Die alpinen Unglücksfälle vom 1. November 1938 bis 1. Mai 1940 | Club Alpin Suisse CAS
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Die alpinen Unglücksfälle vom 1. November 1938 bis 1. Mai 1940

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

vom 1. November 1938 bis 1. Mai 1940 ).

Von Rudolf Wyss.

Auf Wunsch des Centralcomités und im Einverständnis mit dem Redaktor der « Alpen », soll von nun an die Statistik der alpinen Unglücksfälle alljährlich veröffentlicht werden. Dabei erscheint es zweckmässig, als Berichtsjahr nicht mehr das Kalenderjahr, sondern die Zeit vom 1. Mai bis 30. April festzulegen. Als Sommer gelten die Monate vom 1. Mai bis 31. Oktober, als Winter diejenigen vom 1. November bis 30. April; dementsprechend erfolgt auch die Einteilung der Unglücksfälle in Unglücksfälle im Sommer und Unglücksfälle im Winter.

Der vorliegende Bericht umfasst das Winterhalbjahr 1938/39 und das Berichtsjahr 1939 vom 1. Mai 1939 bis 30. April 1940. Damit wird der lückenlose Zusammenhang mit den früheren Berichten und der Anschluss für die künftigen Statistiken hergestellt. Die beiden Unglücksfälle vom November 1938, die seinerzeit bereits unter den Unglücksfällen des Winters 1938 aufgeführt wurden, sind der Vollständigkeit halber hier unter dem Winterhalbjahr 1938/39 nochmals aufgenommen. Wiederum beschränken sich die Aufnahmen auf die Unglücksfälle mit tödlichem Ausgang. Die namentlich im Winter ganz sicher weit zahlreicheren leichteren Unfälle mit nur vorübergehenden Schädigungen entziehen sich der Öffentlichkeit; es mag genügen, wenn sie wenigstens den direkt Beteiligten als Warnung dienen und sie vor grösserem Unglück bewahren. An den leider allzuvielen schweren Unglücksfällen dagegen wollen und müssen wir alle, Voralpenwanderer und Alpinisten, Skifahrer und Skihochtouristen, mitfühlenden und kritisch aufmerksamen Anteil nehmen. Mitfühlend mit den Todesopfern und ihren Angehörigen, kritisch aufmerksam gegen begangene Fehler, aber ganz besonders kritisch aufmerksam gegen uns selber.

Statistik Winter 1938/39. 1. November 1938-30. April 1939.

Datum Uniallstelle Verunglückte Bemerkungen 1 Nov.

Grand Brulé Frédéric Lier Absturz beim Klettern 2 Nov.

Bei Orselina Giorgio Ossola, 26j.

Absturz auf Steilhang :i Dez.

KI. Scheidegg- McLellan, 28j., England Schneebrett nach starkem Lauberhorn Schneefall und Wind 1 Dez.

Unterh. Cabane Fernand Longchamp, In der Nacht bei Schneefall Barraud 23j., Lausanne vom Weg verirrt, Lawine 5 Januar Kummi, Adel- H. Birkenstock, Freiburg Lawine, abseits der Route boden i. B.

6 Januar Pfanni, Wildgerst Junge Holländerin, 17j.

Lawine, von Gemsen gelöst 7 Januar Dorftäli, Davos E. M. Stebbing, England Lawine, 4 verschüttet 8 Januar Meierhoftäli, R. P. Tulloch, 47j., Eng- Lawine in gesperrter Route, Davos land Alleingänger 9 Januar Präsanz, Savognin Oskar Wild Lawine 10 Januar Combe des Fonds, A. Lanzrein, 23j., Thun Lawine Val Ferret F. Ruttgers, 28j., Zürich Lawine Nr. Datum 10 Januar Unfallstelle Combe des Fonds, Val Ferret Grand Bisse Brühltobel Matterhorn, unterh. Schulter Verunglückte G. Ruttgers, 31 j., Münchenstein Karl Moeth, Zürich M. Dengler, 32j., Belgien J. Bänziger, 34j., Heiden E. Hickel, 24j., Saarbrücken K. Eckes, 26j., Saarbrücken F. v. Gunten, 24j., Wimmis B. Atkins, England W. Deuschle, Oberlt.

J. Mohler, Lt.

W. Geissbühler, Lt.

F. Moser, Wm, H. Feuchtenbeiner, 35j., Zürich Antoinette B., 25j. Willi Feurer, 34j., Winter- thur F. Gertsch, 22j., Basel W. Lattmann, 35j., Bern H. Maurer, 29j., Basel Bemerkungen Lawine Lawine Sturz mit Gwächte Sturz in Schussfahrt Absturz Absturz Sturz über Mauer Lawine bei Tauwetter Lawine bei Schneesturm Lawine bei Schneesturm Lawine bei Schneesturm Lawine bei Schneesturm Sturz in Gletscherspalte Alleingängerin, Erschöpfung Schneebrett Fuhr mit Ski über Gwächte hinaus Lawine 11Januar 12Januar 13Februar 14 Februar Niesen 15 März 16 März Blauherd, Zermatt Unterhalb Wild- hornhütte im Anstieg Obern. Lötschen- lücke Sanetschpass Isla Persa 17 März 18April 19April 20April Titlis 21April Blindenhorn Total 21 Unglücksfälle, 29 Tote Statistik 1939/40. v a ) Sommer 1939 ( 1. Mai bis 31. Oktober ).

1 Mai Gempenfluh, Jura F. Mahrer, 22j., Basel- augst 2 Mai Säntis S. Baltensberger, 22j., Zürich 3 Juni Falknis-Nord- Frau Egger, 50j., Ragaz wand Gotti. Egger, Hj., Ragaz F. Blaser, 21j., Ragaz 4 Juni Kammlinordwand Fr. L. Haldi, 20j., Zürich 5 Juni Lopperberg J. Tresch, 55j., Luzern ti Juni Niesen A. Thomann, 32j., Wimmis 7 Juni Rynachtfluh J. Bomatter, 15j., Schatt- dorf 8 Juni Drusberg E. Kälin, 54.J, Ein- siedeln 9 Juni Ringelspitz E. Bürkli, 21j., St. Gallen 10 Juni Vorderglärnisch S. Marti, 25j., Führer, Ennenda 11 Juli Dent de L' Ecri Cécile Savoy, stud., Frei- burg 12 Juli Rigi-Hochfluh Frida Inderbitzin, 21j., Zürich 13 Juli Frakmünt J. Wolfisberger, 57j., Luzern 14 Juli Aiguille du Char- H. Effray, Saumur donnet A. François, 22j., Paris Alpinist, unbekannt 15 Juli Fründenhorn Lotti Tschanz, 22j.

16 Juli Mulet de 1a Liaz Engländer Sturz über Felswand Absturz mit Schneerutsch, Schlechtwetter Absturz im Fels Absturz im'Fels Absturz im Absturz mit Ski Absturz beim Blumensuchen Absturz beim Alpenrosen- pflücken Absturz beim Alpenrosen- pflücken Absturz beim Alpenrosen- pflücken Absturz im Schneecouloir, un- angeseilt Absturz beim Blumensuchen Absturz durch Ausgleiten auf Rasenhang Absturz durch Ausgleiten auf nassem Rasen Absturz auf Steilhang Sturz in Spalte Sturz in Spalte Sturz in Spalte Absturz auf Firnhang, Nebel, Alleingängerin Absturz, unangeseilt Nr.

Datum Unfallstelle Verunglückte 17 Juli Allalinpass M. Th. Keith, England 18 Juli Matterhorn, W. Stengele, 22j., Zürich Hörnligrat W. Stengele, 25j., Zürich 19 Juli Ob Fionnay R. Baxall, London 20 Juli Zermatt-Schwarz- M. Stöckli, Aargau 21 Juli see Aiguille de la Za R. Alexander, 20j.

22 Juli Kaiserstock R. Wagner, 6j.

23 Juli Gorges des E. Goldschmidt, 22j., Meirils Zürich 21 Juli Weisshorn, " Wallis, H. Weiss, 34j. t unterhalb Früh- G. Geyer, 26j ., verletzt stücksplatz A. Wolfensberger, 27j ., verletzt Alle drei Winterthur 25 Juli Lobhörner H. Schlunegger, Führer, 53]., Wengen 26 Juli Gatterfirst V. Müller, 25j., St. Gallen 27 Juli Kingspitz H. Graf, 22j., Bern Frl. Stucki, 26j., Konol- fingen 28 Juli Salbitschyn, K. Zinram, 35j., Wien Normalroute 29 August Salbitschyn A. Staub, 52j., Oberwil 30 August Altmann E. Glattfelder, 25j., Stuttgart 31 August Ob. Dürrenberg, F. Haldemann, 24j., Otter Kiental bach 32 August Weissmiesalp Unbekannter 33 August Pointe des Ecan- S. Rochat, 20j., Lau- dies sanne 3-1 August Wallegghorn F. Egg, 19j., Cham 35 August Sertigtal L. Brauns, 16j., Solingen 36 August Argentine R. Paccaud, Lausanne 37 August Nünenenfluh W. Michel, 26j., Seftigen 38 August Breitwand, Kien- A. Pf affli, 50j.

tal 39 August Sonnigberggrat W. Lang, 26j., Luzern 40 August Kl. Siedelhorn H. Hildegard, Deutschland 41 August Seewelenstock J. Cescato, 46j., Seedorf 42 August Pilatus J. Bosch 23j., Kriens B. Hantle, 19j., Kriens 43 August Gantrist Ch. Simon, 31j., Murten A4 August Boule de Gomme Frl. E. Mingard, 23j.

45 August Kinzertal J. Planzer, 31j., Bürglen 46 August Rochers de Paray A. Borne, 14j., Château- d' Oex 47 Sept.

Niesen G. Wampfler, 68j.

48 Sept.

Rigi, Drehbach- Elsa Böhi, 17j., Schwyz fluh 49 Sept.

Schmadrijoch H. Schär, Bern W. Meier, Bern 50 Sept.

Schynige Platte F. Vögeli, 45j., Inter- laken Bemerkungen Sturz in Spalte Absturz im Fels Absturz im Fels Absturz im Fels Erschöpfung, Alleingänger Absturz beim Klettern, Alleingänger Absturz auf Spaziergang Absturz im Fels, Alleingänger Absturz infolge Schneerutsch Absturz durch Versagen der Abseilschlinge Absturz wegen Steinschlags Absturz beim Klettern, Ursache unbekannt Absturz. Alleingänger, Ausrüstung mangelhaft Absturz durch Lösen einer Platte und Seilriss Absturz, AlleingängerAbsturz beim Blumenpflücken Tot aufgefunden Absturz beim Klettern. Allein- gänger Absturz beim Klettern Absturz im Fels. Alleingänger Absturz wegen Ausbrechens eines Trittes Absturz beim Klettern Absturz im Fels. Alleingänger Absturz beim Klettern, un- angeseilt Absturz im Nebel, Alleingänger Absturz auf Weglein Absturz beim Klettern Absturz beim Klettern Absturz durch Ausgleiten auf nasser Platte Absturz durch Ausgleiten Absturz beim Edelweiss- suchen Absturz beim Edelweiss- suchen Absturz Absturz Absturz in vereistem Fels Absturz in vereistem Fels Absturz Die Alpen — 1940 — Les Alpes.

32 Nr. Datum Unfallstelle VerunglückteBemerkungen 51Sept. San Salvatore L. Steiner, ChiassoAbsturz beim Klettern 52Okt. Klein Mythen Rosette Neuenschwander, Absturz durch Ausbrechen 25j., Züricheines Griffes Total Sommer 1939: Unglücksfälle 52, Tote 60. b ) Winter 1939/40 ( 1. November bis 30. April 1940 ).

1 Dez.

Habkern-Kem- nieriboden 2 Dez.

Roggenfluh 3 Jan.

Silsersee 4 Februar Faesalp 5 Februar Mt. Bévérin 6 Februar Julierp ass 7 Februar Adelboden 8 März Près de Pont de Nant 9 März Salève 10 März Graustockgrat 11 März Pilatus 12 März Dent de Lys 13 April Kummenalp 14 April Wildstrubel 15 April Allalinpass 16 April Klausenstrasse 17 April Mürtschenstock 18 April Raduns F. Schuhmacher, 30j., Bern A. Schmid, 15j.

A. Lampert, 30j., Fläsch E. Rotzer, 25j., Gampel H. Peyer, 21j., Zürich B. Baumgartner, 23j. H. Jöhr, 27j.

P. D. Marlettaz, 70j., Führer E. Mäder, 16j., Tramelan W. Heuberger, 17j., Aarau A. Egger, 67j., Luzern M. Davet, Chavannes M. Aubert, Chavannes Mlle Davet, Chavannes Hs. Walpoth, 21j., Biel Chs. Grandchamp, 30]., Caux Th. Lack, 70j., Genf B. Wichser, 53j., Linthal Elsa Herbst, 39j., Zürich Emma Reich, 40j., Sankt Gallen Erschöpfung, Alleingänger Absturz beim Klettern Mit Ski in See eingebrochen Lawine Lawine Schneebrett-Lawine Sturz mit Ski Absturz beim Blumensuchen Absturz beim Klettern Absturz mit Gwächte Absturz durch Abirren vom Weg, Alleingänger Absturz der Seilgruppe'infolge Ausgleitens eines Seilkameraden Lawine Lawine Sturz in Spalte Lawine Lawine Lawine Total: 18 Unglücksfälle, 20 Tote Berichtsjahr 1939: Sommer 51 Unglücksfälle, 59 Tote Winter 18»20 Tote Total 69 Unglücksfälle, 79 Tote Die Unglücksfälle im Winter.

Die Unglücksfälle der Winter 1938/39 und 1939/40 verteilen sich nach ihren äusseren Ursachen wie folgt:

Ursachen Winter 1938/39 Winter 1939/40 Total Fälle Tote Fälle Tote Fälle Tote LawinenGwächtenGletscherspalten.. Sturz mit Ski... Sturz beim Klettern Erschöpfung Verschiedenes....

Total 12 2 1 1 3 1 1 19 2 1 1 4 1 1 8 1 1 1 4 1 2 8 1 1 1 6 1 2 20 3 2 2 7 2 3 27 3 2 2 10 2 3 21 29 18 20 39 49 Tabellen der Unglücksfälle 1930—1939.

100 _ 90 - Ganzes Jahr 80 - 70 60 50Tote Unfälle 30 1930 1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 Sommer 60 _ 50 40 30 20 10 1930 1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 Die Lawinen forderten wiederum weitaus am meisten Opfer; zwanzig von 39 Unglücksfällen sind Lawinenunglücke, und 27 lebensfrohe Menschen wurden von ihnen getötet. Es ist darum wohl berechtigt und notwendig, auf einige dieser Unglücksfälle näher einzutreten.

Fall 1: Am 31. Dezember 1938, nachts gegen 22 Uhr, zogen fünf junge Skifahrer aus Lausanne an den Chalets von Anzeindaz vorbei, um- nach der Cabane Barraud zu steigen. Ungefähr 100 m nach den Chalets wurden sie unsicher über den Weg infolge eines Sturmes, der in diesem Moment ausbrach. Man diskutierte und ging hierauf in zwei Gruppen auseinander; zwei Leute nach rechts, drei nach links. Die beiden Skiläufer rechts stiegen nach einiger Zeit in den Steilhang, der sich vom Plateau bis zum Gipfel des Tour d' Anzeindaz erhebt. Sie waren kaum 60-70 m auf diesem Hang emporgekommen, als sich ein Schneebrett löste und die beiden mitriss. Der eine, der sich freimachen konnte, rief seine Kameraden und lief zu den Chalets nach Hilfe.Von da eilten zwölf Mann herbei und arbeiteten in Sturm und Nacht von 23 bis 2 Uhr morgens, ohne den Verschütteten zu finden. Erst am 1. Januar gegen Mittag konnte seine Leiche endlich geborgen werden.

Schneebrettgefahr infolge Neuschneefall und Sturm, verspäteter Aufstieg in die Hütte bei Nacht und einsetzendem Sturm, darum Unsicherheit über den Weg, Diskussion, Auseinanderlaufen, Abirren vom Weg in den Steilhang führten hier Schritt um Schritt zum Unglück.

Fall 2: Der englische Major T., ein tüchtiger Skifahrer und Sportsmann, verliess am 2. Januar früh Davos, um seine Lieblingsfahrt durch das Meierhoftäli zu machen. Die Route war seit dem 1. Januar 8 Uhr wegen schwerer Lawinengefahr durch den Parsenndienst gesperrt, die Sperrung durch rote Sperrtafeln an der Talstation der Parsennbahn und auf Weissfluhjoch bekanntgegeben. Trotzdem wollte Herr T. sein Vorhaben durchsetzen. Er wurde am 3. Januar um 10.30 Uhr dem Chef des Rettungsdienstes als vermisst gemeldet. Trotz sofortiger, eifriger, umsichtiger und zum Teil durch Lawinen gefährdeter Suchaktion wurde der Verschüttete erst am 3. Januar um 22.30 Uhr gefunden. Er lag 1,50 m tief im Schnee vergraben am untersten Steilhang im Meierhofertäli in einer lichten Waldpartie.

Nichtachtung striktester Warnung wurde mit dem Tode bestraft.

Fall 3: Am 7. Januar 1939, um 15.56 Uhr, wurde gemeldet, dass soeben eine Lawine im Dorftäli bei Davos niederging und vermutlich mehrere Personen verschüttete. Die sofort eingesetzte Suchmannschaft fand auf dem Unglücks-platze folgendes: Eine 200 m lange, 50 m breite Lawine war vom Schiahorn-Südosthang niedergegangen. Oben führten in die Lawine, die sich ca. 200 m westlich der Normalroute befand, etliche Skispuren hinein. Am untern Ende der Lawine fanden sich eine deutsche Dame mit ihrem 11jährigen Sohne, ein englischer Herr und der Sohn des Verschütteten. Sie sagten aus, dass sie alle vier von der Lawine erfasst worden seien, sich aber selber retten konnten; in der Lawine befinde sich Mr. St. Nach kurzem Sondieren mit dem Sondiergerät, Lindemannstangen und schweren Sondierstangen, wurde der Verschüttete gefunden und mit Iselinschaufeln freigelegt. Der Körper lag 1 % m tief im Schnee, ohne Ski, Kopf abwärts gerichtet; der Schnee war stark gepresst. Schon 39 Minuten nach der Verschüttung war der Verunglückte vollständig frei. Trotzdem waren die sofortigen, zwei Stunden langen Wiederbelebungsversuche durch künstliche Atmung mit Sauerstoffgerät erfolglos, und ebenso erfolglos blieben die Injektionen durch den Arzt. Ursache des Unglückes: Lawinengängiger Schnee nach Neuschneefall und Wind, Abweichen von der Normalroute und dadurch Störung des Lawinenhanges durch mehrfaches Anschneiden ( mehrere Skispuren führten in die Lawine ); Unkenntnis oder Unterschätzung der Gefahr durch die bergungewohnten Leute.

Fall 4: Nach starkem Neuschneefall und heftigem Sturm stiegen am 3. Januar 1939 fünf Skifahrer bei windstillem Wetter von La Fouly zu einer Skifahrt in die Combes des Fonds im Val Ferret. Sie wurden um 12 Uhr von einer mächtigen Staublawine überrascht, die sich hoch oben an den Hängen des Mont Dolent-Massives gelöst hatte und in der Combes wie in einen Kanal gezwängt wurde. Alle fünf Mann wurden verschüttet. Zwei in der Nähe weilende weitere Skifahrer eilten zu Hilfe. Sie fanden den einen Verunglückten, L., mit dem halben Leib aus dem Schnee herausragend und konnten ihn, doch schwer verletzt, befreien. Von einem weiteren Verschütteten, K., ragte die eine Hand aus der Lawine heraus; auch dieser konnte lebend gerettet werden. Aus La Fouly herbeigerufene Hilfsmannschaft machte sich ergebnislos an die Suche nach den drei übrigen, noch in der Lawine Begrabenen, da heftiger Sturm, grosse Kälte und hohe Lawinengefahr die Arbeit fast verunmöglichten. Es gelang erst am 6. Januar um 16.20 Uhr, den einen Verschütteten zu bergen; die beiden andern wurden endlich am 7. Januar um 13 Uhr gefunden. Die Lawine hatte eine Länge von ca. 500 m und eine Breite von 15-25 m bei einer Tiefe von 3-4% m.

Die beigebrachten eisernen Sondierstangen von 2—2% m Länge waren zu kurz und zu biegsam und erschwerten die Sondierarbeit.

Der zuerst gerettete Herr L. starb später an den Folgen des Unglücks. Unkenntnis oder Unterschätzung der Gefahr und der unglückselige Zufall, dass die Lawine sich löste, als die fünf Opfer in ihrem Bereiche waren, führten hier zum tragischen Verhängnis.

Fall 5: Nach starken Neuschneefällen auf monatealten Hartschnee wollten die zwei Soldaten S. und B. in der Freizeit den jähen Steilhang gegenüber der Garage am Julierhospiz queren, um dadurch einen kleinen, aber lawinensicheren Umweg zu vermeiden. Sie verabredeten, einen Abstand von 20 m innezuhalten, weil « der Steilhang vielleicht nur einen Mann, aber nicht zwei tragen werde ». Während dieses Querganges wurde der zweite Mann, S., von einem Schneerutsch erfasst und dabei vom vorausgehenden B. beobachtet. Nach wenig Sekunden löste die erste Lawine eine zweite, die auch den B. mitriss und in dem engen V-Tälchen am Fuss des Hanges verschüttete. Endlich wurde eine dritte Lawine durch den das Tälchen hinausgleitenden Schneestrom gelöst. Der ganze Vorgang war vom nahen Hospiz beobachtet worden und darum sofort Hilfe zur Stelle. S., der eine Hand aus dem Schnee herausstreckte, wurde sogleich aufgefunden und freigelegt; er erholte sich kurz nachher von einer leichten Bewusstlosigkeit.

Die Bergung des verschütteten B. gelang erst nach vielstündiger harter und umfangreicher Sondier- und Grabarbeit. Diese war sehr erschwert durch die im Tälchen aufgestauten grossen Massen schweren, gepressten Schnees. Die aus einer Rettungsstation beigebrachten eisernen Sondierstangen von nur 125 cm Länge waren unbrauchbar.

Trägheit, vielleicht auch die vielverbreitete Sucht, den Weg abzukürzen, stand hier gegen die vernünftige Einsicht und führte den einen Mann in den Tod. Dazu half weiter die oft gedruckte und gedankenlos befolgte Regel, dass lawinengefährliche Querungen mit 10-20 m Abständen auszuführen seien. Nein! Wenn es nicht ohne Querung geht, dann schon so, dass einer, und nur einer allein, dem Bereich der Lawine ausgesetzt ist; die übrigen haben den Gefährdeten und das Gelände unterdessen von sicherer Stelle aus genau zu beobachten.

Dass übrigens auch dann für jeden folgenden die Gefahr weiter besteht, wenn bereits der eine oder gar mehrere die Querung ausgeführt haben, beweist gerade das eben angeführte Beispiel. Es wird auch eindringlich bewiesen durch folgenden Fall, den ich selber miterlebte.

Fall 6: Ich beabsichtigte, in der Neujahrswoche 1938 mit 16 jungen Skifahrern von Hotel Schwarzwaldalp aus auf der üblichen Route über Breitenboden den Wildgerst zu besteigen. Es hatte etliche Tage und auch am 31. Dezember noch geschneit und von Westen gestürmt; darum rekognoszierte ich ein mir verdächtig scheinendes Wegstück am 2. Januar. Dieses Wegstück führt zwischen dem Pfanni und dem obern Breitenboden durch ein steiles, enges Tälchen, das von einer Felsstufe gequert wird. Man umgeht diese Stufe über den südwestlichen Talhang, der mit Alpweide, Erlengesträuch und kleinen Felsbändchen durchsetzt ist und oben von einem hohen Felsband abgeschlossen wird. Meine Begehung ergab, dass im Hang längs der Route kaum 10 cm pulveriger Neuschnee auf dem noch spärlichen Altschnee lag und mit ihm bereits ziemlich gut verbunden war; doch hing auf dem obersten Felsband da und dort eine Gwächte, und im windtoten Winkel unterhalb des Felsens hatte sich der Flugschnee angereichert. Darum verschob ich vorläufig die Tour. Der 3. Januar war windstill und schön, und am 4. Januar brachen wir bei schönem, ruhigem Wetter auf. Den oben geschilderten Hang begingen wir in weitauseinandergezogener Einerkolonne ohne irgendwelche Rutschungen oder Schneebrettbildungen zu beobachten. Im Verlaufe des Vormittages setzten in der Höhe Wind und grosse Kälte ein. Auf unserer Rückfahrt trafen wir bei den Hütten von Oberbreitenboden eine Schar von ca. 20 jungen Holländern und Holländerinnen mit ihren ortskundigen Führern und Skilehrern. Sie waren, gelockt durch das schöne Wetter, bis zu den genannten Hütten unserer Spur folgend heraufgekommen und hielten da an der Sonne eine fröhliche Rast. Nach kurzem Aufenthalt setzte unsere Partie die Abfahrt fort, um nicht mit den andern zusammen in grosser Zahl das nun folgende Tälchen befahren zu müssen. Bevor wir ins Tälchen einfuhren, besammelte ich meine Kolonne, bestimmte den zuverlässigsten Fahrer als Schlussmann und befahl ihm, die übrigen nur einzeln und in so grossen Abständen starten zu lassen, dass nur je einer in der allfälligen Gefahrzone fahre. Ich selber fuhr die Abfahrtsspur vor und liess unten am Ende des Tälchens an einwandfrei sicherer Stelle die Einfahrenden stoppen. Bereits waren alle da bis auf den Schlussmann und einen Kameraden. Über deren Ausbleiben beunruhigt, schickte ich mich nach wenigen Minuten zum Wiederansteigen an; da fuhren auch schon die ersten Leute der andern Partie heran und erklärten, es sei alles in Ordnung. Im gleichen Augenblick erschien mein Schlussmann auf einer kleinen Krete des Hanges, die uns den Einblick in den oberen Teil des Tälchens sperrte. Er rief um Hilfe: « Lawine, vier Leute verschüttet I » Während wir zu der Unglücksstelle zurückstiegen, war es dort gelungen, drei nur wenig Verschüttete unversehrt zu befreien. Unauffindbar eingedeckt blieb eine junge Tochter. Niemand hatte gesehen, wo sie von der Lawine erfasst worden sei, und darum fehlte auch jeglicher Anhaltspunkt für ihre voraussichtliche Lage. Erst nach mehrstündigem Sondieren mit den Skistöcken und eilig herbeigeholten Sondierstangen fanden wir sie bei einbrechender Nacht am untersten Ende der Lawinenzunge; sie war ungefähr 1 m tief im Schnee begraben. Drei lange Stunden dauernde Wiederbelebungsversuche durch künstliche Atmung vermochten nicht mehr, das junge Leben dem Tode zu entreissen.

Was war geschehen? Oben am obersten Felsband, das den Hang überhöht, war eine kleine Gwächte losgebrochen und hatte eine zunächst nur schmale Lawine gelöst. Blitzschnell griff diese weiter und weiter um sich bis auf eine Abrissbreite von nahezu 100 m. Sie überraschte die vier zu nah aufgeschlossenen Leute der zweiten Partie, nachdem mehr als 20 andere die gefährliche Stelle passiert hatten, und fegte die tödlich Verunglückte über einen kleinen Felsabsatz hinunter in die Tiefe. Unbeteiligte Beobachter sagten mir, sie hätten gesehen, wie flüchtende Gemsen die Gwächte und damit die Lawine losbrachen. Ich habe um so weniger Grund dies zu bezweifeln, als ich etliche Tage zuvor am Schwarzhorn eine sichernde Gemse mit dem ersten Sprung zur Flucht dasselbe tun sah.

Damit soll keineswegs das arme Gemslein zum Schuldigen gemacht werden. Bei jedem Unglück fällt Schuld und Verantwortung auf uns vernunftbegabte Menschen. Diese Schuld wiegt um so schwerer, je mehr wir gegen unsere Einsicht und Vernunft handeln, und die Verantwortung wird um so grösser, je zahlreicher unsere Gefährten sind.

Die angeführten Fälle, wir hätten sie durch die Katastrophe am Wildhorn, das Unglück an der Isla Persa, am Blauherd und andere ergänzen können—, zeigen zur Genüge die Tücke der Lawinen; aber sie zeigen auch die Grosse des menschlichen Verschuldens; jeder möge daraus für sein eigenes Verhalten die nötigen Schlüsse ziehen.

Hervorgehoben sei hier, dass während des letzten Winters trotz der regen Tätigkeit unserer Truppen im Gebirge nur ein einziger tödlicher Lawinenunfall diensttuende Soldaten traf; das beweist wohl am besten, dass bei genügender Kenntnis der Lawinengefahr und bei entsprechender Vorsicht die Unglücksfälle fast völlig vermieden werden könnten. Die Lawinenforschung, als ein Mittel zur Mehrung unserer Kenntnis, und die Lawinen- und Wettermeldung, als zuverlässige Warnung zur Vorsicht, verdienen volle Aufmerksamkeit und dankbare Anerkennung aller Skiläufer und Alpinisten. Eine der vielen Aufgaben unserer Touren- und Kursleiter aber muss es sein, die Vertrautheit mit Schnee, Gelände und Wetter immer mehr und gründlicher in möglichst weite Kreise zu tragen.

Gwächten. Auf dem schmalen Weglein am Grand Bisse bei Montana stürzte am 24. Januar 1939 der belgische Geistliche D. mit einer Gwächte, auf die er eben den Stock gestützt hatte, in die Tiefe. Die Rettungsmannschaft brauchte 160 m Seil, um zu dem Leichnam zu kommen. Am 23. April desgleichen Jahres fuhr der junge Skifahrer G. aus Lauterbrunnen am Titlis ca. 50 m unterhalb des Vorgipfels bei unsichtigem Wetter über die grosse Gwächte hinaus und stürzte über die mehrere hundert Meter hohe Wand gegen Herrenrütte ab. Er hatte sich zum Riesenslalom auf dem Titlis gemeldet und auf dem Gipfel eingefunden, jedoch zum Start sich nicht gestellt. Da ungefähr ein Drittel der Angemeldeten auf den Slalom verzichtete, fiel das Verschwinden des G. zunächst nicht auf. Am nächsten Tag entdeckte die Suchmannschaft seine Skispur, die über die Gwächte hinausführte, und unterhalb der Gwächte einen Ski und eine Rutschspur.

Die tüchtigen Skifahrer einer Gymnasialklasse bestiegen am diesjährigen Ostersonntag von Tannenalp aus den Graustockgrat, den kurz vor ihnen zwei Skifahrer begangen hatten. Der Schüler H. ging voran und wagte sich ziemlich weit hinaus; er wurde aber sofort zurückgerufen. Er trat sogleich zurück; da tat sich plötzlich im Schnee ein Riss auf, der sich blitzschnell verbreiterte.

Durch Zurückspringen konnten sich die mit dem Abschnallen der Felle beschäftigten Kameraden retten. Vor ihren Augen verschwand der unglückliche, überraschte H. lautlos und rettungslos in der Tiefe.

Wie die Lawine überrascht auch die Gwächte durch die Plötzlichkeit und Schnelligkeit ihres Sturzes. Schon vorhandene Wegspuren oder Rastplätze gewähren nur dann die nötige Sicherheit, wenn sie vollständig ausserhalb des Gwächtenbereiches angelegt sind. Ganz besonders gefährlich sind die Gwächten bei unsichtigem Wetter, das ihr Ausmass und ihren Verlauf trügerisch verhüllt.

Sturz in Spalten verursachte zwei tödliche Unglücksfälle. Doch sind mir mehrere Fälle bekannt, die dicht an den Tod heranführten und nur durch einen glücklichen Zufall, wie unerwartete Hilfe, verhältnismässig leicht abliefen.

Am 5. März des vorigen Jahres stürzte in der Nähe der Lötschenhütte Hollandia der Tourist F. in einen Schrund. Seine Begleiterin vermochte nicht, ihn zu retten. Des schlechten Wetters wegen, es herrschte mehrere Tage schwerer Sturm, war niemand sonst in der Gegend, der hätte helfen können. Als endlich am 13. März eine Suchmannschaft vom Jungfraujoch eintraf, fand sie an der Unglücksstelle einen Pickel mit Seil, das in die überhängende Spalte führte und in der Hütte die von Kälte, Hunger und Angst aufs äusserste mitgenommene Skifahrerin. Infolge neueinsetzender Stürme konnte diese erst am 17. März ins Lötschental gebracht werden. Die Bergung des Verunglückten war unmöglich.

Durch Sturz in einen Schrund am Allalinpass verunglückte auf tragische Weise der 70jährige Alpenclubveteran und Skihochtourist Th. L. Er wollte am 12. April dieses Jahres von der Britannia aus den Allalinpass nach Täsch überschreiten. Er hatte zwei Führer mit sich; die Partie war angeseilt und auf Ski. Ungefähr 500 m unterhalb des Passes auf dessen Westseite fiel Herr L. in eine Spalte und schlug mit dem Kopf so unglücklich auf einen Eisblock, dass der Tod sofort eintrat. Eine Bergungskolonne holte den Leichnam nach Saas-Fee, wo der Verunglückte zur letzten Ruhe gebettet wurde.

Die beiden Unglücksfälle bestätigen die längstbekannte Tatsache: dass eine Zweierpartie und ganz besonders eine Partie aus « Er » und « Sie » im Hochgebirge nicht genügt, sobald sie auf sich selber angewiesen ist und ein ernsthafter Zwischenfall sich einstellt; dass Skifahren am Seil keineswegs sicher vor dem Einbruch in Spalten schützt und dass darum immer und immer wieder die allersorgfältigste Routenwahl und vorsichtiges Fahren notwendig sind, um die Spalten zu meiden.

Stürze mit den Ski, tausendmal harmlose Intermezzi, können sich auf harter Piste oder gar auf schneearmem, steinigem Boden tödlich auswirken, wie wiederum zwei Fälle unserer Statistik beweisen.

Erschöpfung wird selbst verständlich den Alleingängern am verhängnisvollsten. Es ist gewiss kein Wunder, wenn eine Alleingängerin im April auf dem Sanetschpass erschöpft zugrunde ging, erfuhr doch ein Alleingänger auf dem Weg von Habkern nach Kemmeriboden auf weniger exponierter Tour ein ähnliches Schicksal.

Über winterliche Klettereien und Besteigungen ausgesprochener Felsberge wie das Matterhorn mag man mit Recht geteilter Ansicht sein. Sicher ist, dass man auch während des Sommers nicht selten genötigt ist, in hochwinterlichen Verhältnissen zu klettern. Umgekehrt sind im Winter gerade an den felsigen Hochgipfeln ausgesprochen sommerliche Verhältnisse möglich. Diese Bedingungen und gutes, zuverlässiges Wetter vorausgesetzt, sind kleine Klettereien im Jura und in den Voralpen, aber auch Kletterhochtouren nicht allzu abwegig. Indessen ist auf alle Fälle mit erhöhten Schwierigkeiten und ganz besonders mit der kürzern Tageshelle zu rechnen. Die relativ hohe Zahl von sieben Unglücksfällen mit zehn Toten, die sich auf Klettereien während des Winters ereigneten, ist nicht verwunderlich.

Auf ihrer Besteigung des Matterhorns verunglückten am 1. Februar 1939 die beiden Touristen E. und H. aus Saarbrücken. Sie erreichten am 30. Januar um 17 Uhr die Solvayhütte und nächtigten dort. Am 31. Januar stiegen sie nur ca. 50 m weiter und kehrten hernach in die Hütte zurück. Am 1. Februar bezwangen sie den Gipfel, den sie um 13 Uhr betraten. Nach einem Aufenthalt bis 14.45 Uhr begannen sie bei schönem Wetter den Abstieg und kamen dabei gut vorwärts. Ungefähr 100 m über der Solvayhütte glitt der erste aus. Er riss seinen Begleiter mit, und beide stürzten die ganze Ostwand hinunter auf den Furggengletscher. Am 3. Februar wurden ihre Leichen nach Zermatt heruntergeholt. Ob Übermüdung oder ein Missgeschick den Absturz bewirkte, ist unbekannt.

Dem Wagemut der beiden tüchtigen Männer wäre ein voller Erfolg aufrichtig zu gönnen gewesen.

Am 25. März dieses Frühjahres verunglückten durch Absturz in den Felsen der Dent de Lys: der Geistliche D., seine Nichte Frl. D. und ihr dritter Seilkamerad A. Der 18jährige M. blieb verschont, weil zwischen ihm und den Kameraden das Seil riss. Die Partie stieg ab mit dem jungen M. an der Spitze und dem Geistlichen als Schluss. Der Berg war leicht verschneit, der Boden gefroren, der Rasen schlüpferig. Kurz unterhalb des Gipfels in den Felsen gegenüber Châtel-Saint-Denis glitt Frl. D. aus und riss ihre Begleiter mit. Der untenstehende M. sah sie ins Leere stürzen. Das Seil riss nahezu ohne Ruck, so dass M. wie durch ein Wunder stehen blieb, während seine unglücklichen Gefährten zuerst nahezu 200 m tief über die Felsen und hernach noch einmal so weit über einen Rasenhang abstürzten. Herr D. war ein leidenschaftlicher Bergsteiger, er hatte das Matterhorn mehrmals bestiegen. Das Missgeschick seiner Begleiterin und die winterlichen Verhältnisse des an sich leichten Vor-alpenberges wurden hier zum Verhängnis für ihn und die ihm Anvertrauten. Das tragische Geschick dieses alten Kämpen und seiner Freunde mag diesen und jenen der zahllosen Voralpenwanderer und -Skiläufer, welche die keineswegs immer harmlosen Voralpengipfel besteigen, zu vermehrter Sorgfalt veranlassen.

Die Unglücksfälle im Sommer.

Die 52 Unglücksfälle mit 60 Toten des Sommers 1939 verteilen sich wie folgt auf Jura, Voralpen und Hochgebirge:

Gebiet Unglücksfälle Tote JuraVoralpenHochgebirge

Total 1 35 16 1 39 20 52 60 Nach den Ursachen ergibt sich folgende Verteilung:

Ursache Unglücksfälle Tote Absturz im Fels

Ausgleiten auf Schnee oder Firn...

Sturz in Spalte

Steinschlag

Schneerutsch

Absturz mit Ski

Blumensuchen

Ausgleiten auf Rasen

Erschöpfung

Sturz vom Weg

Total 24 4 2 1 2 1

Soweit zuverlässige Angaben dies erlauben, sei über einige Unglücksfälle hier kurz berichtet:

Fall 1: Die beiden Touristen A. und H. wollten unter der Führung ihres Kameraden St. den Salbitschyn über den Ostgrat ersteigen. Die Kletterei ging unter Seilsicherung gut vor sich bis ca. 50—60 m unterhalb der Stelle, da Ost- und Nordgrat sich vereinigen. Da ereignete sich das Unglück wie folgt: St. kletterte als Erster voran; der Zweite sicherte ca. 10—12 m links unterhalb St. das Seil; einige Meter unterhalb des Zweiten stand der Dritte. Als St. kletterte, löste sich plötzlich über seinem Kopfe eine grosse Platte; St. stürzte mit ihr, schlug einige Meter tiefer auf, stürzte weiter und verschwand in der Tiefe. Beim Aufschlag hatte die Platte das Seil zerschlagen.

Fall 2: Der junge R. aus L. bestieg mit seiner Schwester den Col des Ecandies. Begeistert für das Klettern, beschloss er, noch die Pointe des Ecandies zu bezwingen. Wie von einer Ahnung beschlichen blieb die Schwester zurück, beobachtete aber den Kletternden. Alles ging gut, bis der Absteigende plötzlich ausglitt und 50 m tief tödlich abstürzte.

Fall 3: Drei junge Bergkameraden aus K. wollten den Pilatuskulm auf dem direkten Anstieg durch den « Chrachen » erklettern. Unterwegs blieb der eine zurück, weil er sich der Tour nicht gewachsen fühlte. Die beiden andern kletterten angeseilt weiter. Der Zurückgebliebene stand in Rufverbindung mit ihnen. Plötzlich hörte er einen Ausruf und hierauf Fallgeräusche. Die Kameraden stürzten ab. Ob ein ausbrechender Griff oder Tritt, ein fallender Stein oder ein Misstritt sie zu Fall brachte, ist nicht zu sagen.

Fall 4: Die jähe Felswand des San Salvatore, die bei der Strasse von Melide unmittelbar ansteigt, verlockte drei junge Kletterer zum Anstieg. Sie mussten jedoch vor dem Gipfel zurückkehren. Dabei blieb der eine im Abstieg etwas zurück. Plötzlich hörten die beiden andern einen Schrei, das Poltern von Steinen, und fast gleichzeitig sahen sie den unglücklichen Gefährten in die Tiefe stürzen. Vermutlich verursachte ein ausbrechender Block den Absturz des Unangeseilten.

Fall 5: Fräulein N. wollte mit einem Begleiter durch das Couloir südlich des Gipfels am Kleinen Mythen absteigen. Nach ungefähr 100 m Abstieg fanden sie es jedoch ratsamer, einen andern, weniger schwierigen Weg zu wählen. Sie stiegen wieder gegen den Grat hinauf. Kurz vor dem Aufstieg auf den Grat riss das Fräulein einen Griff aus und stürzte rückwärts in das Couloir zurück. Die Leiche musste an schwer zugänglicher Stelle zerschmettert geborgen werden. Zu späte Erkenntnis der Schwierigkeit, und darauffolgende Unsicherheit und Umkehr bilden die innern Gründe dieses Unglücks.

Fall 6: Im Abstieg von der Zipfelmütze in den Lobhörnern verunglückte auf tragische Weise durch Versagen der Abseilschlinge der weitbekannte und vorzügliche Führer H. Seh. Er hatte bereits die verhängnisvolle Stelle im Abstieg als Letzter überwunden, wobei er sein um eine Felsnase gehängtes Seil als Sicherung benutzt hatte. Um dieses einziehen zu können, band er sich vom Seil los; doch steckte das Seil fest, so dass sich Seh. genötigt sah, wiederum zu der Nase zurückzuklettern. Dort löste er das Seil, knüpfte eine Reepschnurschlinge und hängte sie um die Felsnase; dann zog er das Seil durch die Schlinge und erprobte deren Sicherheit durch mehrmaliges kräftiges Ziehen am doppelt herunterhängenden Seil. Hierauf kletterte er abwärts und benutzte das Seil als Griff. Bei der ersten Vollbelastung versagte die Seilschlinge, und Seh. stürzte rücklings zur Südwand ab. Er berührte mit den Füssen die talwärts geneigte Platte, federte zurück und stürzte rücklings weiter. Es ist nicht sicher, ob sich der Knoten der Seilschlinge löste oder ob diese riss. Seh. war, auf seine Sicherheit vertrauend, nicht angeseilt. Ein hundertfach in Eis und Fels und Bergnot erprobter Meister wurde hier tückisch gefällt.

Fall 7: Unterhalb der Solvayhütte stürzten die beiden Brüder St. ab. Das Unglück geschah, wie ein Augenzeuge meldet, weil der hintere durch einen kleinen Ruck am Seil den vorderen zu Fall brachte.

Ausgleiten auf Schnee oder Firn, oft die Ursache schwerer Katastrophen, brachte diesmal nur vier Unfälle mit je einem Toten mit sich. Zwei davon waren Einzelgänger, die übrigen zwei waren unangeseilt. Unter diesen findet sich auch das J. O. Mitglied B. aus St. Gallen.

Dem Bericht über dessen Todesfahrt entnehme ich, was folgt: B. und sein Kamerad fuhren mit den Velos am 3. Juli 1939 von St. Gallen nach Ragaz und kamen über Pfäfers und Vättis nach St. Martin. Hier stellten sie die Räder ein und stiegen in das Schräawieslihüttlein. Dort erwachten sie am andern Morgen ziemlich spät, machten sich aber um 6.30 Uhr unverzüglich auf den Weg. Sie schlugen die Route über die Riesegg ein und kamen nach angenehmer zweistündiger Kletterei über den First auf das « Znüniplätzlein ». Das Wetter war schön und die Schneeverhältnisse günstig. Darum beschlossen sie, unangeseilt weiterzugehen. Sie kletterten über die ersten Wandstufen und Firnfelder auf der normalen Route höher. B. war gewöhnlich etwas voraus. Nach zwei Stunden kamen sie im obern Drittel an, wo sie eine kleine Rast einschalteten. Der Ältere, M., schlug nun vor, das Seil anzulegen. B. lehnte dies ab. M. war damit einverstanden, denn auch er fühlte sich, wie sein Kamerad, ganz sicher. Sie querten jetzt über ein Firnfeld nach rechts, um in das Rieseggcouloir zu gelangen. B. war 30-40 m voraus, als er letzteres erreichte. Er begann sofort Stufen zu hauen, da der Schnee sehr hart war. Kaum war er etliche Schritte gestiegen, als er plötzlich ausglitt und in raschem Tempo das Couloir hinunterschoss. M. rief ihm voll Verzweiflung zu: « Hau da Pickel ine! » B. versuchte dies einige Male, jedoch umsonst. Nach ungefähr 40 m entschwand er in die Tiefe. Er stürzte auf den Gletscher, den Pickel hatte er nach kaum 50 m verloren. Nach dreistündigem Abstieg fand M. den verstümmelten Kameraden tot auf dem Gletscher. Sie hatten keine Steigeisen mit, aber gute Tricounibeschläge.

Ein ungestümer Jugendlicher, B. war 20jährig, fiel seiner unbesonnenen Forschheit zum Opfer.

Sturz in die Spalten raubte vier vermutlich des Gletschers zu wenig kundigen Menschen das Leben.

Zwei englische Studenten, K. und S., bestiegen am 15. Juli von Z'Fluhalp aus das Rimpfischhorn, um nach Saas-Fee abzusteigen. Infolge ungünstiger Witterung und falscher Orientierung passierten sie erst gegen 21 Uhr abends den Allalinpass. Von da hielten sie etwas zu viel südlich und gerieten an eine Spalte. Während S. sie überspringen konnte, tat K. einen falschen Schritt und fiel hinein, etwa 4-5 m tief, auf ein Schneeband. Trotz aller Anstrengung gelang es nicht, K. aus der Spalte zu bringen. Sie kamen überein, dass K. auf dem Band stille bleiben und S. in der Britanniahütte Hilfe holen solle. Die Unfallstelle wurde durch einen Rucksack markiert. Um 5 Uhr des 16. erreichte S. die Hütte, die bis auf einen weiteren Engländer leer war. Dieser eilte nach Fee, um zu melden. Als die Hilfskolonne an der Spalte eintraf, war K. nicht mehr zu sehen. Er war mit der Brücke tiefer gestürzt. Ein Führer, der 28 m tief in die Spalte abgeseilt wurde, fand ihn hier endlich, tot, unter einer meterhohen Schneelast auf einer zweiten Brücke.

Drei Touristen stürzten im Abstieg von der Aiguille du Chardonnet nach Argentière in eine Spalte und verunglückten alle drei tödlich.

Über die Ursache zu diesem fast unbegreiflichen Unglück ist mir leider nichts bekannt.

Doch genug!

Lassen wir die weitern Unglücksfälle, die durch Schneerutsche und Steinschlag, durch Sturz mit den Ski auf sommerlicher Fahrt, durch Misstritt auf schmalem Weglein, durch Gleiten auf glitschigem Rasen und ganz besonders auf der Suche nach lockenden Alpenblumen geschahen. Aber gestehen wir ehrlich, dass menschliche Schwäche, Unkenntnis und Borniertheit, falscher Ehrgeiz und Geltungsdrang ihr böses Anteil zu dem vielen Leid beitragen!

Die Hilfeleistung bei Unglücksfällen.

Trotzdem die Bergung von Toten Sache der Gemeinden und nicht des S.A.C. ist, stellen sich doch dessen Rettungsstationen für die Beibringung der tödlich Verunglückten jederzeit zur Verfügung, und Sektionsvorstände und C. C. helfen die oft recht unerquickliche Kostenfrage regeln. All diese Organe leisten damit eine häufig sehr wenig angenehme und schlecht verdankte Arbeit, aber sie tun sie, wie es rechten Berglern gebührt, willig und ohne viel Aufhebens.

Folgende nackte Zahlen geben darüber Aufschluss:

Zeit Aktionen Gerettet Tot geborgen Kosten Total Durchschnitt Kleinster Betrag Grösster Betrag Winter 1938/39. Sommer 1939.. " Winter 1939/40.

Total 15 32 7 14 20 3 16 26 5 Fr.

6,881.74 11,548.90 660.95Fr.

458.78 360.90 132.20 Fr.

50. 47.90 50. Fr.

1086.70 1429.50 215.20 54 37 47 19,091.59 353.55 50. 1429.50 Wer weiss, vielleicht veranlassen die obenstehenden Zahlen diesen und jenen zu vermehrter Vorsicht auf seinen Touren. Abgesehen von allem andern, ist es meistens ein sehr kostspieliges Vergnügen, sich abtransportieren zu lassen. Daran ändert auch das meist recht unbegründete Schimpfen über zu hohe Bergungskosten nichts.

Ich wiederhole auch hier, dass unsere Bergungsmannschaft Dank und Anerkennung verdient und dass die Versicherung des S.A.C. eine segensreiche Hilfe ist.

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