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Die Vulkane der östlichen Türkei

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Jean Sesiano, Genf

1 Die Höhenangaben in dieser östlichen Region der Türkei sind mit Vorsicht aufzunehmen. Es gibt keine genaue Vermessung, und die geschätzten Werte sind meist zu hoch angesetzt; so musste die Gipfelhöhe des Süphan in den letzten Jahren um fast 400 m ( herabgesetzt ) werden.

Jene Gebiete der Türkei, die an den Iran, die UdSSR und den Irak grenzen, gehören zu einer grösseren Einheit mit ganz eigenem Charakter, die der künstlichen, von Menschen gezogenen Grenzen spottet: Kurdistan. Und in allen diesen vier Ländern begegnet man auch jener halbnomadischen, vorwiegend aus Hirten bestehenden Bevölkerung.

In den letzten Jahren wurden nun mehrere ausländische Expeditionen in den türkischen Teil von Kurdistan unternommen, wo um Hakkâri zahlreiche kühne Gipfel bis zu fast 4000 m aufragen. Sicherlich haben die inmitten einer einsamen und wilden Gegend liegenden Gletscher und steilen Felswände aus kristallinem oder Kalkstein - selbst wenn sie zu unbekannten Gipfeln führen - dabei eine entscheidende Rolle gespielt. Ganz anders beschaffen sind die Gebiete im Norden, um den Van-See und an der Grenze zu den UdSSR: eine vulkanische Landschaft mit zahlreichen 3000, 4000 oder sogar 5000 m hohen kegelförmigen Bergen.

Nicht ganz in dieses Bild passt, dass sich im Westen von Kurdistan noch ein einsamer, majestätischer Vulkan erhebt, der die Stadt Kayseri beherrschend überragt: der etwa 3900 m hohe Erciyas1. Doch stellt er durchaus nicht das einzige Zeichen vulkanischer Tätigkeit in dieser Region dar. Hier finden sich nämlich auch die berühmten Touristenorte Göreme und Ürgüp, deren zahllose Häuser, Heiligtümer und sonstige Anlagen in die Tuff-Felsen gegraben sind, die ja letztlich aus nichts anderem als feiner, verfestigter vulkanischer Asche bestehen.

Wir, das heisst meine Frau, meine drei Töchter und ich, haben damals Mitte Juli den Erciyas - in der Antike Argäus genannt - von ferne erblickt; einsam und von der untergehenden Sonne rötlich gefärbt. Schon sehr früh haben die Völker Kleinasiens dem mit ewigem Schnee bedeckten Berg Aufmerksamkeit geschenkt und Respekt entgegengebracht; auf griechisch-römischen Münzen ist der Vulkan während eines Ausbruchs dargestellt. Auch der griechische Geograph Strabon spricht von ihm. Es scheint, als habe sich die vulkanische Tätigkeit des Berges in den letzten fünfzehntausend Jahren stärker auf die Bildung neuer Nebenkegel beschränkt; zu einer Eruption des Hauptkegels - dessen Besteigung wir planen - scheint es nicht gekommen zu sein.

Am Ende des Nachmittages erreichen wir auf einer gepflasterten Strasse Kayak Evi und sein in 2150 m Höhe gelegenes, düsteres Schutzhaus auf einem Pass östlich des Vulkans. Es handelt sich um eine ehemalige Skistation, deren Installationen nun aber völlig verfallen sind. Abgesehen von Schäfern mit riesigen Herden, sind wir ganz allein. Etwas Buschwerk und grosse Grasbüschel prägen das Landschaftsbild; Bäume hingegen fehlen. Das schöne Wetter des vergangenen Tages hat einigen schweren Wolken, die sich nun um den Gipfel lagern, Platz gemacht. Nach einer ruhigen Nacht im Zelt, die uns bloss ein paar schwache Regenfälle brachte, erleben wir einen strahlenden Tagesanbruch. Per Jeep fahren meine Tochter und ich zur oberen Sesselbahnstation, wobei der Weg zwischen zum Boden niederhangenden Kabeln und zerbrochenen Sesseln durchführt. Auf 2750 m lassen wir den Wagen stehen und gehen zu Fuss weiter. Über einen langen sanften Abhang, über alte Moränen und einen schuttbedeckten Gletscher erreichen wir die östliche, von zahlreichen Couloirs durchzogene Flanke. Wir entscheiden uns für jenes Couloir, das etwas links vom Gipfel endet: 700 Meter mit einer Neigung zwischen 35 und 40 Grad. Die Sonne hat uns erreicht. Die Eisen an den Füssen, steigen wir gleichmässig auf, für meinen Geschmack allerdings etwas zu langsam, da sich jetzt tief unter uns Wolken bilden, die unmerklich an Höhe gewinnen. Der Hang wird steiler, eine kleine Wächte wird überwunden, dann stehen wir auf dem Grat. Die letzten 50 Meter legen wir in Eile zurück, um möglichst schneller als die Wolken zu sein. Als wir nach insgesamt dreieinhalb Stunden den Gipfel erreichen, empfangen uns zahlreiche Bildnisse von Atatürk, dem Begründer der modernen Türkei. Es ist nicht kalt. Auf der Nordseite bemüht sich ein kleiner, nur wenig zerklüfteter Gletscher, der mitleidlos brennenden Sommersonne zu entgehen. Als die Wolken alles einzuhüllen beginnen, verlassen wir den Gipfel und bewegen uns auf den Südgrat zu, der als schmaler Kamm den halbkreisförmigen Kessel begrenzt, in dem wir uns heute Morgen aufgehalten haben. Auf der andern Seite ziehen sich weit weniger steile Hänge aus Lavablöcken und Asche hin. Ein grosser Felsturm ver- sperrt uns den Weg und zwingt uns, ihn stark absteigend zu umgehen, bevor wir wieder den Grat gewinnen können. Besonders beeindruckt uns hier das Spiel des Lichtes auf den zerklüfteten, zerrissenen Mauern, diese im Dunst verschwindenden Überreste alter, durch Verwitterung modellierten Lavamassen. Einige Stunden später erreichen wir in langen Rutschpartien über den Firn den schuttbedeckten Gletscher, wo uns ein Schäfer einlädt, unter dem trägen Blick eines wahrhaft riesigen Hirtenhundes, sein frugales Mahl -Fladenbrot und Weisskäse - mit ihm zu essen. Die Verständigungsmöglichkeiten bleiben beschränkt, aber jeder ist zufrieden, das Seine mit den andern teilen zu können. Der Schäfer erzählt uns, er stamme aus den östlichen Gebieten, und aufgrund seiner asiatischen Gesichtszüge können wir erkennen, dass er offensichtlich Turkmene ist. Mit grossem Stolz bittet er uns um eine Aufnahme für die Nachwelt. Die Rückkehr vollzieht sich dann ohne weitere Ereignisse.

Weil sich der Himmel immer noch hinter einer Wolkendecke versteckt, verlassen wir diese Gegend in Richtung auf die iranische Grenze, wo wir schöneres Wetter anzutreffen hoffen. Von Malatya aus überqueren wir zunächst den Firat ( Euphrat ) und erreichen dann über Elâzig und den Hazar Gölü ( Hazar-See ), der in der grossen ostanatolischen Verwerfung liegt, Diyarbakir, den mit 660 m tiefsten Punkt unserer Reise. Es herrscht eine Gluthitze, Syrien und Irak sind nur wenige Autostunden entfernt. Doch wir befinden uns bereits in Kurdistan und damit im Bannkreis seiner liebenswürdigen Bevölkerung: Man will uns nicht mehr draussen auf dem Boden schlafen lassen; man lädt uns ein, leert das lauwarme Wasser aus unseren Kanistern und füllt sie mit kaltem Quellwasser, kurz, eine vollständige ( Zwangswirtschaft )!

Trotz - bzw. wegen - dieser Gastfreundschaft sehnen wir uns nach etwas mehr Freiheit. Über Bitlis gelangen wir zum Van-See ( 1700 m ), dessen Oberfläche siebenmal grösser ist als diejenige des Genfersees. Sein Wasser schmeckt leicht salzhaltig. Flora und Fauna konzentrieren sich deshalb an den Ein-trittsstellen von Süsswasser. Im Westen wird Abendstimmung über dem Tendürek. Im Vordergrund das Lager der Kurden der See vom Vulkan Nemrut überragt, der sanft bis auf etwa 3000 m ansteigt. Wir nehmen den Weg, der zum Gipfel führt, erreichen den Kamm und steigen in den Krater hinab. Dieser weist einen Durchmesser von sechs Kilometern auf und wird teilweise von einem Schmelzwassersee bedeckt; einige Firnfelder sind noch erhalten. Wie 1980 beim Mount St. Helens in den USA und im Jahr 79 v. Chr.

beim Vesuv, hat hier in vorgeschichtlicher Zeit eine gewaltige Eruption den Vulkan ( geköpft ) und Blöcke, Asche und Bimsstein weit in die Umgebung geschleudert. In die so entstandene Vertiefung ist später zähflüssige Lava eingedrungen, die kuppenförmig erstarrte.

Ein Bulldozer dröhnt durch die Landschaft. Scheinbar um eine Strasse zu bauen, die zu einem Hotel führen soll, dessen Errichtung am Ufer des Sees geplant ist. Ein utopisches Projekt, denn wer wird derart weit in den Osten der Türkei fahren, um dann in den Tiefen eines Der Erciyas Kraters eingeschlossen zu sein. Für Europäer handelt es sich um einen mehr als abgelegenen Ort - Istanbul liegt 1700 km weiter westlich - und nur wenige reisen in dieses Gebiet. Die türkischen Touristen fürchten sich vor Kurdistan und seiner ( barbarischen » Bevölkerung. Sie bevorzugen deshalb die Mittelmeerküste, sogar wenn die Griechen dort nur einen Katzensprung entfernt sind.

Zahlreiche Hirtenzelte lassen sich ausmachen, und ganze Horden von Kindern begrüssen unseren in einer mächtigen Staubwolke daherkommenden Jeep.

Als einzige Spuren einer fast erstorbenen vulkanischen Tätigkeit, stossen wir hier auf eine heisse Quelle ( 56° ) und eine Spalte, aus der 48gradiger Wasserdampf herausquillt. Ob-sidianergüsse in grosser Zahl - eine in der Regel schwarze, vulkanisch-glasige Masse - begrenzen den Krater und spiegeln sich in der bleiernen Sonne. Wenig später verlassen wir den Berg und kehren zu den Ufern des Van-Sees zurück, um dort zu baden. Dies, nachdem wir auf der Strasse zahlreichen Schildkröten ausweichen mussten, wovon einige eine Länge von bis zu 25 cm erreichen. In der Ferne erhebt sich über dem See der noch beachtliche Schneefelder aufweisende 4600 m hohe Vulkan Süphan, während sich rund um uns die riesige ausgetrocknete Steppe erstreckt, in der sich die Schafe mit dem mageren Pflanzenwuchs begnügen müssen, den dieser beständig trockene Landstrich hervorbringt. Die Farben an den Ufern des Sees sind zauberhaft, und in seinen völlig klaren Wellen spielen alle Grün- und Blautöne. Der Sandstrand zeigt sich bald gelb, bald schwarz, je nachdem, ob man sich in der Nähe von Kalk-untergrund oder in vulkanischem Gebiet befindet. Kein Mensch weit und breit! Wir fahren am Ort Adilcevaz vorbei und erreichen eine Piste, die uns zu einer Fernmeldeantenne auf 2500 m führt. Der vollkommen klare Himmel kündigt einen schönen Tag an.

Am 21 .Juli mache ich mich um 5 Uhr morgens auf den Weg. Die Luft ist mild und das beginnende Dämmerlicht genügt mir zur Orientierung. Ich steige direkt gegen den Gipfel auf und folge dabei einem Tälchen. Zahlreiche Schafe weiden das dichte trockene Gras ab. Diese Vierfüsser kommen aber selten über 3500 m hinauf, wo die Nähe des Schnees eine bunte, reiche Pflanzenwelt gedeihen lässt. Der Boden wird jetzt weniger fest, ich muss deshalb meinen Weg sorgfältig wählen und versuchen, einen zuverlässigen Untergrund zu finden. Inzwischen ist die Sonne aufgegangen, doch die Temperatur bleibt angenehm. Bei etwa 3750 m erreiche ich die Andeutung einer Verebnung, Überrest eines durch spätere Lavaströme aufgefüllten Kraters. Ab jetzt steilt sich der Hang auf, ich ziehe es deshalb vor, die Steigeisen zu benutzen. Ein letztes Couloir und ich gelange auf das Gipfelplateau, wo mich eine durch viele Kuppen modellierte Ebene empfängt, gespickt mit unzähligen kleinen, zum Teil noch eisbedeckten Seen, jade-grünen Juwelen, die eine weite, schwarze und weisse Fläche schmücken. Es ist halb zehn Uhr. Im Süden nehmen der Van-See und dar- Der Ararat, von Südwesten gesehen über die Berge von Hakkâri den ganzen Horizont ein. Im Westen entdecke ich den Nemrut, wo wir vor zwei Tagen weilten. Überall sonst erstreckt sich weites, hügeliges, graubraunes Land bis ins Unendliche. Auf diesem Vulkan findet sich kein Zeichen irgendwelcher Tätigkeit. Aber auch er hat einmal seine grosse Zeit gehabt, doch diese liegt um einige Jahrhunderttausende zurück. Ehe ich schnell zum Zelt absteige, sammle ich einige Gesteinsproben.

Wir verlassen den Van-See. Gleich darauf wird die Gegend rauher und steiniger. Wir befinden uns auf einer Piste im äussersten Osten des Landes, nur einige Kilometer von der iranischen Grenze entfernt. Noch vor wenigen Jahren war der Zugang zu dieser ganzen Region schwierig, sowohl wegen ihrer strategischen Bedeutung als auch, weil es sich um kurdisches Gebiet handelt, also um einen Un-ruheherd innerhalb des türkischen Staates.

Wir fahren nun talaufwärts einem Wildbach entlang, der vom Schnee des Tendürek gespiesen wird. Die Besteigung dieses Vulkans steht ebenfalls auf dem Programm. Es folgen einige militärische Kontrollen; dann Dörfer, die wir so schnell wie möglich ( mit 30 km/ Std. !) durchqueren, um den Steinwürfen von Kindern zu entgehen, die für die Wiege schon zu gross sind, aber noch zu klein, um die möglichen Folgen ihres Handelns oder der Wirkung ihrer Geschosse abzuschätzen. Kurz hinter Caldiran folgen wir einem sehr jungen, vielleicht nur wenige Jahrhunderte alten Basaltstrom: Wie eine lange, schwarze Wunde zieht er sich von der Höhe des Tendürek herab, eines eingedrückten, zweigipfeligen, 3500 m hohen Kegels.

Der Weg steigt nur geringfügig. Von Zeit zu Zeit kündet der türkische weisse Halbmond mit weissem Stern auf rotem Grund von der Anwesenheit eines Militärpostens; bereits in einer Entfernung von nur 3 Kilometer erstreckt sich ja iranisches Gebiet. Auf etwa 2500 m Höhe angelangt, befinden wir uns noch etwa 10 km ( Luftlinie ) vom Vulkangipfel entfernt. Bis hierher boten sich keine Schwierigkeiten. Links führt nun ein fahrbarer Weg hinab in ein grosses, grasbedecktes Becken, in dem zahlreiche Zelte kurdischer Hirten stehen. Überall stechen die leuchtenden Farben der Frauen-und Mädchengewänder von den stark abgetragenen Anzügen und Krawatten der Männer ab, die sich nahezu in der ganzen Türkei auf diese Weise zu kleiden pflegen. Sehr bald werden wir in ein Zelt eingeladen, wo man uns den traditionellen Tee, Joghurt, Fladenbrot und Käse anbietet; die tägliche Nahrung der Bergbewohner, zu der manchmal noch etwas Gemüse und Hammelfleisch kommt. Als wir unseren Plan erklären, sind gleich zwei Männer bereit, uns auf den Vulkan zu begleiten. Es scheint tatsächlich eine, wenn auch schlechte, Fahrpiste zu einem zwischen dem östlichen und dem zentralen Gipfel gelegenen Lager ( 3100 m ) zu existieren.

Schon früh am Morgen starten wir vier bei strahlendem Wetter mit unserem Jeep. Der am Anfang noch einigermassen akzeptable Weg verwandelt sich aber bald in eine unbeschreibliche Angelegenheit. Ohne Führer wären wir niemals in der Lage, uns zurechtzufinden. Die grasbewachsenen Hänge, auf denen man eben dabei ist, das Winterfutter einzubringen, werden zunehmend steinig, so dass die Hindernisse in ständigem Zickzackkurs umfahren werden müssen. Endlich erreichen wir das Lager. Die Zelte mit ihren grossen, braunen Planen aus Ziegenhaar gleichen denen im Tal unten. Hier wie dort sind sie von mit Hanfseilen zusammengebundenen Holzpfosten gestützt und auf drei Seiten an Erdbö-schungen oder Steinmauern angelehnt. Der Boden ist mit Teppichen bedeckt, in einer Ecke haben die Bewohner die Schlafdecken gefaltet aufgestapelt, ein Feuer oder ein Gasrechaud in der gegenüberliegenden bildet die Küche. Eine neue Begrüssung. Weitere Besucher gesellen sich zu uns. Ich beschliesse, den Wagen im Lager zu lassen, auch wenn die Einheimischen mir versichern, dass der Weg weiterhin befahrbar sei. Doch der Jeep hat genug gelitten, und schliesslich sind wir ebenfalls hierher gekommen, um unsere Beine zu benutzen. Auf einem guten Pfad steigen wir rasch gegen den östlichen Gipfel auf, dann gelangen wir in einen weit geöffneten Krater von 500 m Durchmesser, dessen Grund ein 17° warmer Süsswassersee einnimmt. Wir befinden uns jetzt auf 3200 m und folgen dem Grat, um den noch 200 m höher gelegenen Gipfel zu erreichen. Da führen uns die zwanzig Kurden, die uns begleiten, stolz zu einem kleinen, etwas tiefer liegenden Brunnen, aus dem 58gradiger Wasserdampf aufsteigt: Der Vulkan weist also doch noch Zeichen einer, wenn auch sehr schwachen, Aktivität auf.

Acht Kilometer südwestlich erhebt sich der zentrale Gipfel, der nach Aussage der Einheimischen interessant ist. Wir steigen zum Lager ab und erreichen dann über lange, mit alter Lava und mageren Weiden bedeckte Hänge ein anderes Lager in 3000 m Höhe. Hier werden wir wieder freundlich aufgenommen und reich verköstigt. Langsam kommen uns Zweifel: Wollen wir nun eine gastronomische Rundreise absolvieren oder wissenschaftliche Forschung betreiben?

Der einzig trübe Punkt beim Empfang in einem solchen Lager sind die Hirtenhunde. Diese riesigen Tiere stürzen sich auf den Besucher, um ihn womöglich in Stücke zu reissen, offenbar im Wunsch, ihre meist recht einfache Kost etwas aufzubessern. Wir haben also versucht, sie möglichst nicht an uns herankommen zu lassen, und oft sind wir, mit stählernen Skistöcken ohne Teller bewaffnet, vier oder fünf um uns herum tobenden Tieren entgegengetreten. Doch jedesmal haben wir mit Erleichterung die Einheimischen heranlau-fen und die Hunde mit Steinwürfen verjagen sehen; sicherlich die wirksamste Methode, weil man sie damit in gebührender Entfernung hält.

Wir setzen unseren Aufstieg fort, wobei wir immer wieder auf Firnfelder treffen. Der weit steilere Gipfelkegel besteht aus vulkanischer Schlacke und Lavagrus, was den Aufstieg nicht gerade vereinfacht. Endlich erreichen wir den höchsten Punkt. Ein grosser Krater mit fast senkrechten Wänden gähnt zu unseren Füssen; er verfügt über einen Durchmesser von ungefähr einem Kilometer und ist rund 500 m tief. Er gehört einer erstaunlich jungen morphologischen Stufe an, sein Boden bedecken nur geringe Geröllablagerungen. An der gegenüberliegenden Wand steigen Dämpfe auf, die Schwefel ablagern. Einer unserer Begleiter, ein Jäger mit Patronengürtel, verlässt uns, um auf die Jagd nach Bergdohlen zu gehen. Immer noch in Begleitung von etwa zehn Kurden, nehmen wir den Rückweg unter die Füsse und erreichen bei einbrechender Nacht, von Müdigkeit und dem Gewicht der Lavapro- ben fast zu Boden gedrückt, unser Lager.

Unser kurzer Besuch der Vulkane der Ost-Türkei geht nun schon seinem Ende entgegen. Es bleibt bloss noch die Begegnung mit dem Ararat im äussersten Norden der 250 km langen tektonischen Bruchlinie, auf welcher sich der Nernrut, der Süphan und der Tendürek befinden. Auf schlechten Wegen gelangen wir ins Tal hinunter und erreichen die kleine Stadt Dogubayazit auf 1500 m Höhe. 25 km nördlich erhebt sich der alles überragende Grosse Ararat mit seinen 5137 m ( neue Vermessung ). Nur mit Mühe gelingt es uns, den schlechten sandigen Weg ausfindig zu machen, der uns nach Eliköv auf 2000 m am Südabhang des Vulkans bringt. Doch damit fangen unsere Schwierigkeiten erst richtig an. Es zeigt sich, dass die Einheimischen ganz ungemein an Geld interessiert sind; denn dieser Berg gilt als ein von Alpinisten begehrtes touristisches Ziel. Die Lage ist gespannt: Man will uns für unsere Wagen einen Wächter zum Preis von 150 Franken pro Tag aufzwingen - für die Türkei ein beachtlicher Betrag. Meine Frau - so wird uns erklärt - könne die Wagen nicht beaufsichtigen, das wäre zu gefährlich für sie. Wenn wir uns weigern, geschehe das auf eigene Gefahr, was im Klartext heisst, dass dann unsere Wagen aufgebrochen und ausgeraubt werden. Doch all das wird lächelnd vorgebracht. Zudem erweist es sich als sehr mühsam, Führer und Pferde zu bekommen. Dabei macht man uns deutlich, dass uns dies zum Vorteil gereichen würde. Schliesslich kommt eine unparteiische Macht ins Spiel: Das Wetter ist unsicher geworden. Schwere Wolken verhüllen jetzt, Ende Juli, den Gipfel des Berges und Gewitterdonner lässt sich vernehmen. Wir ziehen also ab, mich erwartet andernorts ohnehin eine geologische Arbeit. Einige Tage später versuchen wir erneut, den Aufstieg zu erzwingen, diesmal jedoch von der Nordseite her. Wir befinden uns hier über dem Tal des Aras, eines armenischen Flusses, der sich in das Kaspische Meer ergiesst, und dringen in den schmalen türkischen ( Finger » zwischen den UdSSR und dem Iran ein. Die Nacht bricht an; 40 km weiter glitzern die Lichter von Jerevan ( Eriwan ), der Hauptstadt der armenischen Sowjetrepublik am Fuss des Aragats, eines rund 4100 m hohen Vulkans mit schneebedecktem Gipfel. In der Nacht fallen einige Regentropfen.

Am nächsten Morgen ist der Grosse Ararat von Wolken verhüllt, während den Kleinen Ararat - ein gewaltiger, 3900 m hoher Nebenkegel - frischer Schnee bedeckt. Die Lage präsentiert sich damit recht schlecht. Wir ent decken dann eine noch im Bau befindliche Strasse, die uns bis auf 2000 m führt. Dort packen wir die Rucksäcke und ziehen los, doch wenige Minuten später zwingt uns ein heftiger Platzregen, in einer Schäferunterkunft Schutz zu suchen - ebenso wie die in der Nähe arbeitenden Mäher. Sobald der Guss aufhört, lädt man uns - welche Abwechslung - zum Essen ein, und wir müssen die Mähmaschine, den Stolz des Dorfes, bewundern und fotografieren. Als wir unseren Plan enthüllen, bringt man uns einen Esel; die Rucksäcke werden aufgebastet, und in Begleitung von drei Kurden steigen wir zu einem Zeltdorf in 2000 m Höhe empor. Dort werden wir empfangen und, da das Wetter sich nicht bessert, beherbergt. Während des Abends entlädt sich das Gewitter, ein wahrer Wolkenbruch, der seine Wassermassen auf das Lager herabstürzen lässt. Wir sind etwas beunruhigt, da wir die Zeltplanen nicht für sehr dicht halten und die ständige Verdunstung uns zum Frösteln bringt. Unseren Gastgebern scheint das nichts auszumachen, doch die im Lager häufige chronische Bronchitis straft sie Lügen.

Bei Tagesanbruch müssen wir uns von den Tatsachen überzeugen lassen: Bis auf 3500 m ist Neuschnee gefallen und die oberhalb 4000 m ständig vereiste Gipfelkrone hüllt sich in Wolken. Trotzdem unternehmen wir noch einen Versuch und steigen bis zur Schnee-und Nebelgrenze auf. Die Kurden tun wirklich alles, um uns zu helfen; doch es liegt letztlich am Wetter, das nun einfach nicht mitspielen will. Schweren Herzens steigen wir zu unserem Jeep ab, da die Arbeit im Gelände mich in die Gegend von Kars ruft.

Als wir zwei Monate später in der Nähe des Ararat vorbeikommen, hat sich das Wetter beruhigt und der verschneite, vereiste Gipfel strahlt in der Sonne. Doch wir müssen jetzt in die Schweiz zurückkehren und der Weg ist noch lang. Wir kommen wieder!

Aus dem Französischen übersetzt von Roswitha Beyer, Bern

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