Dent d'Hérens-Nordwand | Club Alpin Suisse CAS
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Dent d'Hérens-Nordwand

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von Hans Graf.

27. Juli 1933. 1 Uhr morgens. Kein Besinnen mehr; flugs auf, und nach kurzer Zeit ist das Essen gerichtet. Hans Frey und ich lassen es uns in aller Ruhe schmecken. Darnach werden die Rucksäcke geschultert, und genau um 2 stehen wir vor der Schönbühlhütte. Wolkenloser, sternklarer Himmel. In düsterer Kälte steht der riesige Dom des Matterhorns hart und eindrücklich vor uns. Ein fahler, schemenhafter Schimmer in den Eisstürzen der Dent d' Hérens belebt die schweigende Einsamkeit der Nacht. Nur das Licht, das aus den Fenstern der verlassenen Schönbühlhütte dringt, stellt die Anwesenheit berghungriger Alpinisten fest.

Wir zünden eine Laterne an, welche uns den Pfad zum alten Biwakplatz unter dem grossen Felsen beleuchtet. Ein Stück alpiner Pionierarbeit steht eindrücklich vor uns und zwingt zu kurzer Besinnung und Würdigung. Ein romantisches, mit Platten und Geröll bedecktes Weglein, das zur Moräne hinunter führt, nimmt nun unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. Nach kurzem Suchen in kleinem Spaltengewirr finden wir den Weg zum ruhigen, spaltenlosen Schönbühlgletscher. Gleichen Schrittes wandern wir dem Tiefmattengletscher zu, der durch ein Bächlein vom Schönbühlgletscher getrennt wird. Den Schutt durchquerend, gelangen wir auf die blanke Eisfläche des Tiefmattengletschers, um an dessen rechtem Ende bis zur Höhe der alten Lagerstätte auf dem Stockje, 2759 m, hinauf zu wandern. Etwas höher bildet der Gletscher eine Mulde, durch welche wir, Richtung Wand der Dent d' Hérens, emporsteigen. Der zu Beginn fast spaltenlose Gletscher zeigt bald parallel zu unserem Vordringen verlaufende, klaffende Spalten mit einigen guten Brücken. Einzelne Brücken brechen ein, oft stösst der Pickel durch, so dass durch dieses Suchen nach tragbaren Brücken viel wertvolle Zeit verbraucht wird. Immer näher rückt die Wand, steht nun im dämmernden Morgen wuchtig vor uns, und aus dieser Tiefe gesehen erscheinen uns die riesigen Eisformen wie drohende Gegner. Über den alten Lawinenkegel, der das Spaltenlabyrinth abschliesst, geht es rascher dem Felsen des ersten Aufbaus entgegen, Punkt 2886 m. Der erste Aufbau weist zwei wenig ausgeprägte Rippen auf, die sich in einiger Höhe in der Wand verlieren.

In hellem Morgenschein packen wir die ersten Felsen an. Über die linke Rippe tost eben eine mächtige Eislawine und ergiesst sich unter chaotischem Lärm talwärts. Wir wählen daher die zur Rechten stehende Rippe, welche anfangs keine Schwierigkeiten bietet, so dass wir rasch an Höhe gewinnen. Kaum 100 m höher wird der Fels schlechter; lose Felsen und Platten mahnen zur Vorsicht. Nach kurzem Höhersteigen durch dieses Bollwerk von Blöcken verliert sich der Grat mit einem sanften Buckel in die Wand.

Vor uns baut sich eine mächtige, stark vorgeschobene Eisnase auf, welche den Eindruck erweckt, jeden Moment abzubrechen. Eine steile Felspartie schliesst sich daran an. Wir gehen bis hart an die Eisnase, queren zirka 15 m steile, grifflose Platten und kleine Schuttbänder und stehen wieder dicht an einer Rippe. Diese, wieder aus losen Felsen bestehend, muss genommen werden, so dass wir gezwungen sind, so nah als möglich der Kante empor zu turnen, bis sie sich in einem Eispfeiler linkerhand verliert. Unter Benützung der Steigeisen nehmen wir den steilen Eishang von rechts nach links und gelangen etwas über dem erwähnten Pfeiler zu einem Firngrat, der zu den von der Hütte aus gut sichtbaren Eisstürzen führt. Dem nur wenig ansteigenden Grat folgend, der dann mit einem steilen Aufschwung in einer senkrechten Eiswand endet, gelangen wir bis unter die Wand. Wir unternehmen einen Versuch, die etwas weniger steile Eiswand zu umgehen, und mit Stufen arbeiten wir uns am Fusse derselben etwa 20 m nach links durch.

Wir stellen fest, dass die Eiswand von der oberen Wand durch eine tiefe Scharte getrennt ist. In mühsamer Arbeit zwingen wir uns über den Schrund und turnen darauf in der Wand empor. Alles ist noch überladen mit nassem Sulzschnee, und bis zur Hüfte einsinkend, waten wir durch diese Masse; unter uns knirscht das Eis vom Auftreten der Steigeisen. Das Seil ist aus, und gezwungenerweise müssen wir einen zweiten Haken schlagen, um uns zu sichern. Doch nach weiteren 40 m harter Kletterarbeit stehen wir in einem Schrund, oder man könnte auch sagen zwischen zwei senkrechten Eiswänden, deren Flächen keine Ritzen zeigen, sondern spiegelglatt sind. Eine kleine Rekognoszierung lässt uns erkennen, dass rechterhand ein nicht gerade sehr steiles Eiscouloir, das mit einem zur Tiefe führendem Couloir verbunden ist, weiter hinaufführt. Einige Meter Abstieg und ein Gang um eine scharfe Eiskante herum bringen uns zuerst in das tiefer liegende Couloir. Nun gibt es wieder harte Arbeit: Stufen schlagen, nichts als Stufen schlagen und sich emporzwingen. Aber es wird, nein, es wird nicht nur, sondern es muss gehen, und es gelingt auch. Unter uns sehen wir nun die beiden wuchtigen Eiswälle, die wir bezwungen haben; was noch vor uns liegt, lässt zwar auch nicht auf Feierabendstimmung schliessen, aber jetzt nur immer mutig vorwärts, es muss ja gehen.

Wohl führt von hier ein schmaler Eiskamm in eine Mulde, aber darüber hängt wieder ein dem Bergsteiger so unliebsamer tückischer Eissturz. Doch bleibt uns nichts anderes übrig, als diesen Weg einzuschlagen. In kurzen Abständen reiht sich Haken an Haken, und dazwischen kerben sich tiefe Stufen ein. Ja, dies war wirklich kein Hang mehr, sondern eine Wand, die an vielen Orten sogar überhängend wurde. Der Körper findet kein Anschmiegen mehr, sondern wird ins Leere hinausgestossen. Das ganze Menschlein hängt nur noch an den Eisenstiften, verbunden mit Karabiner und Seil. So arbeiten wir uns durch den Eissturz immer höher und höher. Eine kleine Unbedachtsamkeit rächt sich hier, weil wir nur fünf Eishaken bei uns haben und in der Hütte die übrigen aus lauter Unvorsichtigkeit zurückliessen. Wir sind deshalb gezwungen, nahe beieinander zu gehen, und die unteren Haken immer wieder loszubrechen, damit sie vorn wieder verwendet werden können. Für meinen Kameraden war das nicht gerade angenehm, da durch das Klettern des Vordermannes das Eis sich löste und im Niederfallen seine Arbeit hemmte. Noch einmal stehen uns die harten Zähne des Eissturzes gegenüber, doch auch diese werden als letzte überwunden. Jetzt sind wir endlich in der Mulde angelangt, die zur Gipfelwand führt.

Aber mit der vorrückenden Zeit des Tages — es ist schon 11 Uhr — meldet sich auch der Hunger. In einem gemütlichen Schneeloch sitzend, verzehren wir ein karges Mittagsmahl. Dazu Staunen über Staunen ob dem wunderbaren Ausblick in die umliegende Alpenlandschaft. Tief unten, eingebettet in ein Tal, liegt der Gletscher, den wir am Morgen überschritten haben. Dem kleinen Gipfelchen des Stockje streben einige Turisten aus der Schönbühlhütte zu, um das herrliche Panorama zu geniessen oder vielleicht auch, um sich auf luftiger Höhe das Mittagessen munden zu lassen. Doch möchten wir mit ihnen nicht tauschen, denn was wir bis jetzt erlebt haben, war zu schön. Und jetzt dann die Fortsetzung, der Aufstieg zum Gipfel, die Pointe des Ganzen: wird sie uns gelingen, oder müssen wir aufgeben? Unser Wahlspruch ist nur noch: Es wird gelingen... Wie herrlich und schwungvoll steigt der weisse Zahn der Dent Blanche in den Weltraum empor, und wie leuchten uns Arbenhorn, Obergabel-, Zinalrothorn und Weisshorn entgegen. Im Hintergrund glänzt und grüsst das wuchtige Massiv des Mont Blanc mit seinen vielen Zacken und Türmen. Überwältigend ist der Anblick des Matterhorns, diese WestwandKaum kann man sich losreissen von all dem Schönen! Aber es muss doch sein, denn wir wissen ja, was noch vor uns steht. Die ganze Gipfelwand muss nun durchklettert werden, um zum Ziele zu gelangen. Wohl scheint sie uns kurz, aber wenn man bedenkt, dass sie etwa 60 Grad steil emporstürmt, so kann man auch auf ihre Länge schliessen. Hans Frey übernimmt nun die Führung. Die Mulde wird direkt auf den Firnhang zu überschritten. Langsam nun über diesen hinauf, und über den gut begehbaren Bergschrund gelangen wir in die ersten Felsen der Wand. Die ganze Gipfelwand erscheint uns wie eine Himmelsleiter, die immer weiter ins Unendliche hinaufführt. Nach kurzer Zeit löse ich wieder ab und führe nun diese Himmelsleiter gegen den Gipfel empor. Eine mühsame Arbeit! Die ganze Wand ist mit Eis und gefrorenem Schnee bedeckt. Darunter liegen abgeschliffene Platten, aber keine Griffe! Zuerst versuche ich, solche im Eis zu schaffen, aber ohne Erfolg, denn beim Aufschlag springen ganze Eisbänder los, und kahler, plattiger Fels kommt drohend zum Vorschein. Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als unser ganzes Vertrauen in die Steigeisen zu setzen. Stellenweise ist der Fels etwas zerschlagen, aber auch wieder ohne Griffe; dann folgen wieder um so grössere Platten, die mit Eis und Schnee bedeckt sind. Immer nach 40 m Seillänge schlage ich einen Haken, was aber an manchen Stellen erst nach längerem Suchen möglich ist. Dann wird schnell der Kamerad nachgeholt, und unter Sicherung seinerseits steige ich wieder um eine Seillänge auf. So gewinnen wir nur mühsam an Höhe. Wie schnell dabei die Zeit vergeht, zeigt uns die Sonne, die schon ganz im Westen steht. Je höher wir steigen, um so plattiger werden die Felsen, und immer mehr Schnee und Eis haftet daran. Doch näher dem Gipfel erscheint der Fels wieder etwas blockiger, und schon haben wir Hoffnung auf ein schnelleres Vordringen. Aber wie haben wir fehl- geraten. Wohl sind kleine Blöcke da, aber das Ganze bildet keine feste, kompakte Masse, alles ist nur gesprengtes, loses Gestein, allerdings wird es durch das Eis zusammengehalten. Ob das halten wird? Endlich kommen wir stossend und schiebend dem Gipfelgrat näher, mit einer starken Gwächte schliesst er den letzen Teil der Wand ab. Etwas rechts vom Gipfel erreichen wir den Grat, und ein paar Minuten später sitzen wir auch schon auf der Spitze. Zum letztenmal grüssen wir nun die schon tief im Westen stehende Sonne. Herrlich ist der Blick über die vor uns und um uns ausgebreitete Gipfelflur. Solch eine Schau ist fast unbeschreiblich.

Aber es ist schon 7 Uhr abends. Also haben wir für die ganze Strecke 17 Stunden gebraucht und für die letzte Kletterei in der Gipfelwand allein 7 Stunden. Das ist eine lange, doch für uns unschätzbare Zeit. Aber was kümmern wir uns um die Zeit, ist uns doch eine wunderbare Fahrt gelungen, an die wir uns das ganze Leben erinnern werden.

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