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Der Bergrutsch am Rossberg

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Hermann Vögeli, Zug

DIE GIPFELNAMEN DES ROSSBERGES Der Name Rossberg findet sich auf den älteren Siegfriedkarten ( TA ) unter der Bezeichnung Un-ter- und Oberrossberg und betrifft das Gebiet des heutigen Zuger Alpli. Die Bezeichnung ist ohne Zweifel auf eine Rossweide zurückzuführen, die auf der Nordabdachung des anfangs genannten Berges lag; sie wurde schliesslich auf den ganzen Bergzug übertragen, wobei man allerdings auf den Nutzungshinweis « Weide » — Ross(weide- ) berg - verzichtete.

Die Deutung des Gnipen, des westlichsten Gipfels des Rossberges, bereitet schon mehr Schwierigkeiten. Schon im Aegerihofrecht aus dem 14.Jahrhundert ist Twing und Bann der österreichischen Herrschaft festgehalten; er beginnt « im Genippen und gad uss Genippen über den Rossberg hin in Keyserstock ».

Die Gnipe ist nichts anderes als ein Werkzeug, das im Sattlerhandwerk benützt wird, hier jedoch, wie ersichtlich, weiblichen Geschlechts ist. In der Werkstatt, in der man die Gnipe verwendet, wird ja auch der Sattel, der Sitz für den Pferdereiter, hergestellt. Nun ist auch verständlich, wieso der Name vielfach dort auftaucht, wo eine Senkung, ein Sattel, zwischen zwei Gipfeln oder Hügelzügen auftritt.

Die gegenwärtige Gestalt des Gnipen wird dieser Deutung nicht mehr gerecht; denn eine Senke spitze nicht auf eine noch härtere Probe stellen. Zu meiner grossen Erleichterung am nächsten Tag war sie grösstenteils mit Trittschnee bedeckt.

kann der aufmerksame Beobachter nirgends entdecken. Um zu verstehen, dass der Name doch zu Recht besteht, müssen die topographischen Verhältnisse vor dem Bergrutsch berücksichtigt werden. Zwei Zeitgenossen, die die Naturkatastrophe erlebten, Dr. med. K. Zay und Pfarrer F. Zay von Goldau, haben in anschaulicher Weise das Aussehen des Gnipen vor dem Unglück skizziert. Demnach zogen von der Gnipenspitze her in nordöstlicher Richtung mächtige Felswände, derSchwän-digrat und die Steinerbergflue - deutlich übereinander gestuft - zum Rötnerbann. Die beiden Wände waren durch ein Rasenband verbunden, das sich vom Schattenberg am Rigi Nordostfuss wie eine gigantische Messerklinge ausnahm, eben die Klinge einer Schustergnipe.

Der Chaiserstock ( 1426 m ), der ostnordöstlichste markante Vertreter des Rossberges, war March-punkt der österreichischen Herrschaft und ist als solcher auch schon im Hofrecht von Aegeri aus dem 14.Jahrhundert aufgeführt. Der Name des Gipfels bezieht sich also auf das Verhältnis zum Reich, dessen Repräsentant der Kaiser war.

Bedeutend schwieriger ist der Gipfelname Tür-listock zu deuten, der als einzige der vier Erhebungen nicht aus dem Hauptkamm emporragt, sondern durch einen von diesem in nordöstlicher Richtung verlaufenden Grat isoliert ist. Ob das Eschtürlein, das bei der früheren Dreifelderwirtschaft von der offenen Allmende in das durch einen Hag abgegrenzte angebaute Land führte, einen Hinweis auf die Benennung des Gipfels gibt, ist ungewiss.

Der stolze Kulminationspunkt, der Wildspitz, findet sich in den « Zuger Namensstudien » von Albert Iten ( 196g ) nur im alphabetischen Verzeichnis, hingegen nicht im Textteil, in welchem der Ursprung der Gipfelnamen erklärt ist. Paul Zinsli führt in seinem umfassenden Werk « Grund und Grat » ( I 945 ) dafür « Wildi » auf, womit eine « hochgelegene, rauhe beziehungsweise verkehrsabgeschlossene Gegend » gemeint ist. Unter « Spitz » gibt die gleiche Quelle im allgemeinen eine Fels-, Bergspitze an, auch verallgemeinert einen Gipfel. Wildspitz bedeutet demnach eine « hochgelegene, rauhe beziehungsweise verkehrsabgeschlossene Bergspitze », was leider bald nicht mehr zutrifft, da die Strasse, trotz Einspruch und Unterschriftensammlung vieler Bergfreunde aus dem Kanton Zug, bis zur Kapelle erstellt wurde und nun bis zum Wildspitz ausgehoben und gebaut wird.

Der Bergrutsch und seine Folgen DER SCHICKSALSTAG VOM 2. SEPTEMBER 1806 Der Bergrutsch, der am späten Nachmittag, etwa um 16 Uhr des 2. September 1806, losbrach, bewegte sich in Windeseile talwärts; denn vom Augenblick an, als sich die Gesteinsmassen in Bewegung setzten, bis zur Überschüttung des Talgrundes von Goldau dauerte es nur drei bis vier Minuten! Die Luftdruckwelle, die unmittelbar mit dem Ereignis einsetzte, war so wuchtig, dass sie Menschen, Bäume, ja sogar Gebäudeteile durch den Aether trug. So wurden auch zwei Knaben und zwei Mädchen, die am Nordrand des Lauerzer Sees Ziegen hüteten, in die Lüfte gehoben und kurz darauf von den Schuttmassen verschüttet.

DAS AUSMASS DER KATASTROPHE Die Nagelfluhmasse, die wie auf einer Rutschbahn in Windeseile die 4 Kilometer lange, an die I 000 Meter Höhendifferenz messende Strecke talwärts schoss, umfasste 40 Millionen Kubikmeter, was etwa einem voll beladenen Güterzug von 12 000 Kilometer Länge entspricht ( ein Kieswa-gen à 40 Kubikmeter und 12 m Länge ).

Am Stauchwall werden sich die niedersausenden Blöcke wohl nochmals überschlagen haben und breiteten sich dann fächerförmig aus, vier gesonderte Ströme bildend, welche die Dörfer Goldau, Röthen und Busingen unter sich begruben und dies in wenigen Sekunden. Insgesamt wurde eine Fläche von 6,5 Quadratkilometer zerschlagen und verwüstet. Der grösste Schuttstrom kam erst an der steil ansteigenden Rigiflanke, auf der Höhe vom Fallboden ( 648 m ), zum Stillstand. Selbst der Lauerzersee wurde durch einen Seitenarm dieses Hauptstromes in Mitleidenschaft gezogen, indem sich eine Sturzflut bildete, die sogar die Insel Schwanau überrollte, das Haus des Einsiedlers und die Kapelle beschädigte, schliesslich das Dörfchen Seewen überschwemmte und dabei Häuser beschädigte oder zerstörte. Allein zwischen Seewen und Lauerz kamen zehn Menschen in den Fluten ums Leben.

Bei der Naturkatastrophe, die so plötzlich die blühende Talschaft mit ihren schmucken Dörfern ausradierte und zuschüttete, starben 457 Menschen, 206 konnten sich in letzter Minute retten, und nur 14 wurden noch lebend aus dem chaotischen Trümmerhaufen geborgen.

102 heimelige Wohnstätten, 2 Kirchen und 220 Scheunen und Ställe wurden innert Sekunden von den niedersausenden Blockströmen überfahren und zermalmt.

GLUCK UND UNGLÜCK EINER BERNER REISEGESELLSCHAFT Schon 1849 wurden unter dem Vordach der Kapelle zu Goldau zwei Marmortafeln befestigt, deren eine die Namen jener Teilnehmer einer Berner Reisegesellschaft aufführt, die bei der Naturkatastrophe vom 2. September 1806 durch die tragische Verknüpfung schicksalshafter Umstände ums Leben kamen. Nun finden sich die beiden « Dokumente » unter der Empore der heutigen Pfarrkirche zu Goldau und erinnern eindrücklich an die von einem grausamen Schicksal betroffenen Opfer, für die das Dichterwort « Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ew'ger Bund zu flechten und das Unglück schreitet schnell » auf schreckliche Art Bedeutung bekam.

Die Berner Reisegesellschaft setzte sich zum Teil aus namhaften Persönlichkeiten zusammen. So befanden sich unter ihren elf Mitgliedern Oberst Viktor von Steiger, Offizier in holländischen Diensten, Mitglied des ehemaligen, « sowie des würklichen grossen Raths » von Bern, und wie Dr.med. Karl Zay in seinem « Schuttbuch » erwähnt, des weiteren Oberst Ludwig May von Schöftland und sein Sohn Karl sowie der Jüngling Kaspar Ludwig aus Arbon, der vom Colonel als Zögling angenommen worden war. Schliesslich gehörten zur fröhlichen Gruppe noch ein Herr Jahn aus Gotha ( D ), sodann zwei Männer aus Brestenberg am Hallwiler See, nämlich Herr May sowie Herr Rudolf Jenner, der Mitglied des Grossen Rates des Kantons Aargau war; des weiteren ein Herr von Diesbach von Liebegg mit seiner Gattin, einer geborenen von Wattenwyl von Fraubrunn, in deren Begleitung sich zwei Damen aus Burgdorf namens Margaritha von Diesbach und Susanne Fankhauser befanden. Schon die Namen der Reiseteilnehmer verraten, dass sie sich einerseits durch Verwandtschaft nahe standen, andererseits - was nicht daraus hervorgeht - sich freundschaftlich verbunden waren. Wenngleich einige Persönlichkeiten aus dem Aargau stammten, ging die Reisegruppe dennoch unter der Be- zeichnung « Berner Reisegesellschaft » in die Annalen der Naturkatastrophe ein.

Auf ihrem Programm war schon seit geraumer Zeit die Rigi als gemeinsames Ausflugsziel vermerkt, deren Ruf als Aussichtsberg ersten Rangs längst über die heimatlichen Gemarkungen gedrungen war. Zum grossen Leidwesen der sehnsüchtig auf die Bergtour harrenden Reiseteilnehmer musste diese wegen der andauernd schlechten Wetterlage im Jahre 1806 immer wieder verschoben werden. Endlich! Am I. September entschloss man sich, grünes Licht zum geplanten Unternehmen zu geben, brach vom Schloss Brestenberg auf und erreichte noch gleichentags das malerische, am Nordostende des Zugersees gelegene Städtchen Zug. Da das Wetter bei der Ankunft keine Anstalten machte, sich in absehbarer Zeit von seiner guten Seite zu zeigen, sank das Stimmungsbarometer merklich, und einige sonst Reiselustige beantragten allen Ernstes, die Tour doch abzubrechen. Das passte der jungen Gilde, die sich energisch für die Fortsetzung des Unternehmens einsetzte, wieder nicht. Ihr Optimismus gewann schliesslich Oberhand, und am Nachmittag des 2. September, also just am Katastrophentag, begab sich die Reisegesellschaft aufs Schiff, um auf diese Weise Arth am südlichen Ende des Zugersees zu erreichen, wo sie punkt 16 Uhr eintraf. Dortselbst strebte Herr Rudolf Jenner dem Hause Dr. K. Zays zu, er war ihm in inniger Freundschaft verbunden. Der Gesuchte hielt sich aber am selben Tag in Schwyz auf, so dass er vorschlug, unverzüglich nach dem Flecken Schwyz weiter-zureisen, um seinen und einen anderen hochgeschätzten Freund noch am Abend zu sehen und zu sprechen. Er schlug seinen Reisegefährten deshalb vor - ein kühner und in der Ausführung reichlich anstrengender Plan — sogleich die Rigi zu besteigen und von dort auf schnellstem Weg nach Schwyz zu marschieren. Man diskutierte leidenschaftlich über den Vorschlag, während die einbrechende Abenddämmerung und der noch bedeckte Himmel allen schliesslich den Entscheid leichter machten, indem männiglich einsah, dass der Aussichtsberg ohne Zweifel nicht mehr angegangen werden konnte. Die Jüngern der Gruppe, noch ganz der Sturm- und Drangzeit verfallen, heuerten den Arther Nachtwächter und Gepäckträger J. Felix von Rickenbach an, der ihnen den kürzesten Weg nach Goldau und Schwyz weisen sollte, während die Herren May, von Diesbach und Jahn im Gasthaus Adler am Zugersee, einem heute renommierten Hotel, noch etwas länger dem köstlichen Wein zusprachen, zumal sie dortselbst zwei Fremde kennenlernten, beides Deutsche, deren gehobene berufliche Stellung alle Voraussetzungen bot für ein unterhaltsames und geistreiches Gespräch. Der eine der beiden Herren war der Kanzleirat Schmid, seines Zeichens Erzieher des Prinzen Paul von Mecklenburg-Schwerin, sein Begleiter, namens Rudloff, war Angestellter der herzoglichen Kanzlei von Meck-lenburg-Schwerin. Die Fremden verrieten, dass sie, wie die « Überhöckler » unserer Berner Reisegesellschaft, nach Schwyz reisen wollten, nicht ohne sich noch mit einer Flasche Wein zu versorgen. Nachdem sie ihre Tranksame berappt hatten, brachen sie, wie K. May berichtet, einige Minuten nach der Vorhut auf, die sich ihrerseits ge-sputet hatte, raschestens Schwyz zu erreichen. Die Nachhut - ihr unermessliches Glück - wanderte in euphorischer Stimmung gemächlicher Goldau zu und gelangte eben bei Harmettlen an, als sie die Vorhut nur einige hundert Meter von sich entfernt ins Weichbild des malerischen Dorfes eintreten sah. Just in diesem Augenblick ging der Teufel los, ein ohrenbetäubendes Krachen und Donnern liess sie erschreckt zusammenfahren und ihre Blicke dorthin wenden, von wo das infernale Getöse herkam, zum Rossberg. So gewahrte die Nachhut mit Entsetzen die vom Gnipen herabstürzenden und sich überschlagenden riesigen Felsbrocken, Tannen und Hausteile, die durch die Luft geflogen kamen, und musste sich gegen den nun einsetzenden starken Luftdruck stemmen. Zugleich löste sich ein gelblicher Staub vom Berg und hüllte den östlichen Teil der nach Goldau abfallenden Spitzibüelalp langsam in ein un- durchdringliches Leichentuch. Trotz dieses fürchterlichen Anblicks fassten sich die Männer der Nachhut bald wieder, zumal sie der festen Überzeugung waren, die Vorhut sei an jener Stelle, wo sie diese soeben noch erblickt hatten, und wähnten sie in Sicherheit, so dass einer von. ihnen - welche Gemütsruhe - ein Fernrohr zückte, um die einmalige Naturkatastrophe fast vergnüglich zu verfolgen und ganz aus der Nähe zu betrachten. Ja die Männer meinten sogar, dass der Augenblick, an welchem das eindrückliche Schauspiel seinen Anfang genommen hatte, nicht besser hätte gewählt werden können. Als jedoch die « Felslawine », von einer grässlichen Staubfahne umhüllt, in Windeseile bis fast vor ihre Füsse kollerte, ergriffen die fünf Reisenden eiligst die Flucht — einige hundert Meter nur —, da sie durch die miserable Sicht in grosse Unsicherheit gerieten.

Als das diabolische Spektakel nach einigen Minuten abklang und sich die fünf Männer von ihrem Schock etwas erholt hatten, wagten sie sich vorsichtig zu ihrem nun von wirren Felstrümmern bedeckten früheren Standort zurück. Mit grosser Mühe kletterten sie auf die hergefegten Felsblöcke, um sich eilends nach der Vorhut ihrer Reisegesellschaft umzusehen. Von dieser war jedoch nicht die geringste Spur zu entdecken, obschon alle sich bemühten, die hinterste und letzte Ecke des zu ihren Füssen liegenden Trümmerfeldes aufs genaueste abzusuchen und auch ihr verzweifeltes Rufen, das sie durch ihre zu einem Trichter geformten Hände noch verstärkten, blieb ohne jeden Widerhall. Gerade diese unheimliche Stille, die sich nun über das Katastro-phenfeld legte, während die von feinsten Staubteilchen erfüllte gelbliche Wolke sich allmählich auf das schwerstens verletzte Erdreich niederliess, bedrückte die Suchenden dermassen, dass sie schliesslich resigniert verstummten. Jeder von ihnen konnte sich der Einsicht nicht erwehren, dass das Ausmass der Naturkatastrophe unübersehbar war und ein Auffinden oder gar eine Rettung ihrer lieben Reisegefährten, die von den Felstrüm- mern und Schlammströmen förmlich überfahren worden waren, nicht möglich war. Auch der arme Nachtwächter aus Arth, der sich so bereitwillig anerboten hatte, den unternehmungslustigeren Teil der Berner Reisegesellschaft anzuführen, musste sich unter dem Trümmerfeld befinden.

Zutiefst erschüttert war Herr von Diesbach, denn er wusste seine innig geliebte Frau bei der Vorhut, so dass sie mit dieser vom Schuttstrom zugeschüttet worden sein musste. Seine Gefährten konnten ihn nur unter Aufbietung aller Kräfte von der grauenhaften Unglücksstätte wegbringen und nach Zug zurückfahren, wo ihn später Freunde aufnahmen, die den in tiefster Trauer Verharrenden nutzlos zu trösten versuchten.

Anderntags fuhr die auf vier Männer zusammengeschrumpfte Nachhut wiederum von Zug nach Arth mit der Absicht, Dr. med. K. Zay zu bitten, alles in seiner Macht Liegende zu unternehmen, um die Verschütteten selbst, oder zumindest Überreste oder Gegenstände von ihnen suchen zu lassen. Sie beteuerten Dr. med. K. Zay auch, für alle Unkosten einer solchen Suchaktion aufzukommen.

Der Arzt begleitete die Fremden wieder bis an das Ufer nach Arth, wo sie das Schiffchen bestiegen, das sie zurück nach Zug bringen sollte. Der Abschied war schmerzlich, so schmerzlich, dass Dr. Zay in seinem Tagebuch vermerkte, er habe schon manche bittere Trauerszene in seinem Leben bestanden, diese sei jedoch eine der bittersten gewesen.

Dr. med. K. Zay nahm seinen Auftrag so ernst, dass er, kaum hatte sich das Boot vom Ufer entfernt, überlegte, wo die Unglücklichen vom Trümmergestein des Bergrutsches wohl überrascht worden seien. Während er eilenden Schrittes Goldau zustrebte, kam er zum Schluss, dass die Vorhut der Berner Reisegesellschaft bei der Goldauer Kapelle vom Schuttstrom zugedeckt worden sein musste. Doch da war guter Rat teuer; denn just an jener Stelle lag der Schutt gut 30 Meter und mehr hoch, ganz abgesehen davon, dass auch ein Dr. med. K. Zay, der mit der Örtlichkeit so vertraut war wie mit seinem Hosensack, nach langem Versuchen, die Goldauer Kapelle oder die Brücke unter den Trümmern zu orten, schliesslich einsehen musste, dass unter diesen Umständen das Graben nach den Fremden völlig unmöglich war. Und auch die Goldauer, welche die Katastrophe überlebt hatten, waren nicht imstande, die erwähnten beiden Bauten ausfindig zu machen.

Die Bedeutung der « Bernerhöchi » Die anmutige Anhöhe zwischen Goldau und Seewen, quasi der Kulminationspunkt der Verbindungsstrasse zwischen den beiden Siedlungen, die Bernerhöchi ( 555 m ), wurde, wie fälschlicherweise oft berichtet wird, nicht etwa allein im Andenken an unsere Berner Reisegesellschaft so getauft, sondern aus einem ganz anderen Grunde. Im November 1806 schickte die Berner Regierung nämlich reichlich spät, wie Dr. med. K. Zay bemerkt, Berghauptmann Schlatter mit etwa i oo Mann nach Arth. Die Mannen wurden an einer sehr steinigen und wilden Stelle unter dem sogenannten « Fallenboden », ungefähr einen Kilometer südlich von Goldau eingesetzt, um ein Teilstück der Strasse zwischen Goldau und Lauerz zu erstellen. Wohl zeigten die Berner guten Willen, und ihr zu spätes Eintreffen an der besagten Arbeitsstelle konnte man ihnen gerne verzeihen, da sie vermutlich schon damals ihrem Rufe, nicht die Schnellsten zu sein, alle Ehre gemacht haben. Doch wegen der schlechten Witterung und eines unerwartet frühen und strengen Wintereinbru-ches mussten die Arbeiten bald wieder eingestellt werden. Dies bewog die Berner, die Rückreise zeitiger als geplant anzutreten. Zur Erinnerung an ihre Hilfeleistung - und sicher auch zum Andenken an die Berner Reisegesellschaft, die wahrscheinlich in der Umgebung des heutigen Gasthofs « Rössli » den Tod fand — wurde der erwähnte Passübergang, von dem man übrigens eine umfassende Sicht sowohl über den prähistorischen als auch über den Bergrutsch von i 806 geniesst, « Bernerhöchi » getauft. Wie wenig richtig sowohl die fünf Nachzügler als auch ihre beiden neuen Freunde aus den deutschen Gauen die Naturkatastrophe, die sich soeben vor ihren Augen abzurollen begann, einschätzten, geht aus einem Brief hervor, den Kanzleirat Schmid in der Nacht vom 2. auf den 3. September 1806 in Küssnacht am Rigi geschrieben hat:

« Auch sahen wir, indem wir unsre Blicke nach Osten wandten, dichte bey dem Dorfe Goldau, von einer Höhe von wenigstens 3000'einzelne Felsblöcke sich losreissen, die mit donnerndem Gekrache in ein etwa 2000'hohes Thal am Abhänge desselben Berges hinunterstürzten. Der Anblick war der köstlichste, den man geniessen konnte, und unsere Schweizer Gesellschaft pries uns glücklich, Zuschauer einer selbst Schweizern so seltenen Scene zu seyn. Man sagte uns, dass diese Erscheinung die auffallendste Ähnlichkeit mit den Lauwinen habe. Wir waren darüber sehr froh; aber um einen bessern Eindruck davon zu bekommen, nahmen wir noch einen Tubum zur Hand. Die Entfernung von unserm Standpunkte bis zur Höhe, von wo sich die Felsblöcke lösten, betrug einige Stunden, und wir durften desshalb nicht die mindeste Gefahr ahnden. Ausserdem war der untere Theil des Berges so wenig abschüssig, und ganz mit Waldung und schönen Alpen bedeckt, so dass unmöglich eine der Massen, die wir fallen sahen, bis ins unterste Thal hinabstürzen konnte. Das Schauspiel wurde immer anziehender. Der Gipfel des Berges liess Blöcke herunterfallen, die mit den stolzesten Tannengruppen prangten. Der Donner widerhallte prächtig in dem engen Thale, und wir alle applaudirten jubelnd; Aber plötzlich wildkrachend fieng die ganze Masse des ganzen Riesenberges bis dicht vor unsern Füssen an zu wanken. Mit praustem Donnergetöse sahen wir die ungeheure Bergwand von mehrern Stunden Ausdehnung mit ihren trotzigen Wäldern, Dörfern, Sennhütten und Viehherden, in fürchterlich langsamer Wellenbewegung - aber bald mit Blitzesschnelle und alles zermalmender, unerbittlicher Gewalt auf uns losstürzen. Schon fliegen grausende Steinmassen mit animalischen und vegetabilischen Trümmern über unsern Häuptern hinweg, und in ersticken-dem nachtdunklem Dampfe, der uns schnell umhüllte, erwarten wir bange den fürchterlichen Augenblick der schreckhaftesten Vernichtung. Da schweigt der Donner, und löst sich in langsam hinsterbendem Getöse auf. Wir sahen uns erschrocken an; aber die furchtbare Staubwolke verhinderte uns, um uns zu schauen. Nach 5 Minuten etwa entdeckten wir unmittelbar neben uns den Greuel der Verwüstung. Das blühende Thal, mit 2. grossen und 2. kleinen Dörfern, liegt vor uns bedeckt mit Fels und Schutt; und als wir unsere Gefährten wieder zusammensuchten, o Gott! da fehlen uns Sechs, die nur den Vorsprung einiger Minuten über uns gewonnen hatten. Wir übrigen Geretteten, 7. an der Zahl, würden ebenfalls ein Opfer dieses ausserordentlichen Sturzes gewesen sein, wenn wir nicht einige hundert Schritte zurückgelaufen wären; denn der Standpunkt, auf dem wir uns zu Anfang befanden, ist ebenfalls verschüttet worden. » WARNUNG LEICHTFERTIG AUSGESCHLAGEN Geradezu leichtsinnig warfen die beiden älteren ledigen Brüder Kaspar und Franz Beler und ihr Nachbar Dominik Horat ihr Leben in die Schanze. Die beiden erstgenannten Männer schätzten die Gemütlichkeit weit mehr als die Arbeit, wohl aus teils recht verständlichen Gründen. Schliesslich gehörten sie nicht mehr zu den Jüngsten, und überdies waren sie doch so vermögend, dass sie auch einmal einen Werktag zum Feiertag machen konnten.

Just am 2.September 1806 stiess ihr schon betagter 74Jähriger Nachbar Dominik Wittwer zu ihnen, um sich mit ihnen bei einem Pfeifchen Ta- bak und einem Gläschen süffigen Branntweins über vergangene und gegenwärtige Zeiten zu unterhalten, was alle drei, mit einem guten Mundwerk versehen, mit demokratischem Scharfsinn und grosser Schlagfertigkeit taten. Hinter Belers Hütte rüstete der Taglöhner Xaver Römer Schindeln für ein neues Stalldach. Vom Gnipen her vernahm er immer mehr Gepolter und Krachen, so dass er von grosser Angst gepackt wurde und eilends zu den drei Männern lief, die mitten in einer regen Diskussion steckten und von dem, was sich da als Naturkatastrophe abzuzeichnen begann, keine Notiz zu nehmen schienen. Obschon Xaver die drei Männer eindringlich vor der drohenden Gefahr warnte, indem er ihnen zu verstehen gab, dass der ganze Berg bald herunterkommen und sie an Ort und Stelle vernichten werde, machten seine Worte den dreien, die dem Branntwein offenbar schon recht zugesprochen hatten, nicht den geringsten Eindruck. Nur Dominik Horat erhob sich, ging vor die Hütte, schaute zum Röttner Berg hinauf und meinte daraufhin gleichgültig, der Berg habe doch schon öfters so gedröhnt und gekracht, machte rechtsumkehrt und zündete sich ein Pfeifchen an.

Kaum hockte er wieder bei seinen Trinkkum-panen, als es vom Berg her nun dermassen stark krachte, toste und polterte, dass Xaver, der seine Arbeit wieder aufgenommen hatte, sein Werkzeug blitzschnell wegwarf, mit einem Satz vor das Stubenfenster sprang und den Männern zuschrie: « Fliehe, wer fliehen kann, Berg und Wald stürzen schon daher! » Dann lief er, so schnell ihn die Füsse tragen konnten — denn schon polierten in Riesensprüngen Felsblöcke an ihm vorbei -, westwärts. Trotzdem wurde er dreimal von kleineren Geschossen und grösseren Schlamm-Massen umgeworfen; er erhob sich aber immer wieder und erreichte schliesslich, trotz des zunehmenden Steinhagels, eine Stelle, die ausserhalb der Gefahrenzone lag. Wohl klopfte sein Herz zum Zerspringen, und sein Körper wies mehrere blaue Flecken auf, aber er war gerettet.

Die drei Kumpanen jedoch, welche die War- nung ihres Taglöhners leichtfertig in den Wind geschlagen hatten, wurden samt der Hütte, wie Xaver noch beobachten konnte, in die Höhe geschleudert und versanken irgendwo in den Feisund Schlamm-Massen für immer.

Unbegreiflich war die Reaktion von Dominik Horat, der schon in früheren Jahren mehrmals betont hatte, dass « einmal das Gemeind-Märcht einsinken und samt Flühen und Wald niederstürzen werde ».

Doch hatte er stets behauptet, dass sich der Felssturz in Richtung Sägel ergiessen würde, was ihn vermutlich bewogen hat, die eindringlichen Notschreie Xaver Römers nicht ernst zu nehmen.

WIE GING ES LOS?

Der Rossberg ist für Bergrutsche geradezu prädestiniert. Josef Niklaus Zehnder zählt in seinem Buch insgesamt 20 Bergrutsche auf. Wer von Arth zum Gnipen hochblickt, sieht links der Trümmerfelder von 1806 eine relativ breite grüne Pultfläche, die nichts anderes ist als die Gleitfläche eines prähistorischen Bergrutsches. Weiteren Berg-rutschspuren begegnet der aufmerksame Bergwanderer auf Schritt und Tritt, und es ist nicht ausgeschlossen, dass sich wieder einmal eine Katastrophe ereignen kann. Als primäre Ursache der schrecklichen Naturkatastrophe vom 2.Septem-ber 1806 muss zweifellos die Lagerung der Schichten bezeichnet werden, die bei Goldau mit 12 bis 15 Grad, am Gnipen sogar mit 30 Grad einfallen. Diese Neigung der Sedimente - denn um solche handelt es sich ja am Rossberg - war allerdings nicht allein der Grund für das Abgleiten; hinzu kommt noch die wechselnde Anordnung der Nagelfluhbänke, der mergeligen Sandsteine und Mergelschichten, wobei letztere die verhängnisvolle Rolle der Gleitschicht spielten. In einem trockenen Klima wäre das Abgleiten der Nagelfluhbänke wohl kaum möglich gewesen, womit auf die dritte Ursache hingewiesen sei, nämlich auf die vielen Niederschläge, welche die Mergelschichten so stark durchnässten, dass sie sich zu einer schmierigen Gleitfläche umwandelten. Schon die Jahre vor dem Bergrutsch waren sehr niederschlagsreich gewesen, insbesondere jene von i 7gg, 1804 und 1805. Im Juli des Katastrophenjahres regnete es sehr viel, und zwei Wochen vor dem Unglück setzten nochmals starke Regengüsse ein, wie Dr. med. Karl Zay, der die Katastrophe ja miterlebt hat, schreibt. Und auch Josef Niklaus Zehnder führt diese Tatsache als eine der Ursachen an, die Anlass zum Bergrutsch gaben. Zu allem Überfluss war der Winter 1805/06 so schneereich, dass sich damals niemand eines solchen weissen Segens erinnern konnte. Schliesslich darf nicht unerwähnt bleiben, dass vermutlich schon bei der Schrägstellung der Molasseschichten sich im Pliozän Querspalten gebildet haben müssen, die die höher gelegenen Nagelfluhbänke in grosse, nahezu rechtwinklige Blöcke zergliederten. Abtragung und Verwitterung erweiterten die Klüfte und Spalten, durch die das Regenwasser bis zu den dunkelgraugrünlichen Mergelschichten eindrang, die es wie ein Schwamm aufsogen, wodurch die verhängnisvolle Gleitschicht entstand. Die jungen Hirten kannten diese Spalten, namentlich die grösste an der Steinerbergfluh, die « lange Kehle », in der sich Wasser angesammelt hatte. Sie benützten diese Stelle, die am 2. September 1806 zur seitlichen Abbruchstelle wurde, als willkommene Vergnügungsstätte, indem sie morsche Baumstämme hineinwarfen, die mit grossem Gerassel und Getöse an die Nagelfluhbänke prallten und dann in einen weiten Wassertümpel stürzten. Risse entstanden auch andernorts, so beispielsweise im Steinerberger Bannwald; sie verbreiterten sich zusehends, so dass man gezwungen war, Notbrücken zu schlagen.

Solche alarmierende Anzeichen der drohenden Katastrophe zeigten sich schon viele Jahre zuvor; namhafte Männer wie General Franz Ludwig Pfyffer, der den Gnipen bestieg, um von dort topographische Vermessungen für sein Relief « Urschweiz » zu machen, das im Gletschergarten in Luzern ausgestellt ist und noch heute von den Besuchern bewundert wird, erkannte die gefährliche Situation, und auch Pfarrer A. König, der im Jahre 1800 eine Exkursion auf den Rossberg leitete, stellte den drohenden Zustand des Berges fest und notierte die Beobachtungen in sein Tagebuch.

Der Rossberg - ein unrühmlicher Rekordhalter. Der bekannte, vor kurzem verstorbene Geologe Dr. J. Kopp erkannte anlässlich der Kartierung der Rossbergsüdflanke, die er im Auftrag der Geologischen Kommission der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft ausführte, insgesamt zwanzig grössere und kleinere Bergrutsche. Rund drei Viertel des Südabfalls, begrenzt durch den Rossberggrat einerseits und den Bergfuss andererseits, sind mit Nagelfluh- und Mergelschutt bedeckt, der fast ausschliesslich bei Bergrutschen in prähistorischer Zeit abgeglitten ist. Der aufmerksame Beobachter erkennt, wenn er von Arth zum Gnipen hochschaut, links des Katastrophen-feldes von 1806 einen parallel zu diesem abfallenden, auffallend planen Hang - der nichts anderes ist als die ehemalige Gleitfläche eines vorgeschichtlichen Bergrutsches, die schon längst als Weide- und Wiesland dient.

Diese beiden Bergrutsche erreichen die grössten Ausmasse aller am Rossberg entdeckten Niedergänge. Solche Katastrophen haben sich am Rossberg vermutlich schon ereignet, als sich der Reussgletscher Ende der grössten Eiszeit und in der Würmeiszeit, der letzten grossen Kälteperiode, zurückzog. Überzeugende Beweisstücke liefern die vielen Blöcke von Rossberg-Nagelfluh, die in den Moränenzügen auf dem Walchwiler-und dem Zugerberg stecken.

Selbst der im Knonaueramt beim Bau der neuen Autobahn gehobene, i 50 Kubikmeter grosse Block, der dann nördlich der Verkehrsader deponiert und unter Naturschutz gestellt wurde, ist markanter Zeuge dieser Rossberg-Niedergänge. Auch westlich Birmensdorf verraten die grössten Blöcke ihre Herkunft vom Rossberg und erinnern an späteiszeitliche Bergrutsche.

In historischer Zeit fand ferner der Röthener Bergrutsch im Gebiet westlich des Nolberges ( 1120 m ) statt. Dr. med. K. Zay berichtet nämlich von einem Dorf Röthen, das vor 1354 im Gebiet, wo 1806 die Kapelle von Röthen verschüttet wurde, gestanden habe. Dieses sei, wie Staatsarchivar Dettling urkundlich nachwies, 1222 zerstört worden. Dasselbe schwere Schicksal erlitt die neu erstandene Siedlung im Jahre 1806.

BERGSTURZ ODER BERGRUTSCH?

Dr. J. Speck, der bestens bekannte Geologe und Kantonsarchäologe des Kantons Luzern, betont Parallelen zwischen einer Schneebrettlawine und einem Bergrutsch Schema des Anbruches einer Schneebrettlawine Rammprofil Abgerissene Schichten'Gleitschicht ( Schmier-oder Rollschicht ) "

Stehengebliebene Schichten immer wieder, dass die Katastrophe von Goldau nicht als Bergsturz, sondern als Bergrutsch zu bezeichnen ist, obschon in der Literatur, sei es beim Altmeister der Alpen-Geologie, Albert Heim, oder im umfassenden Werk von Dr. med. Karl Zay, betitelt « Goldau und seine Gegend, wie sie war und was sie geworden », und im lesenswerten Buch von Josef Nikiaus Zehnder « Der Goldauer Bergsturz » immer wieder von Bergsturz die Rede ist. Grundsätzlich ist das Rossberger Ereignis nichts anderes als ein Bergrutsch, dessen mechanische Kräfte denselben physikalischen Grundge-setzen unterliegen wie jene beim Entstehen eines Schneebrettes.

1 Die Gleitschicht ( grobkörnig, locker ) zeigt kleinen Rammwiderstand 20406080100 Rammwiderstand w in kg Damit eine Schneebrettlawine losbrechen kann, müssen zunächst einmal am geneigten Hang Schneeschichten, die verschieden mächtig sind und sich qualitativ voneinander unterscheiden, entstanden sein. Je nach Schneequalität ist die eine Schneeschicht feinkörnig, die andere grobkörnig, wobei jede für sich einen anderen Widerstand aufweist. Die Schicht, in der die einzelnen Schneekristalle schon eine starke Umwandlung erfahren haben und die Bindung zu den anderen Schichtpaketen nur mehr lose ist, bildet die Gleitfläche.

An jener Stelle, wo der Hang in einer Krete oder einem Grat seinen Abschluss findet, liegt das eigentliche Spannungsfeld, die Zugzone. Wenn nun der Zug zu gross wird, brechen die Schnee- Horizontales Gelände Sämtliche Punkte der Schneedecke bewegen sich heim Setzungsvorgang senkrecht nach unten Schneeoberfläche vor der Setzung Schneeoberfläche nach der Setzung schichten bis zur Gleitfläche durch - es entsteht die typische Abrissnische - und rutschen dann auf dieser in die Tiefe. Die Fläche, auf der das Schneebrett abgleitet, ist unten begrenzt durch den Stauchwall, das heisst jene Grenze, wo der Hang sich nach unten verflacht und sich deshalb — im Gegensatz zur Zugzone - eine Druckzone bildet. Über diese Grenzlinie, den Stauchwall, wird nun das ganze Schneebrett geworfen und dabei in unzählige Blöcke zerschlagen.

Genau dieselben Erscheinungsformen lassen sich im Goldauer Bergrutschgebiet feststellen. Oben, am Gnipen ( 1558,6 m ), ist der senkrecht zur Gleitfläche stehende Abriss, der seitlich begrenzt ist durch die an Ort und Stelle verbliebenen Schneehier gewaltigen Nagelfluhsowie Geneigte, rauhe Bodenoberfläche Es findet kein Gleiten der Schneedecke auf der Unterlage statt Bewegung in Hangrichtung Kriechweg Setzung OÌ Geneigte, glatte Bodenoberfläche Die Schneedecke gleitet als Ganzes langsam auf ihrer Unterlage Schema einer Schneebrettlawine Spaltenbildung Die abgegl ttene Schicht zerbricht in Schollen und bildet den Lawinenkegel weniger dicken Mergel- und mergeligen Sandsteinschichten. Die Gleitfläche besteht aus einer graugrünen Mergelschicht, auf der die mächtigen Schichtpakete wie auf einer mit Schmierseife eingefetteten Fläche abgerutscht sind; weiter unten, etwa auf der Höhe von 940 Metern, liegt der Stauchwall, wo sich die Schichtpakete wohl überschlagen haben und in kleinere und kleinste Blöcke zerschlagen wurden. Die Bezeichnung Bergrutsch ist also absolut berechtigt, wenngleich sich der Begriff Bergsturz weiterhin im Volksmund und in der Literatur halten wird.

Was ist ein « Bergsturz »?

In der Tat ist es nicht leicht, eine Definition über « Bergstürze » zu finden, da solche in der Literatur selten erwähnt sind. Im Jahrbuch des Schweizerischen Alpenklubs, 18.Jahrgang, 1882-1883, hat unser Altmeister der Geologie, Prof. Dr. Albert Heim, einen ausführlichen Bei- Anriss steht senkrecht zum Jiang Unterhalb des Stauchwalls liegt die Gleitfläche nahe der Schneeoberfläche oder ist mit ihr idenlisch trag über den Bergsturz von Flims publiziert. Er geht darin auch etwas auf die Mechanik eines Bergsturzes ein und schreibt darüber folgendes:

« Jeder Bergsturz hat sein Abrissgebiet, wo er herkommt, seine Sturzbahn und sein Ablagerungsgebiet. Wir haben bisher nur das Ablagerungsgebiet betrachtet.

Das Gestein hat sich durch Abbruche quer zu den Schichten getrennt und ist dann in der Richtung der Schichten geglitten und gestürzt. Dass wie bei Goldau Durchweichungen von Mergellagern wesentlich mit im Spiele gewesen sei, ist bei dem Gesteinsbau dieses Gebietes nicht wahrscheinlich, wir müssen die Ursache mehr in Untergrabung durch die Talbildung suchen. Der Flimser Bergsturz war, wie die Schichtlagen im Abrissgebiet und die grösseren im Ablagerungsgebiet gebliebenen Schichtfetzen zeigen, nicht reiner Felssturz, er war noch mehr Felsschlipf. » Er unterscheidet demnach zwischen « reinem Bergsturz » und « Felsschlipf » ( Bewegung abgleitend, Schicht auf Schicht ).

Dieser entspricht also dem Vorgang, wie er sich am Rossberg abgespielt hat. Da man jedoch unter « Schlipf » das Abgleiten von Erdreich versteht, ist der Ausdruck « Rutsch » zutreffender. Im gleichen Jahrbuch findet sich eine Abhandlung über den Bergsturz der Diablerets, verfasst von Fr. Becker. Auch dieser Autor gibt eine kurze Definition über die Mechanik eines Bergsturzes:

« Fragen wir uns noch nach der wahrscheinlichen Ursache des Sturzes oder der Stürze - denn solche gab es viele, ausser den zwei grossen, entsprechend den Sagen von den Schlachten zwischen den Walliser- und Waadtländerteufeln - so finden wir dieselbe in dem geologischen Bau des Diableretsmassivs. Dasselbe verdankt seine Höhe und Form dem Übereinanderschieben der Gesteinsschichten, und die Faltungen sind an vielen Stellen sehr deutlich sichtbar.

Nach den Angaben von Herrn Professor Renevier biegen an jener Stelle wirklich die Schichten scharf um, wobei auch der innere Zusammenhang des Gesteins selbst gelockert worden ist. Wir beobachten ja bei ähnlichen Biegungen im nämlichen Gestein an andern Orten ein vollständiges Ablösen der einzelnen Gesteinslagen, so dass oft weite Zwischenräume und Klüfte entstehen. Die Schichten, die sich an der Abbruchstelle wie Schalen übereinander gelegt, mit der convexen Seite nach Aussen, verloren nun entweder durch stärkeres Verwittern ihres Auflagers oder vielleicht durch die Einwirkung des von oben durch die Klüfte eindringenden Wassers ihren Halt und stürzten zu Thal. » Überdies lassen sich auch dem geologischen Profil die mechanischen Vorgänge des Diablerets-Bergsturzes entnehmen. Somit möchte ich festhalten, dass sich beim Bergsturz Felsmassen ablösen, deren Abriss im rechten, spitzen oder schiefen Winkel zu den Schichten des Berges steht, während beim Bergrutsch die Felsmassen parallel zu den Schichtpaketen des Gebirgsstockes liegen und nun auf diesen abgleiten.

Prof. Dr. Albert Heim präzisiert in seinem Beitrag auch den Bergsturz in seinen weiteren Ausführungen, wie den nachfolgenden Zeilen entnommen werden kann.

« Mit fortarbeitender Verwitterung schuppt sich meistens Rinde um Rinde in kleineren Fetzen ab. Allein so gewaltig der Flimserbergsturz ist, so ist er doch nicht der Einsturz eines ganzen Berges, auch er hat keine klaffende Lücke in den Hauptkamm geschnitten, auch er ist nur das Abschälen eines im Vergleich zur ganzen Bergmasse kleinen Stückes - ein , nicht der Sturz des Berges selbst. » Er bemerkt zu Recht, dass es sich also nicht um einen Sturz des Berges, sondern um einen Sturz vom Berg handelt. Somit müsste auch der Ausdruck Bergsturz präzisiert werden und zwar in dem Sinne, dass an die Stelle von Berg Fels zu setzen wäre.

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