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Die Ebnefluh

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Jean-Claude Fontanet, Genf

Der Schweizer Schriftsteller Jean-Claude Fontanet ist der Verfasser von drei Romanen, die alle im Verlag La Baconnìère in Boudry NE erschienen sind; sie tragen die Titel: « Qui perd gagne », « La Mascog-ne ou le péché mignon du collégien » und « Tu es le père ». In diesem Frühjahr hat er im Verlag La Table Ronde in Paris einen neuen Roman veröffentlicht: « La Montagne ». Es ist die Geschichte eines jungen Adannes namens Pierre Crémone, der erst vor kurzem aus einem Sanatorium nach Hause zurückgekehrt ist und nun von einer grossen Wende und einem Sieg über sich selbst träumt. Er liebt die Berge und setzt sich als %iel, das Weisshorn zu ersteigen — im Verhältnis zu seinen geschwächten Körperkräften ein allzu hoch gestecktes Ziel. Die Erzählung führt uns von den Pfaden am Salive über die Ebnefluh zum Bishorn, zur Cabane des Dix, zum Sasseneire, zum Col du Tsaté ( wo es zu einem Drama kommt ), zum Pas de Lona usw.

Wie in seinen früheren Werken, erweist sich Jean-Claude Fontanet auch hier wieder vor allem als guter Psychologe. Aber er liebt es auch sehr, die Landschaft zu beschreiben, wie der folgende, dem neuen Roman entnommene Abschnitt zeigt. Wir sprechen dem Verfasser und dem Verlag La Table Ronde für die Abdruckerlaubnis unseren besten Dank aus.

Auf der Fafleralp, die nur aus einem Hotel und ein paar Chalets besteht, stellten Larue und Zed ihr wackliges Zelt beim Bach auf, während Pierre, wie vorgesehen, im Hotel abstieg.

Der Nachmittag verging rasch. Pierre schlief ein wenig. Dann packte er seinen Rucksack um und erleichterte ihn um drei oder vier Konservenbüchsen und eine grosse Schachtel Biskuits. Dabei wollte ihm Alain noch seinen Teddybären aufbürden! Sie machten mit dem Führer Bekanntschaft. Er war ein Mann in den Fünfzigerjahren, aber von weitem hielt man ihn nur für halb so alt; so schlank und hochgewachsen war er! Er hatte schöne blaue Augen; es war ein seltsames, ungewöhnliches Blau, wie es Pierre noch nie gesehen hatte. Auf der Hotelterrasse trank man etwas miteinander. Dann wurde eine Karte ausgebreitet. Der Führer tauchte einen Finger in sein Weinglas und fischte winzige Korkstückchen heraus, bis keines mehr darin war; erst dann trank er. Ein grosses Abzeichen des Alpenclubs schmückte sein Knopfloch. Aus seinen Augen leuchtete der Abglanz einer anderen Welt.

Der Aufbruch wurde auf 4 Uhr früh angesetzt.

Pierre nahm zwei Schlaftabletten, konnte aber gleichwohl keinen Schlaf finden.

Um 3 Uhr klopfte es an seiner Türe. Er frühstückte allein in einer Ecke des grossen Speisesaales. Nur eine einzige Lampe in der Nähe des Tisches brannte. Das winzige Stücklein Butter war ranzig, ganz zu schweigen davon, was angeblich Kaffee war...

Um 4 Uhr trafen sie sich, wie verabredet. Es war bereits hell. Sie überquerten den Bach und begannen den Anstieg. Sie kamen an einem Seelein vorbei, das noch ganz verschlafen aussah. Der Führer ging erstaunlich langsam. Sie waren zu fünft. Der Besitzer des Hotels, wohl der jüngste von allen, stieg mit ihnen bergan, mit einem Paar Ski auf der Schulter, um sich die Gelegenheit zur Abfahrt über den Gletscher zunutze zu machen. Der Führer trug eine Wollmütze mit einer Quaste.

Sie erreichten die Moräne. Der Hang wurde steiler. Der Führer schien immer im gleichen Tritt zu gehen, so steil der Pfad auch sein mochte. Unmerklich traten sie auf das Eis über. Pierre fror an den Fussen. Die ersten Spalten tauchten auf, einfache Risse. Der Führer blieb stehen und zog sein Seil aus dem Rucksack. Ein feierlicher Augenblick! Pierre wurde als zweiter ans Seil genommen. Der Skifahrer machte den Schluss.

Dann brach man wieder auf. Das Seil schnürt den Brustkorb ein. Pierre setzte zum erstenmal in seinem Leben den Fuss auf einen Gletscher. Er drang in ein verwunschenes Reich ein.

Die Spalten wurden breiter. Eine war höchst eindrucksvoll und mass über einen Meter; man hätte schwindlig werden können. « Nicht springen! » rief der Führer, als Pierre einen Anlauf genommen und darüber gesprungen war, wie er es in einem Film gesehen hatte. Er hatte kaum ein halbe Sekunde hinabgeblickt. Aber er würde diesen Riesensaal mit den geschlossenen Vorhängen nie vergessen, dachte er; blau und grün heraufschimmerndes Licht; ein leerer, totenstiller Saal, sauber, klar, beinahe wie ein Museumssaal...

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Der Hang bäumte sich auf. Niemand sprach mehr ein Wort. Pierre rutschte und glitt aus: Seine wenig tauglichen Schuhe hatten zu dünne Sohlen und zuwenig Nägel. Dieses Fussturnen ermüdete schon bald sehr. Unten lauerten die Spalten auf ihre Beute.

Als ihm der Atem ausging, musste er den Führer anrufen und um Nachsicht bitten. Der Skifahrer erbot sich, seinen Rucksack zu tragen:

« Mir macht das gar nichts aus, wissen Sie, mit Sack oder ohne! » Pierre reichte ihn ihm. Sein Herz schlug wild gegen die Rippen.

« Sie hätten es früher sagen sollen! » Larue und Zed benutzten den Halt, um in ein Sandwich zu beissen.

Er malte sich aus, wie er, auf dem schmalen, wie vom Schicksal dazu ausersehenen Felsvorsprung zur Rechten aufrecht stehend, auf eine absteigende Seilschaft warten würde, der er sich anschliessen könnte, wie er drei Tage und drei Nächte mit erfrorenen Fussen, Blasenverschluss und vierzig Grad Fieber ausharren würde, bis seine Kameraden auf dem Rückweg wieder vor-beikämen...

Man setzte den Marsch wieder fort. Sein Rücken war zu Eis erstarrt, seine Schultern waren wie zertrennt, seine Hände ganz weiss mit tiefen Furchen. Sein Herz pochte wie ein Maschinengewehr.

Gewaltige Séracs drohten wie riesige Grabsteine von der Höhe herab. Im Schnee zeigten sich Tierspuren.

« Gemse », erklärte der Führer auf französisch, « Fuchs... ».

Dann gab es wieder Spalten. An ihrem einen Ende lächeln sie, am anderen sind sie traurig; der eine Rand ist höher, der andere niedriger. Manche sind verdeckt, aber nur schlecht - ein beängstigendes Geäder!

Ein paar Meter zur Linken liebkoste ein Sonnenstrahl den Gletscher. Der schimmerte in allen Farben, rosa, silbrig, orange, grün, blau — ein unbeschreiblicher Anblick. Pierre wurde 2 Face nord de ta Tour Rt von Seitenstechen geplagt und schritt vornübergebeugt vorwärts.

Da fiel ein Sonnenstrahl in den Regenbogenfarben ein, und plötzlich traf die Sonne, die hinter dem Grat des Sattelhorns auftauchte, die Seilschaft mit voller Kraft. Larue zog eilig eine Tube Sonnenschutzcreme aus seinem Rucksack. Man reichte sie herum. Es war ein Viertel vor 9 Uhr. Es war nicht mehr weit bis zur Lötschenlücke.

« Wie geht 's? » fragte man Pierre.

« Danke. Ich kann den Rucksack wieder nehmen... » « Schau an! » Dann fragte Pierre, ob sie bereits auf dreitausend Meter Höhe seien. Der Führer blickte in die Runde und antwortete:

« Ungefähr. » Das Eis bildete eine geschlossene Decke und war ganz glatt. Stundenlang war es uneben gewesen, voller Höcker und Mulden; Hunderttausende von Maulwurfshügeln, höchst unangenehm zu begehen. Am Grunde der Mulde oft ein Stein, am Grunde der kleinsten eine Fliege oder ein anderes Insekt. Offene Gräber, beim nächsten Schneefall schon bald wieder zugedeckt.

Der Hang stieg von neuem an; sie stellten ihre Feldstecher ein. Ein Gipfel, wie von Perlmutter überzogen, taucht auf, dann ein zweiter und noch andere. Diese Ankunft auf der Lücke ist unvergesslich! Die Berge kommen einem entgegen, einer nach dem andern, und stellen sich vor. Man könnte sagen, es seien anmutige, liebenswerte junge Mädchen, die uns empfangen. Wir sind aufgenommen.

Die Hitze war nicht auszuhalten. Alle legten ihre Pullover ab.

Die Hollandiahütte, ganz nahe bei der Lötschenlücke, ist schwer zugänglich; der Hang ist sehr steil. Zed, der schwerste der fünf, sank bis zu den Oberschenkeln ein, bis zum Rucksack. Der Führer machte ein besorgtes Gesicht. Sie brauchten womöglich eine Viertelstunde für diese zweihundert Meter. In einer Felsvertie- fung leuchteten wunderbar hellrosafarbene Blumen ( Steinbrech.

Der Führer erklärte, es sei nicht möglich, den Marsch vor der Nacht fortzusetzen ( es war Voll-mondder Schnee war zu weich. Sie gingen wie auf teigen Birnen.

Neben der Hüttentüre waren Schaufeln und ein Kanadierschlitten in einem Schuppen abgestellt. Die Türe öffnete sich in zwei Hälften wie eine Stalltüre. Es gab nicht einen Zentimeter Vordach; man darf dem Wind nicht den geringsten Angriffspunkt bieten!

Der Himmel war enzianblau. Welche Wohltat, diese Stille und Einsamkeit! Nur das Rauschen der Lonza tief unten im Tal war undeutlich zu vernehmen. Die Gipfel schimmerten in der Fülle des Lichts. Ein kleiner, bläulicher Schmetterling tauchte auf- auch er hatte seinen Platz im Ritus des Eingeweihtwerdens. Der Skifahrer hat sich an die Abfahrt gemacht und überspringt eine Spalte. Dann gelangt er aus dem Sonnenschein in den Schatten, verschwindet und taucht wieder auf; es sah aus, als sei er eine Schwalbe. Wie sollte man Angst um ihn haben? Der Gletscher schien sanft hingebreitet.

Pierre fühlte sich recht wohl. Er empfand nur eine leise Beklemmung in der Brust, besonders beim Ausatmen, wie zu Beginn einer Bronchitis. Zwar war er mit heftigen Kopfschmerzen bedacht, aber das hatte nicht viel zu bedeuten.

Sie hatten alle sehr schöne, strahlende Augen. Es muss wahr sein, dass man auf über 3000 Meter Höhe keine Diebe und Missetäter mehr antrifft. Im Reiche der Inkas gab es keine Diebe, wie es heisst...

Der Führer sass schweigsam auf der kleinen Mauer vor der Hütte und blickte unentwegt durch das Fernglas. Er liess den Skifahrer nicht aus den Augen, bis er am Ende des Gletschers angelangt war.

Plötzlich ein Donnergrollen. Es war eine Lawine. Wo? Im letzten Augenblick nahmen sie eine schöne, leuchtende Kaskade wahr .Gewaltige, bedrohliche Gürtel von lockerem Schnee lagen Dans la face nord de la Tour Ronde Photos Bruno Schaerrer, Genève rings um das Sattelhorn. Erst ein Paar Bergdohlen, dann ein ganzer Trupp zog mit ausgebreiteten Schwingen lautlos über die Hütte dahin.

Pierre stieg in den Schlafraum hinauf. Zum Essen, das der Führer zubereitet hatte, stand er wieder auf. Er hatte so gut wie keinen Hunger. Der Gedanke, zwei Tage in dieser übelriechenden Hütte auf 3258 Meter Höhe allein zuzubrin-ben, bereitete ihm solche Freude. Wenn nur niemand käme... Zwei Tage dem Lebensstil des Jahrhunderts entrinnen! Der Führer nahm das Salz mit der Messerspitze.

Pierre half beim Abwaschen und streckte sich dann wieder aus. Zed war damit beschäftigt, eine Blase am Fuss aufzustechen.

In den Bergen krachte es unaufhörlich. Man hätte meinen können, sie husteten. Es waren die Lawinen in den Couloirs. Er sah eine mehrfache Lawine in weiter Entfernung gegen den Grund des Gletschers niedergehen: fünf oder sechs frontale Abstürze hintereinander wie die Stufen eines Wasserfalls; es war sehr schön. Die Berge hörten nicht auf zu speien. Das hinterliess dann gelbliche Flecken.

Gegen 4 Uhr begann er sich in der Hütte umzusehen. Zed hatte sich ebenfalls niedergelegt; Larue und der Führer spielten Dame. Der Himmel verfinsterte sich; die ersten Schneeflocken wirbelten umher. Die Dämonen waren am Werk. Er las die Anweisungen auf der Schachtel mit dem Notvorrat: « ...schmeckt nicht gut », hiess es da listig. Dann überflog er die Hüttenordnung.

Zed erschien wieder und rief dem Kameraden zu:

« Du wirst am Telephon verlangt! » Es war das geistvollste Wort seit Stunden. Auf diesen Höhen begibt sich der Geist zur Ruhe. Ein paar pechschwarze Fliegen flogen matt umher. Geschirr und Mobiliar sind aus denkbar festem Material. Werkzeuge und sogar ein Schraubstock sind vorhanden. Den Mundvorrat und alles, was man zum Aufstieg nicht mitnimmt, legt man in numerierte Weidekörbe. Die Landeskarte an der Wand stammt aus dem Jahr 1896.

8 Die Alpen- 1970- Les Alpes Es schneite stark. Der Führer hatte eine Petroleumlampe angezündet. Zu viert sassen sie nun um eine Karte herum. Heiliger Abend... Nach einem Seitenblick auf den Barometer war von der Jungfrau keine Rede mehr. Dafür schlug der Führer vor, die Ebnefluh, 3960 Meter, zu ersteigen, aber auch das nur, wenn sich das Wetter bessern sollte. Larue und Zed waren recht enttäuscht, stimmten aber zu.

« Sieht man das Weisshorn von der Ebnefluh ?» fragte Pierre. « Ja », antwortete der Führer gelassen.

Pierre betrachtete noch einmal aufmerksam die Höhenkurven auf der Karte und erklärte sich bereit, seine Kameraden auf die Ebnefluh zu begleiten.

Der Wecker wurde auf 2.30 Uhr gestellt. Dann würde man sehen, wie das Wetter sich anlässt. Ein jeder legte sich in einer Ecke des riesigen Schlafraums nieder. Um 7 Uhr Lichterlöschen, um 2 oder 3 Uhr Tagwacht - es ging weiter zu wie bei den Trappisten.

Das war nun schon die dritte Nacht, in welcher der Neuling kaum ein Auge zumachte. In wenigen Stunden vielleicht bis auf viertausend Meter steigen! Die Ebnefluh, nur ein paar Meter weniger hoch als der Eiger... Er erhob sich mehrmals, um am Fenster nachzusehen, ob das Wetter sich besserte. Um Mitternacht war der Himmel wundervoll sternenklar. Es war wie ein Fest, da oben. Die Milchstrasse bildete eine richtige Wolke. Er war sehr durstig, tastete sich in die Küche hinunter und schöpfte mit einem Napf halbgeschmolzenen Schnee aus einem Eimer. Er träumte von eiskaltem Bier. Die besten Getränke trinkt man nie, man träumt immer nur davon.

Sein ganzer Körper glühte. Dann fing er unvermittelt zu frösteln an. Es half nichts, dass er eine Decke nach der anderen über sich zog.

Sie brachen gegen halb 4 Uhr auf. Die Schuhe waren hart, als ob sie aus Holz wären. Das Thermometer zeigte ein Grad Wärme. Es war Föhn. Die Sterne verblassten. Man konnte Kassiopeia, Andromeda und das Viereck des Pegasus erken- " 3 nen. Geraume Zeit ging die Venus über dem Finsteraarhorn auf. Pierre fror trotz seiner Handschuhe an den Händen.

Nur zwei Rucksäcke wurden mitgenommen Pierre schmerzten die Knie noch vom Tag zuvor. Wenn ich ihre Tour verderben würde, wenn sie wüssten, wen sie da mitnehmen, wenn ich sterben sollte...

Sie stiegen langsam über eine breite Schneefläche auf. Er fühlte sich sehr wohl. Je höher man steigt, desto weniger macht sich Müdigkeit fühlbar, ganz wie in Dantes Purgatorio.

Er begriff, dass sie auf dem Gipfel angelangt waren, weil der Führer ein paar Meter vor ihnen stehen geblieben war, ihnen die Hand entgegenstreckte und lächelnd mit einem komischen Akzent « Salut! » zu ihnen sagte. Sie reichten sich alle die Hand.

Das Weisshorn... Leider war der Horizont gegen Süden ganz verhangen. Dafür war die Sicht auf die Jungfrau in ihrer schwindelnden Höhe ( Larue betrachtete sie mit einem vielsagenden Ausdruck um die Mundwinkel ), auf Eiger, Mönch, Finsteraarhorn und das stark zerklüftete Aletschhorn ausgezeichnet. Das grosse Dorf unter ihnen, das im Sonnenlicht glänzte, war Mürren. Zur Linken der Jungfrau bildete sich plötzlich eine Wolke und barst wie ein Geschoss. Das Grünhorn bot sich als vollendeter Spitzbogen dar. Es sah recht unheimlich aus. Kleine, durchsichtige Wölklein trieben ihr Spiel miteinander.

Mit dem Pickel des Führers ritzte Pierre ein F in den harten Schnee. War er doch nur wegen Frédérique bis hierher heraufgestiegen?...

Der Führer riet, nicht auf das Seil zu treten.

Der Gipfel bestand aus einem ganz ansehnlichen, leicht gewellten Plateau, das mit Seifen-flöckchen locker bestreut war. Der Nordostrand war ausgezackt und schien sich einrollen zu wollen wie ein Rosenblatt. Man glaubte sich im Mittelpunkt der Welt, ja man war es wirklich.

Zwanzig oder dreissig Meter hinter ihnen zeigte sich eine Art runder Regenbogen wie eine schalkhaft hingehaltene Zielscheibe, verschwand wieder, tauchte von neuem auf und wurde schwächer. Es war das schelmische « Brockengespenst », das Trugbild der Leute in den Bergen.

Pierre führte Turnbewegungen aus, um gegen die Kälte anzukämpfen.

Man trat den Abstieg an. Der Führer begab sich wieder an die Spitze. Sie waren die üblichen zwanzig Minuten auf dem Gipfel geblieben. Nun stiegen sie über eine andere Route ab. Sogleich gerieten sie in dichten Nebel. Der letzte Mann der Seilschaft konnte den Führer nicht mehr sehen. Der Hang war sehr steil und mit frischem, seidenweichem Schnee überzogen. Es wimmelte von Spalten. Wenn nur nicht ausgerechnet der Führer in eine Spalte fällt... « Nicht gut », sagte er, während er mit dem Pickel seine Umgebung abtastete. Man sicherte ihn, und so konnte er weiter absteigen. « Gut », verkündete er schon bald. Aber Pierre fühlt sich nicht mehr sicher. Er zieht ein Bein aus einem blauschimmernden Loch heraus, ein schönes Vergissmeinnicht-Blau... Links und rechts klafft die Spalte. Er war auf eine Schneebrücke geraten.

Der Nebel wurde immer dichter. Eine Zeitlang konnten sie einander überhaupt nicht mehr erkennen. « Man sah die eigene Skispitze nicht mehr. » Leichter Graupelschnee fiel. Steigen wir eigentlich weiter ab oder vielleicht wieder auf?

Dann hob sich der Nebel ebenso rasch, wie er gekommen war. Die Sonne schien. Man reichte die Tube mit der Schutzcreme herum. Larue erklärte, Sonnenbrand könne besonders schlimm werden, wenn man aus dem Nebel heraustrete. Aber die Salbe war gefroren und nicht herauszubringen.

Der Schnee glitzerte. Es sah aus wie ein Feld voller Gänseblümchen!

Plötzlich stiessen sie zu ihrer Linken auf die Spuren ihrer Aufstiegsroute. Sie hatten sie also gekreuzt, ohne es zu bemerken. Sie waren durch die Sonne schon ziemlich verwischt und nicht mehr gut sichtbar. Zed begann, wie am Vortag, tief einzusinken.

Sie sanken alle ein. Es war der sogenannte Sulzschnee. Sie liessen ein zerstampftes Schneefeld hinter sich wie eine mit dem Pressluftbohrer bearbeitete Strasse. Zed musste seine Beine mit den Händen herauszerren. Ein weisser Schmelztiegel...

Pierre kam todmüde in der Hütte an. Er hatte heftige Kopfschmerzen. Infolge des Schweisses juckten sein Rücken, sein Kopf, sein ganzer Körper unerträglich. Zed trank einen Liter Tee in einem Zug aus, ohne Atem zu holen.

Der zweite Tag in der Hütte glich dem ersten sehr, nur war das Wetter besser. Man leerte die Flasche, die eigentlich dazu bestimmt gewesen war, die Besteigung der Jungfrau zu feiern...

Diesmal schlief Perre ein wenig. Entweder war man auf dem Marsch, oder man legte sich nieder.

Am nächsten Tag, gegen 8 Uhr morgens, ging es endlich wieder « auf die Erde » hinunter. Für Pierre war es höchste Zeit. Seine Kehle und seine Nasenhöhlen brannten. Um Alpenrosen zu pflücken, muss man in der Regel in die Höhe steigen. Sie taten es beim Abstieg.

« Wir waren etwas in Sorge um Sie », sagte man ihnen im Hotel. « Wir fragten uns, wo Sie während des Gewitters wohl seien. » Aber ausser dem Donnern der Lawinen hatten sie nichts von Blitz und Donner verspürt.

Man stiess noch einmal miteinander an. Der etwas herbe Fendant war vorzüglich. Der Führer erzählte von Dramen, die er während seiner langen Laufbahn in den Bergen miterlebt hatte.Von solchen Dingen spricht man besser nachher...

Pierre kehrte mit einer Fülle von Eindrücken heim, geblendet von der strahlenden Schneelandschaft und aufgewühlt von recht geheimnisvollen, etwas erschreckenden Kostbarkeiten, teils entmutigt, teils voller Hoffnung, vor allem aber beseligt durch jene fleckenlose Schönheit.

Sein Glaube, zum Alpinisten berufen zu sein, war bei dieser Besteigung, bei diesem grossen Sieg geboren worden. Es war ihm, als habe er die Pforten der Unterwelt aufgesprengt.

Übersetzung: Franz W. Beidler

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