Die touristische Erschliessung des Kärpfgebirges im Glarnerland | Club Alpin Suisse CAS
Soutiens le CAS Faire un don

Die touristische Erschliessung des Kärpfgebirges im Glarnerland

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von Jost Hösli

Mit 1 Bild ( 121 Männedorf ) « Die höchste Bewunderung für alle Elemente und für die Mannigfaltigkeit der Natur wird durch die Berge erweckt. Ich habe mir vorgenommen, fortan jährlich mehrere, oder wenigstens einen Berg zu besteigen. » So schrieb 1541 der später durch seine Pilatusbesteigung {1555 ) bekannte Zürcher Stadtarzt Konrad Gessner ( 1516 bis 1565 ) an den « hochberühmten Herrn Jakob Vogel », Landschreiber zu Glarus, Zeitgenossen von Aegidius Tschudy und Joachim Bäldi, dem Schöpfer des Freiberg geheissenen Wildreservates im Glarner Kärpf-gebirge. Hat der grosse Universalgelehrte des Humanismus bei seinem Freund Vogel ein besonderes Verständnis für die Gebirgswelt gefunden? Gessner gibt uns selber die Antwort. « Es sind noch viele andere Gründe, derenthalb mich das Schauspiel der Berge über alle Massen ergreift. So kommt mir das Verlangen, sie zu besuchen, wozu mich eben deine Freundschaft einlädt ( 1 ). » Ob ihn der Glarner, der als Student in Paris beim berühmten Landsmann Glarean studierte, zu einer Bergtour ins Kärpfgebiet eingeladen hat? Warum nicht?

Das Schlagwort von der abergläubischen « Gebirgsfurcht » des mittelalterlichen Menschen wird dem Verhältnis des Alpenbewohners zur Natur seines Lebensraumes kaum gerecht. Ist doch der geistigen Entdeckung der Alpen die wirtschaftliche um Jahrhunderte, ja sogar Jahrtausende vorausgegangen. Schon zu Gessners Zeiten zogen alljährlich Bauern und Schützen ins Hochgebirge, das ihnen wohl ebenso vertraut war wie den heutigen Sennen und Jägern. In aufklärerischem Entwicklungsglauben befangen, bezweifeln wir ihr Naturerlebnis nur deswegen, weil uns darüber Berichte fehlen. Gilt nicht das, was Georg Thürer in seiner Kulturgeschichte des alten Landes Glarus bemerkt: « Die wenigen Schreibkundigen des alten Bauerntums, schon ihrer Seltenheit wegen irgendwie besondere Menschen, hielten in weit höherem Masse als wir Zeitungsmenschen nur das Auffällige, eben das Merkwürdige, des chronikalischen Vermerks würdig ( 2 ). » Sicher gehört auch das Bergerlebnis des Gebirglers zu dem vom Chronisten stets vorausgesetzten, nie beschriebenen Alltag.

Die « physische » wie « psychische » Entschleierung der Alpen seit dem 16. Jahrhundert ist eine blosse Angelegenheit des dem Hochgebirge beziehungslos gegenüberstehenden Bewohners des Flachlandes. Ihre Pioniere haben ja meistens die altvertrauten Kenntnisse und Erfahrungen der Bergler zunutze gemacht. Lange bevor jene das Gebirge kannten, haben diese mit empfänglichen Augen seine Schönheiten geschaut und mit empfindsamen Herzen seine Schrecknisse erlebt. So dürfen wir die 1670 in Basel erschienene, in der Alpenliteratur leider unbeachtet gebliebene « Gründliche Beschreibung der hohen Berge samt der sich darauf befindenden Fruchtbarkeit, wilden Thiren, deren Natur und andern Wunderdingen des Lobi. Orts und Lands Glarus » als mittelbaren Ausdruck für das Landschaftserlebnis des damaligen berggewohnten Glarners werten. Ihr Verfasser ist Pfarrer Heinrich Pfandler von Schwanden ( 1636 bis 1687 ), ein Freund des durch seine beobachtungstreuen Zeichnungen berühmten Holländers Jan Hackaert. Pfändler preist die Fruchtbarkeit und Schönheit der Bergwelt. « Und seien diese hohen Berge des Landes Glarus so rauh und wild sie wollen, so sind sie dannoch 1. lieblich, 2. nützlich. » Er berichtet von durstlöschenden Die Alpen - 1953 - Les Alpes22 Quellen, von fischreichen Seen, von den weidenden Herden und ihrem Nutzen. Er erzählt vom Leben der Älpler, von edlen Kräutern, von Gemsen, Munggen und Steinhühnern und von den Berggipfeln und ihrer Aussicht Ihm verdanken wir die ersten Naturbeschreibungen des Kärpfgebietes, das ihm ja von Schwanden aus nahe lag und welches ihm zum 84 Seiten zählenden Werk reichhaltige Eindrücke geboten haben mag.

Rund 40 Jahre später, im Herbst 1710, besuchte der Zürcher Professor für Mathematik, Stadtarzt, Naturforscher und Historiker Johann Jakob Scheuchzer auf seiner achten Alpenreise den Freiberg, von dem er schon 1705, anlässlich seines Schwandnerbesuches der vierten Gebirgstour viel erfahren und dem er einen « historisch-politischen Bericht » gewidmet hatte. « Wir erhielten die Freyheit denselben zu besteigen, damit wir die Herden von Gemsen sehen und auch einige Barometrische Beobachtungen daselbst anstellen könnten. Wir hatten auch von der Obrigkeit die Erlaubnis eines von den Gemsen niederzuschiessen. » In Begleitung eines geschworenen Freibergschützen stieg Scheuchzer von Schwanden über Nie-dernstafel, Auern, Ratzmatt nach dem « Obern, auf der Matte, auf Scherff, ein hohes Joch des Freyberges » und von da auf vielen Umwegen nach Elm hinunter ( 3 ). Sein Wanderbericht ist allgemein gehalten und bietet erstaunlich wenig.

Was uns die Beziehungen von Gessner zu Jakob Vogel nur vermuten lassen, nämlich, dass den « Alpenentdeckern » kundige Einheimische ihr erfahrungsreiches Wissen dienstbar gemacht haben, finden wir bei Scheuchzer, dem « Vater der alpenländischen Naturkunde », Begründer der Versteinerungslehre und Alpenforschung, völlig bestätigt. Einer seiner bedeutendsten Gewährsmänner und Mitarbeiter war Johann Heinrich Tschudi ( 1670 bis 1729 ), ebenfalls Pfarrer in Schwanden, Verfasser der ersten Glarner Geschichte und der 1714 bis 1726 erschienenen « Monatlichen Gespräche ». Tschudi, dessen Bekanntschaft mit Scheuchzer auf seine Zürcher Studienzeit zurückgeht, orientierte den grossen Gelehrten mündlich und schriftlich über alle möglichen Naturerscheinungen des Glarnerlandes. Er berichtete ihm von Bergstürzen, Lawinenunglücken, Überschwemmungen, von Hagel und Frost, seltsamen Funden und Jagden auf wilde Tiere. Er liess ihm sogar « figurierte » Platten aus den Schieferbrüchen des Sernftales zukommen. Oft kehrte Scheuchzer im Pfarrhaus zu Schwanden ein, so auch im Juni 1714, da ihm der Glarner « beim Abendtrunk viel zu der Naturhistorie dienliche Sachen zu verstehen gegeben » hatte. Tschudi gilt als Vater der Glarner Geschichte, er darf ebenso als Begründer der Glarner Naturgeschichte und Geographie gewürdigt werden. Seine Chronik « Beschreibung des loblichen Orths und Lands Glarus » vom Jahre 1714 enthält die erste geographische Schilderung des Glarnerlandes. Sie wurde das Vorbild für die 1774 herausgegebene « Neuere Glarner Chronik » von Christoph Trümpi und zudem Quellenwerk für verschiedene historisch-geographische Beschreibungen der damaligen Eidgenossenschaft ( Fäsi, Fuesslin, Normann u.a. m. ). Besonderer Ruhm gebührt Tschudi als Zeichner der ersten speziellen Karten des Glarnerlandes, welche als beachtenswerte Leistungen für ein Jahrhundert die besten blieben ( 4 ).

Noch grösseres Interesse fand das Kärpfgebirge im 19. Jahrhundert. Die aufblühende Naturforschung und der durch die Gründung des Schweizer Alpenclubs ( 1863 ) eingeleitete Alpinismus machten den Freiberg zum vielbegangenen Studien- und Wandergebiet.

Im September 1823 durchquerte der Zürcher C. Hirzel-Escher, vom Wäggital und Klöntal herkommend, das Niederntal in Begleitung eines alten Gemsjägers und eines Trägers. Auf der heutzutage und besonders im Winter vielbegangenen Route Mettmen—Oberstafel-Hübschboden bestiegen sie den Rotkopf, der seit 1908 die Leglerhütte trägt. Dem Westgrat des Kärpfstockes entlang erreichten sie den die Kühtalmatt vom Durnachtal trennenden Graskamm, wo sie zu Tale stiegen ( 5 ).

Von bedeutend grösserer Tragweite als Hirzels Reisebericht waren die petrographischen und geologischen Untersuchungen der namhaftesten Geognosten und Geologen. Hans Conrad Escher von der Linth ( 1767 bis 1823 ), Arnold Escher von der Linth ( 1807 bis 1872 ) und vor allen Albert Heim ( 1849 bis 1937 ) verschufen dem zwischen Sernf- und Linthtal gelegenen Bergland in Fachkreisen internationalen Ruf ( 6 ). Dazu gesellten sich die klassischen Forschungen von Oswald Heer ( 1809 bis 1883 ), der nach seinen Studien in Halle als junger Pfarrer seinem Vater in Matt aushalf und dabei Gelegenheit fand, « die Berge und Nebentäler des Sernftales bis auf alle Spitzen hinauf und in alle Schluchten hinab auf zahlreichen Exkursionen » nach Pflanzen und Insekten gründlich abzusuchen. Dabei wagte sich Heer auch auf Berggipfel, deren Besteigung damals noch als überaus schwierig galt. In verschiedenen Schriften, wie « Über die geographische Verbreitung der Käfer in den Schweizeralpen », « Über den Einfluss des Alpenklimas auf die Farbe der Insekten » oder « Die Vegetationsverhältnisse des südöstlichen Teils des Kantons Glarus, ein Versuch die pflanzengeographischen Erscheinungen der Alpen aus klimatologischen und Bodenverhältnissen abzuleiten », hat Oswald Heer seine sorgfältigen Beobachtungen der Glarner Bergwelt der weiten Öffentlichkeit übergeben ( 7 ). Noch bekannter aber ist er dem Glarnervolk als Verfasser des mit Dr. J. J. Blumer gemeinsam bearbeiteten, 1846 erschienenen VII. Bandes vom « historisch-geographisch-statistischen Gemälde der Schweiz » geworden. Durch Blumer und Heer hat das Glarnerland von allen dargestellten Kantonen des Sammelwerkes die gründlichste Behandlung erfahren.

In den Jahren 1860 und 1861 durchstreifte der Berner Professor für Chemie und Geologie Dr. Rudolf Theodor Simler ( 1833 bis 1873 ) auf mehreren Touren die Glarner Berge. 1860 besuchte der Nachfahre des durch sein Werk « De Alpibus Commentarius » berühmten Theologen Josias Simler ( 1530 bis 1576 ) zum ersten Male den Freiberg ( 8 ). Drei Tage später bestieg er als Erster den Tödi-Rusein von Norden her. Im folgenden Jahr weilte er nochmals im Kärpfgebiet und bestieg mit einem Sennen, « der schon mehrmals auf dem Kärpf gewesen » war, den vor ihm schon von Escher und Heer erklommenen Hauptgipfel, wo « man das ganze Glarnerland wie ein Relief vollständig übersieht ». 1862 sandte Simler ein Rundschreiben an neun ihm bekannte Persönlichkeiten, welches zur Gründung eines Alpenklubes anregte. Am 19. April 1863 trafen sich 35 Bergfreunde in Olten und gründeten den Schweizer Alpenclub. Gleichzeitig konstituierten sich die eifrigen Glarner Mitbegründer zur Sektion Tödi. Diese erwählte erstmals 1868 den Kärpfstock zum Ziel einer Sektionstour. 1876 und 1877 waren die Glarnerberge wie schon im Jahre 1863 offizielles Exkursionsgebiet des SAC. Albert Heim schuf ein Itinerarium ( Vorläufer der Klubführer ), worin er feststellt, dass das Sernifitgebiet des Kärpfstockes in allen Richtungen schon durchwandert worden ist. Und rund 20 Jahre später ist auch das winterliche Gebirge erobert worden. Das Verdienst gebührt dem 1893 aus der Sektion Tödi als Spross hervorgegangenen Skiklub Glarus, dem ersten Skiklub der Schweiz, der um die Jahrhundertwende fast systematisch alle Gebirge des Glarnerlandes in Touren erschloss ( 9 ).

Seither ist der Glarner Freiberg sommers wie winters zum vielbesuchten und populären Wandergebiet des Glarnerlandes geworden, das sowohl dem wenig geübten und älteren Berggänger als auch dem anspruchsvollen Bergsportler dankbare Touren und zünftige Klettereien bietet ( 10 ). Zwei Ereignisse haben im besonderen den Zustrom der Alpen wanderer, Bergsteiger, Wintersportler und Ferienausflügler mächtig gefördert.

Im Jahre 1907 erbaute auf dem Rotstock am Nordfusse des Kärpfstockes der Industrielle Matthias Legier aus eigenen Mitteln eine Hütte, die er der Sektion Tödi schenkte und die im Oktober 1908 als Leglerhütte eingeweiht wurde. Ihrer idealen Lage wegen ist die vom Tale aus in fünf bis sechs Stunden leicht zu erreichende Unterkunftsstätte zur meistbesuchten Klubhütte des Glarnerlandes geworden. Im Zeitraum von 1913 bis 1938 haben sich z.B. rund 15 000 Personen, pro Jahr durchschnittlich 600 Personen, in die Hüttenbücher eingetragen. Seit den 30er Jahren bewegt sich die jährliche Frequenz der statistisch erfassten Hüttengäste stets über 1000 und hat auch schon die Zahl 2000 überschritten. Der Kärpf ist in stets steigendem Ausmasse Wintersportgebiet geworden, das vor allem im Frühling, zu Ostern und auch noch zu Pfingsten in die Höhe lockt. Haben sich im Winter 1912/13 nicht mehr als 40 Leute in das Hüttenbuch eingetragen, so sind es gegenwärtig Hunderte, ja Tausende, die oft in langen Kolonnen durch das Niederntal den sonnigen Schneegefilden am Kärpfstock zustreben. Schon 1933 erforderte der starke Andrang eine gründliche, speziell dem Skifahrer zweckdienliche Verbesserung der Hüttenräumlichkeiten ( 11 ). Eine weitere Etappe in der Geschichte der begehrten Leglerhütte bedeutet die im Sommer 1949 erfolgte Vergrösserung.

Das andere verkehrsfördernde Ereignis hat mit der Nutzbarmachung der Gewässer durch die 1929 von den Gemeinden St. Gallen und Schwanden gegründeten AG. Kraftwerke Sernf-Niedernbach zu tun. Die Talstufe der « Garichte » wurde zum See aufgestaut. Die zum Bau der Staudämme notwendige Transportbahn vom Kies nach dem neu entstandenen Bergsee blieb auch nach dem 1931 erfolgen Abschluss der Bauten bestehen. Sie ging in das Eigentum eines Privaten über, der die luftige Seilbahn zur Beförderung von Personen ausbaute. So ist der mühsame « Spitzkehren»-Aufstieg über die steile Talstufe ausser Mode geraten. Als weiteres Erbstück der technischen Unternehmung gesellte sich ferner zu dem auf Mettmen bereits 1928 erstellten Heim des Touristenvereins « Die Naturfreunde » das aus der ehemaligen Werkkantine hervorgegangene Berggasthaus « Garichte ». Die von der Gemeinde Schwanden 1936/37 gebaute, von Autos befahrbare Waldstrasse nach dem Kies, der Talstation der Seilbahn, hat ein übriges zur intensiven touristischen Erschliessung des Kärpfgebirges geleistet. Also ist der seit dem 16. Jahrhundert als Wildreservat berühmte Freiberg zum vielbesuchten Wandergebiet geworden. Viele Naturfreunde fürchten für seine erhabene Ruhe und stille Einsamkeit. Möge ihm in Zukunft das laute, überhabliche Getriebe einer seelenlosen Sportlerei erspart bleiben, es ist « ein Idyll, wo man keine Eisaxt, sondern nur ein für alles Schöne empfängliches Gemüt braucht » ( K. Frey ).

Literatur:

( 1Rieh. Weiss: Die Entdeckung der Alpen. Frauenfeld 1934, S. 1-5.

Georg Thürer: Kultur des alten Landes Glarus. Glarus 1936, S. 45 und Anmerkung.

( 2Georg Thürer: S. 451.

( 3Joh. Jak. Scheuchzer: Naturgeschichte des Schweitzerlandes, samt seinen Reisen über die Schweitzerischen Gebürge. Zürich 1746, 2. Teil, S. 62, 69 f., 296-308.

Vgl. J. Gehring: Das Glarnerland in den Reiseberichten des 18. bis 19. Jahrhunderts. Jahrbuch des Historischen Vereins des Kantons Glarus, 51. Heft, 1943, S. 31-37.

Rud. Bühler: Geschichte der Sektion Tödi SAC 1863-1913. Schwanden 1913. J. Mercier: Aus der Urgeschichte des schweizerischen Skilaufes. Glarus 1928. Vgl. A.J.enny: Glarner Geschichte in Daten, Bd. III, S. 511 f.

( 10Ed. Naef-Blumer: Clubführer durch die Glarner Alpen.

Vgl. K. Frey: Aus den Bergen des Sernftales. Alpine Erlebnisse und Erinnerungen. Zürich 1904.

( 11R. Bühler: Zweite Geschichte der Sektion Tödi SAC 1913-1938. Glarus 1938.

Feedback