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Eine Woche in den Ötztaler Alpen

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in den Ötztaler Alpen

H. P. Tschui, Arlesheim

Im Sommer 1967 beschlossen wir, eine Tourenwoche in den Ötztaler Alpen durchzuführen. Organisator war der altbewährte « hagebu-chige » Franz Burch, Filmoperateur Hans Schellhammer und Spassvogel Willi Nussbaum; zu unserer Gruppe gehörten weiter die beiden « Plätzbummer » Walter Meier und Georges Baumgartner, ferner Fredi Graetzer, unser Benjamin Heinz Zeller, der Schreibende und - als « Hahn im Korb » - unsere tapfere, zähe Heidi Kunz. Leider konnte Werner Benseier nicht mit von der Partie sein.

Am Samstag, 2. September, bezogen wir mit unseren vollgestopften Rucksäcken das reservierte Abteil im Arlberg-Express. Pünktlich rollte der Zug, von Regenwolken begleitet, aus dem Bahnhof Basel. Über Zürich, Buchs, Feldkirch, Bludenz und St. Anton erreichten wir nach einer eindrucksvollen Fahrt durch das Arlberggebiet Landeck. Dort erwartete uns unser Bergführer Sepp Praxmarer, der uns mit seinem VW-Bus in das 25 Kilometer entfernte Feichten ( 1290 m ) im Kaunertal führte. In Sepps gastlicher Pension « Edelweiss » konnten wir uns gleich an den gedeckten Tisch setzen. Hier in Feichten Schloss sich uns noch ein Kamerad an, Aufnahme vom 13. August igs8: Zinalrothorn, Ober Gabelhorn und Dent Blanche, vom Weisshorn 2Aufnahme vom r. August 1938: Am Weisshorn-Nordgrat; Blick in die Westflanke 3Oberster Teil des Weisshorn-Nordgrates Photos Werner Letsch, Zollikon nämlich Adam Dietewich, der mit Frau und Sohn in Prutz seinen Urlaub verbrachte.

Nach dem vorzüglichen Mahl und einer letzten Kontrolle der Ausrüstung nahmen wir um 15 Uhr den Weg zur Verpeilhütte ( 2025 m ) unter die Füsse, einen zweistündigen Aufstieg durch prächtigen Nadelholzwald, und bezogen dann in der neuen Unterkunft Quartier. In unmittelbarer Nähe türmten sich die Felsbastionen des Schwabenkopfs und der Verpeilspitze auf.

Die Hütten des ÖAV erwiesen sich überall als wohlversorgte « Berghotels », ganz im Gegensatz zu unseren SAC-Clubhütten, in denen dem Individualismus gehuldigt wird.

Nach einer etwas unruhigen Nacht - unser Organismus musste sich erst an die Höhe gewöhnen — rüsteten wir uns zur ersten Tour.

Sonntag: Rofelewand, 3354 Meter Um 6 Uhr traten wir vor die Hütte und stiegen entlang dem rauschenden Wasser dem Schweikert Ferner zu. « Sieh da, Steinböcke! » flüsterte der vor mir gehende Sepp. Tatsächlich entdeckten wir 50 bis 1 oo Meter über uns etwa 20 dieser Felsartisten. Wie wir von unserem Führer erfahren konnten, stammten diese Tiere aus der Berninakolonie. Einige von uns liessen sich die Gelegenheit nicht entgehen und versuchten sich vorsichtig heranzupirschen, um die zum Teil prächtigen Böcke auf ihre Celluloid-streifen zu bannen.

Auf dem hartgefrorenen Schweikert Ferner zogen wir eine Spur bis auf 2900 Meter, erreichten, nordostwärts querend, den oberen Totenferner am Fusse des Ostgrates. In leichter Kletterei strebten wir über ein weisses Band dem luftigen, brüchigen Grat entgegen und standen bald vor der « Schlüsselstelle », einer herrlichen, in die Nordwand abfallenden Kante. Kurz nur war die Freude am gutgriffigen Granit; der Weg ging weiter über Trümmer, und um i 11.30 Uhr setzten wir den Fuss auf den Gipfel. Nach kurzer Rast nahmen wir den Abstieg durch das Südcouloir in Angriff.

Wohlgesichert am in Eisschrauben verankerten 120-Meter-Seil, glitten wir sanft in die Tiefe. Im unteren Teil des Eisschlauches kamen Georges und Walter einerseits, Heinz und ich andererseits zu einer unfreiwilligen Rutschfahrt, die leicht hätte gefährlich werden können, wenn man an die steigeisenbewehrten Schuhe denkt. Da die Eisenzacken im Matsch schlecht griffen, rutschten beide Seilschaften einige Meter dem Couloirende entgegen. Doch, von einigen Kratzern abgesehen, verlief die Sache glimpflich.

Bald waren wir wieder auf dem Gletscher, und um 14.30 Uhr erreichten wir die gastliche Hütte. Am späteren Nachmittag kamen wir in den Genuss einer von Sepp gehaltenen, instruktiven Seillektion. Beim Herrichten unseres Nachtlagers aber vernahmen wir mit langen Gesichtern die Geräusche des auf Blech und Holz tropfenden Regens.

Montag: Madatschjoch - Kaunergrathütte Gleich nach dem Erwachen konsultierte ich den Höhenmesser und stellte enttäuscht fest, dass der Luftdruck um 1 o mm gefallen war. Ein kurzer Blick in die Regenwolken erklärte die betrübliche Beobachtung. Doch nach einem ausgiebigen « Zmorgen » nahmen wir gleichwohl unsere Lasten auf die Schultern und marschierten zwischen verblühten Alpenrosenstauden den Madatschtürmen entgegen. Nach einer guten Stunde rückte die noch unbegangene Nordkante des Verpeilturmes in unser Blickfeld. Sepp und ich diskutierten über eine eventuelle Route; doch der herannahende Regen liess keine Kletterei im obersten Schwierigkeitsgrad zu. Auf 2700 Meter Höhe, am Fusse der Madatschtürme, gesellten sich zum Regen noch Schnee, Blitz und Donner, so dass der Entschluss, die Turmkletterei abzublasen, leicht fiel. Unsere « Knirps-Schirme » leisteten vorzügliche Dienste, doch drohten sie unter der zunehmenden Schneelast beinahe zu zerreissen. Angeseilt balancierten wir in zwei Gruppen vom Madatschjoch ( 3010 m ) über den Planggeross- ti-'.** ti-

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Abendstimmung über der Weisssee Spitze ( 3326 m ) Photo Walter Meier, Basel Wild Spitze ( 3770 m ) Photo Lisa Gensetter, Davos 1000 Sa 1.

ferner der Kaunergrathütte ( 2811 m ) entgegen, welche wir um die Mittagszeit erreichten. Petrus zeigte sich unnachgiebig, so dass wir gezwungen waren, den Rest des Tages mit sauren Gesichtern in der Hütte abzusitzen. Auch das « fesche Dirndl », das uns bediente, vermochte unser Gemüt wenig aufzuheitern. Um das Malheur vollkommen zu machen, verbrachten einige von uns die Nacht mit nur einer Wolldecke. So sehr sie sich auch zusammenkuschel-ten, das Zähneklappern war weitherum vernehmbar.

Dienstag: Verpeilspitze, 3425 Meter Begreiflicherweise galt der erste Blick erneut dem Wetter. Wir registrierten 20-30 Zentimeter Neuschnee. Dennoch entschlossen wir uns, da der Himmel nur leicht bewölkt war, die Verpeilspitze über die Normalroute zu besteigen. Um 7.30 Uhr bahnten wir uns den Weg zum Einstieg. In Zweier- und Dreierseilschaften auf- Bemerkungen:

Höhendifferenz total im Aufstieg: 6345 Meter im Abstieg: 5700 Meter Effektive Marschstunden total: 44Î4 Bewältigte Höhendifferenz total: 12050 Meter Pro Stunde = 270 Meter ohne Horizontaldistanz geteilt, stiegen wir durch die Westflanke dem grossen Schneesattel entgegen. Unter zum Teil massiven Verwehungen suchten wir mit blossen Händen nach Griffen und Tritten. Wir gingen auf Sicherheit, denn der unter Schnee liegende Fels war tückisch vereist oder nass. Um 11.30 Uhr standen wir auf dem Gipfel, doch der eisige Wind lud nicht ein zum Verweilen. Unverzüglich organisierte Sepp den Abstieg, den wir alle am gleichen Seil antraten. Langsam, aber sicher erreichten wir wieder den Fuss der Westflanke, und um 14 Uhr machten wir uns bereits über herrliche Koteletts her.

Am Nachmittag turnten die noch Tatendur-stigen in den umliegenden Felsen umher. Ich bearbeitete einen aufsteigenden Quergang ( IV ) mit Haken, so dass alle sicher die Stelle bewältigten. Den Abschluss bildete eine luftige, überhängende Abseilstelle von 40 Metern.

Nach Spaghetti Bolognese und einem Glas Wein wickelten wir uns in die Decken, denn es sollte um 5 Uhr « Tagwache » geblasen werden.

Mittwoch: Wazespitze, 3533 Meter Wolkenloser Himmel beflügelte unsere Vorbereitungen. Bereits um 6 Uhr waren wir unserer sieben unterwegs, während Heidi, Franz, Fredi und Willi die etwas weniger anstrengende Tour zum Schwabenkopf ( 3379 m ) vorhatten. Der am Vortag und in der Nacht gefallene Schnee liess unser Vorhaben, den Ost- oder Westgrat zu besteigen, zunichte werden. Als Alternative wählten wir die Eisroute. Unterhalb des ersten Eisbruches seilten wir uns in zwei Gruppen an; Sepp übernahm die Partie Adam und Hans, ich selber Walti, Georges und Heinz. Da zwei von uns im Steigeisenlaufen relativ wenig Erfahrung hatten, bearbeitete Sepp den ersten Aufschwung stufenschlagend. Die dadurch bedingte Wartezeit erlaubte uns, die unbeschreiblich schöne Umgebung im Morgenlicht zu bewundern. Nur die Pickelschläge unterbrachen die wohltuende Stille. Bald aber waren wir mitten im Spaltenlabyrinth; doch der wegkundige « Seppi vo Feichten » stieg unbeirrt dem ersten Gletscherkessel entgegen, den wir unter der Einwirkung der kräftig scheinenden Sonne durchquerten. Entlang dem mächtigen, sicher to bis 15 Meter breiten Bergschrund arbeiteten wir uns durch das zweite Couloir empor und standen bald im zweiten Kessel. Nach dessen Traversierung führte die Route durch einen steilen Firnschlauch ( 40-500 ) zum tiefsten Einschnitt des Südgrates. Dort angekommen, entledigten wir uns unserer Steigeisen und strebten in herrlicher, luftiger Kletterei dem Gipfel entgegen, wo wir von einer stattlichen Gipfelrunde begrüsst wurden; die namhaftesten davon waren Grossglockner, Ortler, Wild Spitze und ganz in der Ferne das Berninamassiv.

Nach einer guten Stunde Gipfelrast stiegen wir über die plattige, gutgriffige Südwand ab, querten unterhalb eines riesigen Plattenschus- ses, der oben durch ein grosses Dach begrenzt war, nach rechts und « landeten » so ohne grosse Mühe wieder im zweiten Eiskessel. Da der Firn im Moment stark aufgeweicht war und deshalb die Zwölfzacker nur schlecht griffen, schien es ratsam, gesichert abzusteigen. Der letzte der beiden Seilschaften sicherte die vor ihm absteigenden Kameraden am eingerammten Pickel und stieg, wenn das Seil aus war, weiter ab. Selbstverständlich spielte während dieser Phase die Selbstsicherung der anderen Gefährten eine grosse Rolle. Mit fortschreitendem Abstieg wuchs die Selbstsicherheit. Mit dreisten Sprüngen über Spalten und Schrunde näherten wir uns dem letzten Abbruch. Sepp schlug eine Eis-birne, in welcher ein Reserveseil verankert wurde. Uns am « fixen » Seil haltend, erreichten wir, in der Fallirne absteigend ( 400 ), rasch den Gletscherfuss. Dann eilten wir der gastlichen Kaunergrathütte zu und traten um i 7 Uhr, nach elfstündiger Arbeit, über ihre Schwelle.

Wieder überzog sich der Himmel mit grauen Wolken. Die knurrenden Magen und die durstigen Kehlen wurden mit Wienerschnitzel und einem Glas « Roten » befriedigt. Glücklich über die erfolgreiche Tour, die einen Höhepunkt der Woche darstellte, sprach männiglich dem Weine zu. Doch die müden Glieder verlangten nach Ruhe, und langsam verschwand einer nach dem andern, mit Ausnahme von Sepp und Franz, die der « Enzian » weiterhin in der Küche festhielt, was vor allem für den einen der beiden Folgen zeitigte. Unter Gebrumm wühlte schliesslich « Franz Enzian » sein mit Seil und sonstigem Gerät absichtlich verbarrikadiertes Lager frei, während Sepp ihn mit guten Ratschlägen versorgte, wie etwa: « Brauchst doch kein Kopfkissen; nimm doch die Steigeisen! » Donnerstag: Hüttenwechsel zum Taschachhaus Dichter Nebel und ein alles überziehender Rauhreif gaben diesem Morgen ein besonderes Gepräge. Um 8 Uhr machten wir uns auf den Weg. Bald leistete uns auch wieder der Regen Gesellschaft, der die mit Drahtseilen und Trittleitern versehene Schlüsselstelle des Höhenweges zur Riffelseehütte sehr heikel machte. « Franz Enzian » litt sichtlich unter den Nachwirkungen der vergangenen Nacht. Nach dem Mittagessen in der vorher genannten ÖAV-Hütte setzten wir unseren Weg in der undurchdringlichen « Suppe » fort und waren gegen 18 Uhr, nach total sechs Marschstunden, im Taschachhaus ( 2434 m ). Trotz Umbau fanden wir eine gutgeheizte Stube vor und bekamen « e zünftigs Znacht » vorgesetzt. Mit neuen, molligen Wolldecken versehen, verbrachten wir eine angenehme Nacht.

Freitag: Taschachjoch—Vernagthütte—Fluchtkogel—Brandenburger Haus Gegen vier Uhr schaute Sepp nach dem Wetter, denn diesmal sollte der Höhepunkt, die Wild Spitze, an die Reihe kommen. Sein Bericht war niederschmetternd: « Es hat g'schneit und me sieht ka Meter weit! » Also schlüpften wir nochmals unter die wärmenden Decken. Gegen 8 Uhr rafften wir uns resigniert auf, um nach dem Gepatschhaus über das Ölgrubenjoch abzusteigen. Mich wurmte die entgangene Variante - durch die Nordwand zur Wild Spitze ( 3770 mganz besonders. Plötzlich, auf 2700 Meter, riss die Nebeldecke. Über uns wölbte sich strahlender, leicht bewölkter Himmel. Sofort berieten wir die Lage, gaben uns Rechenschaft über Proviant und Fitness und entschlossen uns, gegen die Vernagthütte aufzusteigen. Nachdem die Seilschaften gebildet waren, führte uns der für das Wohl seiner « Klienten » sehr besorgte Sepp durch die Spaltengebiete westlich der Pitztaler Urkund; weiter ging 's aufwärts über den Urkundsattel. Unter der durch den Hochnebel drückenden Sonne erreichten wir, zum Teil bis zu den Knien einsinkend, das Taschachjoch ( 3240 m ). Von hier aus beobachteten wir zähneknirschend zwei von der Wild Spitze absteigende Gruppen. Nach einer weiteren Marschzeit von einer Stunde über den Vernagtferner setzten wir uns in der gleichbenannten Hütte zu Tisch. Taschachhaus—Vernagthütte = sechs Stunden. Frisch gestärkt wandten wir uns dem Fluchtkogel zu. Über die « 1850 »-Moräne aufsteigend, gelangten wir auf 3000 Meter Höhe wieder auf den Gletscher und kamen gegen 17 Uhr auf dem oberen Guslarjoch ( 3360 m ) an. Hier errichteten wir ein Sackdepot und eilten leichtfüssig dem Gipfel ( 3500 m ) entgegen, den wir um 17.30 Uhr bei einer unvergesslichen Abendstimmung betraten. Der Augenblick war wie geschaffen für Gegenlichtaufnahmen. Leider fehlen mir die passenden Worte, um zu beschreiben, was wir hier oben sahen und empfanden; die gebräuchlichen Superlative scheinen mir zu plump für so erhabene Momente. Der Bergfreund aber nimmt diese in seinem Herzen auf und bewahrt sie dort sein Leben lang. Ich bedauerte nur, dass Werner Benseier nicht bei uns sein konnte.

Bei steifem Südostwind und einigen Grad Kälte stapften wir in Sturmkleidung über den Kesselwandferner dem Brandenburger Haus ( 3270 m ) entgegen. Um 18.30 Uhr rollten wir glücklich die steifgefrorenen Seile auf. Das war ein vollwertiger Ersatz für die Wild Spitze und eine respektable Leistung dazu: totale Marschzeit zehneinhalb Stunden, Höhendifferenz im Aufstieg 1550 Meter. Achtung gebührte vor allem der kleinen Heidi. Bravo!

Jetzt aber liessen wir uns Gulasch oder Rippli mit Bier schmecken. Bevor wir uns zur Ruhe legten, trat ich noch einmal vor die Hütte. Der Himmel war übersät mit Myriaden von Sternen; deutlich war die Milchstrasse sichtbar; im Süden, weit entfernt, zuckte das Wetterleuchten. Hätte mir der eisige Wind nicht um die Ohren geheult, ich hätte am liebsten unter freiem Himmel geschlafen; doch so zog ich die Hütte vor.

Samstag: Weisssee Spitze, 3526 Meter Keine Eile trieb uns an diesem Morgen an, denn der Blick durchs Fenster versprach einen

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