Der Tolima, 5620 m, in Kolumbien | Club Alpin Suisse CAS
Soutiens le CAS Faire un don

Der Tolima, 5620 m, in Kolumbien

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von Kaspar Golay.

Der Tolima ist ein erloschener Vulkan und die höchste Erhebung Ko-lumbiens. Er ist wohl der am weitesten im Landinnern gelegene Vulkan Südamerikas. Nach « Nouvelle Géographie, La Terre et les hommes » von Elisée Reclus ( Tome XVIII, Les régions Andines ), soll er nur 5000 m hoch sein. Da aber von den bisherigen Forschern keiner bis zur Spitze gelangte, so ist diese Angabe erklärlich. Ich habe das Mittel aus zwei sehr guten Aneroidbarometern genommen und dabei die Zahl 5620 erhalten 1 ). Wie aber jeder Bergbesteiger weiss, sind Aneroidmessungen nie ganz genau. Eine unbedingte zuverlässige Höhenmessung konnte ich leider nicht vornehmen, da der mir vom Direktor des Observatoriums von Bogotà versprochene Hypsometer im letzten Augenblick nicht erhältlich war.

Der Tolima hat die charakteristische Gestalt eines erloschenen Vulkans. Soviel mir bekannt, ist der letzte Ausbruch im Jahre 1826 erfolgt. Anno 1595 soll eine ungeheure Eruption stattgefunden haben. Die ganze Schnee-und Eisdecke soll damals geschmolzen sein, und die reissenden Gewässer im Verein mit dem Auswurfmaterial sollen furchtbare Überschwemmungen verursacht und das Hochwasser bis Hagué hinunter geführt haben.

Seine konische Gestalt, die Spitze scharf abgeflacht, eine Kuppe bildend, winkt an hellen Tagen gar einladend dem sehnsüchtig blickenden Bergsteiger zu. Für den in Bogatà lebenden Wanderer ist der Tolima ziemlich weit entfernt, denn er liegt in der Penhaccordillere der Anden und scheidet die Gewässer, die dem Cauca zufliessen, von denen, die dem Magdalenatal zueilen. Man wird leicht begreifen, dass ich bald in Tolimas Banne lag und nur die erste beste Gelegenheit abwartete, ihn anzugehen.

Am 8. August 1922 wurde der erste Versuch gewagt. Er missglückte, und etwas niedergeschlagen kehrten wir nach Hause zurück. Wir waren bis auf zirka 5200 m Höhe gelangt, dann aber durch eintretendes, heftiges Schneegestöber, eisige Kälte und einen zum Orkan anwachsenden Wind zum Rückzug gezwungen worden. Auch war schon in der ersten Nacht, als wir am Paramo lagerten, 40 cm Neuschnee gefallen, was den Aufstieg über einige ziemlich steile Eishänge sehr erschwerte. Der Einstieg wurde auf der Südseite unternommen, anstatt auf der Nordseite. Wir verloren viel Zeit und hatten grosse Mühe, bis wir über einen hundert Meter hohen, sehr steilen Gletscherabsturz, der noch mit feinem Pulverschnee bedeckt war und in eine zirka 20 m hohe Wand ausmündete, hinaufgeklettert waren.

Wir hatten auf dem Sturzgletscher, der sich oben mehr abflacht, schon eine weite Strecke hinter uns, als ein einbrechendes Unwetter uns zur Umkehr zwang.

Durch den ersten Versuch gewitzigt, begann ich nun, den Tolima ganz genau zu studieren, wenn dies auch von weiter Ferne aus geschehen musste. Ich stellte dabei folgende Beobachtungen fest: Nebelfrei ist die Kuppe sehr selten. Von Bogotà aus gesehen, kaum zehn Tage im Jahr. Und dies trifft nicht an hellen Tagen zu, sondern an jenen Tagen, da der Himmel mit einem feinen, aschgrauen Schleier behangen, die Atmosphäre aber eher klarsichtig ist. Aber wie gesagt, dies ist ein seltener Fall. An ganz hellen Tagen ist der Tolima bis 10 Uhr morgens unbedeckt, dann aber verschwindet sein Haupt hinter einer bleifarbigen, dichten Wolkenwand. Diese kleine Beobachtung ist für den Bergsteiger wichtig, denn praktisch hat es sich bei uns erwiesen, was nach 10 Uhr morgens am Tolima vorgeht. Von Minute zu Minute stellen sich Schneegestöber, Kälte und Wind ein, die für den Besteiger, zumal für den ohne gute Karte, besonders fatal werden können. Auch bemerkte ich an diesen Tropenbergen, dass sich sofort Lawinen und Steinschlag einstellen, auch wenn die Sonne nur kurze Zeit scheint. An der Schneegrenze ( 4800 m ) vorbeiziehend, lässt sich diese Gefahr leicht ermessen. Mächtige Steinblöcke liegen so lose, dass man sie mit blosser Hand ins Rollen bringen kann. Wir kommen zum Bewusstsein, dass wir uns nicht in unseren Schweizerbergen befinden, sondern auf einem Vulkan mitten in den Tropen. Vor Steinschlag und Lawinen habe ich mich sonst nicht besonders gefürchtet, aber hier am Tolima, ich will 's offen gestehen, zitterte ich an allen Gliedern ob diesem furchtbaren Donnergetöse. Obendrein zerfällt das Gestein zu feinem Pulver, ein eigentümlicher Schwefelgeruch macht sich bemerkbar und erschwert einem das Atmen. Die Schnee- und Temperaturverhältnisse sind hier ganz andere als in der Schweiz. Was uns bei der ersten Expedition sehr fehlte, war ein Zelt. Man denke sich unsere Lage: drei Tage und drei Nächte in 4600 m Höhe, ohne Schutz und Schirm vor Wind und Schneegestöber! Auch war es wegen des starken Windes unmöglich, eine warme Suppe oder Tee zu kochen. So viel von der ersten Expedition. Ein halbes Jahr darauf wurde die zweite Tolimafahrt unternommen.

Diesmal wollten wir besser gewappnet den Tolima angreifen. Alberto Babtiste begleitete mich von Bogotà aus, und in Hagué stiessen zwei andere Freunde zu uns. Wir hatten uns Steigeisen und gute Bergstöcke gemacht. Die Spitzen zu den Bergstöcken hatten wir uns aus alten Wasserleitungs-röhren gebaut. Hier in Kolumbien heisst es eben in allem: « Mensch, hilf dir selber. » — Vaters alter Offizierskoffer, der auch nicht mehr tropenfest war, musste als Proviantkiste herhalten, bis auf 4800 m Höhe.

Am wunderschönen Morgen des 10. Januar 1923 standen wir auf dem Bahnhof der Sabana, umgeben von Freunden, und warteten mit Sehnsucht auf die Abfahrt. War das ein Lärmen, eine Aufregung, ein Lachen und Spassen, ein Abschiednehmen mit und ohne Tränen! Ja, wir haben Hochsommer, Ferien. O schöne Zeit! Alle Bogotaner sind fein herausgeputzt. Wer sich 's leisten konnte, hat sich in ein neues Kleid gestürzt. Die schönen, jungen Madonen, die leider der Sitte pflegen, ihr zartes Gesicht mit Puder dick zu bestreichen und wie bemalte Puppen auszusehen, aber wunderbar funkelnde Augen haben, gehen in die « Sommerfrische ». Man ist hier gewohnt, das kalte Klima mit milderem zu vertauschen, denn das Höhenklima von Bogotà, 2640 m, zehrt bei längerem Aufenthalte an Geist und Körper. Wem die Mittel es erlauben, macht daher jedes Jahr eine kleine Erholungsreise ins heisse Land hinein.

Hagué ist die Hauptstadt des Tolimagebietes, liegt 1200 m hoch und hat ein wunderbares Klima. Steil enden hier die letzten Ausläufer der Kordilleren, und eine endlose Steppe nimmt ihren Anfang. Das Städtchen macht einen sauberen, netten Eindruck. Nun hatten natürlich unsere Freunde schon die ganze Stadt alarmiert. Alles wusste von unserer Unternehmung. Ja, viele wussten darüber schon mehr als wir selber.

Am 14. Januar, morgens 7 Uhr Abmarsch. Der Himmel war stahlblau. Die Karawane bestand aus vier Mann auf Maultieren, zwei Arieros ( Treiber ) und zwei Lasttieren. Ein kühler Wind empfing uns, als wir in ein tiefeingeschnittenes Tal des Combeimas einbogen. Hier fanden wir überall Leben und Bewegung in den Kaffeeplantagen. Die Leute scheinen hier wohlhabend zu sein. Auch ist alles sehr sauber eingerichtet. Wiederholt sah ich Frauen an einer Singermaschine arbeiten. Die jungen Mädchen sind meist von schönem, schlankem Wuchs, von hellbrauner Farbe, haben rabenschwarzes Haar, eher feinen Gliederbau und schöne, periweisse Zähne. Ihr Gang ist elastisch.

Oftmals galt es, den Fluss zu kreuzen. Auf beiden Seiten des Tales gedeihen wohlgepflegte Kaffeebäume bis weit hinauf. Der Weg ist ganz gut. Wir ritten so scharf, dass unsere Lasttiere kaum nachkamen. Nach drei Stunden erweiterte sich das Tal ein wenig, und in einem dunkelgrünen Wiesengrunde lag ein nettes Blockhaus vor uns. Es war das Haus eines reichen Farmers, dem von hier aus das ganze Tal bis zum Paramo des Tolima gehört, ein Landstrich von mindestens der Grösse des Kantons Genf. Wir wurden gar herzlich aufgenommen und zum Mittagstisch geladen. Ein gut eingerichtetes Elektrizitätswerk gehört unserm Gastgeber und versorgt das ganze Tal sowie Hagué mit Licht. Wir überschritten abermals den Com-beima über eine gute Holzbrücke und folgten dem Flussbett. Der Wald hat aufgehört, an den steilen Abhängen erscheinen Wiesen. Weit oben erblickten wir ein dunkelgrünes Maisfeld. Das Tal wurde nun so eng, dass man glaubte, Weg und Steg müssten hier aufhören. Wir kamen zu einer armseligen, altersschwachen Holzhütte. Federvieh und eine hässliche, misstrauische Alte standen davor. Wir wollten ihr gerne zwei Hühner und einen Truthahn abkaufen. Umsonst. Sie verlangte zuviel und redete zu laut. Wir zogen weiter auf einem sehr schlechten, auf sumpfigem Grund angelegten Weg. Bald öffnete sich eine neue Schlucht. Der Fluss rauschte etwa 300 m unter uns. Der Weg ist stellenweise im Felsen eingehauen. Nach drei Stunden begann ein Hochwald, der zwar nicht so mächtige Bäume aufwies wie der Urwald, aber wie dieser keinen Durchgang gestattete. Wir mussten uns an den Waldrand halten. Gegen 5 Uhr abends richteten wir uns auf einem kleinen sumpfigen Plateau in einer Hütte häuslich ein. Nach getaner Arbeit rauchte jeder sein Pfeifchen. Plötzlich wollten zwei Männer, mit Gewehr, Revolver und langem Faschinenmesser bewaffnet, in unsere Hütte eindringen. Wie auf Kommando griffen wir unsererseits auch zu den Waffen. Auf meine Frage nach ihrem Begehren wurde mir von den Unbekannten die Frage gestellt, ob wir Wilderer seien. Wir verstanden diese Frage nicht. Nach weiterer Aussprache sahen wir uns folgender Anklage schuldig: Aus Versehen hatten wir vergessen, auf unserer Wanderung das Türchen einer Umzäunung, die zwei Wiesen trennte, zu schliessen. Das liebe Vieh hatte die Gelegenheit ergriffen und war abgezogen. Nachdem wir versichert, dass keinerlei böse Absicht unsererseits vorgelegen, wurden wir bald gute « amigos ». Lange blieben die zwei Kerle bei uns, und als sie endlich gegangen, trat ich nochmals vor die Hütte. Der Glanz der Gletscher leuchtete zu mir herüber. Der Himmel war übersät mit Sternen, sie schienen noch heller zu leuchten als die in der Heimat. Kein Laut, kein Lüftchen regte sich. Tief unter mir der schweigsame Hochwald. Gedanken an die ferne Heimat durchzogen mein Gemüt, ich fühlte mich tief einsam und verlassen.

Was sah ich am Morgen des 15. Januars? Vom Tolima nichts, vom Urwald nichts. Nur dichter, feuchtkalter Nebel brandete mir entgegen. Bald waren die letzten Vorbereitungen für unsere Bergfahrt getroffen. Von hier aus mussten wir uns den Weg selber bahnen. Wohl führte ein schmaler Indianerpfad durch den Urwald nach dem Paramo, aber der war von Gestrüpp so dicht überwuchert, dass man kaum durchkam. Vier Maultiere nahmen wir mit; zwei waren beladen, zwei dienten als Reserve. Um 7 Uhr brachen wir auf. Schweigend, fast ängstlich, traten wir in den Urwald ein. Mühsam und steil unser Pfad. Bald mit der Axt, bald mit dem Faschinenmesser galt es, einen Weg zu bahnen. Überall Fäulnis und Verwesung. Sumpfiger Boden und kleine Bäche erschwerten den Aufstieg. Die Maultiere sanken bisweilen im weichen Boden bis zur Brust ein, so dass wir sie absatteln und die Last streckenweise selber tragen mussten.

Wir waren beständig von dichtem Nebel umgeben. Es regnete ganz fein. Hoch oben am Paramo ist baumloses Flachland, und da werden die Tiere uns gute Dienste leisten. Manchmal fielen die Tiere, dann konnten sie vor Erschöpfung nicht mehr aufstehen, ohne dass man die Last löste. Hie und da griffen wir nach dem Stock, es half, wenn es einem auch leid tat. Der Fehler, für diese schlechten Wege diesmal nicht Ochsen genommen zu haben, rächte sich nun bitter. Bei solcher Wegsame ist der Ochse, der geduldig von einem Sumpf in den andern stampft, das einzige Tier, das aushält.

Meine Kameraden waren weit voraus und liessen den armen José und mich mit den Maultieren im Stich, denn sie behaupteten, vom Verkehr mit Maultieren nichts zu verstehen. Ich glaube aber, dass sie schon genug am eigenen Maultier hatten. Gut, dass José der richtige Maultiertreiber war, der sich vor keinen Strapazen scheute. Wie wir Gepäck und Tiere den letzten steilen Hang hinaufbrachten, will ich nicht beschreiben. Sicherlich brauchten wir gegen drei Stunden für eine Strecke Weges, die man sonst in fünfzehn Minuten zurücklegt. Der Paramo ist eine Hochebene zwischen 3000—4800 m. Hier ist nur spärlicher, dünner Graswuchs zu sehen. Auffällig ist eine eigenartige, bis 3 m hohe, dünnstengelige, gelbkronige Pflanze ( frailejon ). In der Dämmerung sahen diese Pflanzen wie Männergestalten aus. Man kann aus ihnen Terpentin gewinnen. Die Blätter sind flaumig, wie Plüsch anzufühlen.

Meine Freunde froren vor Kälte und Nässe und benahmen sich ganz apathisch, was mich nicht verwunderte, denn für sie war es das erstemal in ihrem Leben, dass sie durch Urwald gegangen und den Paramo gesehen. José und ich waren schon eher an solche Strapazen gewöhnt. « Mister, » sagte er, « con Ud voy hosta donde quiera. » Noch immer steckten wir in feinem Nebel. Alles still und lautlos. Diese Stille übertrug sich auch auf unser Gemüt. Kaum ein Wort wurde gesprochen, selbst die Tiere liessen die Ohren hangen und zogen fast lautlos dahin. Wir glichen schon eher einem Totenzug. Wie die Natur Macht über uns Menschen hat! Ein Lager aufschlagen durften wir noch nicht, denn hier gab es kein Wasser. Und da der Tolima heute ohne Sonne war, befürchtete man, kein Wasser zu finden. Hauptsächlich der Tiere wegen. Ein ordentlich guter Weg führte uns nun rascher voran. Der Boden war noch sumpfig, aber doch besser als im Wald. Gegen 5 Uhr abends hörte José, und sein gutes Indianergehör täuschte ihn nicht, fernes Wasserrauschen. Eilend, fast springend, erreichten wir eine Stelle, wo mächtige Lavablöcke lagen. Hier murmelte ein kleiner Quell ein lustig Liedlein. Unterdessen hatte ein beissender, schneeiger Wind eingesetzt. Das Thermometer sank auf —2°. « Das kann eine lustige Nacht werden, besonders für unsere armen Tiere. » Wir erstellten ein gutes, warmes Nachtlager, wozu uns die samtenen Blätter der frailejons dienten. Die Tiere wurden 100 m vom Zelt in einer kleinen Schlucht angebunden und erhielten eine tüchtige Ration Mais und Roggen. Um 6 Uhr abends trat innert einer knappen Viertelstunde die Dämmerung ein. Wir waren stets in dichtem Nebel. Glücklicherweise hatten wir einen Sack Holzkohle mitgenommen; die leisteten uns nun ausgezeichnete Dienste. Eine gute Fleischsuppe, Huhn, Spaghetti, heisser Grog: was willst du noch mehr auf 4200 m Höhe inmitten der Anden!

Noch neugieriger als gestern streckte ich meine Nase durch die Zelt-lücke. Ich « roch » das Wetter; ich war befriedigt. Herrgott, war das aber kalt, alles weiss vom Reif! Das Thermometer zeigt 10° unter Null. Die letzten Sterne erblassten am Tropenhimmel. Über mir war er stahlblau, weiter gegen Osten hellblau. Noch war die Sonne nicht da. Die Eismassen des Tolima blieben in einen auffallend weissen Nebel gehüllt. Im Osten rötete sich der weite Himmel. Der Nebel am Tolima verschwand wie fortgeblasen. Nur der Gipfel behielt eine weisse Haube auf. Unter uns ein 100 km weites Nebelmeer.

Um 9 Uhr brachen wir auf. Es galt heute, ein Zelt an der Schneegrenze, 4800 m, nordseits des Tolima aufzuschlagen. Die Sonne schien so warm, dass wir schwitzten. Mehrmals mussten wir kleinere Schluchten überwinden, die uns weniger des Wassers als des steilen Bordes wegen Schwierigkeiten bereiteten und uns jedesmal zwangen, die Fracht der Maultiere ab- und aufzuladen. Das Wasser dieser Furchen hat wegen seines Schwefelgehaltes eine gelbliche Farbe und beginnt erst gegen 10 Uhr morgens zu fliessen, wenn die Sonne scheint. Es gibt Tage, wro überhaupt kein Wasser kommt.

Erschwerter Atem, beginnende Müdigkeit und Schlafsucht schienen auf Bergkrankheit zu deuten. Meine Freunde wurden still und wortkarg. Ab und zu vermochte der lustige José durch seine Spässe sie doch zum Lachen zu bringen. Der Paramo schien kein Ende nehmen zu wollen. Gegen 4 Uhr abends erreichten wir endlich die Schneegrenze und schlugen sofort unser Zelt auf, bei 4900 m. Dichter Nebel umhüllte uns auch heute abend wieder und hinderte mich, Vorstudien für morgen zu machen. « Gleichwohl soll morgen die Schweizerfahne als erste dort oben aufgepflanzt werden. » Mit diesem Gedanken schlief ich ein. In der Nacht rüttelte heftiger Wind an der Zeltwand.

Morgens 5 Uhr. Meine Nase, noch tausendmal neugieriger, riecht nach dem Wetter, aber verschnupft ziehe ich sie zurück. Feuchter Nebel! Na nu, was machen, was machen? Losziehen? Will mich Herr Tolima abermals narren? Gegen 7 Uhr marschierten wir ab, immer der Schneegrenze entlang gegen Norden, aber nur langsam, denn meine Freunde litten an Atemnot. Fortwährend hörte ich: « Alla Don Casper, mas despacio! » ( Höre, Kaspar, ein wenig langsamer. ) Grosse Lavablöcke lagen am Wege. Dann folgten weite, beschwerliche Geröllhalden, mit feinem Schwefel überdeckt. Oft mussten wir bis zu den Knien im Schwefel schreiten. Der starke Schwefelgeruch betäubte einen fast. Ich erblickte eine grosse, nicht zu steile Gletscherzunge und nahm an, dort sei die richtige Stelle zum Einstieg. Musste aber bald erfahren, dass ich mich geirrt hatte.

Das Wetter war neckisch: blauer Himmel und grauer Nebel wechselten oft. Leider wollte sich der Tolima nicht wolkenlos zeigen, sein Haupt war immer noch mit einer Haube bedeckt. Ich hatte kalkuliert: wenn wir uns morgens 7 Uhr auf den Weg machen und Glück im Einstieg haben, können wir zwischen 9 und 10 Uhr die Spitze erreichen. Aber es sollte ganz anders kommen. Wir seilten uns an, und ohne viele Worte schritten wir vorwärts. Die oberste Schneeschicht war hart, aber unsere « Kolumbia-Eckensteiner » griffen trotzdem gut. So schritten wir zwei Stunden lang ohne Schwierigkeiten voran. Die Kameraden hatten ein wenig Angst, als die erste Gletscherspalte überschritten wurde. Da plötzlich begann über uns ein furchtbares Donnern und Krachen, und nicht weit von uns stürzte eine haushohe Eiswand tosend in die Tiefe. Der Boden zitterte. Oder zitterten nur unsere Beine? Meine Freunde rebellierten und wollten um keinen Preis weiter. Ich behauptete, bald wären wir oben. Wohl wusste ich nun genau, dass hier nicht der beste Weg war.

Eine Stunde später gerieten wir in ein gefährliches Labyrinth. Es war unmöglich weiterzukommen. Auch der Schwefelgeruch wurde immer empfindlicher, und heftige Kopfschmerzen stellten sich ein. Unterdessen war es 10 Uhr geworden. Und nun wiederholte sich das Schauspiel, diesmal nur grossartiger. Unter furchtbarem Donner und Getöse stürzten von allen Seiten Eislawinen nieder, grosse Lavablöcke mit sich reissend. Nie in meinem Leben habe ich den Tod so nahe gesehen, und ein Wunder war es, dass wir ihm entkamen. Ohne auf Gletscherspalten zu achten, rannten wir hinunter. Nun begann auch der Schnee weich zu werden. Der erste Mann fiel, dann der zweite, es folgte der dritte; ich konnte sie nicht mehr halten, und hurtig rutschte die ganze Karawane den steilen Hang hinunter. Es gelang mir, den Bergstock in einen kleinen Gletscherriss zu stossen und das Seil herum zu winden. Der Stock brach zwar durch den Ruck, aber die tolle Fahrt stoppte, und wir waren gerettet, denn nicht so gar weit unten lachte ein Gletschersee.Vorwurfsvoll sagte ich mir selbst: « Dummer Esel, was gehst du mit Leuten in die Berge, die keine Ahnung von den da oben verborgenen Schwierigkeiten haben! » Durst quälte uns, als wir ausser Gefahr auf einer kleinen Geröllhalde standen. Wie tranken unbedenklich von der gelben Schwefelbrühe. Meine Kameraden trieb die unüberwindliche Sehnsucht nach Zelt und sicherem Hort.

Ich liess sie ziehen, machte mich auf, koste es, was es wolle, den richtigen Weg zu finden. Schnee durfte ich nicht betreten, denn es donnerte und rollte noch ununterbrochen weiter oben. Ich wandte mich gegen Nordosten in der Richtung eines spitzen Kegels, der eine stolze Stellung einnimmt. Ich begann zu kettern. Der Fels aus Lava war gut, aber sehr steil. Wenn ich den Kegel erreichte, konnte der heissersehnte Tolimagipfel nicht weit davon sein, denn südwärts vom Kegel zieht sich ein scharfer Grat mit überhängender Wächte nach der Hauptspitze hin. So kletterte ich wohl zwei Stunden lang und war gegen 4 Uhr abends nahe unterhalb der Kegelspitze. Ich fühlte mich sehr müde. Der starke Schwefelgeruch erschwerte das Atmen und erzeugte Brechreiz. Mein Aneroid zeigte 5500 m, also fehlte ja nicht sehr viel. Über mir, wo der Fels aufhörte, neigte sich eine etwa 10 m hohe Wächte herab. Wenn ich diese erreichen könnte! Aber ich musste den Versuch aufgeben, denn mir fehlte die Kraft dazu, und der Tag ging zur Neige. Da ich in der gleichen Richtung nicht mehr zurückzuklettern wagte, querte ich eine kleine « riskutoia » und kam an ein leicht zu begehendes Gletscherfeld. Da fiel mir plötzlich ein: das muss der richtige Weg zum Gipfel sein. Da es aber schon spät war, musste ich mich zur Umkehr entschliessen. Ich trug jedoch eine gewisse Befriedigung in mir.

Als ich den Gletscherrand erreichte, war es bereits 6 Uhr und Nacht geworden. Unser Zeltlager mochte eine Stunde entfernt sein. Dichter Nebel verhinderte ein Weitergehen. Ich kroch unter einen Stein und legte meinen Browning schussbereit vor mich, zur Sicherheit vor « Osos » ( Bergbären ), deren es hier ziemlich viele haben soll. Kümmerlich war mein Mahl: ein Stück trockenes Brot und eine Tablette « Tobler ». In dieser Einsamkeit überfielen mich Gedanken an die Heimat und der Wehmut. Dennoch vermochte ich einzuschlummern, schreckte aber einmal im Schlaf auf und griff unwillkürlich zu der Waffe. Es war aber nur der Wind, des Berges Kind. Ich schaute nach der Uhr: erst 8. Die Helligkeit fiel mir auf. Der Mond war unterdessen aufgegangen. Er schien zwar nur hinter gespensterhaftem Wolkenschleier. Ich feuerte drei Schüsse in die Abendstille hinaus. Nicht lange nachher sah ich jemand auf mich zukommen, es war José, sein Sperber-auge hatte mich bald erspäht. Er war ausgesandt worden, denn im Lager herrschte grosse Aufregung meinetwegen, und man glaubte mich schon verloren. Als ich mit José bei ihnen eintraf und freudig berichtete, der Weg nach dem Tolimagipfel sei entdeckt und morgen gelte es, da wurden alle kleinlaut, keiner wollte mitkommen.

18. Januar 1923. Morgens 4 Uhr. Meine Nase stellt fest: Himmel sternenklar, kalt, nicht ganz gutes Wetter. Die Kameraden sind noch in tiefem Schlaf, als José und ich das Zelt verlassen. José soll mich bis zur Schneegrenze begleiten und dort meine Rückkehr abwarten. Gegen 6 Uhr sind wir am Gletscher, an einer Stelle mit sanfter Neigung. Auf einem Stein finden wir ein Messer, dessen Griff aus Horn ist. Dieses ist durch Zeit und Witterung ganz weiss gebleicht und zerspleisst. Wahrscheinlich sind einmal Indianer auf einem Jagdzug hier vorbeigekommen. Das Schneefeld haben sie aber dabei kaum berührt, denn davor haben Indianer eine grosse Angst. Der Tolima kann « bravo » ( böse, wild ) werden.

José sucht Schutz hinter einem Stein, und ich betrete frohgemut den Gletscher. Es ist genau 630 Uhr morgens. Blendend und nur zu heiss scheint die Sonne. Der Schwefelgeruch ist auf dieser Seite noch störender. Aber was kümmert mich das, ich habe nur einen Gedanken: das ZielDie Spalten werden grösser und breiter. Ich wende mich daher gegen Südosten, einem Schneegrat zu. Sehr müde erreiche ich den Grat erst um 10 Uhr, viel später als ich gehofft. Hier bin ich einem orkanischen Wind ausgesetzt, vermag aber die Spitze des Tolima weit, weit oben zu erblicken. Ich strenge alle Nerven an, aber nach wenigen Schritten muss ich stets fünf Minuten ausruhen. Meine Lungen scheinen vom Schwefel verbrannt zu sein, sie tun den Dienst nicht mehr. Ich bin so schwach geworden, dass ich oftmals hinfalle und ans Umkehren denke. Aber so nahe am Ziele zu sein und zurück? Nein, es muss gehen, wenn auch langsam.

Gegen 1 Uhr mittags komme ich an eine kleine Eiswand und lasse mich erschöpft nieder. Eine furchtbare Angst überkommt mich. Kaum zehn Schritte vor mir tut sich eine grosse Spalte auf. Schnee und Eis ringsum sind so merkwürdig gelb, dass ich mich frage: Sollte der Vulkan noch in Tätigkeit sein? Darf ich es dann wagen, weiterzugehenLange bleibe ich unentschlossen sitzen, dann aber rücke ich entschlossen auf die kleine Wand los. Es geht ganz gut. Zu meinem Ärger stellt sich jetzt Nebel ein und nimmt mir die Aussicht. Um 2 Uhr nachmittags setze ich den Fuss auf die Kuppe, der Tolima ist mein. Mit stolzem Gefühl pflanze ich in der Mitte des Plateaus die kleine Schweizerfahne fest, und mit Wonne trinke ich die Flasche Champagner aus — ganz allein. Meine beiden Aneroide zeigen 5640 und 5600 m, das Mittel ist also 5620 m. Die Temperatur beträgt 35° Celsius. Starker Nordostwind bläst. Gegen Norden sehe ich zwei Eisriesen, den Quindio mit einem See am Fusse und den flachen Gipfel des Ruiz, 5000 m, dann die Kordilleren, bis sie sich im blauen Dunst verlieren. Im Süden liegt die unermessliche Tolimasteppe. Mit dem Feldstecher erkenne ich deutlich den Montserrate. Bei Bogotà glaube ich, da die Sonne direkt darauf scheint, eine Kirche zu sehen. Gegen Westen suche ich vergebens den Ozean, leider ist die Luft zu dunstig und die Entfernung wohl auch zu weit. Gegen Norden sehe ich das liebliche Caucatal und den Caucafluss bei seinem Einlauf in den Magdalenastrom. Ich habe zwar eine gewaltigere Aussicht erwartet. Nach einer halben Stunde Rundschau falle ich in einen kurzen Schlaf. Wie ich erwache, befinde ich mich im Nebel und sehe ein, dass ein längeres Verweilen hier gefährlich werden könnte. Nachdem ich einige Münzen und Daten in eine Blechbüchse verwahrt habe, verlasse ich gegen 3 Uhr den Gipfel. Der Schnee ist weich. Im Eilschritt und mit kurzen Abfahrten erreiche ich die Schneegrenze, wo der treue José meiner wartet. Seine Verwunderung ist gross, er kann es nicht begreifen, dass der Tolima mich nicht verschlungen hat. Und als meine Freunde erfahren, dass ich doch hinaufgekommen, scheinen sie zu bedauern, nicht mit gewesen zu sein. Ich schlafe ununterbrochen 18 Stunden, ein Zeichen, wie nötig ich den Schlaf hatte.

Am 23. Januar 1923 zogen wir wieder in Hagué ein, sonnverbrannt und verwettert, aber glücklich und froh.

Anmerkung: Die Bilder, welche der Verfasser dieser Schilderung beigelegt hat, sind so undeutlich, dass sie sich für eine Wiedergabe nicht eignen. Man merkt, dass Golay viel unter Nebel zu leiden hatte. Schade, denn durch zuverlässige Aufnahmen hätte der Artikel wesentlich gewonnen.

Feedback