und eine gesunde Koordinierung zwischen Zivil und Militär, zwischen Inland und Ausland anstreben.

Unser heutiges System hat die grosse Schwäche, dass oft die Kontinuität in der Entwicklung unterbrochen wird. Es hängt fast ausschliesslich von der Erfahrung, Tüchtigkeit und Initiative des alle drei Jahre wechselnden Rettungschefs im CC ab, ob ein als richtig erkannter Gedanke aufgegriffen und auch konsequent verfolgt und verwirklicht wird, oder ob alles beim alten bleibt oder gar auf eine schiefe Bahn gerät. Dieser Zustand ist angesichts des plötzlichen Aufschwunges, den in den letzten Jahren das alpine Rettungswesen genommen hat, nicht mehr zu verantworten und sollte einer besseren Lösung Platz machen.

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