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Gebirgsreisen in der Schweiz gegen Ende des 18. Jahrhunderts.

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Eine kulturgeschichtliche Skizze.

Denken wir uns an einem schönen Reisesommertage auf dem Verdeck eines Vierwaldstätterseedampfers stehend, inmitten einer aus Angehörigen aller Stände und aller Nationen zusammengesetzten Touristenmenge, die, wie wir selbst, dem Genüsse des unvergleichlichen Gebirgspanoramas sich hingibt. Überraschung, Bewunderung, Entzücken tun sich da in leiseren und lauteren Ausrufen kund, und dergleichen Gefühlsäusserungen erscheinen uns als etwas so ganz Natürliches, als der fast selbstverständliche schwache Tribut, welchen die staunende Menschheit der Natur für das von ihr gebotene herrliche Schauspiel zu zollen vermag.

Da geschieht das Unerhörte. Mitten aus dem Chor der Enthusiasten ertönt plötzlich ein überzeugtes « Scheusslich! ». Sicherlich wenden sich, wenn nicht noch Schlimmeres passiert, die Blicke aller, die den Ruf vernommen haben, vorwurfsvoll nach dem Frevler. Wie kann es aber auch nur einen Menschen geben, den die Reize der Gebirgsnatur nicht entzücken! Ein solcher muss entweder für alles Schöne und Erhabene überhaupt unempfänglich oder ein Narr oder ein Blasierter sein, dessen höchstes Streben dahin geht, sich durch nichts imponieren zu lassen.

So denken und empfinden allerdings wir heutzutage; so dachte man aber durchaus nicht zu allen Zeiten. Es sind noch keine hundertfünfzig Jahre her, da galt fast allgemein nur die Ebene, höchstens noch das sanftgewellte Hügelland, als landschaftlich schön. Dagegen hatte der Anblick des Hochgebirges seit dem Altertum die Menschheit vorwiegend mit Schrecken und Grauen erfüllt, und bis in die zweite Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts hinein war die Ausdehnung des Begriffes des Naturschönen auch auf das Düstere und Grossartig-Öde, auf das Phantastische und Erhabene der Welt fast ganz fremd. Aus diesem Grunde finden wir denn auch in Büchern jener Zeiten Gebirgslandschaften wirklich mit Ausdrücken wie « scheusslich » und « gräulich » charakterisiert. Ja, noch gegen Ende des Jahrhunderts konnte ein schweizerischer Topograph, der Zürcher Joh. Konrad Füesslin, in seiner « Staats- und Erdbeschreibung der schweizerischen Eidgenossenschaft » von dem heute wegen seiner landschaftlichen Reize und anderer Vorzüge so viel besuchten Engelberg schreiben: « Was findet man da? Nichts als scheussliche Berge, zwischen denselbigen ein schönes Kloster, aber ein schlechtes Dorf, hin und wieder zerstreute Häuser und eine kahle Allmend. Keine Gärten, keine Fruchtbäume, keine das Auge belustigenden Felder sind da! » — Und so urteilten nicht etwa nur Leute, welche keinen Schönheitssinn besassen, sonst hätte nicht eine der hellsten Leuchten zur Erschliessung des Reiches des Schönen, der grosse Kunstforscher Joh. Joachim Winckelmann, als er im Frühjahr 1768 eine nach heutigen Begriffen herrliche Gebirgsgegend Tirols durchfuhr, mit dem Ausdruck des Grauens zu seinem Begleiter äussern können: « Sehen Sie, mein Freund, was für eine entsetzlich schaurige Landschaft! Diese unermesslich emporsteigenden Berge 1 » Wohl hatten schon früher einzelne Gelehrte, welche die Alpen zu naturwissenschaftlichen Forschungen besuchten, so namentlich im sechzehnten Jahrhundert Konrad Gessner und zu Ende des siebzehnten und Anfang des achtzehnten Jahrhunderts Joh. Jak. Scheuchzer, beide aus Zürich, auf die Schönheit und nicht minder auch auf die « Nützlichkeit » der Gebirge hingewiesen.

Den allgemein herrschenden Vorurteilen gegenüber waren sie aber nicht viel mehr als Prediger in der Wüste, und niemand fiel es vorderhand ein, in der Bereisung der Alpen ein Vergnügen zu suchen. Zum Überfluss bestrebten sich andere, hauptsächlich ausländische Gelehrte, die « gräulichen Berge » bei der Menschheit in noch grösseren Misskredit zu bringen, als sie bereits waren. Der Belgier Daniel Eremito z.B. behauptete, die Älpler würden durch die gänzliche Abgeschiedenheit von den Menschen und durch ihren beständigen Umgang mit dem Vieh dermassen den Tieren gleich, dass sie völlig die menschliche Sprache verlören, und ein Rostocker Professor Georg Detharding leitete das Schweizerheimweh von dem Umstände her, dass die Schweizer, die an die « Ungesund- und Grobheit » ihrer Bergluft gewöhnt seien, in der Fremde eine gesundere und reinere Luft nicht vertragen könnten, « gleich den Wiedehopfen, die, an den übelriechenden Mist gewöhnt, anderswo nicht leicht gedeihen ».

Das Verdienst nun, zuerst mit Erfolg auf die Schönheit und Erhabenheit der Alpennatur hingewiesen und so nach und nach einen allgemeinen und dauernden Umschwung in den bisherigen Anschauungen über das Naturschöne bewerkstelligt zu haben, gebührt unstreitig zwei Schweizern, dem Berner Albrecht v. Haller und dem Genfer Jean-Jacques Rousseau.

Bei Haller, dem grossen Gelehrten, war es allerdings zunächst naturwissenschaftliches Interesse, was ihn zu den Alpen hinzog. Seinem universellen Geist erschloss sich aber gleichzeitig auch zum erstenmal so recht die Grossartigkeit und Pracht des Hochgebirges; bei den Alpenbewohnern ferner glaubte er, gegenüber dem Luxus und der sittlichen Verderbnis der Städte, Reinheit der Sitten sowie ein genügsames und daher glückliches und beneidenswertes Dasein gefunden zu haben. Die poetische Frucht dieser Wahrnehmungen und Gefühle ist sein nach heutigen Begriffen allzu idealisierendes Gedicht « Die Alpen », erschienen 1732, dessen Wirkung auf die Zeitgenossen aber um so überwältigender war, als damals, zur Zeit Ludwigs XV. von Frankreich, die allerorts in Sitten, Anschauungen, Bildung, überhaupt im gesamten Leben herrschende, zur Unnatur gewordene Überkultur den höchsten Grad erreicht hatte. Die Folge davon war, dass sich viele aus diesem Zustande hinaussehnten zu Natur und Sitteneinfalt; bei Hallers Älplern, die man für genaue Abbilder der Wirklichkeit hielt, fand man, was man suchte.

Wenn möglich noch grösser ist der Einfluss, den der Dichter und Philosoph Rousseau auf die Umgestaltung des Naturgefühls ausübte. War Hallers Naturempfindung auch bei seiner weitgehenden Verherrlichung eines von der Kultur unberührten Lebens immerhin noch eine gesunde, so finden wir sie bei Rousseau zur Überschwenglichkeit, zur Schwärmerei gesteigert. Für sein eigenes, leidendes Gemüt sucht er Heilung in der Einsamkeit, in wilder Um- gebung. « Ich verlange », sagt er, « Giessbäche, Felsen, Tannen, dunkle Wälder, Berge, rauhe auf- und abführende Pfade und recht fürchterliche Abgründe neben mir », und indem er der Menschheit Kulturverachtung, Weltflucht, Rückkehr zu den einfachen Verhältnissen, zur Natur predigt, wird er zum Verkünder des Naturevangeliums. Er schildert in seiner « Nouvelle Héloïse » die Gestade des Genfersees und die grossartige Schönheit des Wallis mit einem Zauber der Sprache, der alle Leser hinriss. Was Wunder, wenn empfindsame Seelen — und Empfindsamkeit ward mehr und mehr die Signatur jener Zeit — sich nun gleichfalls hingezogen fühlten zur Reinheit und Grosse der Gebirgswelt, wenn man in ihrer Unveränderlichkeit und Stille Zuflucht zu suchen begann vor der unruhevollen Kleinlichkeit des Daseins, wenn man mit der Natur gleichsam in ein innerliches, seelisches Verhältnis trat und in ihr Wunder und Reize entdeckte, die man bisher nicht gekannt oder vielmehr nicht empfunden hatte? Es waren also, wie wir sehen, nicht sowohl ästhetische, als vielmehr ethische und moralische Momente, welche diesen Umschwung in der Naturanschauung verursachten.

Nun soll man aber, wie bereits angedeutet, nicht etwa glauben, ein derartiger Umschwung habe sich sozusagen von heute auf morgen geltend gemacht und Alpentouren seien plötzlich etwas Gewöhnliches geworden. Behalten wir vor allem im Auge, dass der grösste Teil des schweizerischen Alpengebiets, besonders die höheren Regionen desselben, noch völlig unerforscht, nicht minder « Terra incognita » war als bis zum heutigen Tage der Nord- und der Südpol. Im Leben der Alpenbewohner ferner, mit denen man etwa in Berührung kam, traf man nichts weniger als jenen von Haller geschilderten, begehrenswerten Idealzustand. Mancherlei althergebrachte, einer rascheren Entwickelung des Bergreisens hinderliche Ansichten und Vorurteile verschwanden natürlich auch nicht auf einen Schlag, und wenn man endlich, abgesehen von einer Menge anderer Dinge, auch nur der Unzulänglichkeit damaliger Verkehrsmittel gedenkt und die mannigfachen daraus resultierenden Um- ständlichkeiten, Schwierigkeiten und Eigentümlichkeiten sich einigermassen vorstellt, so kann man wohl begreifen, dass Gebirgsreisen, vor ungefähr hundert Jahren unternommen, sich von heutigen wesentlich unterscheiden und daher viel für unsere Zeit Merkwürdiges und Interessantes bieten.

Wenn heutzutage ein Lehrer mit acht- bis zehnjährigen Schülern von Zürich aus an einem Nachmittag den Uetliberg besucht, so sehen wohl nicht einmal die kleinen Bergsteiger selbst darin eine besondere Leistung. Vor wenig mehr als hundert Jahren dagegen galt ein solcher Spaziergang noch für eine Tat, würdig, dem Andenken der Mit- und Nachwelt überliefert zu werden. « Die Reise auf den Uetliberg im Junius 1774 » nennt sich ein 1775 zu Zürich anonym erschienenes, von dem Chorherren und Professor Christian Sai. Schinz verfasstes und durchaus ernst gemeintes Büchlein, bei dessen Lektüre wir uns des Lachens oft nicht enthalten können. Nach einer vor Erregung schlaflosen Nacht zieht die Reisegesellschaft, bestehend aus zwei Zürcher Herren, ihren Söhnen und « etlichen ihrer Gespanen », unter welchen sich auch der junge Martin Usteri befindet, der spätere bekannte Dialektdichter und Begründer der schweizerischen Künstlergesellschaft, mit Bedienten, Proviant, Wasserkrügen und naturwissenschaftlichen Instrumenten versehen, als gälte es zum mindesten eine Orientreise, noch vor Tagesanbruch aus. Während einer über den ihm ungewohnten Morgenfrost klagt, findet ein anderer in der kühlen Luft « so was Erquickendes » und jauchzt vor Freude, so dass man dieser Einhalt tun muss, und Martin Usteri, « ein gefühlvoller Knab », empfindet auch « die Wollust des Morgens » und singt « mit Rührung des Herzens » Gellerts Morgenlied « in einer angenehmen Melodie ». Unter lehrreichen Gesprächen gelangt man zu den Häusern des Friesenberges, wo die erste Rast gehalten, die Barometerhöhe beobachtet, Wasser gefasst und die Art des Bergsteigens verabredet wird. « Man sollte langsam steigen, auf den weniger gefährlichen Wegen zerstreut gehen, um die verschiedenen Pflanzen und Insekten ausfindig zu machen, in den mehr gefährlichen Fusssteigen aber gesellschaftlich wandeln, damit die Stärkeren den Schwächeren leichter Hilf leisten könnten. » Nun begann der Aufstieg. « Wie klopfte das Herz und wie schlugen die Halsadern dieser der Bergreisen ungewohnten Jünglinge! Schweiss tröpfelte aus dem jungen kochenden Blut allenthalben hervor. An steileren Orten musste man sich mit den Händen anklimmen; Martin Usteri sah einmal in dieser Stellung mitleiderweckend auf und jammerte mit unterbrochener Stimme: ,Worinn bin ich dann von einem Böcklein unterschieden Y — als dass ich nicht blockeEifrig sammelnd, aber auch unter manchem schweren Seufzer, gelangt man endlich auf die oberste Fläche des Berges. Hier, wo die Gesellschaft einen Teil des Tages zuzubringen gedenkt, wird nun die mühevolle Reise durch die weite, prächtige Aussicht reichlich belohnt. » Es folgt eine eingehende Beschreibung alles dessen, was sich den Blicken bietet, und, wo die sichere topographische Kenntnis nicht ausreicht, hilft die Phantasie nach. Endlich, vom vielen Sehen müde und beinahe schwindelig, beschliesst man, einen engern Gesichtskreis auszusuchen, und findet auf der Südwestseite des Berges eine Ruhestelle mit beschränkter Talaussicht. Da wird das Mittagsmahl eingenommen, nachher die Zeit in erquickendem Schatten verbracht, « nicht mit wilden, sondern mit aufmunternden Scherzen », darauf die wissenschaftliche Ausbeute der Reise an Pflanzen und Insekten besichtigt und benannt, und den Beschluss bilden mancherlei lehrreiche und moralische Gespräche und Mitteilungen früherer Reiseerlebnisse von seiten der Erwachsenen.

Unterdessen ist der Abend herangenaht, und die Gesellschaft begibt sich auf den mühsamen Abstieg. Noch einmal wird unterwegs ausgeruht und die Barometerhöhe gemessen; dann geht 's nach der Stadt zurück. Zum « Her-barisieren » und zu vielen Gesprächen ist man nicht mehr aufgelegt; doch bringt die Kühle des Abends den Ermatteten noch einige Erquickung. Mit dem Wunsche, es möge der Abend ihres Lebens dem Ende dieser Tagesreise gleich sein und sie möchten dann ihren an Kräften erschöpften Leib gern niederlegen, nehmen die Reisegefährten im Thalacker voneinander Abschied und gehen, « von Müdigkeit wankend », ihren Wohnungen zu.

Mag man bei Schinz'Reisebericht die pädagogische Absicht des Verfassers, die jungen Zürcher und Zürcherinnen aufzumuntern, « öfter dergleichen Spaziergänge zur Vermehrung ihrer Kenntnis in der Natur-Historie für-zunehmen », mag man auch die relative Unwegsamkeit des Berges gebührend berücksichtigen, so kann man sich doch des Eindrucks nicht erwehren, dass die Limmatathener von Anno dazumal noch rechte Pfahlbürger gewesen sein müssen. Und das waren sie in gewisser Beziehung auch wirklich. Wie viele junge Zürcher der guten Gesellschaft mochte es geben, welche, mit Empfehlungsschreiben wohl versehen, Deutschland, Frankreich, England bereist, alle wichtigeren Städte gesehen und eine Menge bedeutender Männer kennen gelernt hattendaheim waren die nämlichen in des Wortes verwegenster Bedeutung « nicht über die nächsten Dörfer hinausgekommen ». Wohl lesen wir in E. Osenbrüggens « Wanderstudien aus der Schweiz » ( Band II ) und in G. Peyers « Geschichte des Reisens in der Schweiz » von Schweizerreisen, welche durch Jünglinge aus guten Zürcher Familien unter Aufsicht eines Geistlichen oder sonstigen Mentors ausgeführt und dann von diesen jeweilen umständlich und gewissenhaft beschrieben wurden; aber gerade der letztere Umstand beweist, dass solche Reisen, denen übrigens nach heutigen Begriffen ein allzu philiströs-didaktischer Zug anhaftet, doch selten und ungewohnte Unternehmungen waren. Mit gefühlvollen Freunden und Freundinnen in leichtem Kahne auf dem See sich zu schaukeln und nach Gessners oder Klop-stocks Geschmack für Natur, Einsamkeit, Liebe und Freundschaft zu schwärmen, gehörte allerdings zu den Modevergnügungen jener Zeit; wer dagegen den Albis überschritt, der betrat meist schon eine ihm völlig fremde Welt. In der Beschreibung einer 1786 unternommenen « Reise über den Rigiberg und die vier Waldstätte » z.B. erklärt der Verfasser, Professor Joh. Heinr. von Orelli von Zürich, ganz unbefangen, dass er am Zugersee in einer ihm bisher unbekannten Gegend sich befindet. Heutzutage würde sich wohl ein Zürcher durch ein solch freimütiges Geständnis vor der Welt zu blamieren glauben, zumal wenn er ein Herr Professor wäre, der, wie Orelli, durch seinen Reisebericht zur näheren Kenntnis seines Vaterlandes beitragen möchte.

Indessen begann um eben diese Zeit auch bereits die Wendung zum Bessern. Das beweisen uns die zahlreichen Reisewerke über die Schweiz — an die siebzig! —, die dem lesenden Publikum im letzten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts geboten wurden, und von denen man wohl auf eine vielfach grössere Zahl solcher Reisenden schliessen darf, welche die Schweiz sich ansahen, ohne nachher die Welt davon in Kenntnis zu setzen. Die Verfasser solcher Reisewerke sind teils Schweizer, teils Ausländer, namentlich Deutsche. Die einen von ihnen gestalten die Erlebnisse und Ergebnisse kleinerer Reisen in diese oder jene alpine Gegend zu einer Art von topographischer oder kultur-und naturhistorischer Monographie, wofür als Beispiele etwa erwähnt seien ein « Spaziergang auf den Pilatusberg im Kanton Luzern » von dem ehemaligen französischen Generallieutenant Franz Ludw. Pf y ff er von Wyher in Luzern, dem bekannten ersten Verfertiger von Gebirgsreliefs; oder: « Kleine Reise durch einige Schweizer-Kantone » von Leonard Meister ( 1782 ), welch letztere Schrift neben der eigentlichen Reisebeschreibung viel Kulturgeschichtliches und Statistisches enthält. Andere Reisende haben im Genuss der landschaftlichen Schönheit der Schweiz in erster Linie Erholung und geistige Anregung gesucht; ihre Reiseberichte enthalten deshalb vorwiegend subjektive Eindrücke und Gefühle und schweifen oft in ungezwungener Weise auf ferner-liegende Gegenstände ab, die ihren Geist gerade beschäftigen. So beschaffen sind B. Goethes « Briefe aus der Schweiz » von 1775 und 1779 und « Aus einer Reise in die Schweiz » von 1797. Goethe hat bekanntlich in den angegebenen Jahren, also dreimal, die Schweiz besucht und alle drei Male den Gotthard bestiegen. Näheres vernehmen wir nur von der zweiten und der dritten Reise. Jene, im Oktober 1779 beginnend, führte von Basel durch das Münstertal ins Waadtland und durch das Jouxtai nach Besteigung der Dôle auf Genf zu. Von da besuchte der Dichter das Chamonixtal, erstieg am 5. November den Montanvert und betrat dessen Eismeer; am 6. ging 's wieder zurück und rhoneaufwärts zum Leukerbad, durch tiefen Schnee über Grimsel und Furka nach Realp, und am 13. November erreichte der Reisende bei grimmiger Kälte das Gotthardhospiz. Hier brechen die Briefe ab. Auf der dritten Reise besuchte Goethe, von Stäfa aus über Einsiedeln, Schwyz, Brunnen, Altdorf reisend, nochmals den Gotthard, kam auf dem Rückweg zum Ausgangspunkt über den ganzen Vierwaldstättersee und fasste bei dieser Gelegenheit den Plan, die Tellgeschichte als erzählendes Gedicht zu behandeln, worüber er in einem Briefe vom 14. Oktober an Schiller berichtet. Dass er die Bearbeitung dieses Stoffes später Schiller überlassen hat, der sich, durch mündliche topographische Mitteilungen Goethes unterstützt, seiner Aufgabe in anderer Weise entledigte, als dieser anfänglich beabsichtigt hatte, haben wir Schweizer jedenfalls nicht zu bedauern. Goethes scharfes Beobachtungsvermögen und sein Talent, anschaulich und lebendig zu schildern, treten, wie es sich nicht anders erwarten lässt, auch in diesen Schriften, die übrigens als literarische Kunstwerke bekannt genug sind, glänzend zutage. Noch andere Reiseschriftsteller endlich haben die ganze Schweiz bereist, d.h. so viel von ihr, als damals in Betracht kam; sie haben ihre Aufmerksamkeit nicht nur der Natur des Landes zugewendet, sondern auch dem durch seine Mannigfaltigkeit und seine Eigentümlichkeiten besonders Fremden so interessant sich bietenden Volksleben, den politischen und sozialen Einrichtungen, der Geschichte, der Sprache, der Kultur der Städte, kurz allem, was eine mit grossen Umständlichkeiten und bedeutenden Kosten verbundene « Bildungsreise » recht fruchtbar zu machen geeignet war. Von Reisebeschreibern dieser letzten Art erlangte seinerzeit wohl keiner grössere Popularität als der Göttinger Professor C. Meiners mit seinen 1788-1799 in vier Bänden erschienenen « Briefen über die Schweiz », welchen auch Schiller einen Teil der Kenntnisse verdankt, deren er zur Schöpfung seines « Wilhelm Teil » bedurfte. Der Verfasser, welcher die Schweiz zweimal besuchte — 1782 vom Juni bis zum September und 1788 in denselben Monaten —, reiste, vom Bodensee herkommend, über Schaffhausen, Zürich, Bern nach Nidau, wo er bei Bekannten einige Zeit verweilte, hierauf nach Neuchâtel, La Chaux-de-Fonds und Le Lode, nach Solothurn und wieder zurück nach Bern. Von hier ging 's ins Lauter-brunnen- und ins Grindelwaldtal, dann über die Grosse Scheidegg — damals gewöhnlich schlechthin Scheidegg genannt — ins Haslital, über den Brünig nach Samen, Stans, Engelberg. Von Buochs aus wurde zu Schiff Flüelen erreicht, hierauf die Reise reussaufwärts und bis zum Gotthardhospiz fortgesetzt. Auf dem Rückweg ward Schwyz, Einsiedeln, Zug und Luzern besichtigt, dann wieder in Nidau Standquartier genommen. Nachdem in der Westschweiz noch Lausanne, Bern und Genf besucht waren, führte die Rückkehr nach Deutschland über Yverdon und durch das Münstertal auf Basel zu. Auf der zweiten Reise kam Meiners über den Bodensee nach Schaffhausen und Zürich; dann wandte er sich ostwärts nach St. Gallen und ins Appenzellerland. Über den Kamor ging 's auf bedenklichem Abstieg ins Rheintal, hierauf nach Pfäfers, Chur und rheinaufwärts über die Oberalp ins Urserental; über Furka und Grimsel ins Hasli, nach Bern, Lausanne, Genf, ins Chamonixtal und zum Eismeer des Montanvert, als dem äussersten Reiseziel. Die Rückreise vollzog sich über Neuenburg, Biel, mit Abstecher nach La Chaux-de-Fonds, wieder durchs Münstertal nach Basel. Meiners ist in verschiedener Hinsicht en grand Seigneur gereist. Allzu grosse Anstrengungen sind nicht seine Sache; wo es irgend möglich ist, benutzt er Wagen oder Pferde, und den Freuden der Tafel ist er so wenig abhold, dass wir nach der Lektüre seines Werkes genau informiert sind, wo im ganzen Schweizerlande herum es die besten Forellen gibt. Überall verkehrt er in den « allerhöchsten » Kreisen der damals viel schärfer als heutzutage nach Rangunterschieden abgestuften Gesellschaft, und als ein Mann von gut monarchischer und aristokratischer Gesinnung — das gewöhnliche Volk bezeichnet er nie anders als mit dem heute so verpönten Ausdruck « Pöbel » — bringt er der patrizischen Verfassung von Bern, über die er ausführlich berichtet, warme Sympathien entgegen, hält aber, wo es ihm gut zu sein scheint, auch mit dem Tadel nicht zurück. Für die landschaftlichen Vorzüge unseres Landes zeigt er einen empfänglichen Sinn, wenn er auch nicht in sentimentalen Exklamationen sich ergeht, und in der Schilderung des schweizerischen Volkslebens zu Stadt und Land und der politischen und sozialen Einrichtungen in den verschiedenen Gebieten der Eidgenossenschaft sucht er den Eigentümlichkeiten, die ihm entgegentreten, vorurteilslos, aber auch durchaus ohne Hang zu Schönfärberei und Schmeichelei, gerecht zu werden. Dass er unter diesen Umständen beim lesenden Schweizerpublikum vielfach übel ankam, ist in Anbetracht der nicht ganz unbedeutenden Empfindlichkeit unseres Volkes erklärlich, und er spricht denn auch in der Vorrede des dritten Bandes, der erst zwei Jahre nach den beiden ersten Bänden erschien, aus Erfahrung von den Unannehmlichkeiten, denen ein deutscher Beschreiber der Schweiz, möge er loben oder tadeln, sich aussetze, und den vierten und letzten Band des Werkes schliesst er mit der Äusserung, er glaube bemerkt zu haben, « dass die städtischen Schweizer reizbarer und leichter zu beleidigen sind als die Deutschen ». Meiners durfte sich übrigens mit seinem Erfolge zufrieden geben; seine Briefe wurden sowohl bei seinen Landsleuten als auch in der Schweiz, wie schon bemerkt, viel gelesen, und mancher ist durch diese Lektüre aufgemuntert worden, als Reisender den Spuren des Verfassers zu folgen. Eine besondere Genugtuung mag es für ihn auch gewesen sein, bei seiner zweiten Anwesenheit in Meiringen vom Dorfbarbier zu vernehmen, es kämen jetzt mehr Fremde als sonst ins Haslital, seit ein gewisser Professor Meiners in seinen Briefen vom Haslital und vom Reichenbach geredet habe. Auf die Eröffnung hin, dass er eben diesen Professor Meiners unter dem Messer habe, entschuldigte er sich noch weit mehr als zuvor, dass ihm seine frischgeschliffenen Messer nicht mit dem heutigen Boten von Bern zugekommen seien.

Neben Meiners'Reisebriefen verdienen auch die in den Jahren 1785-1786 in drei Bänden erschienenen anonymen « Briefe eines Sachsen aus der Schweiz » hervorgehoben zu werden. Verfasser ist ein gewisser Küttner aus Leipzig, der in den Jahren 1776-1783 als Erzieher meist in Basel und längere Zeit auch in Vevey und Lausanne lebte. Küttner hat zunächst wiederholt den Jura besucht und jugendlich schwärmerisch bewundert. Eine spätere Reise führt ihn in die Kantone Luzern, Schwyz, Uri, über den Gotthard ins Tessin und nach Oberitalien, zurück über den Griespass und die Grimsel ins Hasli, über die Scheidegg nach Grindelwald, ins Lauterbrunnental und über Bern und Langnau wieder nach Basel. Ein anderes Mal wandert er aus dem Waadtlande, wo ihn natürlich die Ufer des Léman entzücken, über Saanen und Zweisimmen nach der Lenk, gelangt auf einem als fürchterlich geschilderten Weg zum Daubensee und über die Gemmi ins Leukerbad. Der Rückweg führt ihn wallisabwärts. In ähnlicher Weise wie Meiners über Bern und Genf, verbreitet sich Küttner eingehend über die Verhältnisse in Basel und Lausanne, und wer sich daher um das private Leben und die politischen und sozialen Einrichtungen dieser Städte im vorigen Jahrhundert interessiert, der findet in den beiden Werken ungemein vieles, was er in sämtlichen, ex professo verfassten geschichtlichen und kulturgeschichtlichen Schriften vergeblich suchen würde.

Weder in den bisher berührten, noch auch in der überwältigenden Mehrzahl aller übrigen aus dem achtzehnten Jahrhundert stammenden Reisewerke ist von eigentlichen Hoch- oder Gletscherfahrten die Rede. So ziemlich alle die Pfade, welche die betreffenden Reisenden eingeschlagen haben, gehören heute zu den begangensten und die Leistungen, die der damaligen Menschheit als sehr bedeutende vorgekommen sein mochten, zu den ganz gewöhnlichen. Und doch war der Sturmlauf auf die Gletscherwelt damals bereits im Gange. Seit alter Zeit zwar hatten die Bewohner der inneren Alpentäler zum Kristall- suchen oder zur Gemsjagd verschiedene Gletscherhochpässe überstiegen; der Städter aber war bis um die Mitte des vorigen Jahrhunderts am Vorderrand der Gletscher stehen geblieben; was darüber lag, bedeutete für ihn, den nach damaligen Begriffen gewissermassen höher organisierten Menschen, eine unzugängliche Welt. Wohl gab es auch schon seit dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts Werke über die Beschaffenheit der « Eisberge », die aber, weil die betreffenden « Forscher » ihren Gegenstand nicht aus eigener Anschauung kannten, voll der abenteuerlichsten Behauptungen und Vermutungen sind. So glaubte und lehrte man noch bis zum Anfange des achtzehnten Jahrhunderts fast allgemein, die mit ewigem Schnee bedeckten Berge beständen bis in ihren Kern hinein aus Eis, das kälter sei als gewöhnliches, und dieses Eis gehe allmählich in Kristall über. Ebenso verbreitet war die Annahme, dass über die ganze Länge der Berneralpen ein zusammenhängendes Eismeer sich hinziehe, als dessen Buchten oder Golfe man die Gletscher betrachtete, und noch 1777 wusste Albrecht von Haller gegen diese Annahme nur den Umstand geltend zu machen, dass Gemmi und Grimsel ein solches Meer unleugbar unterbrechen!

Die ersten eigentlichen Hochgebirgsfahrten fallen nun allerdings ausser die Grenzen unseres Vaterlandes, und zwar gelten sie seltsamerweise gerade der höchsten westeuropäischen Gebirgsgruppe, dem Montblancmassiv. Nachdem noch 1741 die erste Besteigung des nur 1921 Meter hohen Montanvert mit Betretung des Eismeeres durch ein paar Engländer grosses Aufsehen erregt hatte, wurde 1770 von Genfern zum erstenmal der Buet gewonnen, und am 7. August 1786 folgte endlich die Bezwingung des höchsten Montblancgipfels durch Dr. Paccard und den Gemsjäger Jacques Balmat von Chamonix. Der Ruhm, der erste Besteiger des Montblanc zu sein, war dadurch dem berühmten Naturforscher und Begründer der Alpenphysik, Horace-Benedicte de Saussure von Genf, der mehrere vergebliche Versuche, teilweise in Gesellschaft eines anderen Genfers, des bekannten Alpenforschers Marc-Théod. Bourrit, zur Erreichung dieses Zieles gemacht hatte, eigentlich vorweggenommen; erst 1787 war es auch Saussure vergönnt, seinen Fuss auf das Haupt des Riesen zu setzen. Aber Saussures bekannte und viel verbreitete Beschreibung dieses Ereignisses und besonders das Gewicht seines gefeierten Namens haben bewirkt, dass man doch allgemein ihn den ersten Montblancbesteiger nennt. Von seinen übrigen kühnen Hochgebirgsfahrten gibt sein berühmtes Werk « Voyages dans les Alpes », erschienen 1779-1794, ausführliche Kunde. Andere Bergfahrer, wie der etwas grosssprecherische und, obgleich er in alpinen Angelegenheiten als unbestrittene Autorität galt, doch nicht immer ganz zuverlässige Bourrit, folgten Saussures Fussstapfen. Bourrits Schriften haben namentlich veranlasst, dass der Zufluss der Fremden ins Chamonixtal bald sehr beträchtlich wurde.

Indessen wendete sich das Interesse des Durchschnittsreisenden, des « Touristen », mehr und mehr der Schweiz und hier insbesondere dem Berner Oberland zu. Aber merkwürdigerweise begannen hier ernstliche Versuche, in unbekannte Eistäler einzudringen und die höchsten Gipfel zu besteigen, erst in unserm Jahrhundert. Am meisten mochte einem rascheren Fortschritt in dieser Beziehung die fast unausrottbar in den Köpfen spukende Idee des grossen Eismeeres hinderlich gewesen sein. Simmen-, Kander-, Lauter-brunnen-, Grindelwald- und Haslital wurden besucht, Gotthard, Furka, Grimsel und Gemmi überschritten, der Rhone-, der Unteraar- und die beiden Grindelwaldgletscher besichtigt, letztere teilweise begangen, und wer solche Leistungen aufweisen konnte, der hatte seinen Ruf als tüchtiger Bergsteiger begründet.

Den deutlichsten Beweis, dass die Schweiz um ihrer mannigfachen Merkwürdigkeiten und landschaftlichen Schönheiten willen nicht nur von Landeskindern fleissiger bereist, sondern auch immer mehr ein Anziehungspunkt der Fremden, ein eigentliches « Touristenland », zu werden begann, liefern die im letzten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts aufkommenden Reisehandbücher, die natürlich ihrerseits auch wieder dazu beitrugen, den Fremden-zufluss zu fördern. Von diesen Handbüchern, deren frühestes— charakteristisch genugeinen Engländer ( William Coxe ) zum Verfasser hat, ist keines zu grösserem Ansehen gelangt und hat auch keines den jetzigen vollkommeneren derartigen Werken so vorgearbeitet wie J. G. Ebels « Anleitung, auf die nützlichste und genussvollste Art die Schweiz zu bereisen », erstmals erschienen 1793 zu Zürich und in der Folgezeit noch oft aufgelegt und auf vier Bände erweitert. Der Verfasser, von dem auch eine « Schilderung der Gebirgsvölker der Schweiz » in zwei Bänden erschien, ein norddeutscher Arzt, später in Zürich ansässig und daselbst mit dem Bürgerrecht beschenkt, erscheint als ein warmer Freund und gründlicher Kenner der Schweiz und als ein aufrichtiger Bewunderer ihrer Naturschönheiten. Er hat das Land nach allen Richtungen durchquert; nur Graubünden ist ihm zur ersten Ausgabe seines Buches, die wir hier im Auge haben, noch fremd, weshalb er über dieses Gebiet nur einige Andeutungen geben kann und im übrigen die Leser für diesen Mangel mit dem Tröste abspeist, in Graubünden gebe es, wie ihm versichert worden sei, für den, welcher die Schweiz durchreist habe, nichts Grosses, Ausserordentliches und Schönes in der Natur, was ihn als neu frappieren würde. Wir sind heutzutage bekanntlich anderer Meinung! Das tut aber dem gesamten übrigen Inhalt des Buches, das treffliche praktische Belehrung enthält und, ohne ins Überschwengliche, Phantastische oder Sentimentale zu verfallen, so recht Reiselust erwecken musste, keinen Eintrag. Nachdem der Verfasser im ersten Abschnitt des ersten Teils die bereits vorhandenen Reisehandbücher kurz kritisiert hat, behandelt er im zweiten Abschnitt die Frage: « Für wen ist die Schweiz merkwürdig? » — « Es gibt », sagt er hier, « zuverlässig kein Land, keinen Teil unseres Erdbodens, der in so vielen Rücksichten merkwürdig und interessant wäre als die Schweiz. Der Mensch und der Philosoph in dem weitesten Sinne dieser Wörter finden nirgends so viel Reichtum des Stoffes zu Untersuchungen, zu Beobachtungen und zu reinem Lebensgenuss als hier. Wer irgendein Fach der Naturhistorie kultiviert, dem steht hier ein weites, noch lange nicht genug durchsuchtes und gekanntes Feld offen. Wer Geschmack an dem Studium der Geologie hat, der muss in die Gebirge wandern; denn da liegt das Buch der Natur aufgeschlagen, in welchem die Epochen der Revolutionen unseres Erdplaneten mit grossen Charakteren aufgezeichnet sind, von denen wir jetzt nur erst wenige lesen können. Der Physiker findet zu Beobachtungen, zu Versuchen Gelegenheit, die in einem platten Lande gänzlich fehlen. Der Ökonom kann viele Kenntnisse und Erfahrungen einsammeln. Aber gewiss keiner findet mehr Nahrung für den Geist als der, welcher den Menschen zum Gegenstand seiner Untersuchung macht, welcher mit einem scharfen Auge den Einfluss der physischen Beschaffenheit, der Lage, des Klimas, des Bodens und der Organisation der bürgerlichen und politischen Regierungsverfassung jedes Ländchens ausspäht, der in dem körperlichen Zustande, in Bestimmung des Charakters, der Sitten, des Grades der Kultur und der vernunftmässigen oder glücklichen und elenden Existenz jedes Völkchens so unverkennbar sich äussert » usw. Und weiter unten heisst es: « Alles Grosse, Ausserordentliche und Erstaunenswürdige, alles Schreckliche und Schandhafte, alles Schöne, Sanfte, Reizende, Heitere, Ruhige und Süss-erquicken de, was in der ganzen Natur zerstreut ist, scheint sich hier in einem kleinen Raum vereinigt zu haben, um dies Land zu dem Garten von Europa zu bilden, wohin alle Anbeter der Natur pilgern, und wo sie für ihre Opfer in dem vollsten, reinsten Masse Belohnung und Befriedigung erhalten sollten. Das Schauspiel eines feuerspeienden Berges und den Anblick des Meeres ausgenommen, wüsste ich keine Naturszene, keine Naturschönheit, die der Wanderer in der Schweiz vermissen wird; im Gegenteil, er wird sehr, sehr viele finden, die er sonst nirgends sehen und geniessen kann, von denen der Bewohner eines ebenen Landes keine Idee hat und von denen ein treffendes Bild zu geben dem Pinsel wie der Feder gleich unmöglich ist » usw. Es dürfte zweifelhaft sein, ob bei ähnlich einfacher Sprache je hübscher und wärmer auf die Vorzüge der Schweiz hingewiesen worden ist als hier.

Im dritten Abschnitt: « Wodurch kann der Aufenthalt und das Reisen in der Schweiz sonst noch nützlich sein? » verbreitet sich J. G. Ebel als Arzt über den Einfluss der Schweizerreisen auf die körperliche und moralische Gesundheit. Als Luft- und Terrainkurorte in den unteren Regionen werden empfohlen: Langnau im Emmental, Meiringen, Schwyz, Weissenburg, Zweisimmen, Saanen und Château d' Oex; als solche in den mittleren Regionen: Gais, Wolfhalden, Schwellbrunn, die Täler von Locle und Chaux-de-Fonds, das Jouxtai, das Gebiet von Aigle, das Urserental und der Albis, und als eigentliche Bergkurorte: die Höhe des Schwyzerhakenpasses, der Rigi, der Weissenstein und der Chasserai. Von den schweizerischen Bädern, deren er drei, Pfäfers, Leuk und St. Moritz in Graubünden, namentlich hervorhebt, weiss Ebel nicht viel Rühmliches zu berichten, indem sie, was Einrichtung und Sorge für Bequemlichkeit betrifft, gegenüber den deutschen und französischen sehr schlecht seien. Ebel dürfte wohl auch in dieser Beziehung heutiges-tags zufrieden seinIn einem weitern Abschnitte werden in ähnlicher Weise, wie es in neueren guten Reisehandbüchern geschieht, Kostenberechnungen über das Reisen angestellt. Vorausgesetzt, Ebel und andere Schriftsteller übertreiben nicht, erhalten wir den Eindruck, dass vor hundert Jahren den Genuss, sein Vaterland aus eigener Anschauung kennen zu lernen, wohl auch mancher sich versagen musste, der in unserer Zeit alljährlich zu einem Schweizerreischen sein Bündel schnüren kann. « Tu Geld in den Beutel! » hiess es für jeden, der nicht ausschliesslich auf Schuhmachers Rappen pilgerte und in Sennhütten mit Milch und einem Heulager sich begnügte. Namentlich über die teuern Fahrpreise der schweizerischen Posten haben sich viele damalige Reisende zu beklagen. D. Ploucquet in seiner « Vertraulichen Erzählung einer Schweizerreise im Jahre 1786 » berechnet die Kosten einer Fahrt von Bern nach Lausanne für drei Personen samt Gepäck in vierspän-nigem Wagen nach der obrigkeitlich normierten Taxe auf 112 Gulden. Und dabei ist die Miete für den Wagen, den man, da es in der Schweiz keine Extra-posten gab, selbst zu beschaffen hatte, noch nicht inbegriffen! Aber auch die Verpflegung in den Wirtshäusern erforderte unbedingt verhältnismässig höhere Auslagen als heute, und gegen die Sportein, die als ebenfalls unumgängliche Ausgaben so nebenhergingen, dürfen wir die heute als so lästig empfundenen Hoteltrinkgelder lächerliche Bagatelle nennen. Einer, der es, wie kaum ein zweiter, verdient hätte, die Schweiz auch mit dem leiblichen Auge zu schauen, der Schöpfer des « Wilhelm Teil », musste bekanntlich seinen Lieblingswunsch mit sich ins Grab nehmen, weil die Verhältnisse es ihm nie gestattet hatten, denselben zu erfüllen. Es folgen dann Anweisungen über die Art des Reisens in den verschiedenen Gegenden, über Bediente und Führer, über die zu einer Reise erforderliche Zeit, über die rationellste Equipierung für Fussreisende und endlich verschiedene Verhaltungsmassregeln und Winke, unter denen uns Schweizer folgender Passus aus dem Munde des Deutschen ganz besonders anmutet: « Will man auf eine angenehme und nützliche Art reisen, so lasse man alle Vorurteile des Ranges und Standes, allen Stolz und alle Prätensionen zu Hause und bringe bloss den Menschen mit. Wer dies tut, wer jeden, den man auf seinen Wegen begegnet und überhaupt alle Welt freundlich grüsst, vertraulich sich mit den Leuten ins Gespräch einlässt, ihre neugierigen Fragen natürlich beantwortet und in dem ganzen Betragen fühlen lässt, dass man nichts weiter sein will, als was der andere ist, Mensch, so wird man in den Schweizern so viel Güte, Herzlichkeit, Treue, Biederkeit und wahrhafte Dienstbeflissenheit mit der höchsten Natürlichkeit vorhanden finden als gewiss bei keiner andern Nation Europas. » — Im nächsten Abschnitt bietet der Verfasser verschiedene schematische Reisepläne für solche, welche die ganze Schweiz bereisen und entweder von Deutschland oder von Italien oder Frankreich kommen und wieder dorthin zurückkehren, oder für solche, welche vom Innern der Schweiz aus das ganze Land oder einzelne Teile desselben besichtigen wollen. Manches von dem, was weiter behandelt wird, erscheint uns heute überflüssig. Wir verlangen von einem Reiseführer keine Besprechungen von Karten, Zeichnungen, Kupferstichen, Panoramen, noch weniger von Reisebeschreibungen oder gar von geschichtlichen, politischen, sozialen, geographischen und naturwissenschaftlichen Werken, während Ebels Buch all das enthält. Am allerliebsten entbehren wir in einem modernen schweizerischen Reisehandbuch einen besondern Abschnitt über Münzsorten und Geldkurs; ein Blick auf Ebels diesbezügliche Ausführungen belehrt uns zur Genüge, welch heilloser Münzwirrwarr heutzutage glücklicherweise hinter uns liegt. Nachdem im letzten Abschnitt des ersten Teils noch die dem Buche beigefügten, leidlich guten Panoramen erklärt worden, enthält die 15 ganze zweite Abteilung eine alphabetisch geordnete Aufzählung und Beschreibung der im ersten Teil genannten Ortschaften mit ihren Sehenswürdigkeiten, Spaziergängen und Aussichtspunkten, der Berge, Täler, Gewässer, kurz alles dessen, was der Verfasser anderswo oft hätte wiederholen müssen. Alles ist ungefähr so, wie es ein Tourist braucht, und während z.B. der bereits genannte Ploucquet sagt, man lache über Reisende, welche Wirtshäuser aufzeichnen, so waren die, welche nach Ebels Anleitung reisten, diesem gewiss zu Dank verpflichtet, dass er über einen so unpraktischen Hyperidealismus erhaben ist und allenthalben die empfehlenswerten Unterkunfts- und Verpflegungsstätten namhaft macht. Wohl mutet es uns seltsam an, wenn hervorragende heutige Touristen- und Kurantenzentren, wie Zermatt, Pontresina, Davos, als noch völlig unbekannte Grossen gar nicht genannt werden oder andere, wie Interlaken, Grindelwald, Ragaz, mit je nur einem, manchmal noch als gering qualifizierten « Wirtshaus » aufrücken.j ,. Si ( Schluss folgt. )

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