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Die Alpenreisen des Professors Oswald Heer

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Samuel Blumer, Wädenswil

Die Erschliessung der Schweizer Alpen begann mit den Forschungsreisen der Naturforscher. Sie wurde im 18. Jahrhundert durch Johann Jakob Scheuchzer und Albrecht von Haller eingeleitet, doch wanderten diese hauptsächlich aufgebahnten Wegen. Der erste, der in die Schnee- und Eisregion der Alpen eindrang, war der Genfer Physiker und Geologe Horace-Bénédict de Saussure, der 1787 den Mont Blanc bezwang.

Im 19. Jahrhundert waren es zuerst die Geologen und Glaziologen Hugi, Agassiz und Désor, die unsere Kenntnisse von den Hochalpen und ihren Gletschern erweiterten. Der Geologe Arnold Escher von der Linth durchreiste die Alpen nach allen Richtungen. Weitere Pioniere in der Erforschung der Schweizer Alpen waren zu dieser Zeit Bernhard und Gottlieb Studer, Melchior Ulrich und etwas später Edmund von Fellenberg.

Einer der bedeutendsten Alpenforscher dieser Zeit war der vielseitige, weltberühmte Professor Oswald Heer. Er wurde in Niederuzwil ( St. Gallen ) als Sohn eines Pfarrers, der später in Matt im glarnerischen Sernftal wirkte, geboren. Hier verbrachte der junge Oswald Heer eine glückliche Jugendzeit. Unter Anleitung seines Vaters lernte er nicht nur die alten Sprachen, sondern er wurde auch in die Mathematik eingeführt. Mit seinem Vater zusammen bestimmte Oswald Heer trigonometrisch die Höhen der Berggipfel in der Umgebung von Matt und verglich die Resultate mit der barometrischen Höhenmessung. Als 14jähri-ger Knabe legte er eine Käfer- und Schmetterlingssammlung an, und mit 17 Jahren dehnte er seinen Sammeltrieb auch auf die Pflanzenwelt aus.

Auch nach der Konfirmation blieb Oswald Heer noch in Matt und wurde von seinem Vater für den Eintritt in die Universität vorbereitet. In dieser Zeit stellte er zudem jahrelange meteorologische Beobachtungen an. An schönen Tagen zog der Vater mit seinen Söhnen auf die Höhen des Sernftales, und es gab schon damals kaum eine Alp, auf der Oswald Heer nicht nach Insekten und Pflanzen gesucht hätte. Auch ausgedehntere Ausflüge, z.B. über den Segnespass nach Chur und über Ragaz, Pfäfers und den Kerenzerberg zurück nach Matt, wurden durchgeführt, selbstverständlich alles zu Fuss.

Im Herbst i 828 reiste Oswald Heer im Postwagen und, wenn es das Wetter erlaubte, zu Fuss nach Halle, wo er nach zwei Wochen eintraf, um an der damals berühmten Universität das Theologiestudium zu beginnen. Daneben vertiefte er sich immer mehr in das Studium der Naturwis- senschaften. Oft wurde er von Zweifeln geplagt, welche Richtung er einschlagen sollte, trat er doch in persönlichen Kontakt mit zahlreichen bekannten Professoren der Naturwissenschaft. 1831 schloss er das Theologiestudium ab und reiste in seine Heimat zurück. Durch das intensive Studium war aber seine Gesundheit so stark angegriffen, dass sein Vater fand, er tue gut daran, noch eine Zeitlang in Matt zu bleiben und sich in den praktischen Seelsorgedienst einzuarbeiten. Nebenbei könne er auch seinen « naturwissenschaftlichen Liebhabereien » weiter frpnen.

Damit begann für Oswald Heer die grosse Zeit des Bergsteigens, die von 1831 bis 1835 dauerte und während der er eine Privatstelle in Zürich antrat. Seine Aufgabe bestand hier im Ordnen einer grossen Insektensammlung. Es dauerte auch nicht lange, bis er Dozent - und später Professor - für Botanik und Entomologie ( Insektenkunde ) an der neugegründeten Universität Zürich und Botanikprofessor am Polytechnikum ( heute Eidgenössische Technische Hochschule ) wurde. Mit seinen Studenten führte er ausgedehnte und anstrengende Alpenexkursionen durch. Später spezialisierte sich Oswald Heer auf dem Gebiet der PhytopaläontologieBotanik der fossilen Pflanzen ), so dass er als bester Kenner der fossilen Pflanzen weltberühmt wurde. Über sein populäres Hauptwerk schreibt Professor Grandjean ( in Herbert Maeder, « Die Berge der Schweiz » ): « Den monumentalsten literarischen Niederschlag fand das grosse Jahrhundert der wissenschaftlichen Alpenentdeckung in Oswald Heers grossangelegtem Werk ,Die Urwelt der Schweiz'( 1865 ), in welchem in herrlicher Sprache, für jedermann verständlich, ein umfassendes Bild vom Werden der schweizerischen und besonders der alpinen Landschaft in geologischer und botanischer Vergangenheit ausgebreitet wurde. » Oswald Heer war ein eifriges Mitglied des 1863 gegründeten Schweizer Alpen-Clubs, der ihn zu seinem ( ersten ?) Ehrenmitglied ernannte.

Seine Alpenexkursionen verfolgten das Ziel, die Höhenstufen der alpinen Flora und Fauna und die oberen Grenzen des organischen Lebens festzustellen. Wo er einen Wechsel der Vegetation beobachtete, bestimmte er barometrisch die Meereshöhe, die Temperatur der Luft und oft auch des Wassers und untersuchte die Beschaffenheit des Bodens und die Zusammensetzung der Vegetation. Für die Höhenmessung benutzte Oswald Heer ein ihm von Hofrat Dr. Horner zur Verfügung gestelltes modifiziertes Fortin-Baro-meter, « das in seiner Messinghülse beinahe wie ein Gewehr aussah. Wenn er mit demselben auszog und dessen oberes Ende aus dem Lederfutteral über seine Schultern hervorblickte, so mochte ihn mancher für einen Gemsjäger halten » ( Justus Heer, Biographie ).

Die barometrischen Höhenmessungen setzten voraus, dass der von Heer im Gebirge ermittelte Luftdruck jeweils mit den von Homer in Zürich zu gleicher Zeit gefundenen Werten verglichen werden konnte. Die Höhenangaben werden in Pariser Fuss ( 0,3248 m ) gegeben. Dass seine Ergebnisse nicht immer mit den Höhenangaben unserer Landkarten übereinstimmen, kann nicht verwundern. Bei einem Vergleich von 25 Angaben fand ich eine relativ geringe durchschnittliche Abweichung von +7 Meter. In 19 Fällen sind seine Werte zu hoch, in 6 Fällen zu tief. Allerdings kann ein Durchschnittswert hier nichts aussagen, weil die Ablesungen zu stark variieren. So sind z.B. Heers Werte für den Gandstock 58 Meter zu tief, für den Kärpf 56 Meter zu hoch. Diese Fehler müssen wohl auf rasche und starke Schwankungen des Luftdrucks ( Föhn ) zurückgeführt werden. Für Heers Untersuchungen über die Höhengrenzen der Vegetation fallen auch diese bedeutenden Abweichungen nicht in Betracht, weil es sich hier nicht um starre Grenzen handeln kann. Schon die Exposition kann bedeutende Unterschiede ergeben.

Die von Heer ermittelten Höhenstufen der Vegetation haben im allgemeinen heute noch Gültigkeit. Er unterscheidet folgende Stufen:

montane Region subalpine Region alpine Region subnivale Region nivale Region 780-1300 m 1300-180001800-2300 m 2300-2760 m 2760-3200 m Heute rechnet man Heers subnivale Region meistens zur alpinen Stufe. Schliesslich muss hier noch bemerkt werden, dass sich seine Angaben nur auf die Zentral- und Ostalpen der Schweiz, aber nicht auf das Wallis beziehen.

In den Jahren 1831 und 1832 bestieg Oswald Heer, wiederum von Matt aus, die ihm von früher vertrauten Berge des Sernftales, dann aber auch weitere Gipfel im Kanton Glarus, z.B. Weissmeilen, Heustock, Ruchsiten, Magereu, Gulderstock, Gandstock ( mehrmals ), Kärpf, Hanen-stock, Hausstock ( Erstbesteigung ), Fronalpstock, Schilt, Brückler, Schinberg, Bockmattli, Rädertenstock, Deyenstock und Rüchen Glärnisch.

Im Jahre 1833 besuchte Oswald Heer von Zürich aus das Gotthardgebiet und die Bündner Alpen: 9.i8.Juli: Urserental, Gotthard, St.Anna-Glet- scher, Bäzberg Nufenen, Pisciume; 25.Juli: Monte Camoghè; 29.3i.Juli: San Bernardino, Pizzo Uccello, Bergkamm zwischen dem Misox und der Val Calanca; 9.17. August: Zapportalp, Quellen des Hinterrheins; 9.17. August: Oberengadin, Palü, Val Bever, Camogascertal, Lavirum, Serials, Albula. Im folgenden Jahr ( 1834 ) zog Oswald Heer wiederum ins Bündnerland, wo er folgende Touren ausführte:

14.Juli: über den Panixerpass; 16.Juli: über den Valserberg ins Rheinwald; 17.Juli: über den Splügen ins Bergeil; 19.Juli: Maloja, Oberengadin; 23.Juli: Val Roseg und Gletscherinsel; 28.Juli: Gamogascertal ( Val Chamuera ?), Fuor- cla di Lavirum, Val Livigno; 30.Juli: über den Pass nach San Giacomo und nach Santa Maria im Münstertal; 3i.Juli: über das Wormserjoch nach Sponda-lunga; 1.4.August: Untersuchung der umgebenden Berge: P. Umbrail, M. Branlio, Stelvio; 5.August: Besteigung des P. Costainas und P. Ciantun; 6. August: ins Münstertal und nach S-charl; 7. August: nach Fetan; 8. August: Besteigung des P. Minschun; 1 i.August: Scaletta; 12. August: Davos.

Und endlich die Touren des Jahres 1835: 15.Juli: Panixerpass, Brigels, Disentis; 17.Juli: durchs Val Sumvitg über La Greina nach der Alp Scaradra 18. Juli: über den SuredenpassnachZervreila; 19. Juli: über den Canalpass nach Zapportalp; 2 i.Juli: auf den Splügen und durchs Val d' Emet ins Avers; 23.Juli: nach Stalla und über den Julier; 27.Juli: Besteigung des P. Lavirum; 28.Juli: Livigno, Ofenpass, Zernez; 1. August: Piz Linard ( Erstbesteigung ). Die Tour wurde von Oswald Heer im Jahrbuch des SAG 1866 ausführlich beschrieben. Ein Auszug erschien in den « Alpen » 1939 ( S. 201-206 ); 2. August: Lavin; 5. August: Samnaun; 6.August: von Compatsch über den Pass nach Sins; 7.August: Urscheinalp ( Alp Urschai ); 1 August: im Berninagebiet; 12. August: Besteigung des Piz Palü ( Erstbesteigung des Ostgipfels ).

In späteren Jahren besuchte Oswald Heer noch mehrmals das Engadin, ferner das Rheinwald, die Albula, den Lukmanier ( auf der Vi-ghera ) und Churwalden mit dem Stätzerhorn. Er botanisierte auf den Bergen um den Comersee ( Comi di Campo, San Martino, Legnone ), am Gotthard ( Pizzo Centrale ), an der Furka, der Grimsel, am Oberaargletscher, in Zermatt und Chamonix.

tFreies Klettern an der grossen Platte des Rüttelhorns 2Kalkkletterei am Rüttelhorn Mit seinen Studenten führte Oswald Heer bis 1870 zahlreiche Alpenexkursionen durch, bei denen gewöhnlich gehörige Marschleistungen erzielt wurden. Später war er infolge eines Knielei-dens ans Haus gebunden, und langwierige Krankheiten verdüsterten seine letzten Lebensjahre.

Auf den meisten Bergfahrten wurde Oswald Heer von Johann Madutz begleitet, der als Schneider und wahrscheinlich auch als Gemsjäger in Matt lebte. Er bewährte sich als Führer in jeder Situation, auch in Gebieten, die ihm unbekannt waren. Auf Empfehlung von Oswald Heer wurde Madutz als ständiger Führer von Arnold Escher von der Linth engagiert, mit dem er zahlreiche Touren im schweizerischen und französischen Alpengebiet ausführte. Zuletzt begleitete er Professor Melchior Ulrich auf mehreren Bergfahrten. Die Leistungen von Johann Madutz als Bergführer wurden von Rudolf Bühler gewürdigt ( « Die Alpen » 1940,8.334-337 ).

Heute, wo man mit allen möglichen Verkehrsmitteln an den Berg und oft auch auf den Berg gelangt, können wir die alpinistischen Leistungen Oswald Heers kaum richtig einschätzen. Bedenkt man, dass es damals noch keine Clubhütten gab, dass er oft in primitivsten Alphütten übernachten musste und dass auch die Ausrüstung und die Verpflegung nach heutigen Begriffen sehr zu wünschen übrigliessen, so erscheinen die Bergfahrten Oswald Heers als eigentliche alpinistische Pionierleistungen.

Die wissenschaftlichen Ergebnisse seiner botanischen Untersuchungen im Alpengebiet hat Heer in zwei Arbeiten niedergelegt. 1836 erschien seine Arbeit über « Die Vegetationsverhältnisse des südöstlichen Theils des Cantons Glarus; ein Versuch, die pflanzengeographischen Erscheinungen der Alpen aus climatologischen und Bodenverhältnissen abzuleiten ». Es handelt sich dabei um ein bahnbrechendes Werk, das von C. Schroeter als die erste pflanzengeographische Monographie aus den Schweizer Alpen bezeichnet wurde. Fast 50 Jahre später erschien in den Jahrbüchern des Schweizer Alpen-Clubs eine vorläufige Mitteilung über die nivale Flora der Schweiz. Es war Heer nicht mehr vergönnt, die ausführliche Arbeit, die 1884 als Band 29 der « Denkschriften der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft » erschien, ganz fertigzustellen.

P.S. Wenn das Reiseverzeichnis einige offensichtliche Unmöglichkeiten enthält, so ist dies darauf zurückzuführen, dass Heer diese Zusammenstellung erst kurz vor seinem Tode, also 50 Jahre nach den Touren, anfertigte. Es wurden absichtlich keine weiteren Korrekturen vorgenommen.

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