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Das Rheinwaldgebirge

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Von Prof. Dr. Rütimeyer.

Laut Beschluss der Generalversammlung von 1870 umfasst das Excursionsgebiet für 1872 die Sektionen 504, 505, 508, 509 des eidgenössischen Atlas, mit den Endpunkten Scopi undSplügen nach Norden, bis zu einer südlichen Parallele quer durch die Thäler von Livinen, Calanca, Mesocco in der Höhe von Biasca, Domenica und Baffalora. Es enthält dieser Bezirk somit den Lukmanierpass westlich, die Umgebung des Splügenpasses östlich, sammt der dazwischenliegenden Gruppe des Rheinwaldgebirges und des Bernhardin; an grossen Thälern, das in der Richtung der Alpenkette laufend« Thal des Hinterrheins, nebst den auf diese Richtung senkrechten, nach Süden auslaufenden Thälern des Brenne, und den obern Theilen der Thäler der Calancasca und der Moësa.

Westlich stösst dies " Excursionsgebiet an dasjenige von ,1871, nördlich an dasjenige von 1865, östlich an die Schweizergrenze; die südliche Grenzlinie ist durch Convention gezogen.

Der erste Blick auf die Karte scheint alle diese Grenzen als künstlich zu bezeichnen. Ueberall Schnitte mitten durch grosse Thäler, quer durch die stärksten Ketten, ein scheinbares Wirrwarr von Gebirgen ohne natürliche Motive der Begrenzung. Dennoch ist nicht schwer zu zeigen, dass abgesehen von dem gerade gezogenen Lauf unsrer Grenzlinie ein mächtiger centraler Gebirgsstock mit nach manchen Seiten auslaufenden Aesten diesen Bezirk beherrscht, ein Gebirgsstock, dem es nur an Massivität gebricht, um eine Individualität zu erlangen, wie sie manchem früheren von unsern Excursionsgebieten zukam.

Sehen wir ab von dem schon dem Excursionsgebiet von 1871 einverleibten und in dem bezüglichen Itinerarium besprochenen langen Ausläufer der Gotthardgruppe, der sich zwischen Tessin und Brenno bis Biasca zieht, sowie von dem aus naheliegenden Gründen neu hinzugefügten Grenzkamm zwischen den Thälern von Mesocco und von S. Giacomo, so bleibt eine Gebirgsgruppe, die von Alters her, hauptsächlich als Quellgebiet des Rheins, als eine selbstständige erkannt und mit besonderem Namen bezeichnet worden ist, die Adulagruppe der römischen und altern helvetischen Geographen, nach ihrem Central- und Gipfelpunkt heute wohl besser als Rheinwaldgebirge zu bezeichnen.

Lepontische Alpen Messen nämlich bei Cäsar und Ammianus die Quellgebirge des Rheins, bei Plinius diejenigen der Rhone; in dieser Strecke waren aber von früh an vornehmlich die grossen Pässe mit ihrer Umgebung und besondern Namen ausgeschieden, so der Gotthard als Summse Alpes, der Lukmanier ( Mons Lucu- manius oder Barnabae ) als Quellgebirge des Mittelrheins, und dér Adula, von wo Strabo und Ptolemseus den Rhein entspringen liessen, als Quellgebirge des Hinterrheins, wie der Crispait als dasjenige des Vofderrheins.

Es darf dabei nicht wundern, dass am Adula jeweilen vornehmlich die Umgebung-des Bernhardinpasses(Culmen de Uccello oder Vogelberg ) und nicht der vom Verkehr entferntere Hauptpunkt des Gebirges genannt wird. Der Splügen oder Ursslerberg bildete den Uebergang zu den Julisehen Alpen.

Um so gerechtfertigter ist es, wenn wir an der Stelle dieser altern Nomenclatur ( über welche auf die Quellenwerke, Alpisch Rhetia von Gilg Tschudi 1560, Commentarius de Alpibus von Josias Simler 1574 etc. zu verweisen ) den theils unsichere theils ganz lokalen Namen Adula verlassend, den Gebirgsstock, der alle diese Thäler aussendet, nach seinem wahren Knoten-und Gipfelpunkt die Rheinwaldgruppe nennen.

Sie als eine selbstständige Gebirgsgruppe, als eine Individualität aus den anstossenden Gebirgen auszu* schälen und von der Umgebung durch leicht sichtbare Grenzen abzuschneiden, gelingt hier so wenig als für irgend einen der vielen sonstigen Knotenpunkte in dem viel verschlungenen Geflecht der Ketten des Alpengebirges.

Dennoch wenn wir von den für die speziellen Zwecke des S. A..C. geforderten durchaus willkürlichen Grenzen, namentlich von dem Querdurchschneiden dreier grösser Gebirgsketten in der Höhe von Biasca in Livinen bis " Soazza im Mesoccothal — zum Gewinne eines leidlichen Quadrates — absehen, so ist es nicht so schwer,'für eine Rheinwaldgruppe auch Grenzen zu gewinnen, welchen der Titel natürlich nicht abzusprechen ist, und in dem von ihnen umschlossenen Gebiet selbst einen bestimmten Charakter zu erkennen, der ihm mindestens so viel wo nicht mehr individuelles Gepräge aufdrückt, als wir solches in dem Gebirgsstock des Gotthard aufzuweisen vermochten.

Die geologische Karte zeigt uns nämlich an, dass nicht nur ungewöhnlich tiefe, und ausgiebige Thaleinschnitte, wie die des Brenno und Tessin westlich, der Moe'sa östlich, von Bellinzona aufwärts die zwei vom Hauptstock des Bernhardin direkt nach Süden ziehenden grossen Hauptketten inselartig von der Umgebung abtrennen, bis an den Hauptkamm der Alpenkette im Grossen, wo dann die Pässe, wie Greina oder Scaradra und Bernhardin dieselben Grenzen andeuten, sondern dass auch Züge von wenig krystallinischen grau und grünen Schiefern in denselben Thälern und Pässen die krystallinische Hauptmasse des Rheinwaldstockes auf lange Strecken einrahmen.

Weit schwieriger ist freilich eine -topographisch und geologisch stichhaltige Abgrenzung nach Norden. Doch ist auch hier ersichtlich, dass Sedimentgesteine von Val Camadra aus über .den Greinapass nach Val Vrin und vom Hinterrhein aus nach Vais einen mineralogisch zwar weit deutlicher als topographisch ausgeprägten Abschluss gegen Norden bieten, der zwar unsere Grruppe recht gut von dem ebenfalls krystallinischen Stock des Gailinari abscheidet, dagegen im Hintergrund der Thäler von Vais keine merklichen Spuren im Relief zurücklässt.

Gibt man daher zu, dass hier eine wirkliche Abgrenzung trotz des mineralogischen Gesteinwechsels'entweder nicht stattfindet oder dass ihre Spuren im Relief nicht ausreichend bekannt sind, so ist dagegen für die so mehr oder weniger umschriebene Gebirgsgruppe ein gemeinsamer typischer Charakter nicht zu verkennen. Erbesteht in der im Gegensatz zudem grössten Theil des übrigen Alpengebietes so auffallenden Ausbildung von Gebirgszügen in der Richtung von Meridianen, die wir nicht besser als mit den Worten des besten Kenners der Alpen schildern können.

« Die Gliederung des Alpensystems, » sagt Prof. B. Studer in seiner Geologie der Schweiz I. p. 242, « entwickelt in diesen Gegenden ( Adulagebirge ) einen ungewohnten Charakter. Die Langenthäler sind beschränkt oder verschwinden; nur ausnahmsweise folgt eine Kette in längerer Ausdehnung der Hauptrichtung der Alpen. Dagegen sind Meridianketten und Meridian-thäler vorherrschend; die erstem meist als schroffe hohe Gräte, ohne tief einschneidende Joche, den Verkehr zwischen den anstössenden Gebieten hemmend; die letztern als gleichförmige Kanäle mit breitem flachem Thalgrund, oft grossenteils vom Kiesbett des Stromes eingenommen. Die Langenthäler und Querthäler scheinen ihre sonst übliche Beschaffenheit ausgetauscht zu haben; während jene meridianen, das Alpensystem quer durchsetzenden Thäler die einfachere Gestaltung von Längenthälern zeigen, verändern die dem Streichen der Alpen folgenden Thäler ihre Richtung und Gestalt in kurzen Intervallen; der Thalbach braust in schluchtartiger Tiefe, die Wohnungen und alle Feldcultur haben sich Mütimeyer.

auf die höhern Terrassen zurückgezogen. Die Hauptspalten sind hier offenbar die meridianen; sie sind länger und setzen in weit grössere Tiefe nieder; ihr tieferer Grund ist ausgefüllt mit Kies und dieser hat einen breiten und flachen Thalboden gebildet. Die Spalten dagegen, die im Sinne des Alpensystems streichen, schliessen sich schon über dem jetzigen Thalboden der Meridianthäler, und das starke Gefäll gestattet keine Anhäufung des Kieses, der Thalbach fliesst meist auf festem Felsgrund.

« Eine analoge Anlage zu meridianer Thal' und Kettenbildung, » führt B. Studer weiter aus, « zeigt sich bereits in den südlichen Wallisthälern; mit voller Energie tritt aber diese Form erst auf in der gigantischen Felsmauer des Monte Rosa und der Mischabelhörner, einem Wall, der vonStalden bislvrea 15 Meilen Länge hat, und sich auf der Hälfte dieser Erstreckung, vonStalden bis zum Col d' Ollen nirgends unter 3300 m Meereshöhe erniedrigt. Mit vollem Recht haben die Alten diesen mächtigen Querdamm zu einer Grenzmarke zweier Hauptabtheilungen der Alpen gewählt, und durch denselben die Penninischen von den Lepontischen Alpen geschieden.

« Die Meridiankette des Adulagebirges kann in mehrfacher Richtung mit der vorigen verglichen werden. Ihre Höhe ist zwar geringer. Die höchsten Gipfel, der Piz Valrhein, 3398 m und andere ihm nachstehende erreichen kaum die Höhe der Gletscherpässe, die von Zermatt nach Saas und Macugnaga führen. Ihre Erstreckung aber,. \on Trons bis Lugano, indem die enge Oeffnung bei Lumino kaum in Betracht kommen kann,

übertrifft noch um etwas die Länge der Monte Rosa-Kette und die Abtrennung der westlich liegenden Gegenden von den östlichen ist, mit Ausnahme des Luminothores, fast eben so stark ausgeprägt; die Pässe sind weniger hoch, aber fast durchgehends rauh und wenig geübt. Sowie ferner am Monte Rosa von Westen her eine nach der Parallele streichende Kette anstösst, welche nicht weiter nach Osten fortsetzt, so vereinigt sich mit dem Adulagebirge von Osten her die jener analoge Kette der Bernhardin- und Splügenpässe, und bricht ebenfalls ab, ohne über die Adulagruppe hinaus sich zu verlängern. In der Wasserscheide der nach Norden und Süden fliessenden Gewässer ist hier eine Lücke, welcher die abgebrochenen Ketten, bei Macugnaga und in Val Blegno, mehrere tausend Meter hohe Abstürze zukehren, und erst weit im Norden, am Gotthard, stellt sich die Wasserscheide wieder her. »

Ergänzen wir diese vortreffliche Darstellung des allgemeinen Charakters unserer Gebirgsgruppe durch einige Blicke auf ihr Relief innerhalb des hier gezogenen Umkreises, so ist es allerdings im höchsten Grade bemerkenswerth, dass die Hauptkette, der westliche dieser zwei exquisiten Meridiankämme sich fast auf ihrer ganzen Länge, von Piz Güda und Piz Scheer-boden im Norden bis zum Pizzo di Claro im Süden fast nirgends unter die Grenze des ewigen Schnees erniedrigt. Ein einziger Pass, der Giumellapass, fällt auf 2100 m. Alle Gipfel halten sieh in der mittlern Höhe von 3000 m, über welche nur der Centralpunkt, Piz Valrhein oder Rheinwaldhorn noch um fernere 400 m ( 3398 m ) hinausragt.

35 Viele tiefere Sättel sind in der östlichen Meridiankette, die auch weniger continuirliche Schneebedeckung zeigt, eingeschnitten.

Die Gipfel zwischen den Thälern von Calanca und Mesocco erreichen 3000 m erst in der Nähe des Centralknotens und bleiben im Durchschnitt um 100 bis 200 m unter der Höhe ihrer westlichen Nachbarn zurück; eine Anzahl von Pässen fällt auf 2000 m. Von den drei Thälern ist das westlichste, das des Tessin, am tiefsten; der Thalboden der Moësa liegt auf gleicher Parallele um ungefähr 100 m, derjenige der Calancasca um 4—600 m höher als der des Tessin.

Bildet nun auch das Rheinwaldhorn einen sehr hervorragenden und in weite Entfernungen hin sich auszeichnenden Culminationspunkt der ganzen Gruppe, so-ist doch nicht zu übersehen, dass diese gebietende und glänzende Schneekuppe keineswegs etwa einen regelmässigen Centralpunkt bildet; vielmehr schliesst sich an sie ein ganzer Kranz von nur um weniges niedrigem Gebirgen, d^e im Allgemeinen in Hufeisenform den Hintergrund des Hinterrheinthaies umgeben, mehrere mächtige Sporne nach Norden gegen das Gebiet des Mittelrheins absenden, und welche alle auf dem Nordabhang von ausgedehnten und unter sich zusammen hängenden Firnmänteln behangen sind, die nicht wenig dazu beitragen, diesem ganzen Gebiete einen Charakter von Grösse und Mächtigkeit zu geben, den man hierT wo der Gebirgskamm im Allgemeinen eine Höhe von 3000 m einhält und die Gipfel sich um nicht mehr als 2—400 m darüber erheben, nicht erwarten würde.

Trotz relativ massiger- absoluter Meereshöhe findet daher der Liebhaber von Eis und Schnee in den aus- gedehnten Firnfeldern des Eheinwald- und Zapport-, des Lenta-, Kanal- und Fanellagletschers Gelegenheit genug zu ergiebigen Wanderungen im Gebiet ewigen Schnees, während allerdings alle Südabhänge und mit Ausnahme der hohen Kante zwischen Tessin und Calanca die ganze Erstreckung der wenig niedrigem nach Süd laufenden Ketten sommerlich vom Schnee entblösst ist.

Woher wohl dieser grelle Gegensatz zwischen Nord und Süd? Wir werden wohl kaum irren, wenn wir die Erklärung in der allgemeinen geographischen. Lage unseres Gebirges suchen. Liegt es doch dem Anprall der südlichen mit Wasser gesättigten Aequatorial-strömungen so frei ausgesetzt, dass von Südwest her sich nur unmittelbar am Meer der dort niedrige Wall des Apennin von Südost, von der Po-Ebene her sich gar kein Hinderniss dazwischen legt. An Zufuhr von Wasserdämpfen kann es also diesem Gebirge gar nicht fehlen, und das Ergebniss scheint in den mächtigen Anhäufungen festen Wassers auf den Nordabfällen, den bedeutenden Beträgen flüssigen Wassers, welche der Brenno, die Calancasca und Moësa in südlicher Richtung dem Tessin zuführen, deutlich genug vorzuliegen. Ergab sich ja sogar aus der trefflichen Zusammenstellung der schweizerischen meteorologischen Beobachtungen für die Jahre 1864 bis 1869, dass allerdings nicht nur das ganze Gebiet der Tessiner Alpen zu den mit Niederschlägen am reichsten bedachten Theilen der Alpen gehört, sondern dass das Maximum der Niederschläge, 200 — 250 cm mittlerer Höhe des jährlichen Niederschlags, genau auf den Ge- birgsstock des Rheinwaldhorns fällt.

Auf der Station Bernhardin beträgt die mittlere jährliche Regenmenge 250cm, das Fünffache derjenigen, welche nahezu in gleicher Breitenlage der Gegend von Grächen im Wallis zufällt, für welche sich indess allerdings gegen den Südwind ein nicht geringerer Schirm als der Monte Rosa vorschiebt. Unter allen Flussgebieten der Schweiz erreicht dasjenige des Tessin die höchsten mittlem Niederschlagshöhen ( 1 m 6985 im Mittel der 6 Jahre 1864—1869 ), genau doppelt so viel als das so benachbarte und in Bezug auf Oberfläche so vielfach ähnlich gestaltete Inngebiet.

Für die Richtigkeit dieser statistischen Erhebungen haben bekanntlich die in ihren Spuren wohl unauslöschlichen Ereignisse in der zweiten Hälfte Septembers und ersten Hälfte Oktobers des für das Rheinwaldgebiet unvergesslichen Jahres 1868, welche dengrossen Wassersammler des Tessin, den Lago Maggiore, um den schreckhaften Betrag von 22 Fuss ( 6,67 m ) erhöhten, einen ebenso, traurigen als solennen Beleg geleistet, und es gehört mit zu der Charakteristik des Gebietes, dass, wie diese ausser ordentlichen Niederschläge von 1868 nicht durch ihren Betrag, sondern durch ihre Con-centrirung auf wenige Tage so ausserordentlich erschienen, im Allgemeinen das Tessingebiet sich dadurch auszeichnet, dass in ihm, verschieden von den übrigen Flussgebieten der Schweiz, durchschnittlich auf die Monate September und Oktober* ungewöhnlich starke Niederschläge fallen. Ein geringerer Kulminationspunkt der Niederschläge fällt auf den Monat Mai, während die Monate Juni, Juli, August an Regen relativ arm sind.

Blicken wir dabei nur auf das anstossende Gebiet des Rheins, so ist es sehr bezeichnend und für den .Touristen nicht unwichtig, dass in den Monaten Juni, Juli, August die mittlere Mederschlagshöhe im Tessingebiet ca. 27 %, im Rheingebiet 33 °/o des Jahres beträgt, in den Monaten September. Oktober, November im Tessingebiet 35 °/u, im Rheingebiet 27 °/o der Jahreshöhe.

Diese Lage der Adulagruppe, als weit nach Süden vorspringender und von dem Klima Italiens durch keine hohen Zwischengebirge getrennter Sporn der Centralalpen, manifestirt sich denn auch vernehmlich genug in ihrer Vegetation. Herr Gösset, der diese Gruppe wohl einlässlicher begangen als irgend ein anderes Mitglied des S.A.C. macht in den vortrefflichen Notizen, die er uns darüber freundlich zur Verfügung gestellt, mit Recht darauf aufmerksam, dass wahrscheinlich das Rheinwaldhorn der einzige Alpengipfel von über 3300 m Höhe sei, von dessen Spitze man mit freiem Auge Kastanienbäume erblicke; und fügt man dazu das Bild, das sich von diesem Gipfel nach Norden und in die nähere Umgebung ausbreitet, wo stundenlange Gletscher und an deren Saum die dunklen Wälder acht central-alpiner Arven dem Auge vorliegen, so ist dieser Kontrast allerdings bezeichnend genug. Erinnern wir ferner, dass am unmittelbaren Fuss dieses Gipfels und nördlicher gelegen als er, Olivone in einem wahren Park von Nuss- und Kastanienbäumen liegt, dass hier Bengal-rosen wohl 8 Fuss Höhe erreichen, dass bis hieher der Feigenbaum ansteigt, wohl höher als irgendwo in den Alpen ( auch in Pontei über Malvaglia steht noch'ein Feigenbaum in 770 m Meeresliöhe ), dass in Campro-vasco Hortensien und Kirschlorbeer in den Gärten ohne Bedeckung im Winter aushalten, so genügt diess, um auf die landschaftlichen und klimatischen Charakterzüge aufmerksam zu machen, welche den Besucher dieser Thäler überraschen können.

Nach der Vegetation zu schliessen, ist das Klima von Olivone im Winter wärmer als dasjenige von Basel und Genf. Im Winter erreicht das Thermometer selten — 12° als Minimum, die Kälte überschreitet sogar selten — 6°. Der Sommer ist dagegen sehr spät, da die Sonne nicht viel in 's Thal scheint. In Dangio und Malvaglia reifen die Früchte sogar 6 Wochen früher als in Olivone,

.'Des Weitern auf den Charakter der Vegetation einzugehen, ist hier nicht der Ort. Bemerken wir nur als Parallele zu Obigem, dass die Feuerlilie, eine der glänzendsten und grössten Alpenpflanzen, sonst hauptsächlich an den heissgeglühten Felswänden von Vitznau und Axenstein, am Wallensee, um Chur anzutreffen, an Punta di Larescia in Val di Campra 2200 m und am Ostabhang des Lukmanier bis in die Nähe des Edelweiss ansteigt, wohl ein Wink, dass diese Vorposten aus älterer Zeit stammen, da noch nicht, wie in Val Piora die Sage geht, die Bündner, um sich der Bären zu erwehren, welche das Gebiet des Lucumagno unbewohnbar machten, die Wälder durch Feuer zerstört hatten.

Schliessen wir diese allgemeinen Bemerkungen über das diesjährige Clubgebiet mit der Bemerkung, dass auch Architektur von südlichem Ursprung bis hoch in diese Gebirgsthäler hinaufgedrungen und sich in mancher altern Kirche im grellen Gegensatz zu den meisten neuern in rein romanischer Form erhalten hat, so dürfte unsere Einladung zum Besuche dieses Gebietes mancherlei Interessen des Reisenden Befriedigung versprechen.

Der Gletschermann wie der Liebhaber von Siesten unter italienischen Weinlauben, der Geolog, der Meteorolog, der Botaniker, der Aesthetiker wie der Techniker werden ihre Befriedigung finden; sie werden ihre Theilnahme einer Gegend schenken, die in Folge ihrer geographischen Lage an eine der schroffsten Scheidegrenzen zwischen Süd und Nord gesetzt, aber auch mehr als irgend eine andere in unsern Grenzen und nicht nur in den jüngsten Jahren, wo ganze Dörfer verschwanden, sondern wie weitere Erinnerung lehrt, in nicht sehr gross en Intervallen den plötzlichsten und gewaltsamsten Lösungen so schroffer nachbarlicher Kontraste ausgesetzt ist.

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