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Der künstliche See (Lac de Barberine)

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

( Lac de Barberine ) 1 ).

Von Oskar Erich Meyer.

Im Regen waren wir über die Ebene von Salanfe gezogen, hatten den Col d' Emaney überschritten und stiegen, begierig, jenseits den See in der Tiefe zu sehen, die letzten Hänge zum Col de Barberine empor. Aber die Höhe hatte den Regen in Schnee verwandelt, den uns ein kalter Wind ins Gesicht trieb. So liefen wir, dem Wetter zu entrinnen, die verschneiten Schieferhänge hinab. Erst als wir den unteren Rand des Nebels erreichten, blieben wir stehen. Unwahrscheinlich hoch sah durch eine Wolkenlücke ein neuschneeschimmernder Gipfel herein. Zu unseren Füssen aber, von Schatten verhangen, düsterte der See.

Zur Linken verbarg ein grüner Rücken die künstliche Mauer, hinter der sich die Wasser stauten. Kein Zeichen deutete an, dass die weite im Winde gekräuselte Flut ein Werk des Menschen sei. Dennoch blieb ein Gefühl der Fremdheit.

Je tiefer wir kamen, um so weiter dehnte die Flut sich aus. Sie plätscherte leise an den alten Gletscherschliffen, sie schmiegte sich weich in die Buchten des Tales hinein und legte sich schirmend um Vorgebirge.

Ein lichterer Augenblick zeigte den Glacier des Fonds am Ende des Tales. Blendend weiss schimmerte der Gletscher. Hinter ihm baute der Mont Ruan seine düsteren Wände in die Wolken hinein. Drunten der See aber nahm das zitternde Bild mit seinem dunklen Auge auf.

Nordische Landschaft. Schiebt das Meer einen Fjord in das Hochgebirge hinein? Und dehnt sich droben im Nebel die weisse Fläche des FjeldFremd ist das Bild im Bau der Alpen, so fremd wie ein gotischer Turm auf jonischem Tempel.

Eine stümpernde Hand griff in den Bauplan der Natur. Leise formt sie nach ihren Gesetzen. Wölbt aus Meerestiefen die Falten auf und bildet aus ihnen mit vielerlei Mitteln den Berg: Sie sprengt mit dem Meissel des Frostes den Stein, zersetzt und löst den Fels; hobelt hier mit fliessendem Eis den Grund, arbeitet dort Giebel und Turmzierate heraus; verströmt die Wasser, schutt- beladen, im freien Land oder staut sie zu Seen auf. All ihr Wirken, all ihr Weben aber greift feinmaschig ineinander, eines das andre bedingend, keines für sich bestehend.

All ihr Werk ist Werden. Auf keinen Anfang gegründet, nach keinem Ende strebend. Sie spielt wie das Kind im Sand: Burgen bauend und zerstörend. Berge hoben sich auf, Berge verrieselten im Sand; Seen wurden zu träumenden Mooren, Moränenwälle zu müden Schotterfeldern.

Jeder Eingriff von aussen zerreisst die Kreise des Werdens; ist wie ein plumper Fuss im Sande des spielenden Kinds.

Wir schritten auf breitem Höhenwege unter dem Six Jeur entlang, schauten hinab in die grüne Tiefe des Tales von Vallorcine und hoben den Blick zwischen lichten Lärchenwipfeln zum leuchtenden Weiss des Mont Blanc. Das alles versank, als wir hinuntereilten zum alten Weideboden von Emosson. Drüben, über uns, drohte die Mauer. Hinter der Mauer, unsichtbar, stand die Flut.

Fühlst du, wie sie drängt und drückt, gegen den Fremdkörper auf ihrem Weg? Die Mauer stemmt sich von Berg zu Berg, stemmt sich auf steinigen Grund und hält. Rechnend siegte der Mensch. Den Blick auf Reihen von Zahlen gebeugt, stellte er gegen den Wasserdruck dreifache Mauerkraft. Sicher seines Siegs, spie er dem geknebelten Feind Verachtung ins Gesicht: Achtlos Hess er den Abfall der Arbeit zurück: die Masten der Schwebebahn, die Schienen auf grünem Grund.

Doch hinter der Mauer droben lauert die Kraft, lächelt gelassen die Natur: Eines vergassest du, rechnender Mensch: Ich habe Zeit. Und knechtest du mich tausend Jahr — ich siege im tausendundersten. Ich habe Berge erniedrigt und wieder erhöht. Heut steht deine Mauer. Was ist sie morgen? Ein rollender Stein im Strome der Zeit, vom Wasser zermahlen, achtlos ins Meer geschwemmt. Sieh meine Bächlein droben, die aus dem Gletscher springen: Sie murmeln alle dasselbe Lied: Wir haben Zeit. Wir wirken mit leisen Händen, wir wirken langsam in die Zeit. Wir höhlen den Stein, wir häufen den Schutt, wir nagen den Fels. Wir feilen in den Ritzen des Mauerwerkes. Siehe, schon trieft es zwischen den Quadern! Verstopfe die Ritzen, ohnmächtiger Riese! Wir haben Zeit.

Ich kam von der Höhe herab und rührte an das Ufer des Sees. Strandlos tauchte der Hang in die Flut. Kein Geheimnis wohnt auf ihrem Grund. Ich sehe noch immer das alte versunkene Land. Dort unten liegt Barberine. Mehrarmig plätschert der Bach auf dem blühenden Boden der Alp, rauscht zwischen Inseln aus grauem schiefrigem Schutt. Vielstimmig klingen die Herdcnglocken, und eines Hirten rauher Ruf verliert sich suchend über die Weiden. Dort drüben im Winkel träumen die alten Hütten. Bläulicher Rauch quirlt durch die Ritzen des Mauerwerkes. Gespenstisch schiebt sich das Bild vor die Gegenwart. Glasklar wird meinem Auge der See. Siehst du Barberine auf dem Grunde der Flut?

Da lös ich die Ketten des Kahns und treib ihn rudernd hinaus auf den See, gleite gespenstisch über die Alp. Und siehe, dort unten, das Seil um die Schultern, den Pickel unterm Arm, schreite ich selber dahin, springe mit langen Sätzen über den Bach und steige die firnerfüllte Fendue in Stufen hinauf, die das Eisen höhlt. Steige und steige — ich sehe mir selber zu — nun muss ich bald durch den Spiegel des Sees in die Gegenwart stossen, nun muss ich mir selber ins Angesicht sehen — ein Windstoss kräuselt die Flut, dunkel zergeht das Bild.

Nun weiss ich: Der Spiegel des Wassers scheidet zwei Leben, die ich gelebt, geschieden durch eine lange Nacht. Einst lebt ich dort unten auf sonniger Alp — jetzt gleit ich hier oben dahin. Dazwischen dunkelt die Flut, die Nacht. Nur manchmal spinnt der Traum sein Gerank aus einem Leben ins andre, nur manchmal ahnt das Auge den Grund.

Es gibt verwunschene Alpen, die unter dem Eise schlafen — Barberine schläft unter dem See: Zum Traumland geworden, das keiner erwandert, zur Sage geworden, die jeder ersehnt, zum rühmenden Hirtenlied.

Berichtigung zu « Christian Klucker »

in « Die Alpen » 1931, Seite 6, Absatz 2.

Ich hatte die Stelle in Güssfeldts Darstellung seiner Besteigung der Aiguille Noire de Peuterey unrichtig ausgelegt. Der Satz « als ob er ganz allein auf der Noire gewesen » ist zu streichen.

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