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Fründenhorn: Ost oder West?

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von A. Meyer

Mit l Bild ( 46 ) und 1 Skizze ( Bern ) Es war in der Zeit, als um Europas Schicksal gerungen wurde. Ost oder West, das war für uns alle die entscheidende Frage.Viel wurde diskutiert, Vor- und Nachteile beider Seiten abgewogen, und Schwierigkeiten, Hindernisse und Möglichkeiten einkalkuliert. Hart prallten oft unsere Meinungen aufeinander. Mein Freund Paul war eher für Ost, ich mehr für West. Wie sich einigen?

« Vielleicht keines von beiden, neutral bleiben », höre ich dich rufen. Neutral bleiben, jetzt, wo es uns in allen Fingern kribbelt, wo alles zu einer Entscheidung drängt? Jetzt abseits stehen, wo vielleicht die allerletzte Gelegenheit zur befreienden Tat sich bietet 1 Nein, und abermals nein!

Wir entscheiden uns für West. Und schon siehst du uns langsam der Fründenhütte zustreben. Vorbei am tiefblauen Oeschinensee, der uns zu einem kühlen Bade einlädt. Dann hinauf zur heimeligen C. Hütte, wo uns Hüttenwart Vater Ogi bald eine dampfende Suppe unter die Nase « teilt.

Zeitig sind wir am Moi en unterwegs gegen das Fründenjoch. Unternehmungslustig drücken wir die Köpfe in die Nacken und staunen hinauf zur grossen Scharte im Westgrat. Hinauf zu den sich anschliessenden kühnen Aufschwüngen und dem mit einer Schneezipfelmütze von zartestem Weiss geschmückten Gipfel des Fründenhornes. Beim Einstieg in die Felsen werden die Kletterfinken hervorgeholt. Wieder durchströmt uns beide ein unerklärliches Gefühl, sobald wir die weichen, anschmiegbaren Sohlen spüren. Wir fühlen uns irgendwie leichter, sicherer und doch voll unsagbarer Spannung beim Aufnehmen der Säcke. Die Hosensäcke und Taschen werden zugeknöpft, und, einige lose Seilschlaufen in den Händen, staunen wir hinauf zu den sich nun direkt über uns auftürmenden Felsbastionen. Was wird uns der Grat bringen? Plötzlich sind Bedenken da. Ungerufen und nicht fassbar... und verschwinden ebenso plötzlich, als wir die ersten Griffe fassen, den rauhen Stein spüren und zuerst langsam, dann aber bald mutiger höher streben.

Schon stehen wir auf luftiger Höhe. Turnen über Gratblöcke, stemmen uns Risse hinauf, balancieren über kühne Kanten. Sicher, ohne Bedenken und Hemmungen im Vollgefühl unserer Kraft und Ausdauer. Immer wieder Sf.éi.

FRÜNDENHORN: OST ODER WEST?

muss ich staunen, wie tief dieses Klettern, dieses Tasten, dieses Sichanpassen an den Fels unsere Stimmung beeinflusst. Alles Überflüssige wird verdrängt. Nichts belastet uns mehr. Kühn und frei turnen wir über alle Hindernisse mit einer uns im Alltag ganz unverständlichen Sicherheit.

Da, die grosse Scharte. Das ist sie! Von der uns Hüttenwart Ogi augenzwinkernd gesprochen hat! Doch wir überlisten sie. Paul duckt sich in die Scharte. Tastend, am überhängenden Fels über mir Halt suchend, steige Fründenhorn Westgrat. Grosse Scharte ich auf seinen Rücken. Aber kein Griff lässt sich über mir packen. Langsam richtet sich Paul auf und hebt mich damit höher. Meine linke Hand findet Halt an einer Kante. Aber einhändig kann ich mich nicht hinaufziehen. Vorsichtig steige ich nun auf Pauls Schultern, der nun auf der schrägen Platte, die in die Scharte leitet, langsam rückwärts etwa einen Meter höher steigt. Unsere Körper überspannen so die Scharte in einem kühnen Bogen: ich kann Griffe fassen, ziehe mich hinauf, und es ist geschafft! Lasst mich schweigen vom Hinaufhissen meines Freundes über den Überhang. Es ging nicht ohne geschundene Arme! Doch herrlich sind die folgenden Aufschwünge, und eine unvergessliche Gipfelrast in warmer Sonne lohnt unsere Mühe. Das war « westliche » Kost!

In luftiger, rassiger Abseilerei steigen wir über den Ostgrat ab ins Oeschinenjoch, und schon sind wir uns einig: dieser Grat im Aufstieg, das wäre « östliche » Kost.

Einige Sonntage später. Wieder nimmt uns die freundliche Fründenhütte für eine Nacht auf. In langer, mühsamer Stampferei erreichen wir am Morgen den steilen Firnhang unterm Oeschinenjoch. In der Fallirne hacken wir uns direkt zum ersten Grataufschwung des Ostgrates hinauf. Wir sind in Eile. Denn, wie werden wir heute die grosse Abseilstelle im Aufstieg überwinden? Führer Ogi erzählte uns da Dinge...

Der Grat ist überwachtet. Der Schnee zu weich, da die Nacht warm war. Trotzdem kommen wir gut weiter, denn Paul will an den Felsen! Und schon stehen wir an der Schlüsselstelle des Grates. Der Blick rückwärts zeigt uns unsere kühn über die Wächten führende Spur... aber vorwärts? Eine 10 m hohe griffarme Wand. Eine kurze Rast, eine Stärkung, und Paul packt zu. Hier eine Ecke, dort einen Riss ausnützend, schiebt er sich langsam höher. Schon glaube ich ihn oben. Da, sein linkes Bein beginnt zu zittern. Auf schmalem Tritt sucht er krampfhaft eine Entlastung. Ich bin bereit, seinen Sturz abzufangen. Doch mit äusserster Konzentration schiebt er sich einige Zentimer höher und atmet befreit auf. Ein guter Griff war gefunden, und er ist wieder in griffigem Gestein! Nachkommen! Von oben gesichert, ist diese Schlüsselstelle für mich ein Genuss.

Wieder turnen wir frei und unbeschwert im Bewusstsein, das Schwierigste hinter uns zu haben, über den Grat. Über Aufschwünge, unterbrochen durch kurze Schneegrätchen, erreichen wir bald den Gipfel. Ei! Paul, auch das war rassig! Doch heute bleibt uns keine Zeit zu langer Gipfelrast. Wir wollen auch den Westgrat noch im Abstieg gemessen. Erst dann wollen wir uns ein Urteil erlauben. Aus weiter, weiter Ferne hören wir beim Aufbrechen das dumpfe Donnern eines Bombardements — und wir, wir turnen über sonnige Grate!

Die zwei, drei ersten Steilstufen abwärts überwinden wir in freier Kletterei. Doch bei der Scharte staunen wir. Hier sind wir damals heraufgekommen? Gewaltig sieht das Ding von oben aus! Wir seilen uns ab und landen auf der schrägen Platte, wo wir uns eine kurze Rast gönnen. Schon ist es 2 Uhr und der Abstieg noch lang. Unten, auf den steilen, fast aperen Hängen des Fründengletschers entdecken wir eine Spur. Die wird uns nützlich sein, frohlocken wir. Doch, welche Enttäuschung! Die Stufen sind vom Schmelzwasser gefüllt und vereist. Es bleibt nichts anderes übrig, wir müssen selber eine Leiter hacken. Abwärts, ca. 200 m lang. Erst mit Schwung und Eifer, dann langsamer und bedächtiger, zuletzt mühsam und verbissen hacken wir uns abwärts. Endlich erreichen wir eine Schneezunge, über die wir aufatmend in die Tiefe gleiten. In einem gewaltigen Endspurt erreichen wir in Kandersteg gerade noch den Zug und, lieber Bergfreund, können dir nun raten: Ost oder West? Nein, lieber Freund, nicht Ost oder West, sondern Ost und West muss es heissen, beide sollst Du kennen und lieben lernen!

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