Eindrücke und Erlebnisse einer Kilimanjaro-Besteigung | Club Alpin Suisse CAS
Soutiens le CAS Faire un don

Eindrücke und Erlebnisse einer Kilimanjaro-Besteigung

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Gody Gut-Bermt, Stäfa

( Februar/März 1981 ) Das Dach Afrikas, ein Berg ohne alpine Ansprüche, ist, zusammen mit dem Anmarschweg, den ehrlichen Versuch einer Besteigung wert.

Die Ansichten und Gerüchte über die Schwierigkeiten reichen vom Besteigen mit Turnschuhen bis zu jener unter Todesgefahr. Wobei der Versuch mit Turnschuhen der Todesgefahr nicht unbedingt näherkommt.

Wenn aber harte, hochgebirgserfahrene und im besten Alter stehende Männer in fünftausend-fünfhundert Meter Höhe von einem Lungenödem befallen werden, dann rückt der Tod etwas näher; die Tour ist nicht ohne Risiko.

Mit unserem Leiter Bernhard Wörner aus Rüti zählen wir siebzehn Teilnehmer im Alter zwischen fünfundzwanzig und dreiundsechzig Jahren, davon fünf Frauen.

Alle sind sie schon ein oder mehrere Male -durch eigene Muskelkraft - in Höhen von über viertausend Meter gelangt, ohne auf physische Schwierigkeiten zu stossen. Daraus darf geschlossen werden, dass die Voraussetzungen für einen « Erfolg », d.h. dass alle Teilnehmer den Gipfel erreichen, günstig sind.

Der grosse Tag ist angebrochen. Der Flugplatz wird beherrscht von Lärm und Sprachengewirr. Bekannte Gesichter tauchen auf, begleitet und behütet von grösserem oder kleinerem familiären Anhang.

Einer löst sich zaghaft, ein anderer freier aus dem Kreise seiner Angehörigen. Eine neue Gemeinschaft, getragen von ähnlichen Wünschen, Zielen und Hoffnungen, formt sich. Gemeinsam binden wir nun Skistöcke ( für leichteres Aufsteigen in grosser Höhe ) zusammen, helfen einander die Koffer zu verladen und versuchen, die neuen Namen im Gedächtnis zu behalten.

Die Vollzähligkeit der Gruppe, alle in « grosser » Tourenausrüstung, wird geprüft. Wir nehmen Abschied. Nach Passieren der Zollkontrolle kommen wir zunächst in den Käfig des Warterau-mes. Es folgt der Marsch zum Bus, kurze Fahrt und letzte Schritte auf heimischem Boden: Winke, wer zu winken hat.

Viele Plätze der DC-9S sind frei, und fliegen -so scheint es - ist Allgemeingut geworden: Niemand, der nicht schon geflogen, und viele, die bereits andere Erdteile gesehen, mehr oder weniger flüssig Englisch sprechen und sich in Flughallen, Flugzeugen und an Schaltern bewegen wie ein Masai in seinem strohbedeckten Einraumhaus.

Dann drückt dich die Beschleunigung der startenden Maschine ins Polster, eine letzte Unebenheit, und wir heben ab. Wir durchfliegen den Traum eines sonnendurchfluteten Abends. Eine dem Horizont sich zuneigende Sonne giesst ihre ganze Farbenpracht über die tausend Gipfel, Wände und Schneekuppen. Knapp reicht die Zeit, den Speer, die Glärnischgruppe. den Tödi und — ganz nahe - den Alpstein auszumachen. Andere bekannte Spitzen tauchen unter in der warmen Strahlenfülle und dem sich weitum dehnenden Meer der Gipfel. Später flimmert eine Lichterflut zwischen leichter Bewölkung herauf: Wien, letzte Station in Europa, Abschied von Winter und Schnee.

Transit. Warten, um sich weiterbefördern zu lassen. Bald geht 's per Bus zur wartenden Maschine, wo jeder seinen Platz im rasch sich füllenden Flugzeug sucht. Insgesamt zweihundertvierzig Menschen. Immer drei links, drei rechts. Für acht Stunden ein Sitz von fünfzig Zentimeter Breite in einer langen Reihe eingenickter Passagiere.

Acht Stunden lang in Gottes und des Piloten Hand. Eine dritte Kraft ist zwischen dich und die Erde geschoben und hat - beschränkt in der Zeit - physikalische Gesetze scheinbar aufgehoben und trägt dich, solange sich statische in dynamische Energie wandelt. Manchmal wird die Maschine wie von Fieberschauern geschüttelt, und jemand erklärt das mit Frostschäden an den Luftstrassen.

Kairo.

Graue Nachtschwärze, von grellem Gelblicht durchbohrt. Ein kurzer Zwischenhalt in drückender Wüstenwärme.

Ob die Piste ausreicht, die bis zur Maximallast beladene Maschine starten zu lassen?

Auch im Flugzeug erlöschen jetzt die Lampen. Zeit zum Dösen, aber wohl kaum zum Schlafen.

Irgendwann setzt draussen ganz sachte die Dämmerung ein. Tief unter uns erstreckt sich eine zumeist geschlossene Wolkendecke, deren Oberfläche sich im fahlen Licht des werdenden Tages allmählich deutlicher strukturiert. Die Horizontlinie gegen den Indischen Ozean hin, beginnt nun in Regenbogenfarben aufzuleuchten und trennt damit die Unendlichkeit von der Endlichkeit des erwachenden Tages.

Zum letztenmal - für uns - verliert die Maschine an Höhe, durchstösst die höchste Wolkendecke: vom Mount Kenia oder später vom Kibo keine Spur. Eine zweite Schicht entzieht sie unseren Blicken. Afrika ohne Sonne, gibt es das?

Ein Flugplatz wie Dübendorf vor vierzig Jahren, eine Asphaltpiste, die sich in der Steppe verliert, ein hügeliges, weites Gelände, feuchtwarmes Klima, schwarze Menschen und schwere Kleider, die aufdem schwitzendem Leib kleben, das ist unser erster Eindruck von diesem Land. Wir nehmen die Zollpapiere hervor, doch die Schranken sind nicht besetzt.

Dann endlich der richtige Mann am richtigen Schalter, Stempel knallen, Pässe fliegen, und plötzlich sind wir jenseits der Begrenzung— befinden uns in Tansania.

Die Busse kommen, mit « unseren » Chauffeuren; sie, die in den nächsten vierzehn Tagen mit uns sein werden, wann immer wir sie benötigen.

Fahrt zum Hotel und freier Flug der Gedanken.

Vor Stunden noch winterliche Temperaturen unter null Grad in einer Welt von Asphalt, Beton, Glas und Kunststoff, funktionell ausgerichtet, ermordete Schönheit, Sterilität.

Stunden später - dank denselben Errungenschaften — umgibt uns spricssendes, wucherndes Leben, wo die Technik Mühe hat, Fuss zu fassen.

Durch den Strassenbelag stösst Gras, Brocken fliegen weg und zerfallen. Raum und Zeit ist vorhanden, Autowracks neben bleichenden Knochen gehorchen demselben Zahn der Zeit. Aus ihren Elementen wird neues Leben entstehen.

Der Trägheit des Schwarzen steht die Hektik des Weissen gegenüber.

Der Weisse rafft Geld, Zeit und Wissen - um Zeit seines restlichen Lebens zu suchen, was ihm dabei abhanden gekommen ist. Der Schwarze hat Zeit - und das, was wir verloren haben.

Regenwald wechselt mit offener Steppe. Wir begegnen Rinder- und Ziegenherden, magere Geschöpfe eines kargen Bodens. Schirmakazien und die riesigen Affenbrotbäume runden das Schulbild von Afrika.

Plantagen tauchen auf: Bananen, Kaffee, Sisal; Idee der Weissen, Arbeit der Schwarzen.

Die Eingeborenen geben ein seltsam bunt gemischtes Bild: Schreiend grelle Farben in Kleidung und Kunststoffgegcnständen finden sich unmittelbar neben den dezenten Pastelltönen natürlicher Fasern und Farbstoffen. Aber die künstlichen Materialien überwiegen bereits bei weitem. Dazu kommt eine enorme Vielfalt an Beklei-dungsarten und -formen.

Die Skala reicht von der perfekt-modernen Jeanshose oder vom Strassenanzug des Flugplatz-und Hotelangestellten bis zu Tuchstücken undefinierbaren Aussehens und Beschaffenheit, die nachlässig schräg über Schulter, Brust und Lenden gehängt sind.

Mir scheint jedoch, diese Fetzen unterstreichen eine Würde und eine Selbstsicherheit, die keine materiellen Massstäbe duldet.

Ich könnte mir keinen Europäer vorstellen, der bei einem so geringen Besitz eine derart stolze Vornehmheit zum Ausdruck zu bringen vermöchte...

Vielleicht muss Armut eben anders definiert werden?

Wir richten unsere Photoapparate auf die Eingeborenen, anmutige Frauengestalten, zerfurchte Männerantlitze, leuchtende, listige, dunkle Kindergesichter. Ein leichter Druck - ein Bildausschnitt, eine Situation, eine Begebenheit bleibt festgehalten, so lange du willst. Und zehntausend Kilometer weiter wird 's dann betrachtet, besprochen - wir haben etwas mitgenommen. Aber worin besteht dieses « Es », das diese Menschen veranlasst, als Gegenleistung ihre Hand hinzuhalten und das zumeist einzig ihnen geläufige englische Wort, « Money », auszusprechen?

Wie rasch ist das wirtschaftliche Denken übernommen worden. Ahnen sie jedoch, dass sie damit auch ihre Würde verkaufen, dass sie infiziert sind?

Vom Asphalt weg führt uns die rote, staubige Erde Afrikas zu unserem Hotel Marangu, dem Ausgangspunkt unseres Vorhabens. Die Naturstrasse endet in einem grasbewachsenen Hof mit einer blühenden Insel voll roter und gelber Canna, orangenfarbigen Storchcnschnäbeln und roten Geranien. Einfache, in Stein und Holz erbaute einstöckige Gebäude gruppieren sich um diesen Innenraum, fügen sich unauffällig in den von Farbenreichtum überquellenden, gepflegten und die afrikanische Flora harmonisch wiedergebenden Park.

Wir beziehen unsere Pavillons, sehen, dass afrikanisches Wasser mehr « Material » enthält und auch farbiger ist als europäisches, und flanieren im Garten umher. Beim Mittagessen liegt eine Warnung in der Luft: Keine Salate! Keine Meer-früchte! Keine Glacen! Keine... Oh! Bei dieser Wärme!

Dafür Bananen, ja und Orangen, diese halb-grünen, und Ananas. Dann das Besondere: Kaffee ab Standort, Seifservice à discrétion.

Am nächsten Tag erreichen wir das auf einer erhöhten Terrasse liegende Kibo-Hotel, ausge- richtet und wohl auch geschaffen für den berühmten Berg.

Photographien, Karten, Erinnerungen zieren die Wände. Ein Haus im Kolonialstil, frequentiert von Weiss und Schwarz ohne Unterschied.

Nun wird es Zeit, die Ausrüstung für « unseren Berg » bereitzulegen. Was der Träger mitnimmt -jeder Tourist hat seinen persönlichen Träger -, Ersatzwäsche, warme Kleidung, kommt in einen « Kehrichtsack », « auf Mann » hingegen die leichte Startkleidung mit denjenigen persönlichen Effekten, die man nicht aus der Hand geben möchte.

Porridge, Eier, Brot, Butter und Konfitüre begrüssen uns am Morgen des ersten Marschtages, und dieses « Menü » wird uns während der ganzen Woche die Treue halten.

Im Hof haben sich nun Träger und Küchenmannschaft versammelt, insgesamt dreissig Mann; denn alles Material, Lebensmittel, Küchenutensilien, Petrollampen usw. wird bei jeder Besteigung hinauf- und hinuntergetragen.

Die Träger stehen bereit, die Begrüssung wird fleissig photographiert und gefilmt, und die Expedition nimmt mit einer Busfahrt zum Eingangstor des Kilimanjaro-Nationalparks ihren Anfang.

Hier endet zugleich die asphaltierte Strasse, Tribut des Landes und der Entwicklungshilfe an die Touristen, sichtbar auch am Schwedenstil der Eingangsgebäude, des Restaurants und des Sou-venirladens.

Endlich kann der Marsch in den Urwald beginnen. Die Auswirkungen der feuchten Wärme lassen sich nun überall erkennen. Die Stämme sind mit Moos überzogen, und kaum vermag das Tageslicht das dichte Blätterdach und das enge Geflecht der Äste und Lianen zu durchdringen.

Eine Wolkenschicht bedeckt den Himmel, und zwei-, dreimal fällt leichter Regen. Tiere lassen sich nur wenige blicken.

Glück hat, wer bei der Mittagsrast einen trockenen Stein findet, wo er sein durchfeuchtetes, mit einer undefinierbaren Fleisch/Käse-Masse angereichertes Toastbrot verzehren kann. Dazu ein Ei, Bananen, hübsch in Plastik abgefüllt - so wird 's bleiben die nächsten Tage.

Der Weitermarsch erinnert mich an eine Wanderung in der oberen Leventina an einem warmen und schwülen Tag. Zuletzt, zwei-, dreihundert Meter vor den Mandara-Hütten stossen wir auf eine Art Lichtung, in der Steppengras und Farnkräuter das Bild beherrschen. Darin eingebettet liegt die alte Bismarckhütte sowie die später errichteten, sich um das Hauptgebäude gruppierenden Schwedenhütten mit ihren Steildächern. Hinter den Hütten - wir befinden uns auf 2675 Metern ü.M. setzt unverzüglich wieder der Regenwald ein.

Zum Nachtessen, welche Überraschung!

Grande Table d' hote; Tischtücher, Stoffser-vietten im « Täschli », mit Nummern versehen, Besteck für Vor-, Haupt- und Nachspeise. Aber nicht die Tischtücher und Gedecke sind das Wesentliche. Was so besonders ins Auge springt, ist die Sorgfalt, mit der gedeckt, Tücher glattgestri-chen, Geschirr und Besteck sorgfältig hingelegt, ausgerichtet, gezählt und nochmals überprüft werden. Wer beobachten kann, wie jede Tasse und jeder Teller mit einem Tuch ausgerieben wird, der achtet der bösen Zungen nicht mehr, die da behaupten, dasselbe Geschirrtuch habe man vordem in einfarbigem Zustand zur Reinigung von Autos benutzt... Man bemüht sich in geradezu rührender Weise um uns.

Vor deiner Lagerstätte - einer drilchüberzoge-nen Schaumstoffmatratze - steht dann auch dein Boy, deinen Sack hütend wie seinen Augapfel. Die Übernahme des Sackes ist sein Feierabend und die Lösung von einer persönlichen Verpflichtung, die er ernst nimmt.

Ein kurzes Gerücht hat den heutigen Tag als einen solchen der Bewährung erscheinen lassen. Nüchterne Überlegungen aber widersprechen dem. Bei etwa gleich viel ( etwa 1000 ) Höhenmetern liegt eine Strecke von rund 24 Kilometern vor uns, zuerst wieder Regenwald, und nachher—oberhalb 3100 Meter - setzt abrupt die Hochsteppe mit völlig veränderter Flora ein.

Die Bäume stehen einzeln oder in kleinen Gruppen und werden später von Sträuchern abgelöst, so dass die Sicht freier wird und zur Umschau einladet.

Einer erspäht die erste Wald-Lobelie mit den gelben Blüten. Andere entdecken bald noch schönere Exemplare, und wer Glück hat, findet sogar eine der weissen Protea Kilimanjarica mit weitgeöffneten Blütenblättern. Wir haben Zeit, Zeit für die Jagd auf botanische Raritäten, zum Photographieren und Filmen.

Obwohl der Himmel weitgehend bedeckt bleibt, wirkt die Luft nicht kühl. Erst gegen 3500 Meter lassen uns einige Nebelschwaden frösteln.

Nach Durchqueren mehrerer schluchtartigen, oft von einem kleinen Bach belebten Einschnitte erreichen wir nachmittags die zweite Station schwedischer Entwicklungshilfe: die Horombo-Hütten auf knapp 3800 Meter.

An diesem Abend verbreitet sich erneut, diesmal jedoch irgendwie greifbarer, das Gerücht von der Vorentscheidung des morgigen Tages: nur r o, höchstens 20 Prozent aller Kibo-Stürmer ge- linge es zumeist, den höchsten Punkt zu erreichen, heisst es.

Auch heute, wo wir den Weg zur Kibo-Hütte unter die Füsse nehmen, bleibt das Haupt des Berges in Wolken gehüllt. Auf knapp 4000 Meter kommen wir zum « Last Water », dem letzten, einer Quelle entspringenden und in einer Röhre gefassten Wasser.

Auf dem Kulminationspunkt vor Erreichen der auf etwa 4400 Meter hoch gelegenen Ebene schlägt das Wetter um. Einer empfindlichen Abkühlung folgt erst leichter Regen, der auf der trostlosen Fläche bald in Schneefall übergeht.

Die Verpflegungspause wird dementsprechend kurz und ungemütlich. Ein trister, weiter Weg durch das nunmehr vegetationslose Gebiet liegt jetzt vor uns. Die lastende Eintönigkeit wird bloss von einzelnen zu Buchstaben geformten Steinreihen unterbrochen.

Derart endlos erscheint dieser Marsch, dass die etwa 400 Höhenmeter vom tiefsten Punkt der Hochebene bis zur Kibo-Hütte kaum wahrgenommen werden. Nur beginnt sich hier der Flockenwirbel allmählich festzusetzen, und wie wir die steinerne, weisse Hütte erreichen, deren Inneres sich leider als ebenso kalt erweist wie ihr äusserer Anblick, ist die Umgebung schneebedeckt.

Wir befinden uns nun auf etwa 4800 Meter, und ein reger Pillenaustausch lässt auf gestörtes Befinden schliessen.

Neben « Hungerrast » durch zu geringe oder falsche Nahrungsaufnahme klagen einige über Kopfweh, das wohl verbreitetste Übel in grossen Höhen.

Das unbekümmerte Geplauder nimmt ab, die Tischtücher werden kaum noch wahrgenommen, und das Essen wird lustlos verzehrt. Diese Nacht wird keine Ausgelassenheit hören. Schon um acht herrscht pflichtgemässe Stille, nachdem weitere Heilmittel und Pülverchen ihre Opfer gefunden haben.

Beim Aufbruch morgens um zwei Uhr flutet das fahle Licht eines vollen Mondes über eine gespenstisch weiss-schwarze Landschaft und über zweiundzwanzig in alle verfügbare Kleider gehüllte Menschen.

Hoch über uns ragt der Kraterrand des Kibo und rechts das drohend-zackige Gebilde des Mawenzi empor.

Die Luft an sich ist nicht eisig, der Schnee nur knapp gefroren, und dennoch fehlt die Körperwärme, Folge des um über einen Drittel reduzierten Sauerstoffgehaltes der Atmosphäre. Die sehr ruhige Gangart unseres schwarzen Führers Fataeli trägt ebenfalls nicht dazu bei, die innere Kälte zu verscheuchen, und selbst die Zehen haben Mühe, warm zu werden.

Irgendwo da oben muss einmal die Hans-Meyer-Höhle, die traditionsgemäss erste Raststelle, auftauchen. Menschen, stumme Figuren, kommen uns entgegen und ziehen wortlos an uns vorüber. « Das sind die, die aufgegeben haben, sind viel zu schnell gegangen », erklärt Berni.

Auch drei gemächliche Stunden sind viel; viel auf einer Höhe, beginnend mit dem Gipfel des 49 Kibo vom Marangu-Hotel ( 1400 m ) aus. ( Zoom-Aufnahme ) 50 Der Weg nach dem Regenwald, ^wischen den Mandara-und den Horombo-Hütten Photos: Hs. Eggenberger 51Blick auf die Horombo-Hütten ( etwa 3800 m ) 52 Der Mawenzi ( s125 m ) von den Mandar a-Hütten aus Mont Blanc und aufsteigend auf etwa 5300 Meter.

Wir lassen die Säcke, die nur das Notwendigste enthalten, in der Höhle aufatmend zu Boden fallen, nehmen einen Schluck aus der Thermosflasche und essen etwas, wozu man sich allerdings erst noch zwingen muss.

Wir steigen weiter. Über der grossen Ebene unter uns haben sich inzwischen Wolken gebildet, und am Kraterrand ziehen Nebelschwaden vorbei.

Die vordem direkte Steigung wandelt sich jetzt in einen angenehmeren, in Serpentinen sich hochziehenden Weg. Der Hang - der Endpunkt des Gilmans Point bleibt unentwegt über uns -scheint ohne Ende, und wir sind froh um die Skistöcke, die uns zu einer aufrechteren Gangart verhelfen.

Die fahlgraue Dämmerung des erwachenden Tages beginnt jetzt die indirekte Helligkeit der Nacht zu verdrängen, überzieht die Unendlichkeit des Himmels, senkt sich allmählich tiefer und legt sich schliesslich sanft über unseren Berg.

Wir befinden uns knapp über den Wolken auf vielleicht 5500 Meter, als wir, gebannt von den Wehen des heraufziehenden Tages, dem sich kün-denden Licht entgegensehen.

Sein Ausgangspunkt nimmt rasch an Intensität und Stärke zu. Aus dem Blau-Violett entsteht zuerst ein dunkles, allmählich heller werdendes Rot, fliesst über in Orange. Unvermittelt erreicht uns das erste geballte Strahlenbündel und am Horizont steigt die gelb-weisse Rundung der Sonne aus dem Dunkel empor.

Rasch wird die Wärmewirkung spürbar, und der Schnee - nicht tiefer als drunten vor der Kibo-Hütte - beginnt bald ballig-weich zu werden.

Unterdessen ist unsere Gruppe auseinandergefallen: da einer, dessen Schritte sich immer mehr verlangsamen und der mühsam um Atem ringt, dort einer, der von einem fast rhythmisch wiederkehrenden Brechanfall geschüttelt wird. Hinter allen aber wirkt, als hütender Engel, beruhigend, ermunternd, Fataeli, der Führerchef.

53 Kilimanjaro-Hochebene ( etwa 4300 m ), die « Mondlandschaft » zwischen Mawenzi und Kibo Photos: A.J.osI 54 Kilimanjaro: Ausblick vom Gilman's Point gegen den im .Nebel verschwindenden Mawenzi ( 5685 m ) Photo: R. Suicr 55 Die Südseite des Matterhorns ( Cervino ), von der einstigen Alp und heutigen Hotelstadt Breuil aus. Gezeichnet am 16. August 1806 Der Gilmans Point kann wohl nicht mehr weit sein. Tatsächlich stehen wir plötzlich zwischen grossen Lavablöcken am Kraterrand.

Damit bietet sich uns eine zweifache Aussicht: Einerseits haben wir Einblick in den grossen Kraterkessel mit den Eisabbrüchen des schwindenden Gletschers und dem bis zum Uhuru-Peak hinaufführenden Rand, wobei der eigentliche Kratergrund aber auch vom höchsten Punkt aus unsichtbar bleibt. Andererseits können wir auf ein Wolkenmeer hinabsehen, das sich rund um den Kibo lagert und seine nähere Umgebung somit unseren Augen entzieht. Selbst der benachbarte, immerhin noch 5150 Meter erreichende Mawenzi ist unter der brodelnden Masse verschwunden.

Wo aber die Wolken fehlen, erstreckt sich die Unendlichkeit Afrikas, und die Aussicht wird bald einmal ersetzt durch die Einsicht in das Unermessliche dieser Naturlandschaft.

Nach einer halben Stunde setzen wir den Marsch zum höchsten Punkt fort. Der Weg an sich ist problemlos zu begehen, doch erfordert jeder Schritt eine körperliche Anstrengung.

Nun erfahren wir auch, dass unsere schwarzen Führer nicht nur zur Zierde mitgekommen sind. Ihre Obsorge, Aufmunterung und Einfühlung in die jeweilige Situation steht nicht hinter den Qualitäten schweizerischer Bergführer zurück.

Ein geringer Sturz, ohne Verletzung, verursacht nur durch die Schwächung infolge der grossen Höhe, veranlasst Führer Fataeli, meinen linken Arm zu nehmen und also nicht mehr loszulassen bis zur Kibo-Hütte. Schade, ein gliederlok-kerndes Springen über eine so lange Geröll- und Staubhalde hätte sicher seinen Reiz gehabt.

Über der Hochebene unterhalb der Kibo-Hütte hat sich wieder eine schwere Nebeldecke gebildet, aus der unablässig ein feiner Graupelschauer herniedergeht. Erst droben auf East Lava Hill, in 4355 Meter Höhe, werden wir dann endgültig in eine angenehmere Atmosphäre entlassen. Sonnenstrahlen und eine wohltuende Wärme begleiten uns somit auf dem letzten Wegstück zu den Horombo-Hütten.

56 Eschers erste Ansicht vom Tödi ( 3614 m ). Nach einem Grisaille-Aquarell seines einstigen Zeichenlehrers J. B. Bulliger. Kopiert und koloriert im Jahre 1804 57Der Untere Grindelwaldgletscher. Terrainstudie, skizziert am 21. August ij

Nach gelungener Tour wieder beim Parkeingang angelangt, bringen uns die überstandenen Anstrengungen und die einsetzende Entspannung dahin zurück, wohin jeder Ausflug führt: zum Ausgangspunkt auch in den Gedanken.

Früher hat man Kibo-Bezwinger mit einem Blumenkranz geschmückt. Heute wird die Tatsache mit einem Zertifikat bestätigt. Ob Afrikas Papier oder Europas Plastik - alles wird eben beständiger.

Die Busse stehen bereit, die Chauffeure warten: in der Zeitlosigkeit des schwarzen Afrika bleibt für die Zeitnot der Weissen noch unendlich viel Raum.

Später, in der Dämmerung, erleben wir noch ein kleines Schauspiel. Auf dem Rasen ausgebreitet liegen Kleidungsstücke, Gebrauchsgegenstände und Lebensmittel. Hinter der Auslegeordnung, in disziplinierter Haltung versammelt, stehen unsere Träger und Führer.

Ihr Chef, in souveräner Haltung, leitet die Vorstellung; kanalisierte Begehrlichkeit in disziplinierter Form vorgeführt. Ausrangiertes Gut weisser « Kultur » wird zum begehrten Artikel schwarzer Entwurzelung, sauber verpackt in ethische Verantwortung jenseits demütiger Bittstellung.

Stück um Stück wird ergriffen und hochgehalten: Wer hat Interesse? Vier oder sechs heben die Hand, der Führer blickt in die Runde, gibt 's dem, der 's vielleicht am nötigsten hat, oder dem, der ihm sympathisch ist - wer weiss?

Am Schluss grosser Applaus der Schwarzen und Abzug mit der Beute, und zurück bleibt auf dem leeren Rasen eine Frage liegen:

Wer hat da gegeben - wer genommen?

59Blick von der Grossen Scheidegg auf den Mettenberg ( 3401 m ), Mönch ( 4099 m ) und Eiger ( sgyo m ). Terrainstudie, gezeichnet am 20. Juli iygy 60 Der Brunnigletscher im hinteren Maderanertal, der sich seither weit zurückgezogen hat. Gezeichnet am 9. August iyg6 Alle Abbildungen aus: « Ansichten und Panoramen der Schweiz« ( Atlantis Verlag AG, Zürich ), S. 137, S,ti(|. S, 1 13, S.^o. S.! 12. S.83 61 Monte Disgrazia ( 36y8 m ) von Süden mit Preda-Rossa- GletScher. lAiifiiahmestandml: „ lion m Photo: Conradin Steiner, l.uzern

Feedback