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Die Wilde Frau

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( 3262 Meter. )

Von

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Im VI. Bande des Jahrbuches schildert Herr Dr. Häberlin, Mitglied der Sektion Basel, seine im Sommer 18G9 ausgeführte vermeintlich erste Besteigung der Wilden Frau. Zwei Jahre später wurde dieser wenig besuchte Gipfel zum Ziel eines Clubausflugs der Sektion Bern gewählt und seine Besteigung am 13. August glücklich ausgeführt. Da einerseits der Weg, den wir einschlugen, von demjenigen Herrn Häberlin's wesentlich verschieden ist und andererseits der lohnende und unschwierige Ausflug es wohl verdient den Clubgenossen genauer bekannt gemacht zu werden, so mag eine kurze Beschreibung dieser Clubfahrt im Jahrbuche ihre Stelle finden. Namentlich solchen Clubisten, die bevor sie sich an die Kiesen unserer Bergwelt wagen, gerne eine kleine Probe ihrer Kräfte bestehen wollen, darf der Besuch der wilden Zofe der hehren Weissen Frau bestens empfohlen werden.

Unsere Reisegesellschaft, vielleicht für einen Ausflug, der über das gewohnte Gebiet der Voralpen hin- ausging, etwas zu zahlreich, bestand aus den Herren Aeschlimann und H. Schmid von Burgdorf, W. Brunner, Hirsbrunner, Kipfer, Prof. Klebs, Rolle, Dr. Schär, F. Wäber, A. Wäber und F. Wyss von Bern.

Eisenbahn und Wagen beförderten uns am Morgen des 12. August von Bern nach Frutigen und von dort ging es zu Fuss weiter auf der allbekannten Strasse nach Kandersteg, vorbei an den einstigen Sitzen der Freiherren vom Thurm, der Tellenburg und der Felsenburg, mit kurzem Abstecher zum blauen See, der wie ein liebliches Idyll von dunkeln Tannen umrahmt, rechts vom Wege liegt.

Im Hôtel Gemmi zu Kandersteg erwarteten uns die Führer: Fritz Ogi, Christen und Fritz Harri nebst zwei Trägern. Für Proviant war gesorgt und so ging es denn nach kurzem Aufenthalt dem Oeschinenbach nach hinauf zum Oeschinensee und der Alp, die uns als Nachtquartier dienen sollte.

Die Blümlisalp von Kandersteg aus bietet ein prachtvolles Bild, rechts und links von den Felswänden des Fisistockes und der Birren eingerahmt, lieber der waldigen Thalsohle erhebt sich steil aufstrebend die blinkende Firnpyramide des Blümlisalphornes ( 8670 m ), an welches sich rechts, wie das Silberhorn an die Jungfrau, das vergletscherte Oeschinenhorn anlehnt; links steigt das Rothhorn mit seinen schlanken Felsnadeln empor und zwischen ihm und dem Blümlisalphorn glänzt die Kuppe der Weissen Frau ( 3661 m ). Blümlisalpstock und Wilde Frau erheben sich noch weiter links; jener als dunkler schroffer Felszahn, diese als langer am Fusse firnüberzogener Grat. Von Bern, überhaupt von Norden aus gesehen, scheint sie fast nur ein Vorsprung des Morgenhornes, des östlichsten der höheren Blümlisalpgipfel, des einzigen der von Kandersteg aus nicht sichtbar ist, zu sein.

Als selbständiger Gipfel kömmt sie erst in Kandersteg und besonders imposant im Kienthal zur Geltung, wo sie mit ihrer trotzigen Felskrone, vom leuchtenden Firnmantel umwallt, stolz über die Wände des Oeschinengrates emporragt, mächtiger scheinbar als die hinter ihr liegende Spitze des Morgenhornes.

Die Kette, deren höchste Erhebung die Blümlisalp bildet, beginnt im Westen mit dem Fisistock zwischen dem Oeschinen- und dem Gasterenthale und endet im Osten zwischen dem Sefinen- und dem Ammertenthal mit den Ausläufern des Spitzhorns. Von der Hauptkette der Berner Alpen wird sie durch den Tschingelgletscher, von den nördlichen Voralpen durch die Einsattelungen des Dündengrates und der Sennenfurgge geschieden. Ausser der siebengipfligen Blümlisalp, für welche ich auf die trefflichen Schilderungen unserer Clubgenossen A. Roth, E. v. Fellenberg und R. Lindt] ) verweise, erheben sich in der Kette die beiden Doldenhörner, das Freundenhorn und das wild zerrissene Gspaltenhorn mit der Büttlassen.

Geologisch gehört die ganze Kette zur mittleren Juraformation. Ausser den kleineren Gletschern, die vom Dolden- und Freundenhorn sich gegen den Oeschinensee hinabsenken entsendet die Kette zwei lange Gletscher-

: ' ) Roth und Fellenberg: Doldenlioru und Weisse Frau, Coblenz 1863.

E. Lindt: Blümlisalphorn. Jahrbuch VT.

Zungen, nach Norden den Ganichigletscher in 's Kienthal, nach Westen den mächtigen Blümlisalpgletscher in 's Oeschinenthal, von dessen einstiger Ausdehnung die Gletscherschliffe über « den Freunden » am nördlichsten Ufer des Oeschinensees und die Moränen des Oeschinen- und Kanderthales Zeugniss ablegen. Es ist bekannt, welche Rolle dieser Gletscher in der Sage des Kanderthales spielt; die eisige Blümlisalp deckt die einst blumige Alp und ihre Gletscher sind die Wahrzeichen des Strafgerichtes für frevelhaften Uebermuth und herzlose Härte.

In den Annalen des S.A.C. ist die Kette der Blümlisalp auf manchem Blatt ehrenvoll verzeichnet. Haben auch die Engländer Leslie Stephen und Foster den Preis der ersten Ersteigungen des Blümlisalphorns und des Gspaltenhorns vorweggenommen, so sind doch alle übrigen Gipfel zuerst von Mitgliedern des S.A.C. bestiegen worden: die beiden Doldenhörner und die Weisse Frau von A. Roth und E. v. Fellenberg, das Morgenhorn von H. Bädecker, das Freundenhorn von E. Ober und der Blünilisalpstock von E. Ober und F. Springer; unerstiegen sind soviel bekannt nur noch das Oeschinenhorn und das Rothhorn.

Der Weg von Kandersteg zum Oeschinensee führt dem rechten Ufer des Oeschinenbaches nach, meist durch Wald, zum Theil über Moränenboden. Zu beiden Seiten des Thales erheben sich Rothtannen, mit dem steinigen und sandigen Moränenterrain der Mitte nehmen genügsame Bergföhren vorlieb.

Nach einer starken Stunde Marsch erreichten wir den Oeschinensee, ein wahres Kleinod unter unsern Bergseen.

Mit Recht nennt ihn A. Roth den See der Kontraste; diesseits des graublauen Spiegels dunkle Tannen und grüne Weiden, jenseits in steilen Felswänden jäh aufsteigend der Gipfelkranz vom Doldenhorn bis zur " Wilden Frau mit seinen verschrundeten Gletschern und den daraus quellenden Bächen, die schäumend und stäubend zum See hinunterstürzen. Ist 4er blaue See ein liebliches Idyll, bei dem man unwillkürlich an Daphnis und Chloë erinnert wird, so gemahnt uns der Oeschinensee an ein homerisches Epos, in dem wilde Grossartigkeit mit friedlicher Stille sich paaren; und weffi wie uns das Glück beschieden war, das herrliche Bild im Gluthscheine der sinkenden Sonne zu erblicken, der Felsen und Firne mit rpthem Lichte überstrahlte, während die Schatten der Nacht sich schon über dem Thalgrunde und dem stillen Seespiegel ausbreiteten, dem wird der Oeschinensee für immer unvergesslieh bleiben.

Unser Pfad führte uns dem nördlichen Ufer entlang zur unteren Oeschinenalp, die bei circa 1650 m hier die Grenze des Baumwuchses bildet. Die Hütten waren verlassen und auf steiler Felsentreppe ging es hinauf zur oberen Alp ( 1957 m ).

Es war Nacht, als wir bei den kleinen Sennhütten derselben anlangten, die in dem schwachen Licht, das Sterne und Schnee ausstrahlten kaum von den Felsblöcken zu unterscheiden waren. An der grossteil wurde angepocht und bald waren die Bewohnerinnen, eine junge Frau mit ihrer Schwester damit beschäftigt der hungrigen Schaar einen wärmenden Kaffee und so gut es eben anging ein Nachtlager im Kuhstall zu bereiten. Eine dünne Heuschicht wurde über den Boden

8 gebreitet, Reisetaschen und Tornister als Kopfkissenr der Plaid als Decke zurechtgelegt und das Bett war!

fertig. Ueberflüssiger Platz war gerade nicht vorhanden; wir lagen alle 11 dicht nebeneinander, wie die Häringe= in der Tonne. Den Führern hatten die beiden Frauen ihre Betten abgetreten, während sie selbst es sich am Herdfeuer bequem zu machen suchten.

Die Nacht war unruhig; da fluchte Einer ingrimmig in den Bart über den Spitzbuben, der ihm sein Tornister weggetischt hatte; hier steht plötzlich ein anderer um 12 Uhr auf und behauptet steif und fest es sei längst über zwei Uhr und deshalb die höchste Zeit zum Aufstehen, der klagt über das harte Lager, dieser über Kälte, jener über den engen Platz. Nimmt man dazu das Klingen der Herdenglocken vor der Hütte, das Rauschen des Wildbaches, der unweit vorbeifliesst und das friedliche Grunzen einiger Schweine, die im anstossenden Verschlage den Schlaf des Gerechten schliefen, so lässt es sich begreifen, dass einige unter uns schon um 12 Uhr auf diese sogenannte Nachtruhe verzichteten um am Herdfeuer sich die Zeit mit der dampfenden Pfeife zu verkürzen. Um zwei Uhr endlich war Jedermann wach; mit Toilette machen hielt man sich nicht stark auf; ein Kaffee war bald gebraut und genossen und um drei Uhr ward aufgebrochen. Der Morgen war kühl; am Himmel zeigten sich einige leichte Schäfchen, nicht gerade die besten Wetterzeichen. Schweigsam, wie es bei Nachtmärschen gewöhnlich ist, ging es den Felsbändern der oberen Oeschinenalp und des Schafberges nach, hart am Rande des Blümlisalpgletschers hinauf gegen den Hohthürligrat, den wir.

nachdem wir die letzte Strecke über den hartgefrorenen Firn gewandert waren, um sechs Uhr erreichten.

Der Hohthürligrat ist die nördlichste der drei Einsattelungen, die das Oeschinenthal mit dem Kien-thale verbinden; er liegt zwischen dem nördlichen Gehänge der Wilden Frau und dem Punkt 2705 der Dufourkarte; nordwestlich davon liegt der Oeschinengrat am Fusse des Schwarzhornes, und zwischen diesem und dem Bundstock führt der besuchteste Pass, der Dündengrat über die Kette. Es war über unserem Aufsteigen Tag geworden; alle die Hörner und Spitzen leuchteten im hellen Sonnenschein und weit schweifte der Blick zwischen der Schilthornkette und dem Aermig-horngrat durch über den Thunersee in 's ebene Land hinaus. Aber nicht lange sollten wir uns der Aussicht erfreuen; die Führer mahnten zum Aufbruch; noch eine kurze Rast um uns zu erfrischen, unser Gepäck so gut es anging zu bergen und die Träger zu entlassen und vorwärts ging es wieder, in zwei Colonnen an 's Seil gebunden der Wilden Frau zu, deren schwarze Felsenkrone über dem Mantel von Eis und Schnee wir zu erringen gedachten, so mürrisch und unnahbar auch die ungeschlachte Zofe der weissen Königin aussah.

Im Anfang ging der Aufstieg leicht und rasch von statten über Eisensteintrümmer und sanft geneigte Firnhalden in direkt südöstlicher Richtung auf den Gipfel zu. Die wenigen Spalten, die den Pfad kreuzten wurden leicht überschritten; bald aber wurde die Steigung stärker, der Firn härter und das Stufenhacken begann. Bald im Zickzack, bald quer über die steilen Hänge traversirend, gelangten wir um acht Uhr zu einem überhängenden Felsen, wo wir Halt machten, um die Führer zum Recognosciren und Stufenhacken vorauszuschicken.

Keiner derselben hatte noch je den Gipfel erklomme,n. Es war ein langes und langweiliges Warten unter der Fluh; nach keiner Seite gestattete der beschränkte Raum sich zu bewegen. Vom Felsen fing es an zu regnen; die steigende Sonne hatte den Schnee geschmolzen und durch tausend Ritzen und Spalten in dem bröckligen Gestein fand das Wasser seinen Weg zu uns. Von unsern Führern hörten und sahen wir nichts mehr, als rollende Steine und Eisstücke, die von den Fussen oder vom Pickel abgelöst, in wilden Sätzen über die Firnhänge hinunterrasten, um bald unten im flacheren Gletscher wieder zur Ruhe zu gelangen, bald wieder im Sprunge den Rand der Eisterrasse zu überfliegen. Die Aussicht war beschränkt auf die Felsgipfel des Oeschinengrates, das Schwarzhorn, den Bundstock und die Wittwe. In der Nomenclatur dieser Gegend ist jedenfalls dem schönen Geschlechte alle gebührende Aufmerksamkeit geschenkt worden; wir finden hier eine Weisse Frau, eine Wilde Frau und unten am Gamchi eine Zahme Frau, eine Wittwe, und in dem Grat, der vom Wildstrubel auslaufend das Oeschinenthälchen von der Engstligenalp trennt, sogar ein Kindbettihorn.

Endlich nach mehr als stündigem Warten rollten die Eisstücke wieder näher bei uns herab und bald tauchte das verwitterte Gesicht Fritz Ogi's kinter den Felsen hervor. Er glaube, man könne es wagen, lautete der Bescheid und vorwärts ging es wieder über die steilen hartgefrorenen Firnhänge, die an einigen Stellen wohl eine Neigung von 50—60° haben mochten,

in gerader Richtung auf einen gelbbraun angewitterten Felskopf zu, der sich östlich vom Gipfel erhebt. Endlich war dieser erreicht und seinem Fusse entlang bald in den bröckligen hie und da mit Glatteis überzogenen Felsen kletternd, bald im Couloir den Stufen folgend erreichten wir ein schmales circa 12 Fuss langes Schneegrätchen, das die Brücke zum eigentlichen Gipfel bildet. Nordwärts fielen die Hänge, die wir eben überschritten hatten, zum untern Gletscher ab; südlich tauchte der Blick durch ein senkrechtes, grossartiges Felskamin zum Blümlisalpgletscher hinunter, der circa 300 m tiefer liegt. Mit ein paar Schritten war das Grätchen passirt, nun noch ein par Minuten leichter Kletterei in den obersten Felsen und der Gipfel war um 10 Uhr 30 Min. erreicht. Wir hatten dazu vom Hohthürligrat beinahe vier Stunden und 400 Stufen gebraucht.

Der Gipfel bildet einen langen von S.S.W. nach N.N.O. verlaufenden Grat; von den höheren Spitzen der Blümlisalp ist er durch ein tiefes Gletscherthal von circa 1200 m Breite geschieden. Nach allen Seiten mit Ausnahme der vergletscherten Nordseite, fällt er in fast lothrechten Wänden ab. Der vollständig abere Kamm besteht aus Eisenstein, dessen graue Farbe einen auffallenden Contrast zu dem entschiedenen Gelbbraun des östlichen Felskopfes bot. Die Vegetation des Gipfels war wie selbstverständlich sehr ärmlich; ausser einer weissen Flechte ( Verrucaria rupestris ?) fanden sich nur einige Exemplare von Draba frigida. An seinen beiden Enden und in der Mitte erweitert er sich zu kleinen Plateaux; auf dem südlichsten derselben fanden wir Häberlin's Steinmannli, auf dem nördlichen ebenfalls eines, halb zertrümmert, dem Aussehen nach älter, dessen Häberlin nicht erwähnt und das wohl vom muthmasslich ersten Besteiger, Hrn. Oberst Schrämli herrühren mag.

In einem rasch errichteten Steinmann auf dem mittleren Plateau wurde eine Flasche mit einigen Angaben über unsere Fahrt geborgen.

Ueber den Weg den Hr. Dr. Häberlin bei seiner Besteigung eingeschlagen hat, lässt uns sein Bericht ( Jahrbuch VI, pag. 59 und 60 ) etwas im Zweifel. Häberlin stieg vom Hohthürligrat westlich hinunter und beging den Gletscher auf dem Weg zwischen der Wilden Frau und dem Blümlisalpstock; den Abhang gegen das Morgenhorn fand er zu steil und wanderte desshälb in südlicher Richtung demselben entlang bis er den prakticabeln Durchpass fand. Obwohl er schreibt: « unserm Ziele ist nur von Norden und nicht von Osten beizukommen » scheint er also die Besteigung von der Süd- oder Südwestseite ausgeführt zu haben. Dass übrigens auch der Westabhang gangbar ist, beweist der Abstieg unseres unermüdlichen Clubphotographen Hrn. J. Beck in Strassburg, der wie wir von Norden her den Gipfel erreichte, aber westwärts gegen den Gletscher über die steilen Felswände hinabkletterte.1 )

Die Wilde Frau gewährt, wenn sie auch kein Hochgipfel ist, eine prachtvolle Aussicht, die nach Osten, Norden und Westen wohl ziemlich identisch mit derjenigen des Blümlisalphornes ist; ich darf desshalb für dieselbe auf die Schilderungen der Herren Xiindt und Häberlin im VI. Jahrbuche verweisen; hier

. ' ) Siehe Alpenpost 1873, Nr. 20, pag. 298—301.

Wilde Frau.111>

genügt es sie in kurzen Zügen zu charakterisiren. Nach Osten schweift der Blick über die zerrissene Felsmauer

Wir blieben lange auf dem Gipfel; Mittags fing der Himmel an sich zu verfinstern; aus den Thälern drängte der Nebel immer näher heran. Der Wind erhob sich und fast schien es, als wolle der verwünschte Senn, der in der Eisklause der Blümlisalp haust, Avieder sein Sturmross satteln.

Es galt aufzubrechen und der Wilden Frau Lebewohl zu sagen. Rasch wurde eine Kolonne aus der Hälfte unserer Gesellschaft gebildet, diesmal mit allen drei Führern zugleich. Wir übrigen warteten auf dem Gipfel, den einen Augenblick im warmen Sonnenschein, den andern im kalten Wolkenschatten. Vom Morgenhorne her donnerten die Lawinen in die grausige Tiefe des Gletscherkessels hinab. Der Nebel stieg höher und höher; mit gierigen Armen griff er in jedes Thal und verschleierte jede Felszacke, so dass unsere Aussicht oft minutenlang auf den Gipfelkamm beschränkt blieb. Endlich verkündete uns ein helles Jauchzen aus der Tiefe, dass die erste Kolonne an einer geschützten Stelle angelangt und die Führer wieder auf dem Rückwege seien. Um 2 lj% Uhr begann auch für uns der Abstieg; es galt sich zu beeilen ehe der beginnende Regen die Stufen ungangbar machte und an Eile liessen wir es denn auch nicht fehlen. Der Steinhagel, den uns die Wilde Frau noch als Abschiedsgruss nachsandte, kam zu spät; wir hatten bereits die schützende Fluh erreicht wo unsere Gefährten uns erwarteten. In rascherem Tempo ging es nun, vom Sturme gejagt, von eisigem Regen und Riesel unbarmherzig gepeitscht die letzten steilen Firnhänge hinunter und um vier Uhr standen wir wieder wohlbehalten auf dem Hohthürligrat bei unserem Gepäck. Unter dem bekannten Balm, der den Blümlisalpbesteigern als Nachtquartier dient, wurde der letzte Halt gemacht^ der letzte Proviant verzehrt. Unsere Führer, die wir allen Clubgenossen als durchaus tüchtige und bewährte Oletschermannen bestens empfehlen können, nahmen hier

von uns Abschied; sie wandten sich wieder Kandersteg zu, während wir direkt vom Hohthürligrat über Geröll uud Schneefelder uns der Bundalp zuwandten, deren gastliche Hütten wir Abends sieben Uhr im strömenden Regen erreichten. Es schlief sich trotz der durchnässten Kleider trefflich in dem weichen Heulager. Am nächsten Morgen hellte sich das Wetter wieder auf und frühzeitig sagten wir der Bundalp Lebewohl um durch das Kienthal zu wandern.

Gleich unterhalb der Alp, in circa 1800 m Höhe trafen wir am Ufer des Kienbaches auf die Waldgrenze. Auf der felsenumgürteten Tschingelalp bewunderten wir die prächtigen Wasserfälle des Kienbaches und den dabei liegenden gewaltigen Riesentopf; sonst bot mit Ausnahme des Rückblickes auf die schroff und trotzig aufsteigende Wilde Frau der Weg wenig Bemerkenswerthes. Im freundlichen Dörfchen Kienthal trennte sich unsere Gesellschaft, die einen um den Fahrweg über Reichenbach und Spiezwyler zu benutzen, die andern um zu Fuss über den Suldgraben und Aeschi nach Spiez zu wandern, wo ein fröhliches Mittagsmahl die ganze Gesellschaft wieder vereinigte. Der Abend des 14. sah uns wieder in Bern.

Wir hatten für den ganzen Ausflug drei Tage, für die eigentliche Besteigung vom Hohthürligrat bis zum Gipfel vier Stunden gebraucht, während das Ziel in 3 Stunden leicht zu erreichen ist; ebenso hatte " der Abstieg zum Balm zurück mit Einschluss des doppelten Weges, den die Führer zurückzulegen hatten, 3l/ä Stunden in Anspruch genommen. Ich glaube den Grund dieser Verzögerung in der numerischen Stärke unserer Gesellschaft suchen zu müssen.

Eine lange Colonne ist immer unbehülflich und schwerfällig und rückt langsam vom Fleck; Kräfte und Uebung der Einzelnen sind verschieden; wo der Eine weder Schwierigkeit noch Gefahr sieht, wird der Andere bedenklich; dazu kommt, dass man, um nicht die Colonne noch mehr zu vergrössern, sich mit wenigen Führern behelfen muss, deren Anstrengungen desshalb um so grösser werden. Bei der Wilden Frau, die durchaus ungefährlich und wrenig Zeit raubend ist, hatte allerdings eine solche Verzögerung nichts zu sagen; ob wir ein par Stunden früher oder später auf der Bundalp anlangten, war gleichgültig. Ganz anders gestalten sich die Verhältnisse bei eigentlichen Hoch- " gebirgstouren, welche die Zeit vollauf in Anspruch nehmen; da kann eine Verspätung von einigen Stunden von den unangenehmsten Folgen sein und wirkliche Gefahr nach sich ziehen. Die schwierigeren und anstrengendem Bergfahrten in unseren Hochalpen sind desshalb das Gebiet der Einzeltouren und nicht der Massenexpeditionen; für Sektionsausflüge, die möglichst allen Mitgliedern gleichmässig zugänglich sein sollen, genügen die Voralpen und die niedrigeren, leicht zu erreichenden Punkte der Hochalpen, die wie die " Wilde Frau auch geringe Mühe und Fälirliclikeit reichlich mit dem Anblick erhabener Bergwelt lohnen.

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